1. Forum
  2. 25-jähriges Jubiläum
    1. Einleitung
    2. Entstehungsgeschichte
    3. Interviews 1996
    4. Drehorte
    5. Titelmusik
    6. Faktencheck
  3. Episodenguide
    1. Staffel 01 (Frühjahr 1996)
      1. 001 Bomben bei Kilometer 92
      2. 002 Rote Rosen, schwarzer Tod
      3. 003 Der neue Partner
      4. 004 Mord und Totschlag
      5. 005 Tod bei Tempo 100
      6. 006 Der Alte und der Junge
      7. 007 Falsches Blaulicht
      8. 008 Der Samurai
      9. 009 Endstation für alle
    2. Staffel 02 (Frühjahr 1997)
      1. 010 Ausgesetzt
      2. 011 Kaltblütig
      3. 012 Shotgun
      4. 013 Notlandung
      5. 014 Das Attentat
      6. 015 Die verlorene Tochter
    3. Staffel 03 (Herbst 1997)
      1. 016 Crash
      2. 017 Generalprobe
      3. 018 Kindersorgen
      4. 019 Bremsversagen
      5. 020 Rache ist süß
      6. 021 Raubritter
    4. Staffel 04 (Frühjahr 1998)
      1. 022 Sonnenkinder
      2. 023 Tödlicher Ruhm
      3. 024 Volley Stop
      4. 025 Kurze Rast
      5. 026 Leichenwagen
      6. 027 Gift
      7. 028 Zwischen den Fronten
      8. 029 Schnäppchenjäger
      9. 030 Faule Äpfel
      10. 031 Schlag zu!
    5. Staffel 05 (Herbst 1998)
      1. 032 Ein Leopard läuft Amok
      2. 033 Die letzte Chance
      3. 034 Tödlicher Sand
      4. 035 Im Fadenkreuz
      5. 036 Im Nebel verschwunden
      6. 037 Die Anhalterin
      7. 038 Der tote Zeuge
      8. 039 Der Joker
    6. Staffel 06 (Frühjahr 1999)
      1. 040 Treibstoff
      2. 041 Tödliche Ladung
      3. 042 Brennender Ehrgeiz
      4. 043 Schattenkrieger
      5. 044 Taxi 541
      6. 045 Der Richter
      7. 046 Der Tod eines Jungen
      8. 047 Ein einsamer Sieg
  4. Fanclub
    1. Mitglieder
    2. Letzte Aktivitäten
    3. Benutzer online
    4. Mitgliedersuche
    5. Unterstütze uns
  5. Fantreffen
    1. Infos
    2. FAQ
    3. Berichte
    4. Teilnahmebedingungen
    5. Anmeldung
      1. Anmeldung
  6. Fanshop
    1. DVDs und Blu-rays
    2. DVD Specials
    3. Musik
    4. Games
  • Anmelden
  • Registrieren
  • Suche
Dieses Thema
  • Alles
  • Dieses Thema
  • Dieses Forum
  • Artikel
  • Seiten
  • Forum
  • Erweiterte Suche
  1. Alarm für Cobra 11 - Der offizielle Fanclub
  2. Fan Fictions
  3. Fan Fiction

Schlüsselerlebnis

    • Fertig gestellt
    • Yon
  • Yon
  • 25. Juli 2013 um 09:22
  • Yon
    Kriminaloberkommissarin
    Reaktionen
    308
    Beiträge
    3.013
    • 14. August 2013 um 09:07
    • #21

    Freitag, 01:00 Besuch

    Semir war wieder einmal auf dem Sofa eingeschlafen und hatte den halben Fernsehfilm verpasst. Nicht dass es schade um den Film gewesen wäre, aber die Zeit hätte er auch und viel besser in seinem Bett bei Andrea verbringen können. Seine Frau war schon vor zwei Stunden schlafen gegangen. Er schaltete den Fernseher aus und wollte sich gerade zur Treppe nach oben umdrehen, als es an der Tür klingelte.

    Semirs Uhr zeigte kurz nach ein Uhr an. ‚Wer kommt denn jetzt noch um diese Zeit?‘, dachte er auf dem Weg zur Eingangstür und öffnete sie. Auf dem Treppenabsatz stand sein Bruder Kemal. „Kemal?“, fragte er verwundert, „was machst du denn hier?“ Sie hatten sich seit eineinhalb Jahren nicht mehr gesehen, und jetzt stand er mitten in der Nacht vor seiner Tür. Semir war so erstaunt, dass er einige Augenblicke in der Tür stehen blieb und seinen Bruder anstarrte.

    „Semir, du musst mir helfen.“ Kemal schaute sich nervös um, er befürchtete, jemand hätte ihn doch verfolgen können und würde nun seinen Besuch beobachten, „ich habe Mist gebaut.“ Semir trat zur Seite. „Komm erst mal rein!“ Er ließ Kemal ins Wohnzimmer. „Möchtest du was trinken? Setz dich“ – „Danke, ein Wasser vielleicht.“ Semir ging in die Küche und fragte von dort: „Wie geht es deiner Frau und meinem Neffen?“ – „Halime ist mit Kerim in der Türkei bei ihren Eltern, deshalb kann ich mit dir sprechen, dort sind sie sicher.“

    Nachdem er zwei Gläser mit Mineralwasser gefüllt hatte, ging Semir zu ihm zurück ins Wohnzimmer. „Hier“, er überreichte seinem Bruder ein Glas und setzte sich zu ihm auf das Sofa. „Was meinst du mit ‚dort sind sie sicher‘? Bedroht euch jemand?“ – „Ja, das kann man wohl so sagen, und es ist alles meine Schuld, Semir, ich weiß einfach nicht mehr, was ich machen soll.“ – „Beginne doch einfach damit, mir alles zu erzählen.“ Er war schon sehr gespannt, welchen wichtigen Mist Kemal gebaut hatte, dass er deshalb ausgerechnet zu ihm gekommen war und noch dazu um diese Uhrzeit.

    Und Kemal begann zu reden:

    „Es begann vor zwei Jahren. Ich brauchte dringend Geld, das Geschäft lief nicht so gut, das Fenster war undicht, die Heizung hatte schlapp gemacht, eine Maschine musste ausgetauscht werden und noch so einiges. Die Bank wollte mir keinen Kredit mehr geben. Ich hatte keine Sicherheiten und meine Kreditwürdigkeit war herabgesetzt durch einen Schufa-Eintrag.“

    „Warum warst du nicht kreditwürdig?“, fragte Semir nach und bekam jetzt die Geschichte seines Neffen präsentiert, die ihn etwas an seine eigene Jugend erinnerte. Kerim hatte mit einem Kumpel einen teuren Wagen geknackt und auf einer Spazierfahrt zu Schrott gefahren.

    „Er ist quasi in die Fußstapfen seines Onkels getreten“, bemerkte Kemal. „Mit dem einen Unterschied, “, antwortete Semir, „dass er sich hat erwischen lassen“, lautete seine Reaktion darauf. Unter anderen Umständen hätten sie darüber gelacht, aber Kemal blieb sehr ernst. Er und der Vater des Freundes seines Sohnes hatten natürlich den Schaden zu ersetzen. Die monatlichen Abzahlungen würden ihn noch drei Jahre begleiten. „Einen weiteren Kredit von der Bank bekam ich somit nicht. Also suchte ich privat und fand Leo. Er lieh mir 15.000 Euro, in bar.“

    „Leo?“ Der Name war Semir am heutigen Tag so oft untergekommen, dass er einfach nachfragen musste, „Leonard Kunze?“ – „Den Nachnamen weiß ich nicht. Ich habe ihn persönlich nie kennengelernt, bis heute kenne ich nur den Namen Leo. Das Geld brachte Murat Yilmaz zu mir, und der holt auch die Raten bei mir ab. 400 Euro pro Monat. Zinsen natürlich höher als bei der Bank, ist ja klar. Aber noch akzeptabel. Das ging problemlos bis vor ein paar Monaten. Und mein Laden lief nach der Investition auch besser. Vor etwa 10 Wochen kam Murat zu mir und sagte, er müsse leider die Raten und Zinsen erhöhen. Es sei denn … ich wäre zu einer kleinen Gefälligkeit bereit.“

    „Was für eine Gefälligkeit?“, fragte Semir seinen Bruder, „was solltest du für ihn tun?“ - „Das, was ich in meinem Laden halt mache, Schlüsselkopien, ganz einfach. Er brachte mir Schlüssel und ich kopierte sie, ohne mir die Berechtigungsscheine vorlegen zu lassen, Autoschlüssel, Haustürschlüssel, Firmenschlüssel, Tresorschlüssel, alles was ging. Ich ging schon davon aus, dass sie damit Einbrüche und Diebstähle begehen, und ich mich mit strafbar machte, und mir war bestimmt nicht wohl bei der Sache, das kannst du mir glauben. Aber mich zu weigern, wäre mein Ruin gewesen. Meine Familie und ich sind doch von dem Geschäft abhängig. Aber jetzt wollte ich aussteigen und sie fingen an mich zu bedrohen. Sollte ich mich weigern weiter mitzuarbeiten, oder sollte ich zur Polizei gehen, würden sie meiner Familie etwas antun.“

    An dieser Stelle stoppte Kemal mit seiner Erzählung und Semir merkte, dass ihm die nächsten Worte schwer fielen. „Und, Semir, mit „meiner Familie“ meint Murat meine ganze Familie, also auch euch, er hat mir diese Fotos gezeigt und gesagt: ‚Du kannst nicht alle schützen, Gerkan‘. Ich habe Halime und Kerim daraufhin in die Türkei geschickt.“
    Und Kemal legte Fotos auf den Tisch, die Semir das Blut in den Adern stocken ließ: Ayda und Lilly vor dem Haus, Andrea und er selbst auf der Auffahrt. Die Bilder konnten erst wenige Tage alt sein, die Jacke hatte Andrea Lilly erst kürzlich gekauft. „Wenn er euch oder deinen Töchtern etwas antut, damit könnte ich nicht leben, Semir.“ Kemal begrub sein Gesicht in seinen Händen und rieb sich die Augen.

    Semirs Schockstarre löste sich erst, als er Andreas Stimme hinter sich wahrnahm.

    *****

    Schon die Türklingel hatte Andrea geweckt, und sie drehte mich im Bett um, um nach Semir zu sehen. Aber der war noch gar nicht im Bett gewesen. Die Leuchtziffern des Weckers zeigten 01:07. ‚Besuch, so spät?‘, dachte sie, war sich aber sicher, dass Semir unten die Sache schon regeln würde. Doch kurz vor dem Eindösen nahm das Gespräch unten einen anderen Tonfall an und nun drang deutlich Kemals Stimme bis ins Schlafzimmer. Die Neugier trieb Andrea aus dem Bett, ja es war reine Neugier, da hört man ewig nichts von Semirs Bruder, und dann kommt er so spät zu Besuch?

    Sie zog sich Hausschuhe und Bademantel über, schlich die Treppe zum Wohnzimmer hinunter und hörte noch, wie Kemal sagte: „Wenn er euch oder deinen Töchtern etwas antut, damit könnte ich nicht leben, Semir.“

    Andrea stand auf der untersten Treppenstufe, hörte diesen Satz und begann schlagartig zu zittern. Ihr wollten die Beine versagen und sie hielt sich krampfhaft am Treppengeländer fest. „Was sagst du da, Kemal? Wer wird unseren Kindern etwas tun?“, fragte sie mit bebender Stimme. Semir und Kemal fuhren auf dem Sofa herum, sie hatten erst durch diese Frage Andreas Anwesenheit mitbekommen. Semir war mit zwei schnellen Schritten bei ihr und versuchte sie zu beruhigen, indem er sie in den Arm nahm und flüsterte „Niemand, Andrea! Niemand wird ihnen etwas tun“, seine Stimme wurde fester, „niemand!“


    http://www.youtube.com/watch?v=fN14c8ri00E

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

    • Zitieren
  • Yon
    Kriminaloberkommissarin
    Reaktionen
    308
    Beiträge
    3.013
    • 15. August 2013 um 09:07
    • #22

    Freitag, 09:00 Planung

    Kenan war sich sicher, dass Kemal jetzt am Samstag gut mitarbeiten würde. Er war der Meinung, die Fotos und Androhungen hätten ausgereicht. Murat hatte noch seine Zweifel und würde die Bedrohung lieber sichtbarer machen. Sie beschlossen, mit Leo das weitere Vorgehen zu erörtern.

    Dieser betonte wiederholt, er würde sehr viele gut betuchte Gäste erwarten und deswegen auf gar keinen Fall auf die Gelegenheit verzichten, sich die Schlüsselduplikate an diesem Samstag zu beschaffen. Er schlug eine mögliche Vorgehensweise vor:

    „Ihr holt Kemal Gerkan mit seinen Maschinen in die Wohnung von Petra Grundtal. Die steht ja jetzt leer. Wenn in seinem Geschäft am Samstagabend Betrieb wäre, würde das auffallen. Macht es gleich morgen früh, bevor er seinen Laden öffnet. Martin wird in der Wohnung auf ihn aufpassen. Dann fahrt ihr zu seinem Bruder und holt dessen Familie. Uns reicht eigentlich die Frau, wir können nicht alle gleichzeitig überwachen. Sorgt dafür, dass die anderen für ein paar Tage aus dem Weg sind, aber ich möchte nicht, dass den Kindern etwas geschieht. Denkt euch da was aus. Und seid vorsichtig mit dem Bruder, der könnte zu einem Problem werden. Nehmt genug Leute zu eurer Unterstützung mit. Das Wichtigste ist, dass die Aktion am Samstagabend nicht gefährdet ist. Anschließend werden wir Kemal Gerkan entsorgen und dann eine Zeitlang untertauchen. Wir sollten etwas Ruhe einkehren lassen.“

    Dann zog sich Leonard Kunze wieder zurück. Er verließ sich in dieser Angelegenheit voll und ganz auf die türkischen Brüder, die seit Jahren für ihn arbeiteten. Sie würden sich schon etwas einfallen lassen, um ihr gemeinsames Ziel zu erreichen.

