Bis an die Grenzen ...

  • „Hey, was soll das?! Der Bulle lebt ja noch!“ zürnte Sven. „Kannst du nicht besser zielen, muss ich es denn wirklich selbst machen?!“ schrie der Boss weiter und ließ Semir leicht aufschrecken. Semir schüttelte sich, als würde er somit seine Gedanken abwerfen können. Dann zwang er sich zum Nachdenken. Er musste sich zusammenreißen, er musste jetzt stark sein. Und, er durfte sich vor allem nichts anmerken lassen und musste überzeugend klingen. „Es war Absicht.“ antwortete Semir knapp mit fester Stimme und machte eine kurze Pause um die Worte wirken zu lassen. Sven sah ihn irritiert an. „Ich habe ihn absichtlich nicht tödlich getroffen. Jemand wie er, ein Verräter, verdient einen qualvollen Tod. Er soll bereuen was er getan hat, so ist es doch viel amüsanter. Er wird langsam verbluten.“ erklärte Semir und grinste beim letzten Satz gemein. Er versuchte seiner Stimme Festigkeit zu verleihen, doch sein Inneres sah ganz anders aus. Es fiel ihm schwer die Worte auszusprechen, aber er musste da jetzt irgendwie durch. Er hoffte, nein, er flehte, dass Sven damit einverstanden sein würde und Tom in Ruhe lassen würde. Wenn nicht, dann wusste er auch nicht mehr weiter. Dann schwanden Toms Chancen hier jemals wieder lebend raus zu kommen gegen Null.


    Angespannt wartete er darauf, was Sven dazu sagen würde. Dieser schien kurz nachzudenken, doch dann wurde sein Grinsen immer größer. „Anscheinend habe ich mich in dir getäuscht. Wir lassen den Bullen einfach hier liegen und dahinvegetieren, während wir uns auf den Weg zum Rastplatz machen. Das ist eine sehr gute Idee, du fängst langsam an, so wie wir zu denken. Das gefällt mir!“ lobte Sven. Er war mit dem Vorschlag einverstanden. Erleichterung stieg in Semir auf. Sobald die Bande und er sich auf den Weg zum Rastplatz machen würden, würde er versuchen der Chefin eine Nachricht zukommen zu lassen, damit Tom gefunden und gerettet werden konnte. Er hoffte nur, dass es dann nicht zu spät sein würde.


    „Fessel ihn!“ hörte er plötzlich Sven sagen. „Was?“ entfuhr es Semir. „Er soll nicht entkommen können, deswegen sollst du ihm die Hände hinter dem Rücken zusammenbinden!“ wiederholte Sven bestimmt und warf ihm Handschellen zu. Semir sah ihn verständnislos an. „Schauen Sie sich ihn doch mal an, der ist erledigt, der kann nicht mehr flüchten. Das ist unnötig.“ weigerte er sich den Befehl zu befolgen. „Willst du mir etwa schon wieder widersprechen? Du sollst ihn fesseln!“ zischte Sven gefährlich leise und sah Semir mit einem Blick an, der keinen Widerspruch duldete. Semir zögerte, er wollte Tom nicht auch noch die unbequemen Handschellen anlegen. Außerdem wusste er, dass Tom sich seinen rechten Arm verletzt hatte. Seitdem sein Partner zu Boden gesunken war, hatte er den Arm jedenfalls nicht mehr bewegt. Er wollte ihm zumindest diese Schmerzen ersparen.


    Anna sah Philip an. „Erinnerst du dich an die zwei Polizisten, die sich als verdeckte Ermittler in eure Bande einschleusen wollten?“ fragte sie den Burschen. „Ja, sicher.“ antwortete Philip. „Es könnte sein, dass sie in großen Schwierigkeiten stecken.“ meinte Anna beunruhigt. „Was ist passiert?“ wollte er wissen. „Das wissen wir nicht so genau, aber wir brauchen deine Hilfe. Wir müssen sie unbedingt finden.“ „Aber wie denn? Wie kann ich Ihnen helfen? Ich weiß doch auch nicht, wo der Boss all seine Verstecke hat. Es wird außerdem ständig gewechselt. Wir haben uns nie lange an einem Ort herumgetrieben und alte Verstecke haben wir nie wieder betreten.“ erklärte er entschuldigend. „Bitte, denk nach! Vielleicht fällt dir etwas ein.“ bat sie den jungen Mann. „Philip, wenn du uns jetzt hilfst, dann werden wir dir auch helfen.“ erklärte sie. Philip überlegte kurz. „Na ja, in der Kollstraße, dort wo ihr Norbert gefunden habt, vielleicht gibt es da ein Versteck. Ich glaube, es wurde einmal etwas von der U-Bahn dort erwähnt.“ Anna nickte. „Ja, das stimmt. In dem U-Bahn-Tunnel gab es ein Versteck, aber jetzt ist dort niemand mehr.“ Philip seufzte. „Ich sagte doch, dass die ständig ihre Unterkunft wechseln. Mein Wissen wird ihnen nicht mehr helfen können, ich bin ja jetzt nicht mehr dabei.“ Anna ignorierte seine Worte und stellte stattdessen die nächste Frage. „Sagt dir Zeilingerstraße 10 etwas?“ Philip schüttelte den Kopf. „Nein, tut mir Leid, nie gehört.“ gab er zur Antwort. „Dort stand ein Haus, in dem sich die Bande auch einmal versteckt hatte, aber es steht mittlerweile auch leer.“ Anna machte eine kurze Pause, dann sah die den Burschen fest an. „Philip, du warst doch eine Zeit lang bei dieser Bande. Du hast doch sicher Gespräche belauscht. Wurde da nicht irgendwann einmal etwas erwähnt? Hast du nicht zufällig einmal eine Adresse aufgeschnappt? Bitte, es ist wirklich wichtig, vielleicht geht es sogar um Leben und Tod. Bitte erinnere dich, jede Kleinigkeit könnte uns weiterhelfen. Bitte!“ bat Anna. Philip nickte und lehnte sich im Stuhl zurück. Er schloss die Augen und versuchte sich die Gespräche in Erinnerung zu rufen, die er mitbekommen hatte.

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    Der Welt gehen die Genies aus,
    Einstein ist tot
    Beethoven wurde taub
    und ich fühle mich auch nicht gut. :D:D

  • Schließlich sah Semir ein, dass Sven nicht eher Ruhe geben würde, bis Tom wirklich gefesselt wurde. Die Männer um Tom herum machten Platz und ließen Semir durch. So vorsichtig wie möglich zog er Toms unverletzte Hand, die er noch immer auf die Wunde gepresst hatte, weg und ließ die Schelle locker um das Handgelenk einrasten. ‚Tut mir Leid Partner, aber es muss sein.’ entschuldigte er sich, ohne die Worte auszusprechen. Doch Tom schien seine Gedanken zu erahnen und nickte ihm leicht zu. Das Nicken war so schwach, dass die anderen Männer es nicht sehen konnten, aber Semir hatte es bemerkt. Er sah sich kurz um und entdeckte an der Wand neben Tom ein Rohr. ‚Vielleicht war das auch eine Möglichkeit.’ dachte er sich. Er nahm die andere Schelle und machte sie an dem Rohr fest. „So, jetzt kommt er von hier definitiv nicht mehr weg!“ sagte er laut und grinste wieder gemein. „Sehr gut, das ist sogar noch besser!“ Sven war zufrieden. „Okay, das wäre dann erledigt. Dann mal los, lasst uns den Rastplatz Liental überfallen. Nachdem wir den Verräter entlarvt haben, dürfte jetzt ja nichts mir schief gehen.“ Sven lachte und forderte seine Männer auf, ihm zu folgen.


    Semir blieb noch kurz stehen und wartete ungeduldig bis auch der letzte Mann den Raum verlassen hatte. Als er sich sicher war, dass alle weg waren, stürzte er zu Tom und kniete sich zu ihm hinunter. Sanft strich er seinem Freund über die warme, schweißnasse Stirn. „Bitte Tom…halte durch…bitte!“ flüsterte er ganz leise flehend in sein Ohr und versuchte die aufkommenden Tränen runterzuschlucken. „Du schaffst das, Partner, ich weiß es! Bald wird Hilfe kommen, dann kommst du aus dieser Hölle hier raus, du musst nur durchhalten. Versprich es mir.“ redete er mit erstickter Stimme auf Tom ein. Dieser sah ihn mit halb geschlossenen Augen an. „Was ist…mit…mit dir?“ fragte Tom schwach. Semir merkte an seiner Stimme, dass er starke Schmerzen hatte. Doch es blieb ihm keine Zeit mehr um zu antworten. „Kommst du Adrian? Wir müssen uns beeilen!“ hörte er plötzlich Norbert rufen. „Schon unterwegs!“ rief Semir laut zurück. Schnell stand er auf und eilte zu Tür. Dort blieb er stehen und sah noch einmal kurz zu Tom, bevor er mit einem mulmigen Gefühl im Magen Sven, Norbert und den Rest der Bande einholte und sie sich gemeinsam auf den Weg zu der Raststätte machten. Er hatte keine Ahnung was er jetzt machen sollte und wie er alleine einen Überfall verhindern konnte. Er wusste nur, dass die Chefin weder von dem dritten Überfall wusste, noch von dem, was sich hier abgespielt hatte und auch nicht, dass Tom unbedingt Hilfe brauchte. Tom sah seinem Partner nach. Er wusste, dass Semir es gut meinte, aber er bezweifelte, dass es ihm gelingen würde die Chefin zu informieren. Er fühlte sich schwach. Die Schusswunde schmerzte und auch jede Faser seines Körpers spürte er bei jeder noch so kleinen Bewegung. Er nahm seine Umgebung kaum noch wahr, langsam driftete er endgültig in die Dunkelheit.


    „Siedlerstraße.“ kam es plötzlich von Philip. Anna horchte auf. „Was?“ Philip öffnete die Augen und sah sie an. „Siedlerstraße, irgendwann wurde diese Gasse erwähnt, ich glaube Norbert hat das einmal gesagt. Ich weiß aber nicht mehr wann und in welchem Zusammenhang. Ob es dort überhaupt ein Haus gibt, das als Versteck dienen könnte, kann ich Ihnen auch nicht sagen.“ er wurde immer leiser. „Aber immerhin, vielleicht hilft es uns ja weiter. Weißt du auch eine Hausnummer?“ fragte Anna und hoffte, dass Philip das auch wissen würde. Philip starrte einen Moment nachdenklich ins Leere. „Hm, ich glaube es war die Nummer Sieben, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, aber sicher bin ich mir nicht. Sie sollten sich jedoch nicht zu früh freuen, es könnte auch sein, dass sie dort gar nichts finden werden.“ gab Philip zu bedenken. Anna nickte. „Oder es ist ein Treffer und wir haben das neue Versteck. Wir werden es jedenfalls überprüfen. Danke Philip! Du hast uns sehr geholfen! Hoffen wir, dass wir die Bande und meine Beamten dort finden werden.“

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  • Nachdem Petra ihrer Chefin berichtet hatte, dass sie leider keinen Hinweis auf das neue Versteck finden konnte, hatte sich Anna Dieter und Hotte geschnappt und war sofort in die Siedlerstraße gefahren. Die Verstärkung war noch nicht da, aber Anna wollte nicht noch länger warten. Außerdem wussten sie ohnehin nicht, ob sie hier wirklich die Bande finden würden.
    Neben einem Wald fanden sie ein großes, aber altes und verwahrlostes Haus mit dem Schild „Siedlerstraße 7“. Anna stieg etwas enttäuscht aus dem Auto und sah zweifelnd auf das Gebäude. Es sah nicht so aus, als wenn jemand da wäre, das Haus wirkte verlassen. Außerdem wurde es bereits dunkel, doch es brannte kein Licht. ‚Also wieder nichts…’ dachte sie traurig.


