Lucky

  • Das Polizeifahrzeug wurde noch ein Stück von dem LKW weitergeschoben, bis es zum Stehen kam. Bruckner und Dermold, die beide an der Beifahrerseite gesessen hatten, waren zwar einen kurzen Augenblick benommen, stellten dann aber relativ schnell fest, dass ihnen eigentlich außer ein paar Prellungen so gut wie nichts passiert war, während Bonrath und Jenni bewusstlos und leicht eingeklemmt in ihren Sitzen hingen. „Schnell-die Schlüssel für die Handschellen!“ rief Dermold und versuchte die aus Bonrath´s Tasche zu angeln. Als Erster war aber Bruckner erfolgreich, schnappte sich aus Jenni´s Hosentasche die Schlüssel und befreite sich und seinen Kumpanen. Dermold griff noch nach Dieter´s Waffe und während Jenni und ihr Kollege gerade stöhnend wieder zu sich kamen und die ersten Ersthelfer sich näherten, rissen sie die beiden rechten Türen auf, bedrohten die herannahenden Menschen mit der Pistole und verschwanden um die nächste Ecke. Wenig später fuhren mit lautem Martinshorn zwei Rettungsfahrzeuge der Feuerwehr und ein weiterer Streifenwagen herbei und begannen die Verletzten zu bergen und zu versorgen. Als Jenni aus dem Fahrzeug geholt war und auf ihrer Trage lag, sah sie erst zu Dieter hinüber, der sich stöhnend den Kopf hielt, aber anscheinend auch nicht allzu schwer verletzt war, wie sie auch und dann schaute sie ins nun leere Fahrzeug und sah dort die Handschellen von den Halterungen baumeln. „Verdammt-unsere Gefangenen sind geflohen!“ rief sie und setzte die Kollegen darauf an, die sich sofort auf die Suche machten. Aber die kamen nach kurzer Zeit unverrichteter Dinge wieder zurück-die beiden Männer waren wie vom Erdboden verschluckt.


    Ben hatte derweil im Krankenhaus die Augen geschlossen und ließ das starke Schmerzmittel in seine Adern tropfen und seine wohltuende Wirkung entfalten. Als etwa die Hälfte der Kurzinfusion in ihn hineingelaufen war, merkte er, dass er schon wieder zur Toilette musste. Hektisch läutete er und die sehr gehetzt wirkende Nachtschwester meldete sich erst durch den Patientenruf und brachte ihm dann eine Bettschüssel. Sie setzte ihn mit viel Mühe drauf und verließ das Zimmer wieder, aber als sie wieder draußen war hätte Ben schreien mögen vor Schmerz, denn der Druck dieser mobilen Toilette in seinem wunden Rücken war trotz Schmerzmittel absolut unerträglich. Er begann vor Verzweiflung zu wimmern und versuchte sich anders hinzusetzen, damit es nicht gar so weh täte, aber es war ein absolut nutzloses Unterfangen-er hielt es nicht aus! Trotzdem entleerte er sich und als er verzweifelt wieder auf die Glocke drückte, dauerte es unendlich lange und er war beinahe in Tränen aufgelöst, als die Nachtschwester wieder kam um ihn zu befreien. „So schlimm?“ fragte sie besorgt, als sie die Tränenspuren in seinem Gesicht sah und er nickte stumm und wäre vor Schmerz und Scham beinahe wieder im Boden versunken. Die Nachtschwester befreite und säuberte ihn und verständigte nochmals den Chirurgen, der aber gerade zu einem anderen Patienten gerufen worden war. „Ich kümmere mich darum!“ versprach er und nun rüstete sich die Schwester zum Endspurt-in wenigen Minuten würden ihre Kollegen erscheinen und sie hatte wieder eine Nacht geschafft.
    Ben blieb derweil völlig fertig in seinem Zimmer zurück-das konnte doch nicht sein, dass Hundebisse dermaßen weh taten? Er war ja schon oft verletzt worden und war eigentlich nicht so empfindlich, aber das hier sprengte jeden Rahmen und so versuchte er sich auf der Seite ein wenig zusammenzurollen und darauf zu hoffen, dass die Schmerzen erträglich wurden. Die Nachtschwester machte derweil systematisch von Zimmer zu Zimmer vorgehend ihren Kollegen im Stationszimmer Übergabe und den Bereich in dem Ben lag, übernahm ein junger Pfleger. Nach der Übergabe schwärmte die Tagschicht aus und Andreas, wie der junge Pfleger hieß, sah als Erstes zu seinem neuen Patienten. Er stellte sich vor, sah aber, dass sein Patient, obwohl die 7,5 mg Piritramid inzwischen eingelaufen waren, vor Schmerzen zitternd im Bett lag und rief seinerseits nochmals den Chirurgen an. Immerhin war das noch dazu der Mann einer Kollegin-da sollten die Weißkittel mal zusehen, dass sie in die Gänge kamen! Gewaschen war Ben ja schließlich von der Nachtschwester schon, aber der Verbandwechsel stand an und weil der großflächige Verband an vielen Stellen durchschlug und im unteren Bereich zudem mit Stuhlgang verschmutzt war, was dringend gespült werden musste, holte der junge Pfleger schon mal den Verbandswagen und als kurz darauf der Arzt ins Zimmer kam, lagerte er Ben auf den Bauch und begann den Verband zu lösen. Entsetzt starrten die beiden Medizinprofis danach auf Ben´s Rücken und der Arzt ordnete als Erstes ein weiteres Schmerzmittel an, als er den Zustand der Wunden sah. „Das wird ne größere Sache-das ist nichts für einen Verbandwechsel im Zimmer!“ befand er dann und so legte man nur eine sterile Abdeckung über Ben´s Rücken und brachte ihn in den Funktionsbereich in einen besser ausgestatteten Eingriffsraum.


    Als Sarah eine halbe Stunde später mit Tim auf dem Arm, der wieder vergnügt und ausgeschlafen war, im Zimmer eintraf war dort niemand mehr zu finden und voller Panik lief Sarah auf den Flur, um zu fragen wo Ben steckte. „Dem gings heute Nacht nicht so gut-der ist gerade zum Verbandwechsel im Funktionsbereich!“ bekam sie gesagt und nun rief sie doch Andrea an, obwohl es noch ziemlich früh war. „Kannst du Tim vielleicht heute doch nochmal nehmen?“ fragte Sarah und hörte zu ihrer Erleichterung schon Ayda und Lilly im Hintergrund lärmen. „Na klar mache ich das-ich bringe nachher mit dem Auto noch die Kinder in Schule und Kindergarten und danach stehe ich bereit!“ gab Andrea Bescheid und nun wurde ausgemacht, dass sie Tim im Krankenhaus abholen würde. Sarah machte sich derweil auf die Suche nach ihrem Mann, aber sie wollte Tim erstens nicht der Keimbelastung und zweitens nicht der psychischen Belastung aussetzen, wenn es dem Papa nicht so gut ging und als sie im Funktionsbereich angekommen war, hörte sie ihn durch die nur halb geschlossene Schiebetür gerade vor Schmerz aufschreien und sank nun mit zitternden Knien, ihren Sohn fest an sich gedrückt, der sich mit großen Augen umsah, auf einen Stuhl im Wartebereich. Wenn sie nur irgendetwas machen könnte! Aber bevor ihr Kind nicht versorgt war, konnte sie sich nicht um Ben kümmern und so hieß es warten bis der abgeholt wurde.

  • Bruckner und Dermold waren in einem Häuserblock verschwunden, der unweit der Unfallstelle lag. Zufällig war gerade eine junge Frau aus dem Eingang getreten und sie hatten die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und waren in den Flur geschlüpft. Dann läuteten sie an einer Tür, hinter der sie keine Geräusche hörten und als ihnen eine ältere Frau vorsichtig einen Spalt öffnete, dann aber die Tür sofort wieder schließen wollte, als sie zwei fremde Männer draußen stehen sah, schob Bruckner einen Fuß in den Türspalt und drückte sie vollends auf. Dermold hatte die Pistole, die er vorrübergehend in seinen Hosenbund geschoben hatte, wieder herausgeholt und mit der bedrohten sie die Frau, die vor Angst zitternd in ihre Wohnung zurückwich. Bruckner fragte knapp: „Telefon?“ und die Frau wies furchtsam auf den Apparat, der im Wohnzimmer stand. Bruckner wählte eine Nummer und als er sich meldete, war sein Gegenüber sehr überrascht. „Du musst uns abholen-wir sind in Longerich, Lutz und ich-wie ist die Adresse?“ herrschte er die Frau an, die verschüchtert die Anschrift durchgab und er sagte sie dem Mann am anderen Ende weiter. „Wie lang brauchst du?“ fragte er und sein Gesprächspartner meinte etwa 20 Minuten. „Gut-wir warten hier, fahr direkt vors Haus, wir kommen dann runter, wenn wir deinen Wagen sehen!“ befahl Bruckner und dann wiesen sie die Frau an, sich auf einen Küchenstuhl zu setzen und fesselten und knebelten sie. Sie warteten am Fenster und als der Lieferwagen eintraf gingen die beiden Männer hinunter, stiegen ein und der Fahrer fuhr sofort wieder los.
    Die Frau saß immer noch schreckensbleich auf ihrem Stuhl und versuchte den Knebel auszuspucken und sich zu befreien. Sie regte sich so auf und strengte sich dermaßen an, dass sie einen Herzanfall erlitt und als ihre Tochter sie am Nachmittag besuchen wollte, war sie schon eine ganze Weile tot.


    Jenni und Dieter wurden ins Krankenhaus gebracht und dort versorgt. Gott sei Dank hatten sie hauptsächlich Prellungen und ein paar Quetschungen erlitten und mussten zwar zur Beobachtung beide einen Tag stationär bleiben, aber es waren keine bleibenden Schäden zu erkennen und als Semir und die Chefin wenig später dort eintrafen, die von der Zentrale verständigt worden waren, waren die beiden, die jeder in einem Bett in er Patientenaufnahme lagen, schon wieder guter Dinge. „ Ich konnte echt nichts dafür-der LKW ist einfach in uns hinein gerauscht, aber die beiden Verbrecher sind leider entkommen!“ bedauerte Dieter und Semir nickte. „Die werden wir schon wieder schnappen-die Fahndung läuft, Kollegen suchen die Umgebung des Unfallortes ab und ihre beiden Häuser werden beobachtet-jetzt macht euch mal keine Gedanken und werdet erst mal gesund!“ sagte er herzlich, wobei er sich da gar nicht so sicher war, ob sie die beiden Mörder so einfach schnappen konnten. Jetzt hieß es erstens deren Kontaktpersonen zu überprüfen und dann auch auf den Kommissar Zufall zu hoffen. Auch die Chefin wünschte ihren Leuten gute Besserung und Semir und sie gingen dann noch nach oben, um nach Ben zu sehen. Dort fanden sie allerdings niemanden in dem Zimmer vor und als sie das Pflegepersonal fragten bekamen sie Bescheid, dass Herr Jäger gerade zum Verbandwechsel weg sei. „Dann suchen wir jetzt die Flüchtigen und ich komme nachmittags wieder!“ beschloss Semir, denn er wollte der Chefin keine Wartezeit zumuten und so sah er auch Andrea nicht, die fast zur selben Zeit über den Haupteingang die Klinik betrat, um den kleinen Tim abzuholen.
    Er und Kim Krüger fuhren davon und Andrea rief Sarah auf dem Handy an, dass sie jetzt da sei.Sarah war die ganze Zeit mit ihrem Sohn auf dem Arm vor dem Behandlungsraum gesessen und hatte voller Mitleid und Sorge mitgehört, wie man Ben darin anscheinend gequält hatte. Als Andrea sich endlich meldete, eilte sie ins Foyer und dann bauten die beiden Frauen noch den Kindersitz um und Tim fuhr guter Dinge-in der Hand ein frisches Brötchen das ihm Andrea zu Bestechungszwecken mitgebracht hatte-mit ihr davon.


    Nun eilte Sarah so schnell sie konnte in den Funktionsbereich zurück, wo sie schon sehnsüchtig von ihrem Mann erwartet wurde. Er lag auf dem Bauch auf einem Behandlungstisch und gerade hatte man den Oberarzt geholt, der sich die Wunden ansehen sollte. Obwohl er nochmals ein Schmerzmittel bekommen hatte, waren die Schmerzen schier unerträglich und als der junge Chirurg die Jodoformtamponaden aus den tiefen Löchern gezogen hatte, hatte Ben laut geschrien. Wenn man seinen Rücken-wo auch immer-nur berührte, meinte er an die Decke gehen zu müssen und auch der junge Arzt war nun sehr verunsichert, denn irgendwie sahen die Verletzungen merkwürdig aus. Sie waren teigig aufgeschwollen und diese extremen Schmerzen waren eigentlich auch nicht erklärlich. Er hatte vorsichtig die Wunden gespült und gereinigt, aber dabei kam er sich vor wie ein Folterknecht, so ächzte und stöhnte sein Patient. Die tiefe Wundhöhle am Gesäß war leider mit Stuhlgang kontaminiert und man konnte die Abdrücke der Bettschüssel auch quer über den Po sehen, was ebenfalls merkwürdig war. Deshalb hatte er entschieden den Oberarzt zuzuziehen und der war praktisch gleichzeitig mit Sarah eingetroffen.
    „Angehörige haben hier keinen Zutritt!“ sagte der ältere Arzt, aber nun streckte sich Sarah: „Ich arbeite hier im Haus als Intensivschwester und ich werde keinen Millimeter mehr von meinem Mann weggehen!“ stellte sie sich und nun wurde ihre Anwesenheit stillschweigend geduldet. Auch Sarah hatte die Wunden, die sie vom Vortag her ja schon kannte, mit Verwunderung angesehen. Die sahen so aufgequollen aus und hatten teilweise einen gräulichen Belag. Außerdem war sie erschrocken was für starke Schmerzen Ben hatte, obwohl er schon eine ganze Menge an Metamizol, aber auch Opiaten erhalten hatte, wie sie sofort von ihren Kollegen erfragt hatte.
    „Hat er Fieber?“ wollte der Oberarzt wissen, der mit sterilen Handschuhen Ben´s Rücken betastete, was den vor Pein fast an die Decke gehen ließ, aber die Schwester schüttelte den Kopf. „Wir machen ein paar Abstriche und nehmen mal ein großes Labor ab-vielleicht bringt uns das weiter!“ beschloss er und so entnahm man mit dem sterilen Watteträger mehrere Proben, danach stopfte der Oberarzt noch neue Jodoformgaze in die Löcher-was Ben erneut zum Schreien brachte- und brachte wieder einen Verband an. Dann drehte man ihn auf die Seite, entnahm aus dem Arm mehrere Blutröhrchen, die sofort ins Labor gingen und dann wurde er vom Fahrdienst wieder auf sein Zimmer zurückgebracht.
    "Sarah ich weiß nicht was mit mir los ist-ich bin so schwach, dass ich nicht mehr laufen kann, ich habe brutale Schmerzen und bitte besorg mir eine Schüssel-ich krieg schon wieder Durchfall!“ sagte er und Sarah beeilte sich, ihn zu versorgen. Obwohl sie ganz vorsichtig war, weinte Ben vor Schmerzen, als er auf dem breiten Schüsselrand saß und Sarah hätte bald mit geschluchzt, so schlimm war das. Kaum war Ben fertig und sauber gemacht, kam er Oberarzt der ihn vorher behandelt hatte, zur Tür herein. „Herr und Frau Jäger-ich habe leider keine guten Nachrichten-die ersten Laborbefunde sind gekommen und wir müssen sie sofort auf die Intensivstation verlegen-sie haben eine recht seltene, aber dafür umso schwerwiegendere Erkrankung-es handelt sich eindeutig um eine schwere Form der Rhabdomyolyse!“ sagte er und nun hatte Ben überhaupt keine Ahnung was ihm fehlte, aber Sarah schlug entsetzt die Hand vor den Mund.

  • Semir war mit der Chefin auch erst zur Unfallstelle gefahren, sie hatten die Streifenpolizisten befragt, die nach dem Absuchen der Umgebung noch begonnen hatten an den Wohnungen der umliegenden Häuser zu läuten, aber niemand hatte etwas gesehen und so wurde am späten Vormittag die lokale Suche abgeblasen. Semir hatte nachgedacht. „Chefin-ich denke es macht Sinn, wenn ich die beiden Kontaktpersonen die uns bekannt sind befrage-das sind der Tierarzt in Leverkusen und der Fahrer des verunfallten Hundetransporters, ob die mir einen Hinweis geben können, wo sich Bruckner und Dermold verstecken könnten. Hartmut soll sich in den Häusern der beiden umschauen, vielleicht findet er da auch irgendwelche Hinweise, wo die sich verbergen könnten, außerdem soll Susanne die Konten der beiden herausfinden und einfrieren lassen, damit die nicht an Geld kommen und dann sehen wir schon, ob die Mäuse aus ihren Löchern kriechen!“ sagte er und die Chefin nickte zustimmend. „Ich habe leider zu tun, denn ich muss jetzt die Dienstpläne umschreiben, damit wir Jenni und Dieter ausgleichen und so einiges organisieren!“ verkündete sie und so machte sich Semir, nachdem er die Krüger an der PASt hatte aussteigen lassen, auf den Weg nach Leverkusen in die Tierarztpraxis.


    Sarah und der Pfleger, der Ben betreute, hatten inzwischen rasch Ben´s Sachen zusammengepackt und gemeinsam mit dem jungen Chirurgen der für die Station zuständig war, fuhren sie sein Bett auf die Intensivstation. Ben wollte eigentlich Sarah oder den Arzt fragen was dieses komische Rhab-äh klang ein wenig nach Rhabarber-Zeugs denn war, er war sich sicher, dass er davon in seinem Leben noch nichts gehört hatte, aber irgendwie ging die Verlegung so schnell, dass sich dazu keine Gelegenheit bot. Man schob ihn in eine Einzelbox und Ben betrachtete sorgenvoll die ihm schon vertrauten Geräte die da drin standen. Gut-so oft wie er in den letzten Jahren Intensivstationen von innen gesehen hatte, kannte er eigentlich niemanden, aber er war ja immer geheilt worden und hätte sonst auch Sarah nicht kennengelernt. Viele Leute wimmelten um sein Bett und der Chirurg machte ärztliche Übergabe an den Intensivarzt, der vorab telefonisch schon informiert worden war und der junge Pfleger erzählte seiner übernehmenden Kollegin die pflegerischen Details. Währenddessen machten sich bereits fremde Hände an ihm zu schaffen, man klebte auf seine Brust Elektrodenkleber und verband ihn mit dem Monitor, jemand steckte ihm einen Sauerstoffschlauch in die Nase, man schlang eine Blutdruckmanschette um seinen unverletzten Oberarm und clipste den Sättigungsfühler an.
    Der diensthabende Oberarzt der Intensivstation trat auch noch zu der Truppe, er besah sich die Laborwerte und zog eine Augenbraue nach oben. „Oh-so eine heftige Entgleisung habe ich schon lange nicht mehr gesehen! Bitte sofort Vollverkabelung, also Mehrlumen-ZVK, Arterie, DK und gleich Volumen anbieten und E-Lyte ausgleichen, vielleicht können wir die Niere noch retten!“ sagte er, bevor er wieder verschwand und jetzt wurde Ben blass. Von was sprachen die bitteschön? Außerdem musste er schon wieder aufstöhnen, so weh tat ihm sein kompletter Rücken. Außer den Wunden hatte er das Gefühl den stärksten Muskelkater seines Lebens zu haben, dazu Pudding in den Beinen und Durchfall bekam er auch schon wieder. Er fasste seine Frau, die ein wenig überfordert neben ihm stand und nicht wusste wo sie zuerst hinhören sollte, am Ärmel. „Sarah-ich muss schon wieder aufs Klo“ sagte er unglücklich und nun verschwand seine übernehmende Schwester kurz nach draußen um einen Topf zu holen. Gemeinsam drehte man ihn darauf und wieder hatte er dabei so massive Schmerzen, dass der Intensivarzt eilig einen Piritramidperfusor anordnete, als er das schmerzvolle Jammern seines neuen Patienten vernahm. Man breitete ein Laken über ihn und kurz gingen alle aus dem Zimmer, außer Sarah, vor der er sich auch nicht schämte, zu intensiv war dazu ihre Beziehung und als er danach von der Schwester und seiner Frau gemeinsam saubergemacht wurde, schloss er die Augen. Oh mein Gott-was würde noch alles auf ihn zukommen-er kam aus dem Genieren und Angst haben gar nicht mehr heraus!