    Kenan und Murat berieten noch einige Stunden, dann stand ihr Plan fest.
    Sie führten noch ein paar Telefongespräche, verabredeten sich mit vier Handlangern, allesamt auf der Gehaltsliste von Leonard Kunze stehend, für den Samstag um 6:00 Uhr. Dann
    trennten sie sich, um noch einige Besorgungen zu machen.

    *****

    Semir fuhr ganz normal zur Arbeit in die PAST. Der Fall hatte mit dem nächtlichen Besuch seines Bruders eine ganz neue Wendung genommen. Er wusste jetzt, welcher Schlüsseldienst die Schlüsselkopien angefertigt hatte, mit denen das Ehepaar Paulsen und vor ihnen noch zahlreiche Opfer mehr um ihr Hab und Gut erleichtert werden konnten. Und er kannte einen neuen Namen: Murat Yilmaz, den galt es zu überprüfen.

    Und Leonard Kunze würde er heute versuchen zu vernehmen. Immerhin war sein Name bei der offiziellen Ermittlung aufgetaucht.

    Er könnte auch seinen Bruder festnehmen, war sich aber sicher, dass dann der Rest der Bande sofort den Rückzug antreten würde und sich bestimmt auch am Samstag keine Gelegenheit ergeben würde, die Gangster festzusetzen und dem Ganzen ein Ende zu setzen. Und das Beste war, und da war er sich ganz sicher, wenn es ihm und seinen Kollegen gelänge, die Bande auf frischer Tat zu ertappen.

    Andrea war heute Nachmittag mit den Kindern zu einer Freundin eingeladen, die wohnte in Aachen, vor dem späten Abend war mit ihrer Rückkehr nicht zu rechen. Morgen müsste er sie in Sicherheit bringen, wo, das wird sich noch finden, notfalls in einer Schutzwohnung der Polizei. Denn ganz ohne Gefahr würde die Aktion am Samstag nicht über die Bühne gehen.

    „Bühne“ sollte noch das Stichwort des Tages werden.


    http://www.youtube.com/watch?v=ItsoX-aFn1o

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

    • Zitieren
  • Yon
    Kriminaloberkommissarin
    Reaktionen
    308
    Beiträge
    3.013
    • 16. August 2013 um 09:04
    • #23

    Freitag 17:00 Bens Band

    Den ganzen Freitag hatte Semir versucht, an Leonard Kunze heran zu kommen, es war ihm aber nicht gelungen, an keiner der von Susanne ermittelten Adressen war der Clubbesitzer anzutreffen. So fuhr er nach diesem arbeitsreichen Tag, der sie leider ermittlungstechnisch keinen Schritt weiter brachte und an dem er auch zum Fassen von klaren Gedanken nach Kemals nächtlichem Besuch kaum in der Lage gewesen war, direkt zu der Lagerhalle, die Ben schon vor Jahren zu einem Aufenthalts- und Probenraum für sich und seine Band umgebaut hatte. Um diese Uhrzeit war das der wahrscheinlichste Ort, an dem er seinen Freund antreffen konnte. Und richtig, schon vor der Tür klang Musik aus der Halle zu ihm nach draußen.

    Ohne Anzuklopfen oder zu Klingeln, das hätte drinnen eh keiner gehört, öffnete er die Eingangstür und betrat den Raum. Er sah Ben auf der angedeuteten Bühne, der jetzt gerade die letzten Akkorde eines Liedes auf seiner Gitarre schlug. „Okay, wir machen eine kurze Pause. Semir! Was für eine Überraschung! Was treibt dich denn hierher?“ Er ging auf Semir zu und begrüßte ihn erst mit Handschlag, dann mit einer kurzen Umarmung. „Komm, setz dich!“ – „Ben, ich habe gerade ein bisschen Stress und auch nicht viel Zeit.“ – „Semir, Stress hat man nicht, Stress macht man sich!“ – „Das sagt mir Ben Jäger, der seit Monaten Urlaub hat und nur noch seinem Hobby nachgeht …“ – „Genau der sagt dir das, und du musst doch zugeben, dass er Recht hat.“

    Sie gingen zu der Couch und setzten sich. „Markus, kannst du uns mal 2 Coke aus dem Kühlschrank holen, bitte. Oder möchtest du was anderes trinken?“, er sah seinen Freund fragend an, der nur mit dem Kopf schüttelte. „Pass auf Ben, es ist folgendes: Ihr spielt doch morgen in Leos Club? Danke“, sagte er zu Markus, der ihm zwei Dosen Cola reichte. „Wer hat dir das denn erzählt? Mein Vater?“ – „Nein, ich habe die Gästeliste gesehen. Dein Vater ist auch dabei? Er steht auf der Liste.“ – „Das tut er, aber er ist krank und kann nicht kommen, das ärgert ihn ganz bestimmt“, sagte Ben lachend, wurde dann aber doch stutzig und fragte ernst: „Warum interessierst du dich dafür?“ – „Leo hat eine dicke Sache am Laufen und ich komme ohne Einladung nicht an ihn ran.“ – „Und auch nicht an den Türstehern vorbei, denke ich mal.“ – „Genau. Und da habe ich gedacht, du könntest mich vielleicht einschleusen?“ Semir sah Ben jetzt in die Augen, „Ben, es ist wirklich wichtig!“ – „Semir, du hast so wenig Ahnung von Musik, wir ein Fisch vom Fahrradfahren.“ – „Aber ich könnte Koffer und Kabel tragen, CDs verkaufen, was auch immer, aber ich muss in den Club.“ – „Okay, das sollte kein Problem sein, wir sind ab 19:00 vor Ort und dann open end. Komm zur Hintertür, da steht unser Bus.“ – „Und dann rufe ich kurz an?“ – „Ja, ich gebe dir noch ein Band-T-Shirt mit“, Ben beugte sich nach vorn und zog einen Karten unterm Sofa hervor, „Größe L“ – „Passt schon.“ Sie tranken schweigend mehrere Schluck.

    „Dann brauche ich noch einen sicheren Platz für Andrea und die Kinder“ Jetzt wurde Ben hellhörig. Es ging hier wohl nicht nur um eine Polizeiaktion gegen Leonard Kunze. Wo war sein Freund jetzt wieder hineingeraten? „Semir, worum geht es hier? Werdet ihr bedroht?“

    Semir erzählte ihm alles, was geschehen war. Es tat ihm gut, mit seinem besten Freund seine Gedanken und Erlebnisse austauschen zu können. „Und Kemal wird jetzt damit bedroht, dass man dir und deiner Familie etwas antut? Warum nicht seiner Familie?“ – „Weil Kemal sie rechtzeitig in die Türkei geschickt hat. Ben, mein Bruder hat zwar seine Macken, aber dumm ist er nicht.“ – „Dann lass mich mal überlegen. Hier geht es nicht, wie wäre es … doch! Das müsste klappen: Das Sommerhaus meines Vaters!“

    Konrad Jäger hatte seit mehreren Jahren ein Sommerhaus, welches er für Angel- und Jagdausflüge benutzte. Es hatte zwei Schlafzimmer, eine kleine Küche und Bad, das sollte genügen.

    „Und ich habe einen Schlüssel hier. Die Adresse schreibe ich dir auf.“ Ben stand auf und ging an seinen Schrank. Nach einigem Suchen fand er in der dritten Schublade einen Schlüsselanhänger mit zwei Schlüsseln. Dann nahm er ein Stück Papier und schrieb eine Adresse aus einem Notizbuch ab, welches in derselben Schublade lag, wie die Schlüssel. Er reichte beides Semir. „Danke, Ben“, war dessen Reaktion. „Wann willst du sie hinbringen?“ – „Morgen Vormittag. Heute sind Andrea und die Mädchen bis zum späten Abend unterwegs. Die Sache wird langsam echt eng“ – „Weiß Alex Bescheid?“ – „Alex ist krankgeschrieben.“

    „Möchtest du noch etwas trinken?“, fragte Ben und deutete auf die leeren Cola-Dosen auf dem Tisch. Semir nickte. „Hast du auch Bier da?“

    http://www.youtube.com/watch?v=HO2IS-4LHuA

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

    • Zitieren
  • Yon
    Kriminaloberkommissarin
    Reaktionen
    308
    Beiträge
    3.013
    • 17. August 2013 um 09:45
    • #24

    Samstag, 07:00 Abbau

    Wie am Vortag verabredet trafen sich Murat und Kenan mit den vier Helfern und fuhren in zwei Autos zum Schlüsseldienst Gerkan. Das Geschäft war um diese frühe Zeit noch verschlossen, die Jalousien heruntergelassen. Das traf sich gut. Sie würden bei ihrer Ausräumaktion nicht von vorbeigehenden Passanten gestört werden. Zielstrebig gingen sie auf den benachbarten Hauseingang zu, der nicht verschlossen war. „War es der erste oder zweite Stock?“, fragte Kenan seinen Bruder. „Der erste, direkt über dem Laden.“ Murat und er gingen die Treppe zu Kemals Wohnungstür hoch, ihre vier Handlanger warteten unten. Sie hatten bislang noch kein Wort gesagt und standen schweigsam auf dem Bürgersteig und vor der Hintertür des Ladens herum.

    Murat klingelte mehrmals und holte so Kemal aus dem Bett. Als der Wohnungsinhaber im Bademantel die Tür langsam öffnete, half Kenan nach und die beiden Brüder standen im Flur. „So. Gerkan, jetzt beeil dich, wir haben nicht viel Zeit. Zieh dir was an, du kommst mit uns mit. Und gib uns den Schlüssel für dein Geschäft, wir nehmen die Maschinen mit.“– „Was…?“ – „Rede nicht! Mach zu!“ Kemal blieb nichts anderen übrig, er händigte Murat den Schlüssel aus, der sich damit wieder auf den Weg nach unten begab, um sich mit den Helfern an das Ausräumen des Schlüsseldienstgeschäftes zu machen. Neben den Maschinen brauchten sie auch die Schlüsselrohlinge. Da sie sich da nicht auskannten, nahmen sie die Schubladen komplett mit und schleppten alles in die beiden Wagen, die wartend auf dem Bürgersteig standen.

    Dann kam Kenan mit Kemal die Treppe runter, der etwas entsetzt auf das Geschehen in seinem Laden starrte. Anscheinend sollte er heute woanders arbeiten.
    Ein Nachbar, der um diese Zeit seine Wohnung verließ, um zur Arbeit zu gehen, wunderte sich über die Männer, die mehrere Kartons aus Kemals Geschäft trugen. Sein Nachbar hatte nichts von einem Umzug erzählt. Er hatte doch gerade vor einigen Monaten komplett renoviert? Er wartete noch einige Momente, bis er auch Kemal sah, der von zwei der Männer in Schach gehalten, die vorgaben, sich mit ihm zu unterhalten. „Guten Morgen Kemal“, grüßte er seinen Nachbarn, mit dem er auch befreundet war, „alles in Ordnung? Ziehst du um?“ Kenan übernahm das Antworten: „Nein, wir helfen ihm nur beim Saubermachen, einige der Maschinen müssen gereinigt werden.“ Während er dieser Antwort noch lauschte, sah der Nachbar Kemal ins Gesicht und konnte darin einen stummen Hilferuf lesen. Er nickt ihm zu. Er hatte verstanden.

    Nachdem sie das Geschäft ausgeräumt und wieder verschlossen hatten, führten sie Kemal zu einem der beiden Wagen, setzten sich in die Autos und fuhren in die Wohnung von Petra Grundtal, wo Martin schon wartete. Er hatte aus dem Wohnzimmer ein Arbeitszimmer gemacht, den Esstisch leer geräumt, um Platz für die Maschinen zu schaffen. Kemal wurde von Kenan in die Wohnung gebracht und dort der Obhut von Martin Grundtal übergeben.

    Anschließend machte sich Kenan wieder auf den Weg nach unten, um mit Murat und ihren vier Helfern zur nächsten Adresse zu fahren, die heute auf ihrem Programm stand.

    Samstag, 08:00 Tipp

    Der Anruf erreichte Semir, als er mit seiner Familie am Frühstückstisch saß. „Herr Gerkan?“, fragte eine Stimme. „Ja, und mit wem spreche ich?“ Semir war mit seinem Handy aufgestanden und ging jetzt in den Flur, da er nicht wollte, dass seine Familie kritische Telefongespräche mitbekam. „Mein Name ist Kaufmann, ich bin ein Nachbar Ihres Bruders. Heute Morgen sind einige dunkle Typen zu Kemal gekommen und haben seine Maschinen abgebaut und sie und Ihren Bruder mitgenommen. Er sah nicht so aus, als würde er freiwillig mitgehen. Ich weiß, dass Kemal Probleme wegen eines Kredites hat, wir kennen uns seit 15 Jahren. Und ich dachte, das sollte ich ihnen sagen. Sie sind doch bei der Polizei?“ – „Ja, das ist richtig, und ich werde mich auch darum kümmern. Danke, dass Sie mich direkt angerufen haben.“ Semir beendete das Gespräch und lehnte sich an die Flurwand. Das war deutlich. Jetzt wurde es wirklich höchste Zeit, hier abzuhauen und Andrea und die Kinder in Sicherheit zu bringen. Er hätte es schon gestern machen sollen.


    http://www.youtube.com/watch?v=1yKf_W5IvpA

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

    • Zitieren
  • Yon
    Kriminaloberkommissarin
    Reaktionen
    308
    Beiträge
    3.013
    • 18. August 2013 um 08:37
    • #25

    Samstag, 08:30 Falle

    „Andrea!“, rief Semir sofort, nachdem er wieder in den Wohnbereich seines Hauses trat, „Beeil dich, wir müssen sofort los, wo sind die Kinder?“ – „Oben“, kam es von der Küche her, wo Andrea gerade damit beschäftigt war, den Geschirrspüler aus- und wieder einzuräumen, jetzt aber inne hielt. „Was ist denn los? Und wo sollen wir hin?“ – „Leos Leute haben Kemal schon! Konrad Jäger bietet uns sein Sommerhaus an, ich habe den Schlüssel, pack schnell ein paar Sachen für euch zusammen“, rief er seiner bereits die Treppe hochlaufenden Frau noch hinterher.“ Lilly und Ayda kamen kurze Zeit später mit Stofftieren die Treppe runtergerannt. „Papa, wohin fahren wir? Warum müssen wir hier weg?“, fragte Ayda ihn. Semir half ihnen beim Anziehen der Schuhe und Jacken, dann kam auch schon Andrea mit einer kleinen Tasche ins Erdgeschoss. Keine 5 Minuten waren vergangen und Familie Gerkan war bereit, in das sichere Versteck aufzubrechen.

