Lucky

  • Ben zog sein Handy aus der Hosentasche. Er vermied es immer dass Bruckner sah, welches doch teure neue Modell er hatte, denn das wäre seiner Tarnung sicher abträglich-aber da konnte er sich ja vorsehen! „Semir-ich habe neue Informationen!“ teilte er seinem Kollegen mit, der gerade ein wenig auf der Stelle trat und deshalb mit Jenni auf Streifenfahrt über die Autobahn unterwegs war. „Was hast du rausgefunden?“ fragte Semir, der sein Bluetooth aktiviert hatte und dabei ruhig weiterfuhr. „Gerade hatte Bruckner Besuch von einem etwa vierzigjährigen Mann in einem schwarzen Fünfer BMW mit dem Kennzeichen K-DL-590, kannst du mal schauen, wie der heißt? Auf jeden Fall ist das ein Freund Bruckner´s und einer der Mörder von Michael Putz-der andere ist, wie wir schon vermutet haben, Bruckner selbst. Allerdings weiss ich das nur über unsere Abhöranlage und das werden die Staatsanwaltschaft und der Richter nicht gelten lassen. Allerdings muss noch ein Speicherstick mit belastendem Material existieren. Bruckner und der andere Mann haben den gesucht aber nicht gefunden. Sie waren es die Heinze´s Wohnung auseinander genommen und die Kamera und den Laptop mitgenommen und angeblich zerstört haben!“ informierte er seinen Freund und der wiederholte laut das Kennzeichen, damit Jenni unterwegs auf dem Polizeitablet eine Halterabfrage machen konnte. Kurz darauf informierte Semir seinen Freund. „Der Mann auf den das Fahrzeug zugelassen ist heißt Lutz Dermold, ist einundvierzig Jahre alt und angeblich Versicherungskaufmann!“ teilte er ihm mit und wenig später hatte Jenni Ben ein Bild geschickt und der ihn darauf identifiziert.
    Nun fiel Ben noch was ein. „Angenommen Heinze hätte tatsächlich Bilder von dem Mord an Putz geschossen, aber wie ist der danach zu seiner Wohnung gelangt? Er muss wohl dort gewesen sein, sonst hätte Bruckner die sicher nicht durchsucht-wenn ich das richtig verstanden habe und tatsächlich Bilder von dem Mord an Putz existieren. Wir haben das doch überprüft-auf Heinze war kein Auto zugelassen, aber wie war der mobil?“ fragte Ben und Semir versprach, gleich Susanne darauf anzusetzen und außerdem die Hexe zu befragen und schon er war an der nächsten Autobahnabfahrt abgefahren, um zu Aurelia´s Wohnung zu gelangen. Allerdings war Susanne ratlos, die sich gleich an die Arbeit machte, nachdem Semir sie darum gebeten hatte. „Auf einen Sven Heinze ist definitiv in Deutschland kein Fahrzeug zugelassen!“ teilte sie über Funk mit, aber da waren die beiden Polizisten schon an der Wohnung angekommen.


    Wenig später läutete er an Aurelia´s Tür und es wurde auch gleich geöffnet. „Ich habe gerade noch einen Kunden-würden sie bitte noch einen Moment warten?“ bat sie Aurelia freundlich und komplimentierte die beiden Polizisten in ihre Küche, die genauso bunt, lebendig und ein wenig kramig wirkte wie der Rest der Wohnung. Sie wies auf einen flüssigkeitsgefüllten Krug auf dem Tisch in dem unten drin ein paar Steine lagen und stellte ihnen zwei Gläser hin: „Edelsteinwasser-wohl bekomms!“ sagte sie dazu und verschwand wieder zu ihrem Kunden. Jenni hatte sich mit offenem Mund in der ungewöhnlichen Behausung umgesehen und hatte auch binnen kurzem den schwarzen Kater auf dem Schoss, der sich schnurrend auf ihr niederließ und begann ihn zu streicheln. Aus dem Wohnzimmer hörte man murmelnde Stimmen und dann noch ein kurzes Singsang und wenig später fiel die Wohnungstür ins Schloss und Aurelia bat sie hinüber, wo sie sich aufs Sofa setzten.
    Sofort flog der Rabe her, landete zu Jenni´s Füßen und besah sich mit schief gelegtem Kopf ihre Schuhbändel um die dann geschäftig aufzuziehen. „Lass den Unfug!“ sagte Aurelia liebevoll und lockte den Vogel auf ihre Schulter, wo sich der ruhig niederließ. „Frau Schmid“-begann Semir, aber die Frau unterbrach ihn: „Ich heiße für meine Freunde Aurelia!“ und Semir stellte Jenni kurz vor und kam dann zu seiner Frage. „Aurelia-wir haben uns gefragt wie Sven Heinze sich fortbewegt hat? Ist der auch alles mit dem Fahrrad gefahren oder hatte der eine andere Möglichkeit von A-nach B zu kommen?“ wollte er wissen und Aurelia erklärte ihm, wie sie das in ihrer Gruppe handhabten. „Aus umweltschützerischen Gründen teilen wir uns zu viert ein Fahrzeug. Jeder von uns hat einen Führerschein und die Kosten und Reparaturen tragen wir gemeinsam. Wir haben uns für einen gasbetriebenen Kleinwagen entschieden und der Einfachheit halber ist der auf denjenigen von uns vier zugelassen, der die niedrigste Versicherungsprämie bezahlt-Holger-der Mann der mit mir Sven´s Trauerfeier gestaltet hat. Wir besitzen vier Schlüssel und der Wagen hat ein Ortungssystem installiert-Holger ist ein wenig Elektronikbastler. So kann jeder von seinem Handy aus erstens sehen wo das Fahrzeug gerade ist und außerdem gibt man einfach ein, wann man das Auto braucht-bei Überschneidungen haben wir uns natürlich abgesprochen, aber das hat eigentlich immer geklappt. In der Nacht vor seinem Verschwinden hatte Sven das Auto und das stand dann wohl auf der Straße vor seinem Haus und wurde morgens dort von Holger, der es für den nächsten Tag reserviert hatte, ahnungslos abgeholt. „Wo ist das Auto jetzt?“ fragte Semir aufgeregt-vielleicht war darin der Speicherstick zu finden. „Zufällig steht es seit gestern vor meinem Haus, aber von uns überlebenden Drei hat es heute keiner gebraucht!“ erklärte sie und Semir erhob sich nun eilig. „Wir suchen etwas Wichtiges was sich vielleicht in dem Wagen befindet!“ sagte er und Aurelia stand ebenfalls auf und holte aus einer Schublade einen Schlüssel. „Dann schauen wir doch einfach nach!“ befand sie und die drei verließen die Wohnung und die Krähe durfte mit, während Otto, der sich gerade auf den Weg zu seinem neuen Freund gemacht hatte, enttäuscht zurück blieb.


    Bruckner war derweil weggefahren und Ben machte nun mit der Reinigung der Katzentoiletten seiner absoluten „Lieblingsarbeit“ weiter. Gespannt wartete er darauf, dass Semir ihn zurückrief und ihm mitteilte, was er rausgefunden hatte.
    Bruckner war inzwischen nach Hause gefahren und hatte seine beiden Schäferhunde geholt. Er fuhr extra einen größeren Kombi, damit hinten zwei Transportboxen Platz hatten. Eine Impfung und Routineuntersuchung beim Tierarzt war bei beiden fällig und so machte er sich auf den Weg zur Praxis in Leverkusen, die das Tierheim und auch seine privaten Hunde betreute.

  • Semir war inzwischen mit Jenni und Aurelia am Fahrzeug angekommen. Ein weißer unscheinbarer Wagen stand vor ihnen und Aurelia öffnete einladend die Tür. Systematisch begann Semir sich umzusehen, aber auf den ersten Blick war nichts zu finden. In der Wagentüre auf der Fahrerseite steckte ein Stapel Briefumschläge mit einem Adressaufkleber Aurelia´s, dem Semir aber primär keine Bedeutung zumaß. „Wenn sie einverstanden sind, würde ich den Wagen gerne von unserem Kriminaltechniker durchsuchen lassen-wenn etwas zu finden ist, dann kriegt er es heraus. Dem Fahrzeug wird natürlich nichts passieren und sobald es fertig ist, bringen wir es wieder zurück!“ bat er und Aurelia nickte. Beim letzten Mal hatten sie beide ihre Visitenkarten mit den Handynummern hinterlegt und so konnte sie die zwar etwas ungewöhnliche, aber wie auch Jenni befand unheimlich nette Frau jederzeit erreichen. Semir rief Hartmut an und der versprach sich sofort ans Werk zu machen. So starteten wenig später Jenni in Aurelia´s Wagen und Semir wie gewohnt im BMW zur KTU.


    Ben hatte Bruckner nachgesehen und der hatte irgendwas von Tierarzt und Leverkusen gemurmelt, also war abzusehen, dass er wohl eine Weile wegbleiben würde. Was Mark aber vergessen hatte, war die Bürotüre abzuschließen, wie Ben sofort gehört hatte und so zog der dunkelhaarige Polizist aus seiner Geldbörse eine Karte, schob die in den Türschlitz und wenig später stand er im Büro-dieser Trick funktionierte doch immer wieder. Systematisch begann er die Schubladen und Ordner nach Beweisen zu durchsuchen. Allerdings fand er zwar die Nachweise der Fütterungen, Prüfbögen mit den tierärztlichen dokumentierten Untersuchungen der einzelnen Tiere im Verlauf, teilweise sogar mit Fotodokumentationen von Hautausschlägen und blutigen Wunden bei Hunden und Katzen die ein Futter bekommen hatten, das nicht geeignet war und auch einige Adressen in Polen und Tschechien, wo wahrscheinlich die Welpen und auch großen Hunde herkamen-das konnte man aus den Abrechnungen erkennen, aber es war in diesen Papieren kein Hinweis zu den beiden Morden zu finden. Ein großer Stapel Impfpässe, systematisch nach Zwingerbelegung sortiert lag bereit-ja da war Bruckner penibel und ordentlich, allerdings eben auch völlig skrupellos.
    Ben zog ein kleines Tütchen aus der Tasche. Er wusste nicht wer diesen Raum reinigte, er vermutete Bruckner selbst, aber auf jeden Fall waren hier drinnen ausschließlich Castor und Pollux, also würde er irgendwo schon ein paar Haare finden, das wäre doch gelacht! Er kroch ein wenig unter den Schreibtisch und dort sah er etwas, was ihm beim Anbringen der Wanze nicht aufgefallen war. Neben einigen Hundehaaren auf dem Boden, die er sofort eintütete, waren dort Blutspritzer an der Seitenwand und ein Gewebebatzen mit Haaren daran klebte ziemlich weit oben und nicht so leicht ersichtlich ebenfalls an der Schreibtischinnenseite. Ben lief ein kalter Schauer über den Rücken. Vermutlich hatte er den Ort an dem Heinze umgebracht worden war, gefunden! Eigentlich würde das für die Staatsanwaltschaft reichen. Wenn das tatsächlich Heinze´s Blut und Gewebe war, konnte sich Bruckner nicht mehr herausreden. Das und noch der Stick dazu mit den Belegen für Putz´s Ermordung dann hatten sie die beiden Mörder überführt. Wichtig war jetzt, dass er den Tatort so beließ und die Spusi die Spuren professionell sicherte. Wenn Bruckner zurückkam würde er die Mannschaft herbeordern, aber zuvor konnte er das nicht machen, denn der würde sicher sofort umdrehen und mit seinem Komplizen nach Thailand fliehen, wenn er die Polizeifahrzeuge vor dem Tierheim sah. Sorgsam ließ Ben seinen Blick schweifen, aber das Büro sah aus wie immer. So zog er die Tür wieder hinter sich ins Schloss und atmete erst einmal tief durch.
    Er würde nun einfach seine Arbeit weitermachen und zum Angriff blasen, wenn Bruckner zurück war. So begann Ben wieder Zwinger für Zwinger sauber zu machen und nebenbei telefonierte er mit Semir, der inzwischen in der KTU angekommen war und teilte dem mit, was er gefunden hatte.

  • Semir hörte aufmerksam zu. „Ben sei bloß vorsichtig! Die haben schon jemanden umgebracht, wenn Bruckner spitz kriegt, dass er aufgeflogen ist, wird er sich zu rächen versuchen!“ sagte er. „Ich werde unsere Mannen schon mal formieren, die Chefin informieren und du sagst Bescheid, sobald Bruckner eingetroffen ist. Zugleich schicke ich eine Streife zur Wohnung und zusätzlich dem Büro Dermolds, damit wir die beiden zeitgleich festnehmen können!“ begann er sogleich zu organisieren und legte auf.


    Bruckner hatte inzwischen beim Tierarzt seine Hunde ausgeladen. Das erste was sie dort verpasst bekamen war ein gut sitzender Maulkorb, denn auch der Veterinär traute den beiden scharf gemachten Bestien nicht und wollte seine Gesundheit nicht aufs Spiel setzen. Leider eignete sich die seit Generationen durchgezüchtete Rasse Deutscher Schäferhund hervorragend zu Schutzhundzwecken-die Tiere waren ihrem Herrn treu ergeben, hatten aber wenig Beißhemmung und viel natürliches Aggressionsverhalten und man konnte die dermaßen anstacheln, dass sie sich selber vergaßen. Außerdem wollten sie auch um jeden Preis ihrem Herrchen gefallen und würden deshalb einfach alles für ihn tun- so ein Tier konnte ja auch nicht zwischen gut und böse unterscheiden.
    Der Veterinär kontrollierte die Impfpässe, besprach mit Bruckner gegen was man diesmal impfen sollte und hörte die beiden dann nacheinander ab. Die beiden Rüden grollten als das Stethoskop ihre Brust berührte, aber die Maulkörbe saßen. Während er die Spritzen vorbereitete sagte der Tierarzt beiläufig. „Am Wochenende habe ich ihren neuen Tierheimmitarbeiter in der Stadt gesehen-der war in einem zivilen Polizeifahrzeug unterwegs-wussten sie das?“ fragte er und Bruckner wurde nun ganz blass. Plötzlich begann es in seinem Kopf zu rattern. Um Himmels Willen-das war eine Falle und anscheinend suchte die Polizei auf diesem Weg nach Beweisen. Verdammt noch mal-das hatten die aber raffiniert eingefädelt- er hatte keinerlei Verdacht geschöpft und als der Bewährungshelfer mit dem neuen angeblichen Exknacki vor ihm gesessen hatte, war er hoch zufrieden gewesen, die Drecksarbeit wieder abgegeben zu haben. Warum war er nur nicht misstrauischer gewesen? Die beiden Rüden bekamen ihre Spritzen, Bruckner nahm seinen Hunden die Maulkörbe wieder ab und schickte sie in die Transportboxen. Der Tierarzt mit osteuropäischem Hintergrund betreute die Tiere-er mahnte an, wenn die Fütterung absolut nicht passte, schrieb brav seine Befunde auf, aber sonst war er bekannt dafür nicht allzu viele Fragen zu stellen und hatte dafür einen gut dotierten Betreuungsvertrag mit dem privaten Tierheim-jeden Monat ein fester Posten der ihm schon mal ermöglichte in Leverkusen die Praxismiete zu bezahlen, da konnte er über manche Dinge hinwegsehen.


    Bruckner verabschiedete sich kurz, aber kaum saß er im Wagen rief er seinen Komplizen an: „Lutz-stell dir vor was mir mein Tierarzt gerade gesteckt hat!“ begann er und sein Freund hörte ihm aufmerksam zu. „Anscheinend ist mein neuer Mitarbeiter ein Polizeispitzel-auf jeden Fall hat ihn mein Tierarzt in einem zivilen Polizeifahrzeug gesehen!“ teilte er seinem Freund mit, der deswegen tief durchatmete. „Lutz-wir bringen jetzt den Polizisten zum Schweigen und dann hauen wir nach Thailand ab, wie wir es besprochen haben!“ bläute Bruckner dem anderen Mann ein und buchte daraufhin gleich online zwei Flüge nach Bangkok-Linie, da gabs die wenigsten Nachfragen!


    Semir war derweil nicht untätig gewesen. Er hatte die Chefin informiert, die ihrerseits die Staatsanwaltschaft in Kenntnis gesetzt hatte. „Das klingt ja gut-falls Herr Jäger tatsächlich Beweise für die Schuld Bruckners gesammelt hat werden wir den auf der Stelle verhaften und seiner gerechten Strafe zuführen!“ freute sich die Schrankmann und bereitete ihrerseits alles vor.


    Bruckner trat aufs Gas. Er war von einer unbändigen Wut erfüllt! Kaum hatte er sich sein behagliches Leben hier in Köln perfekt eingerichtet, kam da so ein dahergelaufener Polizist und stellte alles in Frage. Der würde dafür büßen-egal wie-das würde er entscheiden wenn es so weit war! Mit leisem Bedauern warf er einen Blick nach hinten, wo Castor und Pollux zusammengerollt in ihren Transportkäfigen lagen. Natürlich konnte er sie nicht mitnehmen-das würde erstens viel zu lange dauern und zweitens wusste er auch nicht, was er in Thailand mit diesen zwei dickpelzigen Tölen anfangen sollte. Dort gabs Hunde ohne Ende-wenn er einen haben wollte würde er den kaufen und nach seinem Gusto erziehen. Manchmal waren ihm die beiden sogar selbst ein wenig unheimlich, vor allem nachdem er die Überreste Heinze´s weggeräumt hatte!
    Menschenskinder, was war dieser Mann für ein Risiko eingegangen! Er war anscheinend aufs Garagendach geklettert als Lutz und er Michael Putz heimgesucht hatten. Von dort hatte er durchs Fenster ohne Blitz Fotos von der Ermordung geschossen und wenn er nicht abgerutscht wäre und Lärm gemacht hätte, hätten sie das gar nicht mitgekriegt! So hatten sie ihn verfolgt, erst zu Fuß und dann mit dem Wagen, aber er hatte immer einen gewissen Vorsprung vor ihnen gehabt und aus irgendwelchen Gründen auch die Polizei nicht verständigt. Allerdings hatten sie ihn dann in seiner Wohnung geschnappt, die Kamera mitgenommen in der aber schon kein Speicherstick mehr war, ihn ins Auto gezerrt und waren dann zum Tierheim gefahren, um ihn auszuhorchen. Als er ihnen nicht das mitteilte was sie hören wollten, hatten sie ihn gequält und letztendlich Castor und Pollux auf ihn losgelassen. Mark überkam ein leichter Übelkeitsanfall-was dann geschehen war, war nicht schön gewesen-es verfolgte ihn bis in seine Träume und er hatte seine Hunde ab diesem Moment mit anderen Augen betrachtet!
    Jetzt überzog ein diabolisches Lächeln seine Züge. Ein letztes Mal würden die Hunde tun dürfen, was ihrem Naturell entsprach und dann wäre er weg. Er würde auch nicht mehr zu seiner Wohnung fahren, sondern danach gleich zum Flughafen. Mit dem in Thailand gebunkerten Geld konnte er sich dort unten alles neu kaufen und früher oder später wäre er sowieso dorthin ausgewandert. Fast gleichzeitig mit Dermold, der einen gepackten Koffer dabei hatte-sein Weg war auch kürzer- kam er am Tierheim an.


