Lucky

  • "Lucky"


    Gerade fuhren Semir und Ben Richtung Leverkusen über die Autobahn. „Mann ich kann es noch gar nicht glauben-in vier Tagen bin ich verheiratet!“ erklärte Ben gerade seinem Freund, der dabei schmunzeln musste. „Glaub mir-da gewöhnt man sich dran und ich hoffe ja nicht, dass Sarah und du euch mit der Hochzeit in irgendeiner Weise ändert. Ist ja nur eine Unterschrift unter nem Dokument, an eurem Charakter oder euren Lebensumständen ist deswegen ja nichts anders!“ gab Semir zu bedenken. „Irgendwie habe ich trotzdem Schiss!“ antwortete Ben leise und nun sah Semir ihn prüfend von der Seite an. „Noch kannst du alles abblasen wenn dir nicht wohl dabei ist-immerhin sollte das schon eine Entscheidung sein, die freiwillig getroffen wird!“ sagte nun Semir, aber Ben beeilte sich zu versichern: „Nein-so war das nicht gemeint! Ich liebe Sarah und möchte mit ihr mein Leben verbringen, aber eben davor habe ich Angst, dass sich etwas ändert-es läuft gerade alles so gut. Man liest doch immer wieder, dass bei manchen nach einer Hochzeit nichts mehr so ist wie früher-und dann kommts kurz danach zur Trennung!“ gab Ben zu bedenken, aber nun lachte Semir lauthals: „Soll ich dir was sagen: Denk einfach nicht an sowas, sondern tu was dein Herz dir sagt!“ und nun antwortete Ben ihm mit fester Stimme: „Das sagt, dass ich Sarah heiraten will!“ und nun schmunzelte Semir: „Dann ist ja alles gut!“ um Sekunden später zu rufen: „Verdammt noch mal, was macht denn der Blödmann da vorne?“


    Ben der abgelenkt aus dem Seitenfenster gestarrt hatte richtete nun seine Konzentration nach vorne. Da fuhr schon seit einiger Zeit bei mäßig dichtem Verkehr ein kleinerer Lieferwagen mit Planenaufbau, der nun gerade den Blinker gesetzt hatte, um sich auf die Abbiegespur einzufädeln, als ein winziger roter alter Kleinwagen ihn überholte und so knapp vor ihm einscherte, dass der Fahrer auf die Bremse treten musste und dabei ins Schleudern kam. Wie das auf einer befahrenen Autobahn eben so war, hatte der Nebenmann nicht mit sowas gerechnet, verriss ebenfalls das Steuer und nun kam es zur Kettenreaktion. Bremsen quietschten, Autos stellten sich quer, es knallte, Blech scharrte auf Blech und ein LKW-Fahrer, der gerade während der Fahrt genüsslich in seine Stulle gebissen hatte, leitete die Bremsung ein wenig zu spät ein und krachte beinahe mit voller Wucht von hinten in die bisher nur leicht verdellten Fahrzeuge, schob sie ineinander und im Zeitlupentempo kippte nun der Transporter um, der Planenaufbau löste sich von der Unterkonstruktion und während Menschen hysterisch zu schreien begannen, rollten ein paar Käfige heraus, die Türen öffneten sich und einige große Hunde sprangen auf einmal voller Panik zwischen den verunfallten Autos herum und flüchteten in alle Richtungen, auch auf die Gegenfahrbahn, wo nun ebenfalls Bremsen quietschten und eine Massenunfall entstand.


    Semir war auf die Bremse getreten und er und Ben hatten hilflos, ohne irgendetwas machen zu können, aus einiger Entfernung das Szenario beobachtet. Das Blaulicht rotierte und Ben hatte zum Funk gegriffen: „Susanne, Massenkarambolage auf der A3 am Kreuz Leverkusen, bitten um Verstärkung und schick auch ein paar Rettungsfahrzeuge und vielleicht nen Hundeführer-ich melde mich wieder, wenn wir uns einen Überblick verschafft haben!“ rief er und war dann schon, ebenso wie Semir, in Windeseile aus dem Fahrzeug. Gott sei Dank war wenigstens der Verkehr hinter ihnen zum Stillstand gekommen und während sich gerade in beiden Richtungen ein riesiger Stau bildete, obwohl hier ja viele Spuren zur Verfügung standen, liefen Semir und Ben von Fahrzeug zu Fahrzeug und schauten, ob jemand schwerer verletzt war, was aber Gott sei Dank nicht der Fall war.
    „Jetzt schnappen wir uns den Unfallverursacher!“ beschloss Semir und rannte zu dem Fahrer des roten Kleinwagens, der gerade ausgestiegen war und zu dem umgestürzten Lieferwagen gerannt war. Allerdings kümmerte er sich keinen Deut um den Fahrer, der sich gerade benommen aus seiner Kabine schälte, sondern spurtete zur Ladefläche und band einige Hunde los, die dort winselnd festhingen. „Was soll das, Freundchen?“ rief Semir und hielt ihn am Ärmel fest, aber der junge Mann mit dem langen Pferdeschwanz schüttelte mit Tränen in den Augen seine Hand ab und schluchzte: „Das habe ich nicht gewollt! Django, ganz ruhig-Balko Platz, ich bin ja da!“ versuchte er die aufgeregten Hunde zu beruhigen und die kannten anscheinend ihren Retter und ließen sich momentan auch von ihm beeinflussen.Inzwischen waren mit Sirenengeheul die ersten Rettungsfahrzeuge eingetroffen und die Verletzten wurden gesichtet, in Kategorien nach Verletzungsschwere eingeteilt und auf verschiedene Krankenhäuser verteilt, wie man das immer wieder übte. Auch der Fahrer des Lieferwagens wurde abtransportiert, die eingetroffenen Polizeifahrzeuge begannen Fotos zu machen und Zeugen zu befragen, während Semir, Ben und der junge Mann sich daran machten, die verstörten Hunde einzusammeln.
    Inzwischen war auch der angeforderte Hundeführer mit seiner vierbeinigen Begleitung ein getroffen und so spürte man ein Tier nach dem anderen auf und band sie erst einmal der Reihe nach an der Leitplanke an oder steckte sie wieder in die Käfige, soweit die noch funktionstüchtig waren. Es waren lauter große Hunde, keiner besonders hübsch oder gepflegt, aber der Fahrer des Kleinwagens kannte sie alle mit Namen. Nach einer Weile sagte er: „Jetzt fehlt nur noch Lucky!“ und Semir und Ben sahen sich an. Dieser Unfall war auf jeden Fall kein Zufall gewesen, wobei natürlich der Kleinwagenfahrer für das Ausmaß des Schadens nicht verantwortlich war und das würde auch von den Versicherungen geregelt werden, aber jetzt waren sie doch gespannt, was da dahinter steckte.


    Der langhaarige junge Mann intonierte immer wieder „Lucky!“ aber nirgendwo war ein Hund zu entdecken. Der Hundeführer stieg nun über die Leitplanke und tatsächlich rief er nach einer Weile: „Ich hab noch einen, aber ihr müsst mir helfen!“ und nun kamen Semir, Ben und der junge Mann nach. In einem Betonrohr, das als Entwässerungsgraben unter einem Weg verlief, steckte ein schwarzer Schatten. „Bitte ganz vorsichtig-er ist sehr verstört-er hat doch schon so viel mitgemacht!“ bat der junge Unfallverursacher mit Tränen in den Augen, aber es gelang ihnen nicht den Hund dazu bewegen, aus dem Betonrohr zu kommen. „Vielleicht steckt er ja auch fest?“ vermutete der Hundeführer und so wurde die Feuerwehr zugefordert, die ja über einen Feldweg an das Betonrohr ranfahren musste, was sicher eine Weile dauern würde. „So-du kommst jetzt erst mal mit mir, Freundchen und erzählst uns, was es mit dieser Sache so auf sich hat-um den Hund kümmern wir uns!“ sagte Semir entschlossen und zog Michael mit zu einem Kleinbus der Polizei, um die Personalien aufzunehmen und die Papiere zu überprüfen.
    Der Hundeführer, der ebenfalls mit einem Bus gekommen war, begann nun damit die elf Hunde in sein Fahrzeug zu laden, um sie erst einmal zum Tierheim zu bringen. „Die müssen vom Tierarzt untersucht werden, ob einem was passiert ist und dann werden wir rausfinden, wer die Besitzer sind!“ erklärte er und machte sich wenig später-die Feuerwehr war noch nicht bei der Betonröhre eingetroffen-auf den Weg. „Den einen Hund könnt ihr ja dann nachliefern!“ rief er und brachte seine vierbeinigen Begleiter nun in Sicherheit.
    Ben war noch am Weg stehen geblieben, um die Feuerwehr einzuweisen, als plötzlich ein leises Winseln ertönte. Ben hockte sich hin und schaute in die Betonröhre: „Wir holen dich da schon raus, Lucky!“ sagte er freundlich und streckte die Hand aus. Eigentlich wusste er, dass das ein Blödsinn war-das war ein völlig fremder großer Hund, von dem er nicht wusste, ob der bissig oder sonst was war, aber nun schob sich ein riesiger schmaler Körper langsam vorwärts und dann leckte der Hund an seiner ausgestreckten Hand. „Na komm-du schaffst das und dann kümmere ich mich um dich!“ lockte Ben ihn freundlich und bewegte sich im Zeitlupentempo rückwärts, während nun der Hund Zentimeter für Zentimeter vorwärts robbte, bis er vollends aus der Röhre gekrochen war und nun einfach erschöpft und traumatisiert vor Ben liegenblieb, der vorsichtig begann, den schmalen Kopf zu streicheln. „Guter Junge!“ murmelte er und besah sich den hässlichsten Hund, den er je erblickt hatte. „Die Feuerwehr braucht nicht mehr zu kommen-ich hab ihn!“ rief er zu den anderen und als er sich nun erhob, stand der Hund ebenfalls auf und schlich mit gesenktem Kopf frei hinter Ben her zum Wagen, wo er wie selbstverständlich im Fond Platz nahm. Semir, der gerade nach der Personalienüberprüfung mit dem Verhör anfangen wollte, sah das aus dem Busfenster, woraufhin er wie von der Tarantel gestochen raussprang und rief: „Ich glaube du spinnst-du kannst doch nicht diese stinkende verlauste Töle in meinen frisch geputzen Wagen setzen!“ aber da hatte sich Ben schon auf dem Beifahrersitz gesetzt. Zornig sprang Semir hinters Steuer und rief noch den Kollegen im VW-Bus zu: „Bringt den Mann zur PASt-ich werde ihn dort verhören!“ und dann ließ er den Motor an. „Mann-was ist dir denn nun schon wieder eingefallen? Aber jetzt hilfts auch nichts mehr-jetzt bringen wir ihn eben zu seinen Kumpels ins Tierheim, den Dreck habe ich jetzt schon-aber das verspreche ich dir-den Wagen machst du danach sauber!“ moserte er, während er losfuhr und Lucky derweil liebevoll von hinten Ben´s Ohr ableckte.

  • „Was ist das wohl für eine Rasse?“ fragte Ben und drehte sich nachdenklich ein wenig zu dem Findling um. „Du kennst dich doch damit ein wenig aus!“ fragte er seinen Freund und nach einem kurzen Blick auf die Rücksitzbank antwortete Semir: „Das ist ein Senfhund!“ und nun sah Ben ihn fragend an. „Na da haben so einige Vertreter verschiedenere Rassen ihren Senf dazu gegeben-reinrassig ist der auf jeden Fall nicht!“ erklärte ihm Semir und nun schmunzelte auch Ben. „Lucky hast du das gehört-der ist gerade frech zu dir!“ sagte er und der Hund stieß ein kurzes befriedigtes „Wuff“ aus und sah dann angeregt aus dem Fenster.
    Semir hatte sich wieder ein wenig beruhigt und steuerte routiniert seinen BMW in Richtung des Tierheims in Köln-Dellbrück, wohin der Hundeführer mit den anderen Schützlingen voraus gefahren war. „Eigentlich dürften wir ihn ohne Sicherung gar nicht transportieren-wenn der bei einer Bremsung nach vorne fliegt, erschlägt er uns!“ dachte Semir noch laut, aber Ben sagte nun: „Wie hätten wir es denn machen sollen-oder hast du immer ein Hundegeschirr im Auto?“ und nun fuhr Semir einfach weiter, bis er kurz danach am Parkplatz vor dem Tierheim einparkte. „Ich schau mal ob die ne Leine und ein Halsband haben-bleibst du derweil bei ihm?“ fragte Ben und öffnete die Tür um auszusteigen. Wie der Blitz war Lucky über die Rückbank gesprungen und aus dem Wagen geschlüpft. „Lucky was soll das? Komm steig wieder ein!“ sagte Ben vorwurfsvoll, aber der Hund sah demonstrativ in die andere Richtung und klebte wie eine Klette an Ben´s Hosenbein, der nun zur Glocke ging und läutete. Semir war ebenfalls ausgestiegen und feixte. „Da hast du nen Verehrer gefunden Ben-am besten du nimmst ihn gleich mit nach Hause!“ sagte er und Ben warf ihm einen wütenden Blick zu. „Wir wollen schon mal einen Hund, aber erst wenn wir mal ein Häuschen im Grünen gefunden haben und Tim ein wenig größer ist. Außerdem werden wir uns natürlich einen Welpen kaufen, vermutlich einen braunen Labrador-die gefallen Sarah und mir am besten!“ erklärte er und in diesem Moment öffnete schon die Dame des Tierheims die Tür.
    „Ah das ist wohl der letzte der Unfallhunde-kommen sie nur herein-unser Tierarzt ist gerade dabei die Hunde zu untersuchen, aber bisher hat er Gott sei Dank noch keine schwereren Verletzungen feststellen können. Die eine oder andere Prellung und die Hunde sind durchwegs geschockt, aber sie werden es überstehen!“ erklärte sie, während sie übers Gelände voranging. Lucky hatte sich umgesehen und folgte nun mit hängendem Kopf, eingeklemmter Rute und weggeknickten Ohren frei den drei Personen. Die Tierheimmitarbeiterin sah sich erstaunt um: „Und sie haben den Hund heute wirklich zum ersten Mal gesehen?“ fragte sie Ben zweifelnd. „Der wirkt, als wenn er schon immer ihr Hund wäre!“ sagte sie und Ben beeilte sich zu versichern, dass er wirklich vor einer Stunde dem Hund zum ersten Mal begegnet wäre. „Diese Menge an großen Hunden stellt uns zwar momentan vor ein Problem, weil wir eigentlich gar nicht so viel Platz haben-es wäre uns Recht, wenn sie den oder die Besitzer bald ermitteln könnten, damit sie zurückgegeben werden können-aber zum Wohle der Tiere werden wir eine Notfalllösung finden.“ sagte die Dame weiter und nun waren sie schon im Gebäude angekommen, wo auf verschiedene Zwinger verteilt Lucky´s Leidensgenossen bereits warteten. Die Frau nahm nun ein Halsband und eine Leine von einem Haken an der Wand und legte das Band vorsichtig um Lucky´s Hals. Dabei sprach sie mit ihm und sagte: „Na du bist ja ein ganz Braver-jetzt bleibst du ein wenig bei mir, bis wir dein Herrchen gefunden haben!“ aber Lucky wehrte sich zwar nicht, aber er drängte sich gegen Ben und stemmte die Beine in den Boden als sie ihn wegziehen wollte. Ben hatte fast ein schlechtes Gefühl dabei, aber er sagte nun auch: „Lucky-sieh mal du wirst es hier gut haben!“ und wandte sich gemeinsam mit Semir zum Gehen. Sie schlossen die Tür hinter sich und Ben erhaschte einen letzten Blick auf seinen neuen Freund der ihm fassungslos nachsah und ihm beinahe ein schlechtes Gewissen machte. Sie waren gerade ein paar Schritte Richtung äußeres Tor gegangen, als plötzlich die Türe hinter ihnen aufflog und mit ein paar Sätzen Lucky, der nun kein Halsband mehr trug, wieder an Ben´s Seite klebte. Die Tierheimmitarbeiterin kam ihnen fassungslos nach. „Ich habe noch nie einen Hund erlebt, der sich dermaßen schnell und geschickt aus dem Halsband gewunden hat und auch sofort wusste, wie man eine Tür aufmacht!“ sagte sie ein wenig fassungslos, während Lucky nun zitternd neben Ben Platz nahm. „Ach Mensch Junge-das geht doch nicht!“ sagte Ben unglücklich und ging nun mit, während die Frau eine Retrieverleine holte. Die zog sich zu und war aus dünnem Nylonmaterial und damit konnte auch Lucky sich nicht befreien, den man nun in einen Zwinger zerrte.
    Schweren Herzens machten sich Semir und Ben nun auf den Weg und diesmal kam ihnen niemand mehr nach. Als sie ins Auto stiegen um zur PASt zu fahren, wo der Unfallverursacher hingebracht worden war und aufs Verhör wartete, wandte Semir den Blick zur verschmutzten Rücksitzbank: „Dass das klar ist-heute Abend saugst du mein Auto raus-du hättest wenigstens ne Decke unterlegen können!“ bekräftigte er nochmals seine Forderung und Ben nickte nachdenklich. Er hatte doch so gar keine Erfahrung mit Hunden, aber jetzt war er gespannt, was der junge Mann zu erzählen hatte.


    Michael wartete schon unruhig auf sein Verhör. „Wie geht es den Hunden und wo haben sie Lucky hingebracht?“ begehrte er zu wissen. „Die sind alle wohlauf und im Tierheim in Köln-Dellbrück!“ antwortete Semir ihm kurz und bat ihn Platz zu nehmen. Die Personalien hatte er vorhin ja schon aufgenommen und so begann er nun die Befragung: „Sie heißen Michael Putz, sind 28 Jahre alt und wohnhaft in der Kastanienallee 6 in Köln?“ begann er und der junge Mann bestätigte die Angaben. „Jetzt erzählen sie uns mal, warum sie den Tiertransporter geschnitten haben und damit zum Auslöser einer Massenkarambolage mit mehreren Verletzten und einem Sachschaden, der in die Millionen gehen wird, geworden sind!“ sagte Semir streng und nun schluckte sein Gegenüber und sagte leise: „Das habe ich doch nicht gewollt-ich wollte doch nur die Hunde retten!“ sagte er und begann zu erzählen.

  • Gerade hatte der junge Mann begonnen, die ersten Sätze zu sagen, da gab Susanne Ben ein Zeichen, dass sie ihm etwas mitzuteilen hatte. Er verließ den Verhörraum und ging zu seiner Kollegin. "Was gibts, Susanne?“ fragte er und sie zeigte ihm nun auf ihrem Bildschirm die Akte. „Euer Verdächtiger ist kein unbeschriebenes Blatt. Er ist schon mehrfach wegen BTM-Verstößen auffällig geworden und war bis vor einem Jahr Bewohner in Ossendorf. Danach wurde er durch eine Resozialisierungsmaßnahme als Hilfskraft an ein privates Tierheim vermittelt-die Artis-Tierhilfe. Über die habe ich allerdings nichts gefunden, nur ein paar nette Bilder des Gebäudes und des Geschäftsführers, Mark Bruckner. Sie zeigte Ben auch dieses Bild eines etwa fünfzigjährigen schlanken Mannes und daraufhin ging Ben wieder zurück in den Verhörraum. Er teilte Semir im Flüsterton mit, was ihm Susanne gerade mitgeteilt hatte und der wandte sich nun wieder dem Verhörten zu. „Gerade haben sie mir erzählt, dass sie seit knapp einem Jahr als Tierpfleger in einem Tierheim arbeiten. Denken sie nicht es wäre für uns interessant gewesen, dazu zu sagen, dass das im Rahmen einer Resozialisierungsmaßnahme stattgefunden hat?“ warf er ihm an den Kopf und Michael blickte zu Boden. „Ich hatte gehofft, sie würden da nicht so genau nachprüfen, denn ich weiss-als Ex-Knacki glaubt mir doch niemand auch nur ein Wort. Aber ich schwöre ihnen-ich habe mich geändert und seit meiner Inhaftierung und danach keine Drogen mehr konsumiert oder vertickt. Ich bin raus aus dem Geschäft und mit der Arbeit im Tierheim habe ich auch meinen Traumberuf entdeckt. Ich würde wahnsinnig gerne Tierpfleger lernen und dann mit Hintergrundwissen in einem Zoo oder auch einem Tierheim arbeiten-aber nicht länger bei der Artis-Tierhilfe, denn da ist alles nur Lug und Trug und Kommerz zu Lasten der Tiere. Das finde ich schrecklich, aber genau das läuft hier ab!“ berichtete er und hatte sich dermaßen in Rage geredet, dass sich Semir und Ben verstohlen anblickten. Da war jemand völlig fanatisch und wie man wusste, waren solche Menschen zum Äußersten bereit. Vermutlich konnten sie froh sein, dass der Mann nur eine Massenkarambolage verursacht und nicht ein Attentat verübt hatte.