    Mit der Waffe in der Hand schlichen die drei zur Tür und brachen sie auf. Nichts, der Raum war leer. Anna steckte ihre Waffe seufzend wieder zurück. Auch Hotte sah sie traurig an. Die Beiden wollten gerade wieder gehen, als sie plötzlich Dieters Stimme hörten. „Chefin, kommen Sie mal! Hier ist Blut!“ rief er aufgeregt. Neugierig folgte Anna seinem Blick. Tatsächlich, hier war ein kleiner Blutfleck auf dem Boden, stellte sie beunruhigt fest. Dann sah sie auf und bemerkte, dass die Tür vor ihr einen Spalt breit offen stand. Sie ging zur Tür, öffnete sie ganz und blickte in den Raum. Im ersten Moment erstarrte sie und ein kalter Schauer durchfuhr ihren Körper. Sie sah einen Mann auf dem Boden liegen. Er lag auf dem Bauch, umringt von einer kleinen Blutlache und rührte sich nicht. War die Adresse vielleicht doch gar nicht so falsch, wie sie dachten?
    Unwillkürlich holte Anna erstmal tief Luft, ehe sie näher ging. Sie konnte nicht erkennen wer es war, der Mann wandte ihr den Rücken zu, doch sie hoffte ganz stark, dass es nicht Tom sein würde. Langsam kniete sie sich zu dem Mann hinunter, fasste ihn an der Schulter und drehte ihn behutsam um. Als sie das Gesicht des Mannes sehen konnte, erschrak sie. Anna spürte wie sie sich innerlich zusammenkrampfte und es ihr einen Stich durchs Herz gab. Der Mann war Tom. „Mein Gott!“ entfuhr es ihr nur und schlug die Hände vor ihren Mund. Hastig überprüfte sie den Puls. Er war schwach. So schwach, dass sie ihn kaum spüren konnte, aber er war vorhanden. Tom lebte noch!


    „Ich brauche sofort einen Notarzt! Schnell!“ rief sie über ihre Schulter hinweg Hotte und Dieter zu. Dann kümmerte sie sich wieder um Tom. Sie sah die Handschellen und befreite Tom von ihnen. Dabei kreisten mehrere Fragen wie wild in ihrem Kopf herum. ‚Was war nur passiert? Wo war Semir? Wo die Bande?’
    Anna zog ihre Jacke aus, faltete sie wie einen Polster zusammen und schob sie vorsichtig unter Toms Kopf. „Tom? Tom, können Sie mich hören?“ fragte sie und schlug ihm mit diesen Worten leicht auf die Wange. Tom reagierte jedoch nicht darauf und blieb bewusstlos liegen. „Verdammt!“ murmelte Anna nur. „Tom! Hören Sie mich?“ versuchte sie es erneut. Aber auch diesmal bekam sie keine Antwort. Erst jetzt glitt ihr Blick an Tom herab. Dieser sah schrecklich aus. Sein Gesicht war sehr blass und sah gar nicht gut aus. Von seiner Stirn war Blut auf den Boden getropft. Am ganzen Körper fand man blaue Flecken und aus einer Wunde seitlich unterhalb des Brustkorbs quoll enorm viel Blut.
    Anna hatte leider nur Taschentücher bei sich. Sie zog sie aus ihrer Tasche und drückte sie auf die Wunde, obwohl sie eigentlich wusste, dass sie nicht viel helfen würden. Besorgt fragte sie sich, wie lange Tom wohl schon hier lag. Er hatte bereits viel Blut verloren. Außerdem war der Boden kalt, feucht und dreckig und die Gefahr einer Infektion somit sehr hoch.

  • In diesem Moment stürmte Hotte herein: „Der Notarzt ist unterwegs! Er kommt so schnell er kann. Was ist denn überhaupt pass-“ er stockte mitten im Satz, als er Tom sah. „Wird er…?“ Hotte schluckte und Anna zuckte mit den Schultern. „Sieht nicht gut aus. Er hat viel Blut verloren.“ antwortete sie leise. Betroffen senkte Hotte seinen Blick und bemerkte dabei das, bereits blutdurchtränkte, Taschentuch in Annas Hand. Nachdem er es misstrauisch betrachtet hatte, zog er ein etwas größeres Tuch aus seiner Jackentasche. „Hier Chefin, das ist besser.“ meinte er und reichte Anna das Tuch. „Danke Herzberger. Da haben Sie Recht, das hilft sicher mehr.“ Sie rollte das Tuch zusammen und presste es auf die blutige Stelle. Dann nahm sie ein weiteres Taschentuch und tupfte mit der anderen Hand vorsichtig Tom’s Schweiß und das Blut der Platzwunde von der Stirn.
    Schließlich kam auch Dieter hinzu. „Oh nein.“ hauchte er. Fassungslos starrte er auf Tom. „Was ist mit Semir? Ist er auch hier?“ fragte Anna leise, obwohl sie sich gar nicht sicher war, ob sie überhaupt eine Antwort hören wollte. „Nein, das Haus ist ansonsten leer, hier ist niemand mehr.“ berichtete er. Anna nickte. „Das ist sowohl gut, als auch schlecht. Gut, dass es ihm scheinbar nicht so erging wie Tom und schlecht, weil wir nicht die geringste Vermutung haben wo er sein könnte und wie es ihm geht.“ sagte sie, mit ihrem Blick weiterhin Tom fixierend. Ihre Stimme klang besorgt und niedergeschlagen.


    Zusammen mit den verbliebenen sechs Bandenmitgliedern erreichten Norbert und Semir die Raststätte. Sie waren alle bewaffnet. Auch Semir hatte von Norbert eine Waffe bekommen. Besorgt sah er auf den Rastplatz vor ihnen. Hier war alles so wie immer, niemand wurde gewarnt. Keine Polizei war zu sehen. Etliche Autos standen auf den Parkplätzen. In den Shops sah man einige Besucher. Leute speisten in Restaurants und erholten sich von der Fahrt. Es gab sogar einen Spielplatz auf dem im Licht der Laternen noch immer ein paar Kinder spielten. Niemand ahnte, dass hier gleich nichts mehr so sein würde, wie es war. Wie sooft in den letzten Tagen hatte Semir wieder die Stimme der Fernsehreporterin im Ohr, die von dem letzten gelungen, vor vier Tagen stattgefundenen, Überfall der Bande berichtet hatte: „Die aggressiven Täter hinterließen ein Bild der Zerstörung und Verwüstung. Für vier Menschen kam jede Hilfe zu spät. Sieben weitere wurden mit Verletzungen ins Krankenhaus gebracht.“ Semir seufzte schwer. Er konnte doch nicht zulassen, dass sich das Ganze jetzt wiederholte. Aber was sollte er tun? Wieder spürte er diese Hilflosigkeit.

  • Nagut, überredet...hier kommt noch ein Teil...extra lang, damit Steffi Ablenkung hat. ;) Danke für die Feeds! :)


    Plötzlich hörten die drei ein leises tiefes Stöhnen. „Chefin, haben Sie das gehört?“, fragte Dieter aufgeregt und deutete auf Tom, „Ich glaube er kommt wieder zu sich.“ Anna sah Tom an. „Tom? Tom, hören Sie mich?“ fragte sie erneut, legte dabei das Taschentuch zur Seite und sah erwartungsvoll in Tom’s Gesicht. Sie sah wie es sich vor Schmerzen verzog und vernahm kurz darauf ein weiteres Stöhnen. „Tom!“ wiederholte sie und beobachtete ihn mitfühlend, doch er öffnete seine Augen nicht. Anna wollte nach seinem Arm greifen, doch als sie ihn berührte, schrie Tom sehr schwach und kaum hörbar, schmerzerfüllt auf. Sein Atem beschleunigte sich und Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Erschrocken zog Anna ihre Hand wieder zurück und sah weiterhin besorgt zu ihrem Beamten. Scheinbar war Tom auch am Arm verletzt. „Wenn wir doch nur wüssten was passiert ist.“ murmelte sie leise. Sie kniete noch immer neben ihm, das Tuch nach wie vor auf seine Wunde pressend und hoffte, dass der Notarzt endlich kommen würde.


    Langsam kam er wieder zu sich und sofort war auch der Schmerz wieder da, der seinen ganzen Körper erobert hatte. Tom entrang sich ein Stöhnen und zugleich kam auch die Erinnerung wieder. Er war aufgeflogen und Sven, der Boss, und seine Handlanger hatten ihm ihren Zorn heftig spüren lassen. Danach waren sie zu einem weiteren Rastplatz aufgebrochen und hatten ihn in seinem Zustand alleine zurückgelassen. Er hatte es Semir zu verdanken, dass er überhaupt noch lebte. Doch augenblicklich erstarrte er. Er hatte die Augen noch geschlossen - zu anstrengend war es, sie zu öffnen - doch er merkte, dass er nicht alleine in diesem Raum war. Jemand war bei ihm. Er konnte eine Stimme hören, auch wenn er sie kaum wahrnahm und das Gefühl hatte, als käme sie aus weiter Ferne, aber er hörte sie. Er spürte den Atem mehrerer Personen und erschrak im selben Moment. Konnte es sein, dass Sven und seine Leute wieder zurückgekommen waren? Er konnte den Gedanken nicht zu Ende denken, da spürte er bereits wie jemand nach seinem verletzten Arm griff und daraufhin ein stechender Schmerz seinen Arm entlang raste. ‚Nein!’ schoss es ihm durch den Kopf. Sie waren tatsächlich zurückgekehrt. Anscheinend hatten sie es sich anders überlegt. Sie waren wieder hier und wollten weitermachen, wollten ihn leiden sehen und zu Tode prügeln. Wenn er doch wenigstens den Hauch einer Chance hätte sich zu wehren, aber sein Körper war bereits zu schwach dazu.
    Doch dann stellte er irritiert fest, dass keine weiteren Schläge folgten. Stattdessen fühlte er plötzlich eine Hand auf seiner Stirn und zuckte unwillkürlich zusammen. Die Berührung war jedoch nicht schmerzhaft, sie war anders. Sie war angenehm und dann hörte er erneut eine Stimme. Diesmal hörte er genauer hin und stellte fest, dass sie sehr sanft war. Es war nicht Svens Stimme. Vorsichtig und unter großem Kraftaufwand öffnete er schließlich seine Augen. Schemenhaft sah er die Umrisse einer Person, doch dann wurde das Bild schärfer und er erkannte seine Chefin.