    Ben, der gerade den Zwinger reinigte in dem Lucky saß und ihm freundlich schweifwedelnd nachlief, sah wie die beiden Fahrzeuge anhielten. Gleich rief er Semir an: „Semir-ihr könnt loslegen-Bruckner und sein Komplize sind soeben eingetroffen!“ gab er zufrieden durch und Semir startete sofort gemeinsam mit der Chefin und der ganzen Truppe. Ben schaltete seinen Kopfhörer wieder an, vielleicht würde er noch irgendwas erfahren, wenn sie ins Büro gingen, aber zu seiner Überraschung traten die beiden Männer schnurstracks zu ihm. Als er ihre Mienen sah, überkam ihn ein ungutes Gefühl. „Benni-komm sofort in mein Büro-wir haben was mit dir zu besprechen!“ sagte Bruckner drohend und Ben schluckte. Verdammt-irgendetwas ahnte dieser Mann. Er wusste zwar nicht, wie er aufgeflogen war, aber dem Ton nach zu urteilen wusste Bruckner Bescheid. Er hatte blöderweise keine Waffe bei sich-die hätte er unter der Latzhose schlecht verstecken können- und gerade als er überlegte einen Überraschungsangriff und danach einen Fluchtversuch zu starten, richtete Dermold drohend eine Waffe auf ihn. „Hände hoch und langsam rauskommen Bulle!“ sagte er und nun wusste Ben, dass er verloren hatte. Hoffentlich gab Semir Gas-er musste nur ein wenig Zeit gewinnen, dann wäre er gerettet und so kooperierte Ben nun, nahm die Hände hoch und verließ im Zeitlupentempo den Zwinger, dessen Tür Dermold inzwischen weit geöffnet hatte. Die Hunde hatten sich alle zurückgezogen. Sie spürten die Spannung in der Luft und aus Lucky´s Brust kam ein tiefes Grollen, aber sonst beobachtete er nur. Langsam trat Ben heraus und die Zwingertür fiel hinter ihm ins Schloss. Nun filzte ihn Bruckner, während ihn der andere weiter mit der Waffe in Schach hielt. „Was haben wir denn da?“ fragte er voller Wut, als er erkannte, dass das Gerät mit dem Knopf in Ben´s Ohr kein normaler MP3-Player war. Dann nahm er auch das teure Handy an sich und gemeinsam beorderten sie nun Ben ins Büro. „Wo ist die Wanze versteckt?“ fragte Bruckner grob und Ben überlegte, dass er am ehesten Zeit gewann, wenn er den Männern entgegen kam. Immerhin hatten die ja keine Ahnung dass der Zugriff in Kürze erfolgen würde und mit einer Hinhaltetaktik kam er am weitesten. Also wies er unter die Schreibtischplatte und Bruckner hatte das Überwachungsgerät mit einem Handgriff entfernt, auf den Boden geworfen und war drauf getreten. Außer sich vor Wut fragte er: „Was weisst du?“ aber Ben zuckte nur mit den Schultern.
    In diesem Augenblick läutete sein Handy. Eine unterdrückte Nummer war am anderen Ende und Bruckner stellte auf Lautsprecher, damit sein Komplize mithören konnte und sagte undeutlich „Ja?“ „Herr Jäger-bei Herrn Gerkhan ist immer belegt, drum rufe ich jetzt sie an“ ertönte es aus dem Telefon. „Hier spricht Aurelia-gerade ist mit der Post in einem unfrankierten Umschlag ein Speicherstick gekommen. Ist es das, was sie suchen?“ fragte sie aufgeregt und Ben stöhnte innerlich auf. Verdammt-hoffentlich konnte er diese Männer hinhalten bis Semir da war, nicht dass die sich noch an der Hexe vergriffen. „Schnell Aurelia, hauen sie ab-sie sind in Gefahr!“ rief er laut, aber in diesem Augenblick hatte er mit dem Knauf der Waffe schon eine verpasst gekriegt. Er ging einen kurzen Moment in die Knie und in diesem Augenblick hatte Bruckner endgültig beschlossen, ihn zu töten. „Los-wir holen uns noch den Stick und dann nichts wie weg!“ rief er seinem Komplizen zu und Sekunden später öffnete sich die Tür des Büros und Ben stand seinem persönlichen Alptraum in Form von Castor und Pollux entgegen, die sofort zum Angriff übergingen.

  • Mit einem leisen gefährlichen Knurren spielte das Hundeteam zusammen. Castor sprang Ben an, der gerade noch darum rang wieder auf die Beine zu kommen und brachte ihn durch die Wucht des Aufpralls von 35kg entschlossener Muskeln und Knochen zum Straucheln. Währenddessen hatte Pollux seine Zähne schon hoch schmerzhaft in Ben´s Arm versenkt, den er schützend nach oben gerissen hatte. Mit einem Aufschrei versuchte Ben den Arm zurückzuziehen, aber da hatte ihn Castor schon an der Hüfte gepackt und durch die Latzhose hindurch einen Fetzen Fleisch aus seinem Gesäß gerissen. Ben heulte auf, so unendlich stark waren die Schmerzen und er wusste nun, wenn Semir nicht innerhalb der nächsten Sekunden erschien, hatte sein letztes Stündlein geschlagen. Sein Handy lag auf dem Boden, wo die Verbrecher es zurück gelassen hatten, aber auch das würde ihm nichts nutzen, denn jetzt ging es um Sekunden. Im Unterbewusstsein hörte er draußen einen Motor aufheulen-jetzt würden Bruckner und sein Komplize sich auch noch Aurelia vorknöpfen und der nächste unschuldige Mensch der den Weg der skrupellosen Verbrecher kreuzte, würde das mit dem Leben bezahlen.
    Ben verfluchte sich innerlich wegen seiner Unvorsichtigkeit. Er hatte diese Männer unterschätzt und wie auch immer seine Tarnung aufgeflogen war, schon die Sache mit dem Handy hätte nicht passieren brauchen. Er hätte einfach ein älteres günstiges Modell zu nehmen brauchen, aber er war mal wieder zu faul gewesen, die wichtigsten Nummern dort rauf zu kopieren und hatte deshalb sein neues Teil behalten und gedacht, das würde sowieso keiner zu sehen kriegen. Außerdem hätte er hier nicht alleine ermitteln dürfen-das Risiko war viel zu hoch, wie man jetzt erkennen konnte. Dabei hatte er Sarah und Tim doch versprochen auf sich aufzupassen, was sich jetzt als unmöglich erwies. Ja seine Frau und sein Sohn-hatte er die heute Morgen zum letzten Mal gesehen? Naheliegend war es, denn schon wieder griff ihn Pollux an und während er verzweifelt versuchte auf den Bauch zu rollen, um seine Kehle zu schützen, wurde ihm der nächste Fetzen Fleisch aus dem Schulterbereich gerissen. Ben schrie wieder voller Qual und Panik auf und nun kannte Lucky, der zunächst unruhig winselnd in seinem Zwinger auf-und abgelaufen war kein Halten mehr.


    Der kluge Hund hatte bereits erkannt, dass die Zwingertüre nur ins Schloss gefallen und nicht verriegelt war. Das hatte er in seinem Leben schon mehrmals fertig gebracht, diese Tür zu öffnen und so begann er mit System mit seinen Zähnen geschickt den Riegel zurückzuziehen, bis die Tür plötzlich aufsprang. Wie der Blitz war Lucky draußen und rannte in die Richtung aus der Ben´s Entsetzensschreie drangen. Die Bürotüre war ebenfalls zu und Lucky hatte nach kurzem Scharren festgestellt, dass da draußen ein Knauf war und er es nicht schaffen würde, diese Tür zu öffnen. Deshalb drehte er wieder um und lief durch die offenstehende Außentür nach draußen. Dort hatten seine Zwingergenossen inzwischen begonnen sich umzusehen und schnupperten voller Entzücken an den Ecken und wälzten sich im weichen Gras. Der Rudelführer stand in Lucky´s Weg, aber wenn der auch sonst keine Gelegenheit ausließ sich mit ihm zu prügeln, ging der nun einen Schritt zur Seite als sein entschlossener grauer Zwingergenosse an ihm vorbeizischte. Lucky sah kurz nach oben und wieder tönte ein gurgelnder Hilfeschrei aus dem Büro, dessen Fenster bei der Hitze gekippt war. Mit Anlauf sprang der graue Riese hoch und wenig später sah Ben, dessen Rückseite sich inzwischen nach den Beißattacken anfühlte, wie wenn er durch einen Fleischwolf getrieben worden wäre, aus den Augenwinkeln einen schmalen grauen Schatten durchs Fenster sausen, dessen Scheibe klirrend zerbrach. Gerade hatten die beiden Hunde ihn durchs Zimmer gezerrt und versuchten an seine Kehle zu kommen, wo sie instinktgemäß ihre Beute töten konnten und dann aufreißen würden um an den wohlschmeckenden Bauchinhalt zu kommen, da war plötzlich Lucky über ihnen und griff mit einem entschlossenen Knurren in den Kampf ein. Ben hatte die Zähne des einen Hundes schon schmerzhaft an seinem Hals gespürt und war nun sicher gewesen zu sterben. Voller Liebe und Bedauern versuchte er den Schmerz auszuschalten und einen letzten Gedanken an Sarah und Tim zu schicken, da kam ihm Lucky zu Hilfe und nun entbrannte der nächste Kampf auf Leben und Tod.


    Semir und seine Truppe hatten sich sofort nach Ben´s Anruf auf den Weg gemacht. „Hoffentlich gelingt es Ben die beiden hinzuhalten bis wir da sind!“ sagte er zur Chefin, die bei ihm im BMW mitgefahren war. „In zehn Minuten sind wir da und dann ist der Spuk vorbei. Wir werden den Stick dann schon noch finden und auch wenn nicht-es sollte uns doch gelingen die beiden so zu verhören, dass wir ein Geständnis kriegen. Auf jeden Fall müsste doch die Indizienkette ausreichen, damit die beiden Verbrecher für eine lange Zeit hinter Gittern verschwinden!“ mutmaßte er und die Krüger pflichtete ihm bei. Plötzlich läutete sein Telefon und er hob ab-am anderen Ende war die Anzeige "unterdrückte Nummer" zu sehen. „Gerkhan!“ meldete er sich geschäftsmäßig, um in der nächsten Sekunde plötzlich blass zu werden, denn niemand anderer als Aurelia war dran. Sie rief laut schluchzend ins Telefon: „Schnell Herr Gerkhan-sie müssen ihrem Kollegen zu Hilfe kommen! Ich habe ihn vorhin angerufen, weil ihre Nummer immer belegt war und der wird gerade schrecklich von Hunden attackiert. Ich konnte mir das jetzt nicht mehr anhören, aber falls er noch lebt müssen sie ihn retten-sie können doch sicher sein Handy orten und rausfinden wo er ist!“ schrie sie aufgeregt ins Telefon. „Er hat mich zuvor noch gewarnt und gerufen, ich solle verschwinden, was ich gleich auch tun werde. Ich muss nur erst meine Tiere alle an einen sicheren Ort bringen und dann melde ich mich wieder bei ihnen!“ erklärte sie schnell, legte auf und nun trat Semir das Gaspedal durch.
    Bisher waren sie im Konvoi relativ langsam gefahren. Die beiden Kleinbusse der Spurensicherung, die Staatsanwältin mit Fahrer in einem separaten Wagen, eine Streife und eben Semir und die Chefin im BMW hatten sich zügig, aber ohne Hektik dem Tierheim genähert. Nun raste Semir, der Blaulicht und Sirene zugeschaltet hatte, voraus und heizte seinen Wagen, so dass sich die Chefin angstvoll am Türgriff festhielt. „Schicken sie eine Streife zu Aurelia´s Wohnung, geben sie eine Fahndung nach Bruckner und Dermold raus und dann beten sie zu Gott, dass Ben noch lebt, sonst weiss ich nicht was ich tue!“ rief Semir mit Tränen in den Augen und sein Herz fühlte sich an, als ob gerade eine eiskalte Hand nach ihm greifen würde.

  • Lucky stürzte sich voller Entschlossenheit auf Pollux, der sich in Ben´s Halsseite mit seinen Zähnen vergraben hatte, so dass dieser überrascht losließ und sich seinem neuen Feind zu wandte. Aus Ben´s Mund kam ein gurgelndes Röcheln und er bemerkte, dass es feucht an ihm hinunterlief, aber einen Augenblick lang ließen beide Bestien von ihm ab und stürzten sich stattdessen auf Lucky. Der war zwar nicht massig, aber unheimlich flink und so rollte sich binnen kurzem ein knurrender Ball kämpfender Hunde durchs Zimmer. Ben blieb einfach auf dem Bauch liegen und nahm seine Hände wieder nach oben, um Kopf und Hals zu schützen-zu mehr war er nicht mehr fähig und beobachtete aus dem Augenwinkel Lucky´s Kampf auf Leben und Tod. Die Tränen des Schmerzes und der Verzweiflung liefen aus Ben´s Augen. Dieser Hund, der sicher in seinem ganzen Leben noch nie etwas besonders Schönes erlebt hatte und für den auch er außer ein paar Streicheleinheiten noch nie was übrig gehabt hatte, war gekommen um ihm zu helfen und bereit sein Leben für ihn zu opfern. Wenn Pollux vorhin noch ein wenig tiefer gebissen hätte, wäre es für Ben vorbei gewesen, das fühlte er genau!
    Nun erfüllte ein Jaulen und Winseln den Raum und Castor leckte sich kurz die durchbissene Pfote, bevor er wieder in den erbitterten Kampf eingriff. Ben bemerkte, wie um ihn herum alles rot wurde, denn das kämpfende Hundeknäuel war ebenfalls inzwischen blutrot. Durch Ben´s Unterbewusstsein schoss der Gedanke: „Verdammt-dann können die Heinze´s Spuren ja gar nicht mehr sicherstellen!“ aber im selben Augenblick bemerkte er wie aberwitzig diese Gedanken waren-als ob das jetzt noch irgendeine Rolle spielen würde!
    Kurz darauf hörten die Hunde einen Moment zu kämpfen auf und als Lucky sich mühsam aufrichtete wurde es Ben bei dem Anblick beinahe schlecht. Der große graue Riese blutete aus vielen Wunden und auch ihm fehlten ganze Fetzen, außerdem hatte er sichtlich Schmerzen, aber gerade als Castor und Pollux sich wieder ihrem ersten Opfer, auf das Herrchen sie gehetzt hatte, zuwenden wollten, griff Lucky wieder entschlossen ein. Mit letzter Kraft griff der völlig erschöpfte Hund die erste der Kampfmaschinen an, trieb sie von Ben weg und verwickelte sie erneut in einen Kampf. Der andere Hund allerdings war nun wie ein Geschoß über Ben und öffnete gerade sein Maul zum finalen Tötungsbiss, da flog plötzlich die Bürotür auf, die Semir mit einem einzigen Tritt aus den Angeln gehoben hatte und ein Schuss ertönte. Ben bemerkte nur noch, wie ein schwerer Hundekörper auf ihn fiel und dann schwanden ihm die Sinne.


    Der andere Hund ließ von Lucky ab, der nun reglos am Boden lag, aber er war durch den Blutrausch so von Sinnen, dass er-obwohl selber schwer mitgenommen- Semir und die Chefin, die ebenfalls mit gezückter Waffe gerade ins Büro kam, angriff. Ein zweiter Schuss ertönte und mit einem Winseln brach auch der andere Hund tot zusammen. Semir sah voller Entsetzen auf das Blutbad das die Hunde angerichtet hatten. Um Himmels Willen-lebte Ben überhaupt noch? Auf jeden Fall lag er bewegungslos halb auf dem Bauch und hatte die Augen geschlossen. Semir war nun über ihm und zerrte erst den toten Hund zur Seite und während die Chefin zum Handy griff und fragte wo die Rettung blieb, die sie von unterwegs schon alarmiert hatte, drehte Semir seinen Freund auf den Rücken und prüfte die Vitalzeichen. Vor Aufregung zitternd konnte er erst keinen Puls tasten, aber erstens lief das Blut noch in stetigem Strom aus Ben´s Hals und das würde es wohl nicht tun, wenn er nicht mehr lebte und zweitens begannen in diesem Moment seine Augenlider zu flattern. „Ben-alles wird gut!“ sagte Semir voller Verzweiflung und befahl panisch der Chefin: „Schnell-ein sauberes Handtuch oder irgendwas, womit ich die Blutung stillen kann!“ und Sekunden später kam die mit einem frischen weißen Handtuch, das sie im Waschraum gefunden hatte, der unmittelbar neben dem Büro lag, zurück. Semir hatte gerade sein T-Shirt ausziehen wollen, um es auf die Wunde am Hals zu drücken, aber das hier war besser. Während Ben langsam das Bewusstsein wiedererlangte, presste Semir das Handtuch fest seitlich an den Hals seines Freundes und versuchte ihn zu beruhigen. „Ben-die Rettung ist gleich da, hab keine Angst!“ rief er mit zitternder Stimme und wusste im selben Augenblick, dass das eigentlich sinnlos war, denn wessen Angst hier im Raum größer war, konnte man so nicht sagen. Wenn Ben diesen Einsatz mit dem Leben bezahlte würde er seinen Dienst quittieren und mit dieser Schuld nie mehr fertig werden. Er als Dienstälterer hatte das Risiko unterschätzt und seinen Kollegen regelrecht geopfert! Wie sollte er das Sarah erklären und später einmal Tim, der nun vielleicht ohne Vater aufwachsen musste? Gerade als diese trüben Gedanken durch seinen Kopf schossen, sagte Ben leise: „Semir-bitte kümmere dich um Lucky-der hat mir das Leben gerettet!“ und nun sah Semir seinen Freund völlig überrascht an. Er hätte nicht gedacht, dass der überhaupt noch sprechen könnte, aber die Chefin hatte die Worte ebenfalls gehört und wandte sich nun dem reglosen grauen Fellbündel in der Ecke zu, während Semir nun den Kopf seines Freundes auf seinen Schoss bettete und mit dem Handtuch stetig weiter auf dessen Hals drückte.


    Ben sah zu Lucky hinüber und als sich die Chefin zu ihm hinunter beugte klopfte der graue Schwanz zweimal freundlich gegen den Boden und ein schmaler Kopf hob sich ein paar Millimeter, bevor er wieder erschöpft zurücksank.

