Still ruht der See

  • 23. Es brennt!


    Das Feuer breitete sich rasch aus. Als sich die Seitenwände eines Oberschranks der Küche in der Hitze verformten, krachte das Geschirr mit lautem Getöse auf Ablage, Spüle und Fußboden, und Ben saß senkrecht im Bett. Er sah den Feuerschein durch den Schlitz, den die angelehnte Tür bildete und roch jetzt auch Rauch. „ES BRENNT!“, rief er und weckte Ayda damit auf, die sich verwundert umsah. „Ayda! Es brennt, wir müssen hier raus!“ Ayda wusste noch gar nicht, wie ihr geschah, als Ben sie aus ihrem Bett riss. Er öffnete die Zimmertür und sah sich auf der rechten Seite, wo die Treppe ins Untergeschoss führte, einer lodernden Feuerwand gegenüber. „Los, nach links, ins Bad. Wir müssen durch das Fenster!“ Ben schob Ayda schnell in den gefliesten Raum, hier würde wenigstens der Fußboden länger dem Feuer standhalten können, dann stürmte er geradeaus in das Schlafzimmer von Andrea und Semir und holte auch seine Freunde aus dem Tiefschlaf. „ES BRENNT! Semir, Andrea! Schnell, Raus hier!“ Semir war sofort hellwach, als er Bens Stimme hörte und auch Andrea erfasste die Situation umgehend.


    Bald standen sie alle im Schlafanzug und Nachthemden bekleidet in dem kleinen Badezimmer des Ferienhauses. „Tür zu!“, befahl Semir, bevor er das Fenster öffnete. Was Frischluftzufuhr für ein Feuer bedeutete, war ihm sehr wohl bewusst. „Hier ist der Schuppen direkt unter dem Fenster“, sagte Semir, als er runter sah, „Ben, geh du zuerst, ich reiche dir dann Ayda und Andrea runter und komme zuletzt. Es gab keine Diskussion, so stieg Ben auf die schmale Fensterbank und ließ sich rückwärts nach draußen, bis er an ausgestreckten Armen an der Fensteröffnung hing. Er ließ los und sprang den restlichen knappen Meter auf das Schuppendach. Als nächstes kam Ayda. Semir vergewisserte sich, dass Ben bereit war, hob dann seine Tochter auf das Fensterbrett. „Ich halte dich fest, bis Ben dich hat, ja? Hab keine Angst!“ Ayda sah ihn nur mit großen Augen an. Sie war noch so geschockt, dass sie nur nickte. Dann hielt Semir sie an den Handgelenken und beugte sich soweit aus dem Fenster, dass Ben die Beine zu fassen bekam und kurz Bescheid gab. „Lass los, Semir, ich hab sie.“ Andrea erreichte das Schuppendach auf denselben Weg.


    Während Ben schon die nächste Stufe für Ayda und Andrea, nämlich vom Schuppendach auf das daneben geparkte Auto, in Angriff nahm, kam jetzt auch Semir durch das Fenster gestiegen. Gerade als er sich an die Fensteröffnung hängen wollte, erschütterte die Detonation der Gasflasche, die in der Küche an den Herd angeschlossen war, das Ferienhaus, so dass Semir seinen Halt verlor und unsanft auf dem Rücken auf dem Schuppendach landete. „Semir? Bist du okay?“ Ben hatte den Sturz vom Rand des Schuppendachs beobachtet. „Ich - glaube - ja“, erhielt er eine stockende Antwort. Nachdem Ben Andrea und Ayda auf das Autodach geholfen hatten, von wo sie selbstständig auf den Rasen rutschen konnten, lief er zurück zu Semir, der noch immer etwas benommen auf dem Dach lag, sich nun aber begann langsam aufzurappeln. „Semir, wir müssen hier runter, der Schuppen brennt auch schon.“ Er half seinem Freund auf die Beine. „Das sah bei dir auch schon mal besser aus“, konnte Ben sich nicht verkneifen zu frotzeln, erhielt aber nur ein gequältes Grinsen als Reaktion. Sie gelangten ebenfalls übers Autodach in Sicherheit.


    Als alle vier auf dem Rasen schweigend beieinander saßen und langsam wieder zu Atem kamen, waren auch schon die Sirenen der eintreffenden Feuerwehr zu hören, welche wohl ein wachgewordener Nachbar verständigt hatte.


    ***


    Uwe, Jörg und Werner indessen waren bereits über alle Berge, nachdem sie gesehen hatten, dass das Ferienhaus ein Raub der Flammen werden dürfte, welches hoffentlich auch ihre Augenzeugen verschlingen würde.

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • 24. Nach dem Brand


    „Semir, ich möchte, dass wir nach Hause fahren.“ Andrea saß mit Ayda auf dem Schoß auf einer Bank in der Rezeption der Ferienhaussiedlung, sie hatte sich und ihre Tochter zusammen in eine Wolldecke gehüllt. Semir und Ben saßen auf zwei Stühlen am Tisch und versuchten zu begreifen, was geschehen war.


    „Das werden wir auch, Andrea, sobald wir mit der Polizei gesprochen haben“, sagte Semir mit Blick auf seine Frau und seine Tochter, dann sah er erneut aus dem Fenster, „Wie lange brauchen die denn noch?“ Die Feuerwehr war noch mit dem Löschen des abgebrannten Ferienhauses beschäftigt. Die Polizei war noch nicht eingetroffen, sie musste um diese Uhrzeit aus der nächstgrößeren Stadt gerufen werden und war noch unterwegs.


    Der Vermieter der Ferienhäuser betrat jetzt den kleinen Raum mit einem Berg Klamotten, Trainingshosen, T-Shirts und Sweat-Shirts. „Hier, das dürfen Sie gerne anziehen, von meiner Frau, meiner Tochter und mir. Dann brauchen Sie nicht in ihrem Nachtzeug und Wolldecken hier zu warten“, bot er an. „Oh, das ist sehr nett von Ihnen“, bedankte sich Ben, aber niemand machte Anstalten, ihm den Stapel abzunehmen. So legte er ihn auf dem Tisch ab. Semir blickte nicht mal auf, er hatte seine Ellenbogen auf den Tisch gestützt, seinen Kopf in seine Hände vergraben und blickte auf die Tischplatte, so sehr überlegte er, was zu unternehmen war. „Ich glaube, ich werde mal eine große Kanne Kaffee kochen. Sie sehen aus, als könnten sie einen gebrauchen.“ - „Danke, da haben Sie recht“, wieder war es Ben, der sprach, und der Verwalter wandte sich zum Gehen. „Was willst du jetzt machen, Semir?“, fragte er seinen Freund, „Semir?“, setzte er nach, als von dem Angesprochenen keine Reaktion kam. Der blickte jetzt auf. „Das war verdammt knapp diesmal, oder? Wenn du nicht aufgewacht wärst, dann …“ – „Bin ich aber, jetzt zermartere dir darüber nicht den Kopf. Wir sollten jetzt die nächsten Schritte überlegen. Was willst du tun?“


    „Ich weiß es nicht, Ben“, sagte er leise, „woher wussten die, dass wir in diesem Ferienhaus waren? Sind sie uns gefolgt? Wissen Sie womöglich, dass wir jetzt hier drin sitzen? Die waren hinter den Bildern her, oder? Und jetzt haben sie die Bilder.“ - „Wir aber auch“, kam leise von Andrea.


    Semir und Ben drehten sich zugleich zu Andrea um. „Was sagst du da? Wie?“ - „Naja, als wir uns die Bilder angesehen haben, da habe ich sie gleich auf unsere Foto-Cloud geladen, und da kommen wir von überall ran. Die ist im Internet“ Ben und Semir blickten sich an und kamen gleichzeitig auf die Idee. „Hartmut!“ - „Ich brauche ein Telefon.“ In Semir war wieder Leben gekommen. Er sprang auf, warf die Wolldecke von sich und suchte sich in dem Berg an Wäsche eine Trainingshose und ein Sweat-Shirt raus, welche er schnell überzog. Dann machte er zwei schnelle Schritte zu Andrea, gab ihr einen Kuss „Andrea, du bist genial, was täten wir nur ohne dich?“ - „Ich weiß ja nicht, was ihr tätet, aber ich weiß, was ich ohne euch täte. Zum Beispiel einen schönen ruhigen Urlaub verbringen.“ – „Das werden wir, wenn das alles vorbei ist, versprochen.“

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  • 25. Start der Ermittlungen


    Semir wandte sich jetzt dem Ferienhausverwalter zu, der gerade den Raum mit einer großen Kanne Kaffee, einer Flasche Milch und vier Bechern betrat. „Kann ich Ihr Telefon mal benutzen?“, fragte er. „Sicher. Ist dort hinter dem Empfangstresen.“ - „Danke!“


    Semir ging in den Empfangsbereich, blickte auf seine Uhr, murmelte „Ausschlafen wird auch überbewertet“, nahm entschlossen den Hörer ab und wählte die Rufnummer der KTU. Nach viermaligen Klingeln wurde der Anruf auf Hartmuts Privatanschluss umgeleitet und ein schlaftrunkener Hartmut meldete sich. „Freund.“ - „Hartmut, Pass auf, du musst uns helfen!“ - „Wer ist denn da überhaupt? Semir, bist du das?“ Langsam wurde Hartmut wach. „Hast du nicht Urlaub? Hast du mal auf die Uhr gesehen? Es ist noch nicht einmal halb fünf“ - „Darauf kann ich jetzt leider keine Rücksicht nehmen. Pass auf, Ben und Ayda haben etwas fotografiert, was sie nicht hätten sehen sollen. Wir konnten die Bilder retten und auf einen Server im Internet speichern. Du musst sie für uns ansehen und auswerten. Wegen des Zugangs gebe ich dir mal Andrea, ich kenne mich da nicht so aus. Mach deinen Rechner an!“ Während der letzten Sätze ging Semir mit dem Telefon zu Andrea und übergab ihr das Gerät. „Hartmut? Bist du schon am Rechner? - Das ist gut. Die Adresse ist http://www.fotocloud24.net“ - „Einen Moment noch, Andrea, der PC fährt noch hoch. So jetzt bin ich soweit. Wie war das?“ - „http://www.fotocloud24.net“ - „Okay, jetzt will er Kennung und Passwort wissen.“ - „Meine Kennung ist Andrea Unterstrich Gerkan“ - „Ja, und das Passwort?“ - „Das Passwort ist geheimforyou“ - „Andrea, mir musst du das Passwort schon sagen, auch wenn es geheim ist.“ - „Das habe ich doch. 'geheim4u'“, sie buchstabierte es, „g-e-h-e-i-m-4-u“ - „Das ist schlau“, sagte Hartmut, „ich bin jetzt drin.“ - „Dann gebe ich dir Semir wieder, auf Wiederhören Hartmut.“ Sie gab das Telefon ihrem Mann zurück.


    „Hartmut, wichtig sind die letzten Bilder, die mit dem Boot und den drei Männern, die musst du vergrößern und auswerten, ob wir sie in unserem Computer haben. Kannst du das gleich machen?“ - „Ich fahre sofort in die KTU und mache mich an die Arbeit. Kann ich dich unter dieser Nummer erreichen?“ - „Vorerst ja. Danke, Hartmut! Ciao.“ Er drehte sich wieder um wollte gerade zu Andrea und Ayda gehen, als von draußen ein großes Getöse klang, das alle im Raum schlagartig zum Fenster blicken ließ. Die Feuerwehr hatte beschlossen, die Reste des Ferienhauses einzureißen, um das Feuer restlos löschen zu können. Auch der Wagen war mittlerweile ausgebrannt, Bens Auto, das etwas weiter abseits stand, konnte noch rechtzeitig zur Seite gezogen werden und kam daher mit einem Lackschaden davon.