    „Herr Putz!“ übernahm nun Ben das Verhör. „Dürfen wir festhalten, dass sie aktuell zwar noch in diesem Tierheim arbeiten, aber nicht vorhaben das noch länger zu tun, was nach diesem Vergehen wohl auch Utopie ist-wer beschäftigt auch einen Mitarbeiter, der gegen das Unternehmen agiert. Aber jetzt möchten wir wissen, weshalb sie den Hundetransporter von der Fahrbahn abgedrängt haben und deshalb den Massenunfall ausgelöst haben!“ fragte er und Michael verlangte einen Schluck Wasser, der ihm auch im Pappbecher gewährt wurde und begann dann zu berichten:
    „Nach meiner Entlassung aus Ossendorf bin ich wieder zu meinen Eltern gezogen. Die hatten sich zwar während meiner Drogenkarriere von mir abgewandt, was ich ihnen auch nicht verübeln kann, aber als ich clean war und versprochen habe mich zu bessern, haben sie mich wieder aufgenommen und ich wohne aktuell immer noch zu Hause in meinem alten Kinderzimmer-es ginge auch nicht anders, denn der Hungerlohn den mir Bruckner zahlt, würde nie im Leben dafür reichen, mir eine eigene Wohnung zu nehmen. Als mir mein Bewährungshelfer allerdings die Stellung vermittelt hatte, war ich momentan überglücklich. Sie wissen ja vielleicht wie schwer es ist, als ehemaliger Sträfling einen Job zu finden und ich habe Tiere immer schon geliebt und so schien das alles perfekt. Allerdings war ich nach kurzer Zeit ziemlich ernüchtert als ich hinter die Machenschaften gekommen bin, die mit den armen Tieren so abgezogen wurden.
    In diesem Tierheim werden Tierversuche für die Futtermittelindustrie durchgeführt. Sackweise wird Hundefutter angekarrt, das die Hunde dann über Monate ausschließlich zu fressen bekommen.“ erklärte er und nun sahen Semir und Ben ihn verständnislos an. „Und was ist da so schlimm daran?“ wollte Ben wissen. „Dem Tierheim entstehen keine Futterkosten und die Tiere sind satt!“ überlegte er, aber Michael schüttelte den Kopf. „Das wäre ja alles gut und recht, aber diese Futterzusammensetzungen sind teilweise für die Tiere tödlich-und das wird so schonungslos ausprobiert. Manche bekommen Ausschläge, struppiges Fell, werden matt und krank-die Organe versagen und außerdem dürfen diese armen Hunde auch nie aus den Zwingern in den Freilauf, denn da könnten sie ja mal eine Maus oder sowas erwischen, was den Test dann ungültig machen würde-diese armen Kreaturen betteln um Liebe und Aufmerksamkeit, aber mehr als ich ihnen als Betreuer geben kann, ist nicht zu holen. Ganz gelegentlich wird auch mal ein Hund oder eine Katze vermittelt-das muss wohl so sein, um den Schein zu wahren, aber viele werden dann bald zurückgebracht, weil die alle Verhaltensstörungen aufweisen und es sehr viel Sachverstand braucht, um diese Tiere in eine normale Familie einzugliedern. Diese Hunde, die von außen kommen und schon mal in einer Familie gelebt haben, tun sich am Leichtesten, aber die Babys, die man nicht los gebracht hat, die haben in ihrem ganzen Leben nie was Schönes gehabt.
    Bruckner betreibt nämlich noch ein zweites mieses Spiel. Der hat im Osten viele Zulieferer, die dort Gebärfabriken betreiben. Dort werden Rassehunde sozusagen fabriziert. Die einzige Aufgabe der Hündinnen ist es zweimal im Jahr unter schrecklichen Bedingungen, schlechter Fütterung und mangelnder Pflege möglichst viele Welpen zu produzieren. Die werden dann sehr klein abgesetzt und hierher gebracht. Sie haben sicher schon von den Welpenkäufen sozusagen aus dem Kofferraum gehört. Da ist aber nicht das große Geld zu machen, denn diese Hundekinder und auch Rassekatzen finden auch nur Käufer auf einem Markt, der nicht viel bezahlen will. Bei nachgefragten Hunderassen allerdings kann der Markt oft die Nachfrage nicht bedienen. Nehmen sie z. B. die im Augenblick sehr modernen Labradore und deren verschiedene Schläge. Da kostet ein Welpe vom renommierten Züchter mit Papieren zwischen 1200 und 1500 € und es gibt Wartezeiten von bis zu einem Jahr. Dafür wurde der Welpe dann aber liebevoll in der Familie aufgezogen, regelmäßig entwurmt und geimpft, die Elterntiere werden untersucht und teilweise auf Schauen vorgestellt und die meisten Züchter hängen mit sehr viel Liebe und Sachverstand an ihren Zuchttieren. Die Welpen werden meist auch frühestens mit etwa neun bis zehn Wochen abgegeben und die Züchter stehen auch danach noch mit Rat und Tat den Käufern zur Seite. Nun haben Bruckner und seine Helfershelfer da einen besonderen Trick. Er nimmt einen kompletten Wurf aus der Gebärfabrik, bringt ihn in den Haushalt von Leuten, die einen oder mehrere rassereine Hunde haben und gibt die als deren Welpen aus. Die meisten Leute die da hinkommen sind entzückt von dem Gewusel der herzigen Welpen und verschwenden keinen Blick darauf, ob das angebliche Muttertier überhaupt ein Gesäuge hat oder sich für die Welpen interessiert. Man ist völlig zufrieden, dass man den Empfehlungen für den Hundekauf nachgekommen ist-die Tierchen leben in einer Familie, das Muttertier sieht gesund aus und schon hat man eine Menge Geld für eine Mogelpackung hingelegt. Manchmal werden Papiere gefälscht oder noch viel einfacher-den Leuten wird eingeredet, dass man für genau diesen Hund, den sie sich ausgesucht haben keine Papiere bekommen habe, weil der Zuchtverband nur für maximal sechs Welpen pro Wurf Papiere ausstellt und die anderen Welpen umgebracht werden müssen. Der angebliche Züchter hat das aber nicht übers Herz gebracht und die Nummer sieben sozusagen so durchgeschmuggelt und die gibt’s halt dann leicht ermäßigt für sagen wir mal 1000€ ohne Papiere und alle sind zufrieden. Nur sind diese Welpen eben leider meist krank, haben Knochen-und Gelenkschäden schon von der schlechten Versorgung im Mutterleib, haben gefährliche Parasiten in sich, ein instabiles Immunsystem und die Tierarztkosten der glücklichen Welpenbesitzer haben oft den Kaufpreis innerhalb kürzester Zeit überschritten, aber das interessiert Bruckner nicht. Und wenn nicht alle Welpen weggehen-da gibt es nämlich eine schmale Spanne, kaum jemand will nen Hund der älter als 14 Wochen ist, wenn er sich für nen Welpen entschieden hat und dann kommen sie eben zu Versuchszwecken in den Zwinger.“ endete Michael Putz und nun sahen sich Semir und Ben zweifelnd an. Konnte das stimmen, was ihnen der junge Mann gerade erzählt hatte? Aber eigentlich klang das ganz logisch.


    „Aber jetzt wissen wir immer noch nicht, warum sie den Transporter von der Autobahn gedrängt haben!“ insistierte nun Semir wieder. „Ja weil das der letzte Weg dieser Hunde gewesen wäre, wenn der Fahrer sie ausgeliefert hätte. Sie würden in den Labors der Futtermittelindustrie genauestens untersucht und dann getötet, weil man dann sagen könnte, ob man ein neues Futter auf den Markt bringt oder eben nicht-und sie glauben gar nicht, wieviel Geld Hunde-und Katzenhalter für Spezialfuttermittel, die angeblich auch gegen verschiedene Krankheiten helfen sollen, auszugeben bereit sind-schauen sie sich nur mal in den Futterabteilungen der Kaufhäuser und der Tierhandlungen um-das ist ein Millionengeschäft! Ich wusste mir nicht anders zu helfen, ich habe den Transporter verfolgt und habe ohne irgendeinen Plan gehandelt, als sich die Gelegenheit geboten hat ihn aufzuhalten“ erklärte der junge Mann und irgendwie waren sowohl Semir als auch Ben geneigt, ihm zu glauben.

  • „Herr Putz-wir werden jetzt noch den Fahrer des Lieferwagens befragen und dann mit der Staatsanwaltschaft Rücksprache nehmen, ob sie in Haft kommen oder nicht. Bis das geklärt ist, bleiben sie erst einmal hier in der Zelle-sie bekommen Bescheid!“ teilte ihm Semir mit und machte sich dann, nachdem sie die Chefin noch informiert hatten, auf den Weg ins Krankenhaus. Susanne hatte heraus gefunden in welcher Klinik der Verunfallte lag, nur Ben konnte nicht mehr mitkommen. „Semir es tut mir leid, aber Sarah und ich haben heute ein Gespräch mit dem Pfarrer. Der besucht uns wegen Tim sogar zu Hause, dann brauchen wir nicht extra einen Babysitter-wenn ich jetzt noch mit dir in die Klinik fahre, komme ich zu spät und dann ist Sarah sauer und das möchte ich nicht!“ erklärte er und Semir wünschte ihm viel Spaß, was Ben mit einer Grimasse beantwortete und dann fuhren sie jeder mit seinem Wagen in verschiedene Richtungen davon.


    Im Krankenhaus angekommen wurde Semir zu dem Verunfallten gebracht. „Ist er schlimm verletzt?“ wollte er zuvor von der Schwester wissen, aber die schüttelte den Kopf. „Ich denke nicht, dass ich jetzt meine Kompetenzen überschreite, wenn ich ihnen sage, dass er nur über Nacht bei uns zur Beobachtung bleiben muss-er hat eine fragliche Gehirnerschütterung und Prellungen, aber es ist nicht ernst!“ teilte sie ihm mit und nun klopfte Semir an der Tür, die die Pflegerin ihm gewiesen hatte. In einem Zweibettzimmer lag ein untersetzter Mann und sah interessiert in den Fernseher. Semir, der in seinem Leben schon mehr als eine Commotio gehabt hatte, konstatierte sofort, dass es wirklich nichts Ernstes war, denn bei einer heftigen Gehirnerschütterung lag man still und wagte es vor Kopfschmerzen und Übelkeit meistens nicht, die Augen zu öffnen, aber wenn jemand fernsehen konnte, dann war es wohl nicht so schlimm. Auch stand auf dem Nachtkästchen ein leeres Essenstablett, was auch darauf hindeutete. Er wies sich aus und fragte den Mann, der einen slawischen Einschlag hatte und auch ein wenig östlichen Akzent sprach, wie es ihm ginge und erklärte ihm, dass er wegen des Unfalls da wäre. Der Mann brauste auf: „Dieser Blödmann der mich da geschnitten hat gehört eingesperrt! Jetzt ist mein Lieferwagen Schrott und ich liege hier und kann nicht arbeiten!“ tobte er. „Aber das gibt eine Schmerzensgeldforderung die sich gewaschen hat-ich hoffe, sie haben den Kerl!“ fragte er neugierig und Semir nickte, ohne näher darauf einzugehen. „Mich würde jetzt interessieren, wohin sie mit den ganzen Hunden wollten, die bei dem Unfall entkommen sind!“ fragte er und der Mann zuckte mit den Schultern. „Das war ein Auftrag wie jeder andere. Ich sollte sie zum Tierarzt zum Impfen bringen-wo sind die Tiere jetzt?“ wollte er dann wissen. Semir überlegte kurz, aber er musste es dem Mann wohl mitteilen, weil trotz der Aussage von Michael Putz die Hunde ja einen Besitzer hatten und den musste man rein rechtlich davon informieren wo sie waren-der musste nämlich auch für die Tierarzt-und Unterbringungskosten aufkommen. Auch wenn ihm die Tiere leid taten, falls das wirklich stimmte, was der Tierpfleger ausgesagt hatte-er alleine konnte nicht entscheiden, was mit ihnen geschehen sollte. Also entschloss er sich, einfach die Wahrheit zu sagen. „Wir haben sie alle eingefangen und sie befinden sich im Tierheim Dellbrück!“ informierte er den Fahrer. Semir überlegte, ob er ihm auf den Zahn fühlen sollte, aber dieser Mann war vielleicht wirklich nur ein gedungener Transporteur.
    „Können sie mir bitte den Namen und die Adresse des Besitzers der Hunde geben, damit ich ihn verständigen kann?“ bat er freundlich und der Mann verwies ihn an Mark Bruckner und eine Adresse in Porz. Als Semir sich verabschiedet hatte, blieb er noch kurz hinter der Tür stehen. Wie er vermutet hatte, griff der Mann sofort zu seinem Handy: „Mark-gerade war ein Polizist bei mir, dem habe ich deine Adresse gegeben. Er scheint nichts zu wissen wegen der Tölen und kommt sicher in Kürze bei dir vorbei-anscheinend hat das Vögelchen noch nicht gesungen!“ teilte er seinem Gesprächspartner mit und nun grinste Semir in sich hinein-das funktionierte doch immer wieder.


    Während er nach Porz fuhr, teilte ihm Susanne mit, dass nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft Michael Putz freigelassen worden war. Er sollte sich zur Verfügung halten, aber seine Strafe würde er bekommen, wenn es zur Verhandlung kam, bis dahin blieb er auf freiem Fuß. Semir hatte eigentlich nichts anderes erwartet, denn auch wenn der junge Mann letztendlich der Auslöser für den Massenunfall gewesen war-immerhin hatte es wie durch ein Wunder keine Toten und Schwerverletzten gegeben und es bestand eigentlich auch keine Fluchtgefahr-die Entscheidung war also vorhersehbar gewesen. Außerdem sympathisierte er als Hundefreund eigentlich mit dem jungen Mann-wenn das stimmte, was er ihnen erzählt hatte, dann musste man da dringend etwas unternehmen-er wusste nur noch nicht was!


    Wenig später parkte er sein Auto vor der angegebenen Adresse und staunte nicht schlecht. Eine noble Hütte mit einem hohen Zaun und großem Grundstück lag vor ihm und als er auf den Klingelknopf drückte, kam kurz darauf der Herr des Hauses in Jeans und Hemd, flankiert von zwei Deutschen Schäferhunden, die leise knurrten als sie Semir´s ansichtig wurden, heraus. „Castor-Pollux-Platz!“ wies Mark Bruckner, wie er sich vorstellte, seine Hunde an und die fielen daraufhin regelrecht in sich zusammen, pressten ihre Köpfe auf den Boden und gaben keinen Mucks mehr von sich. „Kommen sie doch herein!“ bat der Hausherr freundlich und Semir betrat das Grundstück. Obwohl er Hunde liebte, war ihm nicht ganz wohl. Diese beiden wirkten wie ein gespannter Flitzebogen und Semir war sich fast sicher, dass die auf den Mann dressiert waren. Dann allerdings schalt er sich einen Narren-warum sollte dieser Mark Bruckner sie auf ihn hetzen? Er hatte wohl schon Phobien! So folgte er dem smarten Mittfünfziger ins Haus, um mit ihm zu sprechen.

  • Semir hatte seinen Ausweis gezogen und nahm nun in einem exquisit eingerichteten Wohnzimmer Platz. „Herr Gerkhan-was führt sie zu mir?“ fragte Bruckner und schenkte sich einen Scotch ein. Er bot auch Semir einen an, der aber mit der Aussage: „Ich bin im Dienst!“ ablehnte. Die beiden Hunde waren nach einem minimalen Zeichen ihres Herrchens den beiden Männern gefolgt und hatten sich nun im Wohnzimmer auf einen flauschigen Teppich gelegt. Dabei ließen sie aber ihren Besuch zu keiner Sekunde aus den Augen und folgten jeder seiner Bewegungen. Semir hatte die ganze Zeit fieberhaft überlegt, ob er diesen Bruckner zu den Vorwürfen von Michael Putz befragen sollte, aber erstens war er sich ziemlich sicher, dass der ihm nicht die Wahrheit sagen würde-falls das was Michael erzählt hatte überhaupt stimmte-und außerdem war ihm doch alleine ohne seinen Partner ein wenig unwohl. Das würde er tun, wenn Ben wieder mit an Bord war-zunächst würde er Bruckner einfach sagen, was mit den Hunden geschehen war. Falls die Sache mit den Versuchstieren für Futtermittel stimmte, hatten die jetzt eigentlich nichts zu befürchten, denn sicher hatten die im Tierheim nun etwas zu fressen gekriegt, was nicht in den Ernährungsplänen des Futtermittelherstellers war und waren somit zumindest aktuell nicht gefährdet.
    „Laut meinen Informationen betreiben sie ein privates Tierheim?“ fragte er nun Mark Bruckner und der lächelte gewinnend und forderte seine Hunde auf, zu ihm zu kommen, was sie furchtsam und devot schwanzwedelnd sofort taten. Er streichelte ihre Köpfe, aber Semir fühlte sofort, dass diese Tiere funktionierten wie die Marionetten und sich nicht getrauen würden, sich diesem dominanten Mann zu widersetzen. Sie wirkten eher erstaunt wegen der Liebkosungen-das war etwas, was sie sicher nicht oft erfuhren. „Ich liebe Tiere!“ sagte Bruckner enthusiastisch und legte seine Hunde mit Handzeichen wieder ab. „Deshalb konnte ich nicht anders-als sich mir die Möglichkeit geboten hat ein geeignetes Areal zu erwerben, habe ich vor einigen Jahren mein eigenes Tierheim eröffnet um den armen Kreaturen, die nicht das Glück haben einen liebevollen Besitzer zu haben, ein Dach über dem Kopf und eine Chance auf Vermittlung zu geben!“ erklärte er.
    „Ein Transporter mit einer Menge großer Hunde, die laut Aussage des Fahrers ihr Eigentum sind, ist heute auf der A3 verunglückt. Uns ist es Gott sei Dank gelungen die Tiere wieder einzufangen. Sie wurden tierärztlich untersucht, aber soweit ich weiss wurde keiner davon ernsthaft verletzt. Sie befinden sich nun im Tierheim Dellbrück. Können sie mir sagen, wo die Hunde hingebracht werden sollten?“ fragte Semir und fühlte instinktiv nach seiner Waffe, die aber wie immer in dem Holster an seinem Hosenbund war. „Ach du liebe Güte!“ heuchelte Bruckner Erstaunen und Entsetzen. „Das ist ja furchtbar-und sagen sie-ist wirklich keinem meiner Lieblinge was passiert?“ wollte er dann wissen und Semir verneinte. „Sie sollten zum Impfen und falls nötig zum Zahnstein entfernen zum Tierarzt gebracht werden!“ erklärte er. Gerade hatte Semir ihn fragen wollen, warum denn der Tierarzt nicht zum Impfen einfach ins Tierheim kam-das war doch sicher weniger aufwendig als ein Rudel Hunde durch die Lande zu kutschieren, aber nun wusste er nicht genau, ob man sowas bei Hunden tatsächlich machte mit dem Zahnstein und wie das vor sich ging-da musste er sich erst informieren-so ganz nebenbei fiel ihm siedend heiß ein, dass er schon lange mal wieder einen Termin beim Zahnarzt vereinbaren musste. „Wie heisst denn der Tierarzt und wo befindet sich seine Praxis?“ fragte nun Semir und Bruckner sagte einen Namen und eine Adresse in Leverkusen, die Semir sich sofort notierte. „Am besten setzen sie sich wegen der Rückgabe der Tiere mit dem Tierheim Dellbrück in Verbindung!“ sagte nun Semir und erhob sich. Wie zwei Schatten sprangen gleichzeitig mit ihm die beiden Schäferhunde auf, fixierten ihn mit stechendem Blick und grollten leise. Semir hätte sich beinahe sofort wieder hingesetzt, so bedrohlich wirkten die beiden auf ihn, aber Bruckner sagte: „Brav meine Süßen!“ und erhob sich nun ebenfalls, um Semir nach draußen zu begleiten. Seine vierbeinigen Beschützer folgten ihnen wieder wie die Schatten und nachdem sich Bruckner bedankt und das Tor sich hinter ihm geschlossen hatte, atmete Semir laut und vernehmlich auf.
    Er sah auf die Uhr. Heute würde er sowieso nichts mehr ausrichten-er würde jetzt nach Hause gehen und sich morgen weiter um den Fall kümmern. Er meldete sich in der Zentrale ab und bat Susanne, die auch nur noch eine halbe Stunde bis zum Feierabend hatte, diesen Mark Bruckner und auch den Tierarzt aus Leverkusen zu durchleuchten. „Susanne und außerdem finde bitte heraus, was es mit Zahnsteinentfernung bei Hunden auf sich hat!“ bat er sie und Susanne fragte ein wenig verständnislos nochmals nach. „Ja du hast schon richtig gehört-ich habe gerade auch merkwürdig gekuckt, aber da müssen ja irgendwelche Informationen zu finden sein!“ sagte er und machte dann endgültig Feierabend.