  • Inzwischen waren auch die Kollegen der Spurensicherung eingetroffen und begannen schon erste Tatortfotos zu machen. Draußen liefen die Hunde wild durcheinander, spielten und bellten und ein paar der Polizisten war das Ganze nicht geheuer, so dass sie lieber im Fahrzeug blieben. Niemand hatte daran gedacht das Außentor, durch das Semir ohne anzuhalten geprescht war, wieder zu verschließen und so verteilten sich die Hunde im Gelände und gingen auf Wanderschaft und es herrschte ein gepflegtes Chaos als endlich der Notarztwagen eintraf. Auch Frau Schrankmann war vors Büro getreten und hatte hinein gelugt, musste sich dann allerdings wieder abwenden, weil ihr übel wurde. Die Rettungskräfte wurden eingewiesen und so ließ sich wenig später der Notarzt neben Ben und Semir auf den Knien nieder, um die Lage erst einmal zu checken. Er stellte sich vor und fragte Ben, erstens um dessen Bewusstseinszustand zu überprüfen und zweitens um ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, nach seinem Namen und seinem Geburtsdatum, was der zwar mit schwacher Stimme, aber richtig beantworten konnte. Die beiden Sanitäter hatten zunächst auf den blutbesudelten Boden ein Laken geworfen um ihre Ausrüstung nicht zu beschmutzen und sich auch selbst hinknien zu können und dann klebte der eine schon mal Überwachungselektroden auf Ben´s Brustkorb und schlang um den einen unverletzten Oberarm die Blutdruckmanschette. Semir hielt seinen Freund halb seitlich liegend, denn dessen ganzer Rücken war rohes Fleisch und er hätte sicher schreckliche Schmerzen gehabt, wenn er da direkt darauf gelegen wäre. Der Arzt hatte mit routiniertem Blick und tastenden Händen erst einmal seinen Patienten von Kopf bis Fuß regelrecht gescannt und war nun zu dem Schluss gekommen, dass die wohl gefährlichste und schwerste Verletzung im Halsbereich zu finden war, gegen den der kleine Polizist verzweifelt ein inzwischen blutgetränktes weißes Handtuch presste.
    „Darf ich mir das mal ansehen?“ fragte er freundlich und nahm Semir das Handtuch entschlossen aus der Hand. Ein Loch klaffte an Ben´s Hals und als der Druck nachließ floss das Blut wieder in stetigem Strom aus der Wunde. „Bitte eine Gefäßklemme!“ forderte der Notarzt ruhig und einer der Sanitäter lief schnell zum RTW, der unmittelbar vor der Tür parkte und holte das gewünschte steril eingeschweißte Instrument. Der andere Rettungsassistent legte Ben derweil am unverletzten Arm einen Zugang, was der aber kaum mitbekam, denn nun durchdrang ihn ein starker Schmerz und ließ ihn laut aufschreien, als der Arzt mit dem kleinen Klemmchen in die Wunde fasste und kurzerhand die große Halsvene abklemmte, die für diese Blutung verantwortlich war, dann das Instrument mit sterilen Kompressen abpolsterte und liegenließ. „Tut mir leid-sie bekommen jetzt gleich etwas gegen die Schmerzen!“ entschuldigte sich der Arzt und wollte nun vom Sanitäter wissen wie der Blutdruck war, um das richtige Medikament auszuwählen. „ Neunzig zu sechzig“ kam die knappe Antwort und so orderte der Notarzt Ketamin bei seinem Assistenten, spritzte eine Dosis und wenig später bemerkte Semir wie die vor Schmerz angespannten Muskeln seines Freundes ein wenig lockerer wurden und seine Augen fast zufielen. Die Sauerstoffsättigung war gut, trotzdem legte man Ben nun eine Maske an, aber nachdem er durchaus bei Bewusstsein war und alle Schutzreflexe funktionierten bestand kein Anlass ihn jetzt auf der Stelle für den Transport zu intubieren-das sollten die in der Klinik entscheiden was sie zu tun gedachten.
    Der eine Sanitäter engagierte nun einen Mann der Spurensicherung um die Infusionsflasche hoch zu halten, damit Ben genügend Volumen bekam und dann zog man dem Patienten erst einmal die Gummistiefel aus und schnitt ihm die Latzhose vom Leib, um sich die anderen Verletzungen ansehen zu können. Jeder der den Raum betrat und die beiden toten Schäferhunde und den grauen Riesen in der Ecke sah, konnte sich vorstellen wie die Verwundungen entstanden waren.


    Lucky hatte sogar kurz geknurrt als Ben geschrien hatte, aber die Chefin hatte sich mit Tränen in den Augen neben den ebenfalls schwer verletzten Hund gekniet und den sanft gestreichelt und so war er wieder still gewesen. „Der fällt uns jetzt aber nicht an?“ vergewisserte sich einer der Sanitäter, aber Kim Krüger schüttelte den Kopf. „Der hat unseren Kollegen gegen die beiden Tötungsmaschinen verteidigt, das ist ein ganz Lieber, aber können sie denn nichts für ihn tun, dem geht es ebenfalls sehr schlecht?“ fragte sie, aber der Notarzt schüttelte den Kopf. „Ich bin kein Veterinär-wir können ihnen höchstens ein Tragetuch da lassen, damit sie ihn schonend in die nächste Tierklinik transportieren können, aber wir werden jetzt zügig mit Herrn Jäger ins Krankenhaus fahren-wo sollen wir denn hin?“ wollte er wissen. „In der Uniklinik ist mein Freund schon bekannt!“ informierte Semir den Arzt und der nickte und sagte zu seinem Assistenten: „Wir decken die Verletzungen nur steril flächig ab und dann mach gleich mal über die Leitstelle eine Voranmeldung dass wir in einer Viertelstunde im Schockraum sind“ und wenig später legte man Ben so sanft wie möglich auf die Trage, diesmal zwar auf die Verletzungen, weil man ihn sonst nicht anschnallen konnte, aber er hatte nochmals ein Schmerzmittel bekommen, so dass es für ihn erträglich war. Ben hatte die Augen kurz geöffnet als er umgelagert und aus den Armen seines Freundes genommen wurde. „Semir bleibst du bei mir?“ fragte er rau und als der Notarzt zustimmte, nickte Semir. „Ich lass dich nicht mehr alleine!“ antwortete er und Ben schloss beruhigt wieder die Augen und überließ sich dem Medikament, das seine Sinne vernebelte. Als man die Trage hochstellte und aus dem Zimmer fuhr heulte Lucky kurz auf und war dann wieder still, als ihn die Chefin weiter tröstend streichelte. Semir kletterte mit in den NAW und man zeigte ihm den Sitz wo er sich anschnallen konnte. Während sich das Fahrzeug in Bewegung setzte griff Semir wieder nach Ben´s Hand und war erst mal einfach nur froh dass der lebte.

  • Kaum war Ben abtransportiert wurde die Chefin aktiv. Sie zückte ihr Handy und während die Spurensicherer ihre Arbeit taten, beauftragte sie Susanne erstens die nächste Tierklinik herauszusuchen und zweitens einen Hundeführer zu alarmieren-der würde am besten wissen, was man jetzt machte. Zufällig war der gerade ganz in der Nähe und als die Chefin kaum Jenni und Bonrath kontaktiert hatte, die sie zur Unterstützung der Streife zu Aurelia´s Wohnung beorderte, stand schon der erfahrene Hundler vor ihr und Lucky. „Na mein Guter!“ sagte er weich und streichelte ebenfalls den grauen Riesen, der dankbar seine Hand leckte. Er beugte sich herunter und sagte: „Er muss so schnell wie möglich in die Klinik-wir können nicht warten bis sich ein Tierarzt her bequemt und die Tierrettung in Köln ist leider nicht sonderlich gut organisiert. Wir legen ihn jetzt vorsichtig auf das Tragetuch!“ wies er die Chefin an „und ich fahre dann so schnell wie möglich in die Klinik mit ihm. Danach komme ich wieder zurück und fange die restlichen Hunde da draußen ein, aber diese Sache hat oberste Priorität!“ erklärte er und als die Chefin ihm nun noch erzählte, dass Lucky Ben Jäger vermutlich das Leben gerettet hatte, machte er sich mit noch mehr Eifer und Sachverstand daran, den schwer verletzten Hund so vorsichtig wie möglich auf das Tragetuch zu ziehen. Lucky winselte zwar vor Pein, aber er merkte, dass diese Menschen ihm nur helfen wollten und begab sich vertrauensvoll in deren Hände. Außerdem strahlte der Hundeführer auch eine dermaßen ruhige Autorität aus, dass sich fast jeder Hund gerne von ihm leiten ließ. So fassten dann die Chefin, der Hundeführer und zwei Polizisten das Tragetuch an den Griffen und trugen vorsichtig ihre lebende Fracht zum Wagen des Hundeführers, der Lucky auf der Ladefläche neben der Transportbox seines Diensthundes ablegte. Der sah interessiert heraus und sein Herrchen sagte nur kurz: „Mach Platz Arco und sei lieb zu deinem Kumpel, der ist nämlich ein Held!“ und der Schäferhund in der Box legte sich sofort hin und schaute freundlich durch die Gitterstäbe. Er war ein hervorragender Schutzhund der in der Familie mit den Kindern seines Herrn gut sozialisiert lebte, war ausgezeichnet erzogen und im Grunde seines Herzens eine Seele von einem Hund. Allerdings konnte man auch den an-und ausknipsen, wie es beliebte, nur waren die Triebe dieses Hundes immer kontrollierbar und er arbeitete voller Freude im Team mit seinem Herrchen. War allerdings ein flüchtiger Verbrecher zu stellen oder auch bei den regelmäßigen Übungen am Hundeplatz, dann war dieser Hund ein Ernst zu nehmender Gegner und so mancher böse Bube hatte sich schon schier in die Hose gemacht wenn er von ihm angegriffen und gestellt wurde.


    Der Hundeführer startete und nun überlegte die Chefin, setzte sich aber dann in Semir´s BMW der mit steckendem Schlüssel vor dem Tierheim stand und auch nur leicht verbeult war und gab ins Navi Aurelia´s Adresse ein. Kurz gab sie der Staatsanwältin Bescheid, die momentan am Tatort bleiben würde, aber dann trat sie aufs Gas. Kaum war sie losgefahren rief sie wieder Jenni und Bonrath an. „Wie sieht´s aus-sind sie inzwischen an der Wohnung? Ich bin übrigens auch gerade auf dem Weg dorthin!“ fragte und informierte sie ihre Mitarbeiter und Jenni, die eben die Treppe erklommen hatte sagte: „Die Kollegen sind bereits vor Ort, aber von Aurelia ist hier keine Spur. Dermold´s Wagen steht vor dem Haus im Halteverbot, aber da ist niemand drin. Die Wohnungstür steht offen und ein paar Tiere sind noch in der Wohnung, aber einige fehlen auch!“ erklärte sie, indem sie durch die Zimmer ging. Ihr Freund der schwarze Kater saß verängstigt auf einem Schrank in der Ecke und beobachtete, was die fremden Menschen machten. Auch Otto hatte sich zwischen die wildwuchernden Blumenstöcke und Bäume, die die Wohnung in eine Art Urwald verwandelten zurückgezogen und fauchte leise. Ein Vogelbauer und zwei Kleintierkäfige fehlten, die anderen beiden Katzen waren weg und auch die Krähe war nirgendwo zu entdecken. „Chefin-wir befragen jetzt die Nachbarn, ob die was gesehen haben und ob sie eine Ahnung haben, wohin Aurelia verschwunden sein könnte!“ mischte sich Bonrath ein und dann unterbrachen die Polizisten das Gespräch und läuteten an der nächsten Wohnungstüre.


    Semir hatte unterwegs sein Handy gezückt. „Darf ich?“ fragte er den Notarzt, der prüfend die Überwachungsgeräte musterte und der nickte. „Ich meine ja nur-man hat uns irgendwann mal eingebläut, dass Handys Medizingeräte stören könnten-drum wollte ich zuvor fragen, aber ich muss seiner Frau Bescheid geben!“ sagte er zu dem Doktor und der lächelte ein wenig. „Das war in der Anfangszeit der Handys auch so, nur sind inzwischen sowohl die Mobiltelefone selber als auch die Medizingeräte alle so gut abgeschirmt, dass das kein Problem mehr darstellt-machen sie nur“ erlaubte er und so wählte Semir Sarah´s Nummer. Die war gerade mit Tim im Park und hatte den bei dem wunderschönen Sommerwetter zu ein paar anderen Kleinkindern in eine Sandkiste gesetzt, wo er voller Begeisterung mit einer kleinen Schaufel auf den Sand drosch und gluckste. Als ihr Telefon läutete und sie Semir´s Profilbild erkannte ging sie lächelnd ran. „Semir was gibt´s?“ fragte sie und verhinderte gleichzeitig dass Tim eine Hand voll Sand in seinen Mund schob. „Sarah ich habe leider schlechte Nachrichten-ich bin gerade mit Ben im Notarztwagen auf dem Weg in die Uniklinik. Er wurde von zwei Schäferhunden heftig attackiert und ist schwer verletzt!“ informierte er sie und als Antwort kam nur ein ersticktes Schluchzen aus dem Hörer. „Sarah-er lebt und ist bei Bewusstsein und ich bleibe bei ihm bis du da sein kannst. Ich frage gleich mal Andrea ob sie Tim nehmen kann und melde mich dann nochmal bei dir!“ sprach Semir weiter und legte auf, um danach kurz seine Frau anzurufen. Ben hatte derweil mühsam seine Augen geöffnet und lallte: „Hättest du ihr das jetzt nicht schonender beibringen können?“ und Semir sah ihn überrascht an. „Wie meinst du das jetzt, hätte ich sagen sollen ein Pinscher hat dich gezwickt und wenn sie dann kommt fällt sie in Ohnmacht wenn sie dich sieht-nein das ist schon richtig so, vergiss nicht, deine Frau ist Profi!“ gab er ihm retour und dann war schon Andrea am Apparat. „Andrea-kannst du bitte auf Tim aufpassen, falls es irgendwie geht? Ben wurde schwer verletzt und kommt ins Krankenhaus. Sarah weiss schon Bescheid, aber sie braucht einen Babysitter!“ fragte er und Andrea versprach das sofort mit Sarah abzuklären. So legte der kleine Polizist beruhigt auf und griff erneut nach der Hand seines Freundes. „Das wird schon wieder Ben, das wird schon wieder!“ murmelte er und drückte sie ganz fest.

  • Der Hundeführer war mit Lucky in der Klinik angekommen. Dort war auch sein Hund schon behandelt worden und als er an der Rezeption kurz Bescheid gegeben hatte, kamen zwei Tierarzthelferinnen mit einem fahrbaren Tischchen heraus auf das man Lucky mitsamt dem Tragetuch hievte. Sofort wurde er als Notfall deklariert und ein Tierarzt der gerade mit einer Routineuntersuchung beschäftigt gewesen war ließ alles stehen und liegen und kümmerte sich um ihn. Lucky bekam sofort einen Zugang an einem Vorderlauf gelegt. Wie bei einem Menschen nahm man ihm Blut ab und bestimmte die Notfallparameter, gab ihm ein Schmerzmittel und schloss eine Infusion an. „Ein sehr schöner Deerhound!“ sagte der Tierarzt anerkennend und der Hundeführer sah ihn überrascht an-er war der Überzeugung gewesen Lucky sei ein kunterbunter Mischling und sein hundisches Schönheitsideal sah wahrlich anders aus. „Mich wundert ja dass sich so ein Hund in eine Beisserei verwickeln lässt! Diese Rasse ist normalerweise hochintelligent und sehr friedfertig gegenüber Menschen und Artgenossen. Das sind richtig vornehme Hunde-ich habe privat nämlich auch zwei zuhause!“ plapperte der Veterinär weiter, während er Lucky gründlich untersuchte, der sich alles ohne Gegenwehr gefallen ließ. „Wir werden ihn in Narkose legen, einen Ultraschall machen, seine Wunden versorgen, sehen ob er innere Verletzungen hat und ihn beobachten. Sie können heute Abend einmal bei uns anrufen, dann kann ich ihnen sagen wie die OP verlaufen ist.“ gab er dem Polizisten Bescheid. An der Rezeption wurden noch die Daten aufgenommen und bei der Frage nach der Kostenübernahme gab der Hundeführer ganz frech die Staatskasse an, die auch die Tierarztkosten für seinen Diensthund trug. Das würden sie schon irgendwie hinbekommen!
    Gerade wollte er gehen, da kam die Tierarzthelferin auf ihn zu, die Lucky mit versorgte. „Wir haben gerade seine Blutwerte bekommen-er hat sehr viel Blut verloren und braucht eine Transfusion. Wie sie vermutlich wissen ist Spenderblut rar und bei der ersten Transfusion muss man auch noch nicht so auf spezielle Merkmale achten-praktisch käme jeder große erwachsene Hund in Frage!“ sagte sie und nun fasste der Hundeführer einen Entschluss. „Ich lasse ihnen Arco da, allerdings wäre es mir lieber, einer seiner Zwingergenossen würde spenden, denn sonst braucht mein Diensthund ein paar Tage Pause. Ich fahre zum Tierheim zurück und bringe ein oder zwei große Hunde mit, die sie als Spender verwenden können, aber falls es eilt nehmen sie natürlich Arco Blut ab!“ sagte er, holte seinen Schäferhund aus dem klimatisierten Wagen und gab ihn der Tierarzthelferin in die Hand. „Arco brav sein-du kennst dich hier ja aus-Herrchen kommt bald wieder!“ sagte er und als er wieder nach draußen ging sah ihm die Helferin lächelnd nach. Wenn es nur mehr solch vorbildlicher Hundeführer mit dermaßen netten Hunden gäbe-da waren sie oft anderes gewohnt!
    Der Hundeführer fuhr zum Tierheim zurück und mittels einiger gefüllter Futterschüsseln gelang es ihm ziemlich schnell die ausgebüxten Hunde wieder einzufangen. Er entschied sich für die beiden Massigsten und lud die dann in sein Auto und fuhr schnurstracks wieder in die Klinik. Man hatte mit der Transfusion noch warten können, aber Lucky, der auch innere Verletzungen erlitten hatte wurde gerade von zwei Tierärzten operiert. Der Polizist konnte warten bis man den beiden Hunden eine mittlere Menge Spenderblut abgenommen hatte und dann brachte er die beiden wieder zurück in ihr bisheriges Zuhause. Zuvor hatte er schon mit dem Tierheim in Dellbrück telefoniert und die Lage dort geschildert. „Wir schicken ein paar Freiwillige zur Versorgung der Tiere, bis die Rechtslage geklärt ist!“ versprach ihm die Leiterin und nun atmete der tierliebe Polizist auf-gut dass hier wenigstens jemand bereit war unkompliziert und ohne Bürokratie den Tieren zu helfen! Er holte nun noch seinen Arco ab und machte dann nach kurzer Rücksprache mit seiner Dienststelle Feierabend. Nach dem Abendessen mit der Familie machte er noch einen langen Spaziergang mit seinem Hund, der dabei auch Hundekumpels traf und mit denen ausgelassen durch den Park tobte. „Arco sei mal froh, dass du nicht in die Hände von dieser Hundemafia gefallen bist!“ bemerkte er, als er sich auf den Heimweg machte und sein Schäferhund sah ihn mit treuem Blick schweifwedelnd an.