    Ayda war aufgestanden und schaute direkt auf die Löscharbeiten. Semir trat hinter seine Tochter und umarmte sie. „Alles weg“, flüsterte sie, „unsere ganzen Sachen.“ Semir hob sie hoch und setzte sie auf das Fensterbrett. „Hey Ayda, das sind doch nur Dinge, die können wir alle ersetzen. Wichtig ist doch, dass es uns gut geht und euch nichts passiert ist.“ Er schloss sie in die Arme und sah über ihre Schultern, dass draußen die Polizei vorfuhr und ein einzelner uniformierter Mann aus dem Streifenwagen stieg.
    „Fahren wir denn jetzt nach Hause?“, fragte Ayda weiter. „Ja, sobald wir dem Polizisten alles erzählt haben, werden wir nach Hause fahren“, bestätigte ihr Semir. „Hattest du deinen Autoschlüssel im Ferienhaus, Ben?“ - „Nein, der ist in meinem Rucksack - Semir, wir müssen noch die Sachen vom Zeltplatz holen“ - „Die Polizei ist da, vielleicht solltet ihr euch auch etwas überziehen?“ ein Streifenwagen hielt vor der Rezeption an.


    „Guten Morgen“, begrüßte sie der uniformierte Beamte, der jetzt den Raum betrat, mit dunkler Stimme, „ich bin Oberkommissar Lothar Dammann von der Polizei in Simmerath, sind sie die Bewohner des Ferienhauses?“ Er war eine imposante Erscheinung, etwa 1,90m groß, kräftig gebaut, mit einer Neigung zum Übergewicht, aber noch sportlich zu nennen.„Ja“, antwortete Semir, „Semir Gerkan mein Name, meine Frau Andrea und unsere Tochter Ayda. Und das ist unser Freund Ben Jäger.“ - „Dann erzählen Sie mir doch bitte genau, was geschehen ist.“

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  • 26. Lothar Dammann


    „Ben, am besten fängst du an“, forderte Semir seinen Freund auf. „Okay, also ich bin der Patenonkel von Ayda“, Ben wies auf das immer noch auf der Fensterbank sitzende Mädchen, „und wir habe drüben auf dem Zeltplatz gezeltet, während ihre Eltern hier das Ferienhaus angemietet hatten. Gestern Mittag dann ….“


    Und Ben erzählte Lothar Dammann ausführlich von ihrer Beobachtung, der Entführung, ihrer Flucht, der Verfolgung durch den Wald, das Wiedersehen mit Semir und Andrea und dem nächtlichen Brandanschlag.


    „Und die Bilder haben Sie?“, fragte der Uniformierte. „Ja“, ergriff nun Semir das Wort, „ich habe sie schon einem Kollegen in der KTU zugänglich gemacht. Er wird sie vergrößern und auswerten.“ – „Kollege?“ – „Ja, ich bin bei der Autobahnpolizei, Kripo Autobahn genauer gesagt. Und Herr Freund wird die Kerle identifizieren, falls sie bei uns gespeichert sind.“ – „Ich muss Sie aber darauf hinweisen, Herr Gerkan, dass Ihre Zuständigkeit in diesem Fall nicht gegeben ist“, belehrte der Uniformierte Semir. „Aber Herr Dammann, da meine Familie persönlich betroffen ist, werde …“ – „werde ich Sie“, fiel Lothar Dammann ihm ins Wort, „nicht von Ihren Ermittlungen abhalten können, das ist mir durchaus bewusst, und ich kann es auch sehr gut nachvollziehen. Aber ich muss Sie bitten, mich ständig über Ihre Ergebnisse in Kenntnis zu setzen, damit wir wenigstens nach außen hin den Anschein erwecken, die örtliche Zuständigkeit meiner Dienststelle nicht zu untergraben. Verstehen wir uns?“ Semir sah den kräftigen, dunkelhaarigen Oberkommissar schmunzelnd an. Sie hatten sich verstanden. „Aber sicher“, bekräftigte er daher die Abmachung. „Dann gebe ich Ihnen mal die Mail-Adresse, an die Herr Freund seine Ergebnisse schicken kann. Wir brauchen hier nur noch einen PC mit Internet-Anschluss.“ Er reichte Semir eine seiner Visitenkarten, die er in der Innentasche seiner Uniform aufbewahrte.


    „Hinter dem Empfangstresen steht ein PC, ich werde den Verwalter holen, der kann uns vielleicht helfen“, schlug Ben vor und verließ die Rezeption auf der Suche nach dem Vermieter der Ferienhäuser. Er fand ihn draußen, wo er sich den Verlauf der Löscharbeiten ansah. „Können Sie uns den PC starten und eine Internet-Verbindung herstellen? Und können Sie mir vielleicht ein Auto leihen? Ich würde gerne mein Zelt drüben abbauen und die Sachen herbringen.“ – „Das geht los“, antwortete der hilfsbereite Ferienhausvermieter, „kommen Sie!“, forderte er Ben auf und marschierte in Richtung Rezeption. Er schaltete den PC an, gab sein Passwort ein und den Rechner für die Polizisten frei. Dann nahm er einen Autoschlüssel aus der Schreibtischschublade und überreichte ihn Ben. „Es ist der blaue Audi A4 hier hinterm Haus“, erläuterte er. Ben sah in Semirs fragendes Gesicht, erklärte ihm: „Ich hole unsere Sachen vom Zeltplatz“ und verschwand.


    Jetzt hieß es Warten. Warten auf den Anruf von Hartmut, warten auf dessen Ergebnisse, warten auf Ben. Semir rief bei Hartmut an, der mittlerweile in der KTU damit beschäftigt war, die Bilder über eine Gesichtserkennungssoftware laufen zu lassen. Die vergrößerten Aufnahmen würde er gleich an die E-Mail-Adresse schicken, die Semir ihm von der Visitenkarte des Oberkommissars aus Simmerath vorgetragen hatte.

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  • 27. Nachbarin


    Karin Müller betrat das Haus der Gerkans um 7:30 Uhr. Sie war von Andrea gebeten worden, ab und an nach dem Rechten zu sehen und die Blumen zu gießen. Ihr fiel bei geöffneter Haustür bereits ein gewisser Durchzug auf, sie konnte sich aber nicht daran erinnern, ein Fenster geöffnet gelassen zu haben. So führte sie ihr erster Weg ins Wohnzimmer, wo sie auf die kaputte Terrassentür starrte. Sie blickte sich um, konnte aber keine Einbruchspuren erkennen, nichts schien durchwühlt worden zu sein. „Merkwürdig“, wunderte sie sich, „das muss ich gleich Andrea melden“. Sie ging in den Flur, nahm das Telefon von der Station und wählte die Handynummer, die Andrea ihr bei der Schlüsselübergabe aufgeschrieben hatte. Doch weder mit dieser, noch mit der zweiten Nummer, die Semir gehörte, hatte sie Erfolg.


    Sie hielt es aber für so wichtig, ihren Nachbarn mitzuteilen, dass allem Anschein nach jemand in ihrem Haus gewesen war, dass sie schließlich bei der Ferienhausvermietung anrief, dessen Nummer sie auf dem Ausdruck fand, der neben dem Telefon auf der Ablage lag. Bereits nach dem ersten Klingeln ging jemand ran. „Ja, Hartmut?“ – „Nein, mein Name ist Karin Müller, ich versuche meine Nachbarn zu erreichen, die bei Ihnen ein Ferienhaus gemietet haben. Ihr Name ist Gerkan, können Sie jemanden von ihnen an den Apparat holen, bitte?“ – „Karin? Was gibt es, hier ist Semir, was ist passiert?“ – „Semir? Was machst du in der Rezeption der Vermietung? Bei euch wurde offenbar eingebrochen, die Terrassentür ist eingeschlagen worden.“ – „Ist das Haus durchsucht worden?“ Auf diese Frage hin trat jetzt auch Andrea hinter den Empfangstresen. „Was? Was ist passiert?“, fragte sie aufgeregt. „Hier unten nicht, soll ich auch oben nachsehen?“, war die Nachbarin zu hören. „Nein, warte, geh aus dem Haus und warte. Ich sage den Kollegen Bescheid, kannst du da bleiben, bis sie eingetroffen sind?“ – „Ja, sicher, das mache ich.“ – „Ich danke dir, Karin.“ Er legte auf, sah Andrea ins Gesicht. „Bei uns wurde eingebrochen, Andrea“ – „Was denn noch, Semir? Entführung, Jagd, Einbruch, Brand, hängt das alles miteinander zusammen?“ – „Es muss.“ Semir nahm das Telefon wieder auf und wählte die Nummer der PAST, wo sich Dieter Bonrath meldete. „Autobahnpolizei, Bonrath“, meldete er sich. „Semir hier, Guten Morgen Dieter. Du musst mir einen Gefallen tun. Bei uns zuhause ist eingebrochen worden, könnt ihr euch das mal ansehen? Unsere Nachbarin wartet dort auf euch.“ – „Eingebrochen? Bei dir gibt es doch nichts zu holen. Aber ich mache mich auf den Weg.“ – „Das ist gut, und mach die Freisprecheinrichtung an, dann erkläre ich dir auf deinem Weg, was ich vermute.“


    Inzwischen kam Ben wieder vorgefahren, stellte den geliehenen Wagen neben sein eigenes Auto und lud die Camping-Sachen um. Dann brachte er den A4 wieder auf den Parkplatz hinters Haus und betrat die Rezeption. Er bemerkte gleich die Stimmungsänderung im Raum und schaute Semir fragend an. Dieser erläuterte ihm, was vorgefallen war. Ben nickte. „An Aydas Rucksack hing ihre Adresse, in eurem Haus fanden sie die Ferienhausadresse und dort uns“, kombinierte er zutreffend, „ihre Zufriedenheit wird aber nur solange andauern, wie sie glauben, wir wären verbrannt und sie sich sicher sein können, dass sie die Fotos haben und kein anderer.“

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  • 28. Auswertung Foto


    Hartmut hatte sich die Fotos aus der Foto-Cloud der Gerkans geladen und die Gesichter der drei Bootsinsassen vergrößert. Das Ergebnis war nicht berauschend, dafür waren die Originalaufnahmen zu klein, aber er versuchte trotzdem einen Abgleich der Datenbank der Polizei, der mehrere Stunden in Anspruch nahm, obwohl er die Menge der zu durchsuchenden Datensätze durch Bens Beschreibungen, insbesondere Körpergröße und anzunehmendes Gewicht betreffend, bereits deutlich eingeschränkt hatte. Leider verlief die Suche ohne Ergebnis. Hartmut musste davon ausgehen, dass die Männer nicht in der Datenbank gespeichert waren.