    Murat stand gerade mit seinem schwarzen Mercedes in der Straße, in der Semir wohnte, und hatte dessen Wohnhaus im Blick, als er Bewegung hinter der Haustür wahrnahm.Kenan hatte sich in eine Seitenstraße gestellt. Per Freisprecheinrichtung waren die Geschwister in ständiger Verbindung. Jeder von ihnen hatte noch zwei Handlanger von Leo im Auto, die still auf der Rücksitzbank saßen. Sie waren nur Befehlsempfänger und –ausführer, fürs Denken und Reden wurden sie von Leo nicht bezahlt. Heute hörten sie auf Murat und Kenan. „Ich glaube, sie wollen wegfahren, wir schnappen sie uns unterwegs. Sie steigen in den Skoda. Sieht nach einem Familienausflug aus“, teilteer ihm jetzt mit. Semirs Dienstwagen blieb auf der Auffahrt stehen. Kurze Zeit später setzte sich der Familienwagen in Bewegung. „Jetzt fahren sie los“, meinte Murat noch zu Kenan, der nur Sekunden später mit seinem dunkelblauen Audi an ihm vorbeifuhr und sich an Semir hängte.

    Der Weg zu Konrad Jägers Sommerhausführte über einsame Wege und Landstraßen. Jetzt am frühen Vormittag herrschte nur sehr wenig Verkehr. Murat und Kenan sprachen sich ab, dann überholte Murat den Skoda der Familie Gerkan und fuhr mit hoher Geschwindigkeit voraus, während Kenan sich zurückfallen ließ. Sie kannten diese Straße und wussten, dass auf mehrere Kilometer keineweitere Seitenstraße kam. So wähnte sich Semir alleine auf weiter Flur und atmete zum ersten Mal seit ihrem Aufbruch tief ein und wieder aus.

    „Es ist sicher nur für dieses Wochenende, Andrea“, versuchte Semir, seine Frau zu beruhigen, die nervös an ihrer Jeans nestelte, „mit etwas Glück kann ich die Sache heute Abend beenden.“

    Murat stoppte hinter einer kleinen Seitenstraße und stellte eine Straßensperre und ein Umleitungsschild auf, welches den Verkehr in diese Seitenstraße leiten soll. Diese Utensilien hatte er am Vortag bereits vom Gelände der Straßenmeisterei geklaut, um auf einen Fall wie diesen vorbereitet zu sein. Dann fuhr er selbst in eben diese Seitenstraße und stellte hinter einer scharfen Kurve seinen Mercedes quer auf die Fahrbahn. Er und die beiden Handlangerzogen sich schwarze Masken über das Gesicht, stiegen aus und bezogen mit ihren Waffen Position hinter dem Wagen. „Wir sind bereit“, meldete er seinem Bruder.

    Derweil holte Kenan den zuvor absichtlich vergrößerten Abstand wieder auf und sah, dass Semir ahnungslos der Umleitung folgte. Kenan hielt, nachdem er selbst in die Seitenstraße gebogen war,an und baute die Straßensperre jetzt vor der Seitenstraße auf, so blieben sie vor unerwünschtem Besuch zumindest aus dieser Richtung verschont. Dann fuhr er hinter Semir her und hielt so dicht hinterdessen Auto an, als dieser vor dem quergestellten Mercedes anhalten musste, dass es Semir unmöglich war, mit dem Skoda zurück zu setzen.

    „Was zum Teufel…?“, entfuhr ihm. Ein Blick in den Rückspiegel bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen. Sie saßen in der Falle.


    http://www.youtube.com/watch?v=rDcK9so9iBs

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

    • Zitieren
  • Yon
    Kriminaloberkommissarin
    Reaktionen
    308
    Beiträge
    3.013
    • 19. August 2013 um 08:04
    • #26

    Samstag, 10:00 Trennung

    Kenan und seine beiden Mitfahrer hatten sich jetzt ebenfalls vermummt und stiegen aus dem Audi aus, während Murat und seine beiden Handlanger hinter dem Mercedes hervorkamen. Semir und seine Familie waren jetzt eingekreist und den Gangstern ausgeliefert. „Was auch immer die von dir wollen, tu es bitte“, beschwor Andrea ihren Mann.

    Jetzt wurde die Fahrertür geöffnet, Semir spürte den Lauf einer Waffe in der Seite. „Wenn ich bitten dürfte, Herr Gerkan, Sie werden nicht wollen, dass Ihre Kinder hier und jetzt etwas mit ansehen müssen, was sie Zeit ihres Lebens nicht mehr vergessen werden, sehe ich das richtig?“ Semir nickte „Was wollen Sie?“ – „Geben Sie mir Ihre Waffe“ Semir sah keine andere Möglichkeit, als ihm seine Waffe auszuhändigen, hätte er anders gehandelt, womöglich den Mann, der ihn gerade bedrohte, damit erschossen, so wäre die Situation eskaliert und hätte in einem Kugelhagel geendet, er musste jetzt alles daran setzen, Andrea und seine Kinder heil aus dieser Situation zu bekommen. „Jetzt ihr Handy!“ Auch das Mobiltelefon wechselte den Besitzer. „Und jetzt Sie! Steigen Sie aus!“ Semir tat wie geheißen, die auf ihn gerichteten Waffen stets im Blick.

    Sofort ergriffen ihn zwei Mann und drückten ihm ihre Waffen in den Rücken. Sie führten ihn einige Schritte von seinem Auto weg.

    Mittlerweile war Murat an Andreas Tür und ‚bat‘ sie ebenfalls aus dem Wagen. Auch sie musste ihnen ihr Handy aushändigen. Andrea sagte noch zu Ayda und Lilly, die ihre Stofftiere krampfhaft festhielten und denen jetzt die Tränen des Schreckens übers Gesicht liefen: „Es ist alles in Ordnung, Mami ist gleich wieder da“, sie hoffte, dass sie wenigstens etwas Trost und Zuversicht in ihre Stimme legen konnte. Für sie selbst klang es allerdings gar nicht so. Dann wurde sie zum Mercedes gestoßen und ihre Hände in ihrem Rücken mit Kabelbindern gefesselt. Sie musste in den fremden Wagen einsteigen. Sie schaute Semir in die Augen versuchte daraus Kraft zu schöpfen. Auf ihren Mann waren mehrere Waffen gerichtet. Viel Kraft konnte er ihr in dieser Situation nicht geben. Dann versuchte sie Blickkontakt mit ihren Töchtern aufzunehmen, was ihr aber aus ihrer Position auf der Rücksitzbank im Mercedes nicht gelang. Sie schloss die Augen und lehnte sich zurück. Sie durfte nicht die Nerven verlieren, nicht jetzt, das sagte sie sich eindringlich, aber selbst ihre innere Stimme schien zu zittern.

    „Ihr Bruder muss heute Abend noch viel für uns arbeiten“, wandte sich Kenan jetzt an Semir, „und er ist in letzter Zeit etwas störrisch geworden. Der Anblick Ihrer Frau wird ihn sicher wieder beruhigen und zum Arbeiten anregen, denken Sie nicht, Gerkan? Seine eigene Frau hat er ja vorgezogen rechtzeitig in die Türkei zu schicken. Nun muss halt seine Schwägerin herhalten“ – „Halten Sie wenigstens die Kinder daraus!“ – „Das werden wir, keine Angst. Wir sind doch keine Kinderschänder. Wir bringen sie an einen sicheren Ort und lassen sie dann gehen. Dafür müssen ihnen allerdings die Augen verbunden werden, damit sie uns nicht erkennen, ganz in ihrem eigenen Interesse. Das machen Sie am besten selbst, und beruhigen Sie sie auch ein wenig, damit sie nicht die ganze Fahrt über heulen. Hier sind zwei Tücher.“ Kenan reichte Semir zwei dunkle Tücher und geleitete ihn zur Rücksitzbank des Skodas. Semir beugte sich zu Lilly, strich ihr sanft die Tränen von den Wangen, während er seine eigenen kaum zurückhalten konnte. „Schscht, Lilly, alles wird gut, ich soll euch jetzt die Augen verbinden, damit ihr nicht seht, wohin sie euch bringen, aber dann dürft ihr gehen. Ihr kommt wieder nach Hause und Mama und ich kommen bald nach“, versuchte er sie zu beruhigen. Lilly nickte und ließ sich die Augen verbinden. Semir schluckte und seine Hände zitterten. Ayda sah ihm zu und sagte leise: „Papa, du weinst ja! Wo bringen die uns hin? Und euch? Wann kommt ihr wieder?“ – „Ayda, pass bitte auf deine Schwester auf, ich weiß nicht, wohin sie euch bringen werden, aber ich verspreche euch, dass euch nichts passieren wird, hörst du?“ Ayda nickte ernst. Semir fiel das Sprechen in dieser Situation schwer, zudem er seine eigene Angst nicht verbergen konnte. Semir verband auch seiner großen Tochter die Augen. „Beeilen Sie sich ein bisschen!“, wurde er nun von Kenan angetrieben, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit. Semir ließ sich trotzdem noch Zeit, seine beiden Kinder kurz zu drücken und stellte sich dann neben den Skoda wieder gerade hin und suchte Andreas Blick.

    Kenan, der die Abschiedsszene mit durchaus gemischten Gefühlen mit angesehen hatte, schließlich besaß er selbst einmal eine Familie, gab einem seiner Begleiter den Befehl: „2 Stunden, dann lass den Wagen stehen, wie abgesprochen“ – „Ja, Boss“, antwortete der Angesprochene, setzte sich in den Skoda, startete und fuhr davon. Semir blickte immer noch unter Schock stehend hinterher. In einem ganz anderen, sehr ruhigen und ernsten Ton fügte Kenan noch hinzu: „Ich gebe Ihnen mein Wort, Herr Gerkan, wir tun Ihren Kindern nichts. Darauf können Sie sich verlassen.“

    Konnte Semir das? Es blieb ihm nichts anderes übrig.

    Nachdem Ayda und Lilly weggefahren worden waren, zeigte Kenan wieder sein anderes Gesicht. „Wir wollten es vor ihren Kindern nicht sagen, aber wir brauchen nur Ihre Frau, Sie können uns zu gefährlich werden, deshalb werden wir uns jetzt von Ihnen verabschieden.“ Die zwei Handlanger griffen Semir jetzt fester und hielten ihm die Waffen in den Rücken bzw. an den Kopf. Sie drängten ihn in den Wald. Andrea riss vor Angst die Augen auf und schluchzte: „NEIN, SEMIR!“ Zwei Paar Arme hielten sie auf der Rücksitzbank fest, als sie begann zu toben. Schon bald waren die Männer von der Straße aus nicht mehr zu sehen.

    Dann durchbrachen zwei Schüsse die Stille.



    Ihr müsst jetzt ganz tapfer sein. Das nächste Kapitel gibt es erst am Freitag!
    Naja, wenn das Nötigen gar kein Ende nehmen sollte, vielleicht schon am Donnerstagabend. Zum einen wird es Zeit, dass ich mal ein paar Tage verreise und eine schöne Zeit mit alten Freunden verbringe, und zum anderen müsst ihr doch zugeben, dass diese Stelle in meiner Story für einen kleinen Cliffhanger wunderbar geeignet ist. Ihr könnt ja mal raten wie es weitergeht. Wer der Fortsetzung am Nächsten kommt, bekommt einen (virtuellen) Preis.

    http://www.youtube.com/watch?v=ZaOjGcw1hDw

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

    • Zitieren
  • Yon
    Kriminaloberkommissarin
    Reaktionen
    308
    Beiträge
    3.013
    • 22. August 2013 um 18:53
    • #27

    Samstag, 15:00 Ayda und Lilly

    Schon wenige Meter hinter der Stelle des Überfalls nahm der Fahrer seine Maske, die er jetzt nicht mehr brauchte, herunter und drehte sich zu Ayda und Lilly um. „Ruhig Kinder, wir werden jetzt ein wenig spazieren fahren und dann lasse ich euch raus. Aber ein bisschen Zeit brauchen wir noch. Alles ist okay“

    Nichts war okay. Mama verschwunden, Papa verschwunden, und ein fremder Mann fuhr mit ihnen weg. Das einzige, was ihnen bekannt vorkam, war das Auto, in dem sie saßen, ihre Sitze, in die sie sich krallten, und die Stofftiere, die sie immer noch in ihren Händen hielten. Ayda nahm ihren Mut zusammen und fragte: „Warum können wir nicht mit Papa und Mama fahren?“ – „Papa muss für uns was erledigen, und Mama muss ihm helfen. Verstehst du das?“ – „Aber …“ – „Nichts aber, seid jetzt ruhig, ich mache ein bisschen Musik an“ Tatsächlich beruhigten sie Kinder sich etwas, Lilly schlief sogar ab und an etwas ein.

    Zwei Stunden wurden sie durch die Landschaft kutschiert, um Kenan und Murat Zeit zu verschaffen. Dann steuerte der Fahrer einen Rasthof an, an dessen Ende sich die Dienststelle der Autobahnpolizei befand. „So, hier sind wir, bleibt aber noch sitzen und lasst den Schal noch drauf.“ Kenan hielt mit seinem Mercedes neben ihm. Der Fahrer sagte zu Ayda: „Du zählst jetzt langsam laut bis 50, dann dürft ihr aussteigen. Wir sind vor dem Büro eures Vaters.“ Er ließ den Schlüssel stecken, stieg aus dem Skoda aus und zu Kenan in den Mercedes. Dieser gab Gas und fuhr los.