    Anna hatte beunruhigt festgestellt, dass Toms Stirn bereits sehr heiß war. Außerdem war ihr nicht entgangen, dass Tom ängstlich zusammengezuckt war und zu zittern begonnen hatte. „Ganz ruhig…die Männer sind weg…“ versuchte sie ihn zu beruhigen und plötzlich schienen Toms Augenlider zu flackern. Unmittelbar danach öffnete er tatsächlich ganz schwach die Augen. Verwirrt blickte Tom sich um und schaute sie dann mit glasigen Augen an. „Chefin…“ stieß er lächelnd und zugleich unendlich erleichtert aus. Auch Anna, Hotte und Dieter freuten sich. „Hey Tom! Schön, dass Sie wieder bei uns sind.“ sie lächelte ebenfalls. „Halten Sie durch, es ist gleich vorbei. Der Notarzt ist bereits unterwegs!“ erklärte sie weiter. Doch Tom antwortete nicht darauf und hatte die Augen bereits wieder geschlossen. Jede noch so kleinste Bewegung war mühsam und tat höllisch weh. „Nicht schlafen Tom! Das können Sie später!“ versuchte Anna ihn bei Bewusstsein zu halten. Sie nahm wieder das Taschentuch und tupfte den Schweiß von seiner Stirn. „Es tut…so…weh…“ stöhnte er leise. Anna nickte. „Ich weiß…bitte halten Sie durch Tom! Geben Sie nicht auf!“ sprach sie ihm Mut zu. Sie sah ein schwaches Nicken oder zumindest glaubte sie eines zu sehen. „Tom…Sie müssen uns helfen. Wo ist Semir? Was ist passiert?“ fragte sie. „Er…meine Tarnung…sie ist…“ er musste eine Pause machen und begann wieder heftiger zu atmen. Seine Stimme war sehr leise und Anna musste sich nahe zu ihm herunterbeugen um ihn überhaupt zu verstehen. Schließlich öffnete Tom seine Augen wieder und versuchte weiterzusprechen. „…ist…aufgeflogen. Semir…er…sie haben…“ Anna hielt für den Bruchteil einer Sekunde die Luft an. Sie lag also mit ihrer Vermutung richtig. Stellte sich nur noch die Frage, was mit Semir geschehen war. Wurde er auch enttarnt? Sie sah, dass Tom weiterreden wollte, aber es ging nicht, stattdessen verzog er erneut sein Gesicht und kniff die Augen fest zusammen. „Ganz ruhig Tom! Ganz langsam…überanstrengen Sie sich nicht…konzentrieren Sie sich erstmal aufs Atmen.“ Sie machte sich große Sorgen um ihren Beamten und auch die Ungewissheit wo Semir war, ließ ihr keine Ruhe. Wieder war ein leises Stöhnen zu hören und Tom schloss erneut müde die Augen.

  • Semirs Gedanken wurden durch lautes Geschrei unterbrochen. Seine ‚Kollegen’ rissen die Autotüren auf und rannten mit entsicherten Pistolen auf die Gebäude und Menschen auf dem Rastplatz zu. Die Besucher schrieen erschrocken auf und liefen panisch zu ihren Autos. „Los komm, Adrian!“ forderte Norbert ihn auf und stieß ihn ein wenig nach vor. „Lauf mir einfach nach.“ erklärte er und rannte dann ebenfalls auf ein Gebäude zu. Doch Semir zögerte, er blieb stehen und ließ seinen Blick über das Geschehen schweifen. Die Bandenmitglieder beachteten ihn ohnehin nicht, sie waren viel zu sehr damit beschäftigt die Kassen zu plündern und den Leuten mit ihren Pistolen einen Schrecken einzujagen. Fieberhaft überlegte Semir, was er tun konnte. Schreiende Menschen kamen ihm entgegen. Er würde ja gerne helfen, aber wie? Ein Telefon, dachte er. Hier gab es sicher irgendwo ein Telefon. So würde er endlich die Chefin anrufen können und ihr sagen können, dass er dringend Hilfe benötigte. Er lief in Richtung eines Lokals, als er plötzlich aus seinem Augenwinkel bemerkte, wie Norbert mit seiner Waffe auf die Verkäuferin eines Shops anlegte. Die junge Frau wimmerte und zitterte am ganzen Körper, sie hatte große Angst. Schlagartig wurde Semir klar, dass Norbert abdrücken würde, wenn er jetzt nichts tat. Er konnte es an Norberts Augen sehen. Er hatte sie wütend schlitzförmig zusammengekniffen. Semir kannte diesen Blick bereits. Es war derselbe Blick den Norbert auch hatte, als es darum ging den Verräter, Tom, zu erschießen. Semir lief eine Gänsehaut über seinen Rücken, er wusste, dass er jetzt viel riskierte, aber er musste etwas unternehmen. Entschlossen drehte er sich um. „Nein, nicht!“ schrie er und rannte mit erhobener Waffe auf Norbert zu.


    „Mist, wo bleibt denn der Rettungswagen?! Tom braucht dringend einen Arzt!“ verzweifelt sah Anna zu Dieter und Hotte, die betreten daneben standen und sich gegenseitig ratlos anblickten. Sie wussten ebenfalls nicht, was sie tun sollten. Man konnte nur hoffen, dass Tom lange genug durchhalten würde. „Das darf doch alles nicht wahr sein!“ Erschöpft lehnte sich Anna gegen die Wand, ohne jedoch den Druck, mit dem sie das Tuch von Hotte auf Toms Schusswunde drückte, zu verringern. Sie schloss für einen Moment die Augen, versuchte wieder Klarheit in ihre Gedanken zu bekommen. „Chefin, alles in Ordnung?“ fragte Dieter besorgt. Anna lehnte sich wieder nach vorne und sah Dieter fest an. „Wir haben keinen Kontakt mehr zu Semir und Tom liegt hier schwer verletzt am Boden! Wir wissen weder wo Semir ist, noch wie es ihm geht. Wir wissen nicht einmal noch, ob auch seine Tarnung aufgeflogen ist. Wie können Sie da fragen, ob alles in Ordnung sei?“ herrschte sie Dieter an, doch kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, tat ihr Leid, was sie gesagt hatte. Dieter hatte es ja nur gut gemeint. Sie wusste selbst nicht, was mit ihr los war, scheinbar hielten ihre Nerven dieser Belastung nicht mehr stand. „Entschuldigung, es ist nur…“ begann sie. Dieter winkte ab. „Schon okay, Chefin. Ich versteh das. Das was geschehen ist geht uns ja allen sehr nahe.“ meinte er traurig und sah zu Tom.
    Anna beugte sich wieder über Tom und nahm seine Hand in ihre. „Nicht aufgeben Tom…nicht aufgeben…“ redete sie ihm immer wieder ein. „Semir…Semir…Raststätte…“ kam es plötzlich wieder leise von ihm. Anna merkte, dass er etwas sagen wollte, aber es gelang ihm nicht recht. Seine Stimme versagt, es schien ihm so unheimlich viel Kraft zu kosten. „Wissen Sie wo Semir ist? Ist er mit Sven und Norbert bei einer der Raststätten? Plant die Bande wieder einen Überfall?“ fragte sie nervös. „Ja…sie sind… bei Liental…“ Mühsam versuchte er sich zusammenzureißen um ihre Fragen zu beantworten. „Ok, ich hab verstanden Tom. Liental…das ist hier ganz in der Nähe.“ Anna drehte sich um. „Herzberger, Bonrath! Haben Sie das gehört? In diesen Minuten findet anscheinend gerade ein weiterer Überfall statt. Machen Sie sich auf den Weg und holen sie Semir da raus. Ich verständige in der Zwischenzeit das SEK. Ich werde bei Tom bleiben bis der Rettungswagen hier ist.“ bestimmte sie. Die Beiden nickten und gingen Richtung Auto.

  • Anna drehte sich um und wollte gerade aufstehen, als sie erneut Toms leise Stimme hörte. „Chefin…gehen Sie und helfen Sie Semir…bitte…“ Anna schüttelte jedoch entschieden den Kopf. „Nein Tom, ich bleibe hier! Jemand muss sich auch um Sie kümmern.“ erklärte sie und stellte zugleich beunruhigt fest, dass die Wunde noch immer nicht aufgehört hatte zu bluten. „Bitte…Semir braucht Sie und…falls….falls ich es nicht…nicht schaffen sollte…sagen Sie ihm, dass er…keine Schuld hat.“ bat er. Verwirrt blickte Anna Tom an. Sie verstand nicht ganz was er meinte. „Was ist denn passiert? Warum sollte Semir Schuld haben?“ fragte sie deswegen. „Weil…er auf…mich geschossen hat…“ klärte Tom sie auf. Anna riss vor Entsetzen die Augen weit auf. Hatte sie gerade richtig gehört?? „Er hat was?!“ fragte sie ungläubig und zugleich fassungslos. „Es ging…nicht anders…“ „Die Schussverletzung…Semir hat den Schuss abgegeben?“ fragte sie nach. „Ja…“ antwortete Tom. „Bitte sagen Sie mir, dass das nicht wahr ist…warum? Ich meine…“ sie war sprachlos. „Er hatte…keine andere Wahl…Semir hat…er hat mir damit…das Leben gerettet….ohne ihn, wäre ich längst tot…“ fuhr Tom fort und in seinen Worten schwang Dankbarkeit mit. Anna nickte zur Bestätigung, obwohl sie im Moment gar nichts mehr verstand. Aber sie sah, wie sehr Tom sich beim Sprechen quälte und wollte deshalb nicht weiter nachfragen. „Sie werden es ihm selbst sagen, und zwar dann, wenn endlich alles vorbei ist.“ sagte sie lächelnd und sah ihm dabei fest in die Augen. „Bitte Chefin…was, wenn…“, er verzog schmerzhaft das Gesicht, „…sagen sie ihm das…bitte.“ Er sah sie eindringlich an und Anna nickte schließlich. „Es gibt kein wenn, Tom, aber ich verspreche Ihnen, dass ich es Semir ausrichten werde.“ sagte sie lächelnd. „Danke… es ist mir wirklich wichtig…“ Kaum hatte er zu Ende gesprochen, fiel sein Kopf kraftlos zur Seite. „TOM? Nein…Tom bitte nicht…“ flüsterte Anna.