    Ben war ja nicht besonders christlich, genauso wenig wie Sarah, aber beide waren sich einig gewesen, dass die Kirche irgendwie zu einer Hochzeit dazu gehörte. Sarah war in ihrer Jugend in einer Pfadfindergemeinschaft gewesen und kannte daher ihren damaligen Jugendseelsorger näher. Der war inzwischen Priester in Köln in einer schönen alten Kirche und sie war vor einiger Zeit einmal als Gast bei der Hochzeit einer Jugendfreundin gewesen, die sich von eben diesem Seelsorger hatte trauen lassen. Die hatte auch den Kontakt hergestellt und nun würde der Pfarrer eben bei ihnen zum Traugespräch vorbeikommen. „Sarah meinst du wir müssen da schwindeln und behaupten, dass wir wenigstens gelegentlich zur Kirche gehen?“ fragte Ben ein wenig ratlos, der im Umgang mit irgendwelchen kirchlichen Würdenträgern so gar keine Ahnung hatte, aber Sarah schüttelte den Kopf. Er hatte jetzt auch erwartet, dass da ein Mann zumindest in Soutane und mit nem Hut wie Don Camillo erscheinen würde, aber stattdessen kam da ein völlig normal aussehender mittelalter Mann in Jeans und Shirt, begrüßte sie freundlich und nahm auf dem Sofa Platz. Tim, der inzwischen krabbeln konnte wie der Wind, strahlte ihn an und er beschäftigte sich erst mal ausgiebig mit dem kleinen Wonneproppen, schwelgte mit Sarah in Erinnerung an alte Zeiten und zwei Stunden später war klar, dass sie eine kombinierte Trauung mit Taufe machen würden und das Traugespräch, das völlig locker abgelaufen war, war beendet.
    Als sie den Mann verabschiedet hatten, sagte Ben verwundert zu Sarah: „Der war ja total nett-ich glaube wenn ich als Kind so einen Pfarrer gehabt hätte, würde ich auch zur Kirche gehen!“ und Sarah schmunzelte in sich hinein. Gemeinsam brachten sie Tim zu Bett und besprachen noch einige Details zum kommenden Samstag an dem vormittags in kleinem Rahmen die standesamtliche Trauung stattfinden würde und nachmittags dann das große Fest, beginnend mit Traugottesdienst und Taufe, steigen würde. „Morgen ist mein letzter Arbeitstag und dann kann ich dir am Freitag noch bei den Vorbereitungen ein wenig helfen!“ kündigte Ben an und nach einer ausgiebigen Kuschelstunde schliefen sie Arm in Arm ein.

  • Am nächsten Morgen trafen sich Semir und Ben in der PASt. „Und wie wars bei dir?“ fragte Semir schmunzelnd, denn ihm war ja am Vortag nicht entgangen, dass Ben ein wenig aufgeregt wegen des Gesprächs gewesen war. Der grinste allerdings und sagte: „War ein total netter Abend!“ und Semir zog fragend die Augenbraue hoch. Während sie die Akten auf ihrem Schreibtisch sichteten, kam plötzlich Susanne zu ihnen ins Büro. „Ihr sollt zur Chefin kommen-ach ja und Semir, ich habe wegen deiner Frage recherchiert wegen der Zahnsteinentfernung bei Hunden: Das wird tatsächlich anscheinend routinemäßig gemacht. Allerdings braucht man dazu ein spezielles Ultraschallgerät und ein Waschbecken, wo man den Hund drauflegen kann und dann muss der dazu in Narkose gelegt werden, also wird sowas meistens in der Tierarztpraxis gemacht!“ teilte sie ihm das Ergebnis ihrer Internetsuche mit. „Ah-dann ist das schon stichhaltig, was mir Bruckner erzählt hat-allerdings bin ich trotzdem geneigt auch Michael Putz zu glauben-der wirkte recht verzweifelt und im Gegensatz zu diesem Bruckner, der mir total unsympathisch war, scheint der Tiere wirklich zu mögen. Ich denke allerdings, wir werden da schon noch herausfinden was dahinter steckt!“ erklärte Semir und berichtete Ben in Kürze, was er gestern noch so getrieben hatte.


    Als sie wenig später vor dem Schreibtisch der Chefin Platz nahmen, sah die mit ernster Miene von ihrem Computer auf, an dem sie gerade etwas gelesen hatte: „Schauen sie mal meine Herren, was gerade für eine Meldung herein gekommen ist!“ sagte sie und drehte den Bildschirm. Da war das Bild eines jungen Mannes zu sehen, der augenscheinlich tot war und Semir und Ben entfuhr gleichzeitig ein entsetzter Laut, denn es handelte sich eindeutig um den jungen Mann, den sie gestern verhört hatten. „Drogentoter in der Kastanienallee entdeckt. Heute Morgen wurde Michael Putz von seiner Mutter in seinem Bett tot aufgefunden. Neben ihm war ein Spritzenbesteck und auf dem Tisch lag ein Abschiedsbrief. Vermutlich handelt es sich um einen Suizid.“ stand als Bildunterschrift darunter.
    „Ich möchte, dass sie sich die Umstände etwas genauer ansehen-momentan sind die Drogenfahnder dran, aber ich möchte sichergehen, dass es keine Verbindung zu unserem Fall gibt!“ ordnete die Chefin an und wenig später waren die beiden Hauptkommissare unterwegs zur Kastanienallee, wo die Kollegen noch ihre Arbeit machten.
    Michael wurde gerade in einen Leichensack gepackt, der Gerichtsmediziner hatte die erste Leichenschau gemacht und natürlich würde der Tote obduziert werden. Um den Oberarm war noch locker ein Stauschlauch geschlungen und Semir zog noch kurz Einmalhandschuhe aus der Tasche und besah sich aufmerksam die Arme. Allerdings war außer dem einen Einstich keine weitere frische Injektionsverletzung zu sehen und die Leichenstarre war schon recht ausgeprägt und so stimmte er dem Abtransport des Leichnams zu. Die Kollegen der Spurensicherung besahen sich den Raum, machten Fotos und Ben war inzwischen zum Tisch getreten, wo ein offensichtlich schnell hingeschmissener Abschiedsbrief lag: „Ich habe einen Massenunfall verursacht und kann mit dieser Schuld nicht leben. Ich will nicht wieder in den Bau!“ stand dort und Ben kam die Sache ebenfalls sehr merkwürdig vor. Bei dem Unfall waren ja nur ein paar Leichtverletzte zu beklagen gewesen und sonst eben ein hoher Sachschaden, aber das waren Dinge, die die Versicherungen zu regeln pflegten. Sie waren ja selbst Zeugen des Unfalls gewesen und klar hatte Michael den Fahrer des Lieferwagens geschnitten, aber das war es eben auch schon gewesen-die Folgeunfälle waren zwar alle wegen diesem Auslöser passiert, aber das hatte der junge Mann ja nicht geplant gehabt-vermutlich wäre dem kaum was passiert. Klar-eventuell hätte er nochmals für kurze Zeit in den Knast gemusst, aber sicher nicht allzu lange, das war doch kein Grund sich gleich umzubringen.
    „Semir-hättest du den jungen Mann gestern als suizidal eingeschätzt?“ fragte Ben, aber sein Kollege schüttelte den Kopf. „Beim besten Willen nicht-vielleicht besorgt und traurig, aber eher wegen dem Schicksal der Hunde als wegen dem Unfall-da stimmt etwas nicht!“ antwortete sein Freund und nach kurzer Rücksprache mit der Chefin, die die Staatsanwältin informierte, bekamen Semir und Ben das ok: „Kollegen-wir haben den Fall-da geht irgendwas nicht mit rechten Dingen zu und hat vermutlich mit einer Sache zu tun, die wir schon bearbeiten- wir werden der Sache jetzt auf den Grund gehen!“ sagte Semir und die Drogenfahnder nickten und fuhren davon, um wieder ihrer eigenen Arbeit nachzugehen. Sie hatten das Zimmer schon durchsucht, aber keine weiteren Drogen gefunden. Wie sie Semir und Ben mitgeteilt hatten, war ihnen Michael Putz durchaus bekannt, aber das aus seiner Zeit vor der letzten Inhaftierung. Da war die Beschaffungskriminalität im Vordergrund gestanden, er hatte auch gedealt und war letztendlich deswegen verknackt worden, aber seitdem war er im Milieu nicht mehr zu finden gewesen.
    Aus dem Wohnzimmer hörte man eine Frau schluchzen und ein Fahrzeug des Kriseninterventionsteams war gleichzeitig mit ihnen eingetroffen. Nun machten sich Semir und Ben daran, schweren Herzens die Eltern des Toten zu befragen, vielleicht konnten die ihnen weiterhelfen.

  • Eine etwa fünfzigjährige Frau, gestützt von einem ebenso geschockt wirkenden Mann und zwei Mitarbeiter der Krisenintervention saßen im Wohnzimmer auf dem Sofa. Das Haus war ein einfaches, aber gemütlich eingerichtetes Reihenhäuschen und der Leichenfundort war im ersten Stock gewesen, während das Wohnzimmer sich im Parterre befand. Semir und Ben sprachen den Eltern ihr Beileid aus und setzten sich dazu. Nach einer Weile sagte Semir mitfühlend: „Frau Putz-sie haben ihren Sohn gefunden-wäre es möglich, dass sie uns die näheren Umstände erzählen-wir sind Mitarbeiter der Autobahnpolizei und bearbeiten den Fall.“ erklärte er und nach einer Weile berichtete die Mutter des Toten: „Wir waren gestern Abend bei Verwandten auf einer Geburtstagsfeier eingeladen. Michael wollte nicht mitkommen, denn er war sehr aufgewühlt, als er nach Hause kam und hat uns erzählt, dass er soeben von der Polizeidienststelle käme und einen Unfall mit mehreren Verletzten verursacht habe. Er hat dann auch gefragt, ob der Wagen auch versichert sei- das war nämlich eigentlich mein Auto-was wir natürlich bejaht haben. Wir haben dann weiter nichts gehört und gesehen und sind so gegen 23.00 Uhr von der Feier nach Hause gekommen. Als unser Sohn um 8.30 Uhr noch nicht zum Frühstück erschienen ist, wollte ich ihn wecken und bin in sein Zimmer gegangen-und da habe ich ihn gefunden-er war schon ganz kalt!“ erzählte sie geschockt und begann wieder zu weinen, woraufhin ihr Mann sie fest an sich drückte und sie zu trösten versuchte. „Ich habe dann die Polizei angerufen und meinen Mann auf Arbeit verständigt und jetzt bin ich völlig durcheinander!“ schluchzte sie und lehnte sich gegen den Mann im Monteuranzug an ihrer Seite.
    Semir nickte und fragte dann den Mann, der doch um einiges gefasster wirkte als seine Frau. „Herr Putz-wir wissen, dass ihr Sohn wegen Drogendelikten inhaftiert war und jetzt eine Stelle bei einer privaten Tierorganisation hatte. Hatte der in letzter Zeit wieder Drogenprobleme oder können sie mir sonst etwas zu dem Thema erzählen?“ wollte er wissen und der Mann begann zu berichten:„Michael ist-war unser einziger Sohn. Leider kam er schon sehr früh, etwa mit 14 in die falschen Kreise und begann Drogen zu konsumieren. Erst Hasch, Ecstasy und Kräutermischungen und dann die harten Sachen-Heroin, Crack-eigentlich alles was er sich besorgen konnte. Es war eine schreckliche Zeit-er hat uns belogen und bestohlen, hat wieder und wieder versprochen sich zu bessern und hat das nie durchgehalten. Er ist mit 19 dann auch ausgezogen und wir wussten eine ganze Weile überhaupt nicht, wo er sich aufhält, bis wir eines Tages vor vier Jahren die Mitteilung bekommen haben, dass er im Gefängnis sitzt. Seitdem haben wir uns wieder angenähert. Wir haben ihn besucht und er hat es geschafft während seiner Haft von drei Jahren clean zu werden. Danach haben wir ihn wieder bei uns in seinem alten Kinderzimmer aufgenommen, wo er jetzt auch gestorben ist!“ erzählte er, aber nun brach auch ihm die Stimme und seine Augen wurden feucht.
    Ben reichte ihm ein Papiertaschentuch, das der Mann dankend annahm und nun fragte er: „Dürfen wir ihnen jetzt einfach ein paar Fragen stellen?“ und beide Elternteile nickten.„Er hat uns erzählt, er habe in einem privaten Tierheim gearbeitet-haben sie da auch darüber gesprochen?“ fragte er und Herr Putz bejahte. „Er war anfangs so glücklich, dass er nach seiner Entlassung einen Job gefunden hat. Michael hat Tiere schon immer geliebt und fragen sie nicht, was der früher alles angeschleppt hat-zahme Ratten und Vogelspinnen waren da noch das Harmloseste!“ berichtete er. „Nach kurzer Zeit allerdings war er immer sehr nachdenklich, wenn er von der Arbeit kam. Er hat uns nicht im Detail erzählt, was ihm nicht gepasst hat, aber ich habe ihm immer gepredigt, man müsse in der heutigen Zeit in der Arbeit auch manchmal Dinge tun, die einem nicht so gefallen-er müsse trotzdem hingehen und fleißig und pünktlich sein, dann würde er ein gutes Zeugnis kriegen und könne sich dann auch für einen Ausbildungsplatz als Tierpfleger bewerben, was er demnächst vorhatte. Jetzt hatte er seit zwei Tagen Urlaub und wollte das in Angriff nehmen, aber irgendetwas hat ihm keine Ruhe gelassen!“ berichtete er. Semir nickte: „Er hat uns beim Verhör erzählt, dass die Tiere wohl nicht so behandelt wurden, wie er sich das als Tierfreund vorgestellt hat und auch sonst noch so einiges-aber glauben sie, dass er jetzt aus Verzweiflung wieder zu Drogen gegriffen hat, oder sich deswegen den goldenen Schuss gesetzt hat?“ fragte er und die Mutter schüttelte vehement den Kopf, während der Vater unglücklich zu Boden sah. „Mein Michael würde sich nie umbringen!“ behauptete die Mutter, nur der Vater sagte leise: „Da bin ich mir nicht so sicher!“


    Ben erhob sich und ging nochmals kurz nach oben, wo die Spurensicherung inzwischen fast fertig war: „Kann ich den Brief mal kurz den Eltern zeigen?“ fragte er seine Kollegen und die holten eine Folie heraus und Ben beförderte mit Handschuhen das Schriftstück hinein. Das würde später im Labor noch auf Fingerabdrücke etc. untersucht werden, aber so konnte er es den Eltern zeigen. Als er wieder ins Wohnzimmer kam und es den beiden vorlegte, nickten sie bestätigend: „Das ist Michaels Handschrift!“ sagten sie und nun verabschiedeten sich die beiden Ermittler und verließen gleichzeitig mit den Kollegen das Haus. Die Mitarbeiter der Krisenintervention blieben noch bei den trauernden Eltern und Semir und Ben fuhren zur PASt zurück, nicht ohne sich unterwegs eine leckeren Döner einzuverleiben-immerhin war jetzt Mittagszeit.
    „Was denkst du?“ fragte Ben seinen Kollegen „war das jetzt ein Suizid oder ein eiskalter Mord?“ und Semir antwortete: „ Mein Bauchgefühl sagt Letzteres!“ und Ben nickte bestätigend.

  • Nach ihrer Rückkehr zur PASt erstatteten sie der Chefin Bericht und wenig später kam auch schon die Mitteilung, dass die Obduktion bereits beendet war. „Jungs ich habe neue Erkenntnisse für euch-wenn ihr vorbeikommen wollt, zeige ich sie euch!“ sagte der Pathologe am Telefon und so machten sich Semir und Ben auf den Weg zur Gerichtsmedizin. Sie begrüßten den Pathologen und Ben musste, wie eigentlich immer in diesen Räumlichkeiten, seinen Brechreiz unterdrücken. Trotzdem ging auch er tapfer mit in den Sezierraum und besah sich die Dinge, die der Pathologe ihnen zu zeigen hatte.
    „Also zunächst einmal habe ich keinen Anhaltspunkt dafür gefunden, dass Herr Putz aktuell noch Drogen konsumiert hat. Der Einstich am Arm war der einzige und ich habe natürlich aus Blut, Haaren und Körperflüssigkeiten Proben entnommen. Gerade in den Haaren kann ich bei der Haarlänge bis zu mehreren Jahren zurückliegende Rückstände nachweisen. Die Organe-speziell die Leber- zeigen die Spuren einer früheren Abhängigkeit, aber sonst war der junge Mann eigentlich in einem guten Gesundheitszustand. Was mir aber aufgefallen ist, er hat an den Ober-und Unterarmen Hämatome, die ihm ante mortem, also kurz vor Eintritt des Todes zugefügt wurden, so als hätte man ihn festgehalten, um ihm die tödliche Injektion zu verpassen.“ referierte der Arzt und wies auf die Flecken an den Armen, die mit bloßem Auge fast nicht zu erkennen waren. Der Mann hatte aber das Gewebe an manchen Stellen mit kleinen Schnitten eröffnet, so dass man die frischen Blutergüsse, die sich in einer Anordnung von Fingern befanden, erkennen konnte. Außerdem zeigte er ihnen noch an der Kopfschwarte unter den Haaren, die er an dieser Stelle abrasiert hatte, einen kreisrunden Abdruck und Ben sah ihn fragend an. Was sollte das sein? Semir allerdings hatte sowas schon mal gesehen: „Das ist der Abdruck einer aufgesetzten Waffe-da können wir vielleicht sogar das Kaliber damit bestimmen!“ sagte er aufgeregt und der Pathologe nickte. „Also ich würde sagen, der junge Mann hat sich die Überdosis nicht selbst injiziert, auch stimmt der Einstichwinkel in die Vene nicht. Wenn ich mir selber eine intravenöse Injektion verabreiche, steche ich nicht zu mir hin, weil das schwierig ist und außerdem sind die Venenwände des jungen Mannes auch sehr vernarbt von seinem früheren Drogenmissbrauch. Junkies spritzen sich das Dope vom Körper weg, weil es ja spätestens mit dem nächsten Herzschlag sowieso in den Kreislauf gepumpt wird, aber ihm hier wurde das mit Zwang verabreicht!“ erklärte er und Ben fügte nach kurzem Nachdenken hinzu: „Und zuvor wurde er vermutlich mit der aufgesetzten Waffe am Kopf dazu gezwungen diesen sogenannten Abschiedsbrief zu schreiben-ja so könnte es abgelaufen sein!“ und Semir und der Arzt nickten bestätigend.
    „Jungs-ihr kriegt den Bericht in Kürze-wollt ihr noch einen Kaffee?“ fragte der Arzt, während er das Laken wieder über Michael breitete, seine Handschuhe auszog und sich am Waschbecken die Hände wusch. Semir verneinte und Ben brauchte man eigentlich nicht zu fragen, denn er vermied es immer in diesen Räumen etwas zu sich zu nehmen, zu groß war der Ekel.