    Diese Feststellung teilte er Semir per Telefon mit und schickte sie auch dem Polizeioberkommissar Dammann nach Simmerath. Semir befand sich gerade mit seiner Familie und Ben auf der Rückfahrt nach Köln, die sie bald nach Bens Rückkehr vom Zeltplatz angetreten hatten. Ben hatte glücklicherweise noch sein altes Handy im Handschuhfach seines Wagens liegen und dieses jetzt an den Zigarettenanzünder zum Aufladen angehängt, so dass Hartmut mit ihnen Kontakt aufnehmen konnte. Sie berieten, was sie unternehmen sollten und kamen zu dem Schluss, dass sie auf eine Veröffentlichung der Fotos zunächst verzichten sollten, damit die Täter überzeugt wären, dass nur sie die Aufnahmen hätten. Vielleicht wäre es sinnvoller, mit der Identität des Opfers zu beginnen. Vielleicht ließen sich die Täter darüber identifizieren. Allerdings würden diese sich bestimmt versichern, ob ihr Anschlag auf die Augenzeugen der Leichenentsorgung erfolgreich gewesen ist. Ein weiterer Anschlag musste unbedingt verhindert werden. Aus diesem Grund „bestellte“ Semir bei der Polizei ein Team, welches sein Haus bewachen soll, um weitere Übergriffe zu vermeiden.


    Als sie bei Gerkans Haus eintrafen, hatte das Team schon Stellung bezogen. Sie waren bereits von Hartmut mit Abzügen der Fotos versorgt worden. Ben bezog zunächst das Gästezimmer bei Semir und Andrea, weil sie es vorzogen, im Moment nicht getrennt zu sein.


    ***


    Währenddessen ließ Oberkommissar Dammann den See durchsuchen. Taucher der Polizei und der Feuerwehr waren im Einsatz, mehrere Boote fuhren hin und her. Am Ankerplatz wurde das Foto mit den herumliegenden Booten verglichen. Auf einem der Bilder, war am Bug eine römische IV zu erkennen, das deutete auf ein Leihboot hin. Der Inhaber des Angelbootverleihs bestätigte dann auch diese Vermutung, ja, am Montagvormittag hätte ein einzelner Mann, dieses Boot geliehen. Er erkannte Werner auf einem der Bilder als den Entleiher. Die anderen waren ihm unbekannt, Werner sei alleine da gewesen und mit dem Boot weggefahren.


    Die Polizei beschlagnahmte das Gefährt und ließ es in die KTU zu Hartmut bringen, um es auf Fingerabdrücke und DNA-Spuren untersuchen zu lassen.

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  • 29. Spuren


    „Das ist ja gehörig danebengegangen, so eine Scheiße!“, entrüstete sich Werner, „jetzt haben wir eine gescheiterte Geldübergabe, eine tote Geisel und zwei Augenzeugen, die wahrscheinlich schon geplaudert haben. Denn als ich heute Morgen am Ankerplatz vorbei gefahren bin, habe ich viel Polizei und Feuerwehr gesehen, Autos, Boote, auch der Tauchtrupp waren vor Ort. Wie lange wird es wohl dauern, bis sie Hauke finden? 1 Tag, 2 Tage?“ Uwe und Jörg erwiderten nichts darauf. „Wenn die Geldübergabe morgen klappt, verschwinden wir getrennt in drei unterschiedliche Richtungen. Sollte Hauke vorher gefunden und identifiziert werden, können wir die Geldübergabe knicken, keiner zahlt für einen Toten.“ – „Geldübergabe? Morgen? Willst du es etwa noch einmal versuchen?“, warf Uwe ein. „Willst du ohne Geld abhauen? Noch wird Hauke nur vermisst. Du rufst gleich bei Haukes Frau an. Gleicher Ort, Gleiche Zeit. Morgen Abend, also am Mittwoch. Und hofft, dass Hauke nicht vorher gefunden wird oder schon gefunden wurde“.


    ***


    Hartmut staunte nicht schlecht, als er die Fingerabdrücke vom Boot überprüfte. Auf seinem Monitor erschien das Gesicht von Werner Beyer, er erkannte sofort die Ähnlichkeit mit einem der Bootsfahrer auf Aydas Fotos. Warum hatte er ihn bei der Gesichtserkennung nicht gefunden? Schnell fand er das Problem. Er hatte die Datenmenge reduziert auf alle Männer ab einer Größe von 1,85m, bei Werner Beyer war 1,79m angegeben, ein klassischer Zahlendreher bei der Datenerfassung, Werner Beyer war bestimmt 1,97m groß. Hartmut notierte dieses und würde eine Änderung der Datei veranlassen, auf die er nur lesenden Zugriff hatte. Werner war polizeilich bekannt aufgrund mehrerer kleinerer Eigentums- und Betrugsdelikte. Er war vor vier Jahren zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden, seitdem polizeilich aber nicht wieder aufgefallen. Seine letzte Meldeadresse war der Sandweg 8 in Simmerath.


    Der zweite bekannte Fingerabdruck gehörte Ben Jäger. Auch hier stellte Hartmut einen Fehler in der Datei fest, laut den Daten war Ben noch immer im aktiven Polizeidienst. Auch hier machte er sich eine Notiz, die er an die zentrale Datenerfassung schicken würde. Dann strich er diese Notiz aber wieder durch. ‚Lass Ben doch wenigstens noch im Computer bei uns sein‘, dachte er sich.


    Alle weiteren Fingerabdrücke, es waren insgesamt 34 verschiedene Abdrücke und Teilabdrücke, ergaben kein Ergebnis. Aufgrund des guten Wetters war das Boot bestimmt jeden Tag mit anderen Passagieren auf dem Wasser des Mühlensees unterwegs.
    Hartmut rief gleich Semir an und teilte ihm das Ergebnis mit. Oberkommissar Dammann zu verständigen, daran dachte Hartmut nicht.


    ***


    Auf dem Mühlensee herrschte reges Treiben. Polizeitaucher durchsuchten systematisch den See, mehrere Boote begleiteten sie dabei. Der See barg einiges. Fahrräder, Kinderwagen, gesunkene Angelboote. Die Sicht unter Wasser war klar, es genügte, in einer Tiefe von knapp zehn Metern zu bleiben, um den Grund nach unnatürlichen Gegenständen absuchen zu können. Wonach sie suchten war den Tauchern bekannt. Einen etwa menschengroßen Jutesack, mittelbraun, eine Farbe, die sich auf dem sandigen Boden des Sees recht schwer abhob. So verlief die Suche am Dienstag auch erfolglos, wurde bei einbrechender Dunkelheit abgebrochen und am folgenden Morgen in gleicher Stärke fortgesetzt.


    Gegen 9:00 Uhr am Mittwoch gab eines der Boote ein Signal. Sie hatten etwas gefunden. Schnell fuhr ein Bergungsboot an die Stelle und ließ ein langes Seil ins Wasser, welches einer der Taucher mit zum Grund nahm, um es am Fundstück zu befestigen. Was wenig später ans Tageslicht kam, war ein schwerer Sack, beschwert mit – wie sich später beim Öffnen herausstellen sollte – Zement. Schnell wurde Oberkommissar Dammann an den See gerufen.

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  • 30. Anruf bei Semir


    Hinweis in eigener Sache:


    Ich habe gerade in meiner Geschichte einen logischen Fehler entdeckt, der lässt sich jetzt leider nicht mehr korrigieren, so ärgerlich es auch ist. Und zwar hat Hartmut im gestrigen Kapitel Semir die Identität von Werner genannt und im heutigen Kapitel wird die Kenntnis über diese Identität nicht mehr erwähnt. Die Ursache liegt darin, dass in einer vorherigen Fassung der Geschichte die Reihenfolge eine andere war. Also liebe Leser, seht es mir bitte nach und tut einfach so, als ob der Anruf von Hartmut noch nicht erfolgt wäre.
    Sorry. Yon


    „Herr Gerkan?“ – „Ja“ – „Hier Dammann von der Polizei in Simmerath. Guten Morgen. Sie wollten doch, dass ich Sie anrufe, wenn es Neuigkeiten gibt. Die gibt es. Unser Team hat vor zwei Stunden in dem See eine Leiche gefunden, die in einem Sack - mit Zement beschwert - versenkt war.“ – „Heißt das, die Typen, die meine Tochter und meinen Freund durch den Wald gejagt haben, sind Mörder?“ Semir betrachtete in Gedanken durch die Terrassentür Ayda und eine Freundin aus der Nachbarschaft beim Spielen am Schaukel- und Klettergerüst. Auf dem Grundstück gingen noch zwei Polizeibeamte hin und her, um Zugriffe auf die Augenzeugen rechtzeitig wahrzunehmen und abzuwehren. „Zunächst einmal …-sind Sie noch dran, Herr Gerkan?“ – „Ja, entschuldigen Sie, ich war etwas in Gedanken“ - „Zunächst einmal sind sie Leichenentsorger. Die Todesursache wird gerade in der Gerichtsmedizin ermittelt.“ – „Herr Dammann, Sie können mir doch nicht weismachen, dass jemand einen Toten in einem See entsorgt oder entsorgen lässt, wenn dieser an einer natürlichen Todesursache gestorben ist! Haben Sie schon was zur Identität des Toten?“ – „Nein, bislang noch nicht, wir habe Fotos angefertigt und Fingerabdrücke sowie DNA-Proben genommen, der Polizeicomputer warf allerdings keinen Treffer aus, die Vermisstenmeldungen der letzten Zeit gaben auch nichts her. Wir werden das Foto veröffentlichen, heute noch im Internet und morgen dann auch in der Presse. Vielleicht melden sich Verwandte oder Freunde.“ – „Das klingt nach einem guten Plan“, erwiderte Semir. So würde er die Sache auch angehen. „Was gedenken Sie hinsichtlich des Täterfotos zu unternehmen?“ – „Wegen der Täter wollte ich mit Ihnen etwas besprechen. Mir ist da eine Idee gekommen, da bräuchte ich Ihre Meinung. Ich bin mir sicher, wir würden die Täter verscheuchen, wenn wir das Foto veröffentlichen. Wir würden ihnen damit zeigen, dass wir die Bilder haben und sie sind klar darauf zu erkennen. Dann wären sie sicher über alle Berge, bevor sich die ersten bei uns melden, die sie erkannt haben.“ Da musste Semir ihm zustimmen.


    „Wenn wir in der Presse mitteilen würden, wir hätten keine Fotos, nur zwei Augenzeugen, die sich lediglich vage erinnern können, dazu ein eher schlechtes Phantombild, könnte das die Täter aus ihrem Loch locken, denn sie wären sicher daran interessiert, diese Augenzeugen aus dem Weg zu wissen, bevor deren Erinnerungen deutlicher werden. Wir würden natürlich Ihr Haus und die Wohnung von Herrn Jäger unter strenger Beobachtung stellen.“ – „Moment“, unterbrach Semir den Oberkommissar aus der Eifel, „das würde aber bedeuten, dass Ayda und Ben in größerer Gefahr wären als jetzt schon. Und unter Bewachung sind wir schon.“ Semir stand auf und ging im Zimmer auf und ab. Sein Blick wanderte von Andreas entsetztem Blick zur spielenden Ayda, und er sagte bestimmt: „Nein, Herr Dammann, das kann ich nicht riskieren.“


    Und nach einigen Atemzügen fügte er hinzu: „Wir müssen mit der Identität des Toten anfangen, vielleicht erkennen dann die Angehörigen oder Freunde auch jemanden auf dem Täterfoto. Wenn nicht, dann können wir es immer noch veröffentlichen.“

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  • 31. Internet


    Ihr erinnert euch noch an das erste Kapitel, in der ich euch die Bäckereifachverkäuferin Julia, sowie die Seniorin Emma Krause vorgestellt habe? Wer hätte damals gedacht, dass diese junge blonde Frau noch einmal in unserer Geschichte auftreten würde?