    „Nicht schießen!“ wiederholte Semir, als er vor Norbert zu stehen kam. Drohend richtete er seine Pistole auf ihn und warf der Frau gleichzeitig einen kurzen Blick zu. „Sind Sie in Ordnung?“ fragte er sanft. Die Frau zitterte noch immer, nickte jedoch ängstlich. „Lass die Frau in Ruhe!“ befahl Semir scharf und sah Norbert fest an. Dieser sah irritiert zu ‚Adrian’ und blickte in den Lauf von Semirs Waffe. Norbert dachte jedoch nicht im Traum daran seine Pistole sinken zu lassen. „Hey, was soll das? Bist du jetzt verrückt geworden?“ fragte er verärgert. „Wir wollen doch nur das Geld. Aber keine Toten! Das ist Mord und da mache ich nicht mit!“ sagte Semir entschieden. Einen Moment lang sagte Norbert nichts und schien über Semirs Worte nachzudenken, doch dann veränderten sich seine Gesichtszüge plötzlich und er begann leise zu lachen.


    „Wie konnte ich nur so blöd sein?“, murmelte er grinsend vor sich hin, „Ich hätte es von Anfang an merken müssen. Bereits damals bei dem ersten Anschlag auf diese Polizistin, der gescheitert war. Als ich euch meine Waffen gegeben hatte, wolltet ihr plötzlich nicht mehr schießen. Danach die gescheiterten Überfälle und nun das. Jetzt ist mir alles klar. Du bist auch ein Bulle!“ stieß Norbert verächtlich aus, als er endete. Semir schloss für einen kurzen Moment die Augen, war jedoch nicht sonderlich überrascht. Es erstaunte ihn nicht, dass er gerade als Polizist entlarvt worden ist. Er wusste, dass er sich in seiner Lage so einen Zwischenfall nicht mehr leisten konnte und nur ein winziger Fehler ausreichen würde um als Polizist aufzufliegen. Nun war es geschehen und es war ihm merkwürdigerweise sogar egal. Er hätte es ohnehin nicht verhindern können. Er musste eingreifen, es war seine Pflicht der Frau zu helfen. Diese starrte noch immer in den Lauf von Norberts Waffe und schien das Gespräch überhaupt nicht mitzubekommen. Sie hatte leise zu weinen begonnen und rührte sich nicht.

  • „Gut, dann brauche ich mich ja nicht mehr zu verstellen. Lass die Waffe fallen Norbert!“ befahl Semir erneut und machte einen weiteren Schritt auf ihn zu. Die Pistole war nun auf Norberts Kopf gerichtet. Doch Norbert zögerte und blieb gelassen. Ohne auf Semirs Worte zu achten, fuhr er grinsend fort. „Wobei…du überrascht mich…nachdem ich gesehen habe, wie du, ich nehme mal an es war dein Partner, niedergeschossen hast, hätte ich das nicht erwartet. Ist das so üblich bei der Polizei?“ fragte er und grinste gemein. Damit hatte er Semirs wunden Punkt getroffen und Norbert konnte förmlich sehen, wie es im Kopf seines Gegenübers zu arbeiten begann. „Lass die Waffe endlich fallen!“ stieß Semir gepresst hervor. „Aber jetzt mal im Ernst, solche kaltblütigen Leute wie dich, Adrian, können wir in unserer Bande immer gebrauchen. Ich wette, du würdest bei uns viel mehr verdienen, als du es jetzt als kleiner, mickriger Bulle tust. Du brauchst nur die Seiten zu wechseln, obwohl, eigentlich hast du es ja bereits getan.“ lachte Norbert. „Zum letzten Mal, lass die Waffe fallen oder ich schwöre dir, ich drück ab!“ wiederholte Semir noch schärfer und umklammerte fest seine Waffe.


    Norbert merkte, dass ‚Adrian’ wütend wurde und ließ nun tatsächlich die Waffe zu Boden gleiten. Die Frau atmete erleichtert auf und wischte sich eine Träne aus dem Gesicht. Norbert sah jedoch im selben Moment, über Semir hinweg, wie sich Martin ihnen näherte. Martin hatte bemerkt was sich hier abspielte und nickte ihm unmerklich zu. Norbert sah wieder zu ‚Adrian’ und seufzte gespielt. „Schade, wir hätten dich bei uns wirklich gut gebrauchen können. Na vielleicht überlegst du es dir noch.“ bedauerte er. „Ich werde niemals die Seiten wechseln! Niemals!“ gab Semir zurück. „Was willst du eigentlich tun, Adrian? Falls das überhaupt dein richtiger Name ist.“ fragte er verächtlich „Du kommst hier ohnehin nicht weg. Wir sind eindeutig in der Überzahl. Denkst du wirklich, dass du eine Chance hast?“ lachte Norbert. „Das lass mal meine Sorge sein.“ erwiderte Semir. In diesem Augenblick wurde Semir plötzlich durch einen kräftigen Stoß in die Seite zu Boden befördert, seine Waffe fiel ihm aus der Hand. Die Frau, die noch immer bei ihnen war, schrie ängstlich auf. Der Stoß kam von hinten und ehe Semir verstand, was gerade passiert war, wurde er von kräftigen Armen gepackt und hochgezogen. Semir war so überrascht, dass er sich gegen Martins Griff nicht wehren konnte. Seine Arme wurden brutal auf den Rücken gerissen, sodass er leise aufstöhnte.

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  • Nervös prüfte Anna seinen Puls und stellte erleichtert fest, dass Tom nur bewusstlos war. „Sie jagen mir vielleicht einen Schrecken ein.“ lächelte sie. Sekunden später hörte man endlich die Sirenen des Rettungswagens. Hotte und Dieter zeigten dem Notarzt den Weg. Es war Markus, der sofort zu Tom rannte und sich neben ihm niederließ. Die Sanitäter folgten ihm. Nachdem Markus Tom kurz untersucht hatte, sah er in das fragende Gesicht von Anna. „Der hohe Blutverlust macht ihm sehr zu schaffen. Seinem Aussehen nach zu urteilen sind außerdem bestimmt auch ein paar Rippen gebrochen. Ob es noch weitere Verletzungen gibt, kann ich im Moment noch nicht sagen. Er muss jedenfalls so schnell wie möglich ins Krankenhaus.“ erklärte er leise. Anna nickte und sah zu Boden. „Gehen Sie ruhig, Frau Engelhardt.“ sagte er dann weiter. Markus war nicht entgangen, dass Hotte und Dieter gerade wegfahren wollten und auch Anna nervös von einem Bein auf das andere trat, was aber nicht nur mit Toms schlechtem Zustand zusammenhängen zu schien. Was auch immer Anna zusätzlich noch beunruhigte, es musste sehr wichtig sein.
    Anna sah ihn überrascht an. „Sie können ruhig gehen. Ich merke doch, dass sie dringend weg müssen. Ich verspreche Ihnen, dass ich mich um Tom kümmere. Er ist bei mir in guten Händen. Ich werde für ihn tun was ich kann.“ fuhr er deshalb fort. Anna nickte. „Danke.“ sagte sie leise. Dann lief sie Hotte und Dieter nach und stieg in das Auto. Unterwegs informierte sie schnell das SEK, das ohnehin bereits auf dem Weg hier her war, und dirigierte es ebenfalls zum Rastplatz.


    Norberts eben noch vorhandenes Lächeln war plötzlich verschwunden und nun übermannte ihn die Wut. „Du verdammter Bulle! Du und dein Freund, ihr habt uns beide die ganze Zeit nur verarscht! Ihr habt uns zwei Überfälle vermasselt und die halbe Bande verhaften lassen! Aber das Schlimmste, ich habe euch sogar noch in Schutz genommen, als Sven herausfand, dass die Engelhardt noch lebte!“ schrie er wütend und verpasste Semir mit diesen Worten einen heftigen Tritt in den Magen. Semir unterdrückte einen Schmerzensschrei und biss die Zähne fest zusammen. Er wollte sich von Norbert nicht erniedrigen lassen. Diesen Gefallen würde er ihm nicht tun. Durch die Wucht des Trittes wäre er normalerweise zu Boden gegangen, hätte Martin ihn nicht eisern festgehalten. Dieser lachte nur gemein. „Du verdammter Bulle!“ schrie Norbert erneut voller Zorn und Hass. Wieder holte er aus, diesmal mit der Hand. Semir sah die Faust direkt auf sein Gesicht zukommen. Er kniff instinktiv die Augen zusammen und wollte sich wegdrehen, als plötzlich ein Schuss fiel. Die Faust traf ihn nicht. Irritiert öffnete Semir die Augen wieder und sah Norbert mit einem erstickten Schrei vor seinen Augen in die Knie gehen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht griff dieser zu seiner Schulter. Gleichzeitig spürte Semir, wie sich der Griff um seine Arme leicht lockerte. Ohne zu zögern trat er kräftig nach hinten aus. Er traf Martin am Schienbein, der ihn daraufhin los ließ und fluchend zu Boden stürzte. Nach einem weiteren Schlag blieb Martin bewusstlos liegen. Erst dann glitt Semirs Blick zurück zu Norbert, den eine Kugel in der linken Schulter getroffen hatte und der jetzt jammernd und schreiend am Boden saß. „Scheiß Bullen!“ stieß er aus. Semir beachtete ihn nicht weiter und sah schließlich mit großer Verwunderung in die Richtung aus der, der Schuss gekommen war. Anna stand vor ihm.


    „Chefin?“ Semir sah sie überrascht an, war zugleich aber unendlich froh sie hier zu sehen. „Danke.“ fügte er hinzu und hielt sich dabei den Magen. „Alles in Ordnung?“ fragte Anna und musterte ihn besorgt. Semir nickte. „Übrigens guter Schuss.“ lobte er und deutete auf den noch immer schimpfenden Norbert, dem gerade von zwei Beamten Handschellen angelegt wurden. Anna lächelte. Erst jetzt sah sich Semir weiter um und stellte fest, dass Anna nicht alleine gekommen war. Aus allen Ecken tauchten die Männer des SEKs auf, stürmten auf die restlichen Bandenmitglieder zu und kreisten sie ein. Die Bande hatte nicht die geringste Chance sich zu wehren oder zu entkommen. Erschrocken ließen sie die Waffen fallen und ließen sich festnehmen. Semir war erleichtert.


    Als er sich wieder umdrehte stutze er jedoch. Irritiert stellte Semir fest, dass die Chefin nicht mehr da war. Dann fiel ihm auf, dass er auch Sven, den Anführer, unter den verhafteten Personen nirgends sehen konnte. Beunruhigt sah er sich um. „Wo ist die Chefin?“ fragte er nervös. Sein Blick wanderte weiter, doch er konnte sie nirgends entdecken. Auch Sven nicht. Seine Unruhe stieg. „Wo verdammt noch mal sind die beiden?“ wiederholte er besorgt und sah Dieter an, der nur traurig mit den Schultern zuckte. Er wusste es auch nicht. „Verdammt, die sind weg!“ stieß Semir aus.