    Ben war inzwischen in der Uniklinik angekommen. Solange man ihn nicht bewegte ging es einigermaßen mit den Schmerzen, aber beim Umlagern in der Notaufnahme stöhnte er laut auf und begann vor Schmerz und Erschöpfung zu zittern. Der Aufnahmearzt hatte sich kurz Übergabe durch den Notarzt machen lassen und dann wandte er sich seinem neuen Patienten zu. „Guten Abend Herr Jäger!“ sagte er und machte die große Lampe über der Untersuchungsliege an, um sich die Verletzungen genauer zu betrachten. Von vorne war eigentlich nur der verletzte Arm zu sehen um den die Sanitäter einfach ein Verbandtuch gewickelt hatten und eben der dicke Verband am Hals. „Ich habe die Vena Cava interna, die ziemlich verletzt ist, einfach mal abgeklemmt-darüber hat er denke ich ziemlich viel Blut verloren. Das müsst ihr entscheiden ob ihr die ligiert, oder einen Gefäßchirurgen ranlasst!“ sagte der Notarzt. „In diesem Alter werden wir die ligieren-der Körper hat da ausreichende Umgehungskreisläufe-ich werde das dann gleich tun.“ gab der Aufnahmearzt seinem Kollegen Bescheid, der zustimmend nickte. Der Arzt nahm nun den Verband am Arm ab und man konnte sehen, dass Ben´s Unterarm eine zirkuläre Bissverletzung hatte und tiefblau verfärbt war. Durch ein paar Tests stellte der Chirurg fest: „Wir haben es hier auf jeden Fall mit einer Sehnenverletzung und sogar einer fraglichen knöchernen Verletzung zu tun, die wir dann röntgen werden. Sagt mal-was war denn das für eine Bestie, die ihn da angefallen hat?“ fragte er, denn er hatte nur die Vorinformation Hundebissverletzung erhalten. „Das waren zwei-und warte mal bis ihr ihn gedreht habt, dann wirst du dir das überlegen, ob du nochmal einen Schäferhund streichelst!“ sagte der Notarzt und nun fassten mehrere Hände mit an und beim Anblick von Ben´s Rückseite sagte nun der Aufnahmearzt nur erschüttert: „Ach du liebe Güte!“ und ordnete sofort eine weitere Dosis Schmerzmittel an.

  • Bonrath und Jenni hatten inzwischen an der ersten Tür geläutet, aber da machte niemand auf. Ein Stockwerk höher öffnete eine alte Frau, nachdem sie durch den Türspion geblickt und die Uniformen gesehen hatte. „Guten Tag-wir kommen wegen ihrer Nachbarin!“ sagte Jenni und die Dame wollte aufgeregt wissen: „Wegen Aurelia?“ und Jenni nickte. „Wir suchen sie-können sie uns vielleicht sagen wo die hingegangen sein könnte?“ fragte nun Bonrath, aber zuvor musterte das Weiblein mit zusammengekniffenen Augen den langen Polizisten. „Aber nur wenn sie sie nicht verhaften-ich weiss nämlich ganz sicher dass Aurelia ein herzensguter Mensch ist und nichts angestellt hat. Die hilft mir wo sie kann, kauft für mich ein und ich kann sie immer anrufen wenn ich was brauche!“ erklärte die alte Dame und nun beeilte sich Jenni zu versichern: „Nein, nein-sie hat uns verständigt-wir wollten ihr zu Hilfe kommen!“ und jetzt nickte die Frau zufrieden. „Sie war gerade dabei ihre Tiere in den Dachboden zu bringen-warum weiss ich nicht- sie ist nur ein paarmal mit Käfigen an meiner Wohnungstür vorbei nach oben gelaufen. Dann habe ich Stimmen gehört die sich gezankt haben und als ich dann die Haustür unten zufallen gehört habe, habe ich beim Fenster hinausgesehen. Sie ist mit zwei Männern Richtung Park gelaufen, aber glücklich hat sie nicht ausgesehen!“ erklärte die kleine Spionin und Jenni bedankte sich. „In welche Richtung ist sie gegangen?“ vergewisserte sie sich und die Dame sagte: „Zur Haustüre raus und dann rechts!“ und nun waren Jenni und Bonrath schon unterwegs. Jenni sagte leise zu ihrem Kollegen, während sie die Treppe hinunterrannten: „Wenn du so eine Nachbarin hast brauchst du keine Geheimnisse mehr!“ und Bonrath nickte schweigend. Sie baten im Vorbeiweg die Streifenkollegen die Stellung zu halten und vielleicht mal den Dachboden in Augenschein zu nehmen und im Laufschritt nahmen sie dann die Verfolgung auf.
    Auf der Straße war außer normalem Feierabendverkehr und eilig nach Hause strebenden Anwohnern wenig los, aber sie konnten Aurelia und ihre Begleiter nirgends entdecken. Kurz darauf waren sie am Park angelangt und standen nun ratlos da. Wohin sollten sie sich wenden? Es gab viele mögliche Verstecke-hier ein Gebüsch, dort die Uferzone eines kleinen Weihers, hohe Bäume, ein Kinderspielplatz! Dieser grüne Gürtel der Köln durchzog war sehr weitläufig und man konnte da ohne eine Straße zu überqueren von der Altstadt durch halb Köln gelangen-es war fast unmöglich ohne nähere Angaben dort jemanden zu finden. In diesem Augenblick rief die Chefin auf Jenni´s Handy an: „Ich bin jetzt an der Wohnung und die Kollegen sagen, sie wären zu Fuß unterwegs-wo zum Teufel stecken sie und haben sie die Frau gefunden?“ wollte Kim Krüger wissen, aber Jenni musste leider verneinen, gab aber dann ihren Standort durch.
    In diesem Augenblick wurde ihre Aufmerksamkeit auf etwas gelenkt. Eine Krähe hatte sich unmittelbar zu ihren Füßen niedergelassen und musterte interessiert ihre Schuhbändel. Bonrath wollte sie wegscheuchen, aber Jenni gebot ihm Einhalt. „Na meine Süße-kannst du uns zeigen wo dein Frauchen ist?“ fragte Jenni freundlich und streckte den Arm aus, worauf sich der Vogel ohne Umschweife setzte. Dieter sah Jenni an als hätte sie den Verstand verloren, aber als nun die Krähe, nachdem sie kurz noch voller Begeisterung Jenni´s Mütze untersucht hatte, aufflog und ein paar Meter weiter auf einer Bank sitzen blieb und die beiden Polizisten auffordernd ansah, folgte ihr Jenni und Bonrath schloss sich zögernd an. „Das glaubt mir doch keiner, dass ich auf meine alten Tage jetzt im Einsatz noch Raben verfolge!“ stöhnte er, aber Jenni sagte nichts darauf, sondern ging einfach zügig weiter in die Richtung, die der Vogel vorgab.


    Sarah hatte inzwischen zitternd Tim eingepackt, der protestierend brüllte als sie ihn von den anderen Kindern und dem tollen Sand weg in den Buggy packte. Sie gab ihm zur Besänftigung einen Keks und nun hörte er sofort auf zu weinen und begann voller Begeisterung den Butterkeks zu lutschen und sich einzusauen. Gerade war sie los gelaufen, da läutete erneut ihr Handy und jetzt war Andrea dran. „Sarah-ich habe schon gehört! Soll ich kommen und Tim abholen, oder magst du ihn uns bringen, wenn du ins Krankenhaus fährst? Ich bin da und er kann auch bei uns übernachten, die Mädchen freuen sich. Ich habe morgen zufällig sowieso frei, also mach dir mal keine Sorgen wegen der Kinderbetreuung, ich mach das gerne und dann kannst du dich um Ben kümmern!“ bot sie ihr an und Sarah erklärte nach kurzer Überlegung dass sie Tim vorbeibringen würde. Semir war bei Ben, das war einfach tröstlich für sie und sie würde jetzt einfach so schnell wie möglich etwas zusammenpacken und dann starten. So machte sie es und war wenig später mit ihrem Sohn im Wagen unterwegs erst zu den Gerkhan´s und dann ins Krankenhaus. Sie wollte sich gar nicht vorstellen wie schlimm ihr Mann verletzt war, aber sie konnte es ja eh nicht ändern, sondern nur versuchen ihm beizustehen.

  • Auch Semir erschauerte als er unter dem gleißenden Licht der OP-Lampe Ben´s Kehrseite sah. Irgendwie hatte er das zwar im Büro des Tierheims auch wahrgenommen, aber da war erst Kleidung darüber gewesen, dann hatte er die Blutung am Hals gestillt und danach war er damit beschäftigt gewesen Ben stabil auf der Seite zu halten und zu trösten und er hatte keinen Blick mehr darauf verschwendet. „Würden sie bitte draußen warten-wir holen sie dann herein wenn unser Patient versorgt ist?“ bat ihn die Ambulanzschwester, aber da hatte Ben sich schon hilfesuchend an Semir´s Hand festgeklammert. „Nein-er soll dableiben!“ stieß er unter Zittern und beinahe den Tränen nahe hervor. Trotz Sedierung und Schmerzmedikation war ihm gerade alles zu viel und er brauchte jetzt einfach jemanden an seiner Seite dem er vertraute! Semir sah unsicher um sich-er wusste nicht was er tun sollte, aber da kam ihm schon ein junger Arzt zu Hilfe, der im selben Augenblick den Raum betrat. „Hallo Ben, was tust du denn schon wieder bei uns?“ fragte er und strich dem tröstend über die Schulter, nicht ohne zuvor die Verletzungen mit routiniertem Blick beurteilt zu haben. Zu seinem Kollegen gewandt, der mit Ben noch keine Bekanntschaft gemacht hatte, sagte er: „Das ist der Mann einer unserer Intensivschwestern-ich war erst letzte Woche auf deren Hochzeit eingeladen! Sarah hat mich gerade angerufen und gebeten, dass ich nach ihm sehe. Sie bringt eben noch ihren Sohn zu einer Freundin und kommt dann sofort her. Ah-und wir haben uns letzte Woche auch kennengelernt Herr Gerkhan-sie waren doch der Trauzeuge?“ fragte er und entzerrte dadurch die Situation. „Gut, wenn das so ist dürfen sie natürlich dableiben!“ bestimmte der Aufnahmearzt und Semir schenkte ihm ein warmes Lächeln deswegen.
    Nun drehte man Ben doch noch einmal kurz auf den geschundenen Rücken und der Ambulanzdoktor zog sich Haube und Mundschutz an, ließ sich nach der chirurgischen Händedesinfektion sterile Handschuhe anreichen und ein Fadenpäckchen öffnen. Kurz hatte er überlegt ob eine Lokalanästhesie sinnvoll war, aber dann entschieden, dass die Schmerzmedikation durchaus ausreichend sein müsste. „Es wird an ihrem Hals jetzt mal kurz zwicken!“ informierte er seinen Patienten und wie selbstverständlich hatte sein Kollege ebenfalls sterile Handschuhe angezogen und sich kurz eine Überblick über die Lage der Klemme an Ben´s Hals verschafft. „Ah die Jugularis Interna ist verletzt!“ sagte er, während er die Kompressen schon in den Abwurf schmiss. „Ich werde sie nur ligieren!“ sagte der Aufnahmearzt und der Anästhesist nickte dazu. „Der Notarzt hat gemeint es wäre eine andere Vene und da hätten wir selbstverständlich die Gefäßchirurgen rangelassen, aber ich denke die Jugularisvene können wir bedenkenlos abbinden!“ sagte er und sein Kollege stimmte zu. Der Narkosearzt hielt die Klemme senkrecht nach oben und sein Kollege schlang einen sterilen, auflösbaren Vicrylfaden um die Basis. Mit einer speziellen Knüpftechnik machte er einen Knoten und schob den über den Gefäßstumpf, woraufhin er ihn fest anzog. Er machte darauf noch einen zweiten Knoten und nun öffnete sein Kollege die Klemme und legte sie beiseite. Das große Halsgefäß war nun abgebunden, der Narkosearzt schnitt mit einer sterilen Schere noch die Fadenenden ab, legte einen Verband an und sagte dann mit einem Lächeln zu seinem Patienten, der keinen Mucks von sich gegeben hatte, nur Semir´s Hand hatte er fest umklammert: „Jetzt waren sie sehr tapfer-wir haben die Halsvene abgebunden, denn in ihrem Alter brauchen wir da noch keine Gefäßprothese. Ihr Körper besitzt an dieser Stelle genügend Umgehungskreisläufe durch die das Blut zum Herzen zurückfließt-nach einer kurzen Umstellungsphase werden sie da nichts mehr davon bemerken!“ erklärte er, aber Ben wollte ihm eigentlich gar nicht zuhören, sondern lieber ein wenig vor sich hindösen-gehalten von Semir, der schon aufpasste dass hier alles richtig lief!


    „Wir machen jetzt erst noch eine Röntgenaufnahme des Unterarms, bevor wir uns der chirurgischen Versorgung des Rückens zuwenden. Außerdem möchte ich einen zweiten Zugang und nehme dann auch gleich Blut ab, damit wir wissen wo wir stehen!“ ordnete der Aufnahmearzt an und so deckte man Ben mit einem Laken zu, nahm ihm mehrere Blutröhrchen ab, die gleich ins Labor kamen und fuhr ihn dann kurz in die Röntgenabteilung, die direkt neben der Notaufnahme lag. Dort musste Semir vor der Tür warten, aber sobald Ben fertig war, nahm er wieder wie selbstverständlich den Platz an seiner Seite ein. Man brachte die beiden wieder zurück in die Notaufnahme und besah sich dort am PC die Röntgenbilder. Ben dämmerte die ganze Zeit in einem Zustand zwischen Wachen und Schlafen vor sich hin. Er war mit Schmerzmitteln, die auch eine sedierende Wirkung hatten, abgedeckt, sein Kreislauf war recht stabil und ein größerer weiterer Blutverlust lag auch nicht vor.
    Der Aufnahmearzt hatte inzwischen seinen Hintergrundarzt, einen Unfallchirurgen dazu gerufen und der beurteilte die Röntgenaufnahmen. „Der Radius ist zwar gebrochen, steht aber ganz ordentlich. Wenn wir die Sehne nähen und dann eine Gipsschiene anlegen können wir uns die Osteosynthese sparen. Haben sie schon ein Breitbandantibiotikum gegeben?“ fragte er den Aufnahmearzt. Der schüttelte den Kopf, ordnete dann aber in Absprache mit seinen Kollegen sofort eines an, das wenig später als Kurzinfusion in Ben tropfte. Nun drehte man ihn wieder zur Seite, damit der Unfallchirurg sich den Rücken ebenfalls besehen konnte. Auch er erschrak über den Anblick, sagte aber dann. „Allzu viel können wir eigentlich gar nicht machen. Hundebissverletzungen gelten als hoch septische Wunden, weil da unheimlich viele Keime drin sind, also können wir nicht zunähen. Wir werden ein paar Wundränder versäubern, damit das zerfetzte Gewebe entfernt ist und in die beiden tiefen Wunden an Schulter und Gesäß, die groß sind, dass eine Faust darin Platz hat, eine Drainage einlegen und vielleicht die Wundränder ein wenig adaptieren, aber ansonsten muss das von innen nach außen heilen und jeden Tag eine ausführliche Wundtoilette gemacht werden. Die Sehnennaht am Arm könnten wir mit einer Plexusanästhesie machen-also wegen mir brauchen wir auch keine Allgemeinnarkose!“ sagte er und sprach nun Ben direkt an, der ihn mit schläfrigen Augen ansah und eigentlich gar nicht so richtig peilte was man von ihm wollte. „Herr Jäger-wir müssen eine Sehnennaht am Arm machen, dazu würden wir den Arm mit einer Leitungsanästhesie betäuben-sind sie damit einverstanden?“ fragte er und Ben nickte. „Am Rücken können wir leider aktuell nicht allzu viel tun, wir machen das ein bisschen sauber, legen ein paar Drainagen ein und dann können sie auf die normale Station!“ kündigte er an und nun lächelte Semir. Es war keine Rede von Intensiv, niemand winkte mit Schläuchen und Kathetern, anscheinend war es doch nicht so schlimm wie es auf den ersten Blick ausgesehen hatte!

  • Jenni und Bonrath waren der Krähe gefolgt, die immer ein paar Meter vor geflogen war, sich dann wieder auf den Boden gesetzt, sich umgesehen und ein wenig gehüpft oder gelaufen war, um die beiden Uniformierten aufschließen zu lassen und dann zielgerichtet wieder weitergeflogen war. „Und du bist dir sicher, dass sich dieser Vogel kein Späßchen mit uns erlaubt?“ keuchte Bonrath, nachdem sie schon eine ziemliche Strecke zurückgelegt hatten. Jenni zuckte mit den Schultern, aber da waren sie schon in der Nähe eines dichten Gebüschs angekommen und hörten plötzlich einen erstickten Hilferuf. Jenni hob warnend die Hand und legte den Finger auf ihre Lippen, was aber nicht nötig gewesen wäre, denn Bonrath hatte das Geräusch ebenfalls wahrgenommen, war stehen geblieben, hatte seine Waffe gezogen und entsichert und Jenni tat es ihm nach. Vorsichtig schlichen sie in geduckter Haltung näher und hörten nun schon einen Mann sprechen: „Wenn du glaubst, dass wir uns von dir veräppeln lassen, dann bist du aber schief gewickelt!“ sagte er mit unterdrücktem Zorn in der Stimme. „Sag jetzt sofort wo du den Stick versteckt hast, sonst wirst du es büßen uns in die Irre geführt zu haben. Wir haben schon zwei Menschen umgebracht-na vermutlich eher drei, wenn Castor und Pollux ihre Arbeit richtig machen-da kommt es auf einen mehr oder weniger auch nicht mehr an!“ sagte er und Jenni erschrak als sie das hörte. Verdammt-diese kaltblütigen Mörder hatten nicht vor, Aurelia laufen zu lassen, denn Bruckner hatte soeben vor ihr zugegeben Heinze und Putz ermordet zu haben und das Attentat auf Ben, der das ja Gott sei Dank überlebt hatte, wie sie von der Chefin wussten, ebenfalls.


