VerBrandt

  • Gärtner und Haushaltshilfe?


    Ben versuchte, Konrads Nachbarn zu beschwichtigen. »Herr Werner, es tut mir wirklich sehr leid. Der Wagen ist nicht ganz in Ordnung, ich habe versucht zu lenken, aber er reagierte nicht.« – »Und bremsen ist Ihnen nicht in den Sinn gekommen?« Ben sah betreten nach unten. »Wir können über alles reden, wir kriegen das schon geregelt.« – »Das werden wir auch müssen«, entrüstete sich Michael Werner, »der ganze Zaun ist hin, vom Vorgarten ganz zu schweigen!«


    In der Zwischenzeit war Konrad hinzu getreten. »Ben!«, rief er schon von weitem, »was hast du gemacht? Michael, ich muss bei Ihnen um Entschuldigung für meinen Sohn bitten. Ben, hast du wieder getrunken?«Als auf der anderen Straßenseite bereits zwei neugierige Nachbarinnen tuschelnd stehen blieben, fragte Bens Vater seinen Nachbarn leise mit einem verschwörerischen Seitenblick auf seinen Sohn: »Können wir uns vielleicht drinnen weiter unterhalten? Ich bin mir sicher, wir werden uns einigen.« Michael Werner stimmte zu. Der mitten in seinem Vorgarten gelandete Wagen reichte schon aus, den Vorfall in der Nachbarschaft des Villenviertels bekannt zu machen, da musste die Auseinandersetzung nicht auch noch unter Zeugen stattfinden. »Ja, kommt rein.«


    Ben und Konrad betraten hinter ihrem Nachbarn dessen Stadtvilla. »Sonja!«, rief dieser sogleich, »machst du uns Kaffee?«»Sonja?«, fragte Konrad neugierig. »Ja, Sonja ist meine neue Haushaltshilfe, sie ist erst seit vergangener Woche hier.« – »Ich habe ja gar nicht gewusst, dass du jemanden gesucht hattest«, wunderte sich Konrad. »Habe ich auch nicht. Ich hatte einen Gärtner gesucht, und er wollte gerne seine Schwester ebenfalls in Stellung wissen.« – »Und da hast du einfach beide eingestellt?«, fragte nun Ben, »das sind doch gleich doppelte Kosten. Oder gab es Mengen-Rabatt?« Er lachte bei der Frage, obwohl es ihn innerlich anekelte, in Beziehung auf Menschen überhaupt auf solche Gedanken zu kommen. »Natürlich nicht, Herr Jäger«, lautete die Antwort des Geschäftsmannes, »es handelt sich um eine Leiharbeitsfirma aus Mayen, sie ist mir empfohlen worden, macht keine große Werbung. Ich zahle an diese Firma für Sonja und Kolja, so heißt ihr Bruder, zusammen 2800 Euro im Monat. Entlohnung, Steuern, Versicherungen, Sozialabgaben, all das ist Sache der Firma. Ich musste mich nur verpflichten, den beiden für zwei Jahre Unterkunft zu geben und sie zu verpflegen.« – »Und wo kommen die beiden her?« – »Aus Usbekistan. Die Firma hat ihnen die Kosten vorgestreckt, daher stehen sie bei ihr noch für mehrere Jahre in der Kreide und sollen den Kredit abarbeiten.« – »Und das ist alles legal?«, zweifelte Ben. »Zumindest machten die Vertreter auf mich einen sehr seriösen Eindruck. Aber wir sind hier, um über meinen Gartenzaun zu sprechen.« - »Ja, Michael, ich schlage vor«, begann Konrad, »dass du einfach den Zaun reparieren lässt und mir die Rechnung rüber bringst. Oder-«, unterbrach er sich selbst, »noch besser wäre, Ben würde beim Aufstellen des Zauns helfen, dann sieht er gleich, was er angerichtet hat. Vielleicht macht er das gemeinsam mit deinem neuen Gärtner?«


    Sonja kam und brachte den Kaffee. »Bitte, Herr Werner. Der Kaffee. Brauchen Sie mich dann noch hier? Ich kümmere mich sonst jetzt um die Wäsche.« – »Nein Sonja, Sie können gehen.« Ben lächelte die hochgewachsene Frau an. Sie mochte etwa Mitte Zwanzig sein, hatte lange braune Haare und ausdrucksvolle dunkle Augen. Und sie sprach zu seiner Überraschung ein exzellentes Deutsch. »Woher kommen Sie, Sonja?«, wollte er von der jungen Frau wissen. »Aus Usbekistan«, antwortete Sonja, nachdem ihr Michael Werner mit einem Kopfnicken das Antworten erlaubt hatte. »Haben Sie dort so gut Deutsch gelernt? Sie sprechen nahezu akzentfrei!« Sonja errötete leicht. »Danke, das hat uns unsere Großmutter beigebracht, sie ist in Deutschland geboren. Wir haben fast nur deutsch zuhause gesprochen.« – »Und jetzt sind Sie nach Deutschland gekommen, um hier zu arbeiten?« Sonja nickte nur, ging aber nicht auf Bens Frage ein. »Ich habe Verständnis dafür, dass Sie es mir nicht erzählen wollen, aber es interessiert mich halt«, setzte Ben nach, wurde aber nun von Michael Werner unterbrochen. »Ich glaube, es reicht jetzt. Sie verunsichern das junge Ding ja, Herr Jäger. Am Ende denkt Sonja noch, sie wäre nicht willkommen in Deutschland.«


    Ben dachte sich das Seine und schaute seinen Vater an. Er wollte mehr über die Hintergründe ihres Aufenthalts und den der anderen »vermittelten« Menschen erfahren, da könnte auch der gemeinsame Zaunbau mit Kolja eine gute Gelegenheit werden sich auszutauschen. Er lächelte entschuldigend. »Sie zu verunsichern, ist das Letzte, das mir vorschwebt, Sonja. Ich war einfach nur neugierig. Entschuldigen Sie bitte. Ich wünsche Ihnen und Ihrem Bruder einen schönen Aufenthalt, und mit Ihrem Chef hier haben sie einen echten Glückstreffer gelandet, nicht wahr, Herr Werner?« Jetzt lächelte Sonja und verzog sich aus dem Wohnzimmer.


    Ben, sein Vater und Michael Werner berieten sich noch eine Stunde über das Abwickeln seines Schadens im Vorgarten und plauderten über belanglose Dinge aus der Nachbarschaft. Dann verließen Ben und Konrad das Haus ihres Nachbarn wieder. Ben war mit dem Verlauf des Tages zufrieden.

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • Geschäftsmodell


    Am Donnerstag half Ben dem Gärtner Kolja, den von ihm am Vortag umgefahrenen Gartenzaun im Vorgarten von Michael Werner komplett zu entfernen und den aufgerissenen Boden im Vorgarten einzuebnen. Das Gartencenter hatte bereits neue Zaunelemente, Stützpfosten, sowie Beton für das Fundament und ein paar neue Pflanzen für den Garten geliefert.


    Die Arbeiten zogen sich über mehrere Stunden hin. Gemeinsam hoben die beiden Männer Löcher für die Pfosten aus, schütteten ein Fundament und setzten die Stützen ein. Nach und nach nahm der neue Gartenzaun Gestalt an. Während der Arbeit und der damit verbundenen Wartezeiten, kam Ben mit Kolja ins Gespräch.


    Der Usbeke, der vor einigen Wochen mit seiner Schwester Sonja aus seiner Heimat nach Deutschland gekommen war, erzählte dem ehemaligen Polizisten bereitwillig, wie sie ihr Land verlassen hatten. Über Beziehungen wäre der Kontakt zu Oliver Glaser zustande gekommen. Als dieser mal wieder alte, ausrangierte Möbel aus Deutschland und Österreich nach Usbekistan fuhr und wertvolle Antiquitäten im Gegenzug nach Deutschland transportierte, die hier Liebhabern alter Möbel viel Geld wert sein dürften, konnten sie sich gemeinsam mit einer Gruppe anderer junger Menschen in einem extra abgegrenzten Teil des LKW verstecken und wurden so nach Deutschland geschmuggelt. Sie hatten an den Grenzen Glück, es wurden nur die Papiere kontrolliert und ein flüchtiger Blick auf die Ladung geworfen. So gelangten sie in das Landhaus in der Eifel. Mit jeweils 10.000€ waren sie in Vorkasse getreten, das Geld hatten sie sich in der gesamten Verwandtschaft zusammengeliehen. Jetzt hätten Sonja und er noch zwei Jahre für die Schleuser zu arbeiten, dann wäre der Transport bezahlt.


    »Ich bin froh, dass ich als Gärtner arbeiten kann und Sonja als Haushaltshilfe. Einige der anderen Frauen sind auch an Bordelle vermittelt worden. Und in zwei Jahren bekommen wir Papiere und können uns eine andere Arbeit suchen und auch eine Wohnung. Sonja möchte gerne noch ihr Abitur nachholen und später studieren.«


    Ben überschlug im Kopf den Ertrag. In den letzten Wochen waren hinter Saschas Werkstatt etwa 50 Personen vermittelt worden, wenn jeder von diesen auch 10.000€ hingeblättert hatte, wären das schon eine halbe Million, dazu kamen die monatlichen »Erlöse«, 1400€ pro Monat hatte Michael Werner genannt, das sind für 50 Personen 70.000€ pro Monat, das macht in zwei Jahren ... eine ganz erkleckliche Summe Geld. Und das nur für die Leute, die sie auf dem Überwachungsvideo der letzten Wochen identifiziert hatten. Kein schlechter Ertrag, wenn das Geschäft nicht aufgeflogen wäre. Aber wer hätte es schon verraten sollen?


    Die Arbeitgeber oder „Käufer“ machten sich alle mitschuldig und würden sich bei einer Aussage selbst ans Messer der Justiz liefern. Die Opfer, ja, Ben war in der Tat geneigt, sie ‚Opfer‘ zu nennen, wären in dem Fall, dass das Geschäft mit ihnen aufflog, einer Ausweisung nah. Und die Täter selbst waren nur an dem Geld interessiert, die würden eh die Klappe halten. Nach außen hin, den Nachbarn gegenüber, sah alles nach einer legalen Beschäftigung aus. Michael Werner war finanziell durchaus in der Lage, Hausangestellte zu beschäftigen. Und zwei Jahre, das ließ sich sogar als »Au Pair« erklären. Die Chance, dieses Geschäft längere Zeit am Laufen zu halten, lag also nicht einmal so schlecht. Zweifel hatte Ben allerdings an der Echtheit der den Arbeitskräften nach zwei Jahren in Aussicht gestellten Papieren.


    Ben überlegte und hatte dann eine Idee, die er unbedingt mit Semir besprechen musste. Vielleicht gab es einen Weg, sich als Kunden auszugeben und so an die Hintermänner heran zu kommen. So rief Ben noch am Nachmittag bei seinem Freund an.


    Bens Idee, oder 3:1


    »Nein, Ben! Auf gar keinen Fall!«, war Semirs erste Reaktion, nachdem ihm Ben seine Idee vorgetragen hatte, »du wirst dich da raushalten, das ist Sache der Polizei!«Doch so leicht ließ sich Ben die Sache nicht ausreden. Er wollte nicht stundenlang einen Gartenzaun errichtet haben, um sich nun die dabei geschmiedete Idee einfach wieder ausreden zu lassen, so sehr er auch Semirs Meinung respektierte. Sein Freund und langjähriger Partner hatte meistens recht, wenn er ihn vor etwas zurückhalten wollte. Doch dieses Mal war Ben überzeugt, die besseren Argumente auf seiner Seite zu haben.


    »Semir«, begann er seine Überzeugungsbemühungen, »das ist doch die große Chance, an die Hintermänner heranzukommen, denk‘ doch mal daran, was sie Sascha und dir angetan haben! Oder habt ihr schon eine andere heiße Spur?« – »Nein, Alex und ich haben zwar Namen und Adressen, aber bisher niemanden angetroffen.« – »Siehst du, und ich könnte dir alle sechs auf einen Schlag liefern, also 1:0 für mich!«


    Als Semir nicht gleich antwortete, legte Ben gleich nach: »Jetzt denk‘ doch mal nach. Du kannst da nicht hingehen, dich würden sie sofort wiedererkennen. Also 2:0 für mich« – »Aber Alex könnte es machen, den haben sie am letzten Freitag nicht gesehen, also 2:1«, versuchte Semir gegenzuhalten. Semir war ganz und gar nicht wohl bei dem Gedanken, Ben könnte sich in eine Sache einmischen, die ihn zwar persönlich interessierte, die aber auch in den Zuständigkeitsbereich der Polizei fiel und ihn obendrein in Gefahr bringen könnte.


    »Der Punkt zählt nicht. Sie haben Michael Werners Hintergrund genau durchleuchtet, die hätten in wenigen Minuten herausgefunden, dass Alex Polizist ist. Mich kennen sie nicht, ich bin von Beruf Sohn und bestenfalls Musiker, mein Vater könnte von seinem Nachbarn eine Empfehlung erhalten, also 3:0, mein Bester!«


    Semir fiel nichts mehr ein. Das letzte Argument war nicht zu widerlegen. »Semir? Bist du noch da? Komm, ich lass den einen Punkt gelten, 3:1, aber sag was!«


    »Aber du nimmst Alex und mich als Backup mit!« – »Hmm« – »Doch, das ist meine Bedingung, das musst du mir versprechen, Ben!«, beharrte Semir.»Ja, Papa«, kam kleinlaut von Ben. »Nicht ‚Ja, Papa‘, sondern ‚Ja, Semir, genau das wäre mein nächster Vorschlag gewesen!‘« Ben zögerte. Es entstand eine kurze Pause in ihrem Gespräch. »Los, sag es!« – »Ja, Semir. Die Idee mit dem Backup hätte von mir kommen können.«

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • Vertrag


    Gleich im Anschluss an das Telefonat mit Semir begann Ben, seine Idee in die Tat umzusetzen. Michael Werner rief seine Kontaktperson an und warb für Konrad Jäger als nächsten Kunden, der dringend ebenfalls zwei Leute für Haus und Garten bräuchte und bereit wäre, denselben Preis dafür zu zahlen, wie er. »Sie rufen zurück.« Ben nickte, es begann eine Zeit des Wartens, in der Ben den Nachbarn seines Vaters davon überzeugte, das Richtige zu tun und für seine Mitarbeit bestimmt bei einer späteren Gerichtsverhandlung mildernde Umstände erhalten zu können.


    Aber dann klingelte das Telefon und Ben hatte Oliver Glaser am Apparat. »Sie sind der Bauunternehmer Konrad Jäger?« – »Ich bin sein Sohn und habe von meinem Vater jede Vollmacht erhalten, für ihn in dieser Sache tätig zu werden. Mein Vater ist beruflich leider verhindert.« – »Sie wollen zwei Arbeiter haben, und ich kann sie Ihnen liefern.« – »Dann wären wir doch schon im Geschäft«, stellte Ben fest. »So sieht es aus. Die Übergabe könnte morgen Nachmittag stattfinden«, schlug Oliver Glaser vor. »Okay, Herr Werner sagte mir, Sie bekämen das Geld für zwei Monate im Voraus und die Übergabe fände an der Autobahn hinter der Werkstatt eines Sascha Mirnov statt?« – »Ja und Nein. Wir bekommen 5.600€ Vorauszahlung von Ihnen bar auf die Hand, da liegen Sie richtig, aber der Übergabeort hat sich verändert. Der Platz an der Autobahn ist, wie sagt man, verbrannt, wenn Sie verstehen, was ich meine. Zu viele neugierige Augen.« – »Da sagen Sie was Wahres«, heuchelte Ben Verständnis vor, »das hat unserer eins ja ständig und überall. Sagen Sie mir, wo ich hinkommen soll, und ich werde da sein.« - »Seien Sie morgen um 14:00 Uhr am Haupteingang des Maritim in Köln, wir holen Sie ab.« – »Okay, wie erkenne ich Sie?« – »Wir werden Sie erkennen, seien Sie einfach pünktlich da.« Es klickte in der Leitung, Glaser hatte wortlos das Gespräch beendet. Ben war zufrieden. Bis zum nächsten Tag hatte er genug Zeit, mit Semir und Alex eine Beschattungsstrategie auszuarbeiten. Schlimm wäre gewesen, wenn der Deal innerhalb der nächsten Stunden hätte über die Bühne gehen sollen. Er rief Semir an und verabredete sich mit ihm und Alex in der PAST für Freitagmorgen.


    Semir und Alex hatten einen ruhigen Donnerstag gehabt und den Tag ebenso wie den Mittwoch zuvor schon damit verbracht, die von Susanne ermittelten Adressen abzuklappern. Doch überall standen sie vor verschlossener Tür, auch die jeweiligen Nachbarn konnten keine Auskunft über den aktuellen Aufenthaltsort der Wohnungsinhaber machen, wenn sie sie überhaupt in den letzten Wochen zu Gesicht bekommen hatten. Kunden der Menschenhändler haben sie noch nicht aufgesucht, weil sie den geplanten Kontakt mit ihnen nicht gefährden wollten. Zu leicht hätte einer der Kunden Glaser oder seine Komplizen über die Ermittlungen in Kenntnis setzen können. So war das Telefonat mit Ben vor und nach seiner Kontaktaufnahme mit Oliver Glaser das einzige konkrete Tagesergebnis der Polizisten.