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    Einstein ist tot
    Beethoven wurde taub
    und ich fühle mich auch nicht gut. :D:D

  • Sven hatte trotz der hereinbrechenden Dämmerung sofort die vielen, schwarzen Autos bemerkt. Das konnte nur das SEK sein. Ohne zu zögern hatte er daraufhin die Flucht ergriffen. Er lief zwischen ein paar Büschen hindurch in einen kleineren Wald und versuchte auf diese Art und Weise der Polizei zu entkommen. Verärgert hatte er nach ein paar Metern feststellen müssen, dass ausgerechnet Anna Engelhardt ihn gesehen hatte und ihm gefolgt war. Sie war dicht hinter ihm und der Abstand zwischen ihnen verringerte sich immer mehr. „Bleiben Sie stehen Herr Ritinger! Geben Sie doch auf!“ rief Anna und gab einen Warnschuss ab. Sven ignorierte ihre Worte jedoch völlig, niemals würde er sich freiwillig ergeben. Schon gar nicht bei Anna Engelhardt, die er abgrundtief hasste. Suchend sah er sich um. Er musste versuchen die Polizistin irgendwie abzuhängen. Er nahm seine Waffe und gab ein paar Schüsse auf Engelhardt ab, dann sprang er hinter einen großen Strauch, der komplett im Dunklen lag.


    Anna erschrak zwar, konnte den Kugeln aber ausweichen und sich schützend hinter einem Baum verstecken. Als sie die Verfolgung wieder aufnehmen wollte, stockte sie plötzlich in der Bewegung. Wo war Sven hin? Sie konnte ihn nicht mehr sehen. Langsam und vorsichtig ging sie im dunklen Wald weiter, doch sie konnte Sven nicht finden. Es schien als hätte er sich in Luft aufgelöst, aber sie wusste, dass er hier irgendwo sein musste. „Kommen Sie heraus, Herr Ritinger! Ich weiß, dass sie hier sind. Geben Sie doch endlich auf! Es ist vorbei!“ forderte sie ihn auf. Plötzlich hörte sie ein Geräusch neben sich. „Keinen Schritt weiter!“ folgte drohend eine tiefe Stimme. Anna drehte sich ruckartig um und sah direkt in den Lauf einer Waffe. Unwillkürlich schluckte sie. Im selben Moment trat Sven aus der Finsternis hervor. „Lass die Waffe fallen, Anna.“ sagte er langsam. Seine Stimme klang leise, aber bestimmt. Anna gehorchte und ließ ihre Pistole fallen, die Sven mit dem Fuß wegstieß.


    Dann sah er sie mit einem Lächeln im Gesicht an. „Es hätte mir ja auch gereicht, wenn die beiden Neulinge diese Aufgabe erledigt hätten, aber jetzt, wo ich darüber nachdenke, bin ich eigentlich sogar froh, dass ich die Möglichkeit dazu bekommen habe, es selbst machen zu dürfen. Es wird mir eine Freude sein, dich sterben zu sehen.“ erklärte er grinsend und seine Augen blitzen in der Dunkelheit gefährlich auf. Rachegelüste spiegelten sich darin. „Herr Ritinger, bitte, seien Sie doch vernünftig, geben Sie auf. Meine Kollegen werden ohnehin gleich hier sein!“ redete Anna ruhig auf Sven ein, doch innerlich spürte sie, welch große Angst sie eigentlich hatte. „Ach, werden sie das? Hm, ich kann hier aber niemanden sehen. Du etwa?“ spottete er. Anna antwortete nicht und sah ihn nur an. „Wir sind hier ganz allein, Anna. Niemand wird dir helfen können.“ fuhr er fort. „Ich habe dich nun endlich da, wo ich dich immer haben wollte. Nach all den langen Jahren. Seit dieser Zeit ist viel passiert, aber ich habe dich nie vergessen.“ erzählte Sven. Dabei umkreiste er Anna wie ein wilder Tiger und musterte sie von allen Seiten. „Ich fühle mich geschmeichelt.“ gab Anna trocken zurück. Dann versuchte sie es erneut: „Geben Sie auf, Sven! Wir haben ihre ganze Bande verhaften lassen und auch Sie sind uns bekannt. Sie können nicht mehr entkommen. Selbst wenn Sie mich jetzt umbringen, es wird Sie immer jemand jagen. Es ist vorbei!“ erklärte sie mit fester Stimme. Schließlich blieb Sven wieder direkt vor Anna stehen und sah sie an. „Vielleicht ist es das wirklich. Wäre ja nicht das erste Mal, dass du mein Leben zerstörst und alles was ich aufgebaut habe. Aber eins schwöre ich dir, deines werde ich heute Nacht auch zerstören!“ Er spukte die Worte mit solch einer hasserfüllten Stimme aus, dass es Anna fröstelte.

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  • „Es war Ihre Entscheidung mit illegalen Sachen zu handeln. Sie haben sich Ihr Leben dadurch selbst zerstört.“ erwiderte Anna ruhig. Sven jedoch wurde wütend. „Du hast ja keine Ahnung wie es ist, ohne Eltern aufwachsen zu müssen und nie viel Geld zu besitzen. Irgendwann lernt man sich daran zu gewöhnen und sich das Geld eben auf eine etwas fragwürdige Weise zu beschaffen. Und dann auch noch seinen einzigen Bruder zu verlieren, den du umgebracht hast! Was glaubst du, wie man sich da fühlt?“ schrie er Anna an. „Sie wissen genauso gut wie ich, dass es Notwehr war. Hätten Sie ihren Bruder damals zurückgehalten und zum Aufgeben überredet, würde er heute noch leben!“ verteidigte sich Anna. „Willst du damit im Ernst behaupten, dass ich selbst Schuld am Tod meines Bruders bin?“ schrie Sven fassungslos zurück und kochte zugleich vor Wut. Anna schüttelte rasch den Kopf und hob beschwichtigend die Hände um Sven zu beruhigen. „Ich will Ihnen damit nur sagen, dass es besser gewesen wäre, wenn er damals aufgegeben hätte und das sollten Sie jetzt auch tun. Machen Sie nicht den selben Fehler wie ihr Bruder!“ versuchte Anna erneut ihn umzustimmen, doch es half nichts. Sie spürte wieder das ungute Gefühl in der Magengegend. Svens Hass auf sie war zu stark, er würde sich nicht davon abhalten lassen seinen Plan durchzuführen. „Niemals!“ zischte Sven und zwang Anna auf die Knie. Diese schloss die Augen, sie spürte den Druck der kalten Pistole im Nacken. „Lebe wohl, Anna! Noch ein letztes Wort?“ fragte Sven lachend. „Ja, warum diese Rastplatz-Überfälle, warum die Bombe, diese Zerstörung und die toten Menschen? Es ging Ihnen doch nur ums Geld.“ wollte sie wissen und versuchte zugleich Zeit zu gewinnen. „Es ging mir niemals nur um das Geld! Hast du das noch immer nicht begriffen?“ schrie Sven verärgert. „Ich wollte so viel Zerstörung wie nur möglich anrichten. Ich wollte Chaos, Rache! Wenn man mein Leben zerstört, dann zerstöre ich auch das der anderen!“ erklärte er wütend. „Sie sind verrückt!“ sagte Anna leise, so leise, dass Sven sie nicht verstehen konnte. „Was hast du gesagt?“ fragte er zornig und beugte sich, die Waffe noch immer auf Anna zielend, zu ihr hinunter.


    Semir ging unruhig den Rastplatz ab. Irgendwo mussten die Chefin und Sven ja sein. Plötzlich bemerkte er ein paar niedergetretene Gräser zwischen ein paar Sträuchern. Sofort lief er los, er hatte das Gefühl, das es die richtige Richtung war. Sven und die Chefin waren sicherlich hier entlang gelaufen. Nach einigen Metern sah er in der Ferne, zwischen zwei Hügeln hindurch, tatsächlich die Umrisse zweier Personen. Zuerst erkannte er in der Dunkelheit nicht viel, doch nachdem er noch einmal genauer hingesehen hatte, erschrak er. Er sah seine Chefin am Boden knien und direkt neben ihr Sven, der mit einer Pistole auf sie zielte. Semirs Gesicht wurde blass. Seine Chefin benötigte dringend Hilfe! So schnell er konnte lief er weiter. Immer wieder blickte er zu der Stelle, wo er die Chefin und Sven vermutete, doch er konnte nicht viel sehen. Die Bäume und Sträucher verwehrten ihm die Sicht.


    Nachdem Sven sich zu Anna heruntergebeugt hatte, überlegte diese nicht lange. Das war ihre Chance! Blitzschnell holte Anna aus und rammte Sven ihren Ellbogen in die Seite. Gleichzeitig schlug sie mit der anderen Hand so heftig auf Svens Arm, dass der fluchend die Waffe fallen ließ. Mit einem kräftigen Fußtritt traf sie Sven empfindlich in den Unterleib, sodass er laut aufschrie und mehr mit sich selbst, als mit Anna beschäftigt war. „Verdammtes Miststück!“ schrie Sven laut und verzog schmerzhaft sein Gesicht. Anna nutze diesen Moment und sah sich hektisch nach ihrer Waffe um. Sie fand sie, rannte zu ihr hin und wollte sie gerade aufheben, als Sven bereits hinter ihr stand. Mit allen Mitteln versuchte er sie daran zu hindern an ihre Waffe zu kommen. „Du entkommst mir nicht, Anna!“ tobte er und stürzte sich mit diesen Worten auf die Polizistin und riss sie zu Boden. Anna hatte noch ausweichen wollen, schaffte es aber nicht mehr rechtzeitig. Sie lag am Boden und Sven war nun direkt über ihr. Sein enormes Gewicht lastete auf ihrem Körper und drückte sie nach unten. Anna konnte sich kaum noch bewegen. „Du hast verloren, Anna!“ stieß Sven erneut aus. Vor Wut schnaubend umkralle Sven im selben Augenblick mit seinen kräftigen Händen ihren Hals und drückte zu. Er lachte laut, als er Annas verzweifelten Blick bemerkte und man konnte sehen, wie er diesen Anblick, dieses Machtgefühl, genoss. Anna stöhnte. Mit aller Kraft versuchte sie Sven mit ihren Beinen und Händen von sich wegzustoßen und seine Hände von ihrem Hals wegzureißen, doch Sven war um ein Vielfaches stärker als sie. Seine Fingernägel krallten sich fest in ihre Haut und Anna begann nach Luft zu ringen. Panik stieg in ihr auf und sie keuchte immer stärker. Sie hörte Svens Lachen und schaffte es einfach nicht, sich zu befreien. Sie atmete immer heftiger und merkte zugleich wie ihre Kräfte sie verließen. Lange würde sie nicht mehr durchhalten.