  • Kaum war er saubergemacht, wurden schon verschiedene Eingriffswagen und geheimnisvolle Sterilverpackungen ins Zimmer gebracht. Wenigstens war der Piritramidperfusor jetzt vorbereitet und angeschlossen und Erleichterung machte sich in ihm breit, als die Schmerzen wenigstens ein bisschen erträglicher wurden. „Bitte was hab ich jetzt eigentlich?“ fragte er angstvoll, während man ihm das Hemd auszog und ihn auf den Rücken zurückdrückte, was immer noch schrecklich weh tat und ihm erneut ein Stöhnen entlockte. Er bekam nochmals Piritramid und jetzt wurde es halbwegs erträglich, aber dafür war er ein wenig wirr im Kopf und sah momentan wie durch einen Schleier, wie der Arzt Haube und Mundschutz anlegte, sich die Hände am Wandspender desinfizierte und sich dann steril Kittel und Handschuhe anzog. Sarah hatte derweil seine gesunde Hand vom Blutdruckapparat befreit und sie neben ihn so ins Bett gelagert, dass sein Daumen nach außen unten zeigte, so dass der Arzt die Radialisarterie-der Ort wo man z. B. den Puls zählte- gut erreichen konnte. Ihre Kollegin reichte derweil das Sterilgut an und bereitete das Arteriensystem vor. Der Doktor strich nun großflächig den Unterarm ab und legte ein steriles Tuch darüber.
    Nachdem sich der Blick seines Patienten, der momentan durch den Opiatbolus ein wenig trüb geworden war, wieder klärte, begann der Arzt ihm nun wenigstens in groben Zügen zu erklären, was er eigentlich hatte. Sicher-jeder der in einem Medizinberuf tätig war, kannte solche Krankheitsbilder-aber der Otto-Normalverbraucher hatte meistens von sowas noch nie etwas gehört. Auch hatte der Intensivarzt eigentlich erwartet, dass seine Chirurgenkollegen von der Normalstation ihn schon ein wenig aufgeklärt hätten, aber anscheinend war das nicht der Fall und seine Ehefrau wirkte auch im Augenblick sehr besorgt und ängstlich, auch die hatte anscheinend nichts gesagt.
    „Herr Jäger-jetzt lege ich ihnen zunächst einmal einen arteriellen Zugang in den Arm, damit können wir kontinuierlich den Blutdruck messen-ich glaube sie haben sowas schon gehabt, wenn ich ihren Unterlagen glauben darf!“ sagte er. Allerdings waren die Patienten ja oft in Narkose wenn sie verkabelt wurden und so wussten viele zwar, wie das hinterher aussah und sich anfühlte, aber das Legen der Zugänge verschliefen doch so einige. „Das wird jetzt ein wenig pieken, ist aber normalerweise schnell vorbei und nicht viel schmerzhafter als einen venösen Zugang zu legen!“ beruhigte er ihn, während er schon begann nach der Arterie zu tasten. „Und jetzt zu ihrem Krankheitsbild: Sie haben aus Gründen, die man nicht kennt, auf die massiven Hundebißverletzungen und die chirurgische Intervention im Anschluss mit einem massiven Untergang der Skelettmuskulatur reagiert. Was diesen Circulus Vitiosus auslöst ist leider bisher nur in Teilen bekannt-z.B. können auch Medikamente und Gifte das auslösen, aber man weiß, dass der Körper sich dabei sozusagen selber beginnt aufzulösen, bzw. eben die quergestreifte Muskulatur, die besonders im Muskelgewebe vorkommt. Es ist eigentlich eine enzymatische Überreaktion, aber wenn die einmal in Gang gekommen ist, kann man die nicht ursächlich stoppen, sondern nur versuchen die Folgen abzumildern.-Achtung jetzt piekts!“ fügte er dann hinzu und Ben zuckte kurz zusammen, als er einen schmerzhaften Nadelstich im Arm spürte. Ein wenig musste der Arzt suchen und in der Tiefe bohren, bis er die Arterie punktiert hatte, was Ben wieder mit einem kurzen Stöhnen quittierte, aber dann lief das Blut pulsierend aus der Nadel und schnell schob der Arzt durch diese einen dünnen Seldingerdraht sozusagen als Führung, zog dann die Nadel über den Draht heraus und fädelte das Plastikschläuchlein das in der Arterie liegen bleiben würde, darüber. Man fixierte mit einer speziellen Pflasterklebetechnik den Zugang und schloss die Arterie dann an den Druckdom und das System an. Die Schwester kalibrierte die Messung und ab sofort brauchte man keine Blutdruckmanschette mehr, sondern hatte immer eine kontinuierliche Blutdruckkurve auf dem Monitor.
    Der Arzt hatte sich zurückgezogen, damit er nicht unsteril wurde, als die Schwester das System anschloss und begann dann damit, Ben´s Hals mit einem frischen Basisset abzustreichen, wo der ZVK hinkommen sollte. Es blieb nur eine Seite, da die andere ja durch die Bißverletzung in Mitleidenschaft gezogen war und nicht zur Verfügung stand. Außerdem hatte er eigentlich nur einen Zugangsweg, denn die Schlüsselbeinvene musste man aufheben, falls ein Dialysekatheter fällig würde, was sich im Verlauf der nächsten Stunden ergeben würde.„So-den ersten Eingriff haben sie schon geschafft-jetzt folgt der zentrale Venenkatheter!“ fuhr der Arzt fort zu erklären und widmete sich dann wieder seinen Erklärungen und richtete nebenbei das Steriltischchen. „Das Problem im Organismus, wenn da auf einmal so viel Körpergewebe zugrunde geht ist, dass er und damit die wichtigen Organe sozusagen mit Abbauprodukten aus dem zerstörten Gewebe überschwemmt werden. Aus den defekten Zellen tritt der rote Muskelfarbstoff aus, der über den Blutweg in die Nieren geschwemmt wird und dort ab einer bestimmten Konzentration zu irreversiblen Schäden derselben führen kann. Wir sagen akute Tubulusnekrose dazu und wenn das eintritt fällt die Niere komplett aus und man wird sozusagen über Nacht zum Dialysepatienten. Einige andere Gefahren sind noch der Anstieg des Kaliums im Blut, das ebenfalls aus den zugrundegegangenen Zellen austritt und seinerseits zu bradykarden Herzrythmusstörungen führen kann, also das Herz immer langsamer schlägt. Als Gegenreaktion des Körpers, der natürlich selber versucht diese ganzen Prozesse auszugleichen, sinkt der Calciumspiegel, der Organismus übersäuert-wir sagen metabolische Lactatazidose dazu-die Phosphate im Blut steigen an und nachdem das wie eine akute Vergiftung wirkt, schnellen auch die Leberwerte massiv in die Höhe und auch dieses Organ kann irreversibel geschädigt werden. Daher werden wir jetzt auch versuchen ihnen zwar viel Flüssigkeit anzubieten, um die Giftstoffe auszuschwemmen, die Elektrolyte ausgleichen und mit Pufferlösungen die Übersäuerung zu therapieren, aber an Medikamenten an sich bekommen sie eigentlich nur Opiate als Schmerzmittel, weil die die Entgiftungsorgane Leber und Niere am wenigsten schädigen und sonst so wenig wie möglich."
    Ben´s Mund war trocken geworden und er musste schlucken, als er heiser fragte: „Und wie stehen meine Chancen das folgenlos zu überleben?“ und der Arzt zuckte kurz mit den Schultern, überlegte und antwortete dann: „50:50“ und nun schluchzte Sarah, die ebenfalls gebannt zugehört hatte, auf.


    Semir war inzwischen in Leverkusen in der Praxis angekommen. Er war schon in mehreren Tierarztpraxen gewesen, aber diese war nicht besonders ansprechend und lag in einem maroden Gebäude in einem Hinterhof. Die Einrichtung war alt und die Tierarzthelferin war zugleich die Ehefrau des Tierarztes, der- wie sie- ebenfalls mit östlichem Akzent wenig später mit ihm sprach. Schonungslos konfrontierte er den Doktor mit den Tatsachen-der kam ihm auch nicht gefährlich vor-und sagte: „Falls sie wissen, wo sich ihr Kunde Herr Bruckner aufhält, würde ich das ganz schnell sagen, denn er ist ein überführter Mörder und wenn sie mir irgendwas verschweigen, dann sorge ich dafür, dass sie ihre Praxis zumachen können!“ teilte er ihm grob mit und nun starrten ihn der Tierarzt und seine Frau mit schreckgeweiteten Augen an und ohne viel nachzudenken, begann der Doktor alles zu erzählen was er wusste.

  • „Meine Praxis lief vor einigen Jahren mehr schlecht als recht. Obwohl ich nebenbei noch am Schlachthof als Fleischbeschauer gearbeitet habe, hat es fast nicht gereicht die Praxismiete zu bezahlen und ein bescheidenes Leben zu finanzieren. Dann kam eines Tages Mark Bruckner mit seinen Schäferhunden in meine Praxis. Ich habe mich erst gewundert, denn der trug die besseren Klamotten als ich und fuhr auch ein großes Auto-solche Menschen gehen normalerweise eher zu Nobeltierärzten, die in besseren Gegenden praktizieren. Nachdem ich seine Hunde, die auch für einen Tierarzt nicht problemlos zu händeln sind, weil sie ein wahnsinnig hohes Aggressionspotential haben, fachgerecht untersucht und behandelt hatte, hat er mir einen Vorschlag unterbreitet. Er würde mir ein festes monatliches Salär zahlen, wenn ich an Futtermittelstudien an Hunden und Katzen mitarbeiten würde. Die Tiere würden fachgerecht versorgt werden und die Hersteller verlangten regelmäßige tierärztliche Überprüfungen und Untersuchungen, man musste auch Beurteilungsbogen ausfüllen und wenn ich das machen und meine Klappe halten würde und außerdem niemandem etwas davon erzählen, was er so trieb, dann hätte ich ab sofort ein regelmäßiges Einkommen und ich war in einer Lage, wo ich dieses Angebot nicht ausschlagen konnte. Ich untersuche, behandle und beobachte seitdem die Studientiere, fülle meine Bögen aus und halte ansonsten die Augen geschlossen!“ erklärte er und Semir brauste nun ein wenig auf. „Aber wie konnten sie zusehen, wenn manche Tiere mit absolut unpassendem Futter eigentlich gequält wurden? Michael Putz, der Tierheimmitarbeiter, der nachweislich von Bruckner und seinem Komplizen getötet wurde, hat erzählt, dass das manches Tier nicht überlebt hat und viele ein langes Leiden hatten, bis sie letztendlich ja alle getötet wurden. Und mein Kollege, der seit kurzem in das Tierheim eingeschleust war, um Informationen zu beschaffen, der hat das beinahe mit dem Leben bezahlt und liegt, nachdem er von Bruckner´s Hunden fast zerfleischt wurde, im Krankenhaus!“ sagte er gefährlich leise und nun wurde der Tierarzt blass und stammelte: „Das habe ich nicht gewollt! Oh mein Gott und ich habe Bruckner gestern erst unwissentlich darauf hingewiesen, dass da vermutlich ein Polizist bei ihm arbeitet, weil ich diesen gutaussehenden dunkelhaarigen Mann am Wochenende in der Stadt im Polizeimercedes gesehen habe!“ gab er sofort zu und jetzt wurde Semir klar, wie Ben aufgeflogen war. Allerdings war er da auch nicht ganz unschuldig dran-immerhin hatten sie sich mit den Jägers ja im Rheinpark getroffen und das hätten sie, solange Ben undercover war, einfach nicht tun dürfen-ob mit oder ohne Polizeifahrzeug, das war grob fahrlässig gewesen!
    „Ja mein Kollege liegt im Krankenhaus, aber ein anderer Mann-ein Tierschützer-hatte nicht so viel Glück. Auch er hatte sich an Bruckner´s Fersen geheftet und der wurde tatsächlich von dessen beiden Schäferhunden getötet, die übrigens meine Kollegin und ich gestern erschossen haben. Wir hatten Bruckner und seinen Komplizen- Lutz Dermold- schon verhaftet, aber heute Morgen gelang ihnen auf dem Transport zum Untersuchungsgefängnis die Flucht. Jetzt frage ich sie: Haben sie eine Ahnung, wo ich nach den Beiden suchen soll oder haben sie sogar in den letzten Stunden Kontakt mit ihnen aufgenommen?“ aber der Tierarzt schüttelte erschüttert den Kopf. Gerade wurde ihm klar, dass er sich selber und seine Familie in akute Lebensgefahr gebracht hatte, indem er mit solchen skrupellosen Verbrechern verkehrt hatte. „Es tut mir leid-inzwischen bereue ich, dass ich jemals bei solchen Machenschaften mitgezogen habe, aber dieses regelmäßige Einkommen hat mich verblendet!“ gab er zu und Semir, der einfach das Gefühl hatte, dass der Mann die Wahrheit sagte, stand nun auf, gab dem Tierarzt noch seine Karte mit der Bitte ihn sofort anzurufen, falls sich Bruckner bei ihm melden sollte und machte sich auf zu seinem nächsten fraglichen Kontaktmann.


    Der Hundeführer der Polizei fuhr am Morgen bei der Tierklinik vorbei. Er hatte am Abend noch angerufen und sich nach Lucky´s Befinden erkundigt, das aber mehr als kritisch war. Als der tierliebe Polizist an die Krankenbox trat, wo Lucky flach ausgestreckt auf der Seite lag, einen riesigen Verband um den schmalen Körper trug und eine Infusion im Lauf hatte, schlug der graue Schwanz ein paarmal matt, aber freundlich auf den Boden. „Das ist so ein Lieber!“ sagte die Tierarzthelferin, die die Krankenstation betreute, begeistert. „Als wüsste er, dass wir ihm nur helfen wollen und wir haben ihm sicher schon mehrfach weh getan, seit er da ist, aber er braucht keinen Maulkorb, wenn wir was an ihm machen-er knurrt und schnappt nicht-was für eine Schande, dass so ein lieber Hund kein Herrchen hat, das sich um ihn kümmert!“ bedauerte sie und der Hundeführer nickte. Die Tierarzthelferin nahm einen Leckerbissen in die Hand und bot ihn Lucky an, aber der hatte das Maul geschlossen und wandte den Kopf ab. Auch als der Hundeführer es versuchte, fraß er nichts. „Gut im Augenblick hat er noch Reserven und bekommt ja auch Infusionen, aber wenn er in ein paar Tagen immer noch nichts frisst, dann sehe ich schwarz!“ unkte die Tierarzthelferin und schweren Herzens verabschiedete sich der Hundeführer und ging wieder seiner gewohnten Arbeit nach.


    Inzwischen war auch ein Beschluss des Gerichts gekommen, dass die Hunde und Katzen aus Bruckner´s Versuchseinrichtung als Beweismittel beschlagnahmt wurden und so wurde es möglich die Tiere auf verschiedene Tierheime zu verteilen, wo sie fachgerecht betreut wurden, ordentliches Futter bekamen und täglichen Freilauf hatten. Sie würden noch untersucht werden, aber nach einer gewissen Wartezeit konnten sie dann in liebevolle Hände vermittelt werden, wenn sie Glück hatten.


    Bei Ben wurde inzwischen der ZVK gelegt. Man hatte ihn abgedeckt und steril die Halsseite eingespritzt. Trotzdem klammerte sich Ben krampfhaft an Sarah´s Hand fest, als in der Tiefe seines Halses herumgestochert wurde, auf der Suche nach der Halsvene. Man hatte das Bett kopftief gestellt, was ihm unangenehm war und ihm Atemnot bereitete, ein wenig tat es auch weh und gerade als der Arzt die Vene aufgefunden und punktiert hatte und versuchte den Seldingerdraht vorzuschieben, presste Ben zwischen zusammengekniffenen Kiefern hervor. „Ich muss schon wieder aufs Klo!“ aber nun schüttelte der Arzt den Kopf. „Das geht jetzt nicht-bitte um Himmels willen ruhig liegenbleiben und nicht bewegen, sonst richte ich an ihrem Hals einen Riesenschaden an!“ sagte er und nun beugte sich die Intensivschwester über ihn. „Lassen sie es einfach ins Bett-wir machen das nachher sauber!“ sagte sie freundlich und so blieb Ben nichts anderes übrig als eben das zu tun und vor Scham liefen ihm nebenbei unter der Abdeckung die Tränen aus den Augen!

  • Hartmut hatte voller Entsetzen von Jenni´s und Bonrath´s Unfall gehört und eilte so schnell er konnte ins Krankenhaus. Er war Jenni schon manchmal näher gekommen und sie bedeutete ihm viel, aber so ein richtiges Paar waren sie noch nicht. Sie gingen öfter miteinander aus, jeder hatte schon in der Wohnung des anderen übernachtet, aber sonst plätscherte ihre Beziehung gerade ein wenig vor sich hin. Als er nun allerdings hörte, dass sie im Krankenhaus war, hielt ihn nichts mehr in der KTU. „Jenni-wie geht’s dir?“ fragte er besorgt. Sie war inzwischen in einem Zimmer auf der Normalstation und lächelte ihn an. „Na ja-geht schon! Ich habe zwar ein Gefühl, als wenn mich ein Panzer überrollt hätte, aber ich habe was gegen die Schmerzen gekriegt und wenn bis morgen nichts dazukommt, soll ich schon wieder entlassen werden!“ erklärte sie ihm. „Ich hol dich dann natürlich ab!“ versprach er und Jenni bedankte sich mit einem Lächeln.


    Nach einem kurzen Aufenthalt fuhr er weiter in die tiermedizinische Fakultät der Uni. Im Kofferraum seines Wagens hatte er nämlich eine brisante Fracht und er hatte eine ganze Weile herumtelefonieren müssen, um jemanden zu finden, der die Hundekadaver, die man in einen dichten Leichensack gepackt hatte, obduzieren würde. Aber das musste alles seine Richtigkeit haben und Beweismittel mussten gesichert werden-unter anderem auch die Stücke, die die Hunde laut der Erzählungen Semir´s und der Chefin aus Ben gerissen und gefressen hatten. So fuhr er in den Hof, den der Professor ihm gewiesen hatte und man holte mit einem Rollwagen die Kadaver und brachte sie in einen Obduktionsraum, der nicht anders aussah, wie in der menschlichen Pathologie. Aus Interesse blieb er dabei, obwohl es ihn ganz schön ekelte und stellte dann auch den Mageninhalt sicher, in dem tatsächlich ein paar menschliche Fleischfetzen waren. „Ansonsten ist der Darm bei beiden Hunden ziemlich leer!“ erklärte der Tierarzt, der die Untersuchung vornahm. „Sie waren ansonsten zwar schlank, aber gut genährt, doch Hunger erhöht natürlich noch die Aggressivität!“ sagte er. Dann sah er sich die Gehirne an und Hartmut wunderte sich, wie klein die doch tatsächlich waren. Der Tierarzt runzelte die Stirn: „Da sind allerdings merkwürdige Veränderungen zu sehen-ich werde das mal fotografieren, dann die Gehirne konservieren und Kollegen aus aller Welt um Rat fragen, was die hatten!“ und Hartmut nickte. Zugleich gewann man noch Proben aus allen Körperflüssigkeiten und dann wurden die obduzierten Kadaver eingefroren bis die endgültigen Ergebnisse vorlagen. Danach würde man sie der Tierkörperverwertung mitgeben, wo sie verbrannt werden würden. Hartmut hatte nun die letzten Beweise gesichert und im Genlabor war man auch gerade dabei, den angetrockneten alten Gewebebatzen unter dem Schreibtisch, den Ben noch hatte bezeichnen können, zu untersuchen und wenn der von Heinze stammte, war wenigstens die Beweiskette geschlossen.