    „1 – 2 – 3 ...“, zählte Ayda, genauso wie ihr aufgetragen worden war, „… 48 – 49 – 50!“ Sie nahm ihren Schal runter und erkannte den Parkplatz der PAST, wo sie schon des Öfteren waren, um ihren Vater auf der Arbeit zu besuchen. „Komm Lilly!“ Ihre kleine Schwester rührte sich nicht, Ayda nahm ihr den Schal ab und rüttelte sie wach. Lilly begann sofort an zu weinen. „Komm Lilly, nicht weinen, wir sind da!“ Sie löste ihren Gurt und den ihrer Schwester und stieg dann aus dem Auto, wartete auf Lilly, die langsam und müde aus ihrem Kindersitz kletterte, nahm ihre Schwester bei der Hand und ging zum Bürogebäude. Ihre Schritte wurden immer schneller, die letzten Meter rannten sie. Sie kümmerte sich nicht um den Wagen, der mit offenen Türen und steckendem Schlüssel auf dem Parkplatz stehen blieb.

    „Susanne“, rief Ayda, als sie die Tür zur PAST aufstieß und die Sekretärin erblickteund rannte auf die Freundin ihrer Mutter zu, Lilly im Schlepptau. Sie ließen sich umarmen und ihren Tränen jetzt freien Lauf. „Ayda, was ist denn passiert? Seid ihr ganz alleine hier? Ihr seid ja völlig aufgelöst. Wollt ihr es mir erzählen?“ Susanne nahm beide Kinder auf ihren Schoß.
    Nur stockend konnten sie von der Autofahrt erzählen, dass ihre Mamain ein Auto steigen musste und Semir sich auch bei den maskierten Männern befinden musste. „Siggi!“, rief sie ihrem uniformierten Kollegen zu, „draußen auf dem Parkplatz muss sich Semirs Auto befinden, kannst du es zur KTU bringen, vielleicht hat der Fahrer Spuren hinterlassen.“ Während Siggi sich bereit machte, fiel Susanne noch was ein. „Und Siggi, bau doch bitte die Kindersitze aus und lege sie in mein Auto. Vielleicht brauche ich sie noch.“ Siggi nickte und verließ mit Susannes Autoschlüssel die PAST, während diese den Kindern etwas zu trinken brachte und versuchte, mehr Informationen zu erfahren.

    Dann griff sie zum Telefon und wählte erst Semirs Handy-Nummer, als sie keinen erreichte auch Andreas, wieder ohne Erfolg. Sie dachte kurz nach. Dann rief sie Alex an, der nach dem vierten Klingeln ranging und undeutlich lallte: „Ja, Brandt?“ – „Alex, du klingst ja schrecklich, wie geht es dir denn?“ – „Das wird schon. Was gibt es?“ – „Alex, wir müssen davon ausgehen, dass Semir und Andrea entführt wurden und sich in den Händen von Leos Gang befinden. Die Kinder sind hergebracht worden.“ – „Scheiße, ich bin in 20 Minuten da, hast du einen Anhaltspunkt, wo wir mit dem Suchen anfangen können?“ – „Nein, Ayda und Lilly sind noch total verstört und konnten mir nicht viel sagen. Ich werde gleich versuchen, ihre Handys zu orten, vielleicht hilft uns das weiter.“ – „Dann ruf doch bitte auch Ben an, der hattegestern noch Kontakt zu Semir, vielleicht hat er ihm was erzählt“ – „Ben? Okay, danke für den Hinweis, das mache ich dann gleich. Tschüß Alex“ – „Tschüß, ich bin unterwegs zu euch.“

    Susanne hatte die Handy-Nummer von Ben in ihrem Telefon eingespeichert und drückte die Kurzwahltaste. „Ben? Hier ist Susanne, ich habe leider keine Zeit zum Plaudern, Semir und Andrea sind verschwunden, wahrscheinlich bei Leos Leuten, weißt du da mehr?“ Ben erzählte Susanne, die bislang keine Ahnung hatte, dass Semir und sein Bruder persönlich in dem aktuellen Fall verstrickt waren, was Semir ihm erzählt hatte, dass Semir seine Familie in das Sommerhaus seines Vaters und damit in Sicherheit bringen wollte. Gemeldet habe er sich aber seitdem nicht bei ihm.

    Susanne hielt es für die beste Idee, Ayda und Lilly erst einmal zu sich nach Hause mitzunehmen, damit die beiden etwas zur Ruhe kämen. Die Handyortung überließ sie den Kollegen. Die Kinder waren ihr jetzt wichtiger.

    Die Handyortung verlief erfolglos. Die Beamten waren zwar in der Lage, die Handys nach längerer Suche zu finden, aber sie lagen nicht weit voneinander entfernt am Waldrand der Bundesstraße, allem Anschein nach aus einem vorbeifahrenden Auto geworfen.


    http://www.youtube.com/watch?v=-KpQzhH1eqM

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

    • Zitieren
  • Yon
    Kriminaloberkommissarin
    Reaktionen
    308
    Beiträge
    3.013
    • 23. August 2013 um 08:59
    • #28

    Samstag,17:00 Andrea

    Andrea sank schließlich erschöpft auf der Rücksitzbank des Mercedes in sich zusammen. Konnte das wahr sein, ist sie gerade Zeugin der Tötung ihres Semirs geworden? Erst musste sie mit ansehen, wie ihre Kinder mit verbundenen Augen von Fremden fortgefahren wurden, einem unbekannten Schicksal entgegen, dann wurde Semir in den Wald geführt. Zwei Schüsse konnte sie hören, dann kamen die Männer ohne ihn zurück. Hatten sie ihn wirklich erschossen? Lediglich die Tatsache, dass die Männer konsequent ihre Masken trugen, ließ sie hoffen, dass wenigstens Ayda, Lilly und sie den Zugriff überleben würden. „Wenn du nicht willst, dass deine Kinder zu Vollwaisen werden, tust du jetzt genau das, was ich dir sage! Hast du mich verstanden?“, herrschte Murat sie an, „Steig aus und geh hinter den Wagen!“ Er öffnete den Kofferraum und Andrea wurde unsanft hineingestoßen. Murat setzte sich hinter das Lenkrad, er und Kenan zogen sich die Masken vom Gesicht, und der Mercedes fuhr los.

    Die Fahrt dauerte fast zwei Stunden. Durch das Rütteln und Schütteln auf der Landstraße wurde Andrea unsanft im Kofferraum hin und her geschleudert. Durch die gefesselten Hände war sie auch nicht in der Lage, sich abzustützen und schlug mit dem Kopf gegen die Rücksitzbank. Sie weinte leise vor sich hin, weinte um Semir und ihre Kinder. Sie sagte sich immer, sie müsse sich jetzt zusammennehmen, es klappte aber nicht. Was war heute nur geschehen? Was wollten die Kerle von ihr? Sie fand keine Antwort auf diese bohrenden Fragen.

    Immer wieder sah sie Ayda und Lilly, wie sie zurückgelassen in ihren Kindersitzen saßen, Tränen im Gesicht, sie sah die Verabschiedung von ihrem Vater, wie sollte sie es ihnen bloß erklären? Wo sind die Kleinen jetzt? Geht es Ihnen wirklich gut, so wie man es ihr versprochen hat? Was waren das für Männer? Was erwarteten sie von ihr?

    Endlich hielt der Wagen an. Die häufigen Richtungswechsel der letzten Minuten deuteten schon darauf hin, dass sie sich in der Stadt befinden mussten. Als sich der Kofferraumdeckel öffnete, fiel Regen in das Innere und auf Andrea, es schüttete wie aus Eimern. Sie befanden sich in einem Hinterhof, wo der Wagen mit dem Kofferraum so dicht an eine kleine Tür geparkt war, dass Andrea, als Murat sie aus ihrem Gefängnis zog, beinahe direkt in das Treppenhaus stolperte.

    Um ein Schreien und das Alarmieren der Nachbarn zu verhindern, hielt er ihr den Mund zu und führte sie zur Treppe. „Hoch!“, befahl er und so schleppte er sie in die Wohnung im dritten Stock, wo Martin Grundtal bereits mit Kemal wartete. Murat stieß Andrea unsanft auf den Boden, wo sie zusammengekauert liegen blieb. Dann sagte er zu Kemal: „So, Gerkan, deine Schwägerin ist da. Arbeitest du heute nicht gut mit, werden wir uns ein wenig mit ihr beschäftigen.“


    http://www.youtube.com/watch?v=Sgn0dWnfFx4

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

    • Zitieren
  • Yon
    Kriminaloberkommissarin
    Reaktionen
    308
    Beiträge
    3.013
    • 24. August 2013 um 08:48
    • #29

    Samstag, Und Semir?

    Als die Männer weit genug von der Straße entfernt waren, um noch gesehen zu werden, schlugen sie Semir mit ihren Waffen nieder und schossen zwei Mal dicht neben seinem bewusstlosen Körper in den Waldboden.

    Sie gingen wieder in Richtung Straße, um den Anschein zu erwecken, Semir im Wald getötet zu haben.
    Dann fuhr der Wagen mit Andrea los.

    „Das wird sie glauben lassen, er sei tot. Dann ist sie sich jetzt dem Ernst ihrer Lage bewusst. Was machen wir mit ihm?“ – „Hier liegen lassen können wir ihn nicht, da ist er innerhalb von 2 Stunden wieder in der Stadt, er muss für mehr als zwei Tage aus dem Weg.“

    Sie zerrten Semir, der gerade wieder zu sich kam, aber recht schwindelig und schwankend auf den Beinen stand, nachdem sie ihn vom Waldboden hochgezogen hatten, zum Auto und setzten ihn auf die Rücksitzbank des Audis.

    Semir war halb wach und halb in einer Art Dämmerzustand, sein Kopf dröhnte, und öffnete er seine Augen, fing die Umgebung an zu rotieren; er konnte keinen festen Punkt fixieren. Ihm wurde schlecht. Also schloss er seine Augen wieder, was deutlich angenehmer zu ertragen war und zudem seine Entführer glauben machte, er wäre nicht wach. Wo brachten Sie ihn jetzt hin? Was hatten sie mit ihm vor? Umbringen wohl nicht, dazu wäre gerade eben die beste Gelegenheit gewesen. Was haben Sie mit Andrea vor? Hatte Kenan die Wahrheit gesagt, als er meinte, ihren Kindern würde nichts passieren? Dann würden sie schon bald in Sicherheit sein. Er hoffte zumindest dieses zutiefst. Er muss bald ihren Aufenthaltsort erfahren, und Andreas. Mein Gott, Andrea! Sie musste glauben, er sei tot. Was mag sie nur jetzt durchmachen? Sie war eine Kämpferin, eine Löwin, wenn es um ihre Familie ging, das wusste er und hoffte, sie würde stark genug bleiben, die Situation durchzustehen, bis er sie, wo auch immer sie sein mag, rausgeholt hätte. Im Augenblick konnte er sich allerdings nicht vorstellen, in der Lage zu sein, auch nur zwei Schritte geradeaus zu gehen, aber das musste er, er durfte jetzt nicht aufgeben.

    Die Fahrt führte etwa zwei Stunden übers Land. Semir erholte sich langsam von dem Schlag, der Schwindel ging, der Schmerz blieb. Aber seine Konzentrationsfähigkeit kam allmählich zurück, und er war wieder in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen.

    Semir blinzelte und bemerkte, dass der Mann, der neben ihm auf der Rücksitzbank saß, seine Augen kaum offen halten konnte und seine Waffe, die er auf Semir gerichtet hatte, nur noch locker in der Hand hielt. Als der Wagen langsamer wurde, weil ein vor ihnen fahrender Traktor aufgrund der schmalen Straße nicht überholt werden konnte, sah er seine Chance gekommen. Jetzt oder nie.

    Er entriss seinem Nachbarn blitzschnell die Waffe, schlug ihm damit auf den Kopf, so dass der Entführer in sich zusammen sackte. Der Beifahrer, der sofort reagierte und sich mit seiner Waffe umdrehte, erhielt von Semir einen Schuss in seinen Unterarm, bevor er selber abdrücken konnte. Er ließ seine Waffe fallen, die Semir an sich nahm, und wurde ebenfalls von diesem niedergeschlagen. Dann wandte sich Semir nun dem Fahrer zu: „Hände ans Lenkrad, oder ich knall dich ab! Und jetzt rechts ran!“ Der Fahrer tat, wie ihm geheißen, er hatte auch keine andere Wahl, mit einer Waffe im Genick und eine in der Seite. Dass Semir ohne Zögern davon Gebrauch machen würde, das hatte er gerade eindrücklich bewiesen. Semir stieg aus, als das letzte sie überholende Auto vorbei war und zerrte nun den Fahrer aus dem Auto und in den trockenen Straßengraben. Dort schlug er auch ihn KO. Dann legte er auch die beiden Beifahrer in den Graben. Im Kofferraum des Wagens fand er ein Bündel Kabelbinder, die er nun dazu nutzte, seine Peiniger zu fesseln.
    Anschließend setzte sich Semir in den Audi, startete den Motor, wendete und brauste davon. Er musste nach Hause, kam aber nicht weit, die Schmerzen im Kopf und die aufsteigende Übelkeit zwangen ihn nach einigen Kilometern zu einem Stopp auf einem kleinen Parkplatz. Er schaltete den Motor aus und schloss für einen kurzen Moment die Augen, um die Schmerzen „wegzuatmen“. Als er wieder zu sich kam, waren drei Stunden vergangen. Semir schreckte auf. Mist, er wollte nicht einschlafen, so viel Zeit, um Pause zu machen, hatte er nicht. Er fuhr langsam zu seinem Haus.

    Man hatte ihm zwar seine Waffe und sein Handy abgenommen, aber nicht den Schlüssel für den BMW und darin lag die „Eintrittskarte“ für Leos Club. Er stellte den Audi vor seinem Haus ab, schloss die Haustür auf und ging in das stille leere Haus. Einen kurzen Augenblick lang hatte er gehofft, das ganze wäre ein Alptraum gewesen und ihn würde Kinderlachen empfangen, aber das Haus war still und leer. Semir ging zuerst ins Badezimmer, um dem Medizinschrank ein Röllchen mit Schmerztabletten zu entnehmen, er nahm gleich drei Stück und steckte die anderen in seine Tasche. Dann ging er zu seinem Tresor, öffnete die Zahlenkombination und entnahm ihm seine Waffe und Ersatzmunition. Er trank noch ein Glas Wasser, sah dabei auf die Bilder am Kühlschrank, Schnappschüsse aus dem Sommer. „Ich hole euch da raus!“, sagte er zu den Gesichtern seiner Lieben.