    Nach der Verabschiedung fuhren die beiden wieder zurück zur PASt und Semir überlegte, wie man am besten weiter verfahren sollte. Ben sah bedauernd auf die Uhr: „Semir tut mir leid-ich werde dich jetzt dann verlassen-wie du ja weisst, habe ich morgen schon frei für die letzten Hochzeitsvorbereitungen. Sarah und ich müssen beide noch zum Friseur und ein paar Kleinigkeiten müssen wir auch noch besorgen. Wir sehen uns dann am Samstag beim Standesamt!“ verabschiedete er sich. Der Jungesellenabschied hatte schon in der Vorwoche stattgefunden-da war Ben mit Semir, Hartmut, Bonrath und den Jungs von der Band um die Häuser gezogen und sie hatten am nächsten Morgen heftige Kopfschmerzen gehabt, so waren die Feierlichkeiten ausgeartet. Natürlich war Semir Ben´s Trauzeuge und er hatte dieses Ehrenamt voller Stolz zugesagt, als Ben ihn gefragt hatte. Semir erhob sich, umarmte seinen Freund kurz und sagte dann: „Ich werde den Fall jetzt wohl oder übel ohne dich lösen müssen-danach fahrt ihr ja noch ein paar Tage in die Flitterwochen!“ aber Ben winkte ab: „Na ja, wir haben uns danach für eine Woche in einem schönen kinderfreundlichen Hotel an der Ostsee einquartiert-Flitterwochen mit unserem kleinen Rabauken sind jetzt vielleicht nicht so, wie man sich das gängigerweise vorstellt!“ erklärte er und Semir grinste: „Ja ja-so ist das halt, wenn man die Reihenfolge nicht einhält und erst die Kinder kriegt, bevor man heiratet!“ stichelte er und Ben knuffte ihn ein wenig. „Kann ja nicht jeder so vorbildlich sein wie du-obwohl-andere haben ja auch keine Kinder außerhalb ihrer Ehe!“ konterte er-damit spielte er auf Dana an und Semir lachte. „Dann lass es dir gutgehen und ich freue mich auf Samstag-das Wetter soll ja gut werden!“ sagte er und Ben verabschiedete sich nun noch vergnügt von der Chefin und der anderen Belegschaft. Auch die würden alle zur Hochzeit kommen, nur eine Notbesatzung würde in der PASt die Stellung halten. Ben hatte den großen Saal in einem Luxushotel direkt am Rhein gebucht, denn es würden an die 200 Gäste kommen, aber so eine große Hochzeit war Sarah´s Wunsch gewesen und der war Ben Befehl.Semir ging kurz darauf ebenfalls ins Büro der Chefin und bekam von der für die Zeit von Ben´s Abwesenheit Jenni als Partnerin zugewiesen. „Dann kann sie gleich was von ihnen lernen, Gerkhan!“ sagte die und nachdem er Kim Krüger über die neuesten Erkenntnisse in ihrem Fall unterrichtet hatte-Jenni war gleich dazu gebeten worden, um sich einzuarbeiten- machten sie alle miteinander Feierabend.

  • Am nächsten Morgen fuhr Semir mit Jenni zu Michael´s Eltern. Erstens wollte er ihnen mitteilen, dass der Leichnam ihres Sohnes zur Bestattung freigegeben war und was viel wichtiger war, dass er eben keinen Selbstmord begangen hatte. Frau Putz öffnete ihnen mit rotgeränderten Augen die Tür und bat sie herein. Semir stellte Jenni vor und die sprach den trauernden Eltern erst einmal ihr Beileid aus. Sie nahmen gemeinsam wieder im Wohnzimmer Platz und Semir kam nun gleich auf den Punkt. „Herr und Frau Putz!“ sagte er. „Ich kann ihnen mitteilen, dass ihr Sohn vermutlich keinen Suizid begangen hat, sondern ermordet wurde. Bei der Obduktion wurden Hinweise gefunden, dass er dazu gezwungen wurde den Abschiedsbrief zu schreiben und sich die Injektion auch nicht selber gegeben hat. Nun liegt es an uns, wenigstens seinen Mörder zu finden, auch wenn es ihn nicht mehr lebendig macht!“
    Frau Putz sah ihn eine Weile an und ein paar Tränen schwammen in ihren Augen, aber dann sagte sie bewegt, während ihr Mann beschämt zu Boden blickte: „Ich danke ihnen ganz herzlich, dass sie uns das jetzt mitteilen. Es macht unseren Michi zwar nicht mehr lebendig, aber ich wusste es, dass er mit uns gesprochen hätte, wenn er Probleme gehabt hätte, anstatt sich umzubringen-und außerdem hätte er dann auch einen persönlicheren Abschiedsbrief hinterlassen-wir hatten nämlich seit seiner Inhaftierung wieder ein gutes Verhältnis und er hatte sich geändert und seine Drogenvergangenheit hinter sich gelassen.“ Semir nickte und sagte noch: „Ich habe ihn auch als netten, sehr tierschützerisch engagierten jungen Mann kennen gelernt, aber nun gleich zum Wesentlichen: Hatte ihr Sohn Feinde oder können sie sich vorstellen, wer ihm das angetan hat?“ fragte er und nun wiegte Herr Putz mit dem Kopf. „Es muss fast irgendetwas mit der Arbeit zu tun gehabt haben-er hat öfter mal erzählt wie ihm vor allem die Hunde ans Herz gewachsen waren und er konnte es fast nicht aushalten, dass die nicht aus den Zwingern durften, wie er uns erzählt hat. Wenn es einem der Tierchen schlecht ging war unser Sohn beinahe ebenfalls krank und er muss deswegen auch schon einige Male mit seinem Chef zusammengerückt sein. Allerdings habe ich dann immer zu ihm gesagt, er solle das jetzt ignorieren und einfach seinen zukünftigen Arbeitgebern oder dem Ausbildungsbetrieb zeigen, dass er fähig ist auch mal ein Jahr oder so in einem Job auszuhalten, denn nur wenn er pünktlich und gewissenhaft wäre, würde er ein gutes Zeugnis bekommen. Außerdem konnte ich das nicht so nachvollziehen, warum er sich wegen der Hunde so reingestresst hat-das sind doch schließlich nur Tiere und ich kann mit denen sowieso nichts anfangen. Stellen sie sich vor-er wollte uns sogar überreden uns einen Hund zuzulegen, aber damit ist er bei mir auf Granit gestoßen, so ein Tier kostet Zeit und Geld, es macht Schmutz und Ärger, ich habe ihm das schon ausgeredet und wenn er es einmal geschafft hätte auf eigenen Beinen zu stehen, hätte er sich schließlich einen Hund anschaffen können, aber nicht solange er die Füße unter meinen Tisch streckt!“ redete er sich in Rage. Seine Frau legte nun die Hand auf seinen Arm und sagte bitter: „Das ist ja nun hinfällig und ich wünschte, wir hätten ihm noch viele Wünsche erfüllt, denn jetzt ist es vorbei!“ und damit brach sie in Tränen aus und ihr Mann schwieg nun auch betroffen.
    Semir und Jenni sahen sich an-das war klar, dass da zwischen den Eheleuten noch nicht jedes Wort gesprochen war, aber das führte sie jetzt nicht zum Mörder. Deshalb übernahm nun Semir wieder die Befragung. „Sie denken also, dass sein Mörder im Arbeitsumfeld zu finden ist-oder hatte er nicht doch Feinde oder noch Schulden aus dem Drogenmilieu?“ wobei ihm in der selben Sekunde einfiel, dass dann der Abschiedsbrief keinen Sinn machte-nein dieser Mord stand in Zusammenhang mit dem Unfall und er würde sich nun weiter im Arbeitsumfeld des jungen Mannes umsehen. „Michael hatte alle Kontakte mit seiner Vergangenheit abgebrochen!“ bestätigte nun auch seine Mutter und Semir nickte. „Haben sie, bevor sie das Haus verlassen haben, irgendeine Beobachtung gemacht, ist ihnen vielleicht ein Fahrzeug aufgefallen oder Personen, die sich vor dem Haus herumgetrieben haben?“ fragte Semir, aber beide Eltern schüttelten nach kurzer Überlegung den Kopf. „Übrigens hat der Gerichtsmediziner den Zeitpunkt des Todes auf etwa 21.00 Uhr eingekreist-es hätte ihrem Sohn also auch nichts gebracht, wenn sie nach ihrem Besuch noch nach ihm gesehen hätten!“ fiel nun Semir noch ein, was den Eltern vielleicht helfen konnte. „Vielen Dank, dass sie uns das jetzt mitteilen-ich habe mir nämlich schreckliche Vorwürfe deswegen gemacht!“ sagte Frau Putz und ihr Mann nickte.


    Semir erhob sich nun und verabschiedete sich und Jenni tat es ihm gleich. „Wundern sie sich nicht, wenn wir noch eine Weile in der Gegend sind, aber wir werden jetzt die Nachbarn befragen ob die etwas beobachtet haben-und noch etwas-der Leichnam ihres Sohnes ist zur Bestattung freigegeben, sie können ihn ab sofort in der Gerichtsmedizin abholen lassen und dort liegt auch der Totenschein für die Formalitäten bereit, das macht eventuell auch der Bestatter für sie, aber von unserer Seite her ist somit alles geregelt!“ teilte ihnen Semir noch mit und gemeinsam mit Jenni verließ er das Haus. „Nachher werden wir sehen, ob die Spusi irgendwelche verwertbaren Spuren oder Fingerabdrücke gefunden hat, aber jetzt befragen wir einmal die Nachbarn!“ erklärte Semir der jungen Polizistin und so verbrachten sie den Vormittag damit auf Klingelknöpfe zu drücken und Fragen zu stellen, die aber zu keinem Erfolg führten. Es waren auch nicht alle Nachbarn zuhause und natürlich war die Aufregung groß als sie erfuhren, dass in ihrer direkten Nachbarschaft ein Mord geschehen war. „Hoffentlich passt die Polizei jetzt besser auf-nicht dass wir die nächsten Opfer sind!“ empörte sich eine ältere Dame, die gerade ihren Mops ausführte, der Semir schwanzwedelnd begrüßt hatte, als er seinem Frauchen Fragen stellte. Nach einem erfolglosen Vormittag fuhren sie gerade zum Mittagessen, als Susanne eine Meldung durchgab: „Semir-in einem Gebüsch an der Autobahn ist eine schrecklich zugerichtete Leiche gefunden worden-siehst du dir das mal an?“ fragte sie und wenig später waren Jenni und er mit Blaulicht unterwegs zum Leichenfundort.

  • An dem Parkplatz mit Toilette angekommen waren dort bereits ein Streifenfahrzeug und der Notarzt eingetroffen, der aber für das Opfer nichts mehr hatte tun können. „Der Mann ist laut Aussage des Arztes seit mehreren Stunden tot. Gefunden hat ihn eine Autofahrerin, die die Parkplatztoilette nicht benutzen wollte, weil es sie so geekelt hat. Sie hat ein stilles Plätzchen abseits gesucht und ist dann auf die Leiche gestoßen. Aktuell wird sie jetzt von den Rettungsdienstlern im Fahrzeug betreut, sie hat nämlich einen Schock erlitten!“ teilte ihnen der eine Streifenbeamte mit. Kurz danach trafen die Spurensicherung und der Gerichtsmediziner ein, den sie am Vortag in der Pathologie besucht hatten. „Na Semir-bei euch ist ja grade was los!“ bemerkte er, während er schon in seinen Schutzanzug schlüpfte. Auch Semir und Jenni legten solche Anzüge an und krochen mit den anderen in das Gebüsch. Semir musste schlucken, als er die entstellte Leiche sah. Die Kehle war völlig zerfetzt und man konnte im Gesicht, das fast nicht mehr zu erkennen war, und am ganzen Körper mannigfaltige Bissverletzungen erkennen. „Der sieht aus, als wäre er von einem Rudel Wölfe massakriert worden!“ mutmaßte der Gerichtsmediziner und Semir nickte nachdenklich. „Nur-wo gibt es hier bei uns noch Wölfe und außerdem sind die gar nicht so aggressiv, wie ich erst in einer Fernsehdokumentation gesehen habe!“ erklärte er dem Gerichtsmediziner und irgendwie konnte er nicht anders-vor seinem inneren Auge erschienen Castor und Pollux.


    Der Gerichtsmediziner und die Spusi machten ihre Arbeit und Jenni und Semir befragten zunächst die Frau, die in eine Decke gehüllt im Krankenwagen saß und von einem der Sanitäter getröstet wurde. Der Notarzt hatte ihr ein Beruhigungsmittel verabreicht, das langsam zu wirken begann und müde beantwortete die etwa vierzigjährige Frau die Fragen. Allerdings hatte Semir auch danach keine neuen Erkenntnisse-sie wollte austreten gehen, hatte ein stilles Plätzchen gesucht und war dabei beinahe über die Leiche gestolpert. Sie hatte in ihrem ganzen Leben noch nie sowas Schreckliches gesehen und der Anblick würde sie in ihre Träume verfolgen. Sie war schreiend und panisch aus dem Gebüsch geflohen und hatte nur noch die 110 gewählt, bevor sie zusammenbrach.
    Der Parkplatz war mit rot-weißem Absperrband mit Polizeiaufschrift gesperrt worden und die fünf anderen Fahrzeuginsassen der geparkten Autos wussten auch nichts hinzuzufügen. Sie hatten sich ebenfalls die Beine vertreten oder die Toilettenanlage benutzen wollen und waren erst aufmerksam geworden, als die Frau schreiend aus dem Gebüsch gebrochen war. Inzwischen war weitere Verstärkung eingetroffen, die Gegend wurde abgesucht und dann die Leiche abtransportiert. „Ich mache mich gleich an die Obduktion und melde mich dann bei dir!“ teilte der Gerichtsmediziner Semir mit und der nickte.
    Jenni war ein wenig blass um die Nase und nachdem sie vor Ort jetzt auch nichts mehr tun konnten, sagte Semir: „Los Jenni-wir gehen jetzt trotzdem etwas essen, du bist sicher schon ganz ausgehungert!“ aber die junge Polizistin wehrte ab. „Ich kann jetzt nichts essen!“ sagte sie und verzog angewidert das Gesicht. „Dann trink wenigstens nen Kaffee mit viel Milch und Zucker oder irgendwas anderes was Kalorien hat, sonst klappst du nämlich zusammen!“ befahl Semir, der schon die nächste Raststätte ansteuerte und folgsam machte Jenni was er befohlen hatte-und tatsächlich gings ihr kurz danach besser. Semir nötigte sie noch wenigstens einen Schokoriegel zu essen und als sie wenig später in den Hof der PASt einbogen, wirkte sie schon wieder völlig normal. „Das hat dich ganz schön mitgenommen!“ bemerkte der erfahrene Beamte und Jenni stimmte ihm zu. „Ich bin mit Hunden aufgewachsen, aber dass die sowas anrichten können, hätte ich mir nicht träumen lassen!“ sagte sie leise und Semir nickte nachdenklich.


    Sarah und Ben hatten inzwischen ihre Friseurbesuche hinter sich gebracht und danach noch gemeinsam die Wohnung aufgeräumt. Sarah musste in sich hinein schmunzeln-das war schon einmal ein Beinahe-Trennungsgrund zwischen Ben und ihr gewesen-seine Schlampigkeit, aber sie fand, dass sie das recht gut gelöst hatten. Immerhin warf Ben inzwischen seine benutzte Wäsche wenigstens in den Wäscheabwurf, während er die früher einfach fallen gelassen hatte wo er ging und stand. So richtig ordentlich war er immer noch nicht geworden, aber seitdem sie ein Kind hatten, war ihr das auch nicht mehr so wichtig. Die Putzfrau, auf die er früher bestanden hatte kam nur noch zu den groben Arbeiten wie Fensterputzen-sonst erledigte Sarah alles selber, aber sie war ja immerhin jetzt den ganzen Tag zuhause, im Gegensatz zu früher, als sie beide Vollzeit berufstätig gewesen waren.
    Nun ging Ben noch mit Tim im Sportbuggy joggen, was dem Kleinen einen Heidenspaß machte und Sarah erledigte noch die letzten Vorbereitungen zuhause. Morgen war der große Tag und als Sarah aus dem Fenster sah und ihre beiden Männer gut gelaunt um die Ecke biegen sah, lächelte sie in sich hinein-ja es war richtig was sie morgen tat-Ben war der Mann ihres Lebens, da war sie sich ganz sicher!

  • Semir und Jenni erstatteten der Chefin Bericht, tippten ihre bisherigen Erkenntnisse in den PC und checkten die Vermisstenanzeigen. Der Tote hatte keine Ausweispapiere bei sich gehabt und jetzt konnten sie nur hoffen, dass der Pathologe ihnen Hinweise liefern oder Kommissar Zufall ihnen die Identität der Leiche enthüllen würde. Gegen 15.00 Uhr kam der Anruf aus der Gerichtsmedizin und die beiden Beamten machten sich auf den Weg dorthin. „So Leute, wie es aussieht wurde dieser etwa vierzigjährige gepflegte Mann von mindestens zwei großen Hunden oder Wölfen getötet. Die Todesursache war Verbluten durch den finalen Kehlbiss, aber sein Martyrium hat sicher länger gedauert als ein paar Sekunden, denn die Verletzungen am ganzen Körper deuten darauf hin, dass er verzweifelt versucht hat sich zu schützen. Er muss unter anderem auf dem Bauch auf dem Boden gelegen und seine Hände über den Kopf gehalten haben, denn er hat auch am Rücken und an den Innenseiten der Arme schwerste Abwehrverletzungen, die auch massiv geblutet haben müssen. Letztendlich wurde er aber doch regelrecht zerfleischt-ich habe in meiner Laufbahn selten so etwas Schreckliches gesehen. Ich habe Zahnabdrücke sichergestellt und DNA der Tiere, die ihn gerissen haben. Sobald die das im Labor untersucht haben, wissen wir auch ob es Wölfe oder Hunde waren, deren Genom ist nämlich unterschiedlich. Diese Untersuchung kann allerdings bis Montag dauern, denn wir haben Freitagnachmittag und das Labor beginnt heute schon beizeiten mit dem Wochenende-außerdem denke ich nicht, dass es die Ermittlungen voranbringt, wenn wir das eher wissen.“ bemerkte er und Semir nickte. „Was ich noch sagen kann-der Leichenfundort war nicht der Tatort-da war viel zu wenig Blut. Also wurde der Tote abgelegt-entweder weil das ein schrecklicher Unfall war und der Hundebesitzer, vorausgesetzt es waren Hunde, dem Ärger aus dem Weg gehen wollte und seine Lieblinge schützen, die sonst von Amts wegen eingeschläfert würden, oder es war eiskalter Mord und man hat die Tiere dazu benutzt, einen Menschen zu töten.“ schloss der Pathologe und ging voraus zum Tisch.
    Jenni musste die Augen zunächst abwenden, aber dann gewann die Professionalität die Oberhand-es war schließlich nicht die erste Obduktion der sie beigewohnt hatte und die hier war immerhin schon fertig, der Tote war sauber gewaschen und der Brustkorb und der Bauch, die mit einem V-förmigen Schnitt geöffnet worden waren, waren wieder vernäht. Das Gesicht war jetzt in Ansätzen zu erkennen, allerdings doch so entstellt, dass man es unbearbeitet nicht fotografieren und an die Presse geben konnte. „Der Mann war kerngesund-ich habe das Zahnschema festgehalten-vielleicht könnt ihr über die Zahnärzte was rausbringen. Ach ja und die Kleidung die er am Körper hatte, war aus biologischen Materialien, die Schuhe allerdings aus Synthetik und in seinem Magen und Darm habe ich Essensrückstände finden können, die darauf hindeuten, dass er Veganer war.“ teilte ihnen der Pathologe noch mit. „Das Alter dürfte so um die vierzig sein-plusminus fünf Jahre- und der Todeszeitpunkt war vermutlich vergangene Nacht zwischen drei und vier!“ schloss er seine Ausführungen und Semir nickte. „Danke Doc-da hast du uns schon sehr weiter geholfen. Jetzt warten wir mal das Wochenende ab, ob eine Vermisstenanzeige eingeht und können dann auch mit den Zahnärzten Kontakt aufnehmen, falls es notwendig ist. Wir fahren jetzt noch zur PASt zurück und machen dann auch Feierabend, denn morgen ist doch Ben´s Hochzeit!“ teilte er dem Pathologen mit. „Ah-deshalb hast du heute weibliche Begleitung! Ich habe deinen Kollegen, der immer so schön grün um die Nase wird, wenn ich euch was zeige, schon ein wenig vermisst!“ feixte der Arzt und nun verabschiedeten sie sich voneinander.
    Als sie draußen waren sagte Jenni: „Kann man sich da irgendwann dran gewöhnen?“, aber Semir schüttelte den Kopf. „Wir in unserem Job kommen da einfach zu selten rein, drum macht es auch mir jedes Mal was aus-ich kann mich nur gut beherrschen, aber das hier ist kein Ort, wo ich mich gerne aufhalte, obwohl alle Mitarbeiter hier sehr nett sind.“ erklärte er und irgendwie war Jenni nun froh, dass Semir doch nicht so abgehärtet war, wie es den Anschein hatte. Sie fuhren zurück zur Station und gerade war auch die Chefin dabei ihre Sachen zu packen. „Dann sehen wir uns morgen?“ fragte sie lächelnd und Jenni und Semir nickten eifrig-das würde ein toller Tag werden!