    Semir hoffte, dass die Aktion am Freitag Erfolg haben würde, denn ein Fehlschlag wollte er der Chefin nicht beichten müssen, zumal die von der ganzen Aktion natürlich nichts wissen sollte.


    Vorbereitungen


    Gegen neun Uhr traf Ben in der PAST ein und ging direkt in das Büro von Alex und Semir. Kim Krüger war zum Glück zu einer Besprechung im Präsidium, sonst hätte Semir sich einen anderen Ort für ihre Zusammenkunft aussuchen müssen. Aber so war die Luft rein in der PAST. Hartmut hatte bereits das Equipment vorbei gebracht, Peilsender und Mikrofon, letzteres so klein, dass es im aufgeschraubten Handy Platz fand, und so bei einer Tascheninspektion nicht als solches entdeckt werden konnte. Den Peilsender sollte Ben in seine Jackentasche stecken. Alex und Semir würden alles hören, was gesprochen würde und könnten den Aufenthaltsort auf einer Karte im Smartphone verfolgen. Zur Sicherheit hatte auch Susanne auf ihrem PC die Möglichkeit, dem Peilsender zu folgen.


    Auf diese Weise konnten Semir und Alex Ben in sicherer Entfernung hinterher fahren und bei Gefahr eingreifen. Sie testeten die Verbindung und gegen Mittag waren sie gerüstet. Die drei wollten gerade zu einem gemeinsamen Mittagessen aufbrechen, bevor sie in die Kölner Innenstadt fuhren, als Semirs Telefon klingelte.»Andrea, mein Schatz«, meldete er sich, nachdem er das Foto seiner Frau auf dem Display gesehen hatte, »was gibt es?« – »Semir, du musst mir einen Gefallen tun und Ayda an ihrer Schule vom Bus abholen. Ich muss mit Lilly zum Arzt. Und du weißt, wie lange ich da das letzte Mal gesessen habe. Ich hatte vergessen, es mit dir heute Morgen zu besprechen.« – »Muss das sein, wir haben gleich einen Einsatz?« Semir verdrehte die Augen. »Wann kommt der Bus denn an?« – »Um 15:30 Uhr soll er an der Schule sein. Aydas Lehrerin wollte gerne etwas mit dir oder mir besprechen, ich hätte sonst Leonies Mutter gebeten, Ayda mitzunehmen.« Semir blickte zu Alex und Ben, die schon in der Bürotür standen, fertig zum Gehen, und mit ihren Köpfen nickten. So beschloss er, seiner Frau nachzugeben. »Ich werde da sein, Andrea, 15:30 Uhr an der Schule. … Nein, das ist kein Problem. Ich hab‘ dich lieb. Bis später.«


    Er legte auf. »Mist! Alex, schaffst du die Überwachung alleine? Ayda kommt von einer Klassenfahrt zurück und einer von uns muss sie abholen. Andrea muss mit Lilly zum Arzt. Ich könnte dir Erik oder Jenny mitgeben.« – Nein Semir, kein Problem. Ich bin doch schon groß. Und wir planen ja auch heute noch keinen Zugriff, sondern nur eine kleine Erkundungstour. Du holst deine Tochter ab, nicht dass du dich wieder mit Andrea erzürnst. Ist Lilly krank?« – »Nein, ist eine reine Routine-Untersuchung.«


    »Dann kannst du mit uns ja noch zum Maritim kommen und sehen, wen Ben dort trifft«, schlug Alex vor. »Nein lieber nicht«, winkte Semir ab, »wenn der Typ am letzten Freitag auch dabei war, ist es besser, ich ließe mich dort nicht blicken. Lasst uns Mittagessen gehen. Und dann bleiben wir über Funk in Kontakt. Aber wenn du Hilfe brauchst, Alex, dann rufst du mich sofort an, hörst du?« – »Ja, Papa«, antwortete Alex, und Ben musste laut loslachen, als er sich daran erinnerte, was er auf dieselbe Antwort am Vortag von dem älteren Hauptkommissar zu hören bekam. »Das heißt nicht ‚Ja, Papa‘«, belehrte er Semirs jungen Partner, »sondern ‚Ja, Semir, das ist doch so selbstverständlich, dass du es nicht extra erwähnen musst.«


    Alex fiel in das Gelächter ein. Semir hatte Mühe, ernst zu bleiben und rang sich dann zu einer Antwort durch: »Jetzt macht, dass ihr hier rauskommt. Ein bisschen mehr Respekt gegenüber älteren Kollegen, wenn ich bitten dürfte.« Aber dann musste auch er lachen.

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • Das Treffen


    Obwohl der Mann Ben gleich auffiel, wartete er ab, bis er von ihm angesprochen wurde. »Herr Jäger?« Ben stimmte mit einem Kopfnicken zu. »Folgen Sie mir bitte!« Das war keine Frage, sondern eine klare Aufforderung. Alex, der in der Halle des Maritim in der Nähe der Eingangstür einen Kaffee im Stehen trank, sah, wie Ben sich vom Haupteingang entfernte. Er nahm sein Handy und wählte Semir an. »Es geht los. Pünktlich sind sie, das muss man ihnen lassen. Das ist Peter Albrecht, ich erkenne ihn von den Fotos. Ich habe den Peilsender auf meinem Handy und gebe ihnen ein paar Straßen Vorsprung.« – »Okay, Alex. Sei vorsichtig!«


    Semir erhob sich von seinem Schreibtisch und trat an Susannes Seite, die gleich zur Ansicht der Karte umschaltete, wo sich ein kleiner gelber Punkt durch die Straßen in Richtung Süden bewegte.


    Ein paar Minuten verfolgten sie den Peilsender schweigsam, bis eine wohlbekannte Stimme sie streng aus ihrer Konzentration holte. »Gerkan! Haben Sie nichts zu tun? Wo ist Brandt!« Kim Krüger war zurück. »Äh, Alex, äh,«, Mist, er hätte sich gleich eine Notlüge für die Krüger ausdenken sollen, nun war es zu spät, er kam sich vor wie ein Schüler, der beim Spicken erwischt worden war und nun verzweifelt die Herkunft des Spickzettels zu erklären versuchte, »Alex hatte einen Termin, er wollte noch einmal mit einem von Saschas Mitarbeitern sprechen, wegen der Überwachungsbilder.« – »Aber die Bilder haben wir doch längst. Und warum ist er alleine unterwegs?« – »Ich muss heute früher Feierabend machen, ich habe noch einen privaten Termin.« – »Es wäre nur schön, wenn man mir solche Pläne auch mal mitteilen würde.« – »Kam sehr kurzfristig, erst von einigen Stunden, da waren Sie schon weg.« – »Hier macht auch jeder, was er will!«, lautete ihr Schlusswort.


    Semir atmete tief aus, als Kim Krüger endlich in ihrem Büro verschwand, und betrachtete mit Susanne weiter den Bildschirm. Der Wagen, in dem Ben saß, näherte sich dem Stadtteil Rodenkirchen im Kölner Süden. Alex war mehrere Kreuzungen hinter ihm.


    Ben ging mit dem großgewachsenen Mann vom Maritim aus zu einem in einer Seitenstraße geparkten dunkelgrünen Opel Insignia. Dort sollte er sich auf die Rücksitzbank setzen, sein Begleiter nahm auf der anderen Wagenseite Platz, und der Fahrer fuhr langsam los. Sie bewegten sich unauffällig durch die Straßen von Köln. Ben nahm an, dass Alex ebenfalls bereits in seinem Wagen saß und auch Susanne und Semir ihm auf der Karte folgten. Sie fuhren schweigsam am Rhein entlang in Richtung Süden und kamen durch das Nobelviertel Rodenkirchen. Ein paar Mal bogen sie noch ab, verließen dabei die geschlossene Bebauung und kamen schließlich auf einer Auffahrt zu einer alleinstehenden Stadtvilla aus der Gründerzeit zum Stehen. Das Haus stand auf einem größeren Grundstück, ohne direkte Nachbarn. Gegenüber begann ein größeres Waldstück.


    Alex war gefordert, die Karte auf seinem Smartphone im Auge zu behalten und einhändig den Wagen durch die engen Straßen zu lenken. Als er das Haus entdeckte, fuhr er langsam an diesem vorbei, wendete in einer Seitenstraße und blieb in sicherer Entfernung am Straßenrand stehen.


    Menschenmarkt


    Ben wurde in das Wohnzimmer des großzügigen Hauses geführt. Seit dem Aufbruch am Maritim war zwischen den Männern kein einziges Wort gefallen. Nur die Tatsache, dass für eine Autofahrt typische Hintergrundgeräusche an Alex‘ Ohr drangen, verriet ihm, dass das System funktionierte. Als plötzlich wieder eine Stimme zu ihm drang, zuckte Alex richtiggehend zusammen. »Das Geld haben Sie dabei?« – »Ja, 5.600 € wie vereinbart.« – »Geben Sie es mir?«, forderte der Menschenhändler.


    »Wer sagt mir denn«, gab Ben zu bedenken, »dass ich dafür bekomme, was ich will?« Ein trockenes Lachen war die Antwort auf Bens Frage. »Herr Jäger, und wer sagt mir, dass Sie nicht nach unserem Geschäft zur Polizei gehen werden? Unsere Beziehung beruht einzig und allein auf gegenseitiges Vertrauen. Ich vertraue Ihnen und fordere Sie auf, mir dasselbe Vertrauen entgegen zu bringen.« Alex fuhr ein kalter Schauer über den Rücken beim Klang dieser Stimme. Er wusste, ihr Eigentümer war eiskalt und betrachtete die Menschen, die er »vermittelte«, nur als Ware. Der Typ würde für seine Ziele auch über Leichen gehen. War er es vielleicht sogar schon? »Das Geld?«, legte der Kerl nach einer kurzen Pause nach. Was folgte, war das Rascheln von Papier, hier von Geldscheinen. »Dann gehen wir doch mal nachsehen, was wir für Sie tun können. Wenn Sie mir bitte folgen wollen?« Bens Verhandlungspartner klang nun schon zufriedener.


    Ben erhob sich und trat hinter seinem Gastgeber in die Diele des Hauses, wo er sich einer breiten, geschwungenen Treppe näherte, die ins Obergeschoss führte. Da der dicke Teppich auf der Treppe jedes Geräusch schluckte, versuchte Ben Alex einen Hinweis über den Weg zu geben. »Nach oben? Ich hoffe, Ihre Auswahl ist reichhaltig, mein Vater hat da ganz spezielle Vorstellungen, die er mir mit auf diesen Weg gegeben hat.«


    »Ich bin mir ganz sicher, wir werden uns einig werden. Einen Mann für den Garten und eine Frau für den Haushalt, sagten Sie?« Ben nickte. »Genau.« – »Die Frau nur für den Haushalt und die Küche oder auch für Extrawünsche


    Ben wollte sich diese Extrawünsche nicht einmal im Geiste vorstellen und winkte gleich ab. »Nein, Küche und Haushalt. Mehr nicht.« Er war sich sicher, diese Menschenhändler hätten für die abartigsten Vorlieben das richtige Material auf Lager. Es wurde wirklich Zeit, dass der Bande das Handwerk gelegt würde. Er betrat hinter den Männern ein ebenso geräumiges Wohnzimmer, wie das im Erdgeschoss. Ben hatte schon damit gerechnet, hier mehrere Personen anzutreffen, doch auf diesen Anblick war er nicht gefasst.


    Das Zimmer war unmöbliert, die altmodische Hängelampe wirkte mitten im Raum so fehl am Platz und ließ einen Tisch darunter vermissen. Nun war der Raum mit Matratzen ausgelegt, zwischen denen lediglich schmale Gänge zum Durchgehen freigelassen waren. Etwa 30 bis 40 Menschen beherbergte der Raum, Männer, Frauen, zumeist im Alter zwischen zwanzig und dreißig, aber auch einige Jugendliche und Senioren konnte Ben erkennen. Es waren die unterschiedlichsten Nationalitäten vertreten, Asiaten, Osteuropäer, Afrikaner. Das herrschende Stimmengewirr in den verschiedensten Sprachen verstummte schlagartig, als die Gruppe um Ben eintrat.


    »Deutschkenntnisse erwünscht?«, wurde Ben gefragt und antwortete mit einem »Nicht zwingend«. Der Menschenhändler wies auf eine dunkelhäutige Frau und einen kräftigen jungen Mann und winkte sie zu sich.


    Während Ben sich im Obergeschoss die Arbeiter für seinen Vater näher anschauen durfte, was ihm wie ein altertümlicher Sklavenmarkt vorkam, hielten sich im Erdgeschoss fünf weitere Männer auf, die das Grundstück im Auge behielten. Den Bewohnern war es zwar gestattet, sich im Obergeschoss frei zu bewegen, nicht aber das Haus zu verlassen oder sich am Fenster blicken zu lassen, um nicht von vorbeigehenden Passanten oder aus vorüberfahrenden Autos entdeckt zu werden.


    Ben wählte nicht die vorgeschlagenen Kandidaten, sondern heuchelte Interesse an anderen Personen vor und wies dann auf eine Frau und einen Mann. Schließlich wollte er für sein Geld die beste Ware erhalten. Gemeinsam mit den beiden Arbeitern, die dem Aussehen nach aus einem osteuropäischen Land stammten, verließen die beiden Händler und Ben das Obergeschoss wieder.


    »So, bezahlt haben Sie, die nächste Zahlung ist dann am Ende des nächsten Monats fällig, wir werden uns bei Ihrem Vater melden. Jetzt sagen Sie uns noch, wohin wir Sie bringen sollen, dann wäre der Handel unter Dach und Fach.«


    »Zurück zum Maritim, dort steht mein Auto«, antwortete Ben und griff sich seine Jacke, die er etwas sorglos über einen Stuhl gehängt hatte, und augenblicklich erstarrten alle Anwesenden im Raum in erschrockener Reglosigkeit. Alle Blicke blieben auf Ben haften, richteten sich dann gleichzeitig auf den Fußboden und sogar Alex im entfernt stehenden Wagen meinte, die knisternde Spannung im Raum körperlich spüren zu können.

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • Notruf


    Kurz nach der vereinbarten Zeit bog Semir mit seinem BMW auf den Schulhof der Grundschule ein, der zum Abholen der Schüler vom Klassenausflug zum Parken freigegeben worden war. Der Reisebus stand schon da, und überall wuselten Kinder, Eltern und einige Lehrkräfte herum. Ayda hatte schon Semirs Dienstwagen erkannt und lief zu ihrem Vater. »Papa!«, rief sie überrascht, hatte sie doch Andrea erwartet. »Ayda«, begrüßte dieser seine Tochter, »wie war euer Ausflug?« – »Ganz toll, wir sind mit dem Schiff gefahren und haben eine Burg besichtigt. Und es gab Eis für alle.« – »Na klasse, willst du dich schon ins Auto setzen?«


    Semir wandte sich zu Aydas Klassenlehrerin. »Guten Abend, Frau Friedrichs«, begrüßte er sie. »Herr Gerkan! Sie holen Ayda heute ab?« Sie machte einen Haken auf der Liste, die sie in der Hand hielt. »Na, der Ausflug scheint ja gut angekommen zu sein.« – »Ja, aber wir hatten auch viel Glück mit dem Wetter. Nun fehlen mir nur noch zwei Abholer, dann sind alle Kinder versorgt.« – »Gut, dass Sie so darauf achten. Sie wollten meiner Frau oder mir noch etwas mitteilen?« – »Ja, im letzten Jahr war doch tatsächlich ein Kind nicht abgeholt worden und saß dann hier zwei Stunden lang alleine rum. Seitdem passen wir immer genau auf. Ist nur eine Kleinigkeit«, kam sie dann auf Semirs Frage zurück und übergab ihm einen Briefumschlag, »es geht um das Nachmittagsprogramm in den nächsten Monaten, Ayda wollte gerne am Schwimmkurs teilnehmen, und da der bereits am Montag anfangen soll, bräuchten wir heute noch eine Einverständniserklärung von Ihnen oder Ihrer Frau. Ach, ich sehe gerade, da hinten sind auch die letzten Abholer« – »Aber Ayda kann doch schon schwimmen?« – »Umso besser, es geht auch nicht nur darum, es neu zu lernen, sondern um das Schwimmen an sich. Wir wollen in dem Kurs gerne jedes Kind zum Schwimmabzeichen bringen.«


    Damit war Semir, der sich selbst gerne im Wasser aufhielt - so dieses denn aus freien Stücken geschah – einverstanden. Er füllte das Formular aus und gab es der Lehrerin zurück. Dann verabschiedete er sich von Frau Friedrichs, die sich schon zu den nächsten Eltern umdrehte. Semir ging zurück zu seinem Auto, vergewisserte sich, dass Ayda angeschnallt war und rollte dann langsam vom Schulhof auf die Hauptstraße.