    Semir war inzwischen zu dem Fahrer des verunfallten Lieferwagens gefahren und radebrechte gerade mit dessen Frau, die ihn erst nicht hereinlassen wollte, aber beteuerte, ihr Mann sei vor wenigen Stunden weggefahren und nicht zu Hause. „Kennen sie Mark Bruckner?“ fragte Semir und zeigte ihr dessen Bild, aber die Frau sah sichtlich ängstlich und gehetzt auf seinen Handybildschirm und schüttelte vehement den Kopf. Semir war sich zu hundert Prozent sicher, dass sie log, aber er konnte ihr ja das Gegenteil nicht beweisen. Kurz überlegte er, ob die beiden Flüchtigen sich wohl in der Wohnung aufhalten würden und ob es Sinn machte, wenn er da alleine reinging, oder er sich einen Untersuchungsbeschluss und Verstärkung holen sollte, aber dann fragte er die Frau einfach freundlich, ob er sich kurz drinnen umsehen dürfe und nun öffnete sie zögernd die Tür. Sie kam aus Polen, wie ihr Mann auch und dort hatte man vor der Polizei noch großen Respekt. Semir sah sich gerade ein wenig im Wohnzimmer um, da läutete das Telefon und als die Frau nach kurzem Zögern ranging, sprach sie schnell etwas auf Polnisch und Semir tat es sehr leid, dass er die Sprache nicht verstand. Ihrem Benehmen nach vermutete er, dass ihr Gatte am anderen Ende war, der ihr erklärte, wo er gerade war, oder was er vorhatte. Semir war sich nun ziemlich sicher, dass der zumindest wusste, wo sich Bruckner und Dermold aufhielten, aber die Frau legte schnell auf und blockte auf Semir´s Frage, ob das ihr Mann gewesen sei ab. „Nein-war Schwiegermutter!“ beteuerte sie und nun war Semir nochmals klar dass sie log, denn er hatte deutlich den Klang einer Männerstimme vernommen. „Können sie mir nun endlich sagen, wo ihr Mann ist, oder wie ich ihn erreichen kann?“ fragte er, aber die Frau schüttelte den Kopf.
    Semir war klar, dass er aus ihr nichts mehr herausbringen würde und verabschiedete sich nun und ging zu seinem Wagen. Von dort rief er sofort Susanne an und beauftragte sie, herauszufinden, woher der letzte Anruf aufs Festnetz der Familie Strzigowski gekommen war und wenig später war klar, dass der von einem Handy ausgegangen war, das sich gerade auf der Autobahn Richtung Osten bewegte. Susanne fand dann noch heraus, dass der Mann, der ein selbstständiger Kurierfahrer war, sich am Vortag ein neues Fahrzeug geleast hatte und wenig später hatte Semir die Fahrzeugdaten in der Hand. Kurz überlegte er, aber dann rief er die Chefin an: „Ich habe keine sicheren Beweise, aber ich glaube, dass Strzigowski den beiden als Fluchthelfer dient. Die haben eine dreiviertel Stunde Vorsprung, aber ich denke, dass die sich Richtung Polen absetzen wollen-da sind ja auch die Geschäftsbeziehungen hin, so welpenhandelsmäßig. Ich werde denen jetzt folgen, denn ich glaube, dass ich die mit meinem doch PS-stärkeren Fahrzeug locker einholen kann!“ erklärte er ihr. Kim überlegte kurz und musste ihm Recht geben, dass der Verdacht ziemlich naheliegend war. „Gerkhan-ich würde ihnen gerne Verstärkung mitgeben, aber ich bin personell leider etwas knapp, wie sie ja wissen. Versprechen sie mir, dass sie die örtliche Polizei zur Verstärkung rufen, wenn sie die Flüchtigen eingeholt haben? Und denken sie daran-die haben Bonrath´s Waffe!“ warnte sie ihn, aber Semir hatte schon gewendet und war mit quietschenden Reifen Richtung Autobahn unterwegs.


    Bei Ben war inzwischen der ZVK angenäht und sollte dann noch röntgenkontrolliert werden. Aber erst machten die Schwester und Sarah ihn sauber und bezogen das Bett frisch. Auch der Verband hatte wieder etwas abgekriegt und musste ebenfalls erneuert und die Wunden am Gesäß gespült und neu austamponiert werden, was erneut eine einzige Tortur für Ben war. Ein Fäkalkollektor würde wegen der Wunden am Po nicht halten, die Schüssel brachte ihn vor Schmerzen fast um und auch eine Windelhose war keine Lösung. „Wo kommt denn bloß der Durchfall her?“ stöhnte Ben, der vor Peinlichkeit am liebsten in einem Mauseloch verschwunden wäre. „Das kann ich dir schon sagen, Schatz!“ antwortete Sarah. „Der Darm ist ja das größte Entgiftungsorgan des Körpers und diese Muskelabbaustoffe wirken, obwohl sie ja eigentlich aus dem eigenen Körper kommen, wie eine Vergiftung. So versucht der Organismus wenigstens einen Teil der Gifte auszuscheiden, aber gerade dadurch verlierst du auch wichtige Stoffe und Flüssigkeit, die dein Körper eigentlich braucht!“ erklärte sie und diese Erklärung genügte Ben zwar, aber er war trotzdem ganz verzweifelt deswegen und nun wartete die nächste Peinlichkeit schon auf ihn, denn die Schwester hatte inzwischen alles zum Legen des Blasendauerkatheters hergerichtet.
    „Oh nein Sarah-kannst du das nicht machen?“ stöhnte er auf, als die Schwester sterile Handschuhe anzog und das Abdeckset näher brachte, aber Sarah schüttelte den Kopf. „Nein Ben-das möchte ich nicht!“ sagte sie bestimmt und so schloss er die Augen und ließ die zugegebenermaßen unangenehme, aber nicht schmerzhafte Prozedur über sich ergehen und klammerte sich dabei an Sarah´s Hand fest. Als der Silikonkatheter geblockt in der Blase lag, schauten Sarah, der Arzt und die Schwester betreten auf den Ablaufbeutel. Nur eine kleine Menge dunkelroter, fast schwarzer, konzentrierter Urin war darin. „Das Nierenversagen ist schon in vollem Gange!“ flüsterte Sarah und die anderen nickten.

  • Zunächst kam nun die Röntgenassistentin und fertigte mit dem mobilen Röntgengerät, das sich auf der Intensivstation befand, eine Aufnahme des Thorax an. Dazu musste man Ben mit dem Rücken auf die kalte und harte Röntgenkassette legen, was ihm unsägliche Schmerzen trotz Piritramidbolus bereitete. Er musste sich auf die Lippen beißen, um nicht laut loszuschreien und konnte-nachdem alle Anwesenden kurz den Raum verlassen hatten, um keine Strahlung abzukriegen- kaum den Anweisungen der jungen Frau Folge leisten, die von außerhalb des Zimmers kommandierte: „Jetzt einatmen, ausatmen, nicht mehr atmen!“ und dann von draußen auf den Auslöseknopf der Mobilette drückte. Auf seinen Unterleib hatte man ebenfalls einen Gonadenschutz aus Blei gelegt, aber der war furchtbar schwer und drückte, er war froh, als man den wegnahm und die Platte unter seinem Rücken herausgezogen hatte. Nun liefen die wenigen möglichen Therapiemaßnahmen an, denn kurz darauf erschien auf dem Bildschirm die nun digital entwickelte Thoraxaufnahme und man sah die korrekte Lage des ZVK, den man jetzt befeuern konnte.
    Man entnahm aus der Arterie eine Blutprobe mit der der Sauerstoff-und Kohlendioxidgehalt und was noch viel wichtiger war-der Säure-Basenhaushalt am Blutgasgerät bestimmt wurden. „Er ist ziemlich übersäuert, der pH liegt nur bei 7,13-normal war 7,4-und auch das Lactat ist recht erhöht!“ verkündete die Intensivschwester als sie ins Zimmer trat, wo der Intensivarzt gerade seine Dokumentation vornahm. „Er bekommt jetzt erst einmal über den distalen Schenkel des ZVK im Wechsel isotone Kochsalzlösung und fünfprozentige Glucose mit einem Flow von 2000ml in der Stunde-keine Vollelektrolytlösung, weil der Kaliumspiegel so erhöht ist. Das Calcium dagegen ist sehr niedrig, da geben wir erst einmal fünf Ampullen mit einer zwanzigprozentigen Lösung über den Perfusor. Dann hätte ich gerne 250ml Bicarbonat über drei Stunden und bitte alle halbe Stunde ein Blutgas, um den Base-Excess zu beobachten. Außerdem ist mir der Blutdruck aktuell für die Nierendurchblutung viel zu niedrig-er lag gerade mal bei 80/40 mm Hg- da steigen wir mit Noradrenalin ein, Zieldruck momentan bei 150 systolisch und darauf achten, dass der Mitteldruck immer über 80 liegt! Ach ja und einen Magnesiumperfusor mit zehnprozentigem Magnesium über fünf Stunden gegen die Verkrampfung der Muskulatur anhängen, dann sehen wir weiter!“ ordnete er an und die Schwester verließ das Zimmer um die benötigten Dinge vorzubereiten und Ben zu verabreichen.


    Sarah half ihm, sich wieder auf die Seite zu legen, deckte ihn vorsichtig mit einem kühlen Laken zu und strich ihm die verschwitzten Haare aus der Stirn. Er fühlte sich heiß an und so ging sie kurz nach draußen um ein Temperaturkabel zu holen, das man am Dauerkatheter anschließen konnte. Damit hatte man eine exakte Körperkerntemperatur und als sie es angelegt hatte und nun prüfend den Monitor betrachtete und die Alarmgrenzen einstellte, zeigte sich ein Wert von 38,3°C-gut, das war jetzt noch kein richtiges Fieber-gerade bei großen Wundflächen erhöhte der Körper seine Grundtemperatur um Stoffwechselvorgänge schneller ablaufen zu lassen, man sagte Resorptionsfieber dazu- aber man musste es beobachten. „Sarah-warum tut mir nur mein Rücken so weh-nicht nur die Wunden, sondern vor allem das Kreuz-ich komme mir vor, als wenn ich mich verhoben hätte und weiss überhaupt nicht mehr wie ich liegen soll!“ fragte Ben verzweifelt und die konnte ihm als Antwort nur geben: „Weisst du, diese ganze Muskulatur die zugrunde geht, verkrampft sich eben auch und das gibt Druck auf die Wirbelsäule und die austretenden Nerven!“ erklärte sie und Ben schluchzte kurz beinahe hoffnungslos auf. Er fühlte sich wie in einem Tal aus Elend und Schmerzen gefangen und der Opiatbolus den er kurz darauf erhielt, machte ihn zwar wirr im Kopf, aber so richtig helfen tat er eigentlich nicht. Sarah betrachtete ihn voller Mitleid. Gegen diese Muskel-und Nervenschmerzen hatte man eigentlich andere, viel wirksamere Medikamente, aber die wurden alle über Leber und Nieren abgebaut, also konnte man ihm die nicht geben, ohne diesen Organen dadurch den Todesstoß zu versetzen.
    Sarahs Kollegin kam nun schwer bepackt zur Türe herein und legte erst mal auf der Ablage die Infusionen, die Hahnenbänke, Perfusoren, Rückschlagventile und Leitungen ab. Dann begann sie das ganze systematisch und mit Überlegung anzuschließen und die Geräte einzustellen. Sarah hielt derweil Ben´s Hand. Wie viele Jahre war das ihr tägliches Brot gewesen, aber jetzt war sie seit eineinhalb Jahren zuerst krank und dann in Mutterschutz und Elternzeit gewesen und schmerzlich wurde ihr bewusst, wie sehr sie ihren Beruf vermisste, obwohl sie das doch eigentlich finanziell gar nicht nötig hatten, dass sie arbeitete und sie außerdem den Plan gefasst hatte, die ersten drei Jahre komplett bei Tim daheim zu bleiben. Aber gerade dachte sie darüber nach, ob das die richtige Entscheidung war, nur war jetzt absolut der verkehrte Zeitpunkt, um darüber mit Ben zu sprechen, der die Augen geschlossen hatte, stoßweise atmete und versuchte irgendwie den ständig vorhandenen Schmerz zu verarbeiten.
    „Ben, probier ein wenig zu schlafen!“ sagte sie, als ihre Kollegin die ganze Einfuhr anordnungsgemäß angeschlossen hatte und versuchte sich mit der Medikamentendosierung des Noradrenalins an den Wunschblutdruck heranzutasten, was wiederum Ben´s Herzschlag beschleunigte und ihm zusätzlich noch Kopfschmerzen bereitete. Ben schlug die Augen auf und sagte total erschöpft: „Nichts lieber als das-aber ich muss schon wieder aufs Klo!“ und dann wäre er beinahe in Tränen ausgebrochen, so überforderte ihn die Situation.


    Susanne hatte derweil ständig die Handydaten von Strzigowski abgefragt und konnte nach etwa zehn Minuten Semir durchgeben: „Anscheinend haben die gerade die Autobahn verlassen und sind jetzt in Dortmund in einem großen Einkaufszentrum auf dem Parkplatz!“ sagte sie und nun holte Semir gut auf. Als ihm Susanne eine halbe Stunde später mitteilte, dass sein verfolgtes Fahrzeug sich nun wieder auf der Autobahn befand, war sein Rückstand schon um viele Kilometer geschrumpft und er fuhr zwar ohne Blaulicht, aber konzentriert und schnell und ausnahmsweise war die A1 auch gerade nicht sehr voll. Er würde Bruckner und Dermold schnappen und ihrer gerechten Strafe zuführen-das war er Ben schuldig!

  • Bruckner hatte seinen Fluchthelfer angewiesen am nächsten Parkplatz rauszufahren. Erstens musste er zur Toilette, zweitens brauchten sie für die Fahrt ein wenig Proviant und Getränke und außerdem sollte er am Geldautomaten das Limit, das der ausspuckte von seinem Girokonto abheben. „Das sind 500 €, aber Leute, mehr geht nicht-mein Konto ist eh überzogen-immerhin musste ich mir ein neues Fahrzeug leasen, weil das Vorige kaputt ist, weil dieser blöde Michael mich von der Fahrbahn gedrängt hat!“ erklärte er zornig, aber Bruckner beruhigte ihn: „Ich werde dir das mit Zins und Zinseszins ersetzen und ne fette Belohnung kriegst du noch dazu. Wir müssen jetzt nur mal schauen, dass wir von hier möglichst weit wegkommen, denn Köln ist nicht mehr sicher für uns. Ich habe in Thailand genügend Geld auf einer Bank deponiert. Wenn ein wenig Gras über der Sache gewachsen ist, können wir vom Warschauer Flughafen aus in unsere zukünftige Heimat reisen. Zuvor brauchen wir natürlich noch neue Papiere, aber da hast du doch sicher ein paar Freunde, Leo, die uns dabei helfen können?“ sagte er und sein Komplize knurrte. Als ihm Bruckner dann aber die Höhe seiner Belohnung zuflüsterte, erhellten sich seine Züge und er ging willig zum Geldautomaten und übergab danach Bruckner das Geld, der daraufhin das Nötigste einkaufte. Eine halbe Stunde später brachen sie frisch gestärkt wieder auf und hatten keine Ahnung, dass ihr Verfolger ihnen dicht auf den Fersen war.


    Andrea war mit Tim erst zu sich nach Hause gefahren. Er hatte mit Begeisterung sein Brötchen gegessen, sich dabei aber fürchterlich eingesaut. Weil es nun schon egal war, ging sie gleich noch, nachdem sie ihn notdürftig gesäubert hatte, mit ihm in den Park um die Ecke, wo ein Kleinkinderspielplatz war. Tim beschäftigte sich zwar eine Weile mit den beiden anderen kleinen Jungs in seinem Alter, als dann aber eine Frau um die sechzig mit Hund vorbeiging, war er wie der Wind aus dem Sandkasten und krabbelte hinter dem großen langhaarigen Hund her. Andrea sprang auf und rannte hinterher und nahm Tim hoch, was den zum empörten Schreien und Strampeln brachte. Die Frau wandte sich mit einem Lächeln um und sagte zu Andrea, die sich gerade entschuldigen wollte: „Lassen sie ihn doch-na wie heisst du denn?“ fragte sie nun lächelnd den Kleinen und ihr Hund hatte sofort beigedreht und hatte sich artig neben sein Frauchen gesetzt. Tim wand sich wie eine Schlange, weil er unbedingt auf den Boden zu dem Hund wollte und Andrea hatte die größte Mühe, ihn festzuhalten. „Er heisst Tim und ich weiss nicht ob das jetzt eine gute Idee ist, wenn ich ihn runterlasse-immerhin ist das nicht mein Kind und ich weiss nicht, ob die Eltern damit einverstanden wären, wenn ich ihn einfach zu fremden Tieren lasse-was ist, wenn er gebissen wird? Nein-diese Verantwortung kann ich nicht übernehmen!“ stieß Andrea hervor, die die größte Mühe hatte den kleinen dunkelhaarigen Irrwisch zu bändigen, der jetzt noch dazu laut brüllte, weil er seinen Willen nicht bekam. „Ich kann ihnen zwar versichern, dass das Risiko bei meinem Hund gegen Null tendiert, weil das ein ausgebildeter Therapiehund ist, der noch dazu einer sehr gutmütigen Rasse angehört und Kinder gewöhnt ist, aber ich kann ihre Bedenken verstehen. Ich gebe ihnen jetzt aber meine Karte-vielleicht möchte seine Mutter sich einmal mit mir in Verbindung setzen, dann können wir einen frühen Kontakt mit Hund unter den besten Bedingungen zulassen-aber jetzt gehe ich, denn sonst regt sich der kleine Tim doch nur viel mehr auf!“ sagte sie, steckte Andrea eine Visitenkarte zu und ging dann langsam weiter und der Hund folgte ihr ruhig und ohne Aufregung wie ein Schatten.
    Nachdem sich Tim ein wenig beruhigt hatte und wieder mit den anderen Kindern im Sandkasten saß, sagte eine der anderen Mütter zu Andrea: „Falls sie Interesse daran haben, dass ihr Kind frühzeitig lernt, wie man sich Hunden gegenüber benimmt, dann wenden sie sich an diese Frau. Die kommt jetzt sicher gerade von einer Therapiestunde im Bunten Kreis. Dort werden chronisch kranke Kinder und ihre Angehörigen betreut und die tiergestütze Therapie ist dort ein sehr großer Punkt, diesen Kindern mehr Lebensfreude zu verschaffen. Die Dame wohnt in meiner Nachbarschaft und nach dem frühen Krebstod ihres Mannes, den sie die letzten Jahre aufopferungsvoll gepflegt hat, hat sie jetzt wieder einen Sinn in ihrem Leben gefunden. Ihre Tochter mit den Enkelkindern wohnt 600 km entfernt-da sieht man sich nicht so oft, dabei wäre sie die perfekte Oma, die sicher liebevoll ihre Enkel betreuen würde, die ihr über den Verlust hinweghelfen würden. Trotzdem finde ich es gut, dass sie wenigstens stundenweise wieder eine Aufgabe hat-ach so eine Oma würde ich mir wünschen!“ seufzte sie auf, sah dann auf die Uhr und erhob sich, um nach Hause zu gehen. Nachdenklich hielt Andrea die Karte der netten Frau in der Hand und dachte nach. Da würde sie mit Sarah darüber sprechen müssen!


    Im Krankenhaus hatte man Ben inzwischen wieder auf die Schüssel gesetzt. Er war doch eh schon fix und fertig, der Druck des Topfes im geschundenen Rücken trieb ihm die Tränen in die Augen und die schmerzhaften flüssigen Entleerungen taten noch ihr Übriges dazu. Außerdem war er schon total wund und als er fertig war, musste man natürlich wieder den Verband erneuern, was wiederum mit Schmerzen verbunden war und Ben auf dem Bauch liegend ächzen und stöhnen ließ. Der Oberarzt kam wieder vorbei, um nach seinem Patienten zu sehen und auch um zu kontrollieren, ob seine Anordnungen ausgeführt worden waren. Die betreuende Intensivschwester, die gerade den Verband machte, drehte sich um und sagte: „Können wir vielleicht in diesem speziellen Fall an ein Flexi-Seal denken?“ fragte sie und schilderte dem Arzt, welche Probleme Ben durch die häufigen Entleerungen hatte. „Außerdem ist dieser ständige Verbandswechsel weder gut für die Wunden, noch für unseren Geldbeutel-ich glaube, dass die Kosten von 300€ sehr schnell wieder drin wären!“ gab sie zu bedenken und nach kurzer Überlegung willigte der Oberarzt ein. „Ich verständige die Gastroenterologen-die sollen schnell nachsehen, ob etwas dagegen spricht und dann machen wir eine dauerhafte Stuhlableitung!“ sagte er und wählte auch schon die Nummer seines Kollegen: „Florian-könntest du schnell einen Patienten von mir spiegeln-er hat massive Diarrhoe und wir müssen laut Standard den Colo-Rektalbereich einsehen, um die dauerhafte Stuhldrainage anwenden zu können!“ sprach er in den Hörer und Ben verstand nur Bahnhof, während Sarah aufatmete. Das war eine gute Idee ihrer Kollegin-hoffentlich konnte man das System anbringen-für Ben wäre es eine große Erleichterung!