    Wieder keuchte Aurelia auf und als die beiden Polizisten vorsichtig durch die Blätter lugten, sahen sie, dass Dermold Aurelia von hinten festhielt und ihr die Waffe an den Kopf presste, während Bruckner nervös vor ihr auf und ab patroullierte. „Los-wir haben nicht unendlich viel Zeit-jetzt sag wo du den Stick versteckt hast, sonst hat dein letztes Stündlein geschlagen!“ fuhr Bruckner sie grob an.
    Jenni überlegte fieberhaft, was sie tun könnten. Anscheinend hatte nur Dermold eine Waffe. Wenn es ihnen gelang den von Aurelia abzulenken und zu entwaffnen, hatten sie eine Chance das Ganze unblutig zu beenden, ansonsten waren die beiden Männer zu allem bereit und hatten auch keine Skrupel. Aurelia sagte trotzig: „Ich werde ihnen nicht sagen wo der Stick ist-die Polizei ist schon verständigt und sie werden ihre gerechte Strafe bekommen-nicht nur wegen den Morden an meinen Freunden, sondern auch für das, was sie diesen armen Tieren über die Jahre hinweg angetan haben. Die Mutter Natur ist gütig, aber sie vergisst auch nichts und ihre Rache wird fürchterlich sein!“ sagte sie mit leicht zitternder Stimme und nun lachte Dermold spöttisch auf und zog ein wenig an Aurelia´s wallender Haarmähne, was sie zum Aufschreien brachte. In diesem Augenblick geschahen ein paar Dinge gleichzeitig. Die Krähe, die einen Beobachtungsposten auf dem nächsten Baum eingenommen hatte kam, nachdem Aurelia aufgeschrien hatte, im Sturzflug angeflogen und fuhr Dermold mit ihrem spitzen Schnabel und ihren scharfen Krallen ins Gesicht, so dass der überrascht beide Arme hochriss, um seine Augen zu schützen, ein Schuss löste sich und im selben Augenblick stürzten Jenni und Bonrath mit vorgehaltener Waffe aus dem Gebüsch und schmissen sich auf Dermold, um den zu entwaffnen und ihm Handschellen anzulegen, was ihnen auch binnen Kurzem gelang.
    Aurelia hatte nur laut und entsetzt: „Agathe!“ geschrien und irgendwie war plötzlich eine Menge Blut überall und als Jenni zum Telefon griff, um einen Krankenwagen anzufordern und die Chefin zu verständigen, bemerkte sie, dass Bruckner verschwunden war.„Kümmere dich um Aurelia!“ rief Jenni Bonrath zu und brach schon aus den Büschen, um die Verfolgung aufzunehmen, aber erst konnte sie ihn nirgends entdecken und als sie dann eine Gestalt wahrnahm, die sich in der Deckung vieler großer Bäume fortbewegte, war er schon ziemlich weit von ihr entfernt. Aufgeregt wählte Jenni die Nummer der Chefin-den RTW hatte sie schon angerufen-und schrie ins Telefon: „Frau Krüger-wir haben den einen Verdächtigen festgenommen, aber Bruckner flieht durch den Park Richtung Straße in südlicher Richtung-ich versuche ihn zu verfolgen, weiss aber nicht ob ich das schaffe!“ rief sie und die Chefin, die mit dem BMW hinter der Absperrung gestanden hatte, überlegte nicht lange, sondern fuhr ein paar Meter zurück, um mit Anlauf die Schranke zu durchbrechen, was Semir´s BMW die nächsten Beulen einbrachte und die Stoßstange wegfliegen ließ. Mit Vollgas raste die Chefin in die Richtung die Jenni ihr gesagt hatte und tatsächlich konnte sie Bruckner erkennen, wie der direkt auf die vielbefahrene mehrspurige Straße zulief. Sie versuchte ihm in bester Semir-Manier den Weg abzuschneiden, aber da war er schon die kleine Böschung hinuntergelaufen, hatte sich vor das nächstbeste Auto gestellt, das mit quietschenden Bremsen anhielt, zerrte die verdutzte Fahrerin grob heraus auf die Straße und raste mit Vollgas mit dem gestohlenen Wagen davon.
    Kurz überlegte die Chefin, aber dann nahm sie allen Mut zusammen und rauschte mit Karacho die Böschung hinunter, was die nächsten Blechteile des silbernen BMW wegfliegen ließ, kam mit einem Riesenrumms auf dem Asphalt auf, was die nachfolgenden Autos zu Vollbremsungen und Drehern zwang - sie sah noch aus den Augenwinkeln die entsetzten Blicke der Frau, die sich mit einem Hechtsprung von der Straße auf die Böschung in Sicherheit gebracht hatte- und während sie hinter sich Blech auf Blech schrammen hörte und der nachfolgende Verkehr zum Erliegen kam, raste sie mit dem schwer mitgenommenen Polizeifahrzeug dem Flüchtigen hinterher.

  • Jenni war derweil zu Bonrath und Aurelia zurückgekehrt. Dieter hatte den Verbrecher kurzerhand mit den Handschellen an die nächste Parkbank gefesselt, damit sich der nicht vom Acker machen konnte. Aurelia saß mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Boden, den Rücken an einen großen Baum gelehnt und hielt schützend und mit Tränen in den Augen ihre Krähe auf dem Schoß, die da in Schockstarre auf dem Rücken lag und sich nicht mehr rührte. „Agathe-du hast mir das Leben gerettet-bitte, du darfst nicht sterben!“ weinte sie und strich ihr mit der unverletzten Hand immer wieder zärtlich über den Bauch, aber der Vogel bewegte sich nicht. Dieter stand ein wenig hilflos daneben und Jenni sah mit einem Blick, dass Aurelia wohl einen Schuss in den Oberarm abbekommen hatte, der zwar blutete, aber anscheinend nicht lebensbedrohlich war. Sie ging neben der Frau in die Knie und berührte ebenfalls zart den Vogel. „Sie hatte sicher bei ihnen das schönste Leben, das man sich als Krähe so vorstellen kann!“ sagte sie sanft, da öffnete Agathe plötzlich ein Auge und stieß einen krächzenden Schrei aus. „Sie lebt!“ rief Aurelia glücklich und nun untersuchte Jenni auch den Vogel, dessen Flügel schlaff herunterhing und blutete. Dieter war inzwischen aus dem Gebüsch getreten und hatte den RTW eingewiesen, der mit Blaulicht suchend durch den Park fuhr. Der Sanitäter kümmerte sich um Aurelia, machte eine provisorischen Verband am Arm und sagte: „Ich denke wir brauchen keinen Notarzt zufordern-die nächste Klinik ist nur ein paar Querstraßen weiter!“ und man half der verletzten Frau nun ins Fahrzeug zu steigen, legte ihr dort eine Infusion gegen den Schock und Jenni übernahm behutsam die Krähe und bekam vom Sanitäter noch ein warmes Tuch gereicht, in das sie den Vogel hüllte. „Aurelia-ich bringe sie sofort in die Tierklinik und sage ihnen dann Bescheid, wie es ihr geht!“ versprach Jenni und Aurelia nickte unter Tränen.
    Inzwischen waren auch zwei Streifenfahrzeuge eingetroffen, das eine nahm Dermold mit und mit dem anderen wurden Dieter, Jenni und die Krähe zu ihrem Fahrzeug gebracht und waren wenig später schon auf dem Weg in die Tierklinik, die Aurelia ihnen gewiesen hatte, weil die sich gut mit Rabenvögeln auskannte. Durch den Funk wurden inzwischen immer wieder Meldungen durchgegeben von einem flüchtenden Fahrzeug, das von einem silbernen Polizei-BMW verfolgt wurde. Allerdings wurden in diesem Zusammenhang auch gleich wieder Streifen angefordert, die damit zusammenhängende Unfälle aufnehmen sollten und Jenni sagte grinsend zu Dieter, der ebenfalls mit Blaulicht-immerhin hatten sie einen Rettungseinsatz-Richtung Tierklinik brauste: „Da sieh mal an-jetzt ist es mal die Chefin, die die Stadtautobahn und die Zubringerstraßen in Schutt und Asche legt-das wird Semir gefallen-na außer halt sein Wagen, um den wird es ihm leid tun!“ und Dieter nickte.


    Wenig später waren sie an der Klinik angelangt, übrigens derselben in der Lucky gerade operiert wurde und ein Vogelspezialist übernahm Agathe, die sich auf Jenni´s Schoß zusammengekauert hatte. „Na Vögelchen-lass dich mal ansehen!“ sagte der Tierarzt begütigend, passte aber sehr auf, dass er nicht gehackt wurde, denn so ein Krähenschnabel konnte ganz schön Unheil anrichten. Schnell stand fest, dass Agathe´s Flügel durch die Kugel gebrochen war, allerdings war es ein glatter Durchschuss. „Sie bekommt jetzt etwas gegen die Schmerzen und für den Kreislauf und dann schienen wir den Flügel. Sie muss ein paar Tage bei uns bleiben, aber sie wird wieder!“ verkündete er und Jenni streichelte den klugen Vogel. „Agathe-jetzt musst du dableiben, aber sobald dein Frauchen wieder zuhause ist, bringe ich dich zu ihr!“ sagte sie tröstend und hatte das merkwürdige Gefühl als würde die Krähe jedes Wort verstehen.
    Jenni war gerade im Begriff zu gehen und die Tierarzthelferin nahm eben noch die Personalien und die Kontaktadresse auf, da wurde Lucky aus dem OP gefahren. Jenni erkannte ihn sofort, denn Semir hatte ihn ihr bei ihrem Tierheimbesuch gezeigt und so trat sie neben das fahrbare Tischchen auf dem der noch schlafende Hund mit einem Ganzkörperanzug über dem Verband und einer Infusion im Lauf lag. „Wie geht es ihm?“ fragte sie mitleidig und streichelte vorsichtig über das zottelige graue Fell. „Nicht so gut-er hat die OP zwar überlebt, aber er hatte schwere innere Verletzungen und einen immensen Blutverlust, den wir sogar mit Transfusionen behandeln mussten. Die nächsten Tage werden erst zeigen ob er es überlebt!“ sagte die Tierarzthelferin im grünen OP-Gewand, die das Tischchen schob. Jenni ging noch mit bis in die Krankenstation wo Lucky nun in eine Box mit Fussbodenheizung gebracht wurde und dort auf einem großen Kissen flach ausgestreckt hingelegt wurde. Man hängte noch die Infusion auf und schloss dann die Tür. „Gute Besserung Lucky!“ sagte Jenni leise, bevor sie sich mit Dieter wieder auf den Weg zu Aurelia´s Wohnung machte.


    Im Krankenhaus hatte Ben inzwischen eine Plexusanästhesie bekommen. Semir hatte fasziniert zugesehen wie man erst Ben´s Achselhöhle sauber rasiert und desinfiziert hatte und dann der Narkosearzt mit einer langen dünnen Nadel genau dort einstach und den Nervenplexus, der den Arm versorgte, aufsuchte. Immer wieder wurde er gefragt, wann es elektrisierte und als er dann ein Gefühl angab, als wenn Stromstöße durch seinen Arm bis zu den Fingern jagen würden, spritzte der Arzt genau dorthin eine größere Menge Lokalanästhetikum. Man hatte auf den verletzten Unterarm noch Elektroden aufgeklebt, die die Leitung der Nervenströme maßen und nun hieß es warten, dass der Arm taub wurde und man operieren konnte. Aus dem Labor waren inzwischen die Befunde eingetroffen, aber außer einer leichten Erhöhung der Leukozyten und einem durch die Blutung erniedrigten Hb-Wert, der mit 8,8 g/dl bei einem jungen Menschen aber nicht transfusionspflichtig war, waren keine weiteren Auffälligkeiten feststellbar. So saß nun Semir neben seinem Freund, hielt dessen gesunde Hand und sah zu, wie der vor sich hindämmerte.

  • Etwa 15 Minuten später zeigten die Nervenströme an, dass Ben´s Arm gefühllos war. Man fuhr ihn in den kleinen OP, der neben der Notaufnahme lag, legte einige sterile Kompressen auf die offenen Wunden und wickelte dann mit einer Gummibinde den Arm straff von den Fingern bis zum Oberarm, schlang über den eine spezielle Manschette die aussah wie die eines Blutdruckmessgeräts, aber mehr als nur einen Klettverschluss hatte, damit sie auch den Druck hielt und pumpte dann die Manschette auf 300mm/Hg auf. Dann nahm man die Gummibinde weg und Semir sah verwundert, dass Ben´s Arm nun völlig blutleer wirkte. Nun wurde der Arm gründlich von den Fingerspitzen bis über den Oberarm dreimal desinfiziert und Semir fand, dass das aussah, als wäre es ein Leichenarm, so weiss und ohne Leben war der und er erschauerte. Semir bekam wieder seinen Platz neben Ben zugewiesen und auf der anderen Seite lagerte man dessen Arm nun auf ein steriles Tischchen aus, deckte ihn mit sterilen Tüchern ab, so dass nur noch die scharfe Bissverletzung mit der gerissenen Sehne darin zu sehen war und der Unfallchirurg und ein Assistent machten sich grün vermummt im Sitzen daran, diese in der Tiefe aufzusuchen und die Enden zu vernähen. Auch diese Wunde konnte man nicht komplett verschließen, man versäuberte noch die zerfetzten Wundränder, vernähte den Bereich den man vorher aufgeschnitten hatte, unterband einige Blutgefäße, deren leere Gefäßstümpfe von außen zu sehen waren und das Ganze lief ab, ohne dass auch nur ein Tropfen Blut geflossen war. Man hatte auch mit dem Anbringen der Blutleere eine Zeitschaltuhr gestartet, denn erstens musste die Dauer dokumentiert werden und außerdem durfte bei Eingriffen in Blutleere die Zeit von 90 Minuten nie überschritten werden, weil es dann zu Gewebeschäden kam-das war hier allerdings überhaupt kein Problem, denn nach zwanzig Minuten war der Eingriff beendet und man öffnete nun die Blutleere und sah gespannt auf die Wunde, ob die Blutstillung auf effektiv gewesen war, als das Blut wieder begann im Arm zu zirkulieren. Dank der Plexusanästhesie hatte Ben von dem Ganzen überhaupt nichts mitgekriegt, denn ab der Schulter war sein Arm wie ein Stück Holz und er fühlte weder Schmerz noch konnte er ihn bewegen. „Gut-die Blutstillung war korrekt!“ befand der Operateur und so legte man erst einen sterilen Verband an und wickelte danach mit in Wasser getauchten Gipsbinden einen aktuell zirkulären Gipsverband um den Arm bis zum Ellbogen, den man dann nach dem Aushärten aufsägen und als Gipsschiene verwenden würde, denn auch hier galt das Prinzip der septischen Wunde-tägliche Wundkontrolle und Verbandwechsel- und man musste einfach mit Schwellungen und Sekretabsonderungen rechnen.


    Inzwischen war Sarah in der Notaufnahme eingetroffen und die Schreibkraft am PC schaute nach, wo Ben sich gerade befand. In einem derart großen Haus war das wichtig, da man sonst den Überblick verlieren würde und so konnte Sarah, die zuvor Tim mit einer Menge Zeug und einem Reisebettchen bei Andrea abgegeben hatte, ihn finden. Gott sei Dank fremdelte Tim gerade überhaupt nicht und außerdem kannte er sowohl Andrea als auch die Mädchen gut und gluckste nur so vor Vergnügen, als sie das Krabbelkind auf den Boden setzte und er sofort mit Ayda und Lilly zu spielen begann. Er kriegte gar nicht mit als Sarah ging und sie bemerkte zu Andrea: „Wenn er sich nicht beruhigen oder zu Bett bringen lässt ruf mich an-ich komme dann natürlich!“ sagte sie und Andrea antwortete: „Jetzt fahr erst mal ins Krankenhaus und melde dich dann und sag Bescheid wie es Ben geht-wir kommen mit dem jungen Mann schon zurecht!“ beruhigte sie sie und aus dem Wohnzimmer ertönte schon ein dreistimmiges Lachen, soviel Quatsch machten die Mädels gerade mit dem kleinen Prinzen.


    Die Chefin hatte inzwischen Verstärkung zugefordert und war dem flüchtigen Bruckner zwar auf den Fersen, aber immer wieder fuhr der einen Vorsprung heraus. Drei Streifenfahrzeuge errichteten eine mobile Straßensperre, aber Bruckner gab Gas und durchbrach die ohne mit der Wimper zu zucken. Während die Streifenbeamten, die auf ihn angelegt, aber nicht damit gerechnet hatten, dass er nicht bremsen würde, fluchend zur Seite hechteten und Gott dankten, dass keiner von ihnen überrollt worden war, schlängelte sich die Chefin mit dem arg mitgenommenen BMW durch die entstandene Lücke und setzte die Verfolgung fort. Eines der Streifenfahrzeuge war noch fahrbereit und die beiden Beamten sprangen hinein und hefteten sich ebenfalls an die Fersen von Bruckner und der Chefin, aber die wilde Verfolgungsjagd quer durch Köln ging weiter. Kim Krüger hing konzentriert hinter dem Steuer des zerbeulten BMW und bemerkte gar nicht, wie eine Art Jagdfieber von ihr Besitz ergriffen hatte und das Ganze begann ihr sogar Spaß zu machen. Im lokalen Verkehrsfunk wurden immer wieder Meldungen durchgegeben und ein zufällig mit dem Helikopter reisendes Fernsehteam eines bekannten Fernsehsenders entdeckte die wilde Verfolgungsjagd aus der Luft und begleitete nun von oben und vor allem auch mit der Kamera die Flucht. Ohne es zu wissen wurde Kim Krüger live auf Sendung geschaltet und die Schrankmann, die inzwischen von ihrem Fahrer nach dem Tierheim zuhause abgegeben worden war, traf beinahe der Schlag als sie den Fernseher einschaltete. Ihre erste Reaktion als sie den silbernen BMW erkannte war: „Gerkhan!!!“ aber als dann die Kamera von oben auf das Gesicht der Fahrerin zoomte, konnte Isolde Maria es fast nicht glauben, aber auch sie konnte ihren Blick nun nicht mehr von der Mattscheibe wenden, wie viele andere interessierte Kölner Bürger ebenfalls.

  • Sarah betrat den kleinen OP gerade in dem Moment, als der Gipsverband komplett fertig war. Mit zwei Schritten war sie an der Seite ihres Mannes und betrachtete ihn aufmerksam. Sie hatte sich die schlimmsten Gedanken gemacht als Semir sie angerufen hatte-Ben von Hunden zerfleischt, sein Gesicht in Fetzen-irgendetwas Derartiges hatte sie sich vorgestellt, aber jetzt lag er eigentlich ganz friedlich auf dem Rücken, hatte einen dicken Verband am Hals und eine Gipsschiene am Arm-anscheinend hatte Semir doch übertrieben. Der erhob sich jetzt und machte den Platz an Ben´s Seite frei. „Schön dass du kommen konntest-ich muss jetzt mal sehen, ob die Verbrecher die Ben das angetan haben, inzwischen verhaftet sind!“ sagte er und Sarah nickte, gab ihrem Mann einen zärtlichen Kuss auf die Stirn und nahm jetzt ihrerseits die Hand, die Semir gerade losgelassen hatte. Ben machte die Augen auf und lächelte, als er Sarah sah-jetzt war er zufrieden. Semir wandte sich gerade zum Gehen da sagte Ben noch: „Bitte erkundige dich nach Lucky-der hat mir das Leben gerettet!“ und Semir versprach das baldmöglichst zu tun.