    Sie waren gerade einige Minuten gefahren, da klingelte Semirs Handy und sogleich klang aus dem Lautsprecher die Stimme von Susanne. »Ja Semir. Susanne, was gibt es denn?« – »Semir, wir haben eben einen Notruf von Alex empfangen.« – »Mist! Susanne, ich habe Ayda im Auto. Ich kann jetzt keine Einsatzfahrt unternehmen. Kannst du nicht schon mal Dieter und Jenny oder jemanden von den Jungs hinschicken? Ich komme dann nach, sobald ich Ayda abgesetzt habe.« – »Die sind alle auf der A4 bzw. A57, da ist die Hölle los wie jeden Freitagnachmittag, und du müsstest gerade in der Nähe sein, kannst du nicht wenigstens mal nachsehen, wir können Alex nicht mehr über Funk erreichen, und er geht auch nicht an sein Handy. Vielleicht steckt er tatsächlich in Schwierigkeiten?«


    Semir überlegte hin und her, er warf einen Blick in den Rückspiegel, betrachtete Ayda kurz, die in der Lektüre eines Comicheftes vertieft war, dann antwortete er: »Ich werde meine Tochter auf gar keinen Fall …«Semir dachte kurz an die letzten gefährlichen Situationen, in die er seine Tochter gebracht hatte, weil sie in seinem Dienstwagen saß. Dann schob er jedoch diese Gedanken wieder weit weg, Alex und Ben könnten in Gefahr sein, was war schon dabei kurz nach dem Rechten zu sehen? Er würde sich ewig Vorwürfe machen, wenn …


    »Ach was, Susanne, gib mir die Adresse …«


    In der Falle


    Beim Aufnehmen der Jacke vom Stuhl war der kleine Peilsender, der in einer harten Metallhülle steckte, durch ein kleines Loch im Innenfutter der Tasche gerutscht und mit einem deutlich wahrzunehmenden »KLACK« auf dem Parkett aufgeprallt, was natürlich sofort die Aufmerksamkeit der Männer auf sich zog.


    »Was war das?«, fragte einer der Männer und hatte, noch bevor Ben sich bücken konnte, seinen Fuß auf den Sender gestellt und schickte sich nun an, ihn aufzuheben. »Ist es das, was ich denke?«, fragte er noch in gebückter Haltung. Er wies zwei seiner Männer an, sich Ben zu greifen und zerstörte den Sender indem er ihn mit dem Fuß zertrat.


    Der gelbe Punkt verlöschte zeitgleich auf Alex‘ Smartphone und auf dem PC-Monitor von Susanne, aber das Mikrofon in Bens Handy funktionierte noch. So erkannte Alex augenblicklich die gefährliche Situation, in der Ben sich befand. Er griff zu seinem Funkgerät. »Susanne, wir haben ein Problem. Ben ist aufgeflogen, schick Verstärkung, ich gehe jetzt rein.« Er fuhr mit seinem Wagen näher an das Haus heran, zog und entsicherte seine Waffe, nahm noch eine zweite Waffe aus dem Handschuhfach, und machte sich auf den Weg zum Haus.


    Dort stand Ben mittlerweile sechs Gegnern gegenüber, zwei von ihnen hielten jeweils einen seiner Arme in seinem Rücken nach oben gedrückt, so dass er sich vor Schmerzen kaum auf seinen Beinen halten konnte. »Geht nachsehen«, erteilte der Wortführer nun Befehle an die drei herumstehenden Männer, »er ist bestimmt nicht alleine hier, schaut, ob sich draußen noch jemand herumtreibt!«


    Die Angesprochenen verließen das Haus und gingen durch die Gartentür heraus und um das Haus herum in Richtung Straße. Sie waren gerade vor dem Haus angekommen, als Alex auf der Außentreppe zum Keller in die Tiefe schlich. Der Mercedes fiel den Männern natürlich sofort ins Auge, und als sie näher herangingen, erkannten sie in ihm auch den zivilen Polizeiwagen. »Shit! Hier sind Bullen! Sie dürfen hier nicht wegkommen, sonst sind wir geliefert, aber wo ist der Fahrer und ist es nur einer?« – »Geht ihr zurück ins Haus und sucht ihn dort, ich kümmere mich um den Wagen!«


    Er überlegte nicht lange, er würde das Auto einfach in Brand stecken, dann könnten sie hier nicht entkommen. Er blickte sich um, sein Blick blieb auf dem Gartenhäuschen hängen, das ist die Idee, dort müsste sich ein Kanister mit Benzin befinden. Nur wenige Minuten später waren die Scheiben des Mercedes zerschlagen, das Benzin großzügig im Innerraum vergossen und der Wagen mit Hilfe seines Feuerzeugs in Brand gesteckt. Auf seinem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. Feuer hat er schon immer gemocht. Er wollte gerade den Kanister, der noch etwa zur Hälfte gefüllt war, zurückbringen, da drangen die ersten Schüsse aus dem Haus. Statt zum Gartenhaus ging er direkt zum Eingang, stellte den Kanister auf der Eingangstreppe ab und stürmte mit gezogener Waffe in die Stadtvilla.


    Im Haus hatte Alex mittlerweile durch den Keller das Wohnzimmer erreicht und die Situation erfasst, war dann aber wieder blitzschnell hinter der Tür verschwunden und presste sich an die Wand. Ben wurde von zwei Männern festgehalten, die Alex ihren Rücken zukehrten und sah sich einem weiteren Mann gegenüber. Niemand hielt eine Waffe in der Hand; könnte er schnell genug sein, die beiden Männer niederzuschlagen, Ben zu bewaffnen und den dritten zu überwältigen, bevor sie eine mögliche Waffe gezogen hätten? Nur wie sollte er unbemerkt an die Männer herankommen? Er musste schnell sein und bereit, seinen Gegner notfalls mit Waffengewalt niederzustrecken. Sobald er Ben erreicht hätte, wären sie zu zweit gegen drei. Er holte mehrmals tief Luft, öffnete und schloss seine Fäuste zwei-, dreimal um die Pistolengriffe und stürmte dann das Wohnzimmer. Noch bevor einer der drei Männer auch nur reagieren konnte, lagen die beiden, die Ben festhielten schon je von einem Schlag niedergestreckt auf dem Boden. Alex zog Ben schnell in Deckung hinter das Sofa und konnte den dritten schnell mit einem gezielten Schuss auf das Parkett schicken, als dieser nach seiner Waffe griff. »Hier«, Alex überreichte Ben die eine Waffe, »sei sparsam, ich habe keine Ersatzmunition hier. Und jetzt lass uns zusehen, dass wir hier rauskommen, in dieser Ecke sitzen wir in der Falle.« Er wollte sich aus der liegenden Position gerade in den Stand erheben, verriet dadurch aber ihr „Versteck“, gerade in dem Moment, als zwei weitere Männer mit gezogenen Waffen das Wohnzimmer stürmten, ihre Komplizen auf dem Boden sahen, die sich allerdings schon wieder zu regen begannen, und sofort das Feuer auf die Bewegung hinter dem Sofa eröffneten. Auch der dritte hatte, nachdem er den Mercedes in Brand gesteckt hatte, das Wohnzimmer wieder erreicht.


    Dort war mittlerweile eine wilde Schießerei im Gange. »Hast du noch Verstärkung gerufen? Weiß Semir Bescheid?«, fragte Ben leise. »Ja, aber das kann noch dauern, bis die hier sind. Warum hast du den Sender verloren? Das fing alles so gut an.« – »Ich ärgere mich jetzt auch ein bisschen«, fluchte Ben ironisch und gab noch einmal drei Schuss über die Sofalehne ab, der vierte war nur noch ein Klicken. Die Antwort folgte auf dem Fuß. Ben schrie auf. »Fuck, ich bin getroffen, Scheiße!« Alex blickte ihn besorgt an. »Wo, Ben?« – »Im Bein, Mist, das brennt!« Seine Jeans begann sich unterhalb des Knies blutrot zu verfärben. Auch Alex hatte seine Munition nach der nächsten Salve aufgebraucht und sank neben Ben zusammen. Das bekamen ihre Gegner mit und auch ihre Waffen verstummten. Sollte es das gewesen sein? Würden sie hier und jetzt ihre letzten Minuten verbringen? Er betete stumm, die Verstärkung möge sich beeilen. »Ihr sitzt jetzt in der Falle, kommt ihr freiwillig raus oder sollen wir euch holen?«


    Alex und Ben hörten deutlich das Nähern der Schritte zweier Personen auf dem Parkett und das Durchladen ihrer Waffen. Sie spannten ihre Körper an. Obwohl sie jetzt unbewaffnet waren, kampflos würden sie sich nicht ergeben.

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • Rettung?


    Semir sah Alex‘ Auto schon von weitem: eine schwarze Rauchsäule kündigte den Platz an, an dem Semirs Partner seinen Dienstwagen abgestellt hatte. Der Mercedes stand lichterloh in Flammen! Semir trat heftig auf die Bremse und hielt in sicherer Entfernung dahinter an. »Du bleibst im Auto, Ayda! Hast du gehört? Egal was passiert!« Ayda konnte ihren Blick nicht von dem brennenden Fahrzeug abwenden. »Warum brennt das Auto, Papa?« - »Es ist wirklich wichtig, du musst mir versprechen, das Auto nicht zu verlassen«, ging Semir nicht auf die Frage seiner Tochter ein. »Ja, Papa, ich verspreche es.«


    Semir entledigte sich seiner Jacke und warf sie auf den Beifahrersitz. Stattdessen nahm er die schusssichere Weste, die hinter seinem Fahrersitz lag und zog sie über. »Du steigst nicht aus«, betonte er ein letztes Mal und war schon auf dem Weg zum Haus.


    Er bemerkte nicht, dass in dem Moment, in dem er das Haus betrat, vier Personen, zwei davon humpelnd und noch leicht benommen, das Haus durch einen Seiteneingang verließen und sofort den BMW erblickten. »Da ist noch ein Auto, kümmere dich auch darum.« Der Mann, der eben schon Alex‘ Auto angesteckt hatte, grinste und ging zur Treppe, wo er vorhin den Benzinkanister abgestellt hatte, während einer seiner Kumpel in Richtung BMW voranging.


    Semir schlich sich durch den Flur in Richtung der Stimmen. »Ihr sitzt jetzt in der Falle, kommt ihr freiwillig raus oder sollen wir euch holen?«, hörte er gerade jemanden fragen und verstand, dass sein Partner und sein bester Freund in höchster Lebensgefahr schwebten. Ein schneller Blick in den Raum gab ihm Gewissheit. Augenscheinlich kauerten Alex und Ben hinter der Couch und zwei Männer gingen geradewegs auf sie zu, um sie dort zu überwältigen. Auf dem Boden lag ein dritter Mann, dem ausdruckslosen Gesicht nach zu urteilen, bewusstlos oder sogar tot. Semir nahm an, dass Alex keine Munition mehr hatte, sonst wäre er nicht in dieser Lage. Er zog aus der Hosentasche sein Ersatzmagazin, ging in die Hocke und schaute unter das Sofa. Aha, Alex saß links von Ben. Er zielte und ging dann zum Überraschungsangriff über. »Alex! Fang!« Semir warf ihm das Magazin zu, legte an und schoss dem einen in den Arm und reagierte nur Sekundenbruchteile später auf den Schuss des Zweiten, dessen Projektil knapp über Semirs Kopf in die Wand einschlug. Der Mann ging mit einem Aufschrei zu Boden und drückte seine Hand auf die Schusswunde in seiner Schulter. Alex hatte inzwischen nachgeladen und kümmerte sich um den ersten Verletzten, zog dessen Arme nach hinten und legte Handschellen an. Dann nahm er auch den zweiten fest, den Semir mit seiner Waffe in Schach hielt. »Mensch, Semir, wenn du nicht gekommen wärst! Wo ist der Rest hin?« Ben hatte sich mühsam hinter dem Sofa erhoben und versuchte vorsichtig aufzutreten. »Danke, Partner!«, stammelte er, »das war knapp!«


    Doch dieser reagierte nicht. Semirs Blick ging versteinert durch das Wohnzimmerfenster nach draußen. Er konnte nicht fassen, was er sah. Die Flammen schlugen bereits aus dem geborstenen Heckfenster seines Dienstwagens nach außen, aus dem Auto, in dem sitzen zu bleiben er vor weniger als einer viertel Stunde seiner Tochter geradezu befohlen hatte.

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

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    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • Ayda


    Als Ayda die Männer mit ihren Waffen erblickte, und dann einen davon mit dem Kanister auf sich zukommen sah, bekam sie es mit der Angst zu tun. Sie sollte im Auto sitzen bleiben, egal was geschah, die Worte ihres Vaters klangen noch in ihren Ohren nach. Aber meinte Semir auch eine Situation wie diese? Sie warf ihr Comicheft auf den Sitz und starrte die Männer an. »Papa?«, fragte sie leise und ängstlich, aber von ihrem Vater war weit und breit nichts zu sehen. Dann traf sie für sich eine Entscheidung, sie würde nicht hier sitzen bleiben. Vergessen waren die Ermahnungen, zu groß ihre Angst vor diesen Kerlen, die entschlossen immer näher kamen. Ayda öffnete die Tür auf der dem Wald zugewandten Seite, ließ sich aus dem Auto fallen und verschwand schnell auf allen Vieren im Gebüsch. Hier rutschte sie auf dem Hosenboden mehrere Meter eine nasse und matschige Böschung hinunter und lief dann im Zickzack durch den angrenzenden Wald, wo sie sich an einen dicken Baumstamm setzte und hoffte, nicht entdeckt zu werden. Ihr Atem ging stoßweise.


    Der Mann erreichte jetzt den BMW, riss die Tür auf, entleerte den Kanister und zückte sein Feuerzeug. Mit Entsetzen nahm Ayda wahr, dass der Wagen, der ihr eben noch Schutz bieten sollte, innerhalb von Sekunden in Flammen aufging. Sie zog ihre Knie an ihren Oberkörper und blieb so zusammengekauert sitzen, eine gefühlte Ewigkeit lang, einer Ewigkeit, in der sie sich schon in den schrecklichsten Farben ausmalte, dass ihr Vater nicht wieder aus dem Haus heraus kam und niemand sie finden und nach Hause bringen würde. Tränen stauten sich in ihren Augen, bahnten sich dann ihren Weg über ihre Wangen und tropften auf ihren Anorak.


    Semir hatte keinen Blick übrig für Ben oder Alex, sondern rannte aus dem Haus. »AYDA!«, schrie Semir in Panik und lief auf sein Auto zu. Ungeachtet der Hitze, die mittlerweile von der Fahrgastzelle aus ihm entgegen schlug und ihm die Handfläche verbrannte, riss er die Tür zum Fond auf und sackte vor Erleichterung in sich zusammen. Der Wagen war leer.


    »Ayda?«, rief er dann wieder, »Wo bist du? Du kannst jetzt rauskommen. Es ist vorbei!« Er blickte sich suchend um. Ins Haus wird seine Tochter nicht gelaufen sein. Die Straße entlang? Wohl auch eher nicht. Blieb der Wald. Er ging am Straßenrand entlang und sah die nasse und matschige Böschung, auf der sich klar und deutlich frische Fußspuren abzeichneten. Semir stieg zwischen den Bäumen den Abhang hinunter, er kümmerte sich nicht weiter darum, dass auch er ins Rutschen kam und in den Matsch fiel und sich zudem seine Kopfwunde an der Augenbraue wieder aufriss. Hektisch blickte er sich um und wiederholte seinen Ruf: »Ayda? Wo steckst du?«


    Sie hob ihren Kopf hoch, als sie Semir ihren Namen rufen hörte. Sie sah ihren Vater den Wald durchsuchen. »Hier!«, flüsterte sie mit leiser Stimme, dann kräftiger: »Hier bin ich, Papa!«


    Semir lief zu seiner Tochter und nahm sie ganz fest in seine Arme. »Ayda«, seine Stimme brach, »ich dachte schon, dass du…« – »Ich hatte solche Angst, da bin ich weggelaufen.« – »Du glaubst ja nicht, wie froh ich bin, dass du einmal nicht auf mich gehört hast.« Es dauerte eine ganze Weile, bis Semir Ayda getröstet hatte und sie bereit war, den Weg nach oben zur Straße anzutreten.


    Kim wundert sich


    Inzwischen waren Rettungswagen, zwei Streifenwagen und Kim Krüger in ihrem Dienstwagen bei der Stadtvilla eingetroffen.


    Die überlebenden Verbrecher wurden ins Gefängniskrankenhaus gebracht, für den Toten ein Leichenwagen gerufen. Semirs verbrannte Hand rief sich schmerzend in seine Erinnerung, in dem Moment, als er den Krankenwagen sah, in dem Ben gerade behandelt wurde. Die Verbrennung war nicht so schwer, aber die Sanitäter reinigten die Handfläche, versorgten sie mit Brandsalbe und legten einen sauberen Verband an. Sie gaben ihm noch eine Tube Brandsalbe mit. Auch die Platzwunde im Gesicht wurde gereinigt und mit Klammerpflastern versorgt.