    Sarah und Ben beschlossen den Abend gemütlich mit einem Glas Wein auf dem Sofa. „Gott sei Dank hat sich der Brauch mit dem Polterabend nicht bis zu uns durchgezogen!“ sagte Sarah und Ben nickte. Sie wollten morgen ausgeschlafen sein und auch Tim lag schon mit rosigen Bäckchen frisch gebadet in seinem Bettchen und schlief dem aufregenden nächsten Tag entgegen. Als Sarah allerdings dann die Teller des Abendessens in die Spülmaschine stellte, entglitt ihr einer und zerschellte auf dem Küchenboden. Ben holte Schaufel und Besen und gemeinsam beseitigten sie die Bescherung-zum Glück war Tim nicht aufgewacht. „Ein bisschen gepoltert haben wir jetzt doch-ich glaube das bringt Glück!“ lächelte Ben und küsste seine Sarah lang und innig. Wenig später lagen sie friedlich schlummernd im Bett und sammelten Kraft für einen aufregenden und wunderschönen Tag.

  • Als der Wecker morgens zeitig schellte, war draußen ein wundervoller Tag angebrochen. Die Sonne stand schon am tiefblauen Himmel und es war warm, aber nicht heiß. Sarah und Ben frühstückten und auch Tim bekam sein Frühstück im Hochstuhl sitzend. Er war jetzt bereits zehn Monate alt und ein rundum fröhliches, zufriedenes Kind. Danach duschten erst Ben und dann Sarah und dann läutete es auch schon an der Tür und die Friseurin und die Kosmetikerin kamen zum Hochzeits-Make-Up und der Aufsteckfrisur bei Sarah, während Ben seinen Sohn beschäftigte. Wenig später traf Lisa ein, die Schwägerin Sarah´s, die ihre Trauzeugin war und übernahm die Beschäftigung Tim´s, damit Ben sich auch noch in Ruhe anziehen konnte. Er hatte sich einen dunklen Anzug mit glänzenden Revers und ein weißes Hemd gekauft. Eine Fliege und die Ansteckblume, passend zum Brautstrauß, die die Nacht in einer Box im Kühlschrank verbracht hatte, komplettierte sein Aussehen und dann stand auch schon Semir vor der Tür. „So Ben-jetzt fahren wir mal voraus, wie die Damen uns angeschafft haben!“ lud er seinen Freund in den Wagen, denn Sarah hatte ihn das Hochzeitskleid noch nicht sehen lassen und wollen, damit es traditionell und romantisch abging. Der Fahrer des schneeweißen Cadillac, den sie sich als Hochzeitsauto ausgesucht hatten, würde Sarah, Lisa und Tim direkt zum Standesamt bringen, aber die letzten Vorbereitungen wollten die Damen alleine treffen und so wartete um kurz vor elf ein aufgeregter Ben vor dem historischen Rathaus, das sie als Trauort gewählt hatten.


    Sarah war von Lisa derweil beim Anziehen unterstützt worden. Sie trug weiße, verführerische Dessous aus weicher Spitze und traditionell ein blaues Strumpfband, als Zeichen der Treue. Als Schmuck hatte ihr Ben am Hochzeitsmorgen eine wundervolle Halskette seiner verstorbenen Mutter überreicht, die perfekt in den Ausschnitt des weißen Brautkleids, das oben schlicht als Korsage geschnitten war und sich ab der Taille in einen wallenden Traum in Weiß verwandelte, passte. Lisa zog noch ein Spitzentaschentuch hervor, denn etwas Geliehenes sollte ebenfalls Glück bringen. „So jetzt hast du etwas Altes-die Kette, etwas Neues-das Brautkleid, etwas Blaues-für die Treue und etwas Geliehenes von einer glücklich verheirateten Frau!“ stellte sie fest und zuletzt zog Lisa nun nach dem Wickeln noch Tim seinen Taufanzug, ebenfalls in weiß, an. Sarah ergriff ihren gut festgesteckten langen Schleier, schlüpfte in ihre Hochzeitsschuhe und dann ging sie aufgeregt die Treppe hinunter, während Lisa und die Kosmetikerin noch Tim, den Kindersitz und die Wickeltasche nach unten brachten und im Cadillac verstauten. Der Fahrer des Mietwagens öffnete die Tür und Sarah nahm im Fond Platz.


    Als wenig später der festlich mit rotem Rosenschmuck versehene Cadillac vor dem Rathaus hielt und Sarah von ihrem Vater, der dort ebenfalls schon gewartet hatte, am Arm zu Ben gebracht wurde, entfuhr dem nur ein völlig entzücktes: „Whow!“ Er konnte sich gar nicht satt sehen, so schön war seine Sarah und kurz darauf standen sie vor dem Standesbeamten. Der hielt eine feierliche Rede, an die sich Ben später überhaupt nicht mehr erinnern konnte, sie mussten die amtlich festgelegten Fragen beantworten und als kaum zwanzig Minuten später der schlichte Goldring an Sarah´s und Ben´s Finger steckte und der Standesbeamte erklärte: „Hiermit erkläre ich sie zu Mann und Frau!“ war er wie in einem Traum und vor allem-er war sich völlig sicher, das Richtige zu tun!


    Nach der standesamtlichen Trauung an der nur die Eltern, Geschwister und Trauzeugen teilgenommen hatten, gingen sie in den Nebenraum eines kleinen Lokals in der Nähe, wo sie ein kleines Mittagessen á la Carte bestellt hatten und stärkten sich mit einer Kleinigkeit. Tim wurde die ganze Zeit abwechselnd von allen betreut und war Gott sei Dank gerade in keiner Fremdelphase, sondern ging vertrauensvoll auch zu seinen Großeltern, die er eigentlich gar nicht so gut kannte auf den Arm. Nach dem Essen-er hatte Brei und eine Flasche bekommen und Lisa hatte ihn gewickelt, schlief er im Kindersitz, der auf der Beifahrerseite des Cadillac montiert war, ein und ruhte sich ein wenig aus. Sarah und Ben nahmen im Fond Platz und so ging die kurze Fahrt durch die Stadt zur Kirche, die sie sich ausgesucht hatten, los. Sie sahen nur in lachende Gesichter-ein wundervoller Samstagnachmittag und ein schönes Brautpaar zauberte ein Lächeln auf die Gesichter der Passanten und als das Auto wenig später vor der Kirche hielt, wartete dort schon eine große Menge festlich gekleideter Hochzeitsgäste auf die Drei. Alle Kollegen-soweit sie nicht die Stellung halten mussten, Freunde, Verwandte und Nachbarn waren entzückt, was für ein tolles Paar da zur Kirche ging. Wieder eilte Ben voraus und nahm vorerst alleine auf der gepolsterten Kirchenbank vor dem Altar Platz. Die Hochzeitsgäste verteilten sich in die Bänke und dann ertönte der klassische Hochzeitsmarsch, gespielt von der Orgel und am Arm ihres Vaters schritt Sarah wie eine Königin durch den Mittelgang der Kirche und nahm dann neben Ben Platz, der sich gar nicht satt sehen konnte an ihr. Lisa und Semir waren ihr mit dem Täufling auf dem Arm gefolgt und nahmen mit ihm auf der Bank daneben Platz. Tim sah mit großen Augen um sich, war aber ganz brav.Die Trauungs-und Taufzeremonie begann und der Priester fand sehr persönliche Worte für das Brautpaar, von der Empore erklang klassische Musik und eine hervorragende Sopranistin sang zunächst traditionelle Lieder.
    Nun wurde erst Tim getauft. Er gab keinen Mucks von sich, als er mit Chrisam gesalbt wurde und das angewärmte Wasser über seinen Kopf floss. Der Priester legte das Taufkleid, ein sehr altes Familienerbstück der Jägers über ihn, in dem schon Ben und Julia , wie viele Generationen vor ihnen getauft worden waren und dann folgte nahtlos die kirchliche Trauungszeremonie. Lisa und Semir waren beide sowohl Trauzeugen als auch Paten für Tim und als die Ehe nun auch vor Gott beschlossen war, ertönte plötzlich Rockmusik von der Empore. Ben´s Band übernahm nun die weitere Gestaltung des Gottesdienstes und unter Rockklassikern war wenig später die Feier in der Kirche zu Ende.
    Ayda und Lilly streuten gemeinsam mit den Kindern Lisa´s Blumen und als das Brautpaar nun mit Tim auf dem Arm aus der Kirche trat, standen eine Menge Polizisten in Uniform und ebenfalls Krankenpfleger und Schwestern in Arbeitskleidung draußen Spalier und warfen Reis. Freunde hatten vor Ort einen Sektempfang vorbereitet und man nahm Gratulationen entgegen und unterhielt sich locker, bis einige Zeit später der Convoi zum Hotel, in dem die Feier stattfand, begann. Man hatte allen Fahrern vorbereitete Bändchen für die Autoantennen überreicht und es folgten nicht nur normale Wagen, sondern auch etliche Polizeifahrzeuge laut hupend dem Cadillac. „Verdammt-hoffentlich kriegen wir deshalb keinen Ärger!“ befürchtete die Chefin, aber Semir hatte sie beruhigt: „Eine Hochzeit ist schließlich was ganz Besonderes, da gelten andere Regeln als sonst!“ beruhigte er Kim Krüger und so feierten sie anschließend mit erlesenen Speisen und Getränken, einer mehrstöckigen Hochzeits-und Tauftorte und Livemusik einer sehr guten Hochzeitsband bis spät in die Nacht. Der Brautwalzer klappte, es wurden Spiele gemacht und kurz vor Mitternacht nahm Ben das Mikrofon und sang für Sarah-begleitet von der Profiband- ein Lied, das er extra für sie geschrieben hatte. Vor Rührung hatten alle Anwesenden Tränen in den Augen und Sarah strahlte vor Glück.


    So ging die wundervolle Traufe-wie so ein Fest auf neudeutsch genannt wurde- zu Ende und als kurz vor zwei Sarah und Ben endlich unter die Decke schlüpften-Tim schlief schon lange selig in seinem Bettchen-küsste Ben seine Frau innig-er hatte sie zuvor ausgepackt wie ein Geschenk und die wunderbaren Dessous und vor allem das Strumpfband bewundert. „Ich liebe dich und bin so froh, dass wir uns gefunden haben!“ sagte er und Sarah antwortete nur: „Dito!“ und zog ihn über sich.

  • Am nächsten Morgen war Tim krank. Er hatte Fieber und dann kam auch noch ein Ausschlag dazu, so dass Sarah und Ben besorgt den Notdienst rufen mussten. „Das ist eine Viruserkrankung-man kann eigentlich nichts anderes machen, als das auszusitzen. In ein bis zwei Wochen wird der Spuk vorbei sein. Halten sie ihn ruhig, achten darauf, dass er viel trinkt und ansonsten arbeitet die Zeit für sie!“ tröstete sie der erfahrene Praktiker und so sagte Ben kurzerhand den Hotelurlaub ab-die Flitterwochen würde man auf später verschieben. Am Montag erledigte er noch allerlei Sachen, aber dann rief er kurzerhand die Chefin an: „Frau Krüger-kann ich eventuell ab morgen zur Arbeit kommen und meinen Urlaub später nehmen? Unser Sohn ist krank geworden und ich möchte jetzt eigentlich nicht meine kostbaren Urlaubstage zuhause absitzen!“ bat er und die Chefin kam ihm sofort entgegen. „Das passt ganz gut Herr Jäger, denn ich habe zwei Krankmeldungen vorliegen-wir müssen dann eben sehen, wann sie den Urlaub nachholen können. Gute Besserung dem kleinen Tim und ach ja-es war ein wunderschönes Fest am Samstag, danke nochmals für die Einladung!“ fügte sie noch hinzu und sagte gleich Semir Bescheid, der sich freute.


    Der war mit Jenni am Montag erst die Vermisstenanzeigen durchgegangen, aber da hatte nichts auf den toten Veganer gepasst. Auch von den Zahnärzten war noch keine Rückmeldung gekommen und so wurde nun doch ein Foto der Leiche so bearbeitet, dass man es veröffentlichen konnte und man ging damit an die Presse. Aus dem Genlabor war die Meldung gekommen, dass der Speichel, den der Pathologe sichergestellt hatte, eindeutig von Hunden und nicht von Wölfen kam und so lautete die Pressemitteilung dann auch und im Internet kursierten wenige Stunden später schon die wildesten Eilmeldungen und die morgigen Tageszeitungen würden wahrscheinlich von reißerischen Überschriften nur so strotzen, wie das nach Hundeangriffen ja meistens war.


    Obwohl Semir nichts Greifbares gegen Bruckner in der Hand hatte-bisher war seine einzige Verbindung zum Fall, dass er der ermordete Michael Putz sein Angestellter war und schwere Vorwürfe gegen ihn erhoben hatte, die aber noch nicht nachgeprüft und bestätigt oder widerlegt waren-fuhr er dennoch mit Jenni zu dessen Haus. Kurz zuvor hatte er noch die Mitteilung erhalten, dass die Hunde, deren Besitz Bruckner anhand der Impfpässe und Chips nachweisen konnte, von ihm abgeholt und wieder in sein Tierasyl zurückgebracht worden waren.
    An der Villa war niemand und so machten sich Semir und Jenni auf den Weg zu dem privaten Tierheim und tatsächlich wurde ihnen dort von Bruckner persönlich geöffnet. Lautes Bellen drang vom ganzen Gelände und die beiden abgerichteten Schäferhunde folgten ihrem Herrn wie Schatten. Der Fahrer, den Semir im Krankenhaus vernommen hatte, war mit Gummistiefeln und Latzhose dabei die Zwinger zu reinigen, hatte aber die Nase gerümpft und schickte die Hunde, die devot schweifwedelnd und freundlich Kontakt mit ihm suchten, rigoros weg. Er hatte anscheinend gar nicht bemerkt, dass jemand gekommen war und rief angeekelt aus dem Käfig, den er gerade saubermachte: „Das sage ich dir Mark-schau bloß, dass du da wieder jemanden findest, der diese Drecksarbeit macht-ich helfe dir jetzt kurzfristig aus, aber auf Dauer ist das nichts für mich!“ teilte er seinem Kumpel mit und Jenni und Semir wechselten ein paar Blicke.
    Jenni hatte unwillkürlich nach ihrer Waffe getastet und war froh, als die bereit in ihrem Holster ruhte, denn Castor und Pollux waren ihr unheimlich. Dabei hatten sie und Semir zuvor eigentlich ausgemacht, dass sie versuchen würden die Schäferhunde zu streicheln und so eventuell an Speichelproben zu kommen, die man mit der DNA im Labor abgleichen konnte, aber nun traute sich keiner der beiden sich auffällig zu verhalten, geschweige denn auch nur die Hand auszustrecken, weil die beiden Hunde keinerlei Interesse an Kontakt mit den Fremden hatten, sondern argwöhnisch jeden ihrer Schritte beobachteten und leise grollten.


    Mark Bruckner bat sie jovial herein, legte seine Hunde in einer Ecke ab und fragte, wie er ihnen helfen könne. Semir überlegte kurz und beschloss aber dann, mit der Tür ins Haus zu fallen und die Reaktionen Bruckners genau zu beobachten. „Wir wollten ihnen mitteilen, dass ihr verstorbener Angestellter Michael Putz sich nicht, wie zunächst angenommen, selbst den goldenen Schuss gesetzt hat, sondern ermordet wurde!“ teilte er Bruckner mit, der aber Überraschung heuchelte. „Oh das tut mir aber leid-vor allem für die armen Eltern, aber wer sich im Drogenmilieu bewegt, muss damit rechnen, dass so ein Dealer oder Rauschgifthändler keine Gnade kennt!“ sagte er und fügte dann noch selbstgefällig dazu. „Ich habe ihm ja eine Chance gegeben und er kam auch mit den Tieren gut zurecht, ich hätte mir aber nie getraut, da Geld oder Wertsachen offen herumliegen zu lassen-sie verstehen?“ sagte er und Semir wurde innerlich recht zornig. Da unterstellte dieser Mann einem Ermordeten unlautere Absichten und der hatte auch keine Chance mehr, sich deswegen zu rechtfertigen. Die Vorwürfe allerdings, die Putz erhoben hatte, waren ebenfalls schwer nachzuprüfen und der Tierarzt in Leverkusen, zu dem angeblich die Hunde zum Impfen und Zahnsteinentfernen gebracht werden sollten, hatte telefonisch die Sache sofort bestätigt-vielleicht war Putz ja auch wirklich auf der falschen Fährte gewesen. Allerdings hatte der Semir gegenüber glaubwürdig gewirkt, während ihm Bruckner mit den beiden Hunden, die wie Marionetten funktionierten, unheimlich und verdächtig war. Der hatte Dreck am Stecken-da war Semir sich ganz sicher! Aber wie sollte man das herausfinden?
    Zunächst hatte Semir noch vorgehabt, Bruckner von dem Leichenfund zu erzählen und auf dessen Reaktion darauf zu achten, aber dann unterließ er es. Dieser Typ war aalglatt, der konnte sich wunderbar verstellen und wenn er spitz kriegte, dass man ihn mit dem toten Veganer versuchte in Verbindung zu bringen, würde er vermutlich alle Spuren verwischen und Semir traute ihm sogar zu, dass er Castor und Pollux verschwinden ließ und dann hatten sie gar nichts mehr in der Hand. So fuhren Jenni und er unverrichteter Dinge wieder weg und als sie hinausgingen folgte ihnen ein sehnsüchtiger Blick eines grauen, riesigen und zotteligen Hundes, der seine Nase zwischen den Gitterstäben durchsteckte.

  • Am nächsten Morgen stand Ben pünktlich auf der Matte. „Diese Woche hatte ich mir eigentlich erholsamer vorgestellt!“ jammerte er, denn Tim hatte in der Nacht oft geweint und so war sein Erholungsschlaf doch ein wenig getrübt worden. „Allerdings musste ich wenigstens nicht aufstehen-das hat Sarah gemacht, weil ich ja zur Arbeit muss!“ grinste er dann spitzbübisch und Semir knuffte ihn. „Na die wird es schon bereut haben, dass sie am Samstag ja gesagt hat, du Macho!“ erwiderte er und dann sahen sie die reißerisch aufgemachten Überschriften der regionalen und überregionalen Zeitungen durch.
    „Mann von Hunden zerfleischt!“ stand da und man sah dann das bearbeitete Bild des Toten, auf dem keine der Verletzungen im Gesicht mehr zu sehen war. Wie man es an die Presse weitergegeben hatte stand in den Texten, dass man eine übel zugerichtete Leiche in einem Gebüsch an der Autobahn gefunden hatte und die Identität des Toten leider unbekannt war. Eine Nummer der PASt war unter dem Vermerk mit den sachdienlichen Hinweisen angegeben und noch während Semir seinem Freund von den gestrigen Ermittlungen gemeinsam mit Jenni berichtete, kam schon Susanne mit einer ausgedruckten Liste zu ihnen. „Das ist ein Teil der Anrufe, die bisher eingegangen sind-das Telefon läuft seit dem Morgen schon heiß!“ stöhnte sie und Semir sah Ben auffordernd an: „Na los, dann wollen wir mal!“ sagte er und gemeinsam machten sie sich auf den Weg zur ersten Adresse. Susanne hatte die Hinweise schon nach Wahrscheinlichkeit geordnet und nachdem mehrmals derselbe Name gefallen war, wies das schon darauf hin, dass der Mann bald identifiziert sein würde.