  • Wenig später öffnete sich die Schiebetür des Intensivzimmers ganz und ein grün gekleideter Arzt und eine Endoskopieschwester fuhren mit einem Turm aus Geräten herein. Ben, der auf der Seite lag und gerade die Augen vor Erschöpfung ein wenig geschlossen hatte, sah müde auf, um kurz darauf allerdings sehr wach zu sein, denn nun trat der Arzt zu ihm, stellte sich als Gastroenterologe mit seinem Namen vor und gab ihm die Hand. „Herr Jäger-mein Kollege hat mich zugezogen, weil sie anscheinend durch die Rhabdomyolyse unter massiven Durchfällen leiden. Wir könnten die normalerweise sicher auch medikamentös behandeln, aber durch das begleitende Leber- und Nierenversagen möchte man ihnen so wenig Medikamente wie möglich zukommen lassen. Daher ist es geplant ihnen eine dauerhafte Stuhlableitung einzulegen, die sogar bis zu 30 Tagen liegenbleiben kann. Der Hersteller verlangt allerdings aus Haftungsgründen zuvor eine endoskopische Untersuchung des Dickdarms, um später nicht verantwortlich gemacht zu werden, wenn es zu Perforationen oder anderen Komplikationen kommt. Ich werde sie daher jetzt kurz spiegeln und danach –falls alles in Ordnung ist- die Drainage gleich einlegen. Sie müssen keine Angst haben-es wird kaum weh tun und danach haben sie eine Erleichterung!“ erklärte er und Ben sah ihn mit schreckgeweiteten Augen an und blickte danach hilfesuchend zu Sarah, die ihm aber lächelnd zunickte. „Schatz-das ist schnell vorbei und wenn das System, mit wir nur gute Erfahrungen haben, liegt, dann hast du deine Ruhe, also entspann dich-es ist in ein paar Minuten vorbei!“ erklärte sie ihm und nun schloss Ben die Augen und ließ das Procedere über sich ergehen-was blieb ihm auch anderes übrig!
    Als er etwa fünfzehn Minuten später zugedeckt wurde, ragte ein patentiertes, sehr weiches, im Enddarm geblocktes Darmrohr aus Silikon aus seinem Po, das er aber als nicht schmerzhaft empfand und das ihn auch nicht weiter störte. Man hatte ihm erklärt, dass auch keine Geruchsbelästigung auftreten konnte, weil ein Aktivkohlefilter am Ablaufbeutel das verhinderte. So schloss er nun endgültig die Augen und fiel wenig später in einen tiefen Schlaf-immerhin hatte er einiges nachzuholen! Sarah betrachtete ihn sinnend und strich ihm lächelnd eine widerspenstige Strähne aus der Stirn, ohne dass er sich regte. Sie stand nun auf, streckte sich und sagte zu ihrer Kollegin: „Ich werde jetzt zu unseren Freunden fahren und nach unserem Sohn sehen. Wenn es klappt und die ihn noch ein wenig betreuen können, dann komme ich später wieder-wenn nicht rufe ich an-ich muss mir da jetzt eh Gedanken machen, wie wir das irgendwie deichseln mit der Kinderbetreuung. Ja so leicht wie früher, als ich einfach bei meinem Partner auf der Intensiv geblieben bin, ist es jetzt nicht mehr-aber ich weiss ihn ja bei euch in guten Händen!“ erklärte sie und ihre Kollegin versprach ihr, sie sofort anzurufen, wenn irgendetwas Besonderes wäre und dann machte sich Sarah einigermaßen beruhigt auf den Weg zu den Gerkhans.


    Von unterwegs rief sie Andrea an: „Andrea-ich komme jetzt zu euch-ich sehe hier gerade einen Stand mit Grillhähnchen-soll ich da was mitbringen?“ fragte sie ihre Freundin und die bejahte nach kurzem Zögern. „Ich hätte zwar für die Kinder und mich zu Mittag noch Reste von gestern gehabt, aber so ein leckeres Hähnchen wäre schon was!“ antwortete sie und so stand wenig später Sarah schwer bepackt mit duftenden Tüten, abgepackten Salaten und zwei Riesenbrezeln wie vom Jahrmarkt vor der Tür. Ayda war schon da und Lilly würde von einer Nachbarin vom Kindergarten mit nach Hause gebracht werden. Tim schlief gerade selig im Reisebettchen-nach seinem aufregenden Ausflug in den Park hatte er noch ein Gläschen gegessen und musste sich jetzt erst einmal ausruhen. Kurz darauf trudelte auch Lilly ein, sie aßen miteinander und während sich Ayda selbstständig an die Hausaufgaben machte, machte auch Lilly noch einen Mittagsschlaf und so tranken die beiden Frauen in aller Ruhe einen Kaffee miteinander.
    „Erzähl-wie geht es Ben-und warum ist er jetzt auf der Intensiv?“ fragte Andrea, die bisher ja nur diese kurze Info hatte, weil ihr Sarah die am Telefon mitgeteilt hatte. „Er hat eine recht seltene und ganz blöde Komplikation erlitten, von der man auch nicht weiss, was die ausgelöst hat!“ erzählte Sarah und als Andrea das Wort Rhabdomyolyse hörte, konnte sie mit Fug und Recht behaupten, dass sie davon noch nie etwas gehört hatte. Als Sarah ihr jetzt erklärte was das war und welche Auswirkungen der Zerfall des Muskelgewebes auf den ganzen Organismus hatte, weiteten sich Andrea´s Augen. „Ach du liebe Güte-das hört sich ja schrecklich an!“ sagte sie geschockt. „Weiss denn Semir schon Bescheid?“ wollte sie dann von Sarah wissen, aber die schüttelte schuldbewusst den Kopf. „Ich war die ganze Zeit bei Ben und du weisst ja, dass auf Intensiv wegen der Bleiabschirmung die Handys nicht funktionieren!“ erklärte sie und nun griff Andrea zum Telefon um Semir anzurufen. „Am besten du erklärst ihm selber, was das mit diesem Rhabdo-Dingsda auf sich hat!“ wandte sie sich dann an Sarah und wenig später ging Semir ans Telefon. Anscheinend sprach er übers Headset, aber man konnte genau hören, dass er sich in einem schnell fahrenden Wagen befand.


    „Hallo Andrea-was gibt’s?“ fragte er und die erwiderte: „Bei uns ist alles in Ordnung, aber Ben geht es wohl nicht so gut-Sarah ist gerade bei mir-Moment ich geb sie dir mal!“ erklärte sie und reichte den Hörer weiter. In diesem Augenblick hörte man Bremsen quietschen und Semir fluchen. „Sarah-tut mir leid, ich kann grad nicht-ich ruf dich in Kürze zurück!“ schrie Semir nun ins Telefon und man vernahm, wie er das Martinshorn zuschaltete und dann auflegte. Sarah starrte überrascht auf den Hörer und murmelte: „Eigentlich müsste ich das ja langsam gewöhnt sein, aber sag Andrea-kann man sich da jemals dran gewöhnen?“ fragte sie dann und ihre Freundin schüttelte den Kopf.

  • Semir war inzwischen auf der A2 kurz vor der Ausfahrt Hamm angelangt. Der vorausfahrende Verkehr hatte wegen einer Baustelle einige Stockungen hinnehmen müssen, die sich aber gerade aufgelöst hatten und Susanne hatte ihm bereits durchgegeben, dass er sich dem flüchtenden Fahrzeug mehr und mehr näherte. „Semir-ich denke, es wäre langsam an der Zeit, Verstärkung anzufordern!“ gab sie zu bedenken und nach kurzem Nachdenken willigte Semir ein und von Hamm aus, machten sich die Kollegen in zwei Fahrzeugen nun auf Richtung Autobahn.
    Semir fuhr Ben´s Mercedes, nachdem die Krüger seinen BMW ja ziemlich demoliert hatte und der in der Werkstatt stand. Sie hatten den Wagen am Vortag noch bei Ben zuhause abgeholt, wo er auf der Straße vor dessen Wohnung geparkt hatte-die Zweitschlüssel aller Dienstfahrzeuge waren ja in der PASt deponiert.
    Kurz vor der Ausfahrt sah Semir plötzlich den weißen Transporter mit dem Kölner Nummernschild einige Fahrzeuge vor sich und ein Lächeln glitt über seine Züge. Hatte er sie eingeholt! Aber das war eigentlich so klar wie das Amen in der Kirche gewesen, dass die ihm nicht entkommen konnten. Gerade jetzt klingelte sein Telefon und wie er sehen konnte war Andrea dran und dank Headset konnte er sogar kurz rangehen. In diesem Augenblick sah Bruckner gelangweilt in den Rückspiegel-dieser zähfließende Verkehr war einfach nervenaufreibend. Irgendwie fesselte ein silberner Mercedes, der auf der Überholspur unterwegs war, seinen Blick-das Fahrzeug hatte doch eine Lichtleiste vorne- das war ein ziviles Polizeifahrzeug! Als es näher kam, zog er scharf die Luft ein und weckte seinen Komplizen Dermold, der gerade ein kleines Nickerchen machte. „Verdammt noch mal-dieser Gerkhan ist uns auf den Fersen-allerdings ist er, soweit ich sehen konnte, alleine im Fahrzeug. Leo, gib Gas und du reich mir die Waffe!“ herrschte er Lutz an, der im nächsten Augenblick hellwach war. Bruckner ließ das Fenster auf der Beifahrerseite herunter und Leo wechselte auf die Überholspur und beschleunigte, soweit das durch den Verkehr möglich war.
    Semir wollte gerade ansetzen und Sarah fragen, was denn mit Ben wäre, da zog der Transporter einige Fahrzeuge vor ihm plötzlich raus. Hatten sie ihn bemerkt? Semir beendete das Gespräch-so sehr ihn auch interessierte was mit Ben war-jetzt musste er erst einmal die Männer festsetzen, die für dessen Zustand verantwortlich waren und dann würde er sich wieder melden! Die Polizisten aus Hamm waren mit den Polizeifahrzeugen inzwischen an der Autobahnauffahrt angekommen und als sie nun bei Susanne rückfragten, wo das gesuchte Fahrzeug und ihr Kollege inzwischen waren, hatten die vor wenigen Minuten die Abfahrt passiert und so bogen sie auf die A2 Richtung Hannover ein und folgten den Flüchtenden.


    Semir hatte nun das Jagdfieber gepackt. Mit Blaulicht und Martinshorn jagte er hinter dem Transporter her, der seinerseits mit Lichthupe versuchte die langsamer fahrenden Fahrzeuge von der linken Spur zu vertreiben. Die ganz rechte Spur der eigentlich dreispurigen Autobahn war gerade wegen einer Wanderbaustelle gesperrt und deshalb kam es auch zu den Stockungen auf dieser Hauptverkehrsachse. Semir war nur noch zwei Fahrzeuge hinter dem Transporter und die beiden vorausfahrenden Autofahrer wollten gerade die Spur wechseln, als sie das Einsatzfahrzeug hinter sich bemerkten, da beugte Bruckner sich aus dem Fenster und schoss auf das nachfolgende Fahrzeug. Obwohl die Kugel nur das Blech schrammte, verriss die Fahranfängerin, die darin saß, vor Schreck das Lenkrad und krachte in den LKW, der rechts neben ihr langsam dahindümpelte. Das nachfolgende Auto fuhr in die Seite des Kleinwagens und schob diesen noch ein ganzes Stück vorwärts. Semir fluchte auf, aber er hörte schon von hinten die Verstärkung kommen, die sich um die Verletzten und den Rest kümmern würde, deshalb umkurvte er elegant den Blechhaufen der von dem Kleinwagen übriggeblieben war, rollte dabei allerdings über einige abgerissene Wrackteile und demolierte Ben´s Mercedes ein wenig dabei, der aber durchaus noch fahrtüchtig war. Nun war er direkt hinter dem Transporter und begann nun seinerseits die Waffe zu ziehen. Er wollte auf einen Reifen zielen, um das flüchtende Fahrzeug zum Stehen zu bringen, da machte der Fahrer eine Vollbremsung und Semir, der gerade damit beschäftigt gewesen war die Waffe im Sitzen aus dem Holster zu fummeln, krachte in das Heck des vorausfahrenden Fahrzeugs. Mit einem Knall öffnete sich der Airbag und einen Moment konnte man in dem Auto vor lauter kaltem Rauch gar nichts mehr sehen. Semir hatte der Gurt unsanft in den Sitz zurückgerissen und als er gerade dabei war, abzuchecken, was überhaupt passiert war, wurde die Fahrertüre, die ein wenig klemmte, aufgerissen und bevor er sich wehren konnte, hatte er den Pistolenknauf im Nacken und dann gingen ihm die Lichter aus.


    Als einige Zeit später die Kollegen zu dem demolierten Mercedes kamen, fehlte von Semir jede Spur, nur sein Handy lag auf dem Boden und als Susanne von den Einsatzkräften informiert wurde, versuchte sie sofort Strzigowski´s Handy zu orten, aber das bewegte sich nun plötzlich wieder in der Gegenrichtung auf der Autobahn. Als die nachfolgenden Polizisten geschockte Autofahrer befragten, die langsam begannen aus ihren Fahrzeugen aus zu steigen, erfuhren sie, dass der Fahrer des verunglückten Mercedes, der nun alleine und verlassen mit rauchendem Motor auf der Straße stand, in den Transporter gezogen worden war und der mit Vollgas davongebraust war. Susanne koordinierte mit den dortigen Einsatzkräften die Fahndung und man versuchte auch Strzigowskis Handy zu finden, das munter Signale sandte, aber der gesuchte Transporter und Semir waren wie vom Erdboden verschluckt.

  • Nachdem Semir nach einer ganzen Weile noch nicht zurückgerufen hatte, wunderten sich Andrea und Sarah und versuchten es ihrerseits noch einmal, aber niemand ging ran, obwohl das Handy eingeschaltet war. Andrea hatte Sarah auch noch von den vormittäglichen Erlebnissen im Park erzählt und wie verrückt Tim auf den Hund gewesen war. „Diese gepflegte Frau hat einen sehr guten Eindruck auf mich gemacht-die wusste von was sie spricht und ich glaube, damit hat sie Recht-Kinder können nicht früh genug lernen, wie man sich Hunden gegenüber benimmt!“ erklärte sie und Sarah nahm dankend die Karte entgegen. Wenig später meldete sich Susanne bei Andrea und Sarah wusste sofort, dass etwas passiert war, als Andrea während des Telefonats plötzlich blass wurde. Besorgt legte sie den Arm um ihre Freundin, nachdem die aufgelegt hatte und wartete, was die ihr zu erzählen hatte. „Semir-er wurde von den Männern die er verfolgt hat entführt-sie suchen nach ihm!“ erklärte sie tonlos und brach in Tränen aus. Sarah drückte sie nun liebevoll an sich. Mein Gott-hoffentlich würde das alles wieder in Ordnung kommen.
    „Ich kann auf die Mädchen aufpassen!“ erbot sich Sarah, aber Andrea schüttelte, nachdem sie sich wieder ein wenig gefangen hatte, den Kopf. „Ich werde denen erst einmal nichts sagen-sonst kommen in denen wieder Ängste hoch. Die sind beide heute in der Nachbarschaft auf einen Kindergeburtstag eingeladen, dann ist der Nachmittag sowieso gelaufen, aber ich glaube, um jetzt weiter auf Tim aufzupassen, fehlt mir der Nerv!“ gab sie offen zu und Sarah versicherte ihr, dass das auch gar kein Problem sei. „Ben ist bei meinen Kollegen im Krankenhaus in guten Händen-ich rufe da später nochmal an, damit sie ihm das ausrichten-meinst du wir sollen ihm überhaupt etwas von Semir´s Entführung erzählen?“ fragte sie, aber Andrea zuckte mit den Schultern und antwortete: „Ich weiss nicht-das musst du entscheiden!“ und Sarah nickte.


    In diesem Augenblick kam Ayda um die Ecke: „Mama ich muss noch laut lesen, aber sonst sind meine Hausaufgaben fertig!“ sagte sie und begann geschäftig vorzulesen. Andrea wischte sich die letzten Tränenreste ab und hörte Ayda konzentriert zu, kontrollierte dann noch die übrigen Hausaufgaben und lobte ihre große Tochter. „Das hast du super gemacht-ganz ohne Fehler! Dann kannst du jetzt noch ein bisschen spielen, bis Lilly aufwacht und dann geht ihr beide zu Florentine auf den Kindergeburtstag-ich habe eure Geschenke, die wir gestern besorgt haben, schon eingepackt!“ sagte sie und Ayda zog sich im Wohnzimmer in die Spielecke zurück. Allerdings warf sie ihrer Mutter immer wieder einen prüfenden Blick zu-irgendetwas stimmte nicht, das konnte sie fühlen, aber dann vergaß sie sich im Spiel mit ihrer Lieblingspuppe und als wenig später Tim und Lilly fast gemeinsam aufwachten und von den beiden Erwachsenen gerichtet wurden, war der Kummer bald vergessen und die Mädchen wurden aufgeregt und fröhlich von Andrea zur Geburtstagsfeier gebracht.
    Sarah und Andrea tauschten noch die Kindersitze und den Buggy und Sarah beschloss bei dem schönen Wetter noch mit Tim raus zu gehen. Im Park angekommen rief sie erst im Krankenhaus an, fragte nach Ben´s Befinden und bat ihre Kollegin ihm auszurichten, dass sie niemanden zur Kinderbetreuung habe und deshalb vorerst nicht kommen könne. Dann informierte sie Konrad, der völlig geschockt war, dass sein Sohn, den er auf Hochzeitsreise wähnte, stattdessen im Krankenhaus lag. „Sarah-wie ernst ist es-muss ich zurückfliegen?“ fragte er besorgt und teilte ihr mit, dass er gerade in Österreich war, wo er sich an der Ausschreibung für ein Großprojekt beteiligt hatte und kurz davor war den Zuschlag zu bekommen. „Das ist mir aber egal-Ben geht vor-wenn du mir jetzt sagst, dass er in akuter Lebensgefahr schwebt, setze ich mich in den nächsten Flieger!“ sagte er mit fester Stimme, aber Sarah antwortete nach kurzer Überlegung: „Freilich ist seine Erkrankung ernst, aber ich glaube akute Lebensgefahr besteht zum momentanen Zeitpunkt nicht. Ich halte dich auf dem Laufenden!“ erklärte sie ihm und damit gab sich Konrad zufrieden. Als Nächstes rief sie Julia an, aber die krächzte total erkältet ins Telefon, also fiel die zur Kinderbetreuung auch erst mal aus, vernahm aber geschockt von der Erkrankung ihres Bruders und ließ liebe Genesungswünsche ausrichten.
    Ihre eigenen Eltern waren beide noch berufstätig und würden ihren Enkel am Abend oder am Wochenende liebend gerne versorgen, aber die Anfahrt betrug über eine Stunde und jetzt am Werktag war das ein Blödsinn. Außerdem wollte Sarah den kleinen Tim auch nicht von ständig wechselnden Personen betreuen lassen-genau deshalb hatten sie ja eigentlich beschlossen, dass sie erst einmal zuhause bleiben sollte und sie war heute über sich selber erschrocken gewesen, als sie festgestellt hatte, wie sehr sie ihre Arbeit vermisste. Irgendeine Lösung musste her, aber Sarah hatte keine Ahnung was für eine.