    Dann verließ er wieder sein Haus und setzte sich in seinen BMW. Auf dem Beifahrersitz lag das T-Shirt von Bens Band. Er zog seine Jacke aus und das T-Shirt von Bens Band über sein Poloshirt. Jetzt auf zu Leos Club. Es war schließlich mittlerweile deutlich nach 20:00 Uhr.


    http://www.youtube.com/watch?v=AxQ7oqOTXlI

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

    • Zitieren
  • Yon
    Kriminaloberkommissarin
    Reaktionen
    308
    Beiträge
    3.013
    • 25. August 2013 um 09:37
    • #30

    Samstag, 19:00 Andrea und Kemal

    „Und wo ist mein Bruder?“, traute sich Kemal nach einer ganzen Weile zu fragen. „Dein Bruder? Tja, sagen wir’s mal so. Seine Kooperationsbereitschaft ließ ein wenig zu wünschen übrig, so mussten wir ihn leider zurücklassen“, sprach Murat kalt.

    Andrea zuckte bei den Worten erneut zusammen, obwohl sie das Geschehen um sich herum vollkommen ausgeblendet zu haben schien und den Eindruck erweckte, sich in ihrer ganz eigenen Welt zu befinden.

    „Aber“, fügte Murat hinzu, „du kannst dafür sorgen, dass deine beiden Nichten heute nicht zu Vollwaisen werden. Das willst du doch tun?“ Kemal nickte. „Ich mache alles, was sie wollen, aber tun sie ihr nichts. Bitte!“ – „Das werden wir sehen. Es liegt alles in deiner Hand.“


    http://www.youtube.com/watch?v=21UMDBXODhE


    Samstag, 19:00 Charity

    Leos Club war mittlerweile gut gefüllt. Der Champagner und die Cocktails wurden gerne angenommen, auch die Speisen, die er hatte kommen lassen, waren perfekt auf die Gäste zugeschnitten. Nur vom Feinsten. Zwischen die Prominenten mischten sich auch die VIP-Fotografen der einschlägigen Boulevardzeitschriften. Einige der Fotografen waren in der Szene schon selbst berühmt und so ließen sich die Stars und Sternchen, die Adeligen und Firmenbosse gerne und bereitwillig von ihnen ablichten. Auch einige kleinere Interviews wurden aufgenommen, die in den nächsten Tagen die Blätter füllen werden.

    In der Garderobe hatte Annika gut zu tun, Mäntel über Mäntel und Taschen über Taschen füllten die Garderobenfächer. Sie hatte auch schon den einen oder anderen Schlüsselring beschriftet. Murat würde bald zu seiner ersten Tour zu Kemal aufbrechen.

    Auf einem Tisch im großen Saal türmten sich die Preise für die Tombola, zum größten Teil in Form von Gutscheinen, denn Autopreise und Wochenendreisen lassen sich nun mal nicht auf einen Tisch stellen.

    Charity bedeutet Wohltätigkeit. Und wohltätig konnte man das, was Leonard Kunze an diesem Samstag vorhatte, auch bezeichnen. Und zwar aus drei Gründen:

    1. konnten sich die Reichen und Schönen mal wieder im Scheinwerferlicht sonnen,
    2. ging der Erlös der Veranstaltung tatsächlich in voller Höhe abzüglich lediglich der Ausgaben für das Catering an das Kinderhilfswerk West und
    3. war es wohltätig ihm selbst und seiner Brieftasche gegenüber,

    also eine Benefizveranstaltung in dreifacher Hinsicht.

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

    • Zitieren
  • Yon
    Kriminaloberkommissarin
    Reaktionen
    308
    Beiträge
    3.013
    • 26. August 2013 um 09:11
    • #31

    Samstag, Bei Susanne

    Susanne fuhr mit Ayda und Lilly zu sich nach Hause. Aber die beiden Kinder fanden dort keine Ruhe, die Fragen nach ihren Eltern konnte Susanne ihnen nicht beantworten, auch sie machte sich große Sorgen um Andrea und Semir, und diese Gefühle konnte sie vor allem vor Ayda nicht geheim halten. „Können wir denn nicht zu uns nach Hause?“, fragte sie Susanne, „dort kann Lilly vielleicht doch einschlafen.“

    Susanne überlegte. Die Familie war auf dem Weg in ein sicheres Versteck überfallen worden. Sie musste in diesem Moment davon ausgehen, dass die Täter Semir und Andrea noch in ihrer Gewalt hatten und die Kinder absichtlich an der PAST abgesetzt haben, um sie aus der Schusslinie zu wissen. Was sollte ihnen also passieren, wenn sie nicht bei ihr, sondern in ihrem Elternhaus auf ihre Eltern oder auf die Nachricht warteten, an die sie gar nicht zu denken wagte und die sie deshalb bewusst kategorisch aus ihrem Gedankengut gestrichen hatte. Sie entschied, dass es für die Kinder vielleicht sogar beruhigender war, sich in einer gewohnten Umgebung aufzuhalten.

    So trug sie gegen Lilly wieder zu ihrem Auto, Ayda ging langsam hinter ihr her, und fuhr zu dem Haus der Gerkans, welches etwa 30 Minuten entfernt lag. Als sie sich dem Haus näherte, fiel ihr der dunkle Audi auf, der auf der Einfahrt stand. „Ayda, kennst du den Wagen?“, fragte sie das dunkelhaarige Mädchen, welches den Wagen anstarrte, dann zu zittern anfing, „Ayda, was hast du?“ – „Da Das ist das Auto, das uns angehalten hatte, ganz bestimmt“, stotterte sie, „wenn die hier sind?“ – „Das klären wir gleich, ganz ruhig Ayda, wir bleiben hier im Auto, ich rufe Alex an“, bestimmte Susanne und hatte bereits ihr Handy in der Hand.

    „Alex? Hier ist Susanne. Ich stehe vor Semirs Haus und hier ist ein Auto der Gangster, Ayda hat es erkannt, kannst du schnell kommen? Und Hartmut mitbringen?“ Alex versprach, den KTU-Beamten und auch Frau Krüger zu alarmieren und sich gleich auf den Weg zu machen. Er spielte alle Möglichkeiten in seinem Kopf durch: Waren die Verbrecher zu Gerkans Haus gefahren? Klingt unlogisch, warum sollten sie? Konnte Semir sich befreien und ist nach Hause gefahren? Dann könnte er im Haus sein? Er musste auf jeden Fall das Haus durchsuchen, bevor Susanne mit den Kindern hinein geht. Er hatte diese Gedanken noch nicht abgeschlossen, da stand er bereits neben Susannes Wagen. Auch Hartmut war innerhalb von 20 Minuten vor Ort und machte sich gleich an die Arbeit, in dem Audi, welchen er geschickt öffnete, nach Spuren zu suchen und diese zu sichern. Wenig später traf auch Kim Krüger vor dem Haus der Gerkans ein.

    Alex und Kim schlichen einmal um das Haus herum. Es war nichts zu hören oder zu sehen. Sollte jemand im Haus sein, so verhielt sich dieser auffallend ruhig oder war nicht mehr in der Lage, sich irgendwie zu verhalten. Dann öffnete er mit einem Zweitschlüssel, den Semir ihm vor wenigen Wochen anvertraut hatte, die Haustür und betrat gemeinsam mit seiner Chefin das Haus seines Partners. Sie schlichen mit gezogenen Waffen durch das gesamte Haus, gingen in jedes Zimmer, öffneten jede Tür und gaben schließlich das Haus für Susanne und die Kinder frei.

    Hartmut veranlasste den Transport des Audis in die KTU und machte sich mit den Proben schnell in sein Labor auf. Er meldete sich schon eine Stunde später bei Alex und bestätigte, dass Semir definitiv in dem Audi gewesen ist und auch gefahren sein musste. Dass er dieses unter anderem durch Blutspuren nachgewiesen hatte, verschwieg er, weil er neben Alex und Kim auch Susanne und eventuell Semirs Töchter als Zuhörerinnen vermutete. Diese jedoch lagen bereits gemeinsam in Aydas Bett und waren endlich zusammengekuschelt in einen unruhigen Schlaf gefallen.

    Auch den Halter des Audis konnte Hartmut vermelden, es handelte sich um einen gewissen Kenan Yilmaz. Er nannte Alex die Adresse und dieser machte sich gleich mit seiner Chefin auf den Weg. Es war bereits nach 22:00 Uhr.


    http://www.youtube.com/watch?v=m3ztIERyzjQ

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

    • Zitieren
  • Yon
    Kriminaloberkommissarin
    Reaktionen
    308
    Beiträge
    3.013
    • 27. August 2013 um 08:59
    • #32

    Samstag, 21:30 Zugang

    Semirs erste Adresse war Kemal, er musste sich ein Bild von dem machen, was der Nachbar, dieser Kaufmann ihm erzählt hatte. Und der hatte nicht untertrieben. Als er durch die Eingangstür des Schlüsseldienstes blickte, traute er seinen Augen kaum. Der Laden war verwüstet, die Maschinen abgebaut, Schubladen herausgerissen. Der Boden des Geschäfts war übersäht mit Schlüsselanhängern, Schlüsselrohlingen und weiterem Zubehör. Hier hatte es jemand sehr eilig gehabt. Semir öffnete mit seinem Dietrich-Besteck die Tür und betrat das Geschäft seines Bruders. Von Kemal fand er keine Spur, auch nicht den kleinsten Hinweis auf seinen Aufenthaltsort. Er und sein Maschineninventar waren verschwunden.

    Jetzt konnte nur noch Leonard Kunze helfen, Semir glaubte fest daran, dass der genau wusste, wo Andrea und Kemal waren. Semir verließ den Laden wieder, zog die Eingangstür ins Schloss und fuhr zu Leos Club, wo er seinen BMW hinter dem Gebäude neben dem Bus von Bens Band abstellte. Er atmete tief ein und aus, blickte etwas ratlos auf den Hintereingang zum Club, der durch eine schwere Eisentür gebildet wurde. Dann erinnerte er sich an das alte Handy, welches sich immer noch im Handschuhfach befand, und rief damit Ben an.

    Dieser stand auf der Bühne und spielte gerade einen Song, als das Handy in seiner Hosentasche begann zu vibrieren. Er konnte natürlich das Lied nicht unterbrechen, so spielte er es zu Ende und verkündete dann eine kurze Pause. Er rief Semir zurück und ging dann zur Hintertür. Als er seinen Freund erblickte, erschrak Ben. Ein Auge halb zugeschwollen, eine Platzwunde am Haaransatz, etwas schwankend und unsicher auf den Beinen, an der Hauswand nach Halt suchend, veranlasste Semir ihn zu der Frage: „Semir! Gott, was ist passiert?“ – „Sie haben Andrea und die Kinder, Ben. Ich konnte es nicht verhindern.“ – „Semir, Ayda und Lilly sind bei Susanne, es geht ihnen gut.“ – „Woher …?“ – „Sie haben sie etwa zwei Stunden spazieren gefahren und dann hinter der PAST mit dem Auto abgestellt. Von dort sind sie rein, und Susanne hat ohne Erfolg versucht, Andrea oder dich zu erreichen. Dann riefen sie Alex und mich an.“ – „Hast du ihr erzählt, dass ich vorhatte herzukommen?“, fragte Semir. „Nein“ – „Es geht ihnen wirklich gut?“, kam Semir jetzt auf seine Kinder zurück. „Ja, Semir.“ – „Und Andrea?“ – „Nein, nur Ayda und Lilly.“ Ein großer Teil der Anspannung fiel von Semir ab, die Sorge um Andrea blieb. „Dann haben sie sie noch?“ Auf diese Frage erhielt Semir keine Antwort. Ben wusste die Antwort nicht. Nach einigen Augenblicken richtete sich Semir auf und sagte entschlossen: „Okay, lässt du mich jetzt rein?“

    Ben ging zunächst zum Bus und schloss die Ladeklappe auf. „Du solltest wenigstens so tun als ob du für mich arbeitest“, erklärte er und drückte Semir eine Kiste in die Hand, nahm selbst auch eine, verschloss den Wagen wieder und ging, Semir im Schlepptau, durch die Hintertür ins Haus. Sie befanden sich jetzt am Rande der Bühne. Ben drehte sich um, ging in die Knie, setzte die Kiste ab und bedeutete Semir, es ihm gleich zu tun. Dann sprach er leise: „Genau hinter mir, für dich auf 12 Uhr, im ersten Stock, die vier großen schwarzen Scheiben. Das ist Leos Büro. Er kann uns hier sehen, wir von dieser Seite ihn nicht. Hinten links im Raum siehst du eine Tür, dahinter liegt die Treppe nach oben. „Bist du dir sicher, dass du das hier wirklich alleine durchziehen willst?“ - „Ben, Leo ist wahrscheinlich der einzige Schlüssel zu Andrea und Kemal. Ich muss es tun!“


    http://www.youtube.com/watch?v=mfXciL1inXk

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

    • Zitieren
  • Yon
    Kriminaloberkommissarin
    Reaktionen
    308
    Beiträge
    3.013
    • 28. August 2013 um 09:00
    • #33

    Samstag, 22:00 Annika

    Während Semir sich auf den Weg zu Leos Büro machte, sah sich Ben im übrigen Club um. Irgendwie mussten die doch an die Schlüssel kommen, um sie von Kemal duplizieren zu lassen. Bens Weg führte auch an der Garderobe vorbei, wo er eine junge Frau antraf, die eilig etwas versuchte unterm Tisch vor ihm zu verbergen, als sie ihn eintreten sah.