    Als Semir das Krankenhaus verließ musste er durch den Wartebereich der Notaufnahme, wo ein Fernseher hing, um die-wie in jeder Ambulanz- oft lange Zeit Wartenden ein wenig abzulenken. Beiläufig schweifte sein Blick über den Bildschirm und plötzlich meinte er seinen Augen nicht trauen zu können. Aus der Helikopterperspektive sah man eindeutig seinen BMW, der ziemlich zerbeult war und der schwarz aus dem Auspuff rauchte, wie der ein flüchtiges Fahrzeug verfolgte. Dann wurde auf das Gesicht der Fahrerin gezoomt und Semir erkannte die Chefin, die mit einem Blick den Semir nur zu gut kannte-das Jagdfieber hatte sie gepackt-hinter dem flüchtenden Wagen herjagte. Die Kameraleute brachten nun auch das Gesicht des flüchtigen Fahrers in Nahaufnahme-das war Bruckner! Nun sah man die Sache wieder von oben-Semir konnte ein ganzes Stück hinter seinem BMW noch ein Streifenfahrzeug erkennen, das aber ziemlich weit abgeschlagen war und nun sah er auch, in welchem Teil Kölns sich die Verfolgungsjagd abspielte! Die waren Richtung Innenstadt unterwegs und würden, wenn Bruckner nicht abbog, in Kürze am Krankenhaus vorbeikommen!
    Nun kam Leben in Semir. Er rannte so schnell er konnte nach draußen und sah sich suchend um. Ein Taxifahrer stand mit der Zeitung auf der Motorhaube am Taxistand vor seinem Fahrzeug und vertrieb sich die Zeit mit Lesen. Im Laufen zog Semir seinen Dienstausweis: „Polizei-ihr Fahrzeug ist beschlagnahmt!“ rief er und während der verdutzte Fahrer seine Zeitung vom Boden aufhob, die ihm vor Schreck hinuntergefallen war, war Semir schon hinters Steuer des Mercedes gehechtet und hatte den Motor angelassen, denn der Schlüssel steckte. Mit quietschenden Reifen schoss Semir vom Parkplatz und fuhr Richtung Zubringerstraße. Kaum an der Kreuzung angekommen konnte er schon Bruckner erkennen, der mit zusammengekniffenen Augen hinter dem Steuer des gekaperten Wagens saß und versuchte zwischen den ahnungslosen anderen Autofahrern hindurch Land zu gewinnen und zu verschwinden. Als er in den Rückspiegel sah, glitt ein triumphierendes Lächeln über sein Gesicht-er hatte den BMW abgehängt! Allerdings hatte er nicht mit Semir gerechnet, der in diesem Augenblick aufs Gas trat und Bruckner von der Seite schnitt. Erschrocken verriss Mark das Steuer, touchierte ein paar geparkte Fahrzeuge und erkannte dann hinter dem Steuer des Taxis, das ihn bedrängte, diesen Gerkhan, der ihn schon wegen Putz verhört hatte.
    Er biss die Zähne zusammen und schob das Unterkiefer vor-er würde sich nicht kampflos ergeben und ohne Rücksicht auf Verluste trat er aufs Gas und schoss zwischen ein paar vor einer Ampel wartenden Fahrzeugen durch, wechselte auf den Gehweg und entsetzte Fußgänger sprangen zur Seite und Radfahrer kippten mit ihren Zweirädern um, als erst ein roter Wagen und direkt danach ein Taxi an ihnen vorbei bretterten. Bruckner überquerte bei rot eine Ampelkreuzung, was den kreuzenden Verkehr zu Vollbremsungen zwang und den einen oder anderen Auffahrunfall mit Blechschaden verursachte. Bruckner sah sich gehetzt um-irgendwie war außer dem freien Weg in eine Einbahnstraße gerade jeder Fluchtweg durch Fahrzeuge versperrt und so gab er Vollgas und verschwand in der engen Gasse gegen die Fahrtrichtung-Semir mit seinem Taxi direkt auf den Fersen.


    Die Chefin war an Bruckner dran gewesen, bis der sich immer mehr dem Zentrum genähert hatte und sie auf ahnungslose Passanten, unschuldige Kinder auf ihren Fahrrädern, eben dem ganzen abendlichen Kölner Stadtverkehr nach der Rushhour Rücksicht nehmen musste. Außerdem hatte der BMW zu rauchen begonnen, die Motorleistung nahm ab, im Display erschien: „Bitte Ölstand prüfen“ und ein Warnton ertönte. Beim großen Friedhof hatte sie Bruckner auf einmal verloren. Sie hielt an, griff zum Funk und sprach endlich mit Susanne, die schon die ganze Zeit versucht hatte sie zu erreichen. „Schnell geben sie eine Fahndung raus-ich habe Bruckner auf Höhe des Melatenfriedhofs verloren, er flieht Richtung Innenstadt!“ schrie sie ins Funkgerät und Susanne sagte nur ruhig: „Ich weiss-und mit mir vermutlich tausende Kölner-sie sind live auf Sendung im Lokalfernsehen und werden es vermutlich sogar bis in die Hauptnachrichten schaffen. Ein Fernseh-Team im Helikopter filmt sie schon eine ganze Weile!“ sagte sie und als die Chefin nun die Tür öffnete und nach oben blickte konnte sie das Geräusch des tief fliegenden Hubschraubers erkennen, der sich gerade Richtung Zentrum entfernte. „Bruckner darf uns nicht entkommen!“ rief die Chefin, aber Susanne sagte zuversichtlich ins Funkgerät: „Das wird er nicht, denn er hat jetzt Semir auf den Fersen!“ und nun atmete die Chefin erleichtert auf, runzelte allerdings die Stirn wie der das wohl hinbekommen hatte.


    Bruckner hatte durch die Einbahnstraße beschleunigt und war nun wieder zuversichtlich, denn wie durch ein Wunder war kein einziges Fahrzeug in der engen Straße. Allerdings schloss das Taxi hinter ihm nun mehr und mehr auf, woraufhin er nochmals aufs Gas ging und die Geschwindigkeit erhöhte. Kurz vor dem Ende der Einbahnstraße bog in diese nun plötzlich ein großer LKW ein und da war jetzt kein Durchkommen mehr. Bruckner trat auf die Bremse und brachte seinen Wagen haarscharf vor der Stoßstange des LKW zum Stehen, riss die Tür auf und flüchtete weiter zu Fuß. Auch Semir bremste, sprang aus dem Wagen und rannte so schnell er konnte hinter dem Flüchtenden her, der allerdings schon einigen Vorsprung hatte. Der bog nun in eine enge Gasse ein und als Semir ebenfalls um die Kurve raste, hatte er ihn aus den Augen verloren.
    Blitzschnell hatte Semir zum Telefon gegriffen und Susanne´s Nummer gewählt. Der Helikopter war nämlich unmittelbar in ihrer Nähe und Semir konnte sogar erkennen, wie der Kameramann fast aus der geöffneten Tür des Hubschraubers hing, um auch ja genügend Bildmaterial zu bekommen. „Schnell Susanne-weisst du dass ich gerade einen flüchtigen Verbrecher verfolge und das gefilmt wird?“ rief er ins Handy und Susanne bejahte. „Semir er flieht in südlicher Richtung und ist jetzt wie ein Hase schon ein paar Mal abgebogen!“ sagte sie aufgeregt. „Susanne-sag mir wo ich hin soll!“ rief Semir und nun navigierte ihn die Sekretärin nach den Luftaufnahmen durch die engen Gässchen.
    Bruckner begann langsamer zu laufen und aufzuatmen. Er hatte seinen Verfolger abgehängt! Jetzt musste er nur die nächste U-Bahnstation erreichen und dann konnte er fürs Erste verschwinden und irgendwie seine weitere Flucht nach Thailand planen. Er hörte zwar den Helikopter, maß dem aber keine Bedeutung bei-sicher wurde da wieder irgendwas für RTL gefilmt, die wollten für ihre Serien immer tolle Luftaufnahmen von Köln! Kurz vor der nächsten U-Bahnstation schlängelte sich Bruckner gerade zwischen einer Gruppe japanischer Touristen durch, da stand plötzlich dieser Gerkhan wie aus dem Nichts vor ihm. Er machte auf dem Absatz kehrt und wollte gerade wieder davonrennen, da traf ihn ein Faustschlag und streckte ihn nieder. Bruckner knickte ein und es wurde ihm einen Moment schwarz vor Augen. Als er wieder zu sich kam lag er auf dem Bauch auf dem Boden und Semir war gerade dabei seine Hände mit Handschellen auf seinem Rücken zu fesseln. Die Gruppe japanischer Touristen stand außen herum, applaudierte und machte Fotos. „Mark Bruckner-sie sind verhaftet!“ sagte Semir schwer atmend sein Sprüchlein auf, zog seinen Gefangenen wieder auf die Füße und wartete dann, dass Verstärkung eintraf.

  • Die Chefin war inzwischen von der nachfolgenden Streife aufgesammelt worden. Der Polizist darin sah stirnrunzelnd den BMW an und sagte: „Da rufen wir mal lieber ein Abschleppfahrzeug an-vielleicht kann man ja doch noch etwas reparieren!“ und Frau Krüger sah schuldbewusst zu Boden. Über die Zentrale wurden sie alle auf dem Laufenden gehalten und strebten langsam in die Richtung, wohin Bruckner und Semir verschwunden waren. Unterwegs kamen sie an vielen gestikulierenden Menschen vorbei, die mit Fahrzeugen mit Blechschäden am Straßenrand oder mitten in verstopften Kreuzungen standen. Bruckner und Semir hatten eine Spur der Verwüstung hinterlassen, aber die Chefin war nun sehr nachdenklich und schwieg still-sie hatte heute gesehen, wie schnell so etwas ging. Ob sie es jemals wieder schaffen würde Gerkhan oder Jäger runter zu putzen, wenn sie einen Wagen geschrottet hatten? Wenig später kam die Meldung, dass Semir nach einer Verfolgungsjagd zu Fuß Bruckner festgenommen hatte und so steuerten sie die U-Bahnstation an und trafen als erstes Fahrzeug dort ein. Kim Krüger stieg aus und während die beiden uniformierten Polizisten Bruckner nun ins Polizeifahrzeug bugsierten, trat sie zu Semir und hielt ihm die Hand hin. „Reife Leistung Gerkhan!“ sagte sie ehrlich und Semir schlug ein, nur um dann gequält das Gesicht zu verziehen: „Chefin-was haben sie nur mit meinem schönen Auto gemacht?“ fragte er und nachdem sie sich erst rechtfertigen wollte, sah sie den Schalk in Semir´s Gesicht aufblitzen und musste nun ebenfalls grinsen. „Sie kriegen ein Neues!“ sagte sie kurz und Semir verdrehte die Augen zum Himmel: „Das wollte ich hören-ach dass ich das noch erleben durfte!“ feixte er und nun sahen sie nach oben, denn der Hubschrauber, der eine ganze Weile in der Luft über ihnen gestanden und die Verhaftung Bruckner´s gefilmt hatte, drehte nun ab. „Übrigens sie haben eine gute Figur gemacht am Steuer meines Wagens-ich konnte sie live im Fernsehen bewundern!“ erzählte Semir und die beiden gingen nun langsam zurück zum Taxi, das Semir einfach hatte stehen lassen, während Bruckner von den uniformierten Kollegen in die PASt zur späteren Vernehmung gebracht wurde und Semir erzählte wie er überhaupt dazu gekommen war, sich an Bruckner´s Fersen zu heften. „Ich muss mein Leihfahrzeug noch zurückgeben!“ sagte er und als sie in der engen Gasse angekommen waren, hatte sich der LKW bereits rückwärts wieder daraus entfernt und einige Schaulustige sahen sich das Verfolgerfahrzeug aus dem Fernsehen an. Semir hatte geistesgegenwärtig beim Aussteigen den Schlüssel abgezogen und sie stiegen nun ein und fuhren zum Krankenhaus zurück. Über die Taxizentrale beruhigten sie den aufgeregten Taxibesitzer, der sich vor dem Krankenhaus die Haare raufte und von seinen Kollegen getröstet wurde und gaben wenig später den Wagen unversehrt zurück. „Sie können uns als Entschädigung gleich noch zur PASt bringen!“ sagte Semir und der Taxifahrer war inzwischen dreimal um sein Fahrzeug gelaufen, um eine eventuelle Schramme zu entdecken, konnte aber nichts finden. „Seien sie froh, dass diese Dame hier das Auto nicht ausgeliehen hat-dann würde es anders aussehen!“ bemerkte Semir und nun warf ihm die Chefin einen wütenden Blick zu-wenn er in Zukunft da ständig darauf rumreiten würde, würde sie sich schon eine Schikane einfallen lassen, damit er die Klappe hielt.


    „Wie geht es Jäger?“ wollte sie nun wissen, während sich das Taxi in Bewegung setzte. „Ich glaube er hat nochmal Glück im Unglück gehabt-die Blutung am Hals konnte gestoppt werden, sein Arm ist zwar gebrochen und die haben da eine Sehne genäht, aber am Rücken können sie nur ein wenig saubermachen und dann muss das alleine heilen!“ berichtete Semir und fügte noch hinzu, dass Sarah inzwischen bei ihrem Mann eingetroffen war und ihn abgelöst hatte. „Aber er muss nicht auf Intensiv wie der Arzt gesagt hat-anscheinend ist er nochmals mit einem blauen Auge davon gekommen!“ erklärte er und erkundigte sich nun: „Chefin-wissen sie wie es Lucky geht?“ aber die schüttelte den Kopf. „Der Hundeführer hat ihn in die Tierklinik gebracht, ich werde ihn nachher mal anrufen ob er schon was gehört hat!“ erklärte sie wahrheitsgemäß und Semir nickte. „Ben hat sich nach ihm erkundigt-bis ich ihn morgen besuchen komme, müssen wir da etwas darüber wissen!“ sagte er und nun waren sie schon an der PASt angekommen. Die Chefin bezahlte die Fahrt und sagte dann zu dem Taxifahrer: „Schreiben sie eine Rechnung raus über die Kosten die ihnen entstanden sind und reichen sie sie mir ein-sie bekommen das natürlich erstattet!“ und reichte ihm ihre Karte, so dass er besänftigt von dannen zog.
    In diesem Augenblick läutete das Handy der Krüger: „Schrankmann am Apparat-was zum Teufel ist ihnen denn da bloß eingefallen? Ich habe sie live im Lokalfernsehen betrachten dürfen und jetzt flimmern sie gerade in den Hauptnachrichten über den Bildschirm-was wirft denn das für ein Licht auf die ernsthafte Arbeit der Polizei und damit auch der Staatsanwaltschaft? Frau Krüger-das hätte ich nicht von ihnen erwartet, sie als Vorgesetzte hätten da eine andere Lösung finden müssen, als in bester Verkehrsrowdiemanier, wie sonst Gerkhan und Jäger- über die sie sich ansonsten immer aufregen –durch die Kölner Innenstadt zu preschen, einen riesigen Sachschaden zu verursachen und das Ganze noch live im Fernsehen-diesen Imageschaden können sie nie wieder gut machen!“ zeterte sie und mit einer Grimasse hielt Kim den Hörer ein Stück weit von ihrem Ohr weg, so dass Semir einen Teil der Worte verstehen konnte. „Aber das Ziel haben wir erreicht!“ rechtfertigte sie sich dann bei der Staatsanwältin. „Die Mörder sind verhaftet und den Stick werden wir jetzt auch noch finden, damit wir sie überführen können!“ sagte sie und war derweil langsam in die PASt gegangen. „Dann sehen sie mal zu, dass sie die Beweise bis morgen in trockenen Tüchern haben-wir sehen uns dann in ihrem Büro!“ schnaubte die Schrankmann und legte auf. „Sind sie noch fit, Gerkhan?“ seufzte die Chefin und sah auf die Uhr. „Ich glaube jetzt sind Überstunden angesagt!“ und damit trat sie zuerst an Susanne´s Schreibtisch und holte dann den Schlüssel für ein Ersatzfahrzeug für Semir vom Schlüsselbrett, das ansonsten Bonrath verwaltete. Schnell tranken die beiden noch eine Tasse Kaffee, der gerade frisch aufgebrüht einladend in der Kanne dampfte und machten sich dann auf den Weg zu Aurelia´s Wohnung.


    Im kleinen OP in der Uniklinik hatte man inzwischen Ben vorsichtig auf den Bauch gedreht, um seine Kehrseite zu versorgen und nun hatte Sarah vor Entsetzen die Luft scharf eingesogen. Um Himmels Willen-das sah ja furchtbar aus, jetzt konnte sie erst das ganze Ausmaß seiner Verletzungen erkennen und während man Ben erneut ein Schmerzmittel gab hielt sie seine Hand und versuchte ihre Gefühle zu unterdrücken, um ihn nicht zu beunruhigen.

  • Man legte Ben nun ein breites Polster unter die Brust und dann ein zweites unter die Stirn, denn er würde nun eine ganze Weile auf dem Bauch liegen müssen. Die beiden Ärzte hatten wieder frische sterile Kittel und Handschuhe an und begannen nun systematisch von oben nach unten den Rücken zu sanieren. Zunächst trug man Schleimhautdesinfektionsmittel auf, das auch kaum brannte. Allerdings musste man sehr aufpassen, dass sich in den tiefen Löchern und Kratern die sich gebildet hatten, als die Zähne von Castor und Pollux sich in das Fleisch gegraben hatten, nichts stehen blieb, denn so mild das Octenisan auch war, trotzdem konnte es schlimme Nekrosen verursachen wenn es in der Wunde blieb. Obwohl er gut Schmerzmittel hatte, stöhnte Ben immer wieder auf, als an ihm herum manipuliert wurde. Wenn die Ärzte einen zerfetzten Wundrand mit der Schere oder dem Skalpell begradigten, spritzten sie zuvor ein Lokalanästhetikum ein, damit es für ihn erträglich wurde. Die assistierende Schwester ließ sich Ampulle für Ampulle anreichen, denn je genauer man hinsah, desto mehr versteckte Wundhöhlen traten zutage und das wären die optimalen Brutstätten für Keime. Sarah war ja so einiges gewohnt und hatte eigentlich nicht gedacht, dass sie das so mitnehmen würde, aber irgendwann konnte sie gar nicht mehr hinsehen, wie die Ärzte da schnitten, das Blut abwischten, elektrisch koagulierten und dann wieder einspritzten. Wenn es für sie schon so schwer erträglich war-wie musste es sich erst für Ben anfühlen? Der war allerdings gar nicht so hundertprozentig bei sich und der Anästhesist, der ihn betreute behielt immer den Monitor im Auge, hängte wieder eine neue Infusion an, drehte den Sauerstoff, der über eine Brille in Ben´s Nase flutete ein wenig höher und fragte gelegentlich: „Geht´s Herr Jäger?“ aber zu Sarah´s Erstaunen nickte Ben immer. Sie fragte sich wirklich ob nicht eine Intubationsnarkose besser gewesen wäre, aber der Narkosearzt sagte auf ihre Frage: „Sarah du weisst doch-Lokal-oder Regionalanästhesien haben immer Vorrang, außerdem war er nicht nüchtern-wir hätten mindestens vier Stunden warten müssen, denn eine Notfallindikation für eine eilige OP liegt hier trotz allem nicht vor. Das einzig Wichtige was schnell gehen musste, war die Versorgung der Halsvene, aber der Rest ist an keinen Zeitrahmen gebunden, weil es sich ja bei Hundebissen um eine von Beginn an septische Wunde handelt, die nicht genäht werden darf!“ erklärte er und die beiden Operateure nickten.
    „Trotz alledem sind Hundebisse noch tausendmal besser als Menschenbisse-das sind so ziemlich die schlimmsten Bissverletzungen die es gibt, denn die menschliche Mundhöhle enthält die übelsten Keime die man sich vorstellen kann, dagegen ist Hundespeichel regelrecht sauber!“ plauderten die beiden aus dem Nähkästchen, denn in einer Ambulanz kam es immer wieder vor dass Betrunkene oder psychisch Kranke zubissen und die Wunden versorgt werden mussten. Auch der eine oder andere Zahnarzt war gelegentlich dabei, wenn ein Kind der Aufforderung den Mund offen zu halten eben nicht nachgekommen war.