    So und ab morgen wieder katrin ;)

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  • Danke fürs Einstellen Elli! Und weiter geht's...;)


    Plötzlich fiel Anna die Pistole wieder ein. Sie wollte die Waffe doch gerade aufheben, also musste sie knapp neben ihnen liegen. Anna versuchte ihren Kopf zu drehen und sich umzusehen, was ihr jedoch nur schwer gelang. Während sie mit einer Hand noch immer versuchte sich von dem Griff zu befreien, tastete sie nun mit der anderen suchend den Boden neben ihr ab. „Leb wohl Anna!“ hörte sie erneut Svens Stimme und sein böses Lachen. Aber Anna gab nicht auf, sie suchte weiter und ertastete mit der Hand plötzlich etwas Hartes. Das musste ihre Waffe sein! Mit letzter Kraft griff sie nach ihr und richtete sie auf Sven. Doch bevor sie überhaupt etwas sagen oder tun konnte, hatte Sven die Pistole in ihrer Hand bereits bemerkt. „Wage es ja nicht!“ drohte er und während er mit einer Hand noch immer Annas Hals umfasste und zudrückte, versuchte er mit der anderen Anna die Pistole zu entreißen. Anna konnte die Waffe ebenfalls nur mit einer Hand halten, noch immer bekam sie schlecht Luft und atmete schwer. Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn und verzweifelt versuchte sie die Pistole irgendwie festzuhalten. Sie wusste, dass, wenn sie jetzt losließ und Sven die Waffe bekam, sie endgültig verloren hatte. Anna kämpfte, doch auch hier war Sven eindeutig derjenige, der die besseren Chancen hatte. Er holte mit dem Arm aus und entriss Anna mit einem Ruck die Pistole, als sich plötzlich ein Schuss löste und die Beiden aufhorchen ließ. Kurz darauf folgte ein Schrei.


    Semir blieb ruckartig stehen, als er plötzlich einen Knall hörte. Er war nicht laut und für einen Laien war es sicherlich schwer festzustellen, was ihn ausgelöst hatte, doch als Polizist erkannte er dieses typische Geräusch sofort. Es war ein Schuss, kein Zweifel. „Nein, bitte nicht. Nicht auch noch die Chefin.“ flehte er. Dann lief er weiter und versuchte noch schneller zu laufen, als er es ohnehin schon tat. Er musste unbedingt zu seiner Chefin!


    Sven schrie auf. Die Kugel hatte ihn am Arm gestreift, sodass er automatisch die Pistole losließ. Geschockt starrte er auf seinen blutenden Arm und vergaß die Polizistin für einen Moment. Auch der Griff um Annas Hals löste sich. Anna schnappte erstmal unwillkürlich nach Luft und atmete tief ein. Dann merkte sie, dass Sven seinen Blick von ihr abgewendet hatte und so gelang es ihr ihn mit einem unerwarteten, kräftigen Tritt von sich wegzustoßen und schnell aufzustehen. Sofort hob sie die Pistole auf und richtete sie auf Sven. Der sah Anna jetzt wütend und mit hasserfüllten Blicken an, hob aber vorsichtig die Hände. Er wollte gerade zum Sprechen ansetzen, als Anna ihm das Wort abschnitt. „Das Spiel ist…vorbei! Sie…sind verhaftet!“ erklärte sie. Sie hustete dabei stark und hielt sich die Hand an den Hals, der aufgrund von Svens grobem Griff noch schmerzte. „Das wirst du noch bereuen!“ fluchte Sven, dem nun von Anna unsanft Handschellen angelegt wurden. „Wenn ich dich kriege, dann…“ drohte er. Anna horchte jedoch nicht hin. Sie keuchte noch etwas und war müde, aber zugleich froh, es ausgestanden zu haben. Sie hatte es geschafft. Es war ihr egal, was Sven ihr androhte. Er würde lebenslänglich hinter Gittern landen. Aus diesem Grund beachtete sie ihn nicht weiter. Sie wollte Sven nicht länger in die Augen sehen und überhörte sein Geschrei einfach. Außerdem überkam sie ohnehin nur die Wut, sobald sie ihn auch nur ansah, weil sie immer daran denken musste, was er Tom angetan hatte. Sofort gingen Annas Gedanken wieder zu ihrem verletzten Beamten, der gerade im Krankenhaus versorgt wurde. Sie fragte sich, wie es Tom wohl ging und hoffte, dass er es schaffen würde.

  • Plötzlich raschelte es hinter Anna im Gebüsch und ließ sie aufhorchen. Semir tauchte zwischen den Zweigen auf. Er war völlig außer Atem und sah ziemlich fertig aus. Sein Blick ging sofort zu Sven, der noch immer fluchte. Erleichtert schloss Semir kurz die Augen und stieß die angehaltene Luft aus. Er hatte bereits mit dem Schlimmsten gerechnet und war nun froh, dass es Anna gut ging. Er hätte es sich nie verzeihen können, wenn ihr etwas passiert wäre und er somit auch bei ihr versagt hätte, so wie er es bei Tom getan hatte. Traurig sah er Anna an. Diese lächelte ihm jedoch aufmunternd zu. „Es ist vorbei Semir, es ist endlich vorbei!“ sagte sie zufrieden. Semir nickte nur. Die Beiden informierten die Kollegen und ließen Sven abführen.


    Semir sah Sven nach und schaute dann wieder Anna an. „Wie haben Sie uns eigentlich gefunden?“ fragte er schließlich neugierig. „Nunja, der entscheidende Hinweis kam von Philip, er hat uns zu dem Versteck geführt.“ erklärte Anna. Eine kurze Pause entstand und Semir begann zu zögern. „Was…was ist mit Tom? Haben Sie ihn gefunden?“ fragte er ängstlich. Anna merkte, dass seine Stimme zitterte. „Ja, haben wir. Er müsste bereits im Krankenhaus angekommen sein.“ beruhigte Anna ihn. „Wie geht es ihm?“ kam die nächste angstvolle Frage. Anna fuhr sich durch die Haare, legte dann ihre Hand auf Semirs Schulter und sah ihn an. „Leider nicht sehr gut.“, antwortete sie traurig, „Kommen Sie, ich fahre Sie ins Krankenhaus.“ forderte sie ihn freundlich auf. Semir trat jedoch fast schon panisch einen Schritt zurück. Heftig schüttelte er mit dem Kopf und sah sie erschrocken an. „Aber...er will mich wahrscheinlich gar nicht mehr sehen…Sie…Sie verstehen nicht…“ stammelte er verzweifelt und sah zu Boden. Anna griff nach seinen Armen und zwang ihn so dazu sie anzusehen. Sie sah Semir fest an und bemerkte dabei, wie seine Augen leicht schimmerten. „Semir, ich weiß was passiert ist. Als Tom für kurze Zeit zu sich gekommen war, hat er es mir erzählt.“ sagte sie sanft. Semir reagierte daraufhin jedoch noch hektischer. Er wollte sich losreißen und sich wegdrehen, doch Anna ließ sich nicht abschütteln. „Semir, hören Sie mir zu!“ sagte sie nun etwas strenger und Semir beruhigte sich etwas. Dann fuhr Anna sanft fort. „Er hat mir noch etwas gesagt. Er hat mich unbedingt darum gebeten Ihnen auszurichten, dass Sie nicht Schuld seien an dem was passiert ist.“ „Aber…“ wollte Semir protestieren, doch Anna redete einfach weiter. „Und, dass Sie ihm damit das Leben gerettet haben. Was auch immer bei Ihnen zweien passiert ist, Tom ist Ihnen jedenfalls unheimlich dankbar dafür! Ohne Sie wäre er verloren gewesen.“ gab sie Toms Worte wieder und versuchte Semir damit aufzumuntern. Semir schüttelte jedoch erneut den Kopf. „Das stimmt nicht, ich bin an allem Schuld!“ widersprach er traurig. „Ich kann mir vorstellen, dass es für Sie schwer ist. Aber, Tom würde sich sicherlich sehr über einen Besuch von Ihnen freuen. Tom braucht sie jetzt! Es geht ihm wirklich nicht sehr gut. Ich habe es Petra noch gar nicht erzählt, weil ich befürchte, dass sie vor Sorge zusammenbrechen könnte.“ gab sie zu. „Also, kommen Sie und fahren wir zu ihm ins Krankenhaus!“ redete Anna auf ihn ein und sah ihm fest in die Augen. Semir nickte schließlich und folgte ihr.

  • Im Spital versuchte Semir sofort einen Arzt aufzusuchen um sich über Toms Zustand zu erkundigen. Markus kam ihnen entgegen. „Hallo Semir, hallo Anna.“ begrüßte er die Beiden. Semir stürmte zu ihm hin. „Markus! Gut, dass ich dich finde! Wie geht es Tom?“ fragte er und sah ihn ängstlich an. „Tom wurde vor wenigen Minuten auf die Intensivstation gebracht. Keine Angst, er hat die OP den Umständen entsprechend gut überstanden. Wir haben die Kugel rausgeholt und die Wunden versorgt. Auch das Flüssigkeitsdefizit haben wir bereits ausgeglichen. Wie ich vermutet hatte waren leider auch zwei Rippen und sein Arm gebrochen. Außerdem hat er mehrer Hämatome am ganzen Körper, sowie eine leichte Gehirnerschütterung, leichte Quetschungen,…“, zählte Markus auf, stoppte jedoch, als er bemerkte, dass Semir immer blasser wurde. „Aber, das ist nicht schlimm. Das wird schon wieder! Er braucht jetzt nur viel Ruhe und vor allem Zeit um sich erholen zu können.“ fügte er schnell hinzu um Semir zu beruhigen und lächelte ihn aufmunternd an. Semir und Anna waren fürs Erste erleichtert. „Soll ich mir dein Gesicht auch mal ansehen?“ fragte Markus besorgt und zeigte auf die geschwollenen Stellen in Semirs Gesicht. „Was?“ Semir war im ersten Augenblick irritiert, dann fiel ihm wieder ein, dass er ja auch ein paar Schläge abbekommen hatte. „Nein, nicht nötig!” antwortete er schnell. „Darf ich zu Tom?“ fragte er stattdessen. „Ja, aber bitte nur kurz. Tom wird ohnehin noch 4-5 h schlafen und erst um Mitternacht herum wach werden.“ erklärte Markus. Semir nickte. „Danke.“ Dann sah er fragend zu Anna, diese nickte ihm lächelnd zu. „Gehen Sie ruhig Semir, ich warte solange hier im Warteraum.“ „Komm mit, ich bring dich hin.“ sagte Markus freundlich. Dankbar ging Semir mit ihm mit und ließ sich zu Toms Zimmer führen. Er zog den grünen Kittel an und öffnete langsam die Tür.