    „Sagen Sie mal“, begann er ein zwangloses Gespräch, „die Gäste geben doch hier ihre Jacken und Taschen in Ihre Obhut, oder?“ Annika nickte. „So ist es, und ich passe dann darauf auf.“ – „So, und hier kommt nichts weg? Ich meine, haben noch andere Personen Zugang zur Garderobe?“ – „Nein, warum fragen Sie?“ – „Ich habe mich nur gefragt, vielleicht wären auch meine Jacke und die meiner Band hier besser aufgehoben, als hinter der Bühne? Was meinen Sie? Wie ist ihr Name? Ich bin Ben, Ben Jäger“, versuchte er vergeblich das Eis zu brechen. – „Ich bin Annika. Ich passe gerne auf Ihre Jacken auf.“ Die Situation wurde der jungen Frau langsam unangenehm, die Schlüssel in ihrer Hand unter dem Tisch brannten sich förmlich in ihre Hand. Wann geht der Kerl denn endlich?

    „Dann werde ich sie mal holen gehen. Bis gleich.“ Ben wandte sich zum Gehen, drehte sich aber nach zwei Schritten in Richtung der Tür abrupt um und sprach Annika erneut an: „Ach, noch eine Frage…“, sprach er eine Spur lauter als nötig, so dass die langhaarige Studentin zusammenfuhr und vor Schreck den Schlüssel aus der Hand gleiten lies, der mit einem lauten scheppernden Geräusch auf die Fliesen prallte.

    Annika wollte sich gerade bücken, doch Ben war schneller und griff nach ihrer Hand mit dem aufgehobenen Schlüsselbund. „Das ist doch nicht Ihr Schlüssel?“, fragte er, als er den Autoschlüssel mit dem Mercedes-Logo ansah.

    „Wir sollten jetzt mal Klartext reden. Ich bin nicht von der Polizei, aber die ist schon im Haus und es werden noch mehr kommen, davon können Sie ausgehen. Sie wollen sich doch nicht Ihre ganze Zukunft verbauen, indem Sie jetzt in den Knast gehen? Das kommt nämlich auf Sie zu, wenn es stimmt, was ich vermute.“ Jetzt ließ er erst Annikas Hand los, die daraufhin einen Schritt nach hinten wich. Ihr traten die Tränen in die Augen, sie war der Situation und der eindringlichen Art dieses Mannes nicht gewachsen. Ben sah, was los war und legte noch einmal nach. „Hätten Ihre Eltern gewollt, dass Sie für Jahre hinter Gitter wandern?“ Dann wartete er einige Augenblicke ab und fügte in einem ruhigen Tonfall hinzu. „Sie können allerdings etwas für sich tun. Helfen Sie der Polizei, die Sache heute zu beenden. Es ist eine Familie entführt worden deswegen. Es geht um mehr als nur um Einbruch und Diebstahl. Wann werden die Schlüssel weggebracht und wohin?“ Annika wägte ab, der Mann hatte Recht. Das ganze Geld war es nicht wert, dass sie ihre Zukunft aufs Spiel setzte. „In etwa 20 Minuten kommt Murat, holt die Schlüssel bei mir ab und bringt sie weg“, sagte sie schließlich leise und mit bebender Stimme. „Und wohin?“ – „Das weiß ich wirklich nicht, ehrlich.“ – „Annika?“, fragte Ben nach, der eine Lüge roch, wo eine Lüge war. „Waldweg 18, bei Petra Grundtal“ – „Sie werden es nicht bereuen, ich werde mit der Polizei reden. Und zu ihren Leuten kein Wort!“ Er wollte noch etwas hinzufügen, dann aber hörte er mehrere verdächtige Geräusche aus dem ersten Stock und machte sich sofort auf den Weg nach oben. Er ahnte Schlimmes.


    http://www.youtube.com/watch?v=eg6UahhqpyE

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

    • Zitieren
  • Yon
    Kriminaloberkommissarin
    Reaktionen
    308
    Beiträge
    3.013
    • 29. August 2013 um 09:05
    • #34

    Samstag, 22:00 Aus dem Ruder

    Semir stand endlich in Leos Büro. Dieser blickte erstaunt auf; bevor er aber etwas fragen konnte, polterte Semir los: „Wo ist meine Frau, und wo ist mein Bruder? Wo haben Sie sie hinbringen lassen?“ Er zielte mit seiner Waffe auf den Club-Chef. „Machen Sie sich doch nicht lächerlich, Herr …“ Er hatte seine Hände auf seinen Oberschenkeln ruhen und ließ jetzt eine Hand langsam unter den Tisch wandern, „Was habe ich denn mit Ihrem Bruder und Ihrer Frau zu schaffen?“ - „Ich weiß es. Und Sie wissen es auch. Stehen Sie auf!“ Bevor Leo dieser Forderung nachkam, drückte er auf einen versteckt unter der Tischplatte angebrachten Knopf, woraufhin durch die Seitentür zwei Bodyguards in das Büro eintraten und beim Anblick von Semirs Waffe sofort ihre Pistolen in der Hand hielten. Auch Leo hatte sich innerhalb dieser Sekunde der Verwirrung bewaffnet. So sah sich Semir drei bewaffneten Gegnern gegenüber und bereute zutiefst, aufgrund seines Dickkopfes und seiner Sturheit, alleine hergekommen zu sein. Jetzt könnte er Alex‘ Unterstützung brauchen. Oder die von Ben.

    Sollte er sich ergeben? Sollte er kämpfen? Es gab nur diese zwei Möglichkeiten, zwischen denen er sich entscheiden musste. Ergab er sich, wäre er wie sein Bruder in den Händen dieser Gangster, Überlebenschance gering, kämpfte er, hätte er eine kleine Option auf Leos Festnahme, Überlebenschance aber mindestens ebenso gering. Diese Abwägung fand in Semirs Kopf innerhalb von Sekundenbruchteilen statt, und seine Entscheidung fiel.

    Er hob seine Hände mit der Waffe neben seinen Kopf, täuschte so Ergebenheit vor, im nächsten Moment hechtete er hinter die massive Couch und eröffnete das Feuer. Leos Bodyguards waren überrascht und gingen getroffen zu Boden. Leo selbst schoss jetzt auf Semir und wurde von diesem in den Bauch getroffen und ließ seine Waffe fallen. Plötzlich durchzuckte Semir ein stechender Schmerz in der linken Schulter. Einer der Bodyguards war wieder zu sich gekommen und hatte auf ihn gezielt und abgedrückt. Der jetzt entstehende Schusswechsel ging allerdings tödlich für den Bodyguard aus.

    Semir erhob sich nun langsam, griff sich an seine Schusswunde und atmete langsam durch. Er ging zu den liegenden Leibwächtern, um deren Waffen außer Reichweite zu schieben und wandte sich dann Leo zu, der in seinem Schreibtischsessel hing und seine Hände auf den Bauch presste. Blut rann ihm durch die Finger. Semir gab auch dessen Waffe einen Tritt, so dass sie unter der Heizung landete.

    „Wo ist mein Bruder? Wo halten sie ihn fest?“, wollte er erneut von dem Dicken wissen bekam aber keine Antwort „Antworten Sie, dann rufe ich Ihnen einen Arzt, oder wollen Sie hier krepieren? Ihre Wahl!“ Langsam stieg Panik in Leonard Kunze hoch. Dieser Polizist würde ihn hier verbluten lassen, wenn er ihm keinen Hinweis gibt. „G G Gru Grundtal“, stieß er stotternd hervor.

    Angelockt von dem Schusswechsel, der insgesamt keine Minute dauerte, stand Ben in der Tür zum Büro. Kein anderer Gast hatte diese durch die Schallisolierung des Büros gedämpften Geräusche als Schüsse interpretiert. Aber Ben war zu lange Polizeibeamter gewesen, um sich davon täuschen zu lassen, er erkannte die Schüsse sofort und beeilte sich, zu Semir zu kommen.

    „Semir, was …?“ Der Angesprochene stand am Schreibtisch und blätterte in einem aufgeschlagenen Adressbuch. Er suchte und fand unter G „Grundtal, Petra, Waldweg 18“. Semir hinterließ blutige Fingerabdrücke auf den aufgeschlagenen Seiten. „Du bist verletzt“ – „Das ist nichts, ich muss jetzt Andrea und Kemal da rausholen“ – „Ich komme mit!“ – „Ein unbewaffneter Musiker? Nein, du bleibst hier, warte auf die Polizei und ruf einen RTW für diesen feinen Herrn. Ich muss mich beeilen.“


    http://www.youtube.com/watch?v=H2q3qDG2nN4

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

    • Zitieren
  • Yon
    Kriminaloberkommissarin
    Reaktionen
    308
    Beiträge
    3.013
    • 30. August 2013 um 09:11
    • #35

    Samstag, 22:00 Alex und Kim

    Alex fuhr gemeinsam mit Kim zu der Adresse, in dem sie den Halter des dunklen Audis vermuteten und fanden sich vor einem zehnstöckigen Hochhaus wieder. „Yilmaz“ stand auf einem Klingelknopf, der zur achten Etage gehörte. Die Eingangstür war nur angelehnt, so dass die Polizeibeamten das Haus betraten und sich von Fahrstuhl nach oben bringen ließen, ohne vorher zu klingeln. Erst als sie direkt vor der Wohnungstür standen, machten sie sich bemerkbar und betätigten den Klingelknopf.

    Erst nachdem sie dieses einmal wiederholt hatten, hörten sie ein Schlurfen aus der Wohnung und standen bald darauf einer kleinen Türkin in einem Bademantel gegenüber. „Ja?“ – „Guten Abend, entschuldigen Sie die späte Störung“, begann Kim, „wir suchen Kenan Yilmaz, der soll hier wohnen.“ – „Ja, das ist mein Sohn. Aber der ist nicht da, er wohnt jetzt bei seinem Bruder“, erhielt sie zur Antwort. „Können Sie uns sagen, wo wir ihn jetzt finden? Wir müssten dringend mit ihm sprechen“ – „Vielleicht arbeitet er heute in Leos Club, da ist er öfters. Oder er ist bei Murat“ – „Leos Club? Der Tanzschuppen?“ - „Ja, er ist dort Türsteher oder Barkeeper oder so, erzählt nicht viel“ – „Wenn er dort ist, finden wir ihn, und wo wohnt sein Bruder?“ – „In der Kesslerstraße 67“ – „Tun Sie uns noch einen Gefallen und rufen ihn nicht an? Es soll eine Überraschung für ihn sein, wir sind gute Freunde von ihm, er wird Ihnen bestimmt später davon erzählen. Haben Sie vielen Dank!“, schloss Kim die Unterhaltung ab und zog sich von der Tür zurück.

    Obwohl weder Kim noch Alex sich als Polizisten auswiesen, war die Frau sehr auskunftsbereit. Alex war sich sicher, dass Kim auch noch ihre Kontoverbindung erfahren hätte oder sie zur Überweisung einer ansehnlichen Spende auf das Konto notleidender Polizeihunde hätte überreden können.

    Sie blieben noch ein wenig im Hausflur stehen, bis sie sicher waren, dass sich außer der älteren Frau keine weitere Person in der Wohnung befand und kein Geräusch mehr durch die Wohnungstür drang. Frau Yilmaz schien sich wieder hingelegt zu haben.

    Alex und Kim verließen das Hochhaus und gingen zurück zum Dienstwagen. Sie einigten sich kurz: „Leos Club?“ – „Leos Club!“ Damit stand ihr Fahrtziel fest.


    http://www.youtube.com/watch?v=u-0dM0DDuh8

    Samstag, 22:45 Waldweg 18

    „Bist du noch ganz bei Trost? Ich lass‘ dich da nicht alleine hin. Mit wie vielen legst du dich da an? Wenn die wirklich Andrea und Kemal in dieser Wohnung festhalten, sind es mindestens … wenn nicht mehr. Und du bist verletzt. Und was heißt hier eigentlich unbewaffnet?“, regte Ben sich auf. Er beugte sich zu einem der am Boden liegenden Revolver, nahm ihn in die Hand. Er schaute kurz ins Magazin, es war noch fast voll. Das musste reichen. „Und jetzt los, ehe deine Kollegen hier sind!“, forderte er Semir auf.

    Sie ließen das Adressbuch aufgeschlagen auf dem Tisch liegen und gingen aus dem Büro hinunter in den Saal. Ein kurzer Wortwechsel von Ben mit seiner Band und sie verließen Leos Club, nicht ohne in der Garderobe Annika zu fragen, ob Murat schon aufgebrochen war. Sie schüttelte den Kopf und sagte leise: „Er wollte gleich los, vielleicht 5-10 Minuten“ – „Okay“, antwortete Ben, „du machst das Richtige, glaub‘ mir“, fügte er noch hinzu und nickte aufmunternd mit dem Kopf.

    „Ich fahre“, bestimmte Ben. Er rief noch über sein Handy einen Krankenwagen zu Leos Club, um den Clubbesitzer versorgen zu lassen und war sich sicher, dass damit auch die Polizei nicht allzu lange auf sich warten lassen würde. Dann stieg er in Semirs BMW und fuhr mit ihm in den Waldweg 18. „Was erwartet uns da?“, wollte er von seinem ehemaligen Kollegen wissen. Der gewohnte Dienstwagen, sein langjähriger Partner neben ihm, das ließ den Polizisten in ihm wieder aufleben. „Ich weiß es nicht“, gab Semir zu, „wenn wir Glück haben, können wir Kemal und Andrea finden und befreien und die Gangster festnehmen.“ – „Annika sagte etwas von 150 Schlüsseln, das dauert seine Zeit. Sicher sind sie noch voll beschäftigt. Wir werden hier auf Murat warten, der wird unsere Eintrittskarte in die Wohnung sein, wenn er die Schlüssel abholen kommt. Bist du dir sicher, dass wir ohne Verstärkung auskommen?“ – „Sicher? Keineswegs!“, war die Antwort von Semir.

    Ben hielt den BMW in einer Seitenstraße zum Waldweg an und die beiden Freunde verließen das Auto, um in einer kleinen Tordurchfahrt nahe der Hausnummer 18 auf Murat zu warten.

