[E335] Meinung zu „Kein Entkommen“

Kein Entkommen ist für mich die bedeutendste Folge der Serie seit Tödliche Wahl, seit ich damals mit 14 Jahren befürchten musste, dass Ben wirklich stirbt, mehr noch, von Semir erschossen wird, seitdem war ich infiziert.

Gestern Abend, wenige Stunden vor dem Deutschabitur hatte ich die Wahl zwischen GNTM mit meinen Schwestern, einfach mal früh ins Bett gehen und der ersten ernst angelegten Cobra 11-Folge von Franco seit ... ja, seit wann eigentlich? Wie sicher schon einige erahnen, habe ich Letzteres gewählt.

Wer sich eine Umsetzung im Stil von Vaterfreuden erhofft, wird bitter enttäuscht sein. Kein Entkommen bietet zu exakt keinem einzigen Zeitpunkt Szenen, in denen man mit den Charakteren leidet, mitfiebert oder erschrickt. Gestern Abend um 21:15 Uhr wurde mir dann richtig bewusst, dass ich mir nicht nur eingeredet habe, kein Fan mehr zu sein. Cobra 11 interessiert mich tatsächlich kein bisschen mehr. Das wurde mir durch diese Folge verdeutlicht, weil jede einzelne Szene mit einer unglaublichen Gleichgültigkeit erzählt wird. Es hat Franco überhaupt nicht geschert, ob er da jetzt gerade über sich hinauswächst oder ein Amateur-Videofilmchen für YouTube dreht. Sein früheres Herzblut fehlt komplett, mag daran liegen, dass er die seichten Episoden für sich entdeckt hat. Mehr noch, bis eben ging ich davon aus, dass die Folge von Höret stammt, weil ich Francos Stil überhaupt nicht wiedererkannt habe.

Die Charaktere sind genauso völlig gleichgültig geworden, jeder liefert seine Durchschnittsleistung ab, jeder RTL 2-Laiendarsteller könnte es genauso gut machen. Finn nuschelt sich durch seinen Text, Semir ist erschreckend müde, Kim ist gerade aus dem Bett gefallen.
Ich habe mich dabei erwischt, wie ich Ciro de Chiara in Gedanken anbrülle, er solle doch endlich abdrücken und nicht immer nur labern über Tauben, Brüder und Verrat. Wäre uns immerhin die Klassenfahrt nach Dresden erspart geblieben.

Die Story - ein kleiner Deckmantel lag über der üblichen 0815-Geschichte in Form des Eskorts „Semir-Mafiosi“. Der Rest ist komplett wie immer, mit dem selben Verlauf, mit dem selben Mordanschlag auf eine sympathische Person, die am Ende eh überlebt, mit dem selben „Wenn du abdrückst, bist du wie er!“, man hat lediglich an den Personenkonstellationen ein klein wenig geschraubt und Härte gezeigt. Viiiel Härte. Dazu kommt noch, dass das Drehbuch „Tatort“-mäßig mehr Lücken hat, als ein Schweizer Käse, vor allem was „Warum erschießt der jetzt nicht eigentlich die Person“ angeht - und bzgl. der Stunts.

Ah ja, die Stunts. Euer Ernst? Ein schönes Filmchen davon, wie Semir in der Flammenhölle zu Beginn eigentlich verbrennen müsste und dann ganz easy vollkommen unverletzt aussteigt? Kleiner Tipp: Wenigstens beim Auto der Kommissare auf die Explosion verzichten.
Das Ende mal ganz dreist von Auf den Spuren meines Vaters geklaut, sogar, dass das Dach vom Krankenwagen abfliegt... dazu fällt mir eigentlich nichts mehr ein.
Wo ist eigentlich der Semir, der wenigstens versucht, durch einen Trick sein Möglichstes zu tun, dass sowohl er als auch sein Freund + Familie aus der Sache lebend rauskommen? Da kam so gar nichts.

Als ich den Artikel über den neuen Pilotfilm gelesen habe, hatte ich mir vorgenommen, den zu schauen, auch wenn ich teilweise - vor allem bei den Stellen, als Herr Atalay etwas zu seiner Figur sagt - wirklich die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen habe.
Seit gestern Abend hat sich das jetzt auch erledigt. Mir wurde klar, dass mich eine neue Folge von Cobra 11 nie wieder zufriedenstellen wird und jede weitere Beschäftigung mit dieser Serie damit sinnlos ist. Es ist nicht mal, dass meine Ansprüche gestiegen sind oder ich zu alt für den Scheiß bin. Es ist vielmehr, dass die Serie überhaupt keinen Wiedererkennungswert mehr besitzt. Ich habe mich die ganze Stunde lang gefühlt, als sähe ich diese Sendung zum ersten Mal und würde mich überhaupt nicht damit auskennen. Jede Kleinigkeit war ein einziger Fremdkörper. Und wenn man sich so extrem wie gestern selbst verrät, hat keiner der Langzeit-Beteiligten mehr etwas am Set zu suchen. Der Gedanke, dass sich eigentlich niemand so recht freut, ernsthaftere Bücher umsetzen zu müssen und viel mehr Liebe und Arbeit in die extrem leichten Skripte à la Andreas Knop gesteckt wird, den hatte ich schon länger und die gestrige Folge war der ultimative Beweis dafür.
Das ist eigentlich sogar viel schlimmer als Comedycobra und wenn man im Anschluss eine der hochwertigsten Ben-Folgen zeigt, sodass der Kontrast noch stärker zum Vorschein kommt, hat man selber Schuld.

Das an einer Folge düsterer Machart zu erkennen, - dazu noch bei Franco - anstatt an der Folge der nächsten Woche (TV bleibt aus, logisch) mag für einige extrem unlogisch sein, für mich ist es das keineswegs. Denn an das Staffelfinale hätte ich ohnehin keine Erwartungen gestellt.

Ich habe jetzt definitiv mit Cobra 11 abgeschlossen, wenn ich mal Lust habe, schaue ich vielleicht noch die André- und Chris-Folgen nach, die mir noch fehlen, aber selbst die Motivation hält sich in Grenzen, obwohl die gar nichts dafür können.
Ich gebe Klassenfahrt schon mal vorsorglich einen Punkt und ordne Kein Entkommen darunter ein. Es ist wie im wahren Leben: Besser man zeigt das von sich, was man wirklich ist und findet damit vielleicht weniger, aber zumindest echte Freunde, anstatt auf Krampf anders sein zu wollen und künstlich falsch zu wirken.

Deshalb bin ich jetzt auch aus dem Fanclub raus und möchte mich auf diesem Weg kurz bei allen bedanken, mit denen ich hier schöne Diskussionen und gute Unterhaltungen geführt habe.

Wir sehen uns.