    »Was ist mit dir, Ben? Du bist verletzt?«, fragte Semir verwundert, der die Verletzung seines Freundes wegen der Sorge um seine Tochter noch gar nicht mitbekommen hatte. »Ja, angeschossen, in der Wade, kein großes Ding, hoffe ich.« – »Soll ich mitfahren?« – »Nein, Semir, du solltest besser nach Hause fahren und Ayda zu ihrer Mutter bringen. Ich rufe dich an, wenn ich abgeholt werden will, okay?«


    Kim Krüger runzelte die Stirn, als sie die beiden ausgebrannten Dienstwagen erblickte, wunderte sich einmal mehr über die Anwesenheit von Ben Jäger an einem Einsatzort, freute sich allerdings auch über die Unversehrtheit ihrer beiden Hauptkommissare Alex und Semir und ließ dann ihren Blick auf Ayda ruhen, die von Semir im Arm gehalten wurde und der nun ihre erste Äußerung galt: »Gerkan! Was hat Ihre Tochter hier verloren?«


    Semir wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, aber seine Chefin hatte sich schon Alex zugewandt. »Beide Dienstwagen verbrandt, Herr Brandt?« Alex liebte diese Wortspiele mit seinem Namen. Er verdrehte genervt seine Augen. Und Kim Krüger legte noch nach. »Was haben Sie sich dabei gedacht, diese hirnverbrandte Aktion auf eigene Faust durchzuziehen? « – »Hinterher ist man meistens klüger, Frau Krüger. Aber wir haben drei weitere Täter und 37 illegale Arbeiter…« – »…die uns jetzt jede Menge Arbeit machen werden«, vollendete Kim Krüger den begonnenen Satz und ließ keinen Zweifel offen, wem sie diese Arbeit übergeben würde.


    Für die illegalen Einwanderer, die im Obergeschoss aufgefunden worden waren, wurde ein Bus bestellt, der sie in ein Übergangslager bringen würde, um dort ihren Aufenthaltsstatus festzustellen und weitere Maßnahmen einzuleiten. Das hieß wohl für die meisten eine Rückreise in ihre Heimatländer, für sehr wenige ein Asylverfahren, deren Ausgang ebenfalls in den Sternen stand. Außerdem wurden zwei Reisetaschen mit Bargeld sichergestellt und von der Polizei in die Asservatenkammer verbracht.


    Semirs Jacke mit seinen Schlüsseln, Aydas Tasche, all das war im BMW verbrannt. So sollten sie von einem Streifenwagen nach Hause gefahren werden. »Alex?«, fragte er seinen Partner und nickte zu seiner Tochter. Alex verstand. »Fahr du ruhig nach Hause, Semir. Die Verletzten werden wir wohl erst morgen befragen können, das hat heute keinen Zweck mehr. Ich räume hier noch mit auf, wir sehen uns morgen.« – »Danke, Alex!«


    So standen Vater und Tochter kurz darauf vor ihrer Wohnungstür, an der Semir mangels Schlüssel klingeln musste, um von Andrea hineingelassen zu werden. Es war mittlerweile schon nach acht Uhr. Semirs Gesicht war von Blut, Ruß und Erde verschmiert, ein neues Pflaster zierte seine Augenbraue, die linke Hand verbunden, das Hemd und die Hose strotzten von Dreck und Matsch. Ayda sah nicht sauberer aus, ihre langen Haare waren zerzaust, die Augen noch immer vom Weinen gerötet. Die rote Hose war auf der einen Seite vom allmählich trocknenden Matsch verdreckt. Keinem, der die beiden so sah, konnte glaubhaft gemacht werden, dass dieser Zustand innerhalb von wenigen Minuten eingetreten war.


    Andrea stand wie angewurzelt im Flur und betrachtete ihren Mann und ihre Tochter eingehend von oben bis unten. »Das glaube ich jetzt nicht!«

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • Andrea


    »Andrea, …« – »Nein, ich will gar nichts hören. Kommt rein, ab ins Bad!« – »Ich …« – »Spar dir das, Semir. Nennst du das Abholen?« – »Lass mich dir doch …« – »Später vielleicht. Abendbrot steht auf dem Tisch, aber nur für saubere Leute, also beeilt euch.« – »Mama!«, drängte sich nun Ayda vor und rief damit bei Andrea eine völlig andere Reaktion vor, während Semir nur betreten nach unten blickte und ins Badezimmer trottete. »Ja, Ayda, mein Schatz, was ist denn passiert? Komm her!« Sie schloss ihre Tochter ungeachtet des Schmutzes in ihre Arme. »Mama, es war so schrecklich, das ganze Auto hat gebrannt und ich musste mich im Wald verstecken. Und Papa war nicht da.« – »Bitte? Er hat dich alleine gelassen? – Semir!«, rief sie in Richtung Bad, von dort war aber nur das Rauschen der Dusche zu hören, »Das wird er mir gleich erklären müssen. Und warum hat der Wagen gebrannt? Das will ich gleich alles erfahren, ja?« Andrea ging mit Ayda ins Kinderzimmer, in dem Lilly bereits tief und fest schlief. Sie half ihr beim Ausziehen der noch feuchten Jeans und holte aus dem Schrank frische Unterwäsche und einen Schlafanzug. »Jetzt geht es gleich unter die Dusche und dann gibt es noch was zu essen, ja?« – »Ja, Mama.«


    Sie hörten Semir über den Flur in Richtung Schlafzimmer gehen. »Das Bad ist frei«, flüsterte Andrea, »komm mach schnell!«


    Das Abendessen verlief weitestgehend schweigsam. Andrea würdigte Semir keines Blickes. Was bildete der sich ein, ihre Tochter in Gefahr zu bringen, den Einsatz hätten doch sicher auch seine Kollegen durchführen können. Sie war richtig sauer und fest entschlossen, es ihm diesmal nicht einfach zu machen.


    »Andrea, jetzt lass mich doch mal ausreden«, startete Semir einen neuen Versuch, »Alex hat um Hilfe gerufen, dann bin ich doch wohl verpflichtet, ihm zu helfen, oder?« – »Nicht, wenn Ayda in deinem Auto sitzt!« – »Was hätte ich denn machen sollen? Alex und Ben hätten jetzt tot sein können. Ich musste dahin! Übrigens ist Ben verletzt.« Andrea stutzte einen Augenblick, stand dann aber wortlos auf und ging mit Ayda in das Kinderzimmer. »Andrea!«, rief Semir ihr noch hinterher. Dann knallte er sein Besteck auf den Tisch, trank sein Glas leer und stand geräuschvoll vom Esstisch auf. »Dann eben nicht!«


    Andrea brachte Ayda zu Bett. Als ihre Tochter sich endlich die Bettdecke bis unter den Hals zog und Andrea ihr noch einen Gute-Nacht-Kuss aufdrückte, fragte die Achtjährige leise: »Mama, bist du sehr böse auf den Papa?« Andrea holte Luft und legte sich ihre Antwort zurecht: »Ach Ayda, er hat dich heute in Gefahr gebracht, und das ärgert mich. Das war nicht in Ordnung, und ich möchte, dass er das genau weiß. Aber, nein, ich bin nicht wirklich böse. Wir werden es nachher besprechen.« – »Ihr habt euch nicht gestritten?« Zu groß war die Sorge des Mädchens, ihre Eltern könnten sich erneut streiten und trennen, das ganze lag gerade hinter ihnen. »Nein Ayda, mach‘ dir keine Gedanken, wir werden uns sicher wieder vertragen, vielleicht nur nicht heute. Du, was ist mit Ben passiert?« – »Ich weiß nicht genau, er ist mit einem Krankenwagen weggefahren, konnte aber selbst laufen.« Andrea war erleichtert, als sie das hörte. »Nun schlaf schön, mein Liebling.« – »Kann Papa noch mal kommen?« Andrea nickte. »Ich sag ihm Bescheid.«


    Sie fand Semir im Wohnzimmer, wo er auf dem Sofa lag. Das Licht hatte er gar nicht erst angemacht, auch der Fernsehapparat war aus. Er schien bereits zu schlafen. »Gehst du noch mal zu Ayda?«, fragte Andrea von der Wohnzimmertür aus. Semir nickte, erhob sich von der Couch und ging wortlos an Andrea vorbei in Richtung Kinderzimmer.


    »Was gibt es denn noch, Ayda?«, fragte er, als er auf ihrer Bettkante saß – »War es falsch, dass du mit mir zu diesem Haus gefahren bist? Mama sagt das.« – »Tja, ich darf nicht mit dir auf einen Einsatz fahren, das ist zu gefährlich, da hat die Mama schon recht. Ich kann verstehen, dass sie jetzt böse auf mich ist.« – »Soll ich dir was verraten, Papa?«, fragte Ayda mit einem verschwörerischen Blick. Semir zog die Augenbrauen in die Höhe. »Ja?« – »Mama ist gar nicht böse auf dich.« Semir begann zu Lachen. »Na, da hat sie aber eine sehr eigene Art, mir das zu zeigen.« Er gab ihr noch einen Kuss auf die Stirn, und erhob sich. Auf dem Weg nach draußen, warf er noch einen längeren Blick auf die schlafende Lilly, strich seiner jüngeren Tochter eine Haarsträhne aus dem Gesicht und schaute dann wieder zu Ayda. »Licht an oder aus?« – »Aus«, kam schon sehr verschlafen aus Aydas Richtung.

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  • Erklärungen


    Semir schloss leise die Tür zum Kinderzimmer und begab sich in die Wohnstube, wo Andrea mit angezogenen Beinen auf dem Sofa saß. Er nahm auf dem Sessel Platz und betrachtete seine Frau, bis sein Blick erwidert wurde. Irgendwann hielt keiner von beiden es mehr aus. »Ich…« – »Ich…«, begannen sie nahezu gleichzeitig. »Fang du an«, gab Semir Andrea den Vortritt.


    »Was genau ist passiert, Semir? Was ist mit deiner Hand? Und wie geht es Ben?« Bevor Andrea noch weitere Fragen aneinander reihen konnte, unterbrach sie Semir mit erhobener Hand. »Von Anfang an?« – »Ja, ich möchte gern alles wissen … und verstehen.«


    »Ich habe Ayda vom Bus abgeholt, und wir waren auf dem Heimweg, als mich der Notruf von Alex erreichte. Susanne gab ihn mir weiter.« – »Und da hätte keiner deiner Kollegen hinfahren können?« – »Nein, die waren nicht in der Nähe. Andrea, Alex ist mein Partner und mein Freund, außerdem war Ben ebenfalls in Gefahr, weil Alex Bens Einsatz beobachtet hatte. Ben hätte gar nicht da sein dürfen, umso wichtiger war es für uns, dass er die Sache unbeschadet übersteht. Und dass ich für Ben alles tun und bestimmt seine Rettung nicht in die Hände von Kollegen legen würde – obwohl das Verb »legen« Bestandteil des Subjekts »Kollegen« ist – das, Andrea, wirst du doch verstehen.« Andrea musste kurz lächeln, das Wortspiel Kollegen legen war ihr gar nicht aufgefallen. Dann bemühte sie sich aber wieder um einen ernsten Gesichtsausdruck und forderte Semir mit einem stummen Kopfnicken zum Weiterreden auf. »Außerdem«, fuhr Semir fort, »dachte ich nicht, dass es so gefährlich werden könnte. Als ich ankam, stand Alex‘ Auto schon in Flammen. Ich sagte zu Ayda, sie sollte im Wagen sitzen bleiben, und bin in das Haus.« – »Du hast sie alleine gelassen?« – »Ja, Andrea, und du kannst mir glauben, es ist mir nicht leicht gefallen. Aber ich konnte sie auch nicht mitnehmen. Immerhin vermutete ich im Haus mindestens sechs bewaffnete Gangster, denen Ben und Alex alleine gegenüber standen.« – »Hmm. Weiter?« – »Ich bin dann rein, wir haben versucht und am Schluss auch geschafft, die Verbrecher zu überwältigen. Sie hatten bei Ben den Peilsender entdeckt und so musste Alex eingreifen. Als ich reinkam, lag bereits ein Gangster am Boden, Ben war angeschossen, und er und Alex wurden von zwei Männern direkt bedroht.« – »Angeschossen?« Andreas Augen weiteten sich. »Ein Steckschuss an der Wade, nicht so schlimm. Alex und ich konnten die Zwei überwältigen und festnehmen. Dann sah ich aus dem Fenster, dass jetzt auch mein BMW brannte und bin rausgerannt. Ich sah noch einen grünen Opel wegfahren.« Semir sah den brennenden Wagen vor seinem inneren Auge, merkte wieder die Panik, die er vor knapp drei Stunden verspürte, in sich aufkeimen. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Er schluckte. »Ich lief hin und riss die Tür auf. Dabei verbrannte ich mir meine Handfläche. Das Auto war leer.« – »Ayda hätte jetzt tot sein können, Semir«, Andreas Stimme zitterte. Semir setzte sich vom Sessel auf das Sofa und nahm seine Frau in seinen Arm. Er strich ihr durch das Haar. »Es tut mir leid, Andrea. Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn …«, er sprach seinen Gedanken nicht aus, »ich habe die Situation einfach unterschätzt.«


    »Und wo war Ayda?« – »Sie sah die Männer auf das Auto zukommen und konnte sich verstecken. Hinter dem Auto waren eine Böschung und ein Wald. Da ist sie hinuntergerutscht und hat sich hinter einen Baum gesetzt. Dort habe ich sie gefunden.« – »Gut. Aber …, nein, ist gut.« Andrea entschied sich im letzten Augenblick, Semir nicht das Versprechen abzuringen, niemals wieder seine Tochter einer solchen Gefahr auszusetzen. Denn sie wusste, dass er es nicht würde halten können, sollte er wieder in einer ähnlichen Situation sein. So ließ sie es auf sich beruhen, löste sich etwas aus seiner Umarmung und wechselte das Thema.


    »Habt ihr jetzt alle Schläger und Menschenhändler geschnappt?« – »Nein. Vier konnten entkommen. Wir gehen davon aus, dass darunter der Chef der Bande ist. Und wir haben über dreißig illegale Einwanderer befreit.« – »Na, ob ihr denen einen großen Gefallen getan habt? Immerhin waren sie in Deutschland, wo sie hinwollten. Jetzt müssen sie wahrscheinlich zurück in ihr Heimatland, oder?« – »Die meisten wahrscheinlich schon«, gab Semir zu, »Trotzdem, es war ein moderner Sklavenhandel, den wir jetzt beenden konnten oder zumindest gründlich schädigen.« – »Wo ist Ben jetzt?« – »Im Marienkrankenhaus. Er wollte sich melden, sobald ...«


    Als hätte Ben das gehört, klingelte Semirs Handy auf dem Couchtisch. »Ben! Wie geht es dir? …. Schon zu Hause? Aber ich hätte dich doch … Danke. Wie man’s nimmt, sie schläft jetzt. … Bist du sicher? … Okay, dann sehen wir uns morgen. Ciao Ben!« Semir behielt das Telefon in seiner Hand. »Ben ist schon wieder zuhause, es war nur eine Fleischwunde. Er hat sich ein Taxi genommen«, sagte er zu Andrea, wählte dann die Nummer von Alex in der PAST aus dem Kurzwahlspeicher. »Alex! Semir hier. Konntest du noch was erfahren? Soll ich noch vorbeikommen?« Semir lauschte seinem Partner eine Weile. »Das klingt nach einem Plan. Bis morgen dann. Ciao.« – »Du musst nicht mehr los?«, fragte Andrea. »Nein, wir beginnen die Vernehmung morgen, aber wir haben schon ihre Personalien. Die anderen sind zur Fahndung ausgeschrieben, da müssen wir abwarten. Die Stadtvilla wird gerade von der Spurensicherung auseinander genommen.« – »Dann können wir ja jetzt auch ins Bett gehen.«


    Mit diesem Vorschlag war Semir mehr als einverstanden und keine halbe Stunde später war es ruhig in der Gerkan’schen Wohnung.

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • Aussagen


    Den Samstag verbrachten Alex und Semir zu einem großen Teil mit der Vernehmung der beiden verletzten Festgenommenen in der Krankenstation des Untersuchungsgefängnisses. Die Verletzungen hatten sich als nicht bedrohlich erwiesen, so dass sie vernehmungsfähig waren und Semir und Alex bereitwillig Auskunft gaben. Es handelte sich um Lukas Urban und Alexander Hahn.


    Semir holte nach ihrer Vorstellung die Ergebnisse von Hartmut und Susanne hervor und konfrontierte die beiden mit den Spuren, die im Landhaus aufgenommen worden waren.


    »Ja«, begann Lukas zu erzählen, »Oliver Glaser ist unser Boss. Gewesen, meine ich, für mich ist es jetzt ja wohl vorbei. Ihm gehören das Landhaus bei Mayen und auch die Stadtvilla, in der Sie uns gestern erwischt haben. Als wir die Leiche von Theo fanden, hat Glaser bestimmt, den Ort zu wechseln, weil Emil verschwunden war. Er hatte Angst, Emil könnte zur Polizei gehen und uns verraten.« Alexander Hahn ergänzte: »Und Peter Albrecht ist ein Freund von Oliver, die beiden hängen schon seit langer Zeit zusammen.«


    »Wer ist mit Oliver Glaser und Peter Albrecht gestern entkommen? Sind das Martin Sandmann und Jonas Berg?«, wollte Semir weiter wissen. »Ja, die beiden sind noch nicht lange dabei, erst seit einigen Wochen.«


    »Und wer ist der Mann, der die Festnahme gestern nicht überlebt hat?« – »Den hat Peter angeschleppt, ich weiß nur seinen Vornamen, Erwin, mehr nicht« – »Der war aber nicht im Landhaus, oder?«, fragte Semir weiter, dem der Name nicht geläufig war. »Nein, der kam erst gestern früh zu uns«, meinte Lukas.