    Von weitem hörte er bereits das monotone Piepen der Geräte. Dann erblickte er Tom friedlich schlafend in dem Bett. Er sah furchtbar aus! Schneeweiß im Gesicht und an unzählige Kabel und Geräte angeschlossen. Semir atmete schwer aus und lies sich auf den Stuhl neben dem Bett sinken. Vorsichtig griff er nach Toms Hand und hielt sie mit seinen beiden Händen fest. Sie fühlte sich kalt und rau an, ganz anders, als Semir es gewohnt war. „Hey Partner, ich bins Semir. Du schläfst ja schon wieder, während ich die ganze Arbeit erledigen musste.“ versuchte er zu scherzen, doch es gelang ihm nicht recht. Seine eigenen Worte kamen ihm plötzlich so fremd und seltsam vor. Vor seinem inneren Auge erschien wieder die Situation, in der er… – nein! Daran wollte er nicht mehr denken, er wollte nie wieder daran denken oder erinnert werden! Als hätte er eine Gänsehaut schüttelte sich im selben Moment sein Körper, als könne er somit all die schlimmen Erinnerungen verdrängen. Semir hielt weiterhin fest Toms Hand und sah seinen Partner nachdenklich an. Einige Minuten verharrte er in dieser Position. Dann lies er seinen Blick über Toms Körper schweifen. Dabei kam es Semir so vor als würde er fast nur Kabel sehen – sie wirkten irgendwie bedrohlich und banden Tom wortwörtlich ans Bett. Tom wirkte so unglaublich hilflos. Mit einem beängstigendem Beatmungsgerät, dessen Schlauch in seine Luftröhre führte, wurde Tom künstlich beatmet um nicht zu ersticken. Mehrere Elektroden waren an seinem Oberkörper angebracht und überwachten die Herzfrequenz. Unendlich viele dünne Plastikschläuche lagen in Venen und Arterien, kontrollierten den Blutdruck und andere wichtige Werte. Andere Schläuche führten dem Blut direkt Medikamente, Flüssigkeiten und Mineralstoffe zu…
    Semir schossen Tränen in die Augen. Nein, er konnte diesen Anblick nicht länger ertragen – er musste raus! Bloß weg von hier! Schnell wischte er sich mit einer fahrigen Handbewegung die Tränen aus dem Gesicht und verließ fluchtartig das Zimmer. Er würde wieder kommen sobald Tom wach geworden war, aber im Moment hielt er es nicht länger in diesem Zimmer aus.


    Mit langsamen Schritten und noch immer feuchten Augen trottete er in den Warteraum, wo Anna auf ihn wartete. „Möchten Sie darüber reden?“ fragte Anna mitfühlend, die sofort bemerkte, dass es Semir nicht so gut ging. Sie wusste genau, dass an ihm Schuldgefühle nagten und dies würde sich so schnell wohl auch nicht ändern. Zumindest solange nicht, solange er nicht mit Tom darüber gesprochen hatte.
    Semir schüttelte stumm den Kopf. „Nein, es geht schon.“ antwortete er dann, setzte sich und starrte in Gedanken versunken ins Leere.
    „Fahren Sie nach Hause Semir und ruhen Sie sich auch ein bisschen aus. Sie haben ja gehört was der Arzt gesagt hat! Sie können später noch einmal herkommen, wenn Tom wach geworden ist. Ich sehe doch, wie müde Sie sind.“ meinte Anna sanft und versuchte zugleich ihn vom Thema abzulenken. „Nein, auf keinen Fall! Ich möchte hier bleiben, falls etwas sein sollte und bei ihm sein, wenn er wach wird. Das bin ich ihm schuldig!“ protestierte Semir. Anna nickte. Das war mal wieder typisch Semir. Sie wusste, dass sie ihn nicht überreden konnte, auch, wenn Semir selbst dringend Schlaf benötigte. Andererseits konnte sie ihn aber auch gut verstehen.

  • Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander. Semir starrte einfach nur gerade aus und Anna beobachtete ihn besorgt, dann brach Semir plötzlich die Stille. „Ich möchte einmal kurz in den Park gehen, frische Luft schnappen. Ist das okay?“ fragte er Anna. Er hasste diesen typischen Krankenhausgeruch und wollte einfach mal kurz raus gehen. „Natürlich, es wird ihnen gut tun. Soll ich Sie begleiten?“ „Nein, ich möchte alleine sein, bitte…“ gab Semir leise zurück. „Gut, ich werde in der Zwischenzeit Petra und Andrea anrufen und ihnen erzählen was alles passiert ist und das es jetzt endlich vorbei ist. Ich werde Andrea bitten herzukommen, ich muss dann nämlich noch einmal kurz zur PAST fahren und mich um alles kümmern. Auf meinem Schreibtisch wartet sicher eine Menge Arbeit. Petra wird übrigens bestimmt auch herkommen wollen.“ erklärte sie. Semir nickte. „Danke.“ murmelte er nur und verließ dann das Spital.


    Semir betrat den dunklen Park und setzte sich auf eine Bank. Er wollte nicht länger im Warteraum herum sitzen, in dem ihm jede Minute wie eine Ewigkeit vorkam, in dem er nichts anderes tat, als auf die kahlen, weißen Wände zu starren und in dem man ständig die lauten Geräusche vom Gang hörte. Nach all dem was die letzten Tage geschehen war, wollte er einfach mal alleine sein und seine Gedanken ordnen. Zumindest einen kleinen Augenblick würde er sich diese Ruhe hier im Park gönnen.
    Er atmete tief ein und betrachtete dabei die Sterne. Die kühle Nachtluft blies ihm entgegen. Sie tat ihm sichtlich gut und ließ seine Müdigkeit wieder verschwinden. Auch Schmerzen spürte er keine mehr – sie waren vergessen. Stattdessen kehrten jedoch nach einem kurzen Moment der Erholung und Entspannung, seine finsteren Gedanken wieder zurück und kreisten unaufhörlich in seinem Kopf herum.


    Erneut stellte er sich die Frage, warum er das Geschehene nicht verhindern konnte. Tom war aufgeflogen. Sein Partner wurde vor seinen Augen verprügelt und er hatte einfach nur zugesehen. Er hatte seinem Freund einfach nicht helfen können… Hatte es diese Möglichkeit wirklich nicht gegeben oder log er sich jetzt nur selbst etwas vor um sein Gewissen zu beruhigen?
    Außerdem hatte er auch noch etwas ganz anderes getan, und diese Sache lag ihm schwer im Magen…plötzlich hallten Norberts Worte in seinem Kopf wider: „Du brauchst nur die Seiten zu wechseln, obwohl, eigentlich hast du es ja bereits getan.“ hatte er gesagt. Hatte Norbert damit vielleicht Recht gehabt? Hatte er diese Grenze bereits in dem Moment überschritten, in dem er den Abzug durchgezogen hatte? Konnte er überhaupt weiterhin als Polizist arbeiten? War es wirklich nur eine Notstands-Situation gewesen? Er versuchte diese Gedanken wieder zu verdrängen, doch es wollte ihm nicht wirklich gelingen.
    Und er hatte Angst. Angst vor dem, was Tom sagen würde, wenn er aufwachte und er ihm in die Augen sehen müsste. Wie würde Tom reagieren? Würde er ihm tatsächlich verzeihen können? Würde er sich wirklich freuen, ihn zu sehen, so wie die Chefin es behauptete?
    Dann erinnerte er sich an Annas Worte: „Was auch immer bei Ihnen zweien passiert ist, Tom ist Ihnen jedenfalls unheimlich dankbar dafür!“ Stimmte das wirklich? Oder hatte Anna es nur gesagt um ihn zu beruhigen? Er wusste es nicht…
    Schließlich dachte er auch an das Versprechen, das er Petra am Telefon gegeben hatte: „Mach dir keine Sorgen, Petra, du hast deinen Tom bald wieder. Wir sind bald wieder bei euch, das verspreche ich dir.“ Er hatte es nicht halten können. Doch was noch viel schlimmer war: Wie konnte er Petra denn nur erzählen, was geschehen war? Wie sollte er ihr erklären, dass doch eigentlich er an allem Schuld war? Dass er jämmerlich versagt hatte und Tom nicht helfen konnte? Dass es seine Schuld war, dass es Tom jetzt so beschissen ging. Er hätte es doch verhindern müssen, egal wie, aber irgendwie hätte es ihm gelingen müssen, schließlich gibt es immer einen Ausweg!
    Semir stieß die unbewusst angehaltene Luft aus und lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück. Ein schwerer Seufzer entfuhr ihm. Nach ein paar Sekunden öffnete er die Augen wieder und sah erneut nachdenklich auf die Sterne und den hell leuchtenden Mond, in der Hoffnung Antworten zu finden...
    Aber, was machte er hier eigentlich? Es nützte doch niemandem etwas, wenn er hier saß und sich selbst bemitleidete. Semir beschloss deswegen wieder zurück ins Krankenhaus zu gehen. Vielleicht gab es ja Neuigkeiten, vielleicht ging es Tom bereits besser? Er musste einfach wieder hinauf gehen.

  • Semir betrat den Warteraum und sah, dass Petra und Andrea bereits da waren. Anna konnte er allerdings nicht mehr entdecken. Anscheinend war sie bereits zur PAST gefahren.
    Als die Beiden ihn bemerkten und aufsahen, nickte er ihnen nur kurz zu, vermied es aber in Petras Augen zu sehen. Petra sah ziemlich fertig aus. Sie wirkte müde und überarbeitet und konnte die letzten Nächte nicht viel geschlafen haben, das sah man ihr eindeutig an. Außerdem hatte sie sich die letzten Stunden bestimmt große Sorgen gemacht, immerhin wusste auf der PAST ja niemand, was mit ihm und Tom los war. Sie konnten sich ja nicht mehr per Handy melden. Keiner hatte gewusst in was für einer schlimmen Lage sie sich befunden hatten, die Tom beinahe das Leben gekostet hätte. Jetzt hoffte Petra natürlich, wie all die anderen auch, dass es Tom bald wieder besser ging.
    In Semir kamen wieder all die Schuldgefühle hoch. Bestimmt hatte die Chefin den Beiden alles erzählt. Was sollte er denn zu Petra sagen? Er wusste es einfach nicht. „Ich hole uns einen Kaffee.“ murmelte er deswegen, machte einen ausweichenden Bogen um die Beiden und wollte Richtung Gang flüchten, doch Andrea bemerkte sein merkwürdiges Verhalten und lief ihm nach. „Semir…“ Er blieb stehen und sah sie mit einem verzweifelten Blick an. Andrea nahm ihn daraufhin einfach wortlos in den Arm. Er spürte ihre Wärme und die Geborgenheit, die er in den letzten Tagen so vermisst hatte. Semir schloss die Augen und genoss ihre Nähe. Andrea gab ihm die Kraft all das hier durchzustehen. Und auf einmal, ohne Vorwarnung, brach es aus Semir heraus. Er konnte seine Tränen einfach nicht mehr zurückhalten und begann bitterlich zu weinen. Sie spiegelten sein Inneres wieder und ließen sich nicht länger verdrängen.
    Andrea umarmte ihn fest. Sie konnte sich vorstellen, was ihn Semirs Kopf vorging und wusste, dass er Schuldgefühle hatte. Sie sagte jedoch nichts. Worte waren unnötig. Sie kannte ihren Mann, er war stur und, egal was sie sagen würde, er würde ihr ohnehin nur widersprechen. So hielt sie ihn einfach nur fest und war für ihn da.