    „Wer kennt diesen Mann?“ Diese Schlagzeile fiel Julia sofort ins Auge, als sie in ihrer Mittagspause am Mittwoch kurz zuhause ihren Laptop hochfuhr und in ihr Mailprogramm wechselte, um nach ihrer neuesten Post zu schauen. Die Polizei in Simmerath bat um Mithilfe. Am Nachmittag war ein Toter im Mühlensee in der Eifel gefunden worden, der nicht identifiziert werden konnte. Julia betrachtete das Foto eingehend. Es gab kein Zweifel. Mit leeren Augen blickte ihr ehemaliger Schulkamerad Hauke Krause von ihrem Monitor auf sie herab.


    Mit zitternden Händen griff sie zum Telefon und wählte die Rufnummer der Polizei, die in dem kleinen Artikel angegeben war. „Polizeistation Simmerath, Meier, guten Tag“, meldete sich eine freundliche Stimme am anderen Ende. „Julia Stahnke hier. Ich kenne den toten Mann aus dem See.“ – „Sind Sie sicher? Können Sie uns den Namen nennen?“ – „ Ja, es ist Hauke Krause, er wohnt in der Blumenallee 45 hier in Simmerath. Er ist verheiratet. Oh Gott, die arme Frau“, stammelte sie. „Können wir auch Ihre Anschrift haben? Wir schicken gleich einen Streifenwagen zu Ihnen. Und unternehmen Sie bitte nichts, die Ehefrau werden wir informieren. Hören Sie? Es ist sehr wichtig, dass keiner erfährt, dass sie den Toten identifizieren können. Wo wohnen Sie?“ – „In der Hauptstraße 16, über der Bäckerei, der Eingang ist hinter dem Haus. Ich muss aber gleich wieder ins Geschäft. Warum ist es so wichtig?“ – „Das erklären wir Ihnen gleich persönlich. Es kommt ein Kollege vorbei.“


    „Sie hat ihn erkannt“, erklärte der Beamte nach Auflegen des Telefonhörers dem Oberkommissar Dammann, der neugierig am Schreibtisch seines Kollegen stand und dem Telefonat aufmerksam lauschte, „ein Hauke Krause aus Simmerath. Ich habe ihr deinen Besuch angekündigt, hier!“, er reichte ihm den Notizzettel mit der Anschrift von Julia. „Gut. Ich bin dann unterwegs. Wenn noch was sein sollte, kannst du mich auf dem Handy erreichen. Ich werde auch versuchen, die Angehörigen zu verständigen.“


    ***


    Dammann traf eine gute halbe Stunde später in der Bäckerei ein. „Guten Tag. Sind Sie Julia Stahnke?“ Diese nickte. „Oberkommissar Dammann, von der Polizei in Simmerath. Sie haben den Mann auf dem Foto erkannt? Kann ich Sie einen Moment sprechen?“ – „Ja, kommen Sie mit nach hinten, zurzeit ist gerade keine Kundschaft da. Kann ich Ihnen einen Kaffee anbieten?“ Dammann verneinte und trat hinter den Verkaufstresen und durch die offene Tür in die kleine Küche dahinter. Er nahm an dem Esstisch Platz und sein Notizbuch zur Hand. „Setzen Sie sich auch?“ Julia setzte sich so, dass sie die Ladentür immer im Auge hatte, um das Eintreffen von Kunden nicht zu verpassen. „Tut mir leid, ich bin heute alleine hier, und muss den Laden im Auge behalten.“ – „Kein Problem für mich. Sie sagten, der Mann wäre Hauke Krause hier aus Simmerath. Sind Sie sich da ganz sicher?“ – „Ja, ich kenne Hauke seit über zwanzig Jahren, wir sind zusammen zur Schule gegangen. Was ist ihm passiert?“ – „Ich darf aus ermittlungstechnischen Gründen keine Einzelheiten erzählen, nur so viel: Wir haben ihn heute früh tot aus dem Mühlensee in der Eifel geborgen. Die Todesursache steht noch nicht fest.“ – „Selbstmord?“ – „Das können wir definitiv ausschließen. Er ist verheiratet, sagten Sie meinem Kollegen am Telefon?“ – „Ja, seine Frau heißt Martina, weiß sie schon Bescheid?“ – „Nein, ich werde mich gleich auf den Weg zu ihr machen. Können Sie sich vorstellen, dass Hauke mit jemandem Streit hatte? Ärger, Geldprobleme vielleicht?“ – „Hauke?“, fragte Julia erstaunt, „der hatte bestimmt keine Geldprobleme, sonst wäre er doch zu seiner Großmutter gegangen, die hat Geld wie Heu.“ – „Wohnt die Großmutter auch hier im Ort?“, hakte Dammann nach. Zu oft spielte gerade bei Mord oder Totschlag Geld keine untergeordnete Rolle. „Ja, im Tulpenweg 8“, erhielt er zur Antwort. „Frau Stahnke“, erklärte Dammann, nachdem er sich die Information kurz notiert hatte, „bitte reden Sie mit niemanden über meinen Besuch hier. Es ist wichtig, dass wir zuerst unbeobachtet weiter ermitteln.“ Lothar Dammann veränderte seinen Ton und fügte hinzu: „Und jetzt packen Sie mir doch noch eine Ihrer Puddingschnecken ein, die haben mich eben schon so angelacht.“


    ***


    Dammann hatte sich gerade wieder in seinen Streifenwagen gesetzt und von der Puddingschnecke abgebissen, als sein Handy klingelte. „Dammann. Dr. Svensson, was gibt’s?“, meldete er sich, nachdem er den Bissen heruntergeschluckt hatte und den Gerichtsmediziner als Anrufer erkannte. „Herr Dammann, ich habe den Toten aus dem See untersucht. Er weist mehrere Knochenbrüche auf, u.a. einen Genickbruch, den ich als Todesursache vermute. Der Tod ist vor zwei bis drei Tagen eingetreten. Ach, und Hämatome an den Oberarmen lassen auf eine unsanfte Behandlung vor dem Tod schließen. Sie bekommen einen ausführlichen Bericht ins Büro.“ - „Danke Herr Svensson. Sturz mit Todesfolge? Unfall?“ – „Sie sind der Polizist, Herr Dammann, ich stelle nur die medizinischen Fakten fest. Und jetzt wünsche ich Ihnen noch einen guten Tag.“ Dammann erwiderte den Gruß, startete den Motor seines Streifenwagens und fuhr in die Blumenallee zu Martina Krause.


    Er hielt vor dem Mietshaus, in dem Martina und Hauke Krause wohnten. Er stellte den Motor ab und blieb noch einen Augenblick in seinem Wagen sitzen. An diesen Teil seines Jos, dem Überbringen schlechter Nachrichten insbesondere vom Tod eines Angehörigen, daran würde er sich nie gewöhnen.

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • 32. Schlechte Nachricht


    Erst einmal ausgestiegen, ging er zielstrebig zum Eingang, holte tief Luft und klingelte bei „M+H Krause“. Der Türsummer ertönte, ohne dass sich jemand über die Wechselsprechanlage nach dem Besucher erkundigt hätte. Im zweiten Stock war die Wohnungstür nur angelehnt, Lothar Dammann drückte sie auf. „Frau Krause?“, rief er in den Flur. Eine blasse, langhaarige Blondine kam im Flur auf ihn zu. „Ich hatte schon Ihren Wagen unten gesehen. Kommen Sie wegen Hauke? Haben Sie ihn gefunden? Geht es ihm gut? Oder…?“, sprudelten die Fragen aus ihrem Mund.


    „Frau Krause, können wir bitte drinnen weitersprechen?“ Dammann schloss die Wohnungstür hinter sich und folgte Martina Krause in die Wohnung. Sie nahmen am Wohnzimmertisch Platz. „Frau Krause, ich komme mit einer schlechten Nachricht. Wir haben Ihren Mann heute Morgen tot aus dem Mühlensee geborgen.“ – „Hauke? Tot? Das kann nicht sein, er sollte doch heute Nacht nach Hause kommen.“ – „Es tut mir sehr leid, aber wir sind uns sehr sicher, die Verkäuferin in der Bäckerei, Julia Stahnke, hat ihn auf einem Foto erkannt.“ – „Foto? Kann ich es sehen?“ Dammann überlegte erst, war sich dann aber sicher, dass es eigentlich in Ordnung sei. Identifizieren müsste sie ihren Mann sowieso noch. Er legte das Foto auf den Tisch. Martina genügte ein kurzer Blick. „O mein Gott, Hauke!“ Sie schlug ihre Hände vors Gesicht und blickte den Polizisten entsetzt an, welcher das Foto wieder einsteckte. „Ich … Ich fasse es nicht“, stammelte sie, „er sollte doch heute freikommen.“ – „Frau Krause, kann ich jemanden für sie anrufen, der sich in nächster Zeit um sie kümmert? Ihre Eltern vielleicht?“ – „Ich gehe zu meinen Eltern, sie wohnen in der nächsten Seitenstraße, danke.“ – „Was meinen sie mit freikommen? Haben Sie mir etwas zu erzählen? Sind Sie in der Lage dazu?“ – „Ja, das Reden hilft schon. Ich hätte gleich die Polizei verständigen sollen.“ – „Warum, Frau Krause?“, hakte der Oberkommissar nach, „Was ist passiert?“ Martina, die die letzten Minuten starr auf die Tischplatte gesehen hatte, wo bis eben das Foto lag, schaute ihn jetzt an und begann zu erzählen.


    „Hauke ist am Freitag nicht von seiner Arbeit nach Hause gekommen und war auch die ganze Nacht weg. Ich habe alle Freunde, Bekannte angerufen, bin den Weg abgelaufen, habe in die Gaststätten geguckt, habe sogar im Krankenhaus angerufen. Ich nahm mir vor, am Samstag zur Polizei zu gehen, wenn er nicht am Morgen auftauchte“ – „Was er nicht tat?“, unterbrach Dammann sie. „Ja, Moment. Es hätte ja sein können, dass er bei einem Kollegen war und dort versackt war und vergessen hatte, mich anzurufen. Deshalb wollte ich den Samstag abwarten. Am Samstag fand ich morgens einen Erpresserbrief, ich sollte am Abend mit zwei Millionen auf einen Parkplatz an der A57 kommen und diese dort in einen Papierkorb werfen. Aber es war ein Streifenwagen vor Ort, dann rief mich jemand an, beschimpfte mich, ich hätte die Polizei mitgebracht. Er blies die Geldübergabe ab. Sie würden sich wieder melden. Werner, ein Freund von Hauke hatte uns geraten, den Anweisungen der Entführer Folge zu leisten und keine Polizei hinzuzuziehen, und daran habe ich mich gehalten. Gestern haben sie sich wieder gemeldet und für heute eine neue Geldübergabe vereinbart. Am selben Platz, zur selben Zeit und keine Polizei.“ – „Frau Krause, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche, aber gestern war ihr Mann bereits seit 2 Tagen tot.“

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  • 33. Geld für einen Toten?