    »Wo halten sich die vier Entkommenen jetzt auf?«, setzte Alex die Befragung fort, erntete dafür jedoch nur ein Schulterzucken der Befragten. »Das kann ich Ihnen nicht sagen«, kam von Alexander Hahn, »ich kenne nur das Landhaus und jetzt diese Villa, keine Ahnung, ob es noch andere Wohnungen gibt.« – »Ich kann Ihnen auch nichts sagen. Peter hat noch eine Wohnung in Langenfeld, Martin und Jonas kamen aus Monheim. Vielleicht dort?«, ergänzte Lukas seinen Freund. »Dann laufen sie unseren Kollegen direkt in die Arme.«


    »Wisst ihr das Kennzeichen des grünen Opels, mit dem sie abgehauen sind?« – »Moment, das ist Olivers Auto, K – OG aber die Nummer? 348 oder 384, genau weiß ich es nicht.«


    »Wie hoch war Ihr Anteil am Gewinn des Geschäfts mit den illegalen Arbeitern?« – »Bislang haben wir jeder 5.000€ bekommen und sollten nächste Woche wieder 5000€ erhalten.« – »Nicht sehr großzügig, euer Boss, oder? Wir schätzen seinen Umsatz auf über 150.000€ im Monat« Alexander Hahn schwieg. Entweder hatte er es noch gar nicht ausgerechnet oder gab sich wirklich mit einem Anteil von einigen Prozenten zufrieden.


    »Wenn Ihnen noch etwas einfällt, melden Sie sich bei uns, ja?« Dann nickte er Semir zu und erhob sich von dem Holzstuhl. Auch Semir stand auf. Auch er hatte keine weiteren Fragen zu diesem Zeitpunkt. Die beiden Polizisten wandten sich zur Tür und klopften, damit der Justizbeamte davor ihnen die Tür öffnete.


    »Herr Gerkan?« Die Frage, gestellt von Lukas Urban, stoppte Semir beim Hinausgehen. Er wandte sich um und zog die Augenbrauen hoch. »Hm?« – »Das mit letzten Freitag tut mir leid, es war die Idee von Peter, der damit meinte, den Werkstattheini in seine Schranken weisen zu können. Peter hat uns gezwungen mitzumachen, wir sollten die Frau festhalten. Ich dachte, er wollte dem Typen nur eine kleine Abreibung verpassen, aber sie haben nicht aufgehört, auf ihn einzuschlagen.« – »Viel unternommen, ihn zu stoppen, haben Sie aber auch nicht.« Lukas schüttelte seinen Kopf und senkte seinen Blick auf seine Bettdecke, »Nein, das war feige, ich weiß. Können Sie mir sagen, wie es ihm geht? Er lebt doch noch?«, kam leise aus seinem Mund.


    Semir trat einige Schritte auf das Bett mit dem Blondschopf zu. Er bemühte sich, ruhig zu bleiben, konnte jedoch nicht verhindern, dass er sich zu einer Wutrede hinreißen ließ. »Ich erzähle Ihnen mal was. Der Typ oder Werkstattheini, wie Sie ihn eben bezeichneten, hat einen Namen. Er heißt Sascha Mirnov. Er hat eine Frau und zwei kleine Kinder, die jetzt vielleicht einer Zukunft ohne Mann und Vater entgegenblicken. Ich habe selbst auch kleine Kinder, die es gerne sehen, wenn ich nach Feierabend nach Hause komme, anstatt auf dem Asphalt niedergeschlagen zu werden und in einem Krankenhausbett wieder aufzuwachen. Ebenso bevorzuge ich nicht mit anblicken zu müssen, wie mein Auto in Flammen aufgeht, in dem meine Tochter sitzt! Um Ihre Frage zu beantworten: Ja, er lebt noch, aber das ist bestimmt nicht Ihr Verdienst. Er ist auch noch nicht über den Berg. Sie werden sich wegen Ihrer Taten vor Gericht verantworten müssen. Fangen Sie schon mal an zu beten, dass nicht noch ein Totschlag hinzukommt, sondern es beim Versuch bleibt.«


    »Wenn ich wüsste, wo Oliver und die anderen drei jetzt sind und es Ihnen sagen würde, hätte das irgendwelche Folgen für mich?« – »Sie meinen, so etwas wie mildernde Umstände? Ich würde es zumindest in meinem Bericht positiv erwähnen.« Lukas nickte. Semir und Alex schauten ihn erwartungsvoll an. »Ich weiß es wirklich nicht, ich würde es Ihnen jetzt sagen.«


    Draußen vor der Tür fragte Alex: »Glaubst du ihm, Semir?« – »Dass er nicht weiß, wo seine Komplizen sind? Ja, ich glaube ihm, ich glaube, in den letzten Minuten war er das erste Mal wirklich ehrlich.«


    Sie fuhren zurück in die PAST, ergänzten die laufende Fahndung nach dem grünen Opel um das Kennzeichen und nahmen die Fotos von ihrer Glasscheibe, bis ihnen nur noch vier Gesichter entgegen blickten: Oliver Glaser, Peter Albrecht, Jonas Berg und Martin Sandmann.


    Seitenwechsel


    Und eben diese vier saßen zur selben Zeit um einen Tisch in einer kleinen Campinghütte herum, die sie sich unter falschem Namen an einem Angelsee angemietet hatten, und beratschlagten, wie sie heil aus der Sache herauskommen sollten und des beschlagnahmten Geldes trotzdem habhaft werden konnten.


    »Was sollen wir tun, Oliver? Das hätte gestern gehörig in die Hose gehen können! Unsere Ware weg! Unser Geld weg! Lukas und Alexander bei der Polizei! Wir können nicht zurück ins Landhaus, nicht in die Villa, nicht in unsere Wohnungen, was sollen wir jetzt tun? Wie sollen wir abhauen ohne das Geld-«


    »Peter«, unterbrach ihn Oliver, »reg dich jetzt nicht wieder auf, das haben wir doch gestern schon besprochen. Wir müssen ins Ausland gehen. Ich habe heute Morgen die Kennzeichen des Opels geändert.« – »Und wie soll das gehen, ohne Geld?«, gab Jonas seine Bedenken kund, »das hat die Polizei im Haus gefunden, stand in dem Artikel heute in der Zeitung. Da kommen wir nicht mehr ran. Montag sollte die nächste Lieferung kommen, aber wir sind nicht mehr im Geschäft. Ich glaube, ich stelle mich der Polizei.«


    »Das wirst du nicht tun!«, fiel Oliver Glaser ihm scharf ins Wort, »du wirst uns nicht verraten. Wir holen uns das Geld zurück« – »Und wie denkst du, sollte das gehen? Das ist bestimmt bei der Polizei und gut bewacht.« – »Ja, deshalb wird uns auch ein Polizist dabei helfen. Und ich weiß auch schon wer das sein wird. Ich war seit gestern Abend nicht untätig und habe herausgefunden, wie der Polizist heißt, der uns am letzten Freitag gestört hat, als wir den Werkstattbesitzer aufgemischt hatten, manche Leute sind doch sehr redselig.«, sinnierte er. »Der wird uns zu dem Geld bringen. Ihm werden seine Kollegen die Taschen sicher aushändigen.« – »Und wenn nicht?« – »Ach, da fallen mir so einige Druckmittel ein, Stichwort Familie. Klingelt es?« – »Nicht wirklich, was meinst du konkret?« – »Was seid ihr alle schwer von Kapee heute, also gut, ich erzähle es euch in allen Einzelheiten. Wir machen folgendes …«


    Und Oliver Glaser breitete seinen Plan vor seinen Komplizen aus, der am Sonntag über die Bühne gehen soll. »Noch Fragen?«


    »Was machen wir mit ihm, wenn wir das Geld haben? Und mit seiner Familie?« – »Das klingt jetzt vielleicht hart, Jungs, aber da wir sie nicht mitnehmen können, von ihm und seinen Kollegen aber auch nicht gejagt werden wollen, werden wir sie wohl irgendwo zurücklassen müssen. In diesem Spiel kann es nicht nur Sieger geben.«

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • Böse Überraschung


    Am Sonntagmorgen saßen Semir und Andrea mit ihren Kindern am Frühstückstisch. Die Sonne erhellte die kleine Küche, es versprach ein wundervoller Tag zu werden. Andrea umschloss ihren Kaffeebecher mit beiden Händen, stützte die Ellenbogen auf den Tisch und sah zu Semir hinüber. »Musst du heute arbeiten, Semir? Oder können wir etwas zusammen unternehmen?«, fragte sie. »Was wollen wir denn machen?«, lautete die Gegenfrage, die Semir stellte, ohne seine Frau dabei anzublicken, weil er gerade damit beschäftigt war, eine kleine Sauerei auf dem Teller von Lilly zu verhindern, die begonnen hatte, ihrem Brötchen ein Vollbad in ihrem Kakao zu gönnen, »ich habe heute nur Bereitschaft, aber es muss ja nichts vorfallen.« – »Ich würde gerne mal ins Schokoladen-Museum gehen, darüber habe ich neulich einen Bericht gelesen, da bräuchten wir auch nicht mit dem Wagen hin, sondern könnten am Rhein entlang gehen.« – »Dann machen wir das doch. Aber erst möchte ich noch einen Kaffee.« Semir erhob sich von seinem Stuhl und streckte seinen Arm zur Kaffeekanne aus, als es an der Tür klingelte.


    Er sah Andrea an und zuckte mit den Schultern. »Wer das wohl ist? Erwartest du jemanden?«, fragte er, stellte die Kaffeekanne wieder auf den Tisch und schob seinen Stuhl zurück. Dann ging er hinaus auf den Flur.


    Semir betätigte den Türöffner und wollte gerade die Tür einen Spalt öffnen, damit ihr Besucher nach dem Erklimmen der Stockwerke eintreten könnte, als diese ihm aus der Hand gerissen und aufgeschlagen wurde. Der Rand der Tür landete dabei ungebremst in Semirs Gesicht, aus dessen Nase gleich das Blut lief und auf sein weißes T-Shirt tropfte. Da er vom plötzlichen Schmerz abgelenkt war, gelang es vier Männern, in den Wohnungsflur zu treten. Semir erkannte in den Vieren auch die Schlägertypen von neulich, denen er sich gegenüber gesehen hatte, als er Sascha helfen wollte. Ehe er sich versah, trat einer der Männer hinter ihm und ergriff seine Arme. Semir versuchte sich zu wehren, versuchte sich aus dem Griff zu lösen, hatte aber keinen Erfolg. Ein Aufschrei von Andrea ließ ihn in seinen Bewegungen vollends verharren und aufblicken. Einer der Männer hatte sich seine Frau gegriffen und hielt ihr eine Waffe an den Kopf. »Was wollen Sie?«, stieß Semir aus, »lassen Sie meine Frau in Ruhe!«


    »Ich werde Ihnen genau sagen, was wir wollen, Herr Gerkan, und wenn Sie sich fügen, wird niemandem etwas geschehen. Sie und Ihre Kollegen haben in meinem Haus einen nennenswerten Geldbetrag beschlagnahmt, und den hätten wir gerne zurück. Und dazu werden Sie uns heute verhelfen.« – »Wie soll das gehen? Ich habe Ihr Geld nicht!« – »Machen Sie sich doch nicht lächerlich, Herr Hauptkommissar, dass das Geld nicht bei Ihnen in der Küche liegt, ist uns auch klar. Aber Sie wissen doch wohl, wo unser Geld aufbewahrt wird. Wenn nicht, dann wird Ihre Familie deutlich zu spüren bekommen, wozu wir in der Lage sind. Peter, der nette Herr, der Sie gerade so liebevoll in den Armen hält …«, wie auf Befehl hob der Angesprochene Semirs Arme in dessen Rücken in die Höhe, was diesen vor Schmerz in die Knie zwang, »und ich werden mit Ihnen einen kleinen Ausflug machen, die anderen beiden, die sich gerade schon mit Ihrer Gattin und Ihren Kindern anfreunden, bleiben hier. Über dieses Telefon«, er hielt ein Handy in die Höhe, »bleiben wir in Verbindung, und wenn Sie nicht tun, was wir von Ihnen erwarten, wird es Ihre Familie sofort büßen. Wird dagegen eine der Ladies unfolgsam oder aufmüpfig, wird Ihr Ausflug mit uns ein sehr bedauernswertes Ende finden und Ihre Kinder werden zu Halbwaisen. Haben Sie mich verstanden? Ihr Wagen steht in der Tiefgarage, das haben wir schon gesehen, also lassen Sie uns keine Zeit verlieren.«


    Semir schaute zu Andrea, die sich kreidebleich vor ihre Kinder gestellt hatte und zwischen der auf sie gerichteten Waffe und ihrem Mann hin und her blickte. In ihr keimte Angst auf. Sollte sie mit Ayda und Lilly alleine in der Gewalt der beiden Männer bleiben? Sie begann zu zittern und spürte, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten. Auch Semir fühlte die aufsteigende Panik und versuchte Andrea zu trösten. »Andrea«, flüsterte er. Andrea blickte ihm ins Gesicht, eine Träne löste sich und rann ihr über die linke Wange, »wir schaffen das, das AARRRGH«, wieder drückte der Mann in seinem Rücken Semirs Arme nach oben, »Ruhe jetzt!«, wurde er von Oliver Glaser unterbrochen, »lasst die Kinder und die Frau nicht aus den Augen, wir fahren jetzt los.«


    Peter Albrecht, der Semir mit festem Griff gepackt hielt, schob ihn nun zur Wohnungstür. »Wo ist Ihr Autoschlüssel? Sie fahren!«


    Nur Minuten später befand sich Semir mit den beiden Gangstern auf dem Weg durch das Treppenhaus in die Tiefgarage und Andrea mit ihren Kindern in der Gewalt von zwei ihr unbekannten und angsteinflößenden Männern, die nun in ihrem Wohnzimmer begannen sich breit zu machen.

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • Ausweg möglich?


    Martin Sandmann und Jonas Berg richteten sich in Semirs und Andreas Wohnung häuslich ein, und während der erste telefonisch den Kontakt zu seinen Partnern im Auto aufnahm und das Telefon anschließend im Freisprechmodus auf den Tisch legte, setzte sich der andere in den Sessel und ließ Andrea nicht aus den Augen, die in der Sofamitte Platz genommen hatte und ihre beiden verängstigten Töchter in ihren Armen hielt. Sie traute sich nicht zu sprechen, erwiderte nicht den Blick, sondern schaute nur auf ihre Knie. Ihre Angst hatte sich mittlerweile auf ihre Töchter übertragen, sie konnte nichts dagegen tun. Lilly begann leise zu weinen, und Ayda flüsterte leise: »Mama? Was wollen die Männer von uns? Warum haben die Papa mitgenommen?« Andrea strich ihrer Ältesten beruhigend über den Rücken und wollte gerade antworten, doch da fiel Martin Sandmann ihr ins Wort: »Alles ist in Ordnung. Dein Papa macht mit uns einen kleinen Ausflug und wir warten hier auf ihre Rückkehr«, und zu Andrea gewandt: »Haben Sie nichts zu spielen für die Kinder? Beschäftigen Sie sie, dann werden sie uns schnell vergessen haben. Aber denken Sie daran, unsere Freunde in Ihrem Wagen hören jedes Wort mit und deren Finger spielen sehr locker mit dem Abzug ihrer Waffen. Olli, hörst du uns?« Diese Frage stellte er in Richtung des Telefons auf dem Tisch.


    »Klar und deutlich, Martin« – »Was macht unser Chauffeur?« – »Lammfromm fährt er uns durch die Straßen von Köln«, kam die Antwort aus dem Lautsprecher. »Sehen Sie, Frau Gerkan, Ihr Mann benimmt sich vorbildlich, und da wollen Sie doch nicht seinen Tod riskieren, nicht wahr? Und nun los, Sie werden doch wohl etwas zum Spielen oder zum Lesen für die Kinder haben!«


    Andrea stand auf und ging zum Sideboard. Ihr Blick fiel auf Aydas Schulranzen, der an dem Möbelstück lehnte. »Ayda? Neulich war doch Büchereitag in der Schule, hast du dir ein neues Buch ausgeliehen? ... Ayda?« – »Ja, es ist noch in meinem Ranzen, ein neues von den drei ???.« Andrea trug den Ranzen zum Sofa und begann darin zu blättern. Zwischen den Schulheften und –büchern fand sie das Kinderbuch und wollte es schon hervorziehen, als sie noch etwas anderes entdeckte, was ihre Finger zum Zittern brachte. Zum Glück konnten die Männer ihre bebende Hand nicht sehen. Auf dem Boden des Ranzens lag – vielleicht ihre einzige Chance, der bedrohlichen Situation zu entkommen: Aydas Handy!