    Sekunden später hechtete sie wieder hinter ihrem Sohn her, der wie ein Wirbelwind hinter dem nächsten Hund her war, der auf dem Weg mit seinem Herrchen vorbeimarschierte, der aber nur befremdlich auf das Krabbelbaby kuckte, das ihn und seinen vierbeinigen Gefährten verfolgte. Mit einer Entschuldigung nahm Sarah den kleinen Tim hoch, der nun wieder wie am Spieß brüllte und zornig strampelte, weil er doch unbedingt zu dem Hund wollte. Aufseufzend nahm Sarah nun die Karte, die ihr Andrea gegeben hatte aus der Tasche und wählte die Nummer der Dame. Sie hatte eh keine bessere Idee, was sie jetzt machen sollte-warum sollte sie Tim dann keine Hundebegegnung gönnen. Kurz erklärte sie wer sie war und Frau Brauner, wie sie sich vorstellte, wusste sofort wer Tim war. „Ach der süße dunkelhaarige Junge der meinen Frederik heute unbedingt kennenlernen wollte. Natürlich können wir uns treffen-wollen sie zu mir kommen?“ fragte sie und Sarah, die von der ruhigen Freundlichkeit der Frau sehr beeindruckt war, sagte sofort zu. Wenig später saß Tim in seinem Buggy und betrachtete gelangweilt die Beine der vorbeihastenden Menschen, während Sarah zu der angegebenen Adresse lief.


    Als der Polizeimercedes auf den nagelneuen Transporter aufgefahren war, war Bruckner ausgestiegen und hatte auf den benommenen Semir angelegt. Wie der Blitz war Strzigowski ebenfalls aus dem Auto gesprungen und hatte seinen Arm von hinten festgehalten. „Bei einem kaltblütigen Mord mache ich nicht mit!“ hatte er Bruckner angeherrscht. „Unter diesen Umständen lasse ich euch auffliegen!“ hatte er gedroht und nachdem Bruckner kurz überlegt hatte beide zu erledigen, den Polen und diesen Gerkhan, hatte er stattdessen die Pistole umgedreht und Semir, der sich gerade benommen zu regen begann, bewusstlos geschlagen. „Wir nehmen ihn mit-ich will wissen, was die Polizei weiss und vielleicht brauchen wir noch eine Geisel!“ beschloss Bruckner und während Leo ein Stück vorfuhr, damit sie den Laderaum öffnen konnten, zerrten er und Dermold den bewusstlosen Semir in den Transporter, wo ihn Lutz erst einmal fachgerecht fesselte und knebelte. „Die haben sicher über dein Handy unsere Spur aufgenommen!“ durchfuhr es wie ein Blitz Bruckner und er warf mit gekonntem Schwung Strzigowskis Mobiltelefon über die Mittelleitplanke, wo es zufällig auf der Ladefläche eines LKW landete und nun seinen Weg in die Gegenrichtung antrat. „Aber das ersetzt du mir!“ fluchte Strzigowski und Bruckner beruhigte ihn, während der Pole nun Gas gab und sie gemeinsam das Weite suchten.


    Ben war im Krankenhaus nach einer Weile vor Rückenschmerzen aufgewacht. Als er sich stöhnend regte und seinen völlig verkrampften Rücken versuchte ein wenig zu bewegen, kam die Intensivschwester die ihn in der Nachmittagsschicht betreute, zu ihm. „Hallo Herr Jäger-ich heiße Annika und bin heute für sie zuständig. Ich habe gerade eben mit ihrer Frau telefoniert-die hat niemanden zur Kinderbetreuung und kann deshalb vorerst nicht kommen, ich soll ihnen aber liebe Grüße ausrichten!“ sagte sie und Ben nickte. Mit geübten Griffen half ihm die Schwester beim Umdrehen, nahm wieder Blut aus der Arterie ab und als sie seine vor Schmerzen gerunzelte Stirn sah, gab sie ihm einen Opiatbolus, was es für ihn ein wenig leichter machte. Der Blutdruck war jetzt durch das Noradrenalin bei 150 systolisch, wie der Arzt es gefordert hatte, die ersten drei Liter Flüssigkeit waren auch schon in Ben verschwunden, aber mehr als wenige rotschwarze Tropfen hatte die Niere bisher nicht gefördert-Annika war gespannt, was bei der Blutgaskontrolle rauskommen würde.
    Ben versuchte seufzend eine einigermaßen erträgliche Lage einzunehmen und starrte dann die Wand an. Er hatte irgendwie ein ganz ungutes Gefühl-mit irgendjemandem, dem er nahe stand, stimmte etwas nicht, das konnte er fühlen!

  • Semir kam langsam zu sich. Er bemerkte, dass er in einem fahrenden Wagen lag und auch, dass er gefesselt und geknebelt war und zwar von jemandem, der sein Handwerk verstand. Langsam kam die Erinnerung wieder, ein scharfer Schmerz durchzog seinen Kopf, aber ansonsten war er anscheinend unverletzt. Vorsichtig öffnete er die Augen und stellte fest, dass er in einem Transporter war und zwar auf dem harten Boden der Ladefläche. Vorne unterhielten sich seine Entführer und Semir schloss schnell seine Augen wieder und stellte sich schlafend: „Verdammt-die werden jetzt schon wissen mit welchem Fahrzeug wir unterwegs sind und wenn wir auf der Autobahn bleiben, haben sie uns Ruck-Zuck geschnappt!“ dachte Bruckner laut nach. „Also bei der nächsten Ausfahrt runter-wir brauchen ein neues Fahrzeug!“ befahl er und wenig später wurde ein Blinker gesetzt. Semir wurde herumgeworfen, als es um mehrere Kurven ging. „Und wie heisst das Kaff nochmal, aus dem du stammst?“ fragte nun Dermold den Fahrer: „Wielkopolski!“ antwortete der beleidigt „Dort ist ein großer Nationalpark, das sollte sogar dir ein Begriff sein!“ fügte er hinzu, aber Dermold lachte. „Nö-das interessiert mich nicht im Geringsten-der ehemalige Ostblock ist für mich kein Urlaubsland und klar habt ihr da noch Wölfe, Bären und Luchse-und außerdem im Winter Kälte und ne Menge Schnee von den Russen-nein-mich zieht es eher in den Süden, wo es selbst im Winter nicht kälter als 20°C wird.“ bemerkte er und Bruckner sagte daraufhin scharf: „Alles zu seiner Zeit!“ und warf einen Blick auf den immer noch bewusstlosen Mann im Fond, der sich noch kein bisschen bewegt hatte.
    Dann erblickte er anscheinend etwas Interessantes: „Fahr da rüber-ich glaube da stehen einige Wohnmobile. Wenn da jetzt mitten in der Woche keiner drin ist, fällt das vielleicht nicht so schnell auf, wenn da eines fehlt-man fährt doch meistens am Wochenende weg!“ überlegte er und nun begann Semir, der genug gehört hatte, sich stöhnend, soweit das mit dem Knebel möglich war, zu regen. „Er wacht auf!“ bemerkte nun Leo und Bruckner warf einen Blick nach hinten. „Na dann können wir ihn ja in Kürze befragen!“ sagte er befriedigt und dann hielt der Transporter auch schon an.


    Sarah war inzwischen bei Frau Brauner angelangt. Sie wohnte in einem hübschen, freistehenden Einfamilienhaus mit gepflegtem Garten und als Sarah an der Tür läutete, kam sie auch sofort heraus und begrüßte Sarah freundlich, die sich am Telefon ja schon angemeldet hatte. „Guten Tag Frau Jäger!“ sagte sie und gab ihr die Hand, um sich dann sofort zu Tim herunterzubeugen und ihn anzulächeln. „Guten Tag Tim-wir haben uns ja heute schon kennengelernt!“ sagte sie, aber Tim hatte gar keine Augen für die fremde Frau, denn er hatte im Flur hinter ihr etwas entdeckt, worauf er mit aufgeregten Tönen und ausgestrecktem Arm aufmerksam machte. Dort stand nämlich Frederik, der große Retrieverrüde und besah sich mit schief geneigtem Kopf, wie sein Frauchen die Gäste begrüßte. Tim konnte es fast nicht erwarten, bis er aus dem Buggy befreit wurde und wollte natürlich sofort auf den Boden und zu dem Tier, aber Frau Brauner schickte nur mit einem freundlichen „Frederik-geh auf deinen Platz!“ ihren Hund in sein Körbchen und bat Sarah mit dem enttäuschten Tim ins Wohnzimmer.
    Sarah, die zwar Hunde generell liebte, aber im Moment sehr verunsichert war, weil ja immerhin ihr Mann durch Hundebisse schwer verletzt im Krankenhaus lag, sagte nun: „Vielleicht sollten wir lieber wieder gehen, der Hund ist doch ziemlich groß und ich habe ein wenig Angst um meinen Sohn!“ und schalt sich, was ihr denn nur für ein Blödsinn eingefallen war. Als hätte sie im Moment nichts Besseres zu tun-sie sollte sich lieber um eine Betreuungsmöglichkeit für Tim kümmern und zusehen, dass sie zu Ben ins Krankenhaus kam, anstatt ihr Kind in Gefahr zu bringen! Was so ein Hund anrichten konnte, das hatte sie ja gesehen, am besten sie und ihr Kind machten in Zukunft einfach einen großen Bogen um alle Hunde und wenn sie Tim immer wieder sagen würde, dass die böse und gefährlich waren, dann würde er das mit der Zeit schon glauben und sich ungefährlicheren Dingen zuwenden.
    Frau Brauner sah, wie es in Sarah´s Kopf arbeitete und bat ihr nun zunächst eine Tasse Tee an. Um nicht unhöflich zu sein, nahm Sarah das Angebot an und war danach entzückt, als Frau Brauner ihr den Tee aus einer wundervoll verzierten Silberkanne in einem ganz zarten chinesischen Teeservice servierte und dazu köstliche selbstgebackene, ebenfalls hauchzarte Kekse reichte. Tim hatte sich suchend nach dem Hund umgesehen, aber so einen leckeren Keks nahm er dann doch sozusagen als Entschädigung und Sarah hatte seine Trinktasse mit Wasser mit einem Schuss Apfelsaft auch mit hereingenommen und so stärkten sie sich erst einmal.
    „Warum haben sie Angst davor, ihren Sohn zu Hunden zu lassen?“ fragte Frau Brauner nun unvermittelt und hielt Blickkontakt mit Tim, der die fremde Frau nun anstrahlte-die war nett und gab ihm leckere Kekse, das fand er schon mal gut. Obwohl Sarah das eigentlich nicht vorgehabt hatte, der Frau ihre Lebensgeschichte zu erzählen, wusste die kurze Zeit später über die Umstände Bescheid. Durch ihre ruhige freundliche Art und die präzisen Fragen, die sie dazwischen stellte, holte sie sozusagen beiläufig die Geschichte heraus und als sie von der Beissattacke hörte, sog sie scharf die Luft ein. Erst vorige Woche war ja ein Toter aufgefunden worden, der von Hunden zerfleischt worden war, wie sie der Zeitung entnommen hatte und klar schürte so etwas die Angst in der Bevölkerung und machte eine ganz schlechte Stimmung gegen alle Hunde an sich. Sarah betonte nun, dass sie vielleicht doch besser wieder gehen sollte und ihren Sohn einfach von Hunden fernhalten, so scharf der auch darauf war, dann konnte ihm schon nichts passieren und diese Gedanken teilte sie Frau Brauner nun mit und wollte sich schon erheben. Die schüttelte allerdings den Kopf und bat Sarah, doch noch ein Weilchen zu bleiben und ihr zuzuhören.
    „Wissen sie Frau Jäger-sie werden es nicht schaffen, ihren Sohn da so rauszunehmen. In unserer Gesellschaft gibt es überall Hunde und die sicherste Methode friedlich mit ihnen umzugehen ist, zu wissen wie Hunde ticken und wie man sich ihnen gegenüber verhält, um sie nicht zu provozieren. Die meisten Hunde-gerade hier in der Stadt-sind freundliche, friedfertige und soziale Tiere, die friedlich den Kontakt zu Menschen und auch zu Kindern suchen. Wenn sie ihrem Sohn ein unbefangenes Verhalten anerziehen, ist er viel weniger in Gefahr, als wenn er z.B. panisch schreiend davonrennt, sobald ein Hund sich in seine Richtung bewegt-dann wird normalerweise der Hund seinen Instinkten folgen und hinterherrennen, wenn er nicht sehr gut erzogen ist und schon haben sie eine potentiell gefährliche Situation und sei es nur, dass ihr Kind dann vor ein Auto läuft. Nein es ist besser die Sache wohlüberlegt anzugehen!“ und diesem Argument konnte sich Sarah nun nicht entziehen.
    So ganz nebenbei hatte Frau Brauner mit Tim gezwinkert und geflirtet, hatte ihn am Bäuchlein gekitzelt, was den zu vergnügtem Glucksen brachte und bis sich Sarah versah, war er auf dem Arm der fremden Frau. „Auch so kleine Kinder verstehen schon ein überzeugtes „Nein!“ und es war auch völlig richtig, dass sie ihn nicht einfach auf den Boden gesetzt haben und zu einem fremden Hund hin krabbeln gelassen haben-Frederik kennt das, der würde nichts tun, aber es gibt Hunde, die fühlen sich da bedroht und haben auch keinen Respekt, wenn sich sozusagen jemand auf ihre Höhe herunterlässt. Darum behalten wir ihn einfach auf dem Schoß und rufen jetzt Frederik dazu!“ kündigte Frau Brauner an und auf ein kurzes Kommando kam Frederik langsam und freundlich mit dem Schwanz wedelnd herein.


    Sarah musste dagegen ankämpfen Tim jetzt reflexartig an sich zu nehmen und hoch zu reißen. Plastisch sah sie vor ihrem inneren Auge gerade Ben vor sich, wie der mit zerfleischtem Rücken voller Schmerzen dalag-um Himmels Willen, was tat sie da? Aber der Golden Retriever mit dem sanften Blick, der sicher das Dreifache wog wie Tim kam nun langsam heran und Tim streckte die Ärmchen nach ihm aus und der Hund begrüßte freundlich den kleinen Mann. Tim streichelte gemeinsam mit Frau Brauner, die die ganze Zeit bestätigende Laute von sich gab, den Hund, als er allerdings in dessen Augen bohren wollte, wurde er mit einem konsequenten „Nein!“ davon abgehalten. War er wieder lieb und sanft, wurde er bestätigt und so langsam konnte Sarah sich entspannen. Nun wandte Frederik, der schon in seinem Blick eine große Gutmütigkeit hatte ihr zu, setzte sich vor sie und legte ihr die Pfote aufs Knie. Sarah musste lachen und streichelte nun ihrerseits den goldenen Charmeur. „Der weiss, wie er´s machen muss!“ sagte sie und Frau Brauner lachte: „Der ist ja auch ein Mann und hat als Deckrüde schon viele Babys gezeugt, weil er ein ausgesprochen typvoller und vor allem charakterlich einwandfreier Vertreter seiner Rasse ist-die Hundedamen sind alle entzückt von ihm!“ erzählte sie und holte nun Fotos von Frederiks entzückender Nachzucht. Ganz beiläufig wurde Tim dann von Frau Brauner auf den Boden gesetzt und er benahm sich auch dort vorbildlich mit dem Hund und wollte später nicht zur Mama, sondern zu der netten Frau auf den Arm, was Sarah in Erstaunen versetzte.


    Nun erzählte auch Sarah von ihrem Dilemma mit ihrem Mann, dass sie so gerne bei dem im Krankenhaus wäre, aber keine Betreuung für Tim hatte und bis sie sich versah, hatte ihr Frau Brauner angeboten, stundenweise auf ihn aufzupassen und Sarah stimmte voller Erleichterung zu. Irgendwie war das eine Fügung des Schicksals und als ihr Frau Brauner noch erzählte, dass sie zwei Enkelkinder, eines davon in Tim´s Alter hatte, die aber 600km entfernt wohnten und die sie daher leider nur sehr selten sah, dass ihr Mann-ein bekannter Kölner Goldschmied- leider im Vorjahr an Krebs gestorben war und sie seitdem fast zu viel freie Zeit hatte, da war sie sich sicher, eine gute Lösung gefunden zu haben. „Ich werde sie natürlich bezahlen!“ sagte sie und Frau Brauner lächelte. „Ich selber brauche kein Geld und werde auf den kleinen Tim mit Vergnügen aufpassen, aber ich unterstütze eine Organisation namens „Der Bunte Kreis“ die sich die Betreuung chronisch kranker Kinder und ihrer Angehörigen auf die Fahnen geschrieben haben-also schreiben wir tatsächlich die Stunden auf und der fiktive Stundenlohn geht dann als Spende an die, wenn sie einverstanden sind!“ kündigte sie an und Sarah war einverstanden.
    Tim musste noch gewickelt werden und war jetzt wieder müde von dem aufregenden Nachmittag. Frau Brauner erledigte das Wickeln und Sarah sah gleich, dass hier eine erfahrene Mutter und Großmutter am Werk war. Danach setzten sie Tim in den Buggy und fuhren gemeinsam mit ihm Richtung Park, gefolgt von dem super artigen Frederik, der auch ohne Leine perfekt funktionierte. Binnen Sekunden war Tim eingeschlafen und Frau Brauner blieb nach dem Austausch der Telefonnummern mit Kind und Hund im Park, während Sarah nun zu ihrem Wagen eilte, um wenigstens noch einen kurzen Besuch bei Ben zu machen, nach dem sie sich vor Sehnsucht verzehrte.


    Annika hatte derweil im Kleinlabor auf der Intensivstation Ben´s Blutprobe analysiert und sie danach dem Stationsarzt gezeigt. „Verdammt das Kalium ist weiter angestiegen, wenn die Niere nicht bald anspringt, bekommt er Probleme mit dem Herzen!“ befürchtete der Arzt. „Als letzten Versuch, bevor wir einen Shaldonkatheter legen und ihn dialysieren, bekommt er einen Resoniumeinlauf-eine sehr alte Methode, das Kalium zu senken und zusätzlich einen halben Liter zwanzigprozentige Glucoselösung mit 20 Einheiten Altinsulin darin über drei Stunden!“ ordnete er an und die Schwester trat auch schon an den Medikamentenschrank um zunächst das Pulver aufzulösen.
    Ben lag derweil alleine und verlassen in seinem Bett, starrte die Wand an und grübelte. Seine Glieder waren schwer wie Blei, er hatte immer noch heftige Schmerzen und konnte sich kaum bewegen. Was war wenn sich das nicht besserte? Wurde man dann Pflegefall, oder wie war überhaupt die Prognose. Niemand war da den er fragen konnte und er vermisste Sarah und natürlich Tim. Außerdem wunderte er sich, dass Semir heute noch gar nicht nach ihm gesehen hatte-das war sehr unüblich für seinen Freund, der ja inzwischen sicher von Sarah gehört hatte, dass er auf der Intensivstation lag. Irgendetwas war hier überhaupt nicht in Ordnung, aber ihm erzählte ja keiner was!

  • Gerade hatte Ben eine Lage gefunden in der seine Schmerzen einigermaßen erträglich waren, da kam die schwer beladene Schwester zur Tür herein. Sie stellte einige Dinge auf der Ablage ab, desinfizierte dann ihre Hände und hängte eine neue Infusion an. „Wir hoffen, dass wir den Kaliumspiegel in ihrem Blut mit diesen Maßnahmen senken können!“ erklärte die Schwester, aber Ben verstand nur Bahnhof. Klar wusste er, dass Kalium ein Elektrolyt war, das im menschlichen Körper vorkam und er hatte schon mal eine sehr unangenehme Schrittmacherbehandlung über sich ergehen lassen müssen, als da irgendwas nicht gepasst hatte, aber ehrlich gesagt hatte er sich da nicht so im Detail dafür interessiert, schließlich hatte er Sarah und wenn die mit einer Therapie einverstanden war, dann ließ er die über sich ergehen, weil das zu seinem Besten war-sonst schritt die ein. Aber jetzt war guter Rat teuer!
    Früher hätte er auch einfach den Ärzten vertraut, dass die schon wussten, was gut für den Patienten war, aber wer schon langjährig mit einer Krankenschwester zusammen war, die hin und wieder von der Arbeit erzählte und welche Fehler der Doktor XY gerade wieder gemacht hatte, der verlor das Vertrauen in diesen Berufsstand an sich. Dort gab es genauso viele schwarze Schafe wie anderswo und wenn er darüber nachdachte, mit wie viel polizeilicher Unfähigkeit, mit wie viel Beamtenwillkür und Sturheit er in seinem Beruf in der Zusammenarbeit mit Kollegen oft konfrontiert wurde, dann war nicht anzunehmen, dass das in der Medizin anders sein sollte. Du lieber Himmel-war das Ganze jetzt sinnvoll? Aber als er nun das nächstliegende tat und einfach Annika fragte, was das sollte, bekam er dann doch eine Auskunft mit der er etwas anfangen konnte.