    „Die Entführer verlangen also Geld ohne je eine Gegenleistung erbringen zu können. Augenzeugen haben die Entführer auf dem See beobachtet und fotografiert. Darf ich Ihnen das Foto auch mal zeigen? Vielleicht erkennen Sie einen der Männer? Es ist nicht selten, dass Entführer aus dem näheren Umfeld des Opfers kommen.“ Martina Krause nickte nur, woraufhin Lothar Dammann die Vergrößerung eines der Fotos von Ayda auf den Tisch legte. Martina nahm es zur Hand. Sie wies auf den großen Mann in der Mitte, der am Ruder des Bootes saß. „Das ist Werner, der Freund, den ich gerade erwähnte. Dieser Schuft! Jetzt verstehe ich auch, wie er „zufällig“ vorbei kam, als ich den Erpresserbrief im Postkasten gefunden hatte, und warum er mir so sehr davon abriet, zur Polizei zu gehen.“ – „Werner, wie weiter?“ – „Werner Beyer. Ich suche Ihnen auch die Adresse raus.“ – „Das wäre sehr nett von Ihnen, würde uns einiges an Arbeit ersparen.“ Martina stand auf, ging zu einem kleinen Ablagetisch und kam mit einem Adressbuch wieder. „Beyer, Werner, Sandweg 8 hier im Ort.“ Dammann notierte sich diese Angabe. „Frau Krause, Frau Stahnke meinte, die Großmutter Ihres Mannes hätte viel Geld, haben Sie von ihr das Lösegeld bekommen?“ – „Ja“ – „Geben Sie es ihr zurück. Bevor Sie zu Ihren Eltern gehen, müsste ich noch ein Telefonat führen, mir schwebt vor, die Entführer heute bei der Geldübergabe festzunehmen. Das müsste ich aber erst mal organisieren. Aber keine Angst, Sie müssen nicht dahin. Aber eventuell brauchen wir Ihren Wagen.“ – „Kein Problem, Hauptsache, Sie kriegen die Schweine!“


    ***


    „Herr Gerkan, wir konnten den Toten identifizieren“, teilte Dammann Semir am Telefon mit, nachdem er bei Martina Krause in die Küche gegangen war und die Tür geschlossen hatte, „es handelt sich um Hauke Krause. Ich habe gerade seiner Witwe die Nachricht überbracht. Und sie hat einen der Täter erkannt, einen gewissen Werner …“ – „Beyer, Sandweg 8, Simmerath“, ergänzte Semir den Satz des uniformierten Polizisten. „Woher wissen Sie das?“ – „Ich habe heute die Ergebnisse der Fingerabdrücke vom Boot erhalten. Hat Herr Freund Sie nicht auch informiert? Werner Beyer ist auch der einzige, dessen Abdrücke gespeichert sind“ – „Nein, mich hat keiner angerufen. Ich habe Ihnen noch mehr zu sagen. Wir sollten uns bei Ihnen auf der Dienststelle treffen, denn Ihre Zuständigkeit ist ab heute gegeben. Sagen wir, in zweieinhalb Stunden?“ – „Sie machen mich neugierig, Herr Dammann, wir sehen uns in der PAST.“


    ***


    „Frau Krause, soll ich Sie zu Ihren Eltern bringen?“, fragte Dammann Martina Krause, die die Zeit während seines Telefonats regungslos auf dem Sofa sitzen geblieben war. „Das ist nicht nötig, es sind wirklich nur wenige hundert Meter zu gehen, ich gehe gleich rüber.“ – „Versprechen Sie mir das? Und wenn Ihnen noch etwas einfällt, hier ist meine Karte. Sie können mich jederzeit anrufen. Wie sind Sie zu erreichen?“ Der Oberkommissar nahm eine seiner Visitenkarten, schrieb noch seine private Telefonnummer auf die Rückseite und überreichte sie Martina. Diese nannte ihm ihre Rufnummer, die Dammann sich notierte. Dann verabschiedete er sich. „Ach noch was, würden Sie uns Ihren Wagen leihen, falls wir die „Geldübergabe““, er beschrieb die Anführungszeichen in der Luft mit den Zeige- und Mittelfingern beider Hände, „durchziehen wollen?“ – „Ja natürlich, rufen Sie mich vorher an, ich komme dann rüber und gebe Ihnen den Schlüssel.“

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  • 34. Planungen in der PAST


    Bevor Lothar Dammann die PAST erreichte, hatte Semir Zeit genug, bei seiner Chefin Kim Krüger seinen Urlaub offiziell zu unterbrechen und sie über die Geschehnisse der letzten zwei Tage in Kenntnis zu setzen, begonnen bei der Beobachtung von Ben und Ayda am Mühlensee, über deren Verfolgung im Wald, den Brandanschlag auf das Ferienhaus bis zum Fund und Identifizierung der Leiche und eines der Täter. Er schloss seine Erzählung gerade mit dem Anruf Dammanns vor etwa einer Stunde ab, als dieser von Susanne in Kims Büro geführt wurde. „Frau Krüger? Herr Dammann vom Polizeirevier Simmerath“, stellte Susanne den großen und kräftigen Kollegen aus der Eifel vor.


    Es gibt Menschen, die können durch ihr Auftreten und ihr Erscheinungsbild alleine einen Raum beherrschen. So einer war Lothar Dammann. Kim Krüger fand erst nach einigen Augenblicken die Sprache wieder. „Guten Tag, Herr Dammann“, Kim war aufgestanden und hielt dem Oberkommissar die Hand zur Begrüßung hin, die dieser ergriff und kräftig schüttelte, „nehmen Sie doch Platz. Semir Gerkan kennen Sie ja bereits.“ – „Allerdings“, antwortete der Uniformierte, begrüßte Semir ebenfalls per Handschlag „Hallo Herr Gerkan, wie geht es Ihrer Familie und Ihrem Freund?“ Er setzte sich auf einen freien Stuhl. „Danke, wie man’s nimmt. Wir haben uns unseren Urlaub etwas anders vorgestellt. Aber vielleicht erzählen Sie uns den Grund dieser Zusammenkunft? Was haben Sie herausgefunden und was haben wir damit zu tun?“, kam Semir gleich vom Smalltalk zum Thema.


    „Gerne. Ich war bei der Ehefrau des Toten, bei Martina Krause. Ihr Mann Hauke ist letzten Freitag Opfer einer Entführung geworden. Sie hat keine Polizei eingeschaltet, weil ein Freund ihr davon abriet, diesen Freund kennen wir auch mit Namen, es ist Werner Beyer, einer der Entführer. Während der Entführung starb Hauke Krause. Der Gerichtsmediziner gibt als Todesursache einen Genickbruch an und als Zeitpunkt den Sonntag. Ganz genau wollte er sich noch nicht festlegen, wir warten noch auf seinen Bericht.“ – „Ein Unfall während der Entführung?“, warf Semir ein. „Unfall, könnte aber auch Totschlag sein. Wir wissen es noch nicht“, fuhr Lothar Dammann fort, „Eine Geldübergabe am Samstag scheiterte, weil just in dem Moment eine Polizeistreife den Parkplatz kontrollierte und die Entführer dachten, sie wäre wegen ihnen dort.“ – „Welcher Parkplatz war das?“, fragte die Krüger nach. „Eichengrund an der A57. Es müssten welche von Ihren Beamten gewesen sein.“ – „Ich frag‘ mal nach“, schaltete sich Semir ein und verließ das Büro seiner Chefin. Dieter Bonrath und Jenny Dorn saßen an ihren Schreibtischen und machten sich gerade fertig für ihre Nachmittagsrunde. „Bonrath?“, fragte Semir den hochgewachsenen Polizisten, „habt ihr am Samstag den Parkplatz Eichengrund kontrolliert?“ – „Jeden an der A57 zwischen Köln-Nord und Kaarst, Semir“, gab dieser Auskunft, „Warum fragst du?“ – „Ist euch dort etwas aufgefallen? Irgendwelche Autos?“ – „Da muss ich kurz in den Bericht der Nachtschicht schauen, Moment.“ Bonrath suchte kurz in seinem PC nach dem Bericht. „Hier. Samstag, 22:05 Uhr, Eichengrund. Kontrolle eines roten Nissan Micra, mündliche Verwarnung wegen abgelaufener TÜV-Plakette. Sonst nichts.“- „Danke, Bonrath. Ihr habt dort eine Geldübergabe in einem Entführungsfall gestört.“


    Durch die offene Bürotür verfolgte Lothar Dammann das Gespräch und erblickte dabei auch Jenny. Ihm kam eine Idee. „Herr Gerkan?“, polterte seine Stimme vom Chefbüro durch das Großraumbüro hin zu dem Tisch, an dem Semir stand. „Ja?“ – „Können Sie Ihre Kollegin bitte kurz mitbringen?“ Jenny merkte, dass sie gemeint war und blickte Semir ratlos an. Dieser zuckte nur kurz mit den Schultern, woraufhin sie sich erhob und mit ihm zurück zu Kim Krüger ging. „Herr Dammann?“, sagte sie zu ihm, „es war wirklich nur eine Routinekontrolle. Uns ist nicht aufgefallen, dass dort eine Geldübergabe …“ – „Darum geht es nicht, Frau … wie war Ihr Name?“ – „Dorn, Jenny Dorn“ – „…Frau Dorn, niemand macht Ihnen einen Vorwurf. Setzen Sie sich kurz zu uns. Ich erkläre Ihnen gleich, warum ich Sie dazu geholt habe.“ Auch Bonrath war jetzt angelockt worden und das Büro der Chefin der Autobahnpolizei war gefüllt mit Kollegen, die alle gebannt den Worten des Oberkommissars lauschten.

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  • 35. Weitere Planungen


    Kim Krüger war regelrecht sprachlos. Lothar Dammann trat so selbstsicher auf, dass sie sich selbst eher wie eine Mitarbeiterin als wie die Chefin fühlte. Er verfügte ganz selbstverständlich über ihre Dienststelle und ihre Beamten. Kim wollte sich nicht die Leitung abnehmen lassen, war aber machtlos hinsichtlich des Auftretens des Simmerathers. Sie beschloss, ihn erst einmal ausreden zu lassen, sich aber spätestens bei der Einsatzplanung wieder einzuschalten.


    „Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, bei der Geldübergabe am Samstag. Wie gesagt, sie scheiterte. Dann hörte Martina Krause bis Dienstag – wohlbemerkt, da war ihr Mann bereits tot und lag auf dem Grund des Mühlensees – nichts wieder von den Entführern. Aber am Dienstag vereinbarten sie eine neue Geldübergabe und zwar für heute, 22:00 Uhr, ebenfalls auf dem Parkplatz Eichengrund. Ich gehe davon aus, dass es der beste Weg ist die Gangster zu schnappen, wenn wir diese Übergabe durchführen. Und da kommen Sie ins Spiel, Frau Dorn, Sie haben eine gewisse Ähnlichkeit mit Frau Krause, die aus verständlichen Gründen für die Aktion nicht zur Verfügung steht. Sie könnten mit deren Wagen zum Ort der Übergabe fahren und das Geld dort hinterlegen. Trotz abgelaufener TÜV-Plakette. Vorausgesetzt, Ihre Chefin hat nichts dagegen.“ Lothar Dammann blickte Kim Krüger fragend an. Diese nickte nachdenklich. Ihre Dienststelle war für den Eichengrund zuständig. Es hatte durchaus Hand und Fuß, was der Oberkommissar sagte. Also stimmte sie zu. „Okay, grundsätzlich habe ich nichts gegen den Einsatz von Frau Dorn. Aber wir sollten erst den gesamten Plan erörtern. Welches Geld wollen Sie übergeben, doch nicht das Echte, möchte ich vermuten?“ – „Tja, das ist noch eine offene Frage. Frau Krause wird ihren Mann nicht wiederbekommen, sie sollte die zwei Millionen nicht ein zweites Mal aufs Spiel setzen.“ Es entstand einen Augenblick Stille im Raum. Dann erinnerte sich Semir plötzlich an etwas. „Wir hatten doch vor etwa sechs Wochen diese Geldfälscherbande hochgenommen. Das beschlagnahmte Geld könnte noch in der Asservatenkammer liegen. Bonrath, frag‘ doch bitte dort mal nach.“ Bonrath ging mit langen Schritten zu seinem Schreibtisch und rief die Asservatenkammer an. Nach etwa zwei Minuten hatte er die Auskunft und signalisierte dieses den Wartenden durch einen nach oben ausgestreckten Daumen. „Das Falschgeld kann abgeholt werden“, sagte Bonrath beim Betreten von Kims Büro. „Okay, nachdem das geklärt wäre, Kollegen, wie wollen wir heute Abend vorgehen?“, forderte Krüger den Besucher und ihre Kollegen zur Ausarbeitung eines Plans auf.