    Im Kopf versuchte sie sich an die Kurzwahlnummern zu erinnern, die Semir und sie eingespeichert hatten, damit ihre Tochter in jeder Situation über eine Kurzwahl in jedem Fall jemanden erreichte, den sie kannte und vertrauen konnte. Wie war noch die Reihenfolge?


    1 Zuhause, 2 Mama Handy, 3 Papa Handy, 4 Papa Büro, 5 Oma, 6 Ben, 7 Alex … Gut, dass das Gerät noch über Tasten verfügte, so war es ein Leichtes für Andrea, die Kurzwahl zu betätigen. Sie drückte auf die 7, bis das Display anzeigte, dass eine Verbindung aufgebaut wurde. Dann schaltete sie noch den Lautsprecher aus, legte das Handy zurück, griff den Kinder-Krimi und stellte den Ranzen zurück an die Sofalehne. Mit Glück ging Alex ran und konnte sie hören, seine Stimme aber nicht in Andreas Wohnzimmer dringen. Sie hoffte, dass es funktionierte. Jetzt musste sie die Worte finden, die auf der einen Seite Alex genug Informationen gaben, und ihm ihre und Semirs Situation deutlich machen konnten und auf der anderen Seite bei ihren beiden Bewachern keinen Verdacht erregten.


    »Hier Schatz, lies ein bisschen, das wird dich ablenken. Und du Lilly, was möchtest du machen? In eurer Küche spielen? Dann mach doch mal einen schönen Kaffee für mich und unsere beiden Besucher.«


    Alex reagierte auf das zweite Klingeln seines Handys. Die Telefonnummer war ihm unbekannt. »Brandt, mit wem spreche ich?« Niemand meldete sich. Stattdessen hörte er eine gedämpfte Stimme. »Und du Lilly, was möchtest du machen? In eurer Küche spielen? Dann mach doch mal einen schönen Kaffee für mich und unsere beiden Besucher.« – »Andrea? Bist du das?« Als er nun eine fremde männliche Stimme wahrnahm und hörte, was er sagte, konnte sein Handy sich seiner vollständigen Aufmerksamkeit und Konzentration sicher sein.

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  • Was tun?


    Semir saß in seinem Familienauto, einem Skoda Octavia, hinter dem Lenkrad. Oliver Glaser, der Wortführer der Vierer-Gang hatte sich auf den Beifahrersitz gesetzt, und Peter Albrecht hatte hinter dem Beifahrer Platz genommen und saß damit schräg hinter Semir, eine optimale Position, um als Linkshänder dem Polizisten seine Waffe in die Hüfte zu bohren. »So, jetzt fahren Sie uns zu unserem Geld! Keine Tricks, wenn Ihnen das Leben Ihrer Familie lieb ist. Sie wissen, unsere Freunde hören mit, und für jeden Fehler von Ihnen wird Ihre Frau oder eine Ihrer Töchter leiden. Und Sie können mir glauben, Martin ist da skrupellos. Also ganz easy. Sie tun, was wir wollen und niemandem wird etwas passieren.«


    Semir fuhr langsam durch Köln, kein Stück schneller als erlaubt, beachtete alle Regeln und verhielt sich vollkommen unauffällig. »Wo fahren wir hin?«, wollte Oliver wissen, »wo liegt unser Geld?« Semir antwortete nicht. »Martin, mach dich bereit, unser Held sträubt sich etwas.« Umgehend hörte man aus dem Telefon, welches eingeschaltet und mit stehender Verbindung auf der Ablage lag, Andrea panisch aufschreien und dann rufen: »Semir, tu was er sagt. Die machen ernst!«


    Semir gingen schlimme Bilder durch den Kopf, die Männer, welche vor wenigen Tagen seinen Wagen angesteckt hatten, hätten dabei sicher keine Rücksicht auf Ayda genommen, die bis zum letzten Moment in eben diesem Wagen ausgeharrt hatte und dann glücklicherweise noch rechtzeitig fliehen konnte. Sie waren in der Tat skrupellos. Er sah im Geiste geladene Pistolen oder Messer auf seine Familie gerichtet und entschied sich dazu, seinen Dickkopf hinten an zu stellen. Er war schließlich nicht alleine in Gefahr, das Leben seiner Familie liegt in den Händen dieser Verbrecher. Mit dem Wissen, dass durch seine Sturheit Andrea und die Kinder zu Schaden gekommen wären, mit diesem Wissen konnte und wollte er nicht weiterleben. Also antwortete er schnell: »Halt! Bitte! In der Asservatenkammer, das Geld ist in der Asservatenkammer der Polizei.« – »Bitte, geht doch!«


    Andrea hoffte in der Zwischenzeit, dass Alex möglichst viel mithörte, und auch Semir und die anderen Männer im Auto hören konnte. Sie wollte ihm aber noch einige Informationen mehr zukommen lassen. Deshalb begann sie nun, so angewidert sie von ihren Besuchern auch war, eine Unterhaltung mit ihnen. »Was werden Sie tun, wenn Sie das Geld aus der Asservatenkammer haben? Lassen Sie dann meinen Mann wieder frei?« – »Das zu entscheiden, liegt nicht in unserer Macht, Frau Gerkan«, antwortete Martin. Er spielte mit der Waffe in seiner Hand. »Das wird Olli entscheiden, wenn es so weit ist. Erst holen wir uns das Geld, dann planen wir weiter. Schön einen Schritt nach dem anderen. Vielleicht brauchen wir Sie und Ihren Mann noch eine Weile, wer weiß? Vielleicht aber auch nicht? Das wird sich zeigen.«


    Alex überlegte fieberhaft. Was wusste er bislang? Was konnte er tun? Andrea war in ihrer Wohnung, Ayda und Lilly waren bei ihr. Lilly sollte in ihrer Spielküche spielen, die stand im Wohnzimmer in der Ecke, soviel wusste Alex, er sah sie vor seinem geistigen Auge. Bei ihnen waren zwei Männer, Andrea hatte von ‚unseren beiden Besuchern‘ gesprochen. Semir war in Gewalt weiterer Männer und unterwegs zur Asservatenkammer, der Name Olli ist gefallen, Oliver Glaser?« Es musste sich um den flüchtigen Menschenhändler Oliver Glaser handeln, dessen Geld sie vor einigen Tagen beschlagnahmt hatten.


    Was sollte er tun? Befreite er Andrea, würde Semir dafür büßen, schnappen sie die Kerle an der Asservatenkammer, wäre Andrea in Gefahr. Und gleichzeitiges Vorgehen? Kaum zu schaffen, bei einem fahrenden Auto, einer Wohnung und einer stehenden Telefonverbindung zwischen den beiden. Sie brauchten vor allem Zeit. Und er brauchte Hilfe.


    Er ging zu seinem Festnetztelefon und wählte die Rufnummer von Kim Krüger. »Chefin? Wir haben ein Problem.«

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  • Teamarbeit


    »Ich habe da vielleicht eine Idee«, meinte Kim Krüger, nachdem sie Alex‘ Kurzfassung dessen, was er gehört und sich zusammengereimt hatte, gelauscht hatte, »treffen Sie sich mit Hartmut in der KTU, ich komme gleich dazu. Vorher habe ich noch zu telefonieren. Wir sehen uns dann.«


    Alex wollte schon nachfragen, ließ es dann aber bleiben. Er vertraute seiner Chefin, und viel Zeit blieb ihm nicht für Erklärungen. So rief er Hartmut an, der ihm versprach sofort in die KTU zu kommen. Wenn seine Freunde, und hier sogar noch die Familie eines Freundes, in Gefahr und auf seine Unterstützung angewiesen waren, war er zur Stelle. Er ließ zuhause alles stehen und liegen und machte sich auf den Weg zur KTU.


    So trafen sich etwa 15 Minuten später Alex und Kim mit Hartmut in seinem kleinen Reich.


    »Was haben Sie vor, Frau Krüger?«, begrüßte Alex seine Chefin, »Wie können wir Semir und seine Familie aus ihrer Lage befreien?« – »Da komme ich gleich zu. Hartmut, eine bestehende Telefonverbindung zweier uns unbekannter Handys, können Sie die gezielt unterbrechen, also lahmlegen?« – »Frau Krüger!«, Hartmut war ernsthaft entrüstet, »Ist die Erde eine Kugel? Schwimmt Öl auf Wasser? Ich kann Ihnen jede gottverdammte Mobilfunkzelle der Republik ausschalten. Welche Adresse?« – »Das wollte ich hören, antwortete Kim Krüger zufrieden, »dann machen Sie sich bereit. Semirs Adresse haben Sie, eines der Handys ist in seiner Wohnung. Auf meinen Befehl hin schalten Sie den Empfang in der Zelle aus.«


    Hartmut fuhr seinen Rechner hoch und war bald in seinem Element. Jetzt brauchte er nur noch eine Taste zu drücken und die eine Mobilfunkzelle wäre gestört.


    »Was ist Ihr Plan?«, mischte sich Alex ein. »Wir werden die Verbindung unterbrechen. Dann stürmt ein SEK die Wohnung. Und die Männer im Auto hören nichts davon.« – »Aber ist das nicht zu riskant? Andrea und den Kindern darf auf keinen Fall etwas passieren!« Alex hatte seine Zweifel, wenn ein SEK die Wohnung stürmte, könnte es leicht zu einem Schusswechsel kommen. Und das galt es auf jeden Fall zu vermeiden. Doch auf die Frage seiner Chefin hatte er momentan keine Antwort. »Haben Sie eine bessere Idee, Brandt?«


    Alex grübelte, schüttelte dann aber den Kopf. »Gesetzt den Fall, die Erstürmung der Wohnung klappt, wie wollen Sie Semir aus dem Auto holen? Seinen BMW könnten wir orten aber der ist ja nun seit vorgestern im Autohimmel.«


    Nun grinste Kim Krüger ihren Hauptkommissar an. »Auch dazu ist mir etwas eingefallen.« Und sie unterbreitete Alex ihren Vorschlag. Ergänzt durch einige Vorschläge und Ergänzungen von Alex und Hartmut formten sie daraus gemeinsam einen handfesten durchführbaren Plan.


    In der Zwischenzeit traf dann auch das alarmierte Sek in der KTU in. Die Planung nahm jetzt ganz konkrete Züge an. Und das SEK verließ bald wieder die KTU, um sich in der Nähe von Semirs Wohnhaus in Stellung zu bringen.Als das Telefon klingelte und Kim Krüger kurz mit einem Anrufer sprach, konnte es starten. Alle Beteiligten waren angespannt und bereit, Semir und seine Familie aus den Fängen der Menschenhändler zu befreien.


    Zeitgewinn


    Während in der KTU seine Befreiung geplant wurde, rollte Semir mit seinem Wagen auf die Schranke zu, die die Zufahrt zur Asservatenkammer und anderen Lagerräumen der Polizei versperrte.


    Daniel Schuster, ein junger uniformierter Kollege, blickte von seiner Lektüre auf und erkannte den Fahrer des Skodas. Er schob mit einem Lächeln die Trennscheibe zur Seite, beugte sich ein wenig aus seinem Häuschen. »Semir!«, begrüßte er den Eingetroffenen, der seine Seitenscheibe abgesenkt hatte, »was verschafft mir die Ehre?« Semir spürte, dass der Mann auf dem Rücksitz ihm seine Pistole tiefer in die Seite bohrte und sein Beifahrer seine rechte Hand in seiner Jacke versteckte. Semir konnte sich vorstellen, dass er in dieser ebenfalls eine Waffe hielt und rücksichtslos davon Gebrauch machen würde.


    »Hallo Daniel«, erwiderte Semir den Gruß des Uniformierten, »du, ich möchte das Geld abholen, das wir hier am Freitag eingelagert haben. Wir müssen es noch auf Fingerabdrücke prüfen.« – »Geld? Ich weiß von keinem Geld.« - »Doch, die zwei Reisetaschen, sie sind doch in eurem Lager sicher kaum zu übersehen.« Aber Daniel schüttelte den Kopf. »Ich weiß von nichts. Aber ich schau mal im Computer nach, vielleicht hat es ein Kollege entgegen genommen.« – »Ja, mach das. Es ist wirklich dringend.«


    Seine Finger flogen kurze Zeit über die Tastatur, dann wandte er sich wieder Semir zu. »Ich hab’s doch gewusst. Walter hat das Geld eingelagert, aber es ist nicht mehr hier, wir mussten es gestern umlagern in die Asservatenkammer Nord in Düsseldorf, weil wir hier Probleme mit dem Schließsystem hatten. Tut mir leid, da musst du leider nach Düsseldorf fahren, ist ja über die A3 nicht weit, 45 Minuten etwa. Aber fahr auf jeden Fall über die A3. Auf der A57 ist eine Vollsperrung, und die B9 ist deshalb auch verstopft.« Daniel schaute Semir genau an und wartete bis Semir nickte und seine Lippen zu einem leichten Grinsen verzog. »Okay, Daniel, wir nehmen die A3!«


    In seinem Kopf arbeitete es. Semir wusste, dass das Geld hier lagerte und Daniel ihn in diesem Punkt angelogen hatte. Nur warum? Und dieser Hinweis, die A3 zu benutzen, kam doch schon fast einer Anweisung gleich. Wusste Daniel, in was für einer Situation er sich befand? Aber wie konnte er davon erfahren haben?


    Oliver Glaser griff zu seinem Handy und sprach in das Mikro. »Martin? Hast du das mitbekommen? Wir müssen nach Düsseldorf, dort ist unser Geld, es dauert also noch ein bisschen. Habt ihr von dem Unfall auf der A57 gehört? Im Radio vielleicht? Uns ist empfohlen worden, die A3 zu benutzen, dazu müssten wir aber erst auf die andere Rheinseite.« – »Das kam im Radio, alle Fahrspuren gesperrt und noch für Stunden, die A3 haben sie auch im Verkehrsfunk empfohlen.« – »Okay, dann sehen wir uns in etwa 2 Stunden.«


    Als Semir die Zufahrt zur Asservatenkammer zurückgefahren und an der Hauptstraße abgebogen war, griff Daniel Schuster zu seinem Telefon und rief Kim Krüger an. »Frau Krüger, ich glaube, sie haben es geschluckt, und werden über die A3 nach Düsseldorf fahren. Zwei Männer sitzen bei Semir im Auto, er fährt mit seinem Privatwagen, dem Skoda Octavia. … Da nicht für, war doch selbstverständlich. Und Ihnen viel Glück.«

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • Trick


    Kim Krüger beendete das Gespräch mit Daniel Schuster und rief beim SEK an: »Seid ihr bereit? Schon vor der Wohnung? Moment«, sie drehte sich zu Hartmut um, »es kann losgehen, schalten Sie sie stumm!«, und als Hartmut nickte, »Zugriff! Zugriff!«


    Andrea sackte wieder in sich zusammen, nachdem sie eben noch gehofft hatte, dass die Geldübergabe geklappt hätte und ein Ende ihrer Bedrohung abzusehen war. Und jetzt soll es noch mindestens 2 Stunden dauern? Ayda klappte ihr Buch zu. »Mama? Ich mag nicht mehr lesen, darf ich ins Kinderzimmer gehen und dort spielen?« – »Ich auch! Mama, bitte!«, kam es gleich darauf von Lilly. Andrea schaute ratlos zu ihren Bewachern, die sich daraufhin anblickten. »Moment, ich prüfe erst das Zimmer«, beschloss Martin Sandmann und stand auf. Ihm und Jonas war nicht daran gelegen, den Kindern mehr Angst als unbedingt nötig einzuflößen, er selbst hätte sie sogar gerne außer Reichweite. So kam ihm der Vorschlag, sie im Kinderzimmer spielen zu lassen, sehr gelegen. Aber er musste sich vorher vergewissern, dass das Kinderzimmer keine Gefahr barg, versteckte Waffen zum Beispiel, die Fluchtgefahr war hier unter dem Dach wohl ein zu vernachlässigendes Risiko, aber einen Blick wollte er schon in das Zimmer werfen.


    Martin schaute sich kurz um, warf einen prüfenden Blick aus dem Fenster, das zur Straße hinausging und gab es dann für die Kinder frei. »Ich bin einverstanden, aber die Tür bleibt offen.« So gingen Ayda und Lilly zum Spielen in ihr Zimmer, was Andrea sehr lieb war. Der Anblick der fremden Männer mit ihren Waffen wollte sie ihnen nicht länger zumuten. Sie hätte gleich zu Beginn auf die Idee mit dem Kinderzimmer kommen sollen. Es blieb ihr keine Zeit, sich lange über dieses Versäumnis zu ärgern, da es genau in diesem Moment an der Haustür klingelte.


    »Darf ich?«, fragte sie vorsichtig, »die hören doch, dass jemand hier ist.« – »Okay, aber wimmeln Sie sie ab, ein falsches Wort, und ich erschieße erst Ihre Kinder und dann Sie und Ihren Besuch. Sie lassen niemanden in die Wohnung!« Martin Sandmann ließ in seinen Worten keinen Spielraum für Zweifel. Dieser Mann meinte, was er sagte. Dann stellte er sich mit seiner Waffe in die offene Tür zum Kinderzimmer und lächelte die Töchter von Andrea und Semir schief an. »Öffnen Sie«, flüsterte er mit einem Kopfnicken. Andrea machte die Haustür auf.