    Als sie an der Wohnung läuteten, die an erster Stelle auf der Liste stand, wurde ihnen von einer etwas unkonventionell aussehenden Frau im wallenden Baumwollgewand geöffnet. Sie war etwa vierzig Jahre alt und hatte die krausen hellbraunen Haare mit einem Tuch nach oben gebunden. Ihre Kleidung sah aus als wäre sie handgewebt und als sie sich ausgewiesen hatten, wurden sie auch sofort in eine liebevoll, aber sehr naturnahe Wohnung, die vor Pflanzen und Tieren nur so wimmelte, gebeten. „Ich bin Aurelia!“ stellte sie sich vor und Semir nickte abwesend, denn gerade hatte er in einer Zimmerecke etwas entdeckt, was ihm unheimlich vorkam. Ein Tier, das aussah wie ein kleiner Drache stapfte auf die Besucher zu und die wagten fast nicht sich hinzusetzen, nahmen aber dann auf anscheinend selbst gezimmerten, aber sehr bequemen Stühlen mit handgenähten kunterbunten Kissen Platz. Langsam näherte sich das merkwürdige Tier, aber zuerst sprangen gleich mal mehrere Katzen heran und rieben schnurrend ihre Köpfe an den Beinen der Besucher. Ein großer schwarzer Vogel in der Zimmerecke auf einem Gestell sitzend gab schnarrende Laute von sich und irgendwie lebte dieses Zimmer an allen Ecken. Ein Spinnrad stand in einer Nische, aber nicht als Deko, sondern sichtlich in Gebrauch und als die Frau ihnen einen Brennesseltee anbieten wollte, lehnten sie dankend ab. Inzwischend war der kleine Drache bei ihnen angekommen und Semir widerstand dem Drang aufzuspringen und schreiend davonzurennen. Verstohlen tastete er nach seiner Waffe und als das Tier nun seine kleinen Beinchen auf seinem Schuh abstellte und langsam begann an ihm hochzuklettern, überzog ein Lächeln das Gesicht der Frau: „Otto mag sie-sie sind ein guter Mann!“ erklärte sie und nahm dann mit raschem Griff das Tier hoch und setzte es Semir auf den Schoß. Der saß jetzt wie zur Salzsäule erstarrt und wagte fast nicht zu atmen und Ben, dem Semir´s Reaktion nicht entgangen war, grinste vor sich hin. „Oh-hast du jetzt nen Leguan zum Freund?“ feixte er und Aurelia fügte hinzu: „Er mag es, wenn sie ihn unterm Kinn kraulen!“ und machte es vor. Genüsslich streckte der kleine Drache seinen Kopf in die Höhe und schloss die Echsenaugen. „Beisst der nicht?“ vergewisserte sich Semir, aber die merkwürdige Frau schüttelte den Kopf. „Nur Leute die er nicht leiden kann, aber sie mag er!“ sagte sie und nun begann Semir zögernd es ihr gleich zu tun und stellte fest, dass sich die glatte Haut unterm Kinn des Tieres gar nicht feucht und glitschig anfühlte, wie er gedacht hatte, sondern weich und angenehm. Er beschloss dieses Erlebnis unter besonderen Vorkommnissen im Beruf abzuhaken und fragte nun, während er eifrig weiter kraulte:
    „Sie haben angerufen und gesagt, dass sie wissen, wer der unbekannte Tote ist!“ und die Frau nickte. „Das ist Sven Heinze-ein Mitstreiter im Tierschutz. Wir gehören beide einer Organisation an, die sich das Wohl aller Tiere zum Lebensziel gemacht hat. Sven hat nebenbei noch als selbstständiger Fotograf gearbeitet, denn irgendwie muss man ja seine Brötchen verdienen. Er hatte sich auf Tierfotografie spezialisiert und hier um sie herum sind viele seiner Modelle. Er war an einem Fall mit Tierversuchen an Hunden dran-da wurden tierquälerische Futtermischungen ausprobiert, wie uns ein Informant mitgeteilt hat und ist seit Donnerstagabend verschwunden. Ich habe mehrmals versucht ihn anzurufen, aber an sein Handy geht nur die Mailbox. Ein Freund ist auch bei seiner Wohnung vorbeigefahren, hat ihn aber nicht angetroffen und als ich heute das Bild in der Zeitung gesehen habe, war ich mir ganz sicher, dass er es ist und habe gleich angerufen!“ sagte sie. Semir nickte: „Hat er Familie?“ fragte er die Frau, aber die schüttelte den Kopf. „Wir und die Tiere sind seine Familie-seine Eltern sind schon lange tot und Beziehung hatte er auch gerade keine. Stimmt es, dass er angeblich von Hunden totgebissen wurde?“ fragte sie nun und Semir und Ben nickten. „Die armen Tiere!“ sagte nun Aurelia und Semir und Ben sahen sie nur sprachlos an. Gut-so konnte man das auch sehen, aber die beiden hatten nun eigentlich schon mehr Mitleid mit dem Opfer.


    „Denken sie, sie könnten den Toten identifizieren?“ fragte Semir und setzte Otto entschlossen am Boden ab, der nun wieder seine Wanderung durch das Zimmer fortsetzte. „Ich denke ja-können sie mich mitnehmen, oder soll ich mit dem Fahrrad kommen?“ fragte die Frau und als sie sich nach der Antwort erhob, flatterte die Rabenkrähe heran und setzte sich auf ihre Schulter. „Nein Penelope-du kannst nicht mit-Raben sind in Polizeiautos nicht erwünscht!“ wies die Frau den intelligenten Vogel zurück, der nun enttäuscht wieder zurück auf seinen Sitzplatz flog, nicht ohne zuvor ein frustriertes Krächzen ausgestoßen zu haben. Um Ben´s Beine strich immer noch ein kohlschwarzer Kater und als Aurelia sie bat kurz zu warten und den Raum verließ, um etwas zu holen, stieß Ben seinen Kollegen an: „Hey-meinst du nicht ein Besen wäre angebrachter als ein Fahrrad?“ fragte er und Semir nickte und wies auf ein Plakat an der Wand, da stand darauf: „Weissagungskurs-Beginn am 1.Juni!“ und als Signatur darunter stand: „Aurelia-Hexe“.


    Wenig später waren sie in der Gerichtsmedizin angekommen und die Frau identifizierte den Toten. Ein paar Tränen liefen über ihre Wangen, aber dann legte sie ihre Hände auf den toten Körper und begann einen merkwürdigen Singsang. Semir, Ben und der Pathologe ließen sie gewähren und nach wenigen Minuten hatte sie ihr Gebet, oder was auch immer das gewesen war, beendet. „Seine Seele ist nun frei und sein Leib kann zur Mutter Erde zurückkehren. Wir werden die Kremierung des Leichnams in Auftrag geben und ihn mit einem feierlichen indianischen Ritual beisetzen!“ kündigte sie an.
    Semir und Ben fuhren sie nun noch zu ihrer Wohnung zurück und sie gab ihnen dort den Schlüssel von Sven´s Behausung, den der bei ihr deponiert hatte und die Adresse. „Wir werden jetzt seine Wohnung durchsuchen, aber wissen sie vielleicht Näheres über den Tierschutzfall an dem er dran war, gibt’s da vielleicht Fotos davon, oder hat er etwas erzählt?“ fragte Ben. „Und wie war der Name ihres Informanten, der die Sache mit den Tierversuchen gemeldet hat-können sie uns den vielleicht sagen?“ fügte Semir noch hinzu, aber Aurelia schüttelte den Kopf. „Wir behandeln die Daten unserer Informanten vertraulich und wer Tiere liebt, weiss auch wie gefährlich die Fleischmafia, die Arzneimittel-und Hygieneartikelkonzerne und andere Tierquäler sind-wir geben solche Informationen grundsätzlich nicht weiter, sondern versuchen zu ermitteln und dann die Tiere zu retten!“ erklärte sie und nun fragte Semir geradeheraus: „War das vielleicht Michael Putz?“ und nun wurde Aurelia blass und nickte. „Woher wissen sie das?“ begehrte sie zu erfahren und Ben sagte nun: „Weil der ebenfalls ermordet wurde und zwar in derselben Nacht wie Sven Heinze-wir ermitteln in beiden Mordfällen!“ und jetzt war Aurelia geschockt. „Ich sagte ja-die Tiermafia ist gefährlich, aber ich helfe ihnen den oder die Täter zur Strecke zu bringen!“ sagte sie mit fester Stimme und ging wieder in ihre Wohnung zurück.Ben wies auf das Türschild auf dem ganz profan: „Anneliese Schmid“ stand, aber er und Semir befanden, dass Aurelia irgendwie besser passte.

  • Als sie an der Wohnung von Sven Heinze, die in einem mittelgroßen Wohnblock war, ankamen, wollten sie die Wohnungstür mit dem Schlüssel öffnen, stellten dann aber fest, dass ihnen da schon jemand zuvor gekommen war. Die Tür war zwar auf den ersten Blick geschlossen, aber bei näherem Hinsehen sah man, dass sie aufgebrochen und danach wieder zugezogen worden war. In der Wohnung herrschte das Chaos, alles war durcheinandergeworfen und sichtlich durchwühlt worden. Überall standen Schranktüren offen und der Inhalt war in den beiden Zimmern verstreut, Akten lagen zerfleddert auf dem Boden und ein Ladegerät, das zu einer großen Kamera gehören könnte, steckte einsam und verlassen in der Steckdose. Auch ein Laptopladegerät war am Schreibtisch, aber die zugehörige Hardware fehlte. Die Wohnung war-soweit man das erkennen konnte- modern eingerichtet und normalerweise sauber, wenn da nicht jemand gewütet hätte. An den Wänden waren einige gerahmte Tierfotografien in einer exquisiten Qualität und als Ben eine davon angeregt musterte, sagte er lächelnd: „Sieh mal Semir-ein Porträt von deinem Freund!“ und als Semir seine Aufmerksamkeit darauf richtete, sah er, dass das vermutlich tatsächlich Otto war, der da wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten auf einer Wurzel saß und mit seinen Reptilienaugen in die Kamera sah.
    Ben griff schon zum Handy. „Hartmut-wir hätten da Arbeit für dich-wir sind gerade in der Wohnung unseres Hundeopfers und die wurde durchsucht-vielleicht kannst du noch was finden, was die Verbrecher übersehen haben!“ bat er ihn her und Hartmut versprach sofort mit seiner Hilfskraft zu kommen. Vorsichtig hatten Semir und Ben Handschuhe angezogen und die Unterlagen gemustert. Der Fotograf hatte anscheinend akribisch festgehalten, wann er was im Tierschutz gemacht hatte und das Ganze mit Fotos hinterlegt. Die Befreiung einiger Nerze aus einer Nerzfarm, das Aufhalten eines Tiertransporters mit Schlachtpferden, die man von Polen nach Italien gekarrt hatte-alles war feinsäuberlich mit exakten Daten vermerkt. Ben musste die Blicke abwenden vom Leid das aus den Augen der Tiere sprach und irgendwie schoss ihm gerade Lucky durch den Kopf, wie der ihm sehnsüchtig im Tierheim nachgeblickt hatte, aber er schob den Gedanken ganz schnell beiseite. Man konnte keinen großen Hund mitten in der Stadt halten und außerdem hatte er immer schon gehört, dass bei kleinen Kindern nur ein Welpe in Frage kam. Der würde mit Tim aufwachsen und wäre dann sein bester Freund, alles andere wäre Blödsinn. Er erinnerte sich, wie er seinen Vater früher immer gepeinigt hatte, dass er einen Hund wolle, aber heute war er froh, dass der auch nach dem Tod der Mutter nicht nachgegeben hatte. Er war dann auf dem Internat gewesen und was wäre in der Zeit aus dem Hund geworden? Auch wenn sie zuhause ein riesiges Anwesen mit großem Garten gehabt hatten-er konnte sich nicht vorstellen, wie sein Vater mit einem Hund an der Leine bei Wind und Wetter durch Düsseldorf streifte-und das hätte er wohl in seiner Abwesenheit machen müssen. Julia hatte auch noch Angst vor Hunden, weil die als Kind mal gebissen worden war-nein das war besser so gewesen. Trotzdem wollte er seinen Kindern ermöglichen mit Tieren aufzuwachsen, aber dafür mussten sie erst mal ihren Plan vom Häuschen auf dem Land durchziehen, zuvor ging da gar nichts!


    Auch Semir hatte verschiedene Unterlagen durchgesehen und man konnte erkennen, dass bei einigen Ordnern die Klammern geöffnet und offensichtlich etwas herausgenommen worden war. „Wetten unser Tierschützer hatte da irgendwelche Aufzeichnungen und Bilder, die jemanden belasten könnten und das hat ihm letztendlich das Leben gekostet!“ sagte er und Ben nickte. Inzwischen war auch Hartmut eingetroffen und nachdem sie ihm kurz berichtet hatten was sie vermuteten, begann er mit seinem Assistenten mit der Arbeit und Semir und Ben fuhren erst mal zum Mittagessen und dann in die PASt. Sie berichteten der Chefin und Hartmut kam wenig später auch noch vorbei. „Ich habe die Garantieunterlagen zweier hochwertiger Profikameras gefunden, auch weiss ich, was für einen Laptop unser Opfer wohl besessen hat-und hier-da war was hinter einem Bild an der Wand versteckt, es sind zwar nur ein paar Fotos, aber vielleicht hilft euch das weiter!“ sagte er und interessiert beugten sich Semir, Ben und die Chefin über die Aufnahmen. Darauf waren Mark Bruckner und der verunglückte Lieferwagenfahrer zu sehen, wie sie augenscheinlich beim Welpenkauf aus dem Kofferraum Geld übergaben. „Oh Mann-sind die putzig!“ sagte Ben, denn da sahen ihn ein paar winzige Labradorwelpen an. „Aber die sind viel zu klein, um ohne Mama gesund aufzuwachsen-die sind gerade mal vier Wochen alt-das muss so ein Deal sein von dem Michael uns erzählt hat-wetten da hat Bruckner mal wieder einen Reibach gemacht! Schau mal-das sind mindestens dreißig Welpen, ziehen wir die Anschaffungskosten von vielleicht tausend Euro ab, dann hat er da trotzdem sicher 20 000 € verdient-das rechnet sich, wenn man skrupellos genug ist. Umsonst hat der nicht so eine Hütte in Porz stehen!“ erklärte Semir und alle Anwesenden nickten. „Die Frage ist, wie wir nun an Bruckner rankommen. Es ist weder verboten ein privates Tierheim zu betreiben-ich habe es mit Jenni nachgeprüft, er hat da alle Genehmigungen-noch Welpen zu kaufen oder zu verkaufen. Na gut-vielleicht ist das nicht ganz legal, weil er ja vermutlich dafür keine Steuern entrichtet, aber da gibt es sicher einen Paragraphen, dass man als Hobbyzüchter irgendeine Ausnahmeregelung kriegt und der Typ hat wahrscheinlich die besten Anwälte, die sich da besser auskennen als der Richter selber!“ sinnierte er laut. Dann allerdings wandte er seinen Blick zu Ben: „Hör mal-könntest du dir vorstellen mal ein paar Tage als Tierpfleger in dem Tierheim zu arbeiten? Als ich mit Jenni da war hat der Lieferwagenfahrer gerade die Zwinger sauber gemacht und Bruckner gesagt, dass der sich einen anderen Mann dafür suchen müsse. Wahrscheinlich ist Michaels Stelle noch frei und Bruckner kennt dich Gott sei Dank noch nicht. Vielleicht findest du dort irgendwelche Hinweise oder die beiden verraten sich im Gespräch? Mir zumindest fällt gerade keine andere Möglichkeit ein, um an diese Typen ranzukommen!“ erklärte er und sowohl Ben als auch die Chefin nickten zustimmend. „Ich wollte schon immer als Tierpfleger arbeiten!“ spöttelte Ben und Semir sagte harsch: „Stell dich nicht so an-es ist ja nur für ein paar Tage!“ und Ben unterbrach ihn: „Ist doch schon ok-wir brauchen jetzt nur noch eine Legende für mich und einen Plan, wie ich da reinkomme, ohne dass die Verdacht schöpfen!“ überlegte er, aber Semir erwiderte : „Ich habe da schon so eine Idee!“

  • Über die Unterlagen von Michael Putz fand man dessen Bewährungshelfer heraus und informierte den davon, dass sein Schützling ermordet worden war. Er hatte zwar vom Tod Michaels gehört, aber weitere Einzelheiten hatte er noch nicht erfahren. „Das tut mir leid-auch für die armen Eltern!“ sagte der Sozialpädagoge betroffen. „Er hatte eine gute Sozialprognose und auch im Knast den Absprung von den Drogen geschafft, was nicht allzu häufig gelingt. Er war ein netter junger Mann und als ich das Stellenangebot in dem Tierheim rein bekommen habe, dachte ich mir, das wäre genau der Job, der zu ihm passt, auch wenn der schlecht bezahlt wurde.“ erzählte er. „Allerdings hat er mir auch berichtet, dass das sicher für ihn keine Lebensstellung sein würde, denn er war nicht damit einverstanden wie die Tiere dort gehalten wurden, aber ich habe ihn ermutigt trotzdem durchzuhalten und wollte ihm auch bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz als Tierpfleger behilflich sein.“ berichtete er weiter.
    „Genau deswegen rufen wir an!“ hakte nun Semir nach, der das Telefon auf Lautsprecher gestellt hatte, so dass Ben und die Chefin mithören konnten. „Sie haben doch sicher noch die Kontaktadresse-oder email. Wir wollten sie bitten einen unserer Leute sozusagen zu vermitteln. Wenn sie sagen sie hätten vom Tod ihres Klienten erfahren und hätten sich gedacht, dass doch jetzt wieder eine Stelle für einen anderen ihrer Betreuten freigeworden wäre, dann wird Bruckner da keinen Verdacht schöpfen und wir können nachprüfen, ob er irgendetwas mit dem Tod von Herrn Putz zu tun hatte. Wenn wir uns täuschen wird unser Mann einfach nach einiger Zeit das Handtuch werfen und sie können die Stelle real wieder weiterbesetzen und wenn es anders kommt-nun, dann wird das Tierheim die längste Zeit bestanden haben!“ erklärte Semir und so willigte der Betreuer in den Deal mit ein. Er schrieb noch am selben Spätnachmittag eine Mail an die Artis-Tierhilfe mit dem Inhalt, dass er vom Tod ihres Mitarbeiters gehört habe und jetzt fragen wollte, ob sie Interesse an einem weiteren Mitarbeiter aus dem Rehabilitationsprogramm hätten. Am selben Abend kam noch keine Antwort, aber am Mittwochmorgen war auf seinem Dienstrechner ein positiver Bescheid. Der Bewährungshelfer kontaktierte Semir und Ben und so wurde wenig später ein gefakter Lebenslauf und ein Bewerbungsschreiben von Ben an Bruckner übermittelt und der vereinbarte noch am selben Tag ein Vorstellungsgespräch.


    Wie er das schon bei Michael Putz getan hatte, begleitete der Sozialpädagoge seinen neuen „Schützling“ dorthin und wenig später fuhren sie vor das Tierheim, in dessen Büro das Gespräch stattfinden sollte. „Laut ihren Unterlagen Herr Wirth haben sie Tiere schon immer gern gehabt, aber eigentlich noch nie eins besessen-was vermutlich an dem Ort, wo sie die letzten vier Jahre verbracht haben, auch schwierig gewesen wäre!“ grinste Bruckner, nachdem er sich vorgestellt hatte, ein wenig herablassend. Ben der eine uralte Jeans und ein Sweatshirt trug, das er sonst zum Garagenaufräumen anzog und das Sarah schon mehrfach hatte entsorgen wollen, sah zu Boden und sagte leise: „Ja ich weiss, ich habe Scheiss gebaut, aber ich habe mich gebessert und möchte jetzt ein nützliches Mitglied unserer Gesellschaft werden und für meinen Lebensunterhalt arbeiten!“ sagte er. Bruckner hatte ihn kurz gemustert. Der Mann sah sportlich aus und konnte sicher schwer arbeiten und das Saubermachen der Zwinger und die anderen anfallenden Arbeiten waren ein Knochenjob. Seine anderen Mitarbeiter hatten ihm schon angekündigt in Kürze das Handtuch zu werfen, wenn er nicht bald wieder jemanden für die Drecksarbeit einstellte, also kam die Mail des Bewährungshelfers wie gerufen. Diese Männer frisch aus dem Knast waren froh, überhaupt irgendeinen Job zu bekommen und gaben sich zudem mit einem Hungerlohn zufrieden. Gut-der Vorgänger hatte begonnen unbequem zu werden, aber er hatte die Situation ja jetzt zu seiner Zufriedenheit gelöst. Wenn ein Junkie rückfällig wurde und wieder zu Drogen griff, verwunderte das niemanden und falls dieser Typ hier zu neugierig wurde, würde er sich auch zu helfen wissen.