    Die Planung nahm die nächsten zwei Stunden in Anspruch. Nach gründlicher Diskussion einigten sich die Beamten auf ihr Vorgehen für den Abend. Nachdem sich Bonrath und Jenny wieder ins Großraumbüro und Dammann in die Teeküche zurückgezogen hatten, rief Kim Krüger Semir noch einmal zurück. „Herr Gerkan, bedenken Sie, dass Sie persönlich in diesem Fall betroffen sind, ich sollte Sie eigentlich zurückhalten.“ – „Müssen Sie aber nicht, Frau Krüger?“ – „Denken Sie aber daran, sie sind Polizist!“ – „Ob Sie es glauben oder nicht, ich denke seit fast zwanzig Jahren an nichts anderes.“

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  • 36. Los geht‘s


    In der PAST war alles geklärt. Semir und Lothar Dammann, der sich vorher noch Zivilkleidung angezogen hatte, die er immer im Kofferraum des Streifenwagens mit sich führte, fuhren in Semirs Dienstwagen zum Parkplatz Eichengrund an der A57. Der Parkplatz schien auch ihnen ideal für ein solches Geschäft, dichtes Gebüsch sorgte dafür, dass er von der Autobahn nicht eingesehen werden konnte, er war dunkel und schien auch wenig benutzt. Ein Toilettenhäuschen, eine Tisch-Bank-Kombination und mehrere Papierkörbe bei den Stellplätzen. Sie berieten sich noch mit ihren beiden Kollegen, die sich im Gebüsch verstecken und jede Bewegung auf dem Parkplatz an Semir melden sollten. Dann fuhr Semir etwa 500m hinter den Parkplatz und stellte seinen Wagen entgegengesetzt zur Fahrtrichtung auf dem Standstreifen ab. Zum Zeitpunkt der Lösegeldübergabe, 22:00 Uhr war ja vereinbart, wäre der BMW wegen der Dunkelheit nicht erkennbar für jemanden, der den Parkplatz als Fahrtziel hätte. Sie würden, sobald Jenny das Geld hinterlegt haben würde, die Parkplatzausfahrt blockieren und die Entführer am Wegfahren hindern. Es war 21:00, als Semir den Motor ausstellte und das Warten begann.


    ***


    Auch Jenny wechselte von ihrer Uniform zu Zivilkleidung und nachdem sie in der Asservatenkammer das beschlagnahmte Falschgeld in zwei Koffern abgeholt hatte, fuhr sie mit ihrem Privatwagen zu Martina Krause. Schnell war sie mit einer Jacke von Martina und einer Schirmmütze ausgestattet. Keiner könnte die beiden Frauen in einem vorbeifahrenden Auto bei Dunkelheit eindeutig auseinander halten. Das Geld packten sie in die schwarze Reisetasche um, die Martina auch bei der ersten Geldübergabe verwendet hatte. Sie wartete noch bis 20:30 Uhr, verabschiedete sich von Frau Krause und verließ das Haus. Sie ging zielstrebig zum roten Nissan Micra und fuhr los mit dem Ziel der Geldübergabe. Auf dem Weg probierte sie schon die Funkverbindung zu Semir aus, was auch problemlos funktionierte. Um 21:55 lenkte Jenny den Kleinwagen auf die Abbiegespur zum Parkplatz Eichengrund an der A57.


    ***


    Uwe und Jörg brachen um 21:00 in Jörgs grauem Opel Omega Richtung Eichengrund auf.


    ***


    Werner Beyer blieb zunächst zuhause. Er würde sich auch diesmal nicht am Ort der Geldübergabe blicken lassen, um keinerlei Zusammentreffen mit Martina Krause zu riskieren. Aber er würde zum vereinbarten Treffpunkt kommen, dem Keller in dem Industriegebiet, welchen sie als Ausweichquartier für Hauke Krause vorgesehen hatten. Dort würden sie das Geld aufteilen und sich getrennt absetzen.


    ***


    Dieter Bonrath bezog mit Erik Johannsen ebenfalls in Zivilkleidung in Alex‘ Dienstwagen Position in der Nähe von Werner Beyers Haus. Sie behielten sowohl Wohnung als auch Hauseingang im Blick, weil sie aufgrund der Bekanntschaft Werners zum Opfer und dessen Familie vermuteten, dass er nicht zum Parkplatz fahren würde. Außerdem war Werner Beyer der einzige identifizierte Täter. Etwa gegen 21:45 Uhr tat sich was. Werner verließ das Haus und ging auf seinen Wagen, einem älteren Volvo zu. Als er um die nächste Hausecke bog, folgte ihm Bonrath in großem Abstand.


    Hatten sie an alles gedacht? Mehrere Polizisten in der Nähe des Papierkorbs, Jenny als Überbringerin des Geldes, Semir und Dammann als Unterstützung an der Parkplatzausfahrt und Werner Beyer unter Bewachung. Jetzt galt es nur, den richtigen Moment abzuwarten und zuzuschlagen. Oder?

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  • 37. Es ist soweit


    „Ich fahre jetzt auf den Parkplatz“, meldete Jenny, „kein anderes Auto hier, alles ruhig“, fügte sie noch hinzu, während sie auf den letzten Papierkorb zurollte. Sie brachte den roten Kleinwagen zum Stehen, ließ aber den Motor laufen. Dann stieg sie langsam aus, holte die Reisetasche vom Rücksitz und ging mit gesenktem Blick zum Papierkorb. Jenny wusste, dass Kollegen im Gebüsch lagen und bemühte sich, nicht mit den Augen in diese Richtung zu sehen, da sie nicht sicher sein konnte, ob die Entführer sie nicht schon in diesem Moment beobachteten.


    Aussteigen, die Tasche im Papierkorb versenken, wieder einsteigen – all das dauerte keine zwei Minuten. Dann saß Jenny wieder im Auto, legte den ersten Gang ein und meldete Semir: „Ich hab’s, ich fahre wieder los. Komme gleich an euch vorbei. Hier ist immer noch keiner zu sehen.“ – „Okay Jenny, dann fährst du bis zur nächsten Abfahrt und wartest dort auf nähere Anweisungen.“


    ***


    Zehn Minuten später fuhren Uwe und Jörg auf den Parkplatz „Eichengrund“ und näherten sich langsam den Papierkörben am Ende des Parkplatzes. „Sie kommen!“, flüsterte einer der Beamten im Gebüsch in sein Mikrofon und brachte Semir dazu, seinen Motor zu starten und mit ausgeschalteten Scheinwerfern auf der Standspur gegen die Fahrtrichtung Richtung Parkplatzausfahrt zu rollen.


    „Fahr durch! Hier sind Bullen!“, rief Uwe plötzlich und Jörg gab Vollgas. Es war eine unbeabsichtigte Bewegung im Gebüsch, als die Beamten sich bereit zum Zugriff machten, eine kleine Reflektion ihres Scheinwerferlichts, die jenen auf die Anwesenheit der versteckten Polizisten aufmerksam machte. Schon am See hatte diese Gabe und Reaktion zum Entdecken der Augenzeugen Ben und Ayda geführt, jetzt hatte sie das Scheitern der zweiten Geldübergabe zur Folge.
    Die entdeckten Polizisten blickten dem Wagen hinterher und konnten nur noch eine kurze Warnung an Semir durchgeben, dann kam diesem schon der graue Opel Omega mit hohem Tempo auf der Beschleunigungsspur entgegen. Semir blendete auf, um einem Crash zu entgehen, den Jörg durch eine hektische Lenkbewegung auf die rechte Fahrspur der Autobahn zu verhindern wusste. Mit unvermindert hoher Geschwindigkeit raste er davon. Semir führte eine 180°-Wendung durch und bemühte sich, den flüchtenden Wagen einzuholen. Er hatte Mühe, den Abstand zu verringern und Anschluss zu halten. „Was ist passiert?“, schrie er in sein Mikro. „Keine Ahnung“, kam kleinlaut zurück, „er hat einfach Vollgas gegeben.“ – „Wartet am Parkplatz, wir lassen euch abholen. Sichert das Geld. Wir verfolgen sie.“


    ***


    Uwe rief bei Werner an und erreichte ihn im Auto auf dem Weg zum Treffpunkt in dem ehemaligen Industriegelände. „Werner, es ist schiefgegangen, es waren Bullen vor Ort, und wir haben jetzt 2 Polizisten hinter uns.“ - „Wo seid ihr?“, fragte Werner, dem seine eigene Verfolgung noch nicht aufgefallen war. „Noch auf der A 57“ - „Fahrt am Rastplatz Nievenheim ab, der ist doch noch vor euch? Sonst dreht an der nächsten Ausfahrt um!“ - „Ja, haben wir verstanden, und dann?“, Uwe drehte sich immer wieder um und sah, dass Semir immer näher kam. Jörg gab bereits Vollgas, zum Glück war die Autobahn frei. „Dann über den Versorgungsweg Richtung Nievenheimer Seen, ich bin dort in etwa 10 Minuten und setze mich dann hinter eure Verfolger.“ - „Werner, wenn die Bullen auf dem Parkplatz waren, dann könnte es sein, dass sie auch dich unter Beobachtung haben, bist du sicher, dass du alleine unterwegs bist?“ Werner warf einen flüchtigen Blick in den Rückspiegel. Bonrath fuhr mit großem Abstand hinter ihm, auch als Werner zwei-, dreimal in kleinere Straßen abbog, folgte ihm der Wagen der Polizisten. Werner bemühte es, Bonrath abzuschütteln und schaffte es durch einige waghalsige Fahrmanöver in der Innenstadt von Dormagen.