    „Aber wir rufen keine?“, setzte Ben mit einer weiteren Frage nach – „Du hast es erfasst. Ich möchte nicht, dass es zu einem Schusswechsel kommt. Andrea und Kemal sind in der Wohnung, da bin ich ganz sicher.“

    „Kannst du mir mal sagen, warum ich das tue?“, wollte Ben nun wissen. „Weil du mein Freund bist“, bekam er nach kurzer Pause erklärt. Semir zog seine Augenbrauen in die Höhe. Es vergingen mehrere schweigsame Minuten, dann näherte sich ein dunkler Wagen und hielt vor dem Wohnblock an. Murat entstieg ihm und ging über die Straße zum Wohnhaus. Semir nickte Ben zu. Dieser setzte sich langsam in Bewegung und flüsterte: „Semir, manchmal ist es nicht einfach, dein Freund zu sein.“


    http://www.youtube.com/watch?v=PKQxVF6XyvM

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

    • Zitieren
  • Yon
    Kriminaloberkommissarin
    Reaktionen
    308
    Beiträge
    3.013
    • 31. August 2013 um 08:38
    • #36

    Samstag, 23:00 Alex und Kim

    Alex und Kim fuhren zu Leos Club. Er lag etwa 40 Minuten weit entfernt und Alex trat das Gaspedal durch. „Sie wissen, wo sich der Club befindet?“, wollte Kim von ihrem Untergebenden wissen. „Ja, da war ich schon mal zu einer Ausstellung, ich glaube ich kenne auch den schnellsten Weg“, antwortete Alex ihr. „Aber denken Sie daran, Brandt: Für Abkürzungen haben wir heute Abend keine Zeit!“

    Der Kommissar fuhr zügig durch die Straßen Kölns, bis sie den Club erreichten. Vor der Tür standen bereits ein Rettungswagen mir geöffneter Tür und zwei Streifenwagen mit laufenden Blaulichtern. Kim Krüger ging zielstrebig auf einen der Uniformierten zu und wies sich als Kollegin aus. „Was ist hier passiert?“, fragte sie den Polizisten. „Schusswechsel, zwei Tote und ein Schwerverletzter“, erhielt sie zur Antwort und zuckte zusammen. „Wurden die Opfer schon identifiziert?“ – „Ja, der Barbesitzer Leonard Kunze liegt im RTW und wird behandelt, die Toten sind seine beiden Leibwächter.“ Kim atmete erleichtert auf. „Wo ist das passiert?“, mischte sich jetzt auch Alex ein und steckte den vorgezeigten Ausweis wieder in seine Jackentasche. „Oben im Büro. Was hat die Autobahnpolizei mit der Sache zu tun?“ – „Wie suchen einen unserer Kollegen und ermitteln gegen Kunze. Können Sie uns den Weg zeigen?“ – „Ja, kommen Sie mit.“

    Sie betraten das Büro des Barbesitzers, sahen die Blutlachen auf dem Teppich und dem Schreibtischstuhl. Die Spurensicherung wird hier noch viel zu tun haben, dachte Kim Krüger. Gut, das sollte jetzt nicht ihr Problem sein. Sie zog sich Handschuhe über und nahm das Adressbuch in die Hand, das aufgeschlagen auf dem Schreibtisch lag und auch Blutspuren aufwies. Jemand hatte eine Adresse angekreuzt: Grundtal, Petra, Waldweg 18. „Brandt“, sprach sie ihren Kollegen an, „Grundtal? Hieß so nicht das Unfallopfer von neulich?“ – „Das kann ich Ihnen nicht sagen, ich war drei Tage nicht im Büro.“ – „Doch, ich bin mir fast sicher. Das könnte eine Spur sein, wir sollten zu dieser Adresse fahren.“

    Auf dem Weg nach unten, dachte Kim laut weiter: „Wenn Gerkan hier war, dann geht er der Adresse nach. Ich frage mich nur: Was hat Andrea mit der Sache zu tun? Und warum unternimmt er einen solchen Alleingang?“ – „Das werden wir ihn hoffentlich bald selber fragen können.“ - „Also, Petra Grundtal bricht in die Villa ein, klaut das Auto und kommt bei einem Unfall ums Leben. Identifiziert wird sie von ihrem Ex-Mann, der uns aber ihre aktuelle Adresse nicht nennen konnte. Gemeldet ist Petra Grundtal bei ihrem Ex-Mann. Dann wird Semir mit seiner Familie überfallen, Andrea wird entführt, Semir kann – wie auch immer er es angestellt hat – entkommen. Mir fehlen viele Teile, aber er scheint in seinen Ermittlungen jemanden mächtig auf die Füße getreten zu sein.“

    Kurz vor dem Dienstwagen stellte sich Ihnen Annika, das Garderobenmädchen in den Weg. „Hallo? Sind die die Kollegen von dem Polizisten, der heute Abend hier war und mit dem Musiker weggefahren ist? Ich möchte mich Ihnen stellen.“, sagte sie leise. „Moment, was haben Sie mit der Sache zu tun? Und welcher Musiker?“ – „Na, der Ben Jäger, der hier heute gespielt hat, er und der Polizist schienen sich zu kennen. Herr Jäger hat mit mir gesprochen.“ – „Und warum wollen Sie sich stellen? Was wissen Sie? Kommen Sie mit, erzählen Sie uns unterwegs alles.“

    Auf der Fahrt in den Waldweg erfuhren sie von Annika, wie die Schlüssel dupliziert wurden und die Einbrüche organisiert waren. In diesem Zusammenhang hörten sie zum ersten Mal den Namen „Kemal Gerkan“ und auch, dass Murat und Kenan ihn mit Bildern seines Bruders und dessen Familie unter Druck gesetzt hatten. So allmählich setzte sich das Bild für die beiden Ermittler zusammen.

    Dann näherten Sie dem Viertel, in dem Petra Grundtal gewohnt hatte.


    http://www.youtube.com/watch?v=D60skYK5HuA

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

    • Zitieren
  • Yon
    Kriminaloberkommissarin
    Reaktionen
    308
    Beiträge
    3.013
    • 1. September 2013 um 07:45
    • #37

    Sonntag, 00:00 Showdown

    Murat näherte sich der Tordurchfahrt, unter der Semir mit Ben auf ihn wartete. Seine Kapuze hatte er aufgrund des Regens tief in sein Gesicht gezogen. Aber seine gedrungene Haltung verriet ihn. Sein Gesicht hatte Semir heute Mittag wegen der Maskierung auch nicht gesehen. Aber den Gang würde er sein Lebtag nicht mehr vergessen. Er nickte Ben zu und flüsterte fast unhörbar „Das ist er.“

    Kaum war Murat an der Durchfahrt vorbeigegangen, war Ben hinter ihm, die 'geliehene' Pistole hielt er dem Türken in den Rücken, mit seinem linken Arm drückte er ihm die Luft ab, so dass Murat keinen Ton rausbrachte. Dann bugsierte er ihn zurück in die Tordurchfahrt zu Semir.

    Murat erschrak, als er Semir erkannte. Sollte der nicht aus dem Weg geräumt worden sein? Wie kommt er hierher? Da würde er später mit Leos Leuten ein ernstes Wörtchen zu reden haben. Eine solche Schlamperei war nicht zu dulden. „So schnell haben Sie sich das Wiedersehen nicht gedacht, nicht wahr?“, begrüßte Semir ihn, „es braucht schon mehr als drei Dilettanten, einen Semir Gerkan zu überwältigen. Ok, ich frage, Sie antworten: ist meine Frau hier in der Wohnung?“ Ben lockerte seinen Griff so soweit, dass Murat Luft zum Sprechen hatte und antworten konnte. „Ja“, kam gequält von ihm, der sich krampfhaft aber erfolglos aus den Fängen von Ben zu befreien versuchte. „Wer ist noch drin, und wie viele?“ - „Martin, Kenan und ihr Bruder“ - „Also mit dir drei?“ - „Ja.“ - „Wenn wir merken, dass du gelogen hast, bist du im selben Augenblick ein toter Mann, jetzt komm, bring uns rein!“

    Zu dritt gingen sie so leise wie nur möglich die Treppen zum dritten Stock hoch. Semir voran, entschlossen aber deutlich langsamer als sonst. Ihn machten die Kopfschmerzen wieder zu schaffen und seine verletzte Schulter tat ihr übriges. Er hielt seine Waffe in der rechten Hand. Ihm folgte Murat, jetzt wieder fester im Griff von Ben, der ihn mehr die Treppen hochschob, als er selbst ging. Es war das erste Mal seit seinem Abschied von der Polizei, dass er eine Waffe in seiner Hand hielt. Und er hoffte inständig, sie nicht nutzen zu müssen. Er würde sich viel Ärger einhandeln, sollte er sich an einem Schusswechsel beteiligen. Aber er würde auch nicht zögern, Semir, Andrea, Kemal und sich zu verteidigen und dafür Gebrauch von dem Ding zu machen.

    Vor der Wohnungstür stellten sich Ben und Semir rechts und links der Tür mit dem Rücken an die Wand gepresst, um nicht im Blickwinkel der Türspions zu stehen. Murat platzierten sie mittig. Semir klingelte „Ein Ton und du bist tot“, warnte er Murat.

    Die Tür wurde von Kenan geöffnet, der seinen Bruder sofort anschnauzte: „Das wird auch Zeit, du hättest längst hier sein müssen, was dauerte das denn so lang?“ Noch bevor Murat zu einer Antwort ansetzen konnte, schob Ben ihn in den Flur, schlug ihn mit der Waffe nieder und warf sich dann auf Kenan, während Semir an ihm vorbei in die Zimmer auf der rechten Seite des Flurs schaute, beide Räume waren leer. Die Maschine, mit der Kemal die Schlüssel schliff war laut aus dem Wohnzimmer, dem hinteren linken Zimmer der Wohnung, zu hören. Durch den Lärm, den sie verursachte, war das Vorgehen auf dem Flur bislang den dort Anwesenden verborgen geblieben. Ben gewann Oberhand und drückte mit seinen Knien die Oberarme von Kenan auf den Boden. Dann nahm er aus seiner Hosentasche zwei Kabelbinder, die er vorher aus Semirs Handschuhfach genommen hatte und fesselte den Türken damit die Hände und die Füße.

    Semir blickte in das Wohnzimmer, sah seinen Bruder konzentriert arbeiten. Hinten an der Wand kauerte Andrea, den Kopf in ihre Arme auf ihren Knien gelegt. Sie blickte nicht auf, schien zu schlafen oder zumindest zu ruhen. Neben Kemal saß der blonde Martin Grundtal und hielt Kemal in Schach und hatte auch Andrea im Blick. Allmählich wunderte er sich, dass seine türkischen Mittäter nicht aus dem Flur zurückkamen und er stand auf um nachzusehen, wo sie abblieben. „Kenan, war das nicht Murat?“, rief er gegen den Lärm an.
    Jetzt oder nie, dachte sich Semir und stürmte ins Wohnzimmer, rollte sich hinter Martin Grundtal auf dem Boden ab und griff ihn an. Das erschreckte Kemal, der aufsprang und zu der Wand schlich, an der Andrea saß, die jetzt langsam wieder zu sich kam. Sie konnte nicht glauben, was sie sah. „Semir?“, fragte sie, rührte sich aber nicht.

    Der rang mittlerweile Martin Grundtal zu Boden. Es gelang ihm aber nicht, ihm seine Waffe zu entreißen. „Ben!“, rief er in den Flur, „hilf mir!“ Sein verletzter Arm behinderte ihn im Kampf, jetzt hatte Martin Grundtal seine Waffe auf Semir gerichtet, der riss mit letzter Kraft dessen Arm nach oben, es lösten sich zwei Schüsse, bevor Ben es schließlich gelang, ihm die Waffe zu entreißen und seinen Körper von Semir zu zerren. Er schlug ihn k.o. und fesselte ihn ebenfalls.

    Semir blieb drei Atemzüge lang liegen, seine Kopfwunde hatte wieder zu bluten begonnen, kam dann schwankend auf die Beine und näherte sich Andrea, die immer noch regungslos an der Wand saß.

    Er kniete sich neben seine Frau und nahm sie schweigend in seine Arme. Ganz langsam löste sich ihre Starre und Andrea begann zu schluchzen. Semir strich ihr beruhigend über den Rücken. „Es geht ihnen gut. Jetzt ist es vorbei, Andrea“, beruhigte er sie und beantwortete damit gleichzeitig die lautlos gestellte Frage nach ihren Kindern.

    „Semir“, klang plötzlich eine brechende Stimme und der Angesprochene blickte auf. Kemal stand noch immer unbeweglich an der Wand und begann jetzt langsam, an dieser herunterzurutschen. Er hinterließ dabei einen schmalen blutigen Streifen an der weißen Wand. „Kemal, was ...?“ Ben war mittlerweile bei Semir und Andrea angekommen und hatte bereits sein Handy in der Hand und den Notruf gewählt. Semir ließ Andrea einen Moment los und näherte sich seinem Bruder. „Semir, es tut mir ... leid. Das habe ... ich ... nicht ... gewollt ...“ - „Kemal, nicht reden, Rettung ist unterwegs“ Er kniete jetzt neben ihm. Aber seine Worte kamen bei seinem Bruder nicht mehr an. Er war tot.

    Semir konnte nicht mehr, er setzte sich neben seinen toten Bruder und vergrub den Kopf in seinen Armen. Andrea kam langsam näher und nahm nun ihrerseits Semir in den Arm, um ihn zu trösten. „Semir, was ist hier passiert?“, klang plötzlich eine Frage aus Richtung der Tür zum Flur.


    http://www.youtube.com/watch?v=QImlHS…RD02geTnK7dQ-HM

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

    • Zitieren
  • Yon
    Kriminaloberkommissarin
    Reaktionen
    308
    Beiträge
    3.013
    • 2. September 2013 um 09:17
    • #38

    Sonntag, 01:00 Gefunden

    Es war schon weit nach Mitternacht, als der silbergraue Mercedes durch die menschenverlassenen, regennassen Straßen Kölns glitt.