    Sarah sah unauffällig auf die Uhr, die an der Wand des kleinen OP´s hing. Schon eine Stunde war Ben nun in der Behandlung der beiden Ärzte. Inzwischen hatten sie sich bis zu seinem Gesäß vorgearbeitet, aus dem wie aus der Schulter der größte Fetzen fehlte. Wo die Fleischstücke wohl waren? Sarah war ja nicht am Unfallort gewesen, aber wenn sie sich vorstellte, dass die Hunde die wohl gefressen hatten, dann erschauerte sie. „Ben-was waren das eigentlich für Hunde?“ fragte sie und der antwortet nun doch etwas schwach, denn so langsam konnte er fast nicht mehr liegen: „Es waren zwei deutsche Schäferhunde die von ihrem Herrchen scharf gemacht wurden und bereits einen Menschen getötet haben, aber Semir und die Chefin haben die erschossen!“ und nun musste Sarah schlucken. „Ich glaube wir schaffen uns lieber doch keinen Hund an, wenn ich sehe, was da so passieren kann!“ sagte sie heftig, aber Ben schüttelte den Kopf, soweit das in seiner misslichen Lage überhaupt möglich war. „Doch Sarah-denn wenn er überlebt, dann haben wir bereits einen Hund-Lucky! Der hat mich gerettet und hat sich aus Liebe zu mir, obwohl ich ihm noch nie etwas besonders Gutes getan habe, auf diese beiden Bestien gestürzt und sie abgelenkt, sonst hätten die mir die Halsschlagader zerfetzt. Ich möchte, dass wir den zu uns holen, wenn er aus der Klinik entlassen wird!“ sagte er, aber nun stand Sarah´s Wort laut und klar im Raum: „Nein!“


    Bevor Ben jetzt allerdings etwas erwidern konnte, drückte der Arzt auf die tiefe Wunde, um die Blutkoagel herauszuholen und nun stöhnte Ben auf. Sarah tat er im selben Moment wieder unendlich leid und sie hielt seine Hand fester, die sich gerade um die ihre verkrampfte. „Gleich haben sie´s geschafft!“ sagte der Chirurg tröstend und auch der Anästhesist überlegte gerade, ob er Ben nochmals ein Schmerzmittel geben sollte, obwohl er schon ziemlich viel gehabt hatte. Wenn der dann allerdings ateminsuffizient wurde, dann wäre auch niemandem gedient und wenn man ihn deswegen jetzt noch intubieren müsste, dann wäre es ebenfalls ärgerlich, deshalb redete man ihm gut zu, spritze noch etwas Lokalanästhetikum und endlich war die Wundtoilette fertig. In die beiden tiefen Löcher an Schulter und Gesäß stopfte man Jodoformtamponade, die man nun täglich wechseln würde und dann legte man als Verband einfach mehrere grüne Bauchtücher über den kompletten Rücken und klebte die dort fest.Ben war nun einfach fix und fertig und wollte nur noch in sein Bett. Obwohl es draußen und auch im Behandlungsraum warm war, fror er und hatte eiskalte Hände und Füße. Der Narkosearzt entfernte nach einer letzten Messung den Blutdruckapparat und die Überwachungselektroden, ebenfalls den Sauerstoff, denn trotz der Tortur die sein Patient eben hinter sich gebracht hatte waren die Werte stabil und so bestand keine Indikation für eine Intensivüberwachung. Der Ambulanzpfleger sägte noch mit einer oszillierenden Säge den Gips an Ben´s Arm auf und wickelte eine Binde darüber. Der Arm war immer noch taub und das würde sicher noch einige Stunden dauern, bis wieder Gefühl darin war. Endlich, endlich lag Ben auf der Seite im Bett und wurde zugedeckt bis zum Hals in sein Zimmer gefahren. Man hatte ein nettes Zweibettzimmer bereitgestellt, denn Sarah hatte gleich gesagt, dass sie dableiben würde und erledigte auch für ihn die Aufnahmeformalitäten, holte dann seine und ihre Tasche aus dem Wagen und als sie zurück kam , lag er tief schlafend da und Sarah konnte nun erst einmal aufatmen.


    Jenni und Dieter waren von der Tierklinik direkt in das Krankenhaus gefahren in das Aurelia gebracht worden war. Jenni hatte ihr ja versprochen, ihr über das Befinden von Agathe Auskunft zu geben, aber als sie sich dort durchgefragt hatten erfuhren sie, dass Aurelia gerade im OP war und man die Kugel in Vollnarkose aus ihrem Arm holte. Bonrath sah auf die Uhr. „Eigentlich hätten wir jetzt Feierabend!“ sagte er und Jenni seufzte auf. „Meinst du das wird was?“ fragte sie und nun griff Dieter zum Telefon: „Fragen wir mal die Chefin!“ schlug er vor und wählte Kim´s Nummer.

  • Semir und die Chefin waren inzwischen an Aurelia´s Wohnung angekommen. Gerade traf Holger ein, den sie aus dem Krankenhaus hatte verständigen lassen, damit sich jemand um die Tiere kümmerte. „Wo zum Teufel hat sie wohl den Stick versteckt?“ fragte Semir. „Ich werde mal versuchen Aurelia im Krankenhaus an den Apparat zu bekommen!“ schlug er vor, aber in diesem Augenblick läutete das Telefon der Chefin und die hob nach kurzem Lauschen die Hand und gebot ihm Einhalt. „Das können sie sich sparen Gerkhan-Dorn und Bonrath sind gerade in der Klinik, aber Aurelia ist aktuell im OP und kann nicht befragt werden!“ teilte sie ihm kurz mit, um dann zu Jenni und Dieter zu sagen: „Es wäre mir sehr recht sie würden dort bleiben und unsere Zeugin vernehmen, wenn sie aus dem OP zurück ist. Erstens brauchen wir noch eine Aussage und was uns vor allem interessiert ist, wo sich der Stick befindet. Vermutlich war das angebliche Versteck im Park ja eine Finte, also gehe ich davon aus, dass der irgendwo hier im Haus verborgen ist-nur wo? Und ich möchte jetzt nicht die Wohnung auseinander nehmen und zum Schluss ist er irgendwo im Keller oder im Dachboden!“ sagte sie. „Wir sehen uns jetzt zwar ein wenig um, aber vermutlich wird es einfach das Beste sein auf die Aussage von Frau Schmid zu warten!“ teilte sie Bonrath am anderen Ende mit und der versprach sich sofort zu melden, wenn er etwas wusste. Dieter sah Jenni mit geschmerztem Gesichtsausdruck an: „Wusste ichs doch, dass das nichts wird mit dem pünktlichen Feierabend. Wir sollen hierbleiben und Aurelia befragen, wenn sie aus dem OP kommt und das kann ja noch ne Weile dauern!“ teilte er seiner jungen Kollegin mit, aber die lächelte ihn an: „Da gibt’s wahrlich schlimmere Aufgaben-komm holen wir uns was zu essen aus der Cafeteria und dann vertreiben wir uns einfach ein wenig die Zeit!“ sagte sie und so machten sie sich auf den Weg zum Abendessen.


    Semir und die Chefin hatten sich mit Holger gemeinsam umgesehen. Der hatte angefangen die Käfige mit den Tieren vom Dachboden wieder in die Wohnung zu holen. „Bitte immer die Türe zumachen!“ bat er „denn wenn Otto abhaut kann ich ihn nicht einfangen-der mag mich nicht und hat mich sogar schon mal gebissen-ich kann den nicht anfassen!“ teilte er den beiden Polizisten mit und Semir nickte. Sie sahen sich grob orientierend um. Semir fasste unter die Tischplatte, ob da nicht der Stick angeklebt war, er zog Schubladen auf, in denen ein gepflegtes Durcheinander herrschte, allerdings kein Schmutz, aber vielerlei Dinge, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Von Pendeln über Wünschelruten, Kristallkugeln und Edelsteinen aller Art war hier so einiges zu finden. Eigentlich war das ja illegal, was sie hier machten, denn Aurelia war ja keine Verdächtige, aber Holger versicherte ihnen, dass es ihr nichts ausmachen würde. „Aurelia ist ein warmherziger offener Mensch, der allen Menschen und Tieren gegenüber freundlich eingestellt ist. Sie ist auch schon oft betrogen worden, weil sie in jedem Menschen erst einmal das Beste sieht und es leider genügend Exemplare gibt, die das nicht wert sind, aber die Tiere geben ihr dann das Vertrauen und die bedingungslose Liebe zurück, die sie ihnen entgegen bringt. Sie ist eine wertvolle Verbündete im Tierschutz und hat schon viele Hunde und Katzen, die wir gerettet haben und die Verhaltensauffälligkeiten zeigten, umerzogen und ihnen das Vertrauen in die Menschen zurück gegeben, so dass wir sie an gute Endstellen vermitteln konnten. Die Tiere die sie selber behalten hat waren die, die zu schwierig waren um erneut abgegeben zu werden. Otto z.B. haben wir aus einer fürchterlichen Haltung in einer dunklen Garage gerettet. Er hatte massive Hautprobleme und konnte fast nicht laufen, weil er in einem engen Käfig eingesperrt war und keine Muskulatur mehr hatte. Jetzt ist er glücklich und schläft sogar mit ihr im Bett unter der Decke!“ erklärte er und die Chefin erschauerte. Dieser kleine Drache der da frei durch die Wohnung lief und vorsichtig hinter ein paar Topfpflanzen hervor lugte war ihr unheimlich. Igitt-sowas könnte sie nicht einmal anfassen geschweige denn im Schlafzimmer ertragen-also diese exzessiven Tierfreunde hatten schon einen kleinen Hau!
    „Ich würde gerne wissen was auf dem Stick drauf ist, bevor wir Bruckner und Dermold vernehmen-dann haben wir einfach mehr in der Hand, denn die beiden werden nicht so einfach mit einem Geständnis rausrücken!“ gab die Chefin zu bedenken und Semir nickte. Dann setzte er sich auf das niedrige Sofa wo er bei seinem ersten Besuch mit Ben in dieser Wohnung gesessen war. Er ließ seine Blicke schweifen, wo würde er hier etwas verstecken, damit es nicht sofort gefunden würde? In diesem Augenblick marschierte Otto auf ihn zu. Die Chefin die gerade ein paar esoterische Bücher angesehen hatte, trat einen Schritt zur Seite. Sie musste sich beherrschen um nicht schreiend aus der Wohnung zu laufen, so ekelte es sie. Umso mehr war sie erstaunt, als der kleine Drache begann auf Semir´s Schuhe zu steigen und der ihn nun mit einem einzigen Griff hoch hob und auf seinen Schoß setzte. Auch Holger hatte voller Verwunderung das Schauspiel betrachtet. „Das dürfte ich nie mit ihm machen-jetzt hätte er mich schon gebissen!“ bemerkte er, aber Semir begann nun lächelnd Otto unter dem Kinn zu streicheln, wie es ihm Aurelia das letzte Mal gezeigt hatte. Der Leguan streckte genüsslich seinen Kopf nach oben und man konnte ihm ansehen wie er die Liebkosung genoss. Plötzlich blieb Semir´s Blick an Ottos Schuppenkamm, den er jetzt aufgestellt hatte hängen. Vorsichtig ließ er die Finger der zweiten Hand dort entlang gleiten und hatte wenig später den Stick, der dort mit Klebeband befestigt war entfernt. „Ich glaube ich habe gefunden, was wir gesucht haben!“ sagte er triumphierend und hielt den Stick in die Höhe. „Ein ausgesprochen kluges Versteck-wer würde freiwillig so eine Echse anfassen!“ befand nun die Chefin und während Semir Otto vorsichtig auf den Boden setzte, der sehr enttäuscht war, dass die Kuschelstunde schon wieder beendet war, nahm sie schon den Stick an sich und nach einer kurzen Verabschiedung machten sich die beiden Polizisten auf den Weg in die KTU um dort die Daten zu sichern und sich anzusehen, was darauf gespeichert war.
    Hartmut war gerade im Begriff zu gehen und Aurelia´s Wagen stand schon zur Abholung bereit vor der KTU. „Oh-den hätten wir Holger gleich bringen können, aber vielleicht können das Jenni und Dieter noch erledigen!“ fiel Semir ein und die Chefin nickte, während Hartmut den Stick auslas und sicherte. Auf seinem Laptop erschienen scharfe Fotos, die durch eine Fensterscheibe geschossen waren. Man sah Bruckner und Dermold wie sie mit einer Waffe am Kopf Michael Putz zwangen den Abschiedsbrief zu schreiben, dann wie Bruckner ihn festhielt, während Dermold ihm eine Injektion verpasste und danach sah man noch einige zufällige Bilder, die anscheinend beim Sturz vom Garagendach entstanden waren. Vermutlich hatte Heinze versucht, die beiden Mörder abzulenken, als er gesehen hatte, was sie mit dem Tierpfleger anstellten, aber er hatte es selber nicht geschafft, die beiden abzuhängen oder er hatte sich in seiner Wohnung einfach zu sicher gefühlt. Man würde nie erfahren, warum er die Polizei nicht von unterwegs angerufen hatte, aber das war vielleicht einfach unmöglich gewesen weil sein Handyakku leer war, oder wegen irgend so einem Missgeschick. Nun waren aber die Beweise vorhanden und die Krüger rief sofort Frau Schrankmann an, die sich inzwischen zum wiederholten Male in den Nachrichten die Verfolgungsjagd der Chefin und zuletzt noch die Verhaftung Bruckners durch Semir angesehen hatte. Allerdings waren die Kommentare dazu aus den Medien gar nicht so schlecht und als nun ihr Telefon klingelte versprach Isolde sofort zur PASt zu kommen und der Vernehmung der beiden Mörder beizuwohnen.


    Im Krankenhaus war es inzwischen zwanzig Uhr geworden. Sarah hatte sich in der Cafeteria etwas zu essen geholt und plötzlich schlug Ben die Augen auf und sah sie vorwufsvoll an. „Mann-du traust dir was-da einfach vor meinen Augen ein Käsesandwich zu verdrücken, während ich hier verhungere!“ sagte er und Sarah lächelte glücklich. Wenn Ben schon wieder ans Essen dachte stand es nicht so schlimm um ihn und so ließ sie ihn erst einmal ein wenig Wasser trinken und als er das vertrug gab sie ihm die Hälfte des Sandwiches ab. In der Infusion war ein Schmerzmittel und so kam Ben eigentlich mit den Schmerzen ganz gut zurecht. Er konnte nur nicht auf dem Rücken liegen, aber auf der Seite und auf dem Bauch ging und da schlief er sowieso am liebsten. Langsam kam das Gefühl in den Arm zurück und es prickelte wie tausend Nadelstiche, was jeder kannte, dem schon mal der Arm eingeschlafen war. „Sarah ich müsste mal aufs Klo!“ sagte Ben und schang schon vorsichtig seine Füße aus dem Bett. „Warte ich hole dir eine Urinflasche!“ erbot sich seine Frau, aber Ben schüttelte den Kopf. „An den Beinen habe ich ja nichts-ich kann durchaus zur Toilette laufen!“ sagte er und packte entschlossen den Infusionsständer mit seiner gesunden Hand und marschierte los. Das Krankenhaushemd in dem er nur mit einem Ärmel war verbarg zwar fast nichts, aber Sarah kannte ja schließlich jede Faser an ihm und so begleitete sie ihn und half ihm erst sich hinzusetzen, was zwar mit Schmerzen verbunden war, aber irgendwie ging es. Danach wollte er sogar noch Zähne putzen und sich ein wenig frisch machen und obwohl er danach schon ein wenig blass um die Nase war, lief er wieder zurück zum Bett und ließ sich aufseufzend über die Seite hinein gleiten.
    Sarah deckte ihn zu und rief dann kurz bei Andrea an. Es war inzwischen halb neun-normalerweise ging Tim so gegen acht ins Bett. Als Andrea nun allerdings ranging, hörte Sarah ihren Sohn durchs Telefon lauthals brüllen und völlig fertig schluchzen. „Sarah-ich hätte dich jetzt dann gleich angerufen-Tim schreit schon seit einer Stunde und ich kriege ihn einfach nicht beruhigt, obwohl ich ihn trage und er auch seinen Abendbrei gegessen hat!“ sagte Andrea ganz unglücklich. „Die Mädchen stehen auch alle fünf Minuten auf der Matte und können nicht schlafen, dabei müssen die morgen ja in Schule und Kindergarten!“ teilte sie Sarah mit und die versprach nach kurzer Rücksprache mit Ben zu kommen und Tim abzuholen. „Schatz-du siehst doch-mir geht´s gar nicht so schlecht-ich werde jetzt schlafen und du fährst nach Hause und kümmerst dich um unseren Sohn!“ befahl Ben regelrecht, als er hörte was im Hause Gerkhan los war. „Vielleicht kann ich ihn morgen wenn er ausgeschlafen hat ja mitbringen, aber ich denke auch-er braucht jetzt seine Mama und die gewohnte Umgebung, jetzt musst du halt zurückstecken!“ bemerkte Sarah ein wenig unglücklich, aber Ben protestierte: „Also hör mal-ich bin schließlich kein kleines Kind mehr, das nicht alleine im Krankenhaus bleiben kann! Fahr jetzt los und schlaf gut-ich werde dasselbe tun.“ sagte Ben entschlossen und mit einem Kuss verabschiedete sich Sarah um ihren kleinen Schreihals abzuholen.

  • Sobald Tim die Mama sah, kuschelte er sich auf ihren Arm und nach ein paar Schluchzern war er eingeschlafen. Sie setzte ihn schlafend in den Kindersitz und trug ihn in der Wohnung in sein Bett, ohne dass er nur einmal aufwachte. Dann legte Sarah sich selber hin und obwohl sie sich natürlich noch Sorgen um ihren Mann machte, war ihr schon viel leichter ums Herz als nachmittags, als sie von der Hundeattacke erfahren hatte. Jetzt musste sie das mit Ben noch ausdiskutieren-es stand außer Frage dass sie sich keinen erwachsenen Hund ins Haus holten. Sicher fühlte Ben sich dem Tier verpflichtet-wie hieß es noch gleich-Lucky? Aber da mussten sie eben ein gutes Plätzchen für ihn finden und klar würden sie später, wenn sich der Traum vom Häuschen auf dem Land erfüllt hatte, einen Hund anschaffen, aber da eben einen dunkelbraunen Labradorwelpen-jeder sagte, dass Hunde und Kinder gemeinsam aufwachsen mussten wenn das gut gehen sollte. Wenig später war Sarah eingeschlafen und träumte von langen Spaziergängen mit Hunden und Kindern.