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  • 38. Verfolgung


    Semir gab Vollgas und hatte den Opel Omega fast eingeholt, als dieser auf die Abbiegespur fuhr , um auf den Rastplatz Nievenheim zu fahren. Mit überhöhter Geschwindigkeit raste er über den Parkplatz, vorbei an für die Nachtruhe abgestellter LKW. Hinter dem Gasthof, vor dem um diese Uhrzeit wenig Fußgänger unterwegs waren, mündete der Wirtschafts- und Versorgungsweg. Diesen wählte Jörg für seine Flucht aus. Zulieferer und ortsansässige Gäste nutzten diesen Weg als Alternativzufahrt zum Gasthof. Der Weg war etwa eineinhalb Wagen breit. Begegneten sich dort zwei Fahrzeuge, waren beide gezwungen, mit jeweils einem Reifenpaar auf den Grünstreifen auszuweichen. Ein Überholen war so nicht möglich. Semir blieb nichts anderes übrig, als hinter Jörg herzufahren. „Der kennt sich aus. Er kennt diesen Weg genau. So kriegen wir ihn nicht“, sagte er schimpfend zu Lothar Dammann, „kannst du versuchen, auf seine Reifen zu schießen? Es ist unsere einzige Möglichkeit.“ Lothar schaute Semir prüfend an. 'Meinte der das ernst?', dachte er, aber Semirs Gesichtsausdruck sah nicht nach einem Scherz aus. Der Oberkommissar aus der Eifel ließ die Seitenscheibe herunter, zog seine Waffe und schoss auf den Wagen, traf zwar einmal den Kofferraum, den Reifen traf er jedoch nicht. „Semir!“, kam Bonraths Stimme aus dem Funkgerät, jegliche Funkdisziplin missachtend, „Wir haben ihn verloren. Werner hat uns abgehängt.“ - „Scheiße, muss denn heute alles schiefgehen?“, war die lautstarke Reaktion Semirs, ruhig antwortete er allerdings seinem Kollegen: „Bonrath, ist gut, wir werden ihn schon noch einfangen, wo seid ihr jetzt?“ - „In Dormagen. Ich habe keine Ahnung, welche Richtung er eingeschlagen hat.“ In dem Moment knallte es, Werner war mit seinem Volvo in den Kofferraum von Semirs Dienstwagen gefahren. Lothar Dammann verlor durch den Ruck seine Waffe, mit der er immer noch auf den Opel schoss, aus dem Seitenfenster. „Aber ich, er hat uns gefunden“, rief Semir, „Bonrath, ich melde mich!“


    ***


    Semir blickte in den Rückspiegel. „Mist!“, stieß er hervor. An der letzten Seitenstraße, ebenso schmal wie dieser Versorgungsweg, war Werner Beyer auf Jörg und Semir gestoßen und hatte sich hinter den BMW gesetzt. Er fuhr mit seinem schweren Volvo erneut auf seinen Vormann auf. „Hier nehmen Sie meine“, sagte Semir und reichte Lothar seine eigene Waffe. Er hatte alle Hände voll damit zu tun, den Wagen auf der Straße zu halten. Lothar drehte sich jetzt im Wagen um, und schoss durch das Rückfenster auf den Volvo von Werner Beyer. Dieser pendelte vom linken Straßenrand zum rechten und erschwerte so ein genaues Zielen. Lothar traf die Scheinwerfer, das Dach, landete aber keinen Treffer, der das Auto so stark schädigte, dass es ihnen nicht mehr folgen konnte. Wieder fuhr er ihnen hinten auf, während Jörg vorne auf die Bremse stieg. Jetzt fiel auch Dammann auch Semirs Waffe aus der Hand und in den hinteren Fußraum des BMW, unerreichbar für einen der beiden Polizisten. Semir und Lothar waren unbewaffnet und saßen eingeklemmt zwischen den beiden Autos in der Falle. Wie in einem Sandwich fuhren sie über die schmale Landstraße.


    ***


    Rechts von ihnen befand sich eine Böschung, die etwa 30m nahezu senkrecht in einen Fischteich führte. Sie war vor kurzem abgeholzt worden, so dass der Blick auf das Wasser frei war und der Untergrund mit Ästen und Baumwurzeln übersäht war. Das war auch Werner aufgefallen, und er lenkte jetzt seinen Wagen auf die linke Bankette, wie um zum Überholen anzusetzen. Da sich der BMW und der vorausfahrende Opel berührten, hatte Semir keinen Platz zum Ausweichen, bremsen hatte auch keinen Sinn, da der Volvo so dicht schräg hinter ihm fuhr.


    Semir wurde von Werner Beyer über den rechten Straßenrand auf die Böschung geschoben. Nachdem das rechte Reifenpaar des BMW in der Luft hing, machte sich der Wagen selbstständig und begann unaufhaltsam die Böschung hinab zu rutschen. „Wir fahren direkt ins Wasser! Wir müssen hier raus!“, rief Lothar und machte in seiner Panik seinen Gurt los. „Nein! Bleiben Sie sitzen, wir haben noch Zeit!“, schrie Semir zurück, dem ein feuchtes Bad im Auto nicht zum ersten Mal widerfuhr. Aber auch er löste seinen Gurt, als das Wasser immer näher kam. Da überrollte der Wagen eine Baumwurzel und wurde einen halben Meter in die Luft katapultiert. Semir wurde unsanft gegen das Lenkrad geschleudert, so dass ihm kurz die Luft wegblieb. Lothar stieß durch den Ruck mit seinem Kopf gegen die Windschutzscheibe und sackte bewusstlos in sich zusammen. Dann landete der BMW im Fischteich.


    Während der BMW mit den beiden Polizeibeamten unaufhaltsam und nicht manövrierfähig die steile Böschung hinabrutschte, um an dessen Ende in einem trüben morastigen Tümpel zu versinken, hielten oben auf der Straße Werner und Jörg ihre Wagen an und stellten die Motoren ab.

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  • 39. Ende einer Verfolgung


    Schnell drang Wasser in den BMW ein. Lothar Dammannhing bewusstlos in seinem Sitz. Semir versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Warum nur hatte er seinen Gurt so früh gelöst? Dazu wäre auch jetzt noch Zeit gewesen, denn die Fahrertür ließ sich gegen den Wasserdruck erst öffnen, als der Wasserstand im Auto nahezu das Wagendach erreicht hatte. Dann erst konnte er die Tür mit seinen Füßen auftreten. Aber durch die Karambolage mit dem Volvo, als dieser Semir von der Straße auf die Böschung geschoben hatte, war die Wagenseite so verbeult, dass dieses nur etwa bis zur Hälfte möglich war.


    Semir zwängte sich durch den Türspalt und versuchte, Lothar Dammann ebenfalls aus dem Wasser zu ziehen, aber da wurde er bereits von zwei starken Händen gepackt und nach oben gerissen. Der Fischteich war hier nicht tief. Das Dach des BMW lag etwa 20 cm unter der Wasseroberfläche. Werner Beyer stand im Wasser und zog Semir jetzt an sich heran und aufs Ufer zu. Dieser versuchte sich verzweifelt zu wehren, zappelte und trat gegen seinen Angreifer, aber das Wasser dämpfte seine Versuche so sehr ab, dass sein Angreifer nichts abbekam. Gegen den fast zwei Meter großen Hünen hatte er nicht die geringste Chance.


    Dessen Griff war gnadenlos fest und Semir gab seine Befreiungsversuche für einen Moment auf. „DAMMANN!“, schrie er in Richtung seines untergegangenen Dienstwagens, „wir müssen ihn aus dem Auto ziehen. Er ertrinkt doch! Lassen Sie mich los!“ Werner hatte Semir mittlerweile ans Ufer gezogen, der jetzt wieder versuchte, sich aus der Umklammerung zu winden, bis es Werner zu viel wurde und er den Hauptkommissar mit einem Handkantenschlag niederstreckte. Semir verlor für einen Augenblick das Bewusstsein, Zeit genug für Uwe und Jörg, ihn schnell in ihr Auto zu verfrachtenund zu fesseln.


    Sie überließen Lothar Dammann seinem Schicksal, verließen den Ort des versunkenen BMW und machten sich auf in ihr Versteck im alten Industriegebiet, denn die eigenen Wohnungen könnten der Polizei ja schon bekannt sein.


    Statt – wie geplant – Hauke Krause hier einzusperren, war jetzt Semir ihr unfreiwilliger Gast. Gefesselt an Händen und Füßen lag er auf dem Betonfußboden des fensterlosen Kellers unter der alten Fabrik und blickte seine Geiselnehmer wütend an.


    Mittlerweile war es Donnerstag früh, 1:30 Uhr.


    ***


    Werner schickte Uwe zum Angeln an den Fischteich. Er sollte den Weg im Auge behalten und sich melden, wenn der BMW gefunden wäre. Dann, so meinte Werner, wäre der richtige Zeitpunkt gekommen, sich bei Semirs Frau oder diesem Ben Jäger zu melden, um doch noch das Lösegeld zu erpressen.


    Die Nachtstunden verbrachte Semir, an den Füßen und den Händen gefesselt in diesem Kellerraum, bewacht durch Jörg und Werner, die auf alten Holzstühlen, die sie im Gebäude gefunden hatten, saßen und vor sich hin dösten. Er wusste nicht, ob er sitzen oder liegen sollte, denn sein Rücken schmerzte noch vom Aufprall auf das Schuppendach in Folge der Flucht aus dem brennenden Ferienhaus Dienstagnacht und sein Bauch und seine Brust vom Aufprall auf das Lenkrad vor wenigen Stunden. Jede Bewegung war nur unterSchmerzen durchzuführen. Schließlich entschied er sich dafür, flach auf dem Rücken zu liegen, und es gelang ihm sogar, zusammengezählt etwa drei Stunden zu schlafen.


    Immer wieder sah er das Gesicht von Lothar Dammann vor sich, des Kollegen aus der Eifel, den er gerade erst kennen- und doch schon schätzen gelernt hatte. Die Zusammenarbeit hatte funktioniert, war aber viel zu kurz. War er verheiratet? Hatte er vielleicht sogar Kinder? Semir wusste es nicht. Sie hatten bislang keine Zeit gefunden, privat miteinander zu reden. Und jetzt war es zu spät.


    Jetzt lag er sicher noch im BMW im Fischteich bei Nievenheim. Semir schwor sich, seinen Tod dem Entführer-Trio anzuhängen, ebenso wie die Entführung und den Tod von Hauke Krause. Er hätte ihn bestimmt rechtzeitig aus dem Auto ziehen können, da war er sich absolut sicher. Sein Ertrinken wäre vermeidbar gewesen.


    Seine Bewacher machten sich keine Mühe, ihre Gesichter vor ihm zu verbergen, Werner wusste, dass die Polizei ihn identifiziert hatte, wie war sonst die Bewachung vor seiner Haustür und die Verfolgung zu erklären? Und Uwe und Jörg waren durch die Fotos, die die Polizei hatte auch schon erkannt. Weshalb also die Tarnung? Wichtig war nur, so dachte Werner, dass sie nach der Geldübergabe schnell verschwanden und untertauchten, jeder mit seinem Anteil und jeder in eine andere Richtung. Lange würde der BMW nicht unter Wasser verborgen bleiben, denn tagsüber war der Weg recht stark frequentiert von Fußgängern und Radfahrern, denen die Spuren in der Böschung auffallen würden. Schaute man genau hin, konnte man unter Wasser sogar das silberne Dach des Dienstwagens erkennen.

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • 40. Aufregung


    Semir war die Nacht über nicht nach Hause gekommen. Das war an sich nicht so ungewöhnlich, als dass sich Andrea darüber Gedanken gemacht hätte. Gestern sollte um 22:00 Uhr eine Geldübergabe stattfinden, wahrscheinlich hatte diese und auch der Zugriff geklappt und die Vernehmungen der Entführer liefen noch. Sie hatte versucht, ihn am frühen Morgen zu erreichen, doch Semir war nicht ans Handy gegangen, Andrea ging davon aus, dass er es während der Befragung ausgestellt hatte. Semir würde sich schon melden. So deckte sie weiter den Frühstückstisch für Ben, Ayda und für sich.