    „Der Doktor hat bei ihnen jetzt einen speziellen Infusionscocktail angeordnet, der senkt erfahrungsgemäß den Kaliumspiegel im Blut etwas. Zusätzlich bekommen sie dann von mir noch einen kleinen Einlauf mit einer Art Kunstharz, das die Kaliumionen im Darm bindet. Manchmal genügt das und man kann die Zeit überbrücken, bis die Niere wieder anspringt!“ erklärte sie und dachte bei sich-falls sie das überhaupt noch tut-aber das musste sie ihrem Patienten ja nicht auf die Nase binden. In diesem Moment streckte der Doktor nochmals seinen Kopf zur Tür herein. „Kann er eigentlich schlucken?“ fragte er und die Schwester, die sich schon wieder über das unhöfliche Verhalten ihres Stationsarztes ärgerte, immerhin war dieser Patient ja wach, gab nun ihrerseits die Frage an Ben weiter: „Herr Jäger-glauben sie, sie können schlucken?“ und der zuckte mit den Schultern. „Gestern gings jedenfalls noch!“ sagte er dann und Annika holte nun einfach einen Becher Wasser und auch wenn Ben wegen der vielen Infusionen keinen sonderlichen Durst hatte, aber der andere Geschmack im Mund war trotzdem gut.
    Nachdem die Schwester das dem Arzt vermeldet hatte, ordnete der zusätzlich noch 15g Resonium oral an und Annika ging nochmals nach draußen, um auch das in 100 ml Wasser aufzulösen. Als sie nun allerdings für kurze Zeit verschwunden war, musterte Ben sorgenvoll die Dinge, die da auf der Ablage aufgebaut waren, nämlich ein großes Kunststoffgefäß mit einer hellen Flüssigkeit und daneben eine große Spritze. Wie das jetzt wohl funktionieren würde? Er konnte sich das nicht so recht vorstellen, denn die Durchfälle hatten ja durch die mechanische Stuhlableitung keineswegs aufgehört, sondern entleerten sich nur eben in den Ablaufbeutel, der am Bett hing. Sarah hatte ihm, bevor sie gegangen war, auch eingeschärft nicht einzuhalten, weil ja jetzt nichts mehr passieren konnte, aber es hatte ihn trotzdem eine wahnsinnig große Überwindung gekostet, denn es hatte sich dennoch erst einmal angefühlt als hätte er ins Bett gemacht und er hatte sich erst nach einer Weile getraut vorsichtig nach hinten zu sehen und das zu kontrollieren, aber das Bett war sauber und dafür füllte sich der Ablaufbeutel, der an seinem Bett hing, zumindest vermutete er das, denn er konnte sich ja nicht selbstständig drehen.
    Wenig später erschien Annika wieder und hatte einen zweiten Schnabelbecher in der Hand. Wie hasste Ben diese Dinger, sie zeigten einem so deutlich, dass man krank war, aber wenn man im Bett liegend etwas trinken wollte, ohne sich zu bekleckern, waren diese Becher schon praktisch und im Prinzip war Tim´s Trinktasse auch nichts anderes, nur war die bunt und stylisch, während diese Becher grau und fad aussahen. „Herr Jäger-ich würde jetzt vorschlagen, sie trinken jetzt erst einmal das Medikament in dem Becher und danach erledigen wir das mit dem Einlauf. Ich denke, das schmeckt nicht sonderlich gut, aber das haben andere Patienten vor ihnen auch schon runter gewürgt und danach müssen sie eben sofort nachtrinken!“ kommandierte sie und hielt auch schon den Becher an Ben´s Lippen, der ja immer noch streng auf der Seite lag, denn eine andere Position als so, oder eben Bauchlage war wegen der schmerzenden Wunden schlichtweg unmöglich. Ben begann zu schlucken, aber schon in dem Moment als die ersten Tropfen seine Kehle hinunterliefen, zog sich in ihm alles vor Ekel zusammen. Pfui Teufel! Irgendwie kam er mit dem Schlucken nicht nach und obwohl Annika das Kopfteil ein wenig erhöht hatte, verschluckte er sich ganz fürchterlich. Die Hälfte des Medikaments hatte er zwar jetzt schon intus, aber er würgte, ihm war übel und eine ganze Menge des üblen Gebräus hatte er schon eingeatmet. Erschrocken setzte Annika den Becher ab, versuchte ihn zu beruhigen, denn langsam lief er fast ein wenig blau an und die krampfhaften Hustenstöße die seinen Körper erschütterten, verursachten heftige Schmerzen, da ja die Muskulatur in vielen Körperregionen, die man zum Husten brauchte, schwer geschädigt war. Annika drehte den Sauerstoff, der durch die Nasenbrille lief, höher und war selber froh, als sich langsam das Würgen und Husten legte. Sie sah zweifelnd auf den Inhalt des Bechers und beschloss, dass ihm das jetzt nicht mehr zuzumuten war, auch noch den Rest zu trinken. Wenn der Doktor darauf bestand, musste man ihm eben eine Magensonde legen, aber nach ihrem Gefühl würde ihr Patient sowieso um eine Dialyse nicht herumkommen-was sollte also das Ganze!
    Als Ben sich wieder ein wenig beruhigt hatte, diskonnektierte sie noch den Ablaufbeutel der Stuhldrainage, spritzte mit der großen Blasenspritze die 300ml Resoniumlösung über das Darmrohr in seinen Dickdarm und verschloss dann mit einer Klemme das Silikonrohr. „Die Lösung muss jetzt für drei bis vier Stunden drinbleiben, denn so werden die Kaliumionen durch die Darmwand ausgetauscht!“ erklärte sie ihm noch, nachdem sie ihn wieder zugedeckt und das Einmalmaterial weggeworfen hatte. Als sie nach einer erneuten Händedesinfektion das Zimmer verließ, lag Ben schweißnass und vor Stress zitternd im Bett. Er kämpfte immer noch mit Atemnot, in seinem Bauch tobte es und die Übelkeit wurde schlimmer und schlimmer. So fand ihn Sarah vor, als sie wenig später ins Zimmer stürmte und nun ihren geliebten Mann völlig entsetzt betrachtete.


    Bruckner war nun zu Semir nach hinten geklettert und hatte derweil Leo, der ihm zu weich erschien, losgeschickt, eines der Wohnmobile zu knacken. „Nimm ein Älteres-die haben noch keine Wegfahrsperre!“ befahl er und als Leo ihn herausfordernd ansah und wissen wollte, wie er draufkam, dass er sowas überhaupt konnte, sah ihn Bruckner grinsend an: „Du bist doch Pole-lernt ihr da sowas nicht in der Schule?“ fragte er und Strzigowski trat zornig einen Stein weg, als er ausstieg. Was bildete sich der Typ eigentlich ein? Wobei er zugeben musste, dass es ihm kein Problem bereitete ein Auto zu knacken, das hatten ihm seine Kumpels tatsächlich schon in jungen Jahren beigebracht wie das ging. Aber trotzdem war das Verhalten der beiden Männer ihm gegenüber unter aller Kanone und wenn da nicht viel Geld locken würde, hätte er sie schon längst im Stich gelassen. Allerdings hatte er auch Angst vor ihnen und mit der Waffe des kleinen Polizisten waren die jetzt beide bewaffnet und er wusste, wenn er sich stellte, würden die ihn gnadenlos erschießen und ihre Geisel vermutlich auch-die hatten ja schon mehrere Leute erledigt, wie er aus den Gesprächen während der Fahrt entnommen hatte, darunter auch einen Polizisten. Er hatte ja normalerweise vor Hunden keine Angst, aber die beiden Schäferhunde von Bruckner hatten ihm immer schon einen Heidenrespekt eingeflößt und als dieser von Hunden zerfleischte Mann gefunden worden war-wie er erst aus der Presse erfahren hatte-war er sich relativ sicher gewesen, dass Castor und Pollux daran beteiligt waren. So aber näherte er sich den abgestellten Wohnmobilen und tat, was ihm befohlen war, während nun aus dem Transporter ein Schrei ertönte.

  • Semir hatte sich schlafend gestellt und öffnete scheinbar mühsam die Augen. Bruckner grinste breit, während er sich über ihn stellte und erst einmal den Knebel entfernte. „Jetzt kannst du schreien so laut du willst-hier wird dich niemand hören!“ feixte er und auch Dermold machte sich auf den Weg nach hinten, um bei der Befragung mitzuhelfen. Alle beiden Männer hatten Vergnügen daran andere Menschen, oder auch Tiere zu quälen, dieses Gefühl der Macht war gut für ihr Ego und sie fühlten sich danach immer hoch befriedigt. Beide hatten auch keine dauerhaften Partnerinnen gefunden, denn die sexuellen Perversionen die alle mit Schmerz und Macht einhergingen, wurden von keiner mitteleuropäischen Frau auf Dauer toleriert und auch das war ein Grund, warum sie Thailand avisierten-da gab es genügend willfährige Mädchen, die von ihren Familien verkauft wurden und sich gegen ihre sadistischen Freier nicht wehrten. Bruckner schoss vor Erregung das Blut ins Gesicht-und auch anderswohin. Er leckte sich vor Vorfreude die Lippen-diesem Polizisten würde er es so richtig geben-der würde vor Schmerzen winseln und ihn um Gnade anflehen, aber letztendlich würde es vergeblich sein, denn auf einen Mord mehr oder weniger kam es ihm nun nicht mehr an.
    Dass diese angebliche Befragung sowieso Makulatur war, war ihm sowieso klar-mit Sicherheit hatte die Staatsanwaltschaft bereits genügend Beweise gegen ihn und seinen Komplizen, dass sie lebenslang einfuhren, wenn sie erneut erwischt wurden. Wenn sie Vernunft hätten walten lassen, hätten sie sich schnellstmöglich vom Acker gemacht und sich nicht mit einer Geisel belastet, aber im Augenblick brauchten sie Leo und seine polnischen Kontakte noch, denn keiner von ihnen beiden sprach Polnisch, oder kannte sich in diesem Land aus. Die deutschen Flughäfen würden überwacht werden und finanzielle Transaktionen aus Drittländern wurden vom deutschen Staat sehr streng kontrolliert-die Gefahr dabei erwischt zu werden war einfach viel zu groß! Sie mussten deshalb nach Polen fliehen, sich dort bei Verwandten oder Bekannten Leo´s eine Weile verstecken und wenn sich die Wogen ein wenig geglättet hatten, dann in aller Ruhe eine kleinere Summe transferieren, die Helfershelfer auszahlen und sich dann mit einem Flug von Warschau aus absetzen.


    Sie würden jetzt pro Forma dem kleinen türkischen Polizisten noch ein paar Fragen stellen, ihn quälen und ihn dann kaltmachen. Inzwischen hatte Leo dann das Wohnmobil klargemacht, sie würden umsteigen und ihm einreden, dass sie den Polizisten nach der Befragung lebend im Transporter zurückgelassen hätten und der könne dann ja auch aussagen, dass Strzigowski an der ganzen Sache nur als Fahrer beteiligt war. Der Transporteur, der sonst die Hunde von Polen nach Deutschland schaffte und dort auf die mitwirkenden Hundebesitzer verteilte, der die Tiere zu den Versuchslaboren brachte, wo sie ihren letzten Weg antraten, nachdem die Futtermittelversuche abgeschlossen waren und auch sonst ein Mann für alle Fälle war, scherte sich zwar nicht um die Tiere, aber er war auch nicht richtig kriminell. Er wollte eben ein gutes Auskommen mit seiner Familie in Deutschland haben, sprach nahezu perfekt Deutsch und seine Frau putzte nebenbei noch die Villa Bruckner´s und die Luxuswohnung von Lutz Dermold. Er pflegte auch Bruckner´s Garten und der hatte sich immer einen Spaß damit erlaubt, Castor und Pollux da in Position zu bringen und ihm zu drohen, die würden sich auf ihn stürzen, wenn er seine Arbeit nicht richtig machte-so schnell wie Leo hatte noch keiner den Rasen gemäht! An den Tagen an denen dessen Frau Olga putzte, musste er allerdings die Hunde immer mit ins Tierheim nehmen, die tat sonst vor Angst keinen Handstrich. Genau diese Angst, die Bruckner auch in den Augen von Michael Putz gesehen hatte, als sie den erledigt hatten und wenig später auch bei Sven Heinze, der im Büro des Tierheims noch erfolglos versucht hatte die Hunde zu besänftigen, als das Kommando „Fass!“ ertönt war, genau das war es, was Bruckner zum Jubeln brachte und jetzt sogar dafür sorgte, dass vor Vorfreude seine Hose spannte.


    Semir hatte die beiden Männer aus halb geöffneten Augen beobachtet. Der Dritte war momentan weg um das Wohnmobil zu stehlen, wie er ja aus den Gesprächen wusste. Mit einer schauspielerischen Höchstleistung mimte er den noch Benommenen, der gerade aus der Bewusstlosigkeit erwachte. Seine Augenlider flatterten und als Bruckner nun mit einem Ruck den Knebel entfernte, stöhnte er verlangsamt auf. Ein diabolisches Grinsen zog über Bruckner´s Züge, der immer noch über Semir gebeugt stand. Dermold lehnte nun auch, leicht gebückt, die Waffe nachlässig im Hosenbund verstaut, daneben und beobachtete, was sein Kumpel jetzt vor hatte. Semir konnte die zweite Waffe nicht in Bruckner´s Hand entdecken und wusste-er hatte jetzt nur diese eine Chance-wenn er die nicht nutzte, dann war er tot. Aber ihm war klar, dass er keine Alternative hatte, obwohl er nach dem Verkehrsunfall noch nicht hundertprozentig fit war und irgendwie jeden Knochen im Leib spürte.
    Gott sei Dank hatte Dermold ihm die Hände mit Klebeband vor dem Bauch gefesselt und nicht nach hinten und so rollte er sich leicht auf dem Boden und beobachtete, wie Bruckner gerade ausholen wollte, um ihn zu schlagen. Mit affenartiger Geschwindigkeit ließ Semir nun die aneinander gefesselten, aber sonst nirgendwo angebundenen Beine hochschnellen und trat Bruckner mit aller Kraft dorthin, wo es ihm am meisten wehtat. Bruckner schrie auf, fasste sich reflexartig mit beiden Händen in den Schritt und fiel zur Seite. Wie eine Katze sprang Semir nun hoch und noch bevor Dermold, der völlig überrascht war, nach seiner Waffe greifen konnte, hatte Semir ihn mit einem gekonnten Handkantenschlag mit den gefesselten Händen ausgeknockt. Schnell hüpfte er zurück zu Bruckner, der gerade langsam wieder zu Atem kam, sprang mit beiden Füßen mit voller Wucht auf ihn und entriss ihm im Fallen die Waffe, nach der der trotz seiner massiven Schmerzen gegriffen hatte. Bruckner heulte vor Schmerz und Zorn inzwischen wie ein Wolf, aber die Übelkeit war in ihm aufgestiegen und brachte ihn zum Kotzen, so weh tat sein Tiefparterre, das ja schon in freudiger Erwartung angeschwollen war. Semir überlegte kurz, aber nachdem der dritte Mann schließlich noch draußen und vor allem voll fit war, im Gegensatz zu ihm, beschloss er erst einmal zu fliehen-wenn er Verstärkung geholt hatte, würden ihm die Bösewichte nicht mehr entkommen! Mit einem weiteren Schlag schickte er Bruckner ins Land der Träume und der verdrehte nun die Augen und rührte sich nicht mehr. So durchtrennte Semir seine Fesseln mit einem Teppichmesser, das achtlos in der Mittelkonsole lag, stopfte Bruckner nach kurzer Überlegung noch den Knebel in den Mund und rannte dann, nachdem er die zerbeulte hintere Tür geöffnet und beide Waffen an sich genommen hatte, davon.


    Strzigowski hatte derweil das ältere Wohnmobil klar gemacht und sich bemüht, Augen und Ohren zu verschließen. Die würden ja hoffentlich bald erfahren haben, was sie wissen wollten und er wusch seine Hände in Unschuld. Er wusste nichts und wollte auch nicht wissen, warum der kleine Türke so geschrien und geheult hatte, aber als jetzt alles ruhig blieb, ging er nun langsam zurück zum Transporter und wunderte sich, warum die hintere Türe aufstand.

  • Sarah war ins Intensivzimmer gestürzt und war einen kurzen Augenblick völlig entsetzt stehen geblieben. Vor ihr lag Ben, der sich vor Schmerzen wand, schweissnass und leichenblass im Bett lag und verzweifelt vor sich hin stöhnte, zwischendurch von einem schmerzvollen Hustenstoß geschüttelt. „Schatz-was ist los!“ fragte sie voller Besorgnis, eilte an seine Seite und ergriff als erste Tat einen feuchten Waschlappen, mit dem sie ihm die Stirn abwischte. Warum hatten ihre Kollegen ihr denn nur nicht Bescheid gesagt? Allerdings wusste sie in derselben Sekunde, in der sie diesen Gedanken fasste, dass das wohl für Ben keinerlei Konsequenz gehabt hätte und sie wegen der Betreuungsproblematik auch keine Sekunde eher hätte kommen können. „Ich gehe nur kurz raus und frage den Arzt was los ist-bin aber gleich wieder bei dir!“ versicherte sie Ben und stürmte dann voller Aufregung auf den Intensivflur. Der Stationsarzt blieb überrascht stehen, als er eine völlig aufgelöste Sarah vor sich sah, die ihn regelrecht mit der Frage überfiel: „Was ist mit meinem Mann?“ Er blieb stehen und antwortete dann mild-ihm war nur zu klar wie schlimm das sein musste einen nahen Angehörigen als Patienten zu haben-„Leider ist sein Kaliumwert weiter angestiegen und so habe ich einen Resoniumeinlauf angeordnet, um das Kalium zu senken. Auch oral hat er 15 g bekommen-jetzt hoffen wir, dass wir die Zeit überbrücken können, bis die Niere wieder anspringt, um ihm die Dialyse zu ersparen!“ antwortete er wahrheitsgemäß und nun atmete auch Sarah erst einmal tief durch, bevor sie mit zitternder Stimme sagte: „Ihm geht’s aber massiv schlecht-hast du ihn dir nach der Durchführung der Verordnung schon angesehen?“ fragte sie mit bebender Stimme und der Arzt schüttelte den Kopf, steuerte aber danach sofort das Patientenzimmer an.
    Auch er war von dem Anblick der sich ihm bot sehr geschockt. „Herr Jäger, was ist los?“ fragte er, aber Ben genügte die Luft kaum zum Atmen-er konnte jetzt nicht auf blödsinnige Fragen antworten, die ihn selber beschäftigten, auf die er aber keine zufriedenstellende Antwort hatte. Er stieß nur mühevoll ein paar Worte hervor und wenn man genau hinhörte konnte man deuten, dass das erste Wort: „Luft!“ gewesen war und das zweite Wort „Bauchweh!“ bevor Ben sich mit hervortretenden Wangenmuskeln, blauen Lippen und allen anderen Zeichen einer massiven Atemnot versuchte aufzurichten, aber vor Schwäche sofort wieder zusammenbrach.