    Kim Krüger und Semir hatten sich eine Kopie der Fotos auf einen Stick ziehen lassen und fuhren nun mit diesem Beweismaterial in die PASt. Dort wurden sie bereits von Frau Schrankmann erwartet und nacheinander wurden nun Bruckner und Dermold in den Verhörraum gebracht. Allerdings war das einzige was sie sagten, einen Anwalt zu verlangen und zähneknirschend musste ihnen das gewährt werden. Als schon fast Mitternacht beide Anwälte auf der Matte standen teilten ihnen die beiden Herren im Anzug nach einem kurzen Gespräch mit ihren Mandanten mit, dass alle beide auf ihr Aussageverweigerungsrecht bestanden und so blieb ihnen nichts weiter übrig als das zu dokumentieren und die Verdächtigen zurück in ihre Zellen bringen zu lassen. Die reichten auch gleich noch eine Beschwerde nach, weil sie außer kalten Getränken nichts zu essen bekommen hatten und so wurde für den nächsten Tag beschlossen, die beiden Männer ins Untersuchungsgefängnis zu verlegen, wo sie korrekt verpflegt und rechtlich einwandfrei versorgt werden würden. Semir, die Chefin und die Staatsanwältin trafen sich danach noch todmüde im Büro. „So ein Mist-diese Herren wissen leider über ihre Rechte nur zu gut Bescheid und diese beiden Anwälte sind ebenfalls mit allen Wassern gewaschene Strafrechtsspezialisten. Die werden nichts sagen und so müssen wir eben dem Richter beim Haftprüfungstermin unsere Fakten vorlegen und hoffen, dass die Beweise wasserdicht sind!“ sagte müde die Schrankmann und danach fuhren alle nach Hause. Semir war überrascht, dass Tim nicht bei ihnen im Schlafzimmer war, aber als Andrea ein wenig wach wurde als er zu ihr unter die Decke schlüpfte, teilte sie ihm schlaftrunken mit, dass Sarah ihn abgeholt habe, weil er sich nicht mehr hatte beruhigen lassen. „Wenn Sarah ihren Ben alleine gelassen hat kann es ihm gar nicht allzu schlecht gehen!“ war der letzte Gedanke den Semir hatte, bevor er einschlief.


    Ben war tatsächlich erst einmal wieder ruhig eingeschlafen. Er hatte zwar gehört wie die Nachtschwester ihre Runde machte und auf ihre Frage wie es ihm ginge kurz geantwortet: „Schon ok!“ aber danach sofort weiter geschlafen. Gegen drei wurde er wach-erstens weil sein Rücken wahnsinnig schmerzte-er war völlig verspannt und es fühlte sich an, als wenn er sich schrecklich verhoben hätte und außerdem musste er aufs Klo-er hatte das Gefühl er würde Durchfall bekommen. Kurz überlegte er ob er läuten sollte, aber dann war es erstens so eilig, dass er nicht mehr warten konnte und zweitens-warum sollte er nicht alleine zur Toilette kommen-er war abends ja auch selber rausgelaufen. So schwang er seine Beine aus dem Bett, nicht ohne dabei laut zu stöhnen so weh tat das, aber dann zog er sich mit einem Ruck am Infusionsständer hoch und begann loszulaufen. Allerdings kam er gerade zwei Schritte weit und dann gaben seine Beine einfach nach und er sank in sich zusammen zu Boden.

  • Jenny und Dieter hatten gewartet bis Aurelia aus dem Aufwachraum zurück kam. Sie war zwar noch etwas blass um die Nasenspitze, aber trotzdem begrüßte sie die beiden Polizisten herzlich. „Wie geht es denn meiner Agathe?“ wollte sie wissen und Jenni erzählte ihr nun von ihren Erlebnissen in der Tierklinik. „Sie war eigentlich ganz munter und ihr Flügel wurde geschient. Der Tierarzt meinte sie würde vielleicht später mal ein merkwürdiges Flugbild haben, aber er sagte auch, dass Rabenvögel so klug seien, dass sie das durchaus kompensieren könnten. Auf jeden Fall lebt sie und war schon wieder recht fit als ich gegangen bin!“ erzählte sie Aurelia und die seufzte vor Erleichterung auf. „Na ja-nachdem ich jetzt ja auch ein wenig flügellahm bin!“ sagte sie mit einem Lächeln und einem Blick auf ihren eingebundenen Arm „können wir uns dann ja gegenseitig bemitleiden und trösten! Ich werde morgen oder spätestens übermorgen entlassen und würde mich freuen, wenn Agathe mir dann Gesellschaft leisten würde!“ sagte sie und Jenni, die eine heftige Zuneigung zu dieser etwas ungewöhnlichen, aber dafür umso netteren Frau gefasst hatte, versprach ihr, Agathe aus der Klinik zu holen und nach Hause zu bringen wenn das möglich war. Außerdem wollte sie sowieso noch nach Lucky sehen, den sie als Ben´s Retter ebenfalls faszinierend fand. „Aurelia!“ sagte sie und fasste die Hand der älteren Frau ganz fest. „Ich finde das so toll was sie mit ihren ganzen Tieren machen und möchte da auch gerne mehr darüber erfahren, aber jetzt ruft leider die Pflicht und wir müssen sie jetzt fragen, wo sie den Stick versteckt haben und auch ihre Aussage für die Staatsanwaltschaft aufnehmen!“ und nun gab Frau Anneliese Schmid, wie sie eigentlich hieß, ihre Erlebnisse zu Protokoll und wenig später lächelte Jenni herzlich. „Vielen lieben Dank für ihre Aussage! Damit werden wir den beiden Mördern eine lange Haftstrafe bescheren!“ sagte sie und rief im Hinausgehen sofort die Chefin an, um ihr mitzuteilen, wo der Stick versteckt war.
    „Die nette Hexe hat allerdings gemeint, dass wir da vermutlich warten müssen bis sie aus dem Krankenhaus kommt um an den Stick zu gelangen, denn ihr Leguan ist misstrauisch und lässt sich nicht von jedermann anfassen!“ gab sie telefonisch durch, aber da lachte die Chefin. „Gut gemacht Frau Dorn-aber den Stick haben wir schon-der Leguan ist nämlich der persönliche Freund von Herrn Gerkhan und der hat ihm den Rücken gekrault und bei der Gelegenheit den Stick bereits gefunden. Wir sind gerade bei Herrn Freund und der liest uns den aus und sichert die Daten!“ gab sie Jenni Bescheid und bat sie anschließend noch als letzte Tat des heutigen Tages das Fahrzeug der Besitzergemeinschaft zu Holger zu bringen, damit der wenigstens mobil war, wenn er schon die Tiere seiner Freundin versorgte. „Das machen wir-und wann sollen wir morgen da sein?“ fragte Jenni, aber die Chefin antwortete zerknirscht, denn eigentlich war das wegen der Arbeitszeitgesetze nicht so ganz in Ordnung: „Ginge es um sieben?“ fragte sie und nun sagten Jenni und Dieter zu, bevor sie sich auf den Weg zur KTU machten.


    Ben lag auf dem Boden und versuchte verzweifelt in die Höhe zu kommen. Er konnte überhaupt nicht verstehen warum er umgefallen war. Klar ging es ihm noch nicht so mega gut, aber ihm war weder schwindlig noch schlecht-er hatte einfach keine Kraft und seine Beine trugen ihn nicht. Nicht zu vergessen waren natürlich die starken Rückenschmerzen, die ihm heftig zu schaffen machten, aber Fakt war, dass er sich anstrengte wie ein Ochse und einfach nicht vom Fleck kam. Er spürte in sich hinein, gab sich selber das Kommando seine Zehen zu bewegen, mit den Füßen zu wackeln etc.-das funktionierte alles, wenn auch unter Schmerzen, aber er kam einfach nicht mehr hoch. Zu allem Überfluss war der Stuhldrang auch keineswegs vergessen und er musste doch so notwendig! Voller Verzweiflung begann er ein paarmal um Hilfe zu rufen, aber gerade da hatte er Pech, denn die Nachtschwester holte eben einen Neuzugang aus der Ambulanz ab und konnte ihn so nicht hören. Voller Entsetzen merkte Ben wie er seinen Darm nicht mehr kontrollieren konnte und er sich auf den Boden entleerte. Nun war er ganz still. Vor lauter Scham wäre er am liebsten im Erdboden versunken und überlegte die ganze Zeit wie er sich hochziehen, zum Bad robben und die Bescherung beseitigen konnte. Welche Peinlichkeit wartete denn noch auf ihn? Außerdem bemerkte er nun noch, dass bei seinem Sturz die Infusion aus seinem Arm gerutscht war. Die tropfte nun langsam auf den Boden und ein wenig Blut floss aus seinem Arm, bevor es dann doch wieder von selber aufhörte.
    Er hatte inzwischen überhaupt kein Zeitgefühl mehr. Als er sich erhoben hatte, war es drei Uhr gewesen, aber seitdem konnten fünfzehn Minuten, aber auch eine ganze Stunde vergangen sein. Er würde sich jetzt erholen und dann all seine Kräfte mobilisieren, aufstehen und sich im Bad saubermachen. Danach würde er den Boden aufwischen und niemand würde dann das Malheur bemerken. Er schloss die Augen, aber da am Boden war es doch hart und kalt, nur mit dem Flügelhemdchen. Vielleicht konnte er wenigstens seine Zudecke herunterziehen? Er versuchte es, aber es ging einfach nicht und so lag er nun auf der Seite und versuchte seine Energie zu sammeln, um dann endlich seinen Plan in die Tat umzusetzen-aua-wenn das nur nicht so weh täte!

  • Ben hatte die Augen geschlossen und versucht seine Kräfte zu sammeln. Nun lag er auch noch in einer Pfütze Infusionslösung, da die ja munter weitertropfte, allerdings nicht mehr in ihn. Er konzentrierte sich nach einer Weile, nahm alle Kraft zusammen und versuchte hochzukommen, oder wenigstens in den Vierfüßlerstand, um zum Bad zu kriechen, aber er kam nur wenige Zentimeter weit, dann sank er wieder völlig erschöpft in sich zusammen. Wie spielend leicht machte das Tim, der inzwischen krabbeln konnte wie der Wind, er hingegen hatte keine Chance sich hochzustemmen. Was war nur mit ihm los? Er war kraftlos und seine Schmerzen nahmen von Minute zu Minute zu. Klar-er hatte ja jetzt auch keine Infusion mehr, durch die er zuvor kontinuierlich Schmerzmittel bekommen hatte. Nun fror er zwar, aber trotzdem war sein Körper vor Stress von einem Schweißfilm bedeckt. Ohne es verhindern zu können suchten ihn wieder Durchfälle heim und er schämte sich zu Tode. Einerseits sehnte er sich danach, endlich wieder in sein Bett zu kommen, andererseits fürchtete er den Moment wenn die Tür sich öffnen und die Nachtschwester die Bescherung sehen würde. Er war hilfloser als ein Säugling und vor allem hatte er keine Ahnung was ihm fehlte. Er war doch schon oft operiert worden-gut manchmal hatte danach der Kreislauf ein wenig geschwächelt, aber das fühlte sich anders an. Ihm war weder übel noch schwindlig, er war völlig Herr seiner Sinne, auch war nichts irgendwo taub, wie es bei einer Lähmung wäre und trotzdem konnte er sich nur minimal bewegen. So blieb ihm nichts anderes übrig als zu warten dass Hilfe kam und endlich so gegen fünf öffnete sich die Tür und die Nachtschwester kam zu ihrem letzten Durchgang herein.


    „Ach du liebe Güte Herr Jäger-sind sie gestürzt?“ fragte sie und machte das große Licht an, als sie ihn da auf dem Fußboden liegen sah. Sie sah und roch die Bescherung und ging nun zunächst einmal davon aus, dass er einen Kreislaufkollaps erlitten hatte, als er versucht hatte alleine zur Toilette zu gehen. „Ist ihnen was passiert-haben sie irgendwo Schmerzen?“ fragte sie mitleidig, weil sie sofort erkannte, dass er bei Bewusstsein war. Das war sowieso merkwürdig! Den Spuren nach zu urteilen lag er schon länger, denn die Infusion war auf den Boden ausgelaufen, aber die war ziemlich langsam getropft und hätte normalerweise bis zum Morgen ausgereicht, wie sie bei ihrem letzten Durchgang kurz vor drei ausgerechnet hatte. Er hatte Durchfall gehabt-nun gut, sowas kam vor und es war auch nicht so ungewöhnlich, dass jemand auf dem Weg ins Bad einen orthostatischen Kollaps erlitt, gerade wenn er erst frisch operiert war, wie das ja bei ihrem Patienten der Fall war. Aber normalerweise kamen die Menschen, nachdem sie eine Weile gelegen hatten und das Blut wieder in ihren Kopf gelaufen war, durchaus hoch und konnten läuten. Außer sie hatten sich etwas gebrochen-da ging das manchmal schmerzbedingt einfach nicht. Während sie sich eine Plastikschürze umband und zwei Paar Einmalhandschuhe übereinander anzog, um erst mal die Schweinerei zu beseitigen, fragte sie sich, was wohl bei Herrn Jäger passiert war. Sie fühlte nach seinem Puls, aber der war normal und kräftig-im Augenblick hatte er auf jeden Fall keine Kreislaufprobleme. Alte Menschen erlitten manchmal Schlaganfälle, die sie nicht mehr hochkommen ließen, aber da lag er ja völlig außerhalb der Risikogruppe.
    Nun antwortete Ben und die Schwester nahm neben den Informationen, die er ihr gab zugleich noch wahr, dass er keine verwaschene Sprache hatte, wie das bei einer Hirnblutung vielleicht der Fall gewesen wäre. „Schwester-es tut mir so leid-ich wollte nur zur Toilette gehen, aber ich bin einfach zusammengesackt und so sehr ich mich anstrenge-ich komme nicht mehr hoch. Mein Rücken tut mir weh und mein Arm, aber das war ja schon vor dem Sturz so, ich glaube nicht, dass ich mir was gebrochen habe, nur bin ich völlig saft- und kraftlos!“ sagte er unglücklich und wäre vor Scham beinahe im Boden versunken, als die Schwester nun erst einmal den Mülleimer näher holte und den Stuhlgang und die Infusionslösung mit Einmaltüchern vom Boden aufwischte. Dann holte sie von draußen eine Waschschüssel, zog ihm das durchnässte Hemd aus und begann ihn mit lauwarmem Wasser kurz herunter zu waschen. Sie hatte ein frisches Laken auf den Boden geworfen, wo sie ihn darauf rollte, aber stirnrunzelnd stellte sie fest, dass er ihr wirklich kaum helfen konnte und außerdem das Gesicht vor Schmerz verzog, aber das war ja klar-er hatte ja schon eine Weile kein Schmerzmittel mehr. Sie legte ein frisches Hemd über ihn, zog ihre Handschuhe, die sie dazwischen schon mehrfach gewechselt hatte, aus und desinfizierte ihre Hände. Nun zog sie das Telefon, das sie immer bei sich trug aus der Kitteltasche und verständigte nacheinander den diensthabenden Arzt und ihre Kollegin von der Nachbarstation, die ihr helfen sollten, Ben ins Bett zu legen.
    „Herr Jäger auf 404 ist gestürzt und ich bringe ihn alleine nicht hoch!“ informierte sie die beiden und wenig später standen der diensthabende Chirurg und die Pflegekraft der Nachbarstation vor ihr. Kurz untersuchte der Arzt Ben am Boden liegend durch, nicht dass man doch eine Fraktur übersah, leuchtete ihm in die Augen und tastete ihn ab. Dann legte man ins Bett noch eine große Einmalunterlage, denn auch der Verband am Rücken war feucht und im unteren Bereich beschmutzt, aber den würde man in aller Ruhe später in einer angenehmen Arbeitshöhe erneuern. „Auf drei!“ vereinbarten die drei Profis und gemeinsam hoben sie Ben, der dabei überhaupt nicht helfen konnte, aber laut aufstöhnte, ins Bett. Auch der Arzt hatte auf den ersten Blick nichts feststellen können, legte Ben nun aber sofort einen neuen Zugang und ordnete angesichts der sichtlich starken Schmerzen die sein Patient hatte, eine Kurzinfusion mit Piritramid, einem Opiat an. Vielleicht war es wirklich den Schmerzen geschuldet, dass er sich so schwer bewegen konnte, er würde jetzt erst mal abwarten. Die Schwester dachte mit Grausen daran, dass sie nun erstens sehr im Verzug war-die restliche Morgenarbeit wartete-und außerdem noch würde ein Sturzprotokoll schreiben müssen, denn das war eine versicherungsrechtliche Haftungsfrage wenn ein Patient im Krankenhaus stürzte und sich dabei verletzte. „Wir haben jetzt fünf Uhr fünfzehn-wissen sie vielleicht zufällig wie spät es war als sie gefallen sind?“ fragte sie ihn und Ben, der sehnsüchtig auf den Wirkungseintritt des Schmerzmittels wartete, antwortete wahrheitsgemäß: „Das war so kurz nach drei!“ und die Pflegekraft notierte das im Geiste. „Ich erneuere später noch den Verband, aber jetzt erholen sie sich erst einmal!“ sagte der Arzt und Ben nickte. Wenig später war er wieder alleine im Zimmer und ganz langsam wurde mit jedem Tropfen der Kurzinfusion der Schmerz erträglicher und Ben atmete auf.


    Dieter und Jenni kamen, wie mit der Chefin vereinbart, um sieben in die PASt. Die war auch nur kurz zuhause gewesen und hatte ein paar Stündchen geschlafen, stand aber schon wieder auf der Matte. „Wir werden unseren beiden Gefangenen jetzt noch einen Kaffee und jedem zwei Brötchen mit Butter und Marmelade spendieren-ich habe unterwegs vom Bäcker was mitgebracht-damit wir da nicht die nächste Beschwerde bekommen und dann werden sie beide die Herren ins Untersuchungsgefängnis bringen. Ich werde mit Herrn Gerkhan später dort hinfahren und den nächsten Verhörversuch machen, vielleicht sind sie heute gesprächiger und sonst werden wir unsere Akten vervollständigen und dem Haftrichter vorlegen.“ teilte die Chefin ihnen mit und nachdem die beiden Gefangenen fürstlich gefrühstückt hatten, wurden sie von Jenni und Dieter in das Polizeifahrzeug gebracht. Dermold setzte man auf den Beifahrersitz, schloss seine rechte Hand mit Handschellen am Fahrzeug fest und mit Bruckner auf dem Rücksitz, neben dem Jenni Platz nahm, machte man dasselbe. „Keine Gespräche unterwegs!“ mahnte die Chefin und sagte zu den beiden Verbrechern: „Wir sehen uns später!“ und nun fuhr Dieter vom Hof. Es herrschte reger Berufsverkehr und als das Polizeifahrzeug sich einer Kreuzung näherte, sah Jenni plötzlich das Unheil in Form eines LKW mit überhöhter Geschwindigkeit kommen. Sie schrie noch auf, aber da hatte das riesige Fahrzeug den Polizeiwagen schon auf der Fahrerseite erfasst, man hörte es krachen und dann wussten Jenni und Dieter erst einmal nichts mehr.

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