    Vor ihr stand ein fremder Mann mit einem Klemmbrett in der Hand. »Guten Tag, Schmidt mein Name, entschuldigen Sie die Störung. Ich komme von der Bürgerinitiative zum Erhalt des alten Schulgebäudes«, mit diesen Worten hielt er das Klemmbrett so, dass Andreas Blick direkt auf den eingeklemmten Polizeiausweis fiel. Auf einem Blatt Papier stand in großer Schrift: SEK ist bereit, wir stürmen in 3 Min. Ihre Wohnung, gehen Sie mit den Kindern in eine Ecke wenn möglich. Noch während Andrea las, setzte der Mann in seinen Ausführungen fort: »Wie Sie vielleicht wissen, plant die Stadt, die alte Schule abzureißen. Wir kämpfen für den Erhalt und wollen dort lieber ein neues Jugendzentrum errichten. Dazu wollen wir so viele Unterschriften sammeln, wie möglich. Können wir auch Ihren Namen für die Aktion gewinnen?«


    Andrea schloss für einen Moment die Augen. Da stand tatsächlich Hilfe vor der Tür, Aydas Handy muss Alex also erreicht haben. Aber hat er auch daran gedacht, dass Semir in höchster Gefahr schwebte, sollten die Männer in seinem Auto etwas von dem Zugriff mitbekommen. »Ja, wo soll ich unterschreiben?« – »Hier«, er blätterte das erste Blatt um. Dort waren drei Fragen aufgeschrieben: Wie viele? Bewaffnung? Wo? Andrea nahm ihm den Kugelschreiber ab und schrieb 2, 2 Pistolen, Wohnzimmer, Danke.


    Die eben noch gehegte Sorge, in Semirs Auto würde der Zugriff durch die geschaltete Verbindung publik werden, konnte der getarnte Polizist vor ihrer Tür Andrea nehmen. Er senkte seine Stimme: »Ach noch etwas, Frau Gerkan, ehe ich wieder gehe. Haben Sie auch keinen Handyempfang? Ich wollte eben telefonieren, aber nichts funktioniert. Totalausfall, auch bei Ihren Nachbarn, wo ich eben war.« Andrea zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Das habe ich noch nicht bemerkt.« Dann lächelte sie den Mann an und nickte zum Abschied. Sie hatte verstanden. Die Verbindung zu Semirs Auto war nun unterbrochen, und der Zugriff des SEK stand unmittelbar bevor. Sie schloss die Tür und drehte sich zu Martin Sandmann um. Er hatte die letzte Bemerkung des getarnten Polizisten nicht mitbekommen, sondern war zufrieden, als Andrea die Tür wieder geschlossen hatte, und steckte seine Waffe in seinen Hosenbund. Auf dem Weg zurück ins Wohnzimmer bog sie ins Kinderzimmer ab. Martin Sandmann wollte gerade protestieren, doch Andrea kam ihm zuvor: »Nur ein paar Minuten, bitte. Meine Kinder haben Angst, ich beruhige sie wieder.« – »Aber nur ein paar Minuten! Dann sind Sie wieder im Wohnzimmer!«, befahl er. ‚Und ihr hoffentlich festgenommen oder nicht mehr am Leben‘, dachte Andrea.


    Dann ging sie zu Ayda und Lilly, die unkonzentriert an ihrer Lego-Landschaft bauten, setzte sich zu ihnen auf den Fußboden und breitete die Arme aus, um Ayda und Lilly in ihnen aufzunehmen. Der Aufforderung kamen ihre Kinder bereitwillig nach. »Ist gleich vorbei«, beruhigte Andrea die Mädchen mit leiser Stimme. Sie hielt sie fest im Arm, als um sie herum die Hölle losbrach.

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

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  • Zugriff


    Alex kam gerade aus der Halle in den kleinen Raum. »Geht es los? Haben Sie den Einsatzbefehl gegeben?« – »Ja, Brandt, und jetzt machen wir die Autobahn dicht.« Kim Krüger wählte eine weitere Rufnummer. »Lothar? Es kann losgehen, macht die Autobahn zu.« Sie ließ ihr Handy sinken. Die Anspannung der letzten halben Stunde war ihr deutlich anzusehen. Zu ihren Beamten gedreht, erzählte sie: »Semir fährt mit seinem Skoda über die A3 Richtung Düsseldorf, Lothar vom Polizeirevier in Langenfeld, wird mit seinen Beamten die Autobahn südlich von Düsseldorf sperren und einen Stau verursachen. Ist Ihr Auto präpariert?« – »Ja, Chefin. Ich denke, dass Semir es verstehen wird.« – Gut. Dann fahren Sie jetzt langsam los, ich gebe Ihnen Bescheid.«



    Martin Sandmann setzte sich wieder zu Jonas Berg ins Wohnzimmer und lauschte einen Moment dem Klang von Andreas Stimme, dessen Worte er aber akustisch nicht verstehen konnte. Er sehnte die baldige Rückkehr von Oliver mit dem Geld herbei und nahm das Handy in die Hand. »Du Oliver, wo seid ihr jetzt?«, fragte er, bekam aber keine Antwort. Er stutzte, schaute auf das Display und drückte auf dem Touchscreen herum. »Mist, wir haben keinen Empfang!« – »Bitte?«, fragte Jonas, »Das kann doch nicht sein. Zeig mal - «


    Weiter kam der junge Ganove nicht. Mit einem ohrenbetäubenden Knall hatten sich mehrere ganz in schwarz gekleidete, vermummte, behelmte und gepanzerte Männer, ausgestattet mit Schnellfeuergewehren und Schutzschilden Zutritt zur Wohnung verschafft und die erste Rauchgranate gezündet, die den Flur und das Wohnzimmer sofort mit dichtem Qualm füllte. Laute Befehle schallten durch die Räume. Einer der SEK-Beamten sah Andrea mit den Kindern im Kinderzimmer sitzen und schloss schnell die Tür, um sie vor dem Qualm und Lärm zu schützen. Noch bevor Martin Sandmann seine Waffe ergreifen konnte, traf ihn ein gezielter Schuss in die Brust. Jonas stand zitternd im Wohnzimmer und hatte beide Arme zur Decke gestreckt. »Ich gebe auf! Ich gebe auf! Nicht schießen! Bitte nicht schießen«, wiederholte er immer wieder. Er ließ sich bereitwillig festnehmen und konnte seinen Blick nicht von seinem Freund und Komplizen abwenden, der reglos auf dem Fußboden lag. Ein Beamter des SEK prüfte seine Lebenszeichen und schüttelte mit dem Kopf.


    Nachdem sie die Fenster zum Lüften aufgerissen und Jonas Berg hinausgeführt hatten, betrat der Polizist die Wohnung, der sich vorher als Unterschriftensammler ausgegeben hatte. Er hatte sein Telefon am Ohr und sprach mit Kim Krüger, nachdem Hartmut den Empfang wieder eingeschaltet hatte. »Ja, sie sind in Ordnung«, sagte er nun, als er in der Kinderzimmertür stand und nach Andrea, Ayda und Lilly schaute, die sich gerade aufrichteten. Andrea umfasste ihre Töchter an den Schultern und führte sie nach einer stummen Aufforderung des Polizisten aus der Wohnung ins Treppenhaus und aus dem Haus. Dieser nahm das Handy von Martin und stellte die Verbindung zum Auto wieder her, platzierte das Gerät in die Nähe eines Radios und stellte dieses an. Wieder draußen, setzte er sein Telefonat mit Kim Krüger fort.


    »Ja, Martin Sandmann ist tot und Jonas Berg haben wir festnehmen können, wir bringen ihn zu Ihnen in die PAST … Alles klar! … Ich gebe Ihnen noch die Handy-Nummer von den Männern in Semirs Wagen, dann können Sie sie orten, und dann schnappen Sie sie sich. Viel Glück!«


    Stau


    »Wie konnten Sie davon ausgehen, dass das gut geht? Er hätte uns zwingen können, Ihnen die Tür nicht zu öffnen, er hätte uns im Wohnzimmer behalten können, er hätte -« – »Frau Gerkan, uns blieb nichts anderes übrig, als zu stürmen. Das Klingeln war eine Möglichkeit, Sie und Ihre Kinder aus der Schusslinie zu bekommen, ein gewisses Restrisiko blieb natürlich. Aber das Risiko mussten wir eingehen. Denn die hätten Sie und Ihren Mann nicht einfach freigelassen, wenn sie das Geld erst in ihrem Besitz gehabt hätten.« – »Wissen Sie etwas von Semir? Wo ist er?« – »Soviel ich weiß, steht er auf der A3 im Stau. Alex Brandt ist auf dem Weg zu ihm.« – »Aber wie«, fragte Andrea ängstlich, »will er ihm klarmachen, dass wir in Sicherheit sind?« – »Ich denke, da werden sich Alex und Frau Krüger schon etwas ausgedacht haben.«


    »Brandt! Sie können loslegen. Hartmut hat das Handy geortet, sie sind etwa in Höhe Monheim. Seien Sie vorsichtig und holen Sie Gerkan heil aus dem Auto«, lautete die kurze Anweisung von Kim Krüger an den dunkelblonden Polizisten, der bereits in seinem Privatwagen Richtung A3 unterwegs war und vor dem jetzt das Stauende in Sicht kam. »Darauf können sie sich sowas von verlassen, Frau Krüger«, antwortete dieser entschlossen und gab Gas. Mit einem weiteren zivilen Polizeifahrzeug und einem Streifenwagen im Schlepptau fuhr er auf der Standspur am Stau vorbei.


    Das brachte ihm manch aufgebrachtes Hupen von den wartenden Autofahrern ein, aber als in einiger Entfernung der Streifenwagen folgte, verstummte dieser Wutausbruch schnell wieder und machte einer gewissen Schadenfreude Platz, Schadenfreude darüber, diesen Verkehrsrowdies würde bald schon die gerechte Strafe ereilen. Das hätten die nun davon, mag manch einer der Autofahrer im Stau gedacht haben.


    Alex erkannte Semirs dunkelblauen Skoda Octavia bereits von weitem an dem Aufkleber auf der Heckscheibe und näherte sich vorsichtig dem Zielobjekt. Auch Semir fiel der herannahende Alfa Romeo auf, und er erkannte in ihm den Privatwagen seines Partners. Um Oliver Glaser und Peter Albrecht nicht darauf aufmerksam zu machen, lenkte er seinen Wagen in die Mitte der zwei Fahrspuren, so als ob er sich in der gebildeten Rettungsgasse einen Blick nach vorne zum Grund des Staus erhoffte. »Warum ist hier bloß dieser Stau?«, meinte er mehr zu sich selbst als zu seinen Beifahrern und stoppte. Als der vor ihm rollende Mercedes wieder etwa eine Wagenlänge nach vorne setzte, blieb Semir stehen und ließ damit Platz für Alex.


    Was hatte Alex vor? Er konnte doch hier keinen Zugriff starten. In Semirs Kopf arbeitete es. Er fühlte die Waffe deutlich, die sich ihm weiterhin in die Seite bohrte, jetzt wo der Wagen stand, konnte Peter ihn ohne Gefahr fürs eigene Leben ausschalten, was vorher bei Tempo 130 nicht so ohne weiteres möglich gewesen wäre. Und außerdem befanden sich doch Andrea und die Kinder in der Hand ihrer Komplizen, die den Zugriff über das Handy verfolgen könnten, aus dem jetzt leise Radiomusik ins Wageninnere getragen wurde. Aber Alex‘ Anwesenheit an sich war schon merkwürdig, erst das Verhalten von Daniel an der Asservatenkammer, dann Alex‘ Auftauchen hier im Stau, wie konnte er von der Bedrohung erfahren haben?


    Dann erkannte Semir, dass Alex nicht alleine war, ein anderer PKW, den er allerdings nicht kannte, scherte bereits einige Autos hinter Semir in die Autoschlange ein und machte Platz für einen Streifenwagen, der auf Alex aufschloss. Dieser lenkte den Alfa in die Lücke vor Semir, der Streifenwagen stellte sich schräg vor ihm hin. »Tja, rechts über die Standspur überholen, bringt nur Ärger ein. Das geschieht ihm recht«, stellte Oliver Glaser trocken fest, und Peter Albrecht stimmte ihm zu. Noch sah keiner von ihnen einen Zusammenhang zwischen der Anwesenheit der Polizei und ihrem eigenen Verbrechen.


    Semirs Aufmerksamkeit wurde indessen von etwas ganz anderem angezogen. Auf der Heckscheibe seines Wagens hatte Alex mit einem breiten weißen Stift eine Werbeschrift aufgetragen, die lautete:


    Zuhause alles okay – dank der Brandt-Versicherung von A.B.

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • Brandt-Versicherung


    Zwei Streifenbeamten gingen zu Alex‘ Fahrertür, klappten ihren Block auf und begannen in aller Ruhe eine Kontrolle der Papiere und des Fahrzeugs. Alex musste aussteigen und den Kofferraum öffnen, um den Uniformierten einen Blick auf sein Warndreieck und seinen Verbandkasten zu gewähren. Beim Gang zum Heck seines Autos schaute er Semir einen kurzen Moment direkt in die Augen. Semir müsste jetzt nur irgendwie aus seinem Wagen kommen, doch die Waffe drückte sich unnachgiebig in seine Seite. Vielleicht konnte er seine Bewacher irgendwie ablenken und einen Überraschungsangriff starten? Oder sollte er auf den Zugriff warten? Er nahm vorsichtig seine rechte Hand vom Lenkrad, wischte sich den Schweiß an der Jeans ab und ließ seine Hand auf dem Oberschenkel ruhen.


    ‚Gib mir ein Zeichen, Alex‘, bat Semir stumm, ‚einen winzigen Hinweis!‘


    Von ihm unbemerkt waren dem hinteren Wagen, der ebenfalls über die Standspur gefahren war, einige Polizisten in Zivil entstiegen und schlichen sich im Schutz der Mittelleitplanke zur Höhe von Semirs Wagen vor. Erst als diese gebückt an der Fahrerseite des Skodas auftauchten, wurde Semir auf sie aufmerksam. Jetzt ging es blitzschnell, Alex und die Streifenpolizisten vorne, die zivilen Beamten hinten, links und rechts, Semir und seine Begleiter fanden sich von Waffen umzingelt. Lautstark wurden sie zum Aussteigen aufgefordert. Oliver und Peter waren so überrascht, diesen Moment musste Semir zum Handeln nutzen. Er schnellte seine rechte Hand nach hinten und bekam Peters Hand mit der Waffe zu fassen. Es entstand ein kurzer Kampf um die Waffe. Semir gelang es, die Mündung der Pistole nach unten zu drücken, und als sich ein Schuss löste, traf dieser Peter Albrecht in den Unterschenkel. Aber er ließ die Waffe nicht los, noch zwei, dreimal schoss er in den Fußraum des Wagens, bevor der Schmerz durch Semirs Griff ihn die Hand öffnen ließ.


    Noch bevor Oliver Glaser eingreifen konnte, wurde er von Alex durch die von außen geöffnete Beifahrertür gerissen, auf den Boden geworfen und gefesselt. Semir, der nun in Besitz von Peters Waffe gekommen war, richtete diese auf den Verletzten und stieg langsam aus. »Das war’s dann wohl, Arschloch!«, fluchte er und trat einige Schritte von seinem Auto zurück. Oliver Glaser war mittlerweile in den Streifenwagen verfrachtet worden, und Alex trat auf Semir zu und schlug ihm auf den Oberarm. »Bist du in Ordnung?«, fragte er seinen Partner, der immer noch mit der Waffe den Mann auf der Rücksitzbank in Schach hielt. Semir nickte und beschwerte sich nun bei den herumstehenden Polizisten, die sich nicht regten, sondern nur mit ausgestreckten Waffen die hintere Tür auf der Beifahrerseite im Auge behielten: »Ja, holt ihn vielleicht mal jemand aus meinem Wagen?« – »Warum gibt er nicht auf und kommt selber raus?«, lautete die prompte Gegenfrage. »Ja, warum eigentlich nicht?«, fragte nun auch Alex. »Er kann nicht!«, antwortete Semir. »Was? Warum kann er nicht?« Da musste Semir grinsen und sagte lachend: »Wegen der Kindersicherung! Er hat sich selbst eingesperrt, der Idiot.« Alex musste nun auch lachen und gab ihren Kollegen den Befehl: »Okay Jungs, holt ihn raus und packt ihn ein.


    Rückfahrt


    Oliver Glaser wurde mit dem Streifenwagen zur PAST, Peter Albrecht in Polizeibegleitung zur Behandlung ins Krankenhaus gebracht, Kim Krüger über den erfolgten Zugriff informiert und der Stau wieder aufgelöst.


    »Was ist mit Andrea und den Kindern?«, fragte Semir als erstes, als Alex sich wieder zu ihm gesellte, »geht es ihnen gut?« – »Soviel ich weiß ja. Sie sind auf dem Weg in die PAST. Und wir jetzt auch.« Damit ging er zur Beifahrerseite von Semirs Auto. »Nimmst du mich mit? - Erik?«, fragte er einen der Kollegen, »fährst du meinen Wagen zur PAST? Ich fahr bei Semir mit.« - »Jetzt erzähl mir bitte, wie ihr davon erfahren habt!« – »Gleich, wenn wir fahren.« Semir ließ sich nicht lange bitten und reihte sich in den sich langsam auflösenden Stau ein.