    „Ihr Aufgabengebiet umfasst die Rundumversorgung aller Hunde und Katzen auf der Anlage. Sie müssen zweimal täglich füttern-wir haben aus Spenden der Industrie dankenswerter sehr hochwertiges Futter für unsere Lieblinge-dann müssen die Zwinger und Katzenräume gereinigt und die Außenanlagen gepflegt werden, wir legen nämlich sehr großen Wert auf eine saubere und ordentliche Umgebung. Außerdem liegt es in ihrem Aufgabenbereich Medikamente einzugeben, bei tierärztlichen Untersuchungen und Behandlungen zu assistieren und kranke Tiere auszusondern und in der Quarantänestation zu betreuen. Wenn wir ein Vermittlungsangebot haben ist es ihre Aufgabe das entsprechende Tier im besten Licht zu präsentieren und ich verlange eine enge Zusammenarbeit mit mir, denn ich bin für die Anlage und den Betrieb verantwortlich und der liegt mir sehr am Herzen.“ erklärte nun Bruckner und wenig später war der Arbeitsvertrag unterzeichnet. „Diese sechs-Tage Woche ist natürlich unangenehm für sie, aber wir können unseren Tieren nicht eine ständig wechselnde Betreuung antun. Am Sonntag ist für die Hunde sowieso Fasttag und die Katzen bekommen dann vorab ausreichend Trockenfutter vorgelegt. Ich schaue natürlich nach meinen Lieblingen, aber sie werden die erste Bezugsperson sein und das ist etwas sehr Schönes!“ schwärmte Bruckner regelrecht und Ben dachte für sich: „Du Ausbeuter du!“ denn der vereinbarte Lohn langte nicht einmal dafür sich eine Wohnung zu nehmen und ein einigermaßen normales Leben zu führen. „Die Dienstkleidung wird natürlich gestellt!“ sagte Bruckner dann noch großkotzig und so wurde für den nächsten Tag um acht der Dienstbeginn vereinbart. „Ich werde sie dann einweisen und freue mich auf eine gute Zusammenarbeit!“ tönte Bruckner und während Ben wieder in das Auto des Bewährungshelfers stieg, sog eine graue Hundenase begeistert seinen Duft ein und winselte leise.


    Tim ging es schon besser und auch die Nächte wurden wieder ruhiger. Sarah und Ben hatten die Geschenke inzwischen alle ausgepackt und begonnen die gedruckten Dankeskarten zu unterschreiben und bei manchen ein paar persönliche Worte hinzuzufügen. „Vielleicht können wir unsere Flitterwochen bald nachholen!“ sagte Sarah hoffnungsvoll, aber Ben bat sie um Geduld. „Ich arbeite ab morgen undercover in einem Tierheim. Ich weiss nicht wie lange das dauert, aber es ist Semir und der Chefin gegenüber nur recht und billig, wenn wir den Fall erst abschließen und danach wegfahren. Außerdem sollte Tim schon völlig fit sein, wenn wir verreisen und sieh mal, mit jedem Tag später wird es wärmer und wir können dann vielleicht sogar schon im Meer baden und mit Tim die erste Sandburg bauen!“ vertröstete Ben seine Frau und die seufzte auf. Ja das konnte ihr Angetrauter gut-ihr was verkaufen, dass sie hinterher dachte, das wäre auf ihrem Mist gewachsen, aber um das klar zu stellen sagte sie: „Ich bin einverstanden, dass du diesen Tierheimfall abschließt-aber versprich mir, dass wir hinterher ans Meer fahren, egal was bei euch in der Arbeit wieder los ist!“ und Ben versicherte ihr, dass genau das seine Absicht wäre. Um seine Tarnung nicht zu gefährden würde er morgen mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Nähe des Tierheims fahren und das letzte Stück mit einem alten klapprigen Fahrrad zurücklegen, das Semir noch in seinem Geräteschuppen gefunden hatte. Ben hoffte bald etwas herauszufinden und sich dann für drei Wochen seiner kleinen Familie widmen zu können. Mit diesem Gedanken schlief er ein und als am Donnerstagmorgen zeitig der Wecker klingelte, machte er sich nach dem Frühstück ohne Murren auf den Weg-er war gespannt, welche Aufgabe ihn erwartete und außerdem freute er sich darauf, Lucky wiederzusehen!

  • Ben hatte es sich nicht so mühsam vorgestellt, überhaupt zu dem Tierheim zu kommen. Er hatte das Fahrrad zwar am Vortag schon gemeinsam mit dem Bewährungshelfer an der Endhaltestelle der Buslinie deponiert und dort angekettet, aber bis er von seiner Wohnung erst mit Bus, dann mit der U-Bahn und letztendlich wieder mit dem Bus dort angekommen war, war schon locker eine Stunde vergangen. Er trat danach heftig in die Pedale um wenigstens an seinem ersten Arbeitstag nicht zu spät zu kommen und ihm wurde erst jetzt bewusst, welch ein Luxus es eigentlich war, das Auto jederzeit vor der Tür zu haben und binnen kurzer Zeit irgendwohin zu fahren. Fünf Minuten vor acht war er dann aber da und Bruckner begrüßte ihn freundlich und gab ihm eine ausgewaschene blaue Latzhose und quietschgelbe Gummistiefel. Ben hatte ein altes Shirt an und nachdem er seine Arbeitskleidung angelegt hatte, wurde er zunächst in die Fütterung eingewiesen. In einem korrekt temperierten Raum lagerten verschiedene Tonnen mit Hunde-und Katzenfutter. Überall waren Tabellen und die Zwinger und die Behälter hatten Nummern. Man musste immer die Nummer des Zwingers wissen, den Besatz an Tieren und wie viel die bekamen und dann das Futter genau bemessen.
    „Die ersten Tage werden sie das noch nachlesen müssen, aber spätestens nach einer Woche wissen sie auswendig welcher Hund in welcher Gruppe lebt-dann geht es auch schneller!“ gab ihm Bruckner Bescheid und mit einer Art Futterwagen brachten sie die vorbereiteten Näpfe zu den Zwingern. Aufgeregtes Bellen und Winseln erwartete sie, aber als sie gemeinsam die Näpfe verteilten, wurde es in dem Käfig in dem sie gerade waren immer ganz still und die Hunde stürzten sich hungrig auf das Futter. Auch Lucky bekam seine Schüssel und bevor er zu fressen begann, leckte er kurz über Ben´s Hand, aber dann fraß auch er, denn wenn so ein Hunderudel gemeinsam zu fressen bekam, würde sich der Ranghöhere schamlos an den Näpfen der anderen bedienen, wenn er als erster fertig war und noch Hunger hatte, darum wussten die Hunde-man musste sich ranhalten.
    „Der große Graue dort ist mit Vorsicht zu genießen. Er heißt Lucky und ist ein wahrer Entfesslungskünstler. Keiner unserer Hunde ist aggressiv oder bissig, aber Lucky ist unheimlich schlau. Er kann Türen öffnen und hat sogar schon einfache Riegel aufgezogen. Also immer gut absperren, sonst ist er irgendwann weg und mit ihm die ganze Truppe-und dann kriegen sie verdammten Ärger!“ sagte Bruckner scharf. Ben lag es auf der Zunge zu fragen, warum die Tiere keinen Freilauf bekamen, wobei er die Antwort ja indirekt von Michael Putz schon kannte, aber dann beschloss er die Klappe zu halten. Wenn er zu vorlaut war würde Bruckner ihn einfach rauswerfen und dann konnte er nicht ermitteln. In einigen Zwingern und vor allem in einigen Katzenhäusern waren die Tiere sichtlich schlecht beieinander. Nicht so richtig krank, aber viele kratzten sich ständig, hatten stumpfes Fell und juckende Hautausschläge und lagen matt in der Gegend herum. In einer Ecke war eine tote langhaarige Katze und Ben wurde gleich angewiesen das Tier in einen Plastiksack zu packen, die Nummer des Raumes drauf zu schreiben und dann den kleinen Kadaver einzufrieren. In einem Nebenraum standen mehrere Gefriertruhen die anscheinend für diesen Zweck vorbereitet waren. „Was geschieht mit den toten Tieren?“ fragte Ben, den es ganz schön ekelte. „Das hat dich nicht zu interessieren Benjamin!“ sagte Bruckner kurz und scharf. „Die werden schon irgendwann abgeholt-aber mach dir nicht um Dinge Gedanken, die dich nichts angehen!“ fertigte er ihn kurzerhand ab. Ben lagen ein paar Worte auf der Zunge-er hatte Bruckner ja auch das Du nicht angeboten und in seiner Legende hatten sie als seinen Namen Benjamin Wirth gewählt, denn die logische Abkürzung war ja Ben oder Benni und so war das unverdächtig falls er mal von jemandem gesehen wurde der ihn kannte. Eigentlich sollte er jetzt aus Prinzip Mark ebenfalls duzen, aber er merkte genau, dass er gerade eingenordet wurde und sagte nun devot: „Ja Herr Bruckner!“ und senkte den Blick, was den anderen Mann dazu brachte selbstgefällig zu lächeln.


    Nach der Fütterung wurde Ben kurz gezeigt wie er mit Schaufel, Besen und Wasserschlauch die Zwinger zu reinigen hatte. Nachdem die Hunde ja nicht rauskamen lagen überall die Exkremente herum und der scharfe Uringestank trieb einem bei dem warmen Wetter die Tränen in die Augen. Sorgfältig schwang Ben sein Werkzeug und verfluchte Semir insgeheim für dessen im wahrsten Sinne des Wortes Scheißidee! Nach den Hundezwingern kamen die Katzenhäuser dran und wenn Ben gedacht hatte, dass der Hundekot schon das Ekligste an der Sache gewesen wäre, wurde er jetzt eines besseren belehrt. Er hatte nicht gewusst dass Katzenscheiße so stinken konnte und hätte sich am liebsten ein Tuch um Mund und Nase gebunden, um das besser ertragen zu können. Mit gefühlten Tonnen Katzenstreu füllte er die Katzentoiletten auf und das einzige was diese Arbeit erträglich machte, waren die Liebesbeweise der Tiere, die ihn aufmerksam betrachteten, ihm um die Füße strichen und mit lautem Schnurren um Streicheleinheiten bettelten.
    In Luckys Zwinger war er sehr froh gewesen, dass Bruckner anscheinend nicht bemerkt hatte, dass Lucky ihn schon kannte, denn der hatte sich während seiner Putzaktion an seine Fersen geheftet, hatte Streicheleinheiten erbettelt und jedem anderen Hund einen Zahn gezeigt, der sich ihm zu nähern wagte. Als Ben dann allerdings den nächsten Zwinger betrat musste Lucky sein vorlautes Verhalten büßen und bezog gleich mal eine Tracht Prügel vom Rudelführer. Ben musste vom Raum daneben hilflos zusehen, aber mehr als ein scharfes „Hey-aufhören!“ hinüber zu schreien fiel ihm auch nicht ein. Allerdings war kein Blut geflossen und als Lucky sich mit hängenden Ohren und eingezogener Rute unterwarf und sich in einer Ecke flach auf den frisch gereinigten Boden legte, war Ben insgeheim froh, dass seinem vierbeinigen Freund nichts geschehen war.


    Ben hatte nach kurzer Zeit sein Shirt ausgezogen und über einen Zaun zum Trocknen gehängt. In den Gummistiefeln stand das Wasser und er hatte selber das Gefühl zu riechen wie ein nasser Hund. Bruckner hatte sich in sein Büro zurückgezogen und Ben hatte versucht zu lauschen, konnte aber durch die geschlossene Tür nicht hören, was der am Telefon sprach. Vielleicht konnte Hartmut da eine unauffällige Wanze installieren, damit man den Mann besser überwachen konnte. Ben hatte von Semir und Jenni schon von Castor und Pollux gehört und war eigentlich angewiesen ein paar Haare mit Haut daran einzutüten, damit man deren Gene mit dem Hundespeichel auf der Leiche abgleichen konnte, aber die hatte er noch nicht zu Gesicht gekriegt. So verrichtete er die anstrengende Arbeit und konstatierte, dass er nach einer Stunde Muckibude nicht so geschafft war, wie nach dem Schaufeln, Tragen und Kehren.
    Für mittags hatte er sich ein Wurstbrot eingepackt und seine Mineralwasserflasche war schon um zehn leer gewesen, so dass er sie mit Leitungswasser auffüllen musste. Um seine Tarnung nicht zu gefährden hatte er extra das Billigwasser aus dem Supermarkt mitgebracht-nicht das teure Edelwasser das Sarah und er so gerne tranken und er hatte auch der Versuchung widerstanden morgens den halben Bäcker aufzukaufen-wie hätte er das vor Bruckner rechtfertigen sollen, dass er schon Teilchen für mehr als fünf Euro zum Frühstück aß? So knurrte zwar sein Magen noch als er seinen Imbiss eingenommen hatte, aber Sarah würde abends schon etwas Leckeres kochen und ansonsten gab es immer noch nen Pizzaservice!
    Als alle Zwinger gereinigt waren musste er noch ein Stück Rasen mähen und wieder floss der Schweiß von seiner Stirn. Gegen die stechende Frühlingssonne hatte er ein verwaschenes Schildmützchen bekommen und als er nach der Abendfütterung um sechs endlich Feierabend hatte, seufzte er erleichtert auf. Bruckner gab ihm noch den Schlüssel fürs äußere Tor und die Nebenräume, das Büro allerdings war mit einem extra Sicherheitsschloss gesichert.„Also-morgen wieder um acht-ich weiss nicht ob ich da schon da bin-wenn sie Fragen haben-hier ist meine Handynummer!“ verabschiedete ihn Bruckner und als Ben aus der Latzhose und den Gummistiefeln geschlüpft war, hatte er das Gefühl zum Himmel zu stinken. Er radelte zur Endhaltestelle, schloss sein Fahrrad ab und hatte in Bus und U-Bahn das Gefühl, dass alle Mitfahrer naserümpfend von ihm abrückten. Nach einer beschwerlichen einstündigen Fahrt schlug Sarah die Hände über dem Kopf zusammen, als er die Wohnung betrat: „Geh um Himmels Willen sofort duschen-so fasst du mir Tim nicht an!“ rief sie entsetzt und Tim sah ganz enttäuscht zu, wie sein Papa im Bad verschwand. Normalerweise machte der aus seiner Ankunft immer ein Event und warf seinen Sohn in die Luft, so dass er lachte und gurgelte, aber heute musste das warten, bis Ben sauber war. „Ich habe meine Klamotten in eine dichte Plastiktüte getan-tut mir leid Schatz-ich hätte nicht gedacht dass das so anstrengend und geruchsintensiv wird!“ entschuldigte sich Ben und ließ sich, nachdem er nun seinen Sohn ausgiebig geknuddelt hatte, am Tisch nieder und schlug beim Abendbrot zu, als hätte er vierzehn Tage nichts mehr zu futtern gekriegt. „Ich hatte eigentlich gedacht, dass dieses Essen für zwei Tage reicht!“ bemerkte Sarah trocken, als Ben sich den letzten Bissen hinter die Kiemen stopfte und er zuckte nun verlegen mit den Schultern. „Du hast aber auch zu gut gekocht!“ sagte er und gab seiner Frau einen Kuss. Wenig später telefonierte er noch kurz mit Semir und erzählte von seinem ersten Arbeitstag. Er erbot sich dann Tim zu Bett zu bringen und als es fünfzehn Minuten später so verdächtig ruhig im Kinderzimmer war, in dem Tim von der Wiege vor einigen Monaten in ein Paidibett umgezogen war und wo ein Erwachsenenbett daneben stand, damit man dort auch übernachten oder Gäste beherbergen konnte, lag Ben tief schlafend neben seinem Sohn und Sarah deckte ihn noch kopfschüttelnd zu.

  • Am nächsten Morgen begann derselbe Ablauf wie am Vortag. Allerdings nahm Ben diesmal Wechselwäsche in einer Plastiktüte mit, packte mehr Speisen und Getränke ein und versuchte seinen Ganzkörpermuskelkater zu ignorieren. Von unterwegs aus dem Bus rief er Semir an: „Hör mal-ich würde gerne im Büro eine Wanze oder sowas anbringen, damit ich verfolgen kann was Bruckner so spricht-kannst du dich mal mit Hartmut in Verbindung setzen und mir die dann zukommen lassen? Ich denke ich werde so gegen 12.30 Uhr Mittag machen-vielleicht können wir da irgendwie die Übergabe bewerkstelligen!“ sagte er und Semir versprach da was einzufädeln. Ben hatte auch an einen MP3-Player gedacht und lenkte sich während der Reinigungsarbeiten mit flotter Mucke über einen Knopf im Ohr ab. Lucky freute sich wieder wie verrückt ihn zu sehen und auch heute knuddelte Ben nebenbei ausgiebig hunderte von Hunden und Katzen. Am späten Vormittag kam ein Lieferwagen und brachte eine Fuhre neue Tiere-ein paar verängstigte etwa vier bis fünf Monate alte Welpen, die miteinander in einen leeren Zwinger kamen. Ben musste schlucken-es waren kleine Labradore und Goldies, eigentlich wunderhübsche Tiere, aber sie hatten Durchfall, waren matt und aus ihren jungen Augen sprach grenzenlose Erschöpfung und sie wollten auch überhaupt nicht fressen oder trinken, geschweige denn spielen. „Da kommt später noch der Tierarzt!“ sagte Bruckner, der gegen zehn endlich aufgetaucht war und Ben nickte. Als der Tierarzt dann da war-ein mittelalter Mann mit ostdeutschem Akzent-musste Ben die Welpen halten, während die ein paar Spritzen bekamen und vor Angst jaulten. Er nahm sie danach liebevoll auf den Arm und tröstete sie, während er den jeweils nächsten in den Behandlungsraum trug und Lucky stand eifersüchtig und angespannt in seinem Zwinger und beobachtete ihn. Bruckner besprach sich danach im Büro noch mit dem Arzt und wieder versuchte Ben erfolglos zu lauschen. Als sich dann die Tür öffnete und der Arzt sich zu gehen anschickte, hörte er noch wie sie sagten: „Das ist die perfekte Gruppe um dieses Durchfalldiätfutter auszuprobieren!“ und Bruckner richtete dann eine Tonne her, aus der Ben die Kleinen ausschließlich füttern sollte. „Die kriegen viermal täglich!“ sagte er, aber keiner der Kleinen rührte das Futter an-wenigstens tranken sie ein wenig und Ben hatte beinahe das Gefühl, wie wenn Tim krank war-diese Babys oder beinahe schon Junghunde waren so hilflos und kuschelten sich rührend zusammen und versuchten sich gegenseitig zu trösten. Ben sah in dem Lagerraum noch eine Wärmelampe und die installierte er über einem der Kunststoffkörbchen, denn er fand, dass die Kleinen ziemlich kalt waren und anscheinend tat es ihnen gut, denn langsam verstummte das Winseln.


    Gegen zwölf rief Hartmut ihn an. Ben ging ran und der Rotschopf sagte: „Hör mal-ich werde jetzt dann an dem Tierheim vorbeijoggen und da kurz umknicken. Du kommst dann raus, hilfst mir wieder auf die Beine und dabei stecke ich dir die Wanze und das Empfangsgerät das aussieht wie ein Player mit Kopfhörern zu. Das Abhörteil ist in einer Art Knetmasse, die fast überall kleben bleibt-du kannst sie also einfach irgendwohin drücken-sie haftet auf allen fettfreien Untergründen!“ erklärte er ihm und so machten sie es. Ben nahm gerade draußen vor den Zwingern seinen Mittagsimbiss ein, als Hartmut mit einem kurzen Schmerzensschrei umknickte und Ben hinaus eilte, wo die Übergabe stattfand. Hartmut hinkte danach demonstrativ weiter und Bruckner, der die Sache vom Büro aus beobachtet hatte, kam heraus und sagte scharf: „Dir ist schon klar, dass jemand Fremdes auf diesem Grundstück nichts verloren hat-ich möchte nicht, dass sich hier Hinz und Kunz rumtreiben-aber der Typ ist ja jetzt wohl wieder flott-jetzt schau dass du an deine Arbeit kommst und nicht stundenlang Mittagspause machst!“ Ben wollte zunächst protestieren, er hatte nämlich gerade mal fünfzehn Minuten pausiert und dabei heißhungrig seine drei Wurstbrote hinuntergeschlungen, aber dann machte er sich kommentarlos wieder an die Arbeit. Allerdings versuchte er den ganzen Nachmittag vergeblich ins Büro zu kommen, aber entweder war Bruckner draußen und hatte abgesperrt oder er wimmelte ihn gleich ab, sobald er nur die Türklinke herunterdrückte. Erst am Abend ergab sich die Gelegenheit und Ben huschte hinein, während Bruckner kurz zur Toilette war und der Polizist klebte die Wanze direkt unter die Schreibtischplatte. Als sein Boss zurückkam deutete nichts darauf hin, dass jemand im Büro gewesen war, aber als Bruckner danach ein Telefongespräch führte, konnte Ben jedes Wort über seinen Knopf im Ohr verstehen und lächelte zufrieden.