    Der Fahrer reduzierte das schon sehr langsame Tempo, um genau in eine Seitenstraße blicken zu können. Er nickte seiner Beifahrerin zu, als er den abgestellten BMW seines Partners erkannte. “Hier sind wir also richtig“, stellte er fest. „Sind Sie sicher, dass wir das SEK nicht benötigen?“ – „Nein, das bin ich nicht, aber ich bin mir sicher, dass wir zu wenig Zeit haben, darauf zu warten.“ – „Ich rufe trotzdem Verstärkung.“ – „Tun Sie das!“, antwortete Alex Brandt und stellte den Dienstwagen unter einer Laterne ab.

    Er stieg aus und ging zum Kofferraum. Er rüstete sich aus mit einer kugelsicheren Weste, Zusatzmunition, Mikro. Kurzer Test, seine Stimme kam klar und deutlich aus dem Lautsprecher des Dienstwagens. Dann machte Alex sich auf in Richtung eines Mehrfamilienhauses zwei Straßen weiter. Er hörte noch die Mahnung seiner Chefin: „Brandt, passen Sie auf sich auf, und sagen Sie mir, was Sie sehen, aber gehen Sie noch nicht rein!“ Er gab nur ein kurzes Handzeichen, welches als ‚Verstanden‘ gedeutet werden konnte. Dann war er kurz mit seinen Gedanken allein und stand drei Minuten später vor der Hausnummer 18.

    Die Haustür war nur angelehnt, so schlich er sich lautlos ins Treppenhaus und die Treppe hoch in den dritten Stock. Er lauschte eine Weile an der Wohnungstür, kein Geräusch drang zu ihm. War die Wohnung leer?

    Er ging leise ein Stockwerk höher, bevor er leise in sein Mikro sprach: „Aus der Wohnung ist nichts zu hören, ich gehe jetzt rein“, beschloss Alex und schlich wieder zur Wohnungstür.
    „Sie warten auf Verstärkung, hören Sie, Brandt“, seine Chefin war jetzt laut und deutlich in seinem Ohr zu hören, „Sie gehen nicht allei--“ Aber Alex hatte die Wohnungstür schon geschickt geöffnet. Mit gezogener Waffe betrat er die Wohnung, sah gleich im Flur die beiden gefesselten, augenscheinlich bewusstlosen Personen und sicherte jetzt Zimmer für Zimmer. Erste Tür rechts: Küche, sauber, zweite Tür: Esszimmer, leer, dritte Tür: Arbeitszimmer, alles ruhig, dann betrat er das Wohnzimmer und erstarrte.

    Semir saß reglos an der Wand gelehnt, sein T-Shirt war mittlerweile blutgetränkt. Er hielt eine völlig in Tränen aufgelöste Andrea in seinen Armen und hatte seinen Kopf auf ihre Schulter gelegt. Es war nicht zu sehen, wer wen im Arm hielt, sie gaben sich gegenseitigen Halt. Direkt neben ihm lag ein augenscheinlich toter Mann auf dem Boden. Auf der anderen Seite neben Semir saß Ben und blickte Alex an. „Semir, was ist hier passiert?“

    „Chefin, den RTW schnell, ich habe ihn“, meldete Alex über Funk, dann ging er vor Semir in die Knie. Er fasst ihn an die Schulter. Semir zuckte zusammen und stöhnte auf, so dass Alex seine Hand schnell wieder zurückzog. Semir erwachte langsam aus seiner Starre und sprach leise, kaum zu verstehen: „Ich habe ihn getötet, Alex“ – „Wen, Semir? Wen hast du getötet?“ – „Meinen Bruder, ich konnte nicht … ich glaube … habe ihn… erschossen…“ Sein Kopf sank zurück auf Andreas Schulter.

    Mehr war aus Semir nicht herauszubekommen. Die Rettungskräfte trafen ein, und ein Arzt kümmerte sich um Semir, der langsam zum Rettungswagen geführt wurde, während jetzt die Spurensicherung ihre Arbeit in der Wohnung aufnahm.

    Mittlerweile war die Verstärkung eingetroffen und kümmerte sich um die drei festgenommenen Verbrecher.

    Semir legte sich niedergeschlagen auf die Trage im RTW und die Rettungskräfte schnitten ihm die Shirts auf, um die Erstversorgung der Schussverletzung durchzuführen. Andrea saß neben ihm, hielt seine Hand fest und blickte erschrocken auf, als Semir vor Schmerzen zusammenzuckte. Sie sah zu, wie die Sanitäter ihm ein starkes Schmerzmittel spritzten. Als dieses langsam zu wirken begann, fragte Semir leise Andrea: „Meinst du, deine Mutter hätte etwas dagegen, wenn wir unseren Besuch bei ihr um ein, zwei Wochen verschieben würden?“ - „Semir, das ist jetzt nicht wichtig. Werde du erst mal wieder gesund, dann sehen wir weiter.“ Sie beugte sich zu ihm hinunter und gab ihm einen Kuss. „Und jetzt fahre ich zu Ayda und Lilly und überlasse meinen Platz hier Ben. Wir sehen uns im Krankenhaus.“ Andrea ließ ihre Hand aus Semirs gleiten, sah, dass ihr Mann langsam in eine Art Dämmerzustand glitt, und verließ langsam den Rettungswagen. Ben half ihr bei dem großen Schritt auf den Asphalt. „Bist du sicher, dass du nicht auch Hilfe brauchst?“, fragte er besorgt. „Was ich jetzt am meisten brauche, ist meine Familie, und deshalb muss ich zu meinen Lieblingen.“ – „Ich fahr dich hin“, mischte sich jetzt Alex in die Unterhaltung ein. „Danke, Alex, das hatte ich gehofft.“

    Nachdem Ben sich zu Semir in den Rettungswagen gesetzt hatte, schloss einer der Rettungssanitäter die hintere Tür. Während Andrea dem sich entfernenden RTW hinterherschaute, wandte sich Alex kurz seiner Chefin zu, die der ganzen Rettungsaktion recht teilnahmslos und mit Abstand zugesehen hatte. „Ich fahre Andrea nach Hause, Frau Krüger. Semirs Auto steht ja hier noch. Wir reden am besten morgen über alles.“ – „Machen Sie das, ich kümmere mich hier um alles und bringe Annika aufs Revier.“ Damit drehte sie sich um und ging zur Spurensicherung, um sich einen ersten Lagebericht geben zu lassen.


    http://www.youtube.com/watch?v=Sn9qBx20YZ0

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

    • Zitieren
  • Yon
    Kriminaloberkommissarin
    Reaktionen
    308
    Beiträge
    3.013
    • 3. September 2013 um 08:33
    • #39

    Sonntag, 03:00 wieder daheim

    Alex fuhr in Semirs BMW mit Andrea zum Haus der Gerkans. Auf dem Weg ließ sie sich von Alex berichten, wie er den Spuren von Semir gefolgt war und ihn letztendlich fand. Je weiter sie sich ihrem Zuhause näherten, desto schweigsamer wurde Andrea. Das Wiedersehen mit ihren Kindern stand jetzt kurz bevor. Was haben die beiden Kleinen heute nur durchmachen müssen! Sie wollte gerne den Äußerungen von Ben und Alex glauben, nach denen es ihnen gut ging und Leos Handlangern ihnen nichts angetan haben. Aber sicher war sie sich nicht.

    Ihr eigener Vater musste ihnen die Augen verbinden und sie alleine im Auto zurücklassen, sie selbst konnte nichts für die Mäuse tun, so etwas steckt kein kleines Kind spurlos weg. Und sie hielten es nicht einmal bei ihrer guten Freundin Susanne aus, sondern wollten unbedingt nach Hause.

    Sie schluckte, als sie in ihre Wohnstraße einbogen und jetzt ihr Haus in Sicht kam, über dem Eingang brannte Licht, ebenso schien Licht aus zwei Fenstern im Obergeschoss. ‚Als wenn man an einem normalen Abend nach Hause kommt‘, dachte Andrea und hoffte, ihre Mäuse würden ihr entweder entgegenrennen oder friedlich in ihren Bettchen schlafen und sich schnell von den Geschehnissen der letzten 15 Stunden erholen. Sie öffnete die Tür und ging ins Haus, Alex etwa drei Schritte hinter ihr. Angelockt von ihren Geräuschen erschien Susanne auf dem oberen Treppenabsatz. „Andrea! Endlich!“, rief sie und rannte ihrer Freundin entgegen, um sie in den Arm zu nehmen. „Die beiden schlafen“, erklärte sie gleich, „zusammen in Aydas Bett, sie wollten sich nicht trennen.“ – „Das ist gut, das tun sie sonst auch oft. Und sonst, was für einen Eindruck hast du?“, fragte Andrea, während sie schon die Treppe nach oben schritt. Susanne folgte ihr. „Sie haben sich in den Schlaf geweint und das Licht musste an bleiben. Es hat sie sehr mitgenommen, ihr werdet viel zu verarbeiten haben. Was ist mit Semir?“ – „Ist verletzt im Krankenhaus, Ben ist bei ihm“, war alles, was Andrea auf diese Frage antwortete.

    Alex beobachte die Situation betreten und schloss die Eingangstür. Er fühlte sich ein wenig wie ein Eindringling. So vertraut war er mit Semirs Familie noch nicht. Obwohl sie nun schon einige Monate zusammenarbeiteten, und Semir und er beruflich Partner und Freunde geworden sind, verband sie privat noch nicht so viel. Er ging in die Küche und öffnete das Eisfach, seine Zahnschmerzen waren in den letzten Stunden wieder schlimmer geworden, so war er froh, dass er ein Beutel mit Eiswürfeln fand, dass er gleich in ein Geschirrtuch legte und mit ins Wohnzimmer nahm. Dort legte er sich auf die Couch, Kopf auf einem Kissen und kühlte sich die Wange. Er döste langsam ein.

    Andrea ging zu ihren Kindern ins Zimmer, sah sie zusammengekuschelt in Aydas Bett liegen und setzte sich auf den Bettrand. Sie strich Ayda eine Strähne ihres langen Haars aus dem Gesicht, gab ihr einen Kuss. Mit Lilly tat sie das gleiche. Die Mädchen regten sich nicht. Andrea lächelte, als sie ihre Mäuse so friedlich schlafen sah und schloss kurz die Augen. „Mama“, hörte sie plötzlich ein Flüstern. Ayda schaute sie mit großen Augen an. „Ja, Liebling, ich bin da“, sie nahm ihre große Tochter in den Arm, „Jetzt wird alles gut. Es ist vorbei.“ – „Und Papa?“ – „Der kommt auch bald nach Hause. Wir besuchen ihn morgen, nicht wahr?“ – „Ja“ – „Meinst du, dein Bett ist groß genug für uns drei?“ – „Na klar!“

    Susanne, die die Szene von der Tür aus beobachtet hatte, entfernte sich leise ins Erdgeschoss, wo sie auf den mittlerweile eingeschlafenen Alex traf. „Ich brauche jetzt einen Drink oder einen Kaffee“, sagte sie leise, entschied sich aber für letzteres und setzte in der Küche die Kaffeemaschine in Gang. Ein Blick auf die Wanduhr verriet ihr, dass es genau 4:00 Uhr war. Sonntagmorgen 4:00 Uhr! Mit ihrem Kaffee in der Hand ging sie ins Gästezimmer und zog ihr Handy hervor. Sie wählte Bens Handy an, der sich gleich nach dem zweiten Rufton meldete. „Susanne, ist alles Ordnung?“, fragte er sogleich. „Hier schlafen alle, Andrea hat sich zu ihren Kindern gelegt, Alex ist auf der Couch eingepennt, und ich habe mir gerade einen Kaffee gemacht. Also soweit alles in Ordnung. Wie geht es Semir?“ – „Die OP ist gut verlaufen, die Kugel hat keinen großen Schaden angerichtet. Ich war kurz bei ihm, nachdem er aus der Narkose aufgewacht war. Aber er ist jetzt wieder eingeschlafen. Ich rufe dich an, wenn ich mehr weiß.“ – „Das ist gut, ich komme nachher mit Andrea und den Kindern vorbei, wenn sie ausgeschlafen haben.“ - „Ich werde hier warten.“ Sie beendeten das Gespräch, und Susanne legte sich auf das Gästebett und war innerhalb einiger Minuten fest eingeschlafen.


    http://www.youtube.com/watch?v=DprVNuwPGpg


    Sonntag, 10:00 Erwachen

    Als Andrea erwachte, lag sie alleine im Bett. Ihre Kinder waren bereits aufgestanden. Durch die Fenster schien die Sonne ins Zimmer. Seit Tagen war es dunkel, bewölkt und regnerisch gewesen, aber heute schien die Sonne. Sie wühlte sich aus den Federn, ging zur Tür, löschte das Licht, welches die ganze Nacht über gebrannt hatte. Andrea blickte auf ihre Uhr, schon 10:00 Uhr. Dann tappte sie über den Flur in ihr Schlafzimmer, zog sich schnell einen Morgenmantel über und ging zur Treppe. Von unten drang Geschirrgeklapper nach oben, dann Aydas helle Stimme: „Mama ist wach, Lilly!“. Sogleich rannte die Kleine Andrea entgegen die Treppe hoch und sprang ihrer Mutter in die Arme. „Lilly!“. Die Dreijährige wurde von ihren Gefühlen überwältigt und fing an zu weinen. „Mama!“, schluchzte sie. Andrea strich ihr über den Kopf und Rücken und setzte sich mit ihr auf eine Treppenstufe. Dann erzählte sie ihr das gleiche, mit dem sie in den frühen Morgenstunden bereits Ayda versucht hatte zu trösten. Dass alles vorbei sei, alles gut werden würde und dass sie Papa gleich gemeinsam besuchen würden. Was sollte sie ihr auch sonst sagen. Erst die nächsten Stunden und Tage würden zeigen, in wie weit ihre beiden Schätze die Erlebnisse verkraftet haben, die Trennung von ihren Eltern, die Fahrt mit dem Fremden mit verbundenen Augen und ob sie eventuell auch professionelle Hilfe bräuchten, um alles zu verarbeiten. Langsam beruhigte sich Lilly wieder. „Lässt du deine Mama jetzt frühstücken?“, flüsterte sie Lilly ins Ohr, die nickte und sich von Andrea auf die Treppe stellen ließ.

    Unten saßen Alex und Susanne bereits am gedeckten Frühstückstisch. „Alex? Du bist noch da?“