    Semir hatte derweil die Beine in die Hand genommen und bevor der dritte Mann seine Flucht bemerkte, war er schon ein ganzes Stück die Straße entlang gespurtet. Die nächsten Häuser lagen eine Ecke entfernt, auch die Hauptstraße war zwar zu sehen, aber sicher noch einen Kilometer über freies Feld weg, was für ihn megagefährlich gewesen wäre, wenn ihn die drei Verbrecher mit dem Fahrzeug verfolgten. So bog er in den Weg nach rechts ab der in einen Wald führte und verbarg sich dort zwischen den Büschen und Bäumen. Wenn die Luft rein war würde er sich wieder auf den Weg machen, aber gerade bemerkte er, dass er den Autounfall doch nicht so unbeschadet überstanden hatte, wie er zunächst gedacht hatte. Eine Schwindelattacke überkam ihn und er sank für einen Augenblick bewusstlos zu Boden.

  • Susanne hatte Strzigowski´s Handy wieder geortet und sagte aufgeregt zur Chefin, die angespannt hinter ihr stand: „Anscheinend sind die wieder auf dem Weg zurück nach Köln!“ und Kim Krüger pflichtete ihr bei. So schickte man eine frische Polizeistreife aus Hamm auf die Autobahn, die den Transporter mit Semir und den Verbrechern darin verfolgen sollte. Schnell koordinierte man noch einige weitere zivile Fahrzeuge, die ein paar Ausfahrten weiter einen künstlichen Stau verursachten. Zufrieden stellte Susanne nach einer Weile fest: „Das Handysignal bewegt sich nicht mehr-irgendwo in diesem Stau müssen sie stecken!“ aber so sehr sich die Kollegen auch bemühten-kein weißer Transporter mit Heckschaden und der gesuchten Nummer war zu finden. „Wo sind die-die können sich doch nicht in Luft aufgelöst haben?“ fragte Kim fassungslos und als im selben Augenblick Susanne´s privates Handy läutete und Andrea mit zitternder Stimme nachfragte, ob es schon Neuigkeiten gäbe, mussten sie leider verneinen. Man grenzte nun die Suche mehr und mehr ein und nachdem nun die ungeduldigen Menschen in dem Stau begonnen hatten auszusteigen und nach vorne zu laufen, um nach der Ursache der Verkehrsstockung zu sehen, probierten die Kollegen nun einfach mit unterdrückter Nummer das Handy anzuwählen und tatsächlich-ganz in der Nähe läutete es. So musste wenig später ein verdutzter LKW-Fahrer seine Ladebrücke öffnen und der Beamte fand dort das Mobiltelefon friedlich auf der Ladung liegen und nachdem der Fahrer beteuerte, davon keine Ahnung zu haben, durften nach kurzer Rücksprache alle weiterfahren. „Verdammter Mist-wir haben sie verloren!“ fluchte die Chefin und sogleich wurden die Kollegen in der anderen Fahrtrichtung aufgefordert, den Transporter zu suchen, aber der hatte inzwischen schon einen riesigen Vorsprung und konnte überall und nirgends sein.


    Im Krankenhaus hatte inzwischen der Arzt erschrocken eine Sauerstoffmaske, anstatt der Brille gegriffen, die auf Ben´s Gesicht gedrückt und den Sauerstoff hochgedreht. Auch Annika kam gerade aus dem Nebenzimmer, wo sie zwei weitere instabile Patienten versorgt hatte und wollte gerade zur Nummer vier gehen, da rief der Stationsarzt nach ihr und als sie ins Zimmer des jungen Polizisten trat erschrak sie: „Herr Jäger-was ist denn los-warum haben sie nicht geläutet?“ fragte sie, aber im selben Augenblick wusste sie warum. Die Glocke war so außer Reichweite gerutscht, dass er sie vermutlich nicht hatte erreichen können und so sehr er sich auch plagte-die Vitalzeichen waren immer noch grenzwertig normal-es hätte erst einer weiteren Verschlechterung bedurft, damit der Monitor Alarm gab. Sarah versuchte selber ganz aufgelöst ihren panischen Mann zu beruhigen, der vor Atemnot und Schmerzen fast nicht mehr aus noch ein wusste und erst als ein Piritramidbolus seine Schmerzen ein wenig abmilderte wurde seine Gesichtsfarbe besser und er konnte sich ein bisschen entspannen.
    „Bitte sofort ein erneutes Blutgas-aber warum hat sich der Zustand innerhalb dieser kurzen Zeit so geändert?“ fragte nun der Arzt und Annika musste leider berichten, dass sich ihr Patient bei der Einnahme der oralen Resoniumlösung sehr verschluckt hatte und gar nicht das ganze Medikament hatte zu sich nehmen können. „Verdammter Mist!“ fluchte der Arzt zwischen zusammengebissenen Zähnen und nun sahen ihn Sarah und Annika fragend an. „Dieses Kunstharz macht in den Bronchien, wo es absolut nicht hinsoll, aseptische Nekrosen und führt häufig zu akuten Bronchopneumonien!“ erklärte der Arzt und Sarah und Annika sahen ihn erschrocken an. „Wir machen eine erneute Thoraxaufnahme, aber als Therapie versuchen wir es jetzt erst einmal mit einer nichtinvasiven Beatmung!“ ordnete der Doktor an und wenig später hatte Ben, dem man erst in Windeseile aus der Arterie erneut Blut abgenommen hatte, eine dicht schließende Maske auf dem Gesicht, die ihm Platzangst machte und atmete mühsam durch die Maske in ein spezielles Beatmungsgerät, das durch seine Beatmungsdrücke die Bronchien offenhalten und so einen verbesserten Sauerstoffaustausch in der Lunge forcieren sollte. Wenn nicht das akute Leber- und Nierenversagen bestehen würde, hätte man ihn sofort sediert oder gleich intubiert, aber so versuchte man seinem sowieso schon belasteten Körper so wenige weitere Giftstoffe und Medikamente zuzuführen wie möglich. Nur ein wenig Opiat und die Nähe seiner Sarah halfen ihm die Situation zu ertragen und seine Frau saß nun mit Tränen in den Augen neben ihm, streichelte ihn und machte sich riesige Sorgen-und zugleich hatte sie auch Tim und Frau Brauner gegenüber ein fürchterliches schlechtes Gewissen. Mein Gott-was sollte sie nur tun?


    Semir war nach einer Weile wieder zu sich gekommen. Er hatte keine Ahnung wie lange Zeit vergangen war, in der er da bewusstlos im Wald gelegen hatte. Sein Kopf brummte und eine latente Übelkeit machte ihm zu schaffen. Vorsichtig richtete er sich auf, taumelte zum Waldrand und spähte zum Transporter. Der stand immer noch genauso da, wie er ihn verlassen hatte. Die Hecktüren waren weit geöffnet, aber sonst war kein Laut zu vernehmen. Waren jetzt erst Minuten, oder schon Stunden vergangen? Semir hatte keine Ahnung. Er hatte keine Uhr an und sah normalerweise auf sein Handy um die Uhrzeit festzustellen, aber das hatte er seitdem er gekidnapped worden war nicht mehr bei sich. Sollte er es wagen und sich in Richtung der Häuser aufmachen, oder lauerten die drei Verbrecher jetzt im Fahrzeug oder sonst wo, um ihn erneut zu überwältigen? Er sah entlang der anscheinend recht unbenutzten Straße einige Wohnmobile stehen, aber ob da eines fehlte konnte er nicht sagen. Alles war möglich und so wartete er erst einmal ab, lehnte sich mit dem Rücken gegen einen Baum, versuchte die immer wieder aufkeimende Übelkeit zu ignorieren und horchte nach verdächtigen Geräuschen.

  • Nachdem sich eine ganze Weile nichts gerührt hatte, beschloss Semir es zu wagen. Die Waffen von Bruckner und Dermold hatte er ja konfisziert-na ja-eigentlich waren das ja die seine und die von Bonrath gewesen. Ob natürlich der dritte Mann bewaffnet war, konnte er nicht wissen. Mühsam erhob er sich und wankte aus dem Wald. Er hatte irgendwie Ganzkörpermuskelkater, aber vor allem tippte er auf eine Gehirnerschütterung, weil ihm immer noch latent übel und schwindlig war. Es lief ihm kalt den Rücken herunter, als er die schützende Deckung des Waldes verließ. So musste sich ein Reh fühlen, das sichernd eine Lichtung betrat, nicht wissend, ob auf dem nächsten Jägerstand schon sein Mörder die Waffe durchlud. Alle Nackenhaare gesträubt erwartete er jederzeit ein verdächtiges Geräusch oder aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrzunehmen, woraufhin er sich sofort zu Boden geworfen hätte, aber alles blieb ruhig. Als er die ersten 100 m Richtung Dorf zurückgelegt hatte, wurde er langsam ruhiger. Inzwischen würde man eine Jagdwaffe brauchen um ihn aus der Distanz sicher zu erledigen und so schritt er jetzt mit jeder Sekunde energischer aus, obwohl ihm immer noch kotzübel war. Kurz vor den paar Häusern, die den Weiler darstellten musste er sich zwar nochmals übergeben, aber gerade als er überlegte, an welchem Haus er als Erstes läuten sollte, kam ein Spaziergänger mit Hund auf ihn zu. Der Hund bellte ihn an und der Mann musterte ihn mit abweisender Miene. „Können sie mir bitte helfen? Ich bin Polizist und bräuchte dringend ein Telefon!“ sagte er und misstrauisch, ob er auch die Wahrheit sagte, kam der Mann näher. Semir fasste in seine Tasche und tatsächlich-sie hatten ihm seinen Dienstausweis in Kartenform gelassen, während seine Geldbörse fehlte. Als er die Karte dem Mann entgegenstreckte, musterte der die interessiert, nickte dann und reichte ihm sein Handy. Semir wählte mit zitternden Finger, erneut von einer Übelkeitswelle heimgesucht, Susanne´s Nummer. „Autobahnpolizei-König am Apparat, wie kann ich ihnen helfen?“ klang es freundlich aus dem Hörer und Semir atmete auf, als er die vertraute Stimme höre. „Susanne-ich bins, Semir!“ sagte er und ein erleichterter Laut kam von der Sekretärin. „Semir wo steckst du und wie geht´s dir?“ wollte sie nun wissen und Semir sah jetzt den Mann fragend an: „Wo sind wir eigentlich?“ fragte er ihn und der Mann sagte ihm den Namen des winzigen Dörfchens. „Das habe ich ja noch nie gehört!“ wunderte sich Susanne, um nur Sekunden später zu sagen: „Ich hab´s!“


    „Susanne-mir geht’s schon einigermaßen gut, könnte mich jemand abholen kommen und kannst du mir gleich die örtliche Polizei zur Unterstützung schicken?“ fragte Semir und Susanne versprach, das in die Wege zu leiten. Gleich im Anschluss bat Semir den Mann noch ein zweites Telefonat führen zu dürfen und wenig später war Andrea dran, die inzwischen begonnen hatte im Haus ruhelos umeinander zu kramen. Die Kinder waren vom Kindergeburtstag zurück, hatten nach dem Würstchenschnappen und den vielen Süßigkeiten auch nichts mehr zu essen gebraucht und waren nun von ihr ausnahmsweise vor dem Fernseher geparkt worden. Ayda hatte sie zwar prüfend gemustert-es war nur zu augenscheinlich dass die Mama sich Sorgen machte, aber sie hatte nicht gefragt und Lilly war vor Begeisterung über den tollen Tag so abgelenkt gewesen, dass sie gar nichts bemerkt hatte. „Semir-Gott sei Dank-wo steckst du-und geht´s dir gut?“ sprudelte Andrea heraus, als sie die geliebte Stimme hörte und wäre vor Erleichterung beinahe in Tränen ausgebrochen. „Doch Schatz-ich bin einigermaßen in Ordnung!“ sagte Semir-da war er schon schlimmer zugerichtet gewesen-eine Mütze voll Schlaf und er wäre wieder der Alte. „Ich muss hier noch kurz etwas erledigen-ich bin ein wenig östlich von Hamm, aber dann komme ich nach Hause. Wie geht´s denn Ben? Sarah wollte mir das gerade sagen, als wir –äh-unterbrochen wurden!“ fragte er und schuldbewusst musste Andrea zugeben, dass sie sich darum die letzten Stunden gar nicht mehr gekümmert hatte. „Semir, ich weiss nur, dass der in der Uniklinik auf der Intensiv liegt, weil er irgendeine Krankheit mit einem ganz komischen Namen bekommen hat-das wollte dir Sarah gerade erklären, als du entführt wurdest!“ sagte sie und hätte sich kurz darauf beinahe auf die Zunge gebissen, denn nun sah sie das entsetzte Gesicht ihrer großen Tochter, die hinter sie getreten war.
    „Was ist mit Papa?“ wollte Ayda wissen und begann ein wenig zu weinen. „Papa geht es gut!“ beeilte sich Andrea zu sagen und reichte dann kurz entschlossen den Hörer weiter, nachdem sie Semir den Sachverhalt kurz erklärt hatte. „Ayda-Schätzchen- der Papa ist in Ordnung, der ist zwar noch ein Stückchen von zuhause weg, aber bald komme ich zu dir und wenn du morgen früh aufwachst bin ich da und wir machen gemeinsam Frühstück-o.k.?“ sprach nun Semir selbst zu seiner Tochter und die begann sich bald wieder zu beruhigen. Andrea nahm nun den Hörer erneut an sich und nach einem letzten: „Ich liebe dich und freue mich wenn du nach Hause kommst!“ beendeten sie das Gespräch.


    Der Mann hatte derweil seinen Hund ins Haus zurückgebracht und als nun die uniformierten Kollegen eintrafen, ließ Semir sich von denen eine Schutzweste geben und schilderte kurz den Sachverhalt. Wie der Anwohner aussagte gehörte der asphaltierte Platz unten an der abgelegenen Straße einem Nachbarn, der dort gegen geringes Entgelt erlaubte, dass man dort Wohnmobile und Wohnwägen abstellte. „Die Scheunen hier sind voll mit solchen Fahrzeugen, aber das kostet und der Fritz verlangt ganz wenig, weil er ja weder ein Dach drüber noch nen Zaun drum herum hat!“ erklärte der Mann, der sich jetzt ganz wichtig vorkam. Inzwischen begann es zu dämmern und erst jetzt fragte Semir, wie spät es eigentlich wäre. „Es geht schon auf 20.00 Uhr!“ sagte der Polizist und nun fuhren die beiden Streifenwagen zu den geparkten Fahrzeugen und dem weißen Transporter. Vorsichtig sichernd durchsuchten die Polizisten gemeinsam mit Semir das Fahrzeug, aber es war verlassen. Man konnte sehen, dass ein Platz zwischen den ganzen Wohnmobilen leer war, aber von den Verbrechern war nirgendwo mehr eine Spur. „Wir brauchen eine Beschreibung des Wohnmobils, dann können wir eine Fahndung herausgeben!“ sagte Semir und fuhr mit einem der Polizisten wieder den Kilometer zurück zum Weiler, wo inzwischen alles was Beine hatte draußen stand. Hier war sonst nie Polizei und es kursierten schon die wildesten Gerüchte was eigentlich vorgefallen sei. Leider war ausgerechnet der Besitzer des Stellplatzes nicht zu erreichen und auch sonst konnte ihnen niemand eine genaue Beschreibung des gestohlenen Wohnmobils oder dessen Nummer geben.
    Semir hatte die immer wieder aufkeimende Übelkeit hinuntergeschluckt, aber als plötzlich die Chefin in ihrem A-Klasse-Mercedes um die Ecke bog, atmete er trotzdem erleichtert auf. Kurz informierte die sich, aber nachdem die örtlichen Kollegen alles in Griff hatten, lud sie Semir, der ziemlich angegriffen aussah, in ihren Wagen und gemeinsam machten sie sich auf den Weg zurück nach Köln, was sicher eine gute Stunde in Anspruch nehmen würde. Zweimal musste die Chefin an einer Ausfahrt oder einem Rastplatz rausfahren, weil Semir kotzen musste. „Ja Chefin ich weiss-ich habe sicher eine Gehirnerschütterung, aber eine Mütze voll Schlaf und ich bin wieder der Alte!“ beruhigte er sie. „Zuvor bringe ich sie aber noch in ein Krankenhaus, damit sich ein Arzt das ansieht!“ teilte ihm die Krüger entschlossen mit. „Dann bringen sie mich zur Uniklinik!“ gab ihr Semir nun Bescheid und die Chefin nickte.

  • Ben lag immer noch fix und fertig, mühsam durch die Beatmungsmaske atmend, auf der Seite im Bett. Seine Schmerzen waren irgendwie allumfassend, ihm war heiß unter der Maske und trotzdem hatte er eiskalte Hände und Füße und fror insgesamt. Als nun die erneute Thoraxaufnahme gemacht werden musste, drehte man ihn dazu trotzdem auf den wunden schmerzenden Rücken, weil das anders nicht möglich war und er brüllte seinen Schmerz, gedämpft durch die Maske, lauthals heraus, obwohl man ihm nochmals einen Opiatbolus zukommen hatte lassen.
    Sarah war ebenfalls fix und fertig. Mein Gott-die Sorge um ihren geliebten Mann fraß sie beinahe auf, aber trotzdem musste sie sich irgendetwas wegen Tim einfallen lassen. Sie hatte ein megaschlechtes Gewissen ihrem Kind gegenüber, dass sie ihn einfach bei einer fremden, wenn auch sympathischen Frau gelassen hatte. Allerdings war sie sich ganz sicher-das sagten ihr ihr Gefühl und ihre Menschenkenntnis aus vielen Berufsjahren-dass diese Frau ehrlich und geradlinig war. Sie lebte in gut situierten Verhältnissen, engagierte sich sozial und sie hatte ihr neben den Hundebildern auch die Bilder ihrer Enkelkinder gezeigt, die fröhlich lachend bei der Oma auf dem Arm saßen. Auch hatte ihr Andrea durchaus von dem Gespräch mit der anderen Mutter am Spielplatz erzählt, die sich Frau Brauner als Leihoma gewünscht hätte. Nein-deswegen machte sie sich keine Vorwürfe, diese Frau würde ihrem Sohn nichts tun.
    Nun rächte es sich allerdings, dass sie ihn seit der Entführung im Alter von vier Monaten nirgendwo anders mehr gelassen hatte. Entweder Ben oder sie hatten ihn rund um die Uhr betreut und die einzigen Menschen, die er näher kannte, waren tatsächlich Andrea und Semir. Wie eine Glucke hatte sie ihn bewacht und man hatte es ja gestern gesehen-er ließ sich anscheinend von jemand anderem gar nicht ins Bett bringen. Es würde auch nichts nützen wenn sie ihre Eltern anrief-klar würde ihre Mutter sofort ihren Chef bitten ihr Urlaub zu gewähren, damit sie ihren Enkel betreuen konnte, aber Tim kannte seine Großeltern, Onkel und Tanten kaum. Nur ihre Schwägerin hatte ein engeres Verhältnis zu ihm, aber die hatte schließlich selber drei Kinder und wohnte eine ganze Ecke von Köln weg. Mit vier Monaten hatte er auch überhaupt nicht gefremdelt, während das jetzt mit einem dreiviertel Jahr durchaus der Fall war. Normalerweise würde man das jetzt langsam und schrittweise üben, dass er bei Frau Brauner blieb, aber sie hatte einfach ihr im Buggy schlafendes Kind zurückgelassen und wenn er aufwachte wäre niemand bei ihm, den er kannte.
    So lief sie, während Ben geröntgt wurde, schnell vor die Intensiv, wo keine Bleiwände mehr waren und rief Frau Brauner an. „Wie geht es Tim-was macht er?“ wollte sie wissen, als die Frau mit der angenehmen Stimme sich meldete. Da hörte sie ihren Sohn aber schon im Hintergrund fröhlich glucksen. „Er ist vorhin aufgewacht, hat etwas getrunken und jetzt macht er Quatsch mit Frederik!“ erklärte Frau Brauner und Sarah fiel regelrecht ein Stein vom Herzen. „Frau Brauner-können sie ihn noch ein Weilchen nehmen? Meinem Mann geht es sehr schlecht, ich kann hier einfach im Augenblick nicht weg.“ fragte sie unglücklich und die nette Dame erwiderte: „Frau Jäger-oder darf ich Sarah sagen? Kein Problem. Ich nehme ihn nachher wieder mit zu mir nach Hause, wenn wir unseren Hundespaziergang beendet haben. Frederik spielt gerade mit einem anderen Hund und Tim ist ganz begeistert und kann sich gar nicht satt sehen. Wir werden später eine Kleinigkeit essen-darf er einen Grießbrei haben? Die Zutaten hätte ich im Haus?“ fragte sie dann noch und Sarah erklärte voller Erleichterung: „Das ist sozusagen Tim´s Leibgericht. Ich komme, sobald es irgendwie geht und falls er weint, rufen sie bitte sofort auf der Intensivstation an, ich habe hier zwar keinen Handyempfang, aber meine Kollegen werden mir das dann ausrichten und ich melde mich sofort!“ managte sie und gab dann noch die Nummer durch. „Kümmern sie sich um ihren Mann-das hat im Augenblick Priorität-Tim ist bei mir in guten Händen!“ beruhigte Frau Brauner sie und nachdem Tim die ganze Zeit vor Freude im Hintergrund gekräht hatte, kehrte Sarah sehr erleichtert zu Ben zurück, den man inzwischen wieder auf die Seite gelagert hatte.