    ***


    Kim Krüger und die Kollegen in der PAST haben den Rest der Nacht fieberhaft versucht, Semir zu finden. Dessen Handy war nicht zu orten. Der Funk anscheinend abgestellt. Sie warteten händeringend auf eine Meldung, entweder von Semir selber oder von einer der Streifenwagenbesatzungen, die unterwegs waren, um die Straßen und Wege im Umkreis des letzten bekannten Standorts nach Spuren abzusuchen, bislang ohne Ergebnis.


    Sie saß an ihrem Schreibtisch und grübelte, so bekam sie erst mit, dass Susanne ihr Büro betreten hatte, als diese ihr eine dampfende Tasse Kaffee vor ihre Tastatur stellte. Sie blickte ihrer Sekretärin ins Gesicht. "Danke, Susanne, den kann ich gut gebrauchen, gibt es draußen etwas neues?" - "Nein, Frau Krüger, die Kollegen drehen jeden Stein um, aber bisher? Nichts." - "Ich muss seine Frau anrufen, wir müssen ihr Bescheid sagen." - "Soll ich das machen? Andrea ist meine Freundin." Frau Krüger dachte kurz nach. Sie kannte Semirs Frau kaum, Susanne dagegen seit vielen Jahren. "Ja, das ist eine gute Idee. Sagen Sie ihr, ...ach sagen Sie ihr die Wahrheit, sie wird es ja doch erfahren. Danke, Susanne." Susanne verließ Kims Büro und ging wieder zurück an ihren eigenen Schreibtisch. Sie griff zum Telefonhörer.


    ***


    Ben wollte das klingelnde Telefon gerade Andrea reichen, als sein Blick den Namen auf dem Display registrierte. ‚PAST Susanne' stand drauf. Er entschloss sichselbst ranzugehen. Wenn die Dienststelle bei Andrea anrief und Semir es nicht selbst war, dann konnte wer weiß was passiert sein. Er hoffte, Susanne wollte nur ihre Freundin anrufen, um sich mit ihr zu unterhalten, aber morgens vor 9:00 Uhr? Ben versuchte seine aufkeimenden Sorgen herunterzuschlucken und meldete sich mit einem freundlichen "Bei Gerkan, Ben Jäger am Apparat, die Chefin des Hauses ist ...- Ja Susanne, ich höre, ...- ", Ben stand von seinem Stuhl auf und ging jetzt im Wohnzimmer auf und ab. "Sag das noch mal!" Jetzt war er sich Andreas Aufmerksamkeit sicher. Sie unterbrach das Füllen des Kaffeefilters und starrte Ben fragend an. "Wir sind gleich da", beendete Ben das Gespräch. "Das war Susanne", sagte er noch mit Blick auf das Telefon abwesend zu Andrea. "Ja, und? Ben, was hat Susanne gewollt? Nun sag schon!", forderte sie ihn auf, "Ist was mit Semir?" - "Wir sollen ins Büro kommen. Semir ist verschwunden." Andrea stand regungslos an der Küchenzeile gelehnt, ihr Blick ging ins Leere. "Andrea", Ben war jetzt neben Andrea getreten, legte ihr eine Hand auf ihren Oberarm "hast du gehört?" Andrea schüttelte ihren Kopf, als wollte sie einen furchtbaren Gedanken, ein schreckliches Bild zur Seite schieben. Dann sah sie Ben mit klarem Blick an: "Was heißt das, 'verschwunden'?" - "Sie haben den Kontakt zu ihm verloren."


    Andrea erwachte aus ihrer Schockstarre. Es kam wieder Leben in sie. "Ayda, Schatz, komm zieh dir etwas über. Wir müssen in Papas Büro." Ihre Tochter saß noch im Schlafanzug am Esstisch, schließlich waren Ferien. „Aber Ben hatte doch versprochen, mit mir ....", fing sie an zu widersprechen. "Das verschieben wir auf ... deine Ferien sind noch lang, Prinzessin", mischte sich Ben ein, "Jetzt los, anziehen." Ayda stand jetzt auf und ging die Treppe nach oben, um wenig später in Jeans und T-Shirt wieder in der Küche zu stehen. Ben teilte ihren Aufbruch noch kurz den wachhabenden Beamten mit, die das Grundstück im Auge behielten. Diese würden auch während ihrer Abwesenheit aufpassen, dass sich niemand dem Haus der Gerkans näherte.


    20 Minuten später betrat das Trio die PAST.


    ***


    Ben war schon länger nicht hier gewesen und begrüßte seine anwesenden ehemaligen Kollegen - es waren nicht viele anwesend, jeder, der im Büro entbehrlich war, beteiligte sich an der Suche nach Semir. Funksprüche kamen rein und wurden beantwortet. Auf Bens fragende Blicke, die er ab und zu in das Großraumbüro warf, erhielt er lediglich ein Kopfschütteln als Antwort. Zwischenzeitlich ging er in das Büro von der Krüger, um sich nach dem aktuellen Sachstand zu erkundigen.


    „Ob Semir seinen Funk abgestellt hat?“, stellte Kim Krüger eine mehr rhetorische Frage. „Das glaube ich nicht, er war doch im Einsatz und ist ein Profi. Da muss etwas anderes passiert sein.“ – „Mir fallen jetzt spontan drei Gründe ein, die die Handys der beiden und das Funkgerät im Auto so zerstören können, dass sie nicht zu orten sind: Rohe Gewalt, Feuer oder Wasser.“ Ben musste seiner ehemaligen Chefin Recht geben. „Wissen Sie, wo in etwa Semirs letzte Position war?“, fragte er nach. „Raststätte Nievenheim, das war um 22:32 Uhr. Aus Erfahrung weiß ich, dass er jede grobe Richtungsänderung durchgegeben hätte, er hat sich immer so alle 10-15 Minuten gemeldet, also gehe ich davon, aus, dass er in einem Radius von etwa 15 km rund um diesen Rastplatz verschwunden sein muss. Dort suchen wir verstärkt. Alle Teiche, Gräben, kleinste Wege, selbst Forstwege. Sämtliche Streifenwagenbesatzungen sind aufgefordert, ihre Augen offen zu halten und uns jede Spur zu melden. Wir können nur abwarten.“
    Andrea saß blass in der Teeküche, hielt sich an ihrer Kaffeetasse fest und starrte Löcher in die Luft. Sie lauschte nur mit halbem Ohr dem Treiben und den Gesprächen in der PAST. Ben setzte sich zu ihr an den Tisch und schenkte sich auch eine Tasse ein. Susanne hatte für Ayda einen Kakao gemacht und sich auch kurz zu ihrer Freundin gesetzt, dabei aber immer ihren Schreibtisch und das Telefon im Auge behaltend.


    ***


    Dann klingelte Bonraths Telefon.

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • 41. Aufgetaucht


    Ben saß mit Andrea, Ayda und Susanne in der Teeküche der PAST zusammen. Gemeinsam warteten sie auf Nachrichten. Sie waren von Kim Krüger auf den neuesten Stand der Suche gebracht worden und konnten jetzt nichts anderes tun, als abzuwarten. Sie sahen, wie Bonrath nach seinem Telefonat an der offenen Tür der Teeküche in Richtung Kims Büro vorbeiging und hörten, wie er zu seiner Chefin sagte: „Wir haben ihn.“


    Da kam Leben in die Dienststelle. Auf dem Rückweg zu seinem Tisch steckte Bonrath seinen Kopf in die Teeküche. "Der BMW ist in einem der Fischteiche gefunden worden." Andrea schreckte auf. "Und was ist mit Semir?" Aber Bonrath war schon wieder gegangen und nahm jetzt seine Jacke vom Stuhl. Da war aber Ben, der hinter ihm hergelaufen war, schon bei ihm und hielt ihn auf. "Dieter, wo?" - "Na, am kleinen Weg in Nievenheim." - "Und Semir?" - "Das weiß ich nicht, das Bergungsteam ist unterwegs, um den Wagen herauszuziehen, dann werden wir mehr wissen." Andrea war nun auch neben Ben getreten. "Ben, ich will dabei sein." - "Andrea, ich halte das für keine gute Idee. Du solltest hier warten." Ein Blick auf die Ehefrau seines besten Freundes sagte ihm aber, dass dieser Rat nicht zu ihr durchdrang. "Andrea", begann er erneut, gab dann aber auf, "okay, wir fahren hin. Wir fragen Susanne, ob Ayda hier bleiben kann, das sollte ja kein Problem sein." Ben sah zu Susanne rüber, die zustimmend nickte und sich Ayda widmete, um ihr zu erzählen, dass ihre Mutter sie für einen Moment alleine lassen würde. Die Reaktion ihrer Tochter wartete Andrea nicht ab. Sie wusste, dass Ayda hier gut aufgehoben war, und lief mit Ben zu seinem Wagen, um sich in Richtung Nievenheim zu begeben.


    ***


    An der Unglücksstelle waren die Bergungskräfte gerade damit beschäftigt, unter Wasser einen Haken an die Abschleppöse des BMW zu befestigen, an dessen Ende ein Stahlseil befestigt war, das anschließend von einem Kranwagen stramm gezogen wurde. Mit einem saugenden, glucksenden Geräusch löste sich der silberne Wagen aus dem Morast und wirbelte schlammige Unterwasserwolken auf. Andrea hielt sich an Ben fest und traute sich kaum zum Geschehen zu gucken, schaffte es aber auch nicht, wegzusehen. Bald hätten sie Gewissheit.


    Langsam kam Semirs zweites Wohnzimmer, sein BMW, an die Wasseroberfläche. Die Fahrertür war halb geöffnet, als das Auto nahezu senkrecht am Kran hing. Dann fiel plötzlich ein Arm durch die Öffnung nach draußen. Andrea schrie auf. "NEIN! Semir! ", und fiel in Bens Arm. Dieser war auch zuerst erschrocken, hatte dann aber an der Armbanduhr erkannt, dass es nicht Semir sein konnte. Aber ganz auszuschließen war es nicht, dass sein Freund auch noch im Wagen war. Und wenn nicht, wo war er dann?


    Der Wagen lag jetzt auf der Böschung, hinten und an der linken Seite war er arg zerbeult und zerschrammt, die Heckscheibe zerschossen. Zwei Feuerwehrmänner machten sich auf den schweren Weg zum Wagen. Sie mussten die Fahrertür mit Gewalt aufbrechen, um Lothar Dammann herauszuziehen, ein Anblick, der allen Anwesenden den Atem stocken ließ. Selbst auf dem Rasen hätte man in dem Moment die sprichwörtliche Stecknadel zu Boden fallen hören können.


    Andrea wurde von Ben zu Boden gelassen, sie konnte nicht länger stehen, Ben hockte sich vor sie hin und sagte leise: "Er ist nicht in dem Auto, Andrea." – „Aber wo ist er dann, Ben? Er steigt doch nicht aus und lässt seinen Kollegen im Auto ertrinken.“ – „Semir ist nicht freiwillig in den Teich gefahren“, meinte Ben leise und ließ seinen Blick über den verbeulten BMW gleiten.
    Die Feuerwehr fand noch Semirs Handy und seine Waffe im BMW und übergab sie einem uniformierten Polizisten. Ben und Andrea machten sich langsam auf den Rückweg zur PAST.


    ***


    Vom anderen Ufer aus, griff Uwe Kurz zu seinem Handy, um Werner Beyer anzurufen.

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

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