    »Du weißt echt, wie du deine Kollegen an einem freien Sonntag beschäftigen kannst, Semir. Du schuldest mir einen freien Tag.« – »Was? Das waren maximal 90 Minuten, und außerdem hattest du Bereitschaft, da musstest du mit so etwas rechnen. Also erzähl!«


    »Andrea, Semir! Andrea war es. Du hast so eine verdammt intelligente und mutige Frau. Wenn ich du wäre, dann würde ich das nie wieder aufgeben oder aufs Spiel setzen.« – »Ich weiß. Das habe ich bestimmt auch nicht vor. Was hat sie getan?«


    »Andrea hat mich – wie auch immer sie das geschafft hat – mit einem Handy angerufen, während sie in eurer Wohnung bedroht wurde. So konnte ich alles mithören. Ich wollte schon wieder auflegen, denn erstens war die Rufnummer mir unbekannt, und zweitens hat sich keiner gemeldet. Aber dann hörte ich Andreas Stimme, sie sprach mit jemandem und gab mir so wertvolle Informationen. Ich habe dann gleich die Krüger angerufen. Die Zeit drängte, denn dein Weg zur Asservatenkammer war kurz. Also brauchten wir Zeit und haben Daniel gebrieft.« – »Der Junge war klasse, ich hatte das Gefühl, er log, konnte mir aber keinen rechten Reim daraus machen. Denn wie sollte er es erfahren haben?«


    »Daniel hat dich über die A3 geschickt.« – »Das mit dem Unfall auf der A57 und der Verstopfung der B9 war ein Fake?« – »Klar, wir konnten schließlich nicht sämtliche Straßen sperren. Außerdem hatten wir so Zeit genug, den Stau einzurichten, denn du musstest ja noch erst auf die andere Rheinseite. Und sogar der Verkehrsfunk hat mitgespielt und die Sperrung der A57 gemeldet.« – »Und wenn ich nicht über die A3 gefahren wäre?« – »Dann hätten wie den Zugriff in Düsseldorf gemacht. Aber hier war es doch viel schicker, oder etwa nicht?« Darauf wusste Semir nun nichts zu erwidern.


    »Dann mussten wir Andrea aus der Wohnung holen. Ich wusste vom mitgehörten Gespräch, dass es eine Handyverbindung gab, zwischen Wohnung und Auto, also hat Hartmut den Empfang im ganzen Viertel lahmgelegt.« – »Das haben wir im Auto gar nicht mitbekommen.« – »Dauerte auch nur etwa 5 Minuten, dann war alles vorbei. In der Zwischenzeit habe ich meinen Wagen präpariert, damit du wusstest, dass Andrea in Sicherheit war.« – »Ich konnte mich kaum zurückhalten, laut aufzulachen, wenn ich ehrlich bin. ‚Brandtversicherung‘, wie bist du bloß auf die Idee gekommen? Beim Zugriff in der Wohnung, konntet ihr alle festnehmen?« – »Das SEK hat einen der Täter in Notwehr erschossen, diesen Martin Sandmann, der andere, Jonas Berg hat sich ergeben. Ob wir damit das ganze Nest ausgenommen haben, werden die Vernehmungen zeigen. Aber ich denke schon. Zumindest sind jetzt alle Personen, die wir aufgrund der DNA-Spuren und Fingerabdrücke aus dem Landhaus benennen konnten, tot oder hinter Gittern.«»Ich hätte mir den Sonntag irgendwie angenehmer vorgestellt.« – »Ach komm, auch du hattest Bereitschaft, jetzt vernehmen wir die Typen, fassen den Bericht zusammen, übergeben sie Sache der Staatsanwaltschaft und dann …« – »Ist wieder Sonntag«, fiel Semir seinem Partner ins Wort, »da fällt mir etwas ein. Kann ich mal dein Handy haben?«


    Alex kramte sein Handy aus der Tasche. »Du weißt aber schon, dass Telefonieren am Steuer von uns geahndet werden kann?« Semir schaute ihn lange an und wollte dann nach dem Smartphone greifen. »Schau nach vorne! Wen willst du denn anrufen?« – »Ben.« Alex wählte Bens Nummer aus dem Telefonbuch und gab dann Semir das Handy, der es sich zwischen Kopf und Schulter klemmte. »Ben? Hast du Lust und Zeit, heute Nachmittag mit meinen Mädels ins Schokoladenmuseum zu gehen?«

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • In der PAST


    Semir lenkte den Wagen auf den Parkplatz der PAST und hatte es eilig, in das Dienstgebäude zu kommen. Andrea und die Kinder saßen in der Teeküche und hatten jeder einen dampfenden Becher vor sich stehen. Die Mädchen hatten den Schrecken am Vormittag recht gut weggesteckt und lachten schon wieder, nur Andrea machte sich noch sorgenvolle Gedanken. Sie hatte den Einsatz auf der Autobahn über Funk verfolgt und wusste, dass Semir mit Alex auf dem Weg in die PAST war und Oliver Glaser und Peter Albrecht festgenommen werden konnten. Aber erst als sie ihren Mann durch das Großraumbüro der Dienststelle eilen sah, legte sich auch ihre Anspannung und Tränen der Erleichterung bahnten sich ihren Weg. Andrea sprang auf und ging ihm entgegen.


    Einen Moment lang schauten sie sich nur an, dann hob Semir eine Hand und wischte ihr eine Träne von der Wange. Er nahm sie fest in seine Arme. »Seid ihr in Ordnung, Andrea?« Er spürte ihr Nicken an seiner Schulter. »Das mit dem Anruf bei Alex, das … du bist echt wahnsinnig! Und ich bin so wahnsinnig stolz auf dich!«


    Nachdem sich Semir davon überzeugt hatte, dass es auch Ayda und Lilly gut ging und sie den unliebsamen Besuch heil überstanden hatte, teilte er ihnen mit, dass er nun leider den Rest des Sonntags in der PAST verbringen würde. Er könnte die Vernehmungen nicht Alex und Frau Krüger alleine überlassen und wollte sich die Konfrontation mit den Schlägern und Menschenhändlern auch nicht entgehen lassen, wegen denen Sascha immer noch auf der Intensivstation der Uni-Klinik lag. Andrea sah das natürlich ein, konnte ihre Enttäuschung allerdings auch nicht verbergen, allerdings nicht für sich, sondern für Ayda und Lilly. Die Kinder hatten sich so auf den Ausflug gefreut.


    Andrea selbst war die Lust auf das Schokoladenmuseum gründlich vergangen, sie wollte nur noch nach Hause und die Spuren beseitigen, die das SEK bei ihrem Zugriff hinterlassen hatten. »Meinst du, ich kann wieder in unsere Wohnung, Semir?« – »Ich klär das gleich, ja?« Semir ging kurz in sein Büro und rief Hartmut an. »Semir!«, begrüßte ihn der Techniker, »es ist alles gut gegangen, wie ich schon gehört habe?« – »Ja, Hartmut. Vielen Dank für deine Mithilfe. Sag mal, kann Andrea wieder in unsere Wohnung? Seid ihr fertig?«, fragte der Hauptkommissar. »Wir sind schon beim Zusammenräumen. Bis Andrea hier ist, kann sie sicher wieder rein. Ich habe auch die Wohnungstür provisorisch repariert. Das SEK hat ganze Arbeit geleistet, ich denke, ihr werdet nicht um eine Neuanschaffung herumkommen.« – »Das werde ich gleich morgen in die Wege leiten, danke, Hartmut.« Semir wandte sich zu Andrea um, und teilte ihr die gute Nachricht mit: »Ihr könnt nach Hause!«


    »Und was ist mit unserem Ausflug?«, protestierte nun Ayda, und Lilly pflichtete ihr bei: »Du hast uns ganz viel Schokolade versprochen, Papa!«


    »Wenn ihr nichts dagegen habt, übernehme ich die Schokolade«, klang nun eine gut bekannte Stimme aus dem Hintergrund. »Onkel Ben!«, riefen die Kinder im Chor, »können wir gleich los?« Ben sah Semir an. »Du musst heute arbeiten?« – »Ja, ist eine längere Geschichte. Aber es sieht so aus, als ob wir alle Schläger und Menschenhändler in Gewahrsam hätten. Die warten nun auf ihre Vernehmung. Und dazu bin ich gerade in bester Stimmung. Nimmst du die Kindersitze aus unserem Wagen? Dann kann Andrea mit ihm nach Hause fahren.« Ben machte sich mit den Kindern auf den Weg, um die Kindersitze aus Semirs in seinen Wagen umzuräumen.


    »Kannst du alleine bleiben, Andrea?«, fragte Semir fürsorglich, »oder soll ich Susanne bitten …« – »Semir, ich möchte im Augenblick gerne allein sein.« Er gab ihr einen Kuss. »Ich bleibe nicht zu lange hier, versprochen.«


    Als Ben alleine – Ayda und Lilly sind gleich in seinem Auto geblieben – zurückkam, um Andrea ihren Autoschlüssel zurück zu geben, klingelte deren Handy. Als sie sah, wer anrief, suchte sie sich schnell einen Stuhl und nahm das Gespräch erst an, als sie saß. »Claudia! … Was? … Das ist ja wunderbar!«, Andrea strahlte, »Dann wird jetzt alles gut, da bin ich mir sicher … und weißt du was? Alle Täter sind festgenommen! … Ja, gerade heute … ja, gerne, dann sehen wir uns morgen … ich freue mich für euch. Viele Grüße auch von Semir und Ben, die stehen hier neben mir und hören zu. Bis morgen!« Sie ließ die Hand mit dem Handy sinken. »Sascha ist aufgewacht. Und er hat Claudia sofort erkannt. Die Ärzte sind sich sicher, dass es jetzt aufwärts gehen wird.«


    Nachdem Ben mit den Kindern und auch Andrea die PAST verlassen hatte, gingen Semir und Alex in Richtung der Vernehmungsräume. »Komm Alex, beeilen wir uns und legen diesen Fall zu den Akten!«


    Epilog


    Sascha und Claudia


    Sascha ist auf dem Weg der Besserung. Die Ärzte gehen davon aus, dass seine Verletzungen ohne Folgeschäden verheilen werden. Aber bis dahin liegt noch ein weiter Weg vor ihm. Nachdem er aus dem Krankenhaus entlassen sein würde, steht zunächst ein mehrwöchiger Reha-Aufenthalt in einer Kurklinik an.


    Claudia führt die Firma in der Zeit alleine, dank ihrer verlässlichen Angestellten leidet der Betrieb finanziell nicht allzu sehr unter der Abwesenheit ihres Chefs.


    Dimitrij


    Dimitrij, Saschas Cousin, nahm wie verabredet an einer der nächsten Band-Proben von Ben teil und fand viel Gefallen daran, mal wieder einige Songs auf der Gitarre zu begleiten. Es wird nicht bei diesem einen Mal bleiben, wann immer seine Kneipe ihm den Freiraum gewährte, würde man ihn im Probenraum von Bens Band antreffen können.


    Andreas Eberhain


    Der Düsseldorfer Familienvater hat etwa 1 Woche nach der Festnahme sein Motorrad zurück erhalten. Es konnte in Oliver Glasers Stadtvilla sichergestellt werden.


    Eigentlich wollte ich ihm erst eine etwas größere Rolle zukommen lassen, aber dann habe ich mich doch dagegen entschieden. So war er hauptsächlich der Grund dafür, dass Alex nach Düsseldorf gefahren ist und auf dem Rückweg den Transporter hinter Saschas Firma entdecken konnte.


    Semir und Andrea


    Der Umbau der Wohnung lässt auf sich warten, aber mittlerweile hat der Vermieter die Baugenehmigung erhalten und einen Architekten mit den Plänen und Berechnungen beauftragt. Sie hoffen, den Großteil der Bauarbeiten in die Herbstferien legen zu können, so dass zumindest Andrea mit den Kindern dem Baulärm und dem Schmutz entfliehen kann.


    Der Familienwagen der Gerkans war zwar durch die Schüsse ins Bodenblech beschädigt worden, konnte aber wieder repariert werden.


    Der Fall


    Die Ermittlungen in dem Menschenhändlerfall werden die Polizei noch lange beschäftigen. Die Überlebenden der ausgehobenen Organisation warten in der JVA auf ihren Prozess. Aber alle Kunden, die ermittelt werden konnten, darunter auch der Nachbar von Konrad Jäger, müssen vernommen, der Aufenthaltsstatus aller vermittelten Arbeitskräfte geklärt werden. Bis zur Gerichtsverhandlung wird noch viel Zeit vergehen. Aber das ist jetzt nicht mehr Aufgabe der Kripo Autobahn.



    Vier Wochen später


    Es ist Hochsommer geworden, die Hitze lag wie ein schwerer Teppich auf der Stadt, die Luft über dem Asphalt flimmerte. Semir und Alex waren zu einer LKW-Kontrolle an der A57 kurz vor Düsseldorf gefahren und ärgerten sich darüber, die schusssicheren Westen tragen zu müssen, aber aufgrund einiger Übergriffe auf Polizeibeamten in den letzten Wochen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, waren sie gehalten, für ihre eigene Sicherheit zu sorgen. So standen sie in Jeans und T-Shirt, aber mit den schwarzen Westen auf einem kleinen Rastplatz und unterstützten Dieter Bonrath und Jenny Dorn bei den Kontrollen. Es war noch nicht Mittag und schon über 30°C im Schatten. Nicht nötig, zu erwähnen, dass der Rastplatz zum größten Teil in der Sonne lag, oder?



    Kim Krüger, Chefin der Autobahnpolizei, war froh, in ihrem klimatisierten Büro sitzen zu dürfen und befand sich gerade in der Lektüre der letzten Einsatzberichte, als Susanne ihr die Post vom Morgen auf den Tisch legte. Sie machte noch einige Notizen am Rand des Berichts und nahm sich vor, am nächsten Tag oder noch am selben Nachmittag mit ihren Hauptkommissaren darüber zu sprechen. Dann wandte sie sich der neuen Post zu und öffnete als erstes ein Schreiben vom Präsidium. Sie musste es zwei Mal lesen, bevor sie begriff was darin stand und welche Auswirkungen der Inhalt des Schreibens haben würde, und beschloss den Absender direkt anzurufen, als das Telefon klingelte und das Display einen Anruf eben dieses Kollegen anzeigte. »Krüger«, meldete sie sich etwas abwesend, »Ach Herr Theiner, ja das Schreiben habe ich bekommen, ich wollte Sie auch gerade anrufen.«


    Kim hörte seinen Ausführungen aufmerksam zu, legte erst ihren Kugelschreiber, dann auch die aufgeschlagene Akte zur Seite. »Und das ist beschlossene Sache? Nein, nein, das werde ich meinen Leuten hier schon selber sagen. .. Um 14:00 Uhr? Heute? Nein, Ja, das kann ich schaffen, ich bin dann gleich bei Ihnen.«


    Sie verließ die PAST und fuhr in Richtung Düsseldorf, um pünktlich bei Herrn Theiner zu sein. Da ihre Tankuhr begann zu blinken, lenkte sie ihren Dienstwagen auf die Abbiegespur einer Tankstelle.



    Volker und Harald Krewitz hatten eine Bank überfallen und waren auf der Flucht in einem geklauten Wagen. Auf die Tankuhr hatten sie nicht geachtet, die bereits den roten Bereich der Reserve erreicht hatte. Sie hielten an derselben Tankstelle wie Kim Krüger, betankten auch ihren Wagen, als in diesem Moment über Funk gut hörbar der Fahndungsaufruf nach ihnen kam, die Beschreibung der Personen und des Fluchtwagens waren eindeutig. Kim Krüger reagierte auf den Funkspruch, meldete sich und wollte gerade ihre Position durchgeben, als sie eine Waffe an ihrem Hals verspürte. »Na, gute Frau, das wollen wir doch lieber lassen«, drohte Volker Krewitz, »Aussteigen und mitkommen! Mit einer Polizeigeisel haben wir gute Chancen zu entkommen, dann wagen die keinen Zugriff.« Sie zwangen Kim Krüger in ihren Wagen. Über Funk sprach jetzt die Zentrale ins Leere. Cobra 1 für Zentrale, Frau Krüger, sind Sie noch da, was ist passiert?«


    Aber es meldete sich keine Frau Krüger, stattdessen ein erschrockener, aber zur Mithilfe entschlossener Passant. »Hallo? Polizei? Hier ist eine Frau entführt worden, die Täter fliehen mit ihr auf der Autobahn in Richtung Düsseldorf.« Aus dem Gespräch heraus, konnte die Zentrale genug Informationen sammeln, um zu handeln. »Cobra 11 für Zentrale?«



    Semir und Alex brauchten sich mit ihrem Dienstwagen nur auf die Ausfahrt ihres Rastplatzes zu stellen, bis der beschriebene Wagen vorbei kam, und hängten sich gleich an die mit ihrer Chefin fliehenden Bankräuber ...


    Ende

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

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