    Sie ergriff seine Hand, streichelte ihn und murmelte beruhigende Worte, während es ihm von Minute zu Minute schlechter ging. Man glich die massiven Calcium- und Magnesiumverluste wieder durch Perfusoren aus, denn die Wirkung des gemahlenen Kunstharzes im Darm funktionierte als Kationentauscher, der die Kaliumionen gegen Natriumionen austauschte und so die Rückresorption in die Blutbahn verhinderte. Allerdings band die Polymerstruktur auch Calcium und Magnesium, das man zielgerichtet zuführte, was durch den liegenden ZVK allerdings problemlos möglich war. Auch sah man einen Erfolg der Therapie, denn der Kaliumspiegel sank bereits ein wenig. Die Infusionen tropften schnell und beständig in ihn hinein, denn man musste der Niere Flüssigkeit anbieten, damit die sich erholen konnte. Sarah nahm die Beatmungsmaske auch einmal kurz ab, um seine Gesicht abzuwaschen und seinen Mund mit feuchten aromatisierten Mundpflegestäbchen auszuwischen, allerdings sank bereits während dieses kurzen Moments die Sauerstoffsättigung in seinem Blut massiv ab, so dass Sarah und ihre Kollegin schleunigst die Maske wieder auf Ben´s Gesicht schnallten. Allerdings hatte er noch zwischen mühevollen Atemzügen Sarah leidvoll angesehen und hervor gepresst. „Mich verreisst es-bitte-ich muss so dringend aufs Klo-tu irgendwas!“ und Sarah und die Kollegin hatten sich angesehen. Als wenig später der Stationsarzt ins Zimmer kam, der inzwischen gemeinsam mit dem Radiologen das Röntgenbild befundet hatte, trug Sarah ihm die Problematik vor.
    „Also zunächst einmal haben wir tatsächlich eine heftige Bronchopneumonie, anscheinend ausgelöst durch die Aspiration des Medikaments. Antibiotisch abgedeckt ist er, jetzt können wir hoffen, dass die nichtinvasive Beatmung etwas bringt-ich muss gestehen, wenn wir die Leber- und Nierenproblematik nicht hätten, wäre er schon längst absediert und intubiert!“ bemerkte er, während er prüfend seinen Patienten musterte, der schweißbedeckt dalag und um sein Leben kämpfte. „Er ist noch ansprechbar und meinte gerade ihn zerreisst es-können wir nicht die Stuhldrainage öffnen?“ fragte Sarah verzweifelt und der Arzt nickte. „Das könnt ihr machen, lasst den Überdruck ablaufen, aber bitte danach sofort wieder 30g frische Resoniumlösung rektal implantieren. Im Augenblick können wir keinen Dialysekatheter legen, so wie er beieinander ist, ist das seine einzige Chance!“ sagte er und während nun die Schwester wieder hinauslief um die nächsten 250ml Lösung vorzubereiten, zog Sarah Einmalhandschuhe an und öffnete den Flexi-Seal, woraufhin sich wieder eine Riesenmenge Durchfall in den Beutel entleerte und Ben zum erleichterten Aufatmen brachte. Er war nicht immer ganz bei sich und die Hälfte von dem was der Arzt sagte, verstand er gar nicht, aber Sarah war da und passte auf ihn auf, das beruhigte ihn sehr.

  • Zu allem Überfluss bekam Ben jetzt auch noch Schüttelfrost. Obwohl er ja bereits ein Breitbandantibiotikum hatte, konnte das die Infektion der Wunden anscheinend nicht verhindern. Unter der Maske begannen Ben´s Zähne zu klappern, eine Gänsehaut überzog seinen Körper und das ganze Bett wackelte, so versuchte sein Körper durch die Muskelkontraktionen, die noch zusätzlich schmerzten, die Temperatur zu erhöhen. Sarah holte eine warme Decke und hielt dann weiter seine eiskalten Hände. Trotz der massiven Flüssigkeitszufuhr sank sein Blutdruck und man musste kontinuierlich das Noradrenalin erhöhen, um ihn einigermaßen stabil zu halten, was wichtig war, damit sich die Niere erholen konnte und das Myoglobin aus dem Muskelzerfall ausscheiden konnte, das aktuell die Nierenkanälchen verstopfte. Das wiederum verhinderte die ordentliche Durchblutung der Peripherie, so dass gerade an dem Arm mit der Gipsschiene bereits die Finger blau wurden. Als Sarah das sah, wickelte sie zusammen mit der betreuenden Schwester, die inzwischen kurz ihre anderen Patienten versorgt und derweil das Resonium angerührt hatte, die Schiene ab. Gemeinsam reinigten sie die kombinierte Biss-und Operationswunde, was Ben wiederum dazu brachte das Gesicht zu verziehen und dann wickelten sie die Schiene wieder ziemlich locker an, woraufhin die Farbe der Finger wenigstens ein wenig besser wurde. Sie drehten Ben von der rechten auf die linke Seite, weil sich erfahrungsgemäß Einläufe so durch die Anatomie besser verteilten und erneut wurden Ben 250 ml der Kunstharzlösung in den Darm eingespritzt und danach das geblockte Darmrohr wieder mit einer Schiebeklemme verschlossen. Ben ließ diese ganzen Manipulationen willenlos über sich ergehen. Erstens war er inzwischen viel zu krank um sich zu wehren, sich zu genieren oder nachzufragen und zweitens vertraute er Sarah-die wusste was gut und wichtig für ihn war.


    Sarah war gegen acht voller Gewissensbisse vor die Intensiv gegangen und hatte bei Frau Brauner angerufen. Mehrmals hatte sie zuvor ihre Kollegen gefragt, ob die nicht vergessen hatten, ihr einen dringenden Anruf auszurichten, aber die beteuerten, dass definitiv keiner eingegangen war. „Frau Brauner-wie geht es? Ich habe so ein wahnsinnig schlechtes Gewissen ihnen und Tim gegenüber!“ sprudelte Sarah nur so heraus als die Frau sich meldete. „Kindchen-das müssen sie nicht haben!“ sagte die erfahrene Großmutter begütigend. „Frederik und ich haben das schon in Griff. Tim hat gut gegessen-Frederik hat auch ein wenig Grießbrei bekommen und das einzige Problem war eigentlich, dass Tim lieber seine Portion auch noch an den Hund verfüttert hätte, aber das haben wir geklärt“ erzählte sie Sarah-sie musste innerlich immer noch schmunzeln wie ihr Hund die Endreinigung der Babyhände übernommen hatte, was Tim wiederum zum Juchzen gebracht hatte. „Jetzt wird er langsam müde und quengelt zwar ein bisschen, aber wir laufen gerade durch die Wohnung, schauen uns die Vögel vor dem Fenster an und ich denke er wird in Kürze einschlafen. Ich habe ihn gewickelt und er hat ja eine weiche Ersatzhose dabei, die haben wir als Schlafhose umfunktioniert. Ich lege ihn neben mich ins Ehebett und wenn sie heute Nacht kommen wollen-jederzeit, aber wenn ihre Hilfe im Krankenhaus vonnöten ist, dann unterstützen sie lieber ihren Mann. Ich habe meinen auch bis zu seinem Tod gepflegt, ich weiss was einem da durch den Kopf geht und wie schlimm das ist, wenn der Partner so kritisch krank ist. Richten sie ihm unbekannterweise auch von mir eine gute Besserung aus und sagen sie ihm, dass er einen entzückenden Sohn hat, der eine alte Frau wie mich innerhalb weniger Stunden um den Finger gewickelt hat!“ sagte sie und Sarah musste nun trotz aller Sorgen lächeln. „Das hat er vom Papa!“ flüsterte sie ins Telefon und Frau Brauner, die an ihrer Stimme schon merkte, was für große Sorgen sich diese junge nette Frau um ihren Mann machte, lächelte ebenfalls.Tim hatte am Anfang des Gesprächs noch ein wenig gemosert, aber jetzt hatte er seinen Schnuller im Mund, hatte sich an den Hals der mütterlichen Frau gekuschelt und war eingeschlafen. „Sehen sie Sarah-er schläft schon. Ich lege ihn jetzt ins Bett und sie können sich darauf verlassen-ich rufe sie an, wenn wir nicht zurechtkommen, aber ich sehe da keine großen Probleme!“ beruhigte sie nochmals die besorgte Mutter und nach einer herzlichen Verabschiedung legten beide auf und Sarah eilte wieder zu Ben.
    „Schatz-ich soll dir schöne Grüße von Frau Brauner ausrichten!“ flüsterte sie dann, aber das hatte Ben eigentlich nicht gehört, oder wenn dann interessierte ihn keine Frau Brauner. Sarah war sich nicht sicher ob er das gut heißen würde, dass sie Tim bei einer wildfremden Frau gelassen hatte, aber da er nicht gefragt hatte-er nahm vermutlich an der wäre bei Andrea und Semir-wollte sie ihn nicht beunruhigen. Sarah hatte auch auf ihr Telefon gesehen, aber es war keine Nachricht von Andrea drauf, anscheinend war Semir immer noch nicht gefunden-hoffentlich fiel das Ben nicht auf, dass der ihn noch nicht besucht hatte, denn eine weitere Aufregung würde Ben vermutlich nicht überstehen! Andrea schrieb Sarah zwar eine What´s App als sie von Semir´s Befreiung informiert worden war, aber da war ihre Freundin schon wieder innerhalb der Intensiv verschwunden und hatte aktuell überhaupt keinen Handyempfang. Auf dem Festnetz in der Wohnung ging auch keiner ran und so konnte Andrea nur schulterzuckend ihre eigenen Kinder zu Bett bringen und darauf warten, dass Semir nach Hause gebracht wurde.


    Der war inzwischen nach einer weiteren Kotzpause, diesmal schon innerhalb Kölns und jetzt kam nur noch pure Galle, mit Frau Krüger an der Uniklinik angekommen. „Gerkhan-sie bleiben jetzt sitzen, ich besorge einen Rollstuhl!“ ordnete sie autoritär an und Semir war es viel zu übel, als dass er widersprochen hätte. Seine Kopfschmerzen waren inzwischen auch unerträglich stark geworden und so war er fast froh, als er nicht in die Notaufnahme laufen musste, sondern von der Chefin gefahren wurde. Obwohl eine Menge Leute warteten, sah die koordinierende Schwester auf den ersten Blick, dass der neue Patient ganz grün im Gesicht war und als sie nachfragte und erfuhr, dass Semir einen Autounfall gehabt hatte, wurde er an den ganzen Wartenden mit Bagatellverletzungen vorbei gefahren und in den Untersuchungsraum gebracht. Er übergab sich dort nochmals und der eilig herbeigerufene Arzt kontrollierte die Pupillen, die Reflexe, nahm Blut ab, wobei er den Zugang gleich liegen ließ, untersuchte ihn kurz durch und ordnete dann ein Notfall-CT des Schädels an. „Egal was dabei rauskommt-sie werden auf jeden Fall für mindestens 24 Stunden unser Gast sein!“ sagte er dann noch streng und als Semir protestieren wollte, fing er nur einen warnenden Blick der Chefin auf. „Sie werden tun was der Arzt ihnen sagt, sonst kriegen sie mit mir noch extra Ärger!“ drohte sie ihm und so legte sich Semir, dem man inzwischen ein Krankenhaushemd angezogen und ein Bett zugewiesen hatte, resignierend zurück und bat nun nur noch um ein Telefon um Andrea zu verständigen. Die Chefin gab ihm das Ihrige und seine Frau, die die ganze Zeit schon gehofft hatte, er würde demnächst zur Tür hereinspazieren seufzte auf, als er ihr die Umstände erklärte. Natürlich hatte er wieder was abgekriegt-warum sollte es anders sein als sonst? „Sag Ayda, dass ich gerne mit ihr gefrühstückt hätte, aber ich denke, ich werde dann morgen im Laufe des Tages nach Hause kommen!“ prophezeite er und Andrea sagte jetzt erst einmal nichts darauf. Das würde sie morgen schon mit den Ärzten besprechen.
    „Jetzt werd du erst mal gesund!“ bat sie und hatte fast ein schlechtes Gewissen, weil sie ihm auf seine Frage nichts Näheres zu Ben´s Gesundheitszustand sagen konnte. „Gut-immerhin bin ich ja jetzt im selben Krankenhaus wie er-ich werde da sicher was rausbekommen, oder ihn sogar noch besuchen können!“ beschloss Semir das Gespräch, wünschte Andrea liebevoll eine gute Nacht und gab dann das Telefon an Frau Krüger zurück. Die wich nicht von seiner Seite, was ihm fast unangenehm war, aber als eine halbe Stunde später das CT gelaufen war, hatte man Gott sei Dank keine Blutung erkennen können und nun verabschiedete sie sich nach einem langen Arbeitstag doch in den wohlverdienten Feierabend. Der Arzt sprach noch mit Semir und sagte: „Wir werden sie jetzt stationär aufnehmen und alle halbe Stunde die Pupillen und den Blutdruck kontrollieren-das wird eine unruhige Nacht für sie werden-wir müssen jetzt nur erst einmal ein Plätzchen für sie suchen-die Unfallstation ist ziemlich voll!“ überlegte er und als Semir ihm nun von seinem Freund und Kollegen erzählte glitt ein Lächeln über das Gesicht des Arztes-er hatte da so eine Idee!

  • Wenig später läutete auf der chirurgischen Intensivstation das Telefon. Inzwischen war es kurz nach zehn Uhr abends geworden. „Wie ich in eurem Belegungsplan im PC gesehen habe, habt ihr noch ein paar Bettplätze frei?“ fühlte der Chirurg aus der Notaufnahme vor und sein diensthabender Kollege bejahte. „Was hast du denn für uns?“ wollte er wissen und der Chirurg druckste ein wenig herum. „Die chirurgischen Stationen im ganzen Haus sind proppenvoll. Ich habe hier eine Commotio-gut wenn ich ehrlich bin, das erste CCT war völlig unauffällig und er ist auch ganz stabil-ich habe mehr ein Unterbringungsproblem als alles andere. Allerdings war der Patient initial nach Verkehrsunfall für längere Zeit bewusstlos und leidet immer noch unter Erbrechen, Kopfschmerzen und Schwindel. Würdet ihr ihn mir für ein paar Stunden überwachen? Ich hätte gerne nen halbstündigen Kopfbogen um nichts zu übersehen, aber sonst bräuchte man außer ein wenig Monitoring nichts an ihm tun. Ich verspreche auch, dass ich das nächste Mal dafür wieder nen Patienten übernehme, der eigentlich zu aufwendig für Normalstation ist!“ dealte er und sein Kollege am anderen Ende der Leitung lachte. „Du bist vielleicht ein Schlawiner, aber mir solls Recht sein! Gerade ne Commotio ist ja eine grenzwertige Indikation für eine Intermediate Care-Unterbringung, also bring ihn hoch!“ erlaubte er und nun erfuhr er noch, dass der Patient gerne zu einem Herrn Jäger ins Zimmer wollte, der sein Freund und Kollege war.


    So wurde wenig später in Ben´s Zimmer die Schiebetür weit geöffnet und ein zweites Bett fuhr herein. Sarah seufzte innerlich auf-sie hatte eigentlich gehofft, dass die Kollegen von der Intensivstation primär erst ihre anderen freien Betten belegen würden, bevor Ben Gesellschaft bekam, aber da konnte man nichts machen! Umso erstaunter war sie, als sie erkannte, wer sich im Nebenbett nun aufrichtete und zunächst erfreut, aber dann völlig entsetzt: „Ben-Sarah-um Himmels Willen, was ist denn hier los?“ stammelte.
    Semir wurde nur mit Blutdruck-und Pulsüberwachung versehen, man erledigte kurz die Aufnahmeformalitäten, zeigt ihm die Glocke und stellte eine Flasche Wasser, eine Einmalnierenschale und eine Pinkelflasche bereit, aber dann war er endlich mit seinen Freunden alleine im Zimmer. Man hatte den Abtrennvorhang weggelassen, nachdem Semir darum gebeten hatte und so schweifte nun sein mitleidvoller Blick über das Häufchen Elend, das da schwer atmend mit der Atemmaske auf dem Gesicht zitternd und schweißüberströmt seitlich in seinem Bett lag. Ben hatte mühsam die Augen geöffnet, als er die Stimme Semir´s erkannte und registrierte auch, dass der ebenfalls in einem Bett lag. Dann allerdings schloss er die Augen wieder und stöhnte verhalten in die Atemmaske. Er hätte gerne etwas gesagt, aber ihm reichte die Luft kaum zum Überleben und außerdem hatte sich sein Verstand gerade ein wenig verwirrt, so dass er nicht genau wusste, wie spät es war, wo er sich eigentlich befand und was geschehen war. Der Schüttelfrost dauerte an und Sarah, die ja den Temperaturfühler am Dauerkatheter angeschlossen hatte, beobachtete besorgt die Anzeige auf dem Monitor die stetig Richtung 40°C kletterte. Trotzdem zitterte Ben immer noch und deshalb konnte man ihn auch nicht mechanisch kühlen. Fiebersenkende Medikamente fielen ebenfalls weg, also musste man zusehen, wie sein Körper versuchte selber gegen die Infektion anzugehen, indem er die Temperatur erhöhte.
    Es gab da auch auf Intensiv verschiedene Lehrmeinungen. Manche senkten die Temperatur, sobald sie über 39°C ging, mit dem Argument, dass das sonst zu belastend für den Kreislauf wäre. Ein älterer erfahrener Intensivmediziner vertrat allerdings die gegenteilige These und ließ das Fieber immer und in jeder Situation zu-solange die Temperaturregelung des Körpers noch funktionierte und das Blut nicht gerann. „Seit Jahrtausenden hat die menschliche Rasse durch das Fieber als Strategie des Organismus gegen Infektionen überlebt. Jetzt versuchen wir Menschlein der Neuzeit plötzlich der Natur ins Handwerk zu pfuschen und unterlaufen durch unsere Kühlversuche die effizienteste Methode der Selbstheilung bei Infektionen!“ plädierte der immer eindringlich und so hoffte Sarah, dass Ben nun gerade dabei wäre, sich selber zu heilen.


    Semir allerdings sah einen sterbenskranken Ben vor sich, der kaum mehr ansprechbar war und ihn anscheinend gar nicht erkannte. Als er allerdings nun seine Beine aus dem Bett schwingen wollte, um zu seinem Freund zu eilen und ihn anzufassen und ihm nahe zu sein, da wurde ihm schwindlig, eine Übelkeitswelle überkam ihn und als er wieder zu sich kam, drückte ihn Sarah, die gesehen hatte, wie er gerade dabei war zu kollabieren, in die Kissen zurück. „Semir bleib liegen!“ beschwor sie ihn eindringlich und er musste sich geschlagen geben-sein Körper erlaubte ihm aktuell noch nicht aufzustehen. Nun machte Sarah allerdings etwas, was vielleicht hygienisch nicht einwandfrei war, aber sie löste die Bremsen von Semir´s Bett, der ja außer zwei langen Kabeln und einer Infusion zum Offenhalten des Zugangs keine weiteren Überwachungsgeräte hatte und schob dessen Bett ganz nahe neben das von Ben, der sowieso gerade in seine Richtung sah. So griff Sekunden später Semir vorsichtig nach der Hand seines Freundes hielt die fest und murmelte: „Was machst du denn für Sachen, Ben?“ bevor er selber die Augen schloss und sich ein wenig ausruhte.

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