    Nach einigen Stunden herrschte plötzlich reges Treiben in Toms Zimmer. Tom war aufgewacht, der Beatmungsschlauch entfernt worden. Semir hatte all das natürlich mitbekommen und wartete ungeduldig darauf, endlich zu Tom ins Zimmer zu dürfen. Dann war es endlich soweit. „Es geht im gut, Semir. Es ist alles in Ordnung. Du darfst jetzt rein.“ lächelte Markus ihn an, nachdem er mit seiner Arbeit fertig war und Toms Werte überprüft hatte. Das ließ sich Semir nicht zweimal sagen und stürmte ins Zimmer. Petra und Andrea warteten in der Zwischenzeit im Warteraum.
    Angespannt ging Semir auf das Bett zu. Als Tom ihn sah, erkannte er ihn sofort und lächelte ihn freudig an. „Hallo Partner…“ sagte Tom müde und erschöpft. Semir setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett und sah seinen Freund an. Er erwiderte das Lächeln. „Schön, dass du endlich aufgewacht bist…wie geht’s dir?“ wollte er wissen. „Müde…“, lachte Tom, „Ich fühle mich ein wenig matt, aber es geht mir gut. Dann haben wir es also geschafft!“ stellte er erleichtert fest. Semir nickte. „Was ist mit Sven, Norbert und der Bande?“ kam sofort die nächste Frage von Tom. „Es ist vorbei. Die Beiden und der Rest der Bande wurden erfolgreich festgenommen. Die werden nie wieder jemandem was tun oder Autobahnraststätten überfallen.“ klärte Semir ihn auf. Tom nickte zufrieden. „Das ist gut.“ murmelte er leise und noch immer etwas benebelt von dem Narkosemittel. Semir lächelte ebenfalls, doch dann wurde er ernst. Er senkte seinen Blick und wurde traurig. Tom merkte es sofort. „Was ist?“ fragte er deshalb besorgt.
    Semir hob seinen Kopf nicht, er konnte Tom einfach nicht in die Augen sehen. „Es tut mir alles so…so schrecklich Leid, Tom. Ich stand komplett neben mir, ich…ich wusste nicht was ich tun sollte. Ich hatte Angst, dass der Kerl dich erschießen würde, wenn ich nicht… Wirst…wirst du mir je verzeihen können?“ flüsterte er stockend. Tom wusste sofort, dass Semir damit den Augenblick meinte, als er der Bande so hilflos ausgeliefert war und Semir den Befehl erhalten hatte ihn zu erschießen. Tom schluckte. Es fiel ihm schwer an diesen schrecklichen Moment zu denken. Er hatte nicht mehr damit gerechnet aus dieser Situation noch lebend herauszukommen. Nachdenklich sah er auf die Bettdecke.

  • „Weißt du Semir…“ begann Tom dann stockend, „…in dem Moment, als ich da so am Boden lag und Sven die Waffe auf mich anlegte, da…da dachte ich wirklich, es wäre aus…ich hatte abgeschlossen…ich war aufgeflogen, jeder wusste, dass ich ein Bulle war…es standen so viele Menschen um mich herum…alle waren bewaffnet, alle voller Hass und Wut auf mich…es war mir klar, dass ich unmöglich entkommen konnte…es war unmöglich.“ erzählte er leise und musste eine kurze Pause machen, ehe er fort fuhr. „Der einzige Gedanke, den ich zu diesem Zeitpunkt noch hatte war der, dass ich innerlich bettete, dass du dich auf keinen Fall einmischen würdest. Ich wollte nicht, dass es dir genauso ergeht wie mir…das wollte ich unter allen Umständen verhindern!…und wenn du etwas Falsches gesagt hättest, dann wärst du ebenfalls aufgeflogen…da bin ich mir sicher…“ wieder stoppte Tom, es fiel ihm nicht leicht darüber zu reden. „Aber Tom…“ begann Semir, doch Tom ließ ihn nicht zu Wort kommen und sprach weiter. „Semir, als Sven diesen furchtbaren Befehl gab und von dir verlangte auf mich zu schießen, da hoffte ich einfach nur, dass du es tun würdest. Verstehst du? Ich war zu diesem Zeitpunkt schon so gut wie verloren, aber du nicht! Und wenn du dich geweigert hättest, dann wäre es dir genauso ergangen wie mir. Dann hätten sie uns beide erschossen, das war für mich klar. Die hätten nicht lange gezögert. Du weißt doch, was Petra über diesen Sven erzählt hat und wie grausam er ist. Aber, das hätte ich doch niemals zulassen können! Ich hoffte inständig, dass du das begreifen würdest...es gab immerhin keine andere Möglichkeit...es gibt in solchen Extremsituation kein Richtig und kein Falsch mehr, du hast das Bessere getan.“ erklärte er seinem Freund und sah ihn dabei an. „Nein, Tom, das stimmt nicht…ich hätte es verhindern können, ich hätte es niemals tun dürfen…ich…“ Tom merkte, dass Semir noch immer mit sich haderte. Mit einem festen Griff nahm er Semirs Hände in seine und sah ihm fest und ernst, tief in seine Augen. Langsam und bestimmt fuhr er fort. „Semir, du hast mir das Leben gerettet! Ohne dich wäre ich jetzt mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr hier – und dafür bin ich dir unendlich dankbar!“, dann begann Tom plötzlich zu lachen „Und jetzt hör endlich auf, dir die Schuld dafür zu geben. Das hält ja kein Mensch mehr aus.“ grinste Tom. „Hast du das jetzt endlich verstanden?“ fragte er noch einmal etwas ernster nach. Semir begann jetzt auch zu lächeln und nickte. „Danke Tom. Du bist wirklich der beste Freund und Partner, den man sich vorstellen kann!“ antwortete er.


    Andrea merkte sofort die Erleichterung in Semirs Gesicht, als er wieder den Warteraum betrat. Sie freute sich für ihn und war froh, dass es ihm wieder besser ging. „Na, alles in Ordnung?“ fragte sie sanft. Semir nickte. „Ja Andrea.“ stieß er freudig aus und gab ihr einen flüchtigen Kuss.
    Dann ging Semir zu Petra und schickte sie zu Tom ins Zimmer. Dankbar nickte sie ihm zu. Sie freute sich schon sehr darauf Tom endlich wieder in die Arme nehmen zu können.


    Einige Tage später konnte Tom wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden. Obwohl er eigentlich vom Arzt die Anweisung erhalten hatte noch zu Hause zu bleiben und bei jeder Bewegung noch immer leichte Schmerzen verspürte, so war er trotzdem auf die Dienstelle gefahren und wollte unbedingt wieder arbeiten. Er hielt es zu Hause einfach nicht lange aus. Tom wollte zusammen mit Semir so schnell wie möglich den Fall endgültig abschließen. Außerdem musste Petra ja ohnehin arbeiten und wenn er in der PAST war, so konnte er zumindest ständig bei ihr in der Nähe sein. Die Kollegen freuten sich sehr als sie ihn sahen und begrüßten ihn alle herzlich.


    Danach ging Tom zu Semir und Anna, die sich gerade mit Philip Sand unterhielten, der Bursch, den sie damals nach dem Überfall als einzigen verhaften konnten und der ihnen bei diesem Fall sehr weitergeholfen hatte.
    „Ohne Philip hätten wir Sie beide nie gefunden. Wer weiß, was dann geschehen wäre. Sie sollten sich bei ihm bedanken.“ klärte Anna die Beiden auf. Semir und Tom taten es und der junge Mann freute sich natürlich darüber. „Muss ich jetzt trotzdem in den Knast?“ fragte er leise und sah Anna mit flehenden und zugleich ängstlichen Augen an. Anna warf ihm einen traurigen Blick zu. „Also ja.“ flüsterte Philip enttäuscht und ließ die Schultern wieder hängen. „Übrigens, Chefin...als wir in der Bande waren, da hat uns Norbert einiges erzählt, auch über Philip.“ fiel Semir wieder ein. „Philip hat keinen Menschen umgebracht…er hatte sich geweigert jemanden zu erschießen.“ erzählte er Anna. „Na das sind ja sehr gute Nachrichten! Aber ganz ohne Strafe geht es leider auch nicht. Eine kurze Zeit wirst du dennoch absitzen müssen.“ musste sie Philip erklären. Dieser sah sie erneut traurig und mit großen Augen an. Anna tat es richtig Leid, als sie diese Worte aussprechen musste. Der Bursche hatte einfach nur Pech gehabt und war in die falschen Kreise geraten, aber er war kein schlechter Mensch. „Wir werden uns allerdings beim Richter für dich einsetzten. Du hast uns wirklich viel geholfen. Wir werden versuchen die Strafe zu mildern.“ erklärte sie aufmunternd. Philip sah sie an. „Danke. Ich weiß, was ich getan habe, war nicht richtig. Ich bereue es sehr und ich verspreche Ihnen, wenn ich aus dem Knast…ähm, ich meine Gefängnis wieder draußen bin, dann suche ich mir eine anständige Arbeit. Versprochen! Noch einmal danke für alles!“ sagte er. Dann wurde Philip von einem Polizeibeamten mitgenommen. Die drei sahen ihm nach. „Ich hoffe, er ist bald wieder draußen. Ich bin mir sicher, dass er aus dieser Sache gelernt hat und nicht mehr denselben Fehler machen wird.“ meinte Tom. Anna stimmte ihm zu.
    Dann wandte sich Tom an Semir. „Und? Wollen wir unsere Runde fahren?“ fragte er grinsend. Semir sah ihn verwundert an. „Du gehörst nach Hause!“ erinnerte er ihn in strengem Ton. „Ach komm schon, mir geht’s gut. Na los!“ forderte Tom ihn auf und zog ihn zum Auto. Kurze Zeit später fuhr er zusammen mit Semir wieder auf der Autobahn.


    ENDE


    Ich hoffe das Ende gefällt euch auch und es ist nicht zu übertrieben. :huh: Ich möchte mich hiermit noch einmal für die vielen, vielen Feeds bedanken und bei allen, die meine Story gelesen haben! Danke...:love:

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