    Als kurz vor seinem Feierabend die Welpen doch ein wenig fraßen war Ben erleichtert und fast glücklich und heute zog er sich komplett um bevor er nach Hause fuhr, damit er wenigstens nicht gar so streng roch, aber er hatte trotzdem viel Platz in Bus und Bahn.
    „Semir-die Wanze ist installiert!“ gab er Bescheid und der informierte ihn nun seinerseits: „Unsere Hexe hat angerufen und uns zu dem Beerdigungsritual von Heinze am Samstagabend in einem Friedwald eingeladen-der Beginn ist um 23.00 Uhr-kommst du mit?“ fragte er und Ben sagte ohne nachzudenken zu. Vielleicht konnten sie da noch andere Aktivisten kennenlernen und an Informationen kommen. Heute ging er, ohne dass Sarah etwas sagen musste, sofort duschen und danach verbrachten sie einen gemütlichen Abend auf dem Sofa und schwelgten noch in Erinnerungen an die Traufe letztes Wochenende.


    Der Samstag verging wie im Flug, aber am Morgen hatte Ben erst einmal einen traurigen Job. Zwei der Welpen-die beiden kleinsten- waren über Nacht gestorben und er trauerte um die beiden kleinen toten Körper, während er sie in Plastiktüten verpackte und einfror. Diese Hundchen hatten in ihrem kurzen Leben vermutlich nichts Schönes gehabt und er konnte so langsam verstehen, warum es so militante Tierschützer gab, die sich für das Wohl dieser unschuldigen Wesen einsetzten.
    Bruckner kam erst gegen Mittag und als Ben ihm von den verendeten Tieren berichtete-auch zwei Katzen hatten die Nacht nicht überlebt-fluchte er verhalten. „Mann-das ist ein Haufen Geld das uns da flöten geht! Gott sei Dank ist der Nachschub gesichert, aber schau, dass du die Tiere besser versorgst, damit die deine Pflege auch überleben!“ herrschte er ihn grob an und Ben blieb beinahe der Mund offenstehen-da war von dem Tierfreund und Hundeliebhaber plötzlich nichts mehr zu sehen! Heute sah er auch zum ersten Mal Castor und Pollux, denn die schlichen mit gesenkten Köpfen hinter ihrem Herrn her ins Büro und knurrten leise, wenn sie seiner ansichtig wurden. „Halte dich von meinen Lieblingen fern-die fressen gerne Exknackis zum Frühstück!“ warnte ihn Bruckner und das hätte er Ben nicht zweimal sagen brauchen, denn genauso wie Semir waren ihm diese Hunde, die funktionierten wie Roboter, zutiefst unheimlich. Sicher waren auch das im Grunde ihres Herzens nette Lebewesen, aber dieser Mensch hatte die so instrumentalisiert und hatte deren absoluten Gehorsam, dass sie sich gar nicht mehr trauten Hund zu sein, zu rennen und zu spielen, sondern die reinsten Kampfmaschinen waren.
    Blöderweise telefonierte Bruckner heute überhaupt nicht, aber wenig später fuhr ein Bauer vor und brachte ein frisch geschlachtetes Kaninchen im Ganzen, wie jeden Samstag, wenn Ben dessen Worte recht verstand. Bruckner bezahlte und holte dann seine beiden Hunde heraus und warf es ihnen vor, so wie es war. Die beiden zerfetzten das Tier vor seinen und Ben´s Augen und schlangen heißhungrig die Stücke hinunter. „Nach drei Fasttagen sind sie richtig gut in Form!“ grinste Bruckner und Ben musste einen Übelkeitsanfall unterdrücken. Als die Hunde fertig waren, war es seine Aufgabe das Blut auf dem Betonboden abzuwaschen, aber er konnte leider keine Haare der beiden Schäferhunde sicherstellen-da flogen nämlich Haare aller möglichen Hunde und des Kaninchens herum und als ein kleines Lüftchen aufkam wirbelte alles durcheinander. Aber das würde er schon noch hinkriegen.
    Bruckner wies ihn an den Katzen die doppelte Futtermenge vorzulegen, weil die morgen nicht extra gefüttert würden. Die Hunde hatten am Sonntag Fasttag und Bruckner moserte schon herum: „Jetzt muss ich wegen der blöden Welpen morgen doch rausfahren-aber du hasts gut, du hast den Sonntag frei!“ motzte er, aber Ben schwieg ganz still-hoffentlich würde das der letzte Sonntag sein den Bruckner in Freiheit verbrachte. Er war wild entschlossen Beweise sicherzustellen und diesem Menschen das Handwerk zu legen-denn von einem war er nun beinahe überzeugt, nach der Show mit dem Kaninchen-diese Hunde waren vermutlich dazu benutzt worden Heinze zu töten-er musste es nur noch strafrechtlich verfolgbar machen und Bruckner überführen.

  • Heute hatte Ben die schwere körperliche Arbeit schon viel weniger angestrengt-man gewöhnte sich an alles-und so machte er zwar ein kleines Nickerchen auf der Couch, während heute Sarah Tim ins Bett brachte, aber dann war er wieder fit, als Semir an seiner Haustür läutete, um ihn zur Beisetzung abzuholen. Gemeinsam erreichten sie kurz vor elf den Friedwald und Ben fragte seinen Freund: „Hast du eine Ahnung wie sowas abläuft?“ aber auch Semir schüttelte ratlos den Kopf.
    Eine Gruppe von etwa dreißig Menschen war zusammengekommen. Am Waldrand war ein Parkplatz und das Areal war als Friedwald ausgewiesen. Soweit man das in der Nacht erkennen konnte war das ein wunderschöner Wald mit alten hohen Bäumen, Laub auf dem Boden und einer ganz besonderen Atmosphäre. Aurelia hatte sie still begrüßt und Punkt 23.00 Uhr machte sich die Gruppe mit ein paar Fackeln als Beleuchtung auf zum Begräbnisplatz. Dort war auf einer Lichtung eine Feuerschale vorbereitet und unter Gesängen entzündete ein Mann das Feuer. In der Zwischenzeit ging eine junge Frau von einem zum anderen und bemalte mit einem Stück spezieller Holzkohle die Gesichter. Ben zweifelte kurz ob er das zulassen sollte, aber nachdem weder Semir noch ein anderer protestierte, ließ er sich dann doch einige rituelle Striche über die Wangenknochen malen. Als das Feuer einigermaßen hoch brannte-soweit das vermutlich vom Brandschutz her genehmigt war- warf Aurelia stark riechende Kräuter hinein, die die ganze Lichtung mit ihrem merkwürdigen Duft durchzogen und irgendwie die Sinne schärften, denn Ben meinte nun seine Umgebung anders wahrzunehmen. Aus der Ferne hörte er die Geräusche des Waldes, die Blätter die im leichten Wind raschelten, ein Käuzchen das schrie und ein Knacken im Unterholz war zu vernehmen. Das alles vermischte sich mit dem Prasseln des Feuers und nun nahm er erst die Urne wahr, die auf einem Gestell in der Mitte stand. Soweit er das im Feuerschein sehen konnte war die Urne aus Holz und mit indianischen Zeichnungen und Schriftzeichen verziert.
    Aurelia und der Mann, der das Feuer entfacht hatte, begannen nun monotone Gesänge anzustimmen und um die Urne zu tanzen. Die Stimmung war sehr merkwürdig und Ben ertappte sich, wie ein Gefühl der Unwirklichkeit von ihm Besitz ergriff. Er kniff sich selber in den Arm um festzustellen, ob er nicht träumte und bemerkte, dass es Semir neben ihm wohl genauso ging. Plötzlich schob sich hoch am Himmel der Vollmond hinter den Wolken hervor und jetzt konnte Ben auch die Worte Aurelia´s verstehen. Sie bat die Götter um Vergebung für die Fehler, die Sven vielleicht in seinem Leben begangen hatte, lobte aber dann seinen Einsatz für die Tiere. Er wurde als guter Freund hochgelobt und zuletzt bat Aurelia auch um Vergebung für die Tiere, die ihn getötet hatten. Ben dachte bei sich, wie die Todesart diese besonderen Menschen doch mal wieder die Ironie des Schicksals zeigte-er war in der Blüte seiner Jahre ausgelöscht worden durch ebendiese Kreaturen, die er sein Leben lang zu schützen versucht hatte. Aurelia bat die Götter nun noch um Hilfe für die Menschen, die Sven rächen würden und alle Blicke ruhten für einen Moment auf Semir und Ben.Wieder wurden wohlriechende Kräuter ins Feuer geworfen und wenig später tanzte die ganze Beerdigungsgesellschaft gemeinsam um die Urne und Ben und Semir kam das kein bisschen merkwürdig vor, sie drehten sich mit den anderen im Kreis, klatschten und sangen mit, bis um Mitternacht dann die Urne endgültig in das vorbereitete Loch zwischen den Wurzeln einer wundervollen uralten Buche gesenkt wurde und man gemeinsam die Erde darüber füllte. Nur ein kleiner Erdhügel blieb übrig, aber auch der würde im Verlauf der nächsten Wochen langsam verschwinden und dann blieb als Erinnerung an Sven nur noch der Baum und die Gedanken seiner Freunde. Aurelia und der Mann löschten nun die letzten glimmenden Holzstücke und dann ging man gemeinsam schweigend auf dem schmalen Waldweg zurück zum Parkplatz.


    Je weiter sie sich vom Begräbnisplatz entfernten, desto unwirklicher kam den beiden Polizisten vor, was sie gerade erlebt hatten und vor allem, wie sie sich dazu hinreißen hatten lassen, um die Urne zu tanzen. Allerdings waren ihre Sinne scharf und so saßen sie wenig später im Wagen und Semir ließ den Motor an, um sie sicher nach Hause zu bringen. „Was war das wohl für ein Kraut, das die da verbrannt haben?“ rätselte Ben und Semir sagte nach kurzem Nachdenken: „Ich will es lieber nicht wissen!“ und sein Freund pflichtete ihm bei. Irgendwie hatte sich gar keine Gelegenheit ergeben, sich mit den anderen Beerdigungsgästen zu unterhalten, aber nun konnten sie das auch nicht mehr ändern-Aurelia stand ihnen ja für ihre Fragen zur Verfügung und so konnten sie das sicher nachholen, wenn es nötig wurde. Als Ben gegen eins neben Sarah unter die Decke schlüpfte, konnte er erst nicht einschlafen, so beschäftigte ihn der Zauber des eben Erlebten, aber nach einer Weile fiel er dann doch in einen tiefen Schlaf, der von allerlei Träumen heimgesucht wurde.
    Er hatte am Abend noch versucht die Holzkohle abzuwaschen, es aber nicht ganz geschafft, so dass Sarah ihn beim späten Frühstück, eher einem Brunch mit Speck und Eiern belustigt musterte und fragte, ob denn gerade Karneval sei. Auch Tim krähte vor Vergnügen und patschte mit seinen kleinen Händchen in das Gesicht des Vaters, dem es aber vor dem Duschen dann doch gelang mithilfe von Sarah´s Abschminkpads die letzten Rußspuren zu entfernen.


    Sarah hatte Anfang der Woche die Familienkutsche bei der Einfahrt in die Tiefgarage ein wenig angeschrammt und die war nun übers Wochenende zum Lackieren in der Werkstatt. So mussten sie den Mercedes nehmen, denn Ben´s Porsche war eindeutig zu klein und nachdem sie den Kindersitz dort eingebaut und den Buggy im Kofferraum verstaut hatten, nutzten sie das schöne Wetter, um ein wenig ins Freie zu fahren und mit Andrea, Semir den Mädchen und dem wieder genesenen Tim durch den Rheinpark zu laufen und danach gemütlich ein Eis essen zu gehen. Dabei berichteten sie den beiden Frauen ausführlich von ihrem merkwürdigen Erlebnis in der Nacht und auch Semir hatte Mühe gehabt seine Kriegsbemalung zu entfernen. An einer Ampel stand bei der Heimfahrt ein Wagen ihnen gegenüber und der Fahrer war der Tierarzt, dem Ben bei der Behandlung der Welpen assistiert hatte. Ben bemerkte ihn nicht, aber der Mann musterte stirnrunzelnd zuerst ihn und dann den Mercedes. War das nicht ein ziviles Polizeifahrzeug-die Lichtleiste vorne sprach dafür? Momentan setzte auch der Arzt seinen geplanten Weg fort, aber er nahm sich vor bei Gelegenheit Bruckner zu fragen, was er denn für einen neuen Helfer hatte.


    Am Montag begann für Ben wieder die Maloche und erstens waren die Hunde völlig ausgehungert nach ihrem Fasttag und zweitens lag die doppelte Menge an Exkrementen in den Zwingern und Käfigen, denn Bruckner, der sich erst Mal auch nicht sehen ließ, hatte natürlich nicht sauber gemacht am Sonntag. Allerdings ging es den Welpen besser und die umkreisten Ben schwanzwedelnd und bettelten um Zuwendung, die er ihnen auch zuteilwerden ließ. Als er Lucky seinen Napf hingestellt hatte, hatte der kurz sein Ohr abgeleckt und dann die Pfote auf seinen Arm gelegt, als wolle er sagen: „Du weisst schon wo du hingehörst?“ und Ben hatte ihn dafür liebevoll hinter den Ohren gekrault. „Ach alter Junge-du bist schon ne Marke!“ hatte er gesagt und erst dann hatte Lucky zu fressen begonnen.

  • Am nächsten Tag kam ein Mann zu Bruckner den Ben noch nie gesehen hatte. Er hatte seine Kopfhörer der Überwachungswanze auf und konnte so jedes Wort hören das im Büro gesprochen wurde. Der Mann im smarten Anzug hatte demonstrativ die Tür zugezogen und warf auch immer mal wieder einen Blick aus dem Fenster, wo man Ben, der wegen der hohen Temperaturen nur die Latzhose ohne Shirt trug, zusehen konnte, wie er die Zwinger reinigte und nebenbei Musik hörte und sogar mit sang-dachte er jedenfalls.
    Nachdem die beiden sich ungestört wähnten fuhr er Bruckner scharf an: „Hast du den Speicherstick jetzt schon gefunden?“ wollte er wissen, aber der verneinte. „Ich dachte, wenn wir die Kamera und den Laptop haben, sind die Beweise für unsere Schuld gesichert und vernichtet, aber es fehlt immer noch der Speicherstick! Solange wir den nicht haben stehen wir beide mit einem Bein im Gefängnis-das ist dir schon klar?“ fragte er wütend. „Ich habe die Elektronikteile komplett zerstört, damit niemand mehr an die Daten rankommt, aber solange wir den Stick nicht haben können wir uns nicht sicher fühlen-ich habe keinen Bock den Rest meiner Tage in Ossendorf zu verbringen, nur weil ich dir einen Gefallen getan habe! „Pah-der perfekte Mord!“ hast du gesagt als wir den Jungen erledigt hatten „wieder ein Junkie der auf Dauer die Finger nicht von dem Zeug lassen konnte“ und dann sehe ich, dass wir beobachtet und fotografiert wurden.“ sagte er und Mark antwortete kleinlaut. „Ich habe keine Ahnung wo das Teil sein könnte. Ich habe die ganze Wohnung durchsucht, aber nichts gefunden. Als ich jetzt nochmal nachsehen wollte, war ein Polizeisiegel an der Tür-aber wenn die den Stick ausfindig gemacht hätten, wären wir schon längst verhaftet, also haben auch die den nicht gesehen. Lass ein wenig Gras über die Sache wachsen und wenn ich mitkriege, dass wir doch verdächtigt werden, dann können wir verschwinden, ich habe genügend Geld auf die Seite gebracht, dass wir uns in Thailand ein schönes Leben machen können-ne Villa am Strand, willfährige Mädchen, das volle Programm halt. Ansonsten werden wir bald die nächste Ladung holen-eigentlich läufts ja gerade sehr gut-nur die beschlagnahmten Hunde müssen jetzt noch ein paar Wochen warten, die haben in dem anderen Tierheim natürlich anderes Futter bekommen und unser Auftraggeber verlangt noch etwa vier Wochen bis zur weiteren Prüfung. Die Bewohner von Zwinger vier sind in Kürze reif -unser Futtermittelhersteller drängt darauf das Zeug auf den Markt zu bringen-nur die Abschlussuntersuchung fehlt noch, dann können wir wieder ne neue Versuchsreihe starten-das Probefutter steht schon bereit!“ sagte er und jetzt war Ben klar, was der Lieferwagenfahrer heute Morgen gebracht hatte-eine neue Futtermischung.


    Er sah auf die Tür von Zwinger vier-da waren etwa 15 Hunde darin-einer munterer und freundlicher wie der andere. Er konnte nicht zulassen dass die abgeholt und untersucht wurden, denn nach den Informationen von Michael Putz bedeutete das, dass die getötet und seziert wurden-und der war sich nicht einmal sicher gewesen, dass das in dieser Reihenfolge geschah. Der Transport den Michael aufgehalten hatte, was ihn letztendlich das Leben gekostet hatte, hatte angeblich ein Labor zum Ziel gehabt aus dem die Hunde und Katzen nie mehr zurückkamen-nicht die angegebene Tierarztpraxis, obwohl die das bestätigt hatte. Zu Beginn seiner Tätigkeit hatte Michael den Versicherungen Bruckners geglaubt, dass die Tiere, die abgeholt worden waren, vermittelt waren und jetzt ein glückliches Leben in liebevollen Familien vor sich hatten, aber dann war er misstrauisch geworden, dass die Interessenten angeblich immer sonntags an seinem freien Tag dagewesen sein sollten. Und dass dann immer gleich eine ganze Gruppe vermittelt worden sei, dessen war er nach einiger Zeit auch nicht mehr sicher gewesen. Also hatte er im Büro herumgeschnüffelt-damals war das noch mit einem normalen Schlüssel zu öffnen gewesen, ein Leichtes für einen Exkriminellen der schon Einbrüche im Rahmen seiner Beschaffungskriminalität begangen hatte-und so hatte er herausgefunden, wohin die ihm anvertrauten und ans Herz gewachsenen Tiere ihren letzten Weg antraten und war nach einiger Zeit fest entschlossen gewesen dieses Leid zu beenden.


    Jetzt fügte sich in Ben´s Kopf eines zum anderen. Michael hatte wahrscheinlich Kontakt mit den Tierschützern aufgenommen, Sven Heinze hatte Beweise gesammelt und als die Hundemafia Angst haben musste aufzufliegen hatten sie ihn beseitigt –und laut der eben gehörten Worte wusste Ben nun, wer die Mörder gewesen waren-und dass es da belastendes Material gab. Allerdings galt vor Gericht diese illegal erworbene Aussage kein bisschen-etwas wissen hieß noch lange nicht, das auch beweisen zu können. Klar könnten sie die beiden jetzt festnehmen und versuchen ein Geständnis aus ihnen herauszubringen, aber es musste noch einen anderen Weg geben! Außerdem mussten noch die Umstände von Heinzes Tod herausgefunden werden und er hatte immer noch keine Haarproben von Castor und Pollux, die seit Samstag nicht mehr mit dabei gewesen waren. Ben beschloss-nachdem der andere Mann gegangen war und Ben sich dessen Aussehen und Autokennzeichen eingeprägt hatte-Semir darauf anzusetzen, der Stick musste gefunden werden, vielleicht konnte ihnen Aurelia dabei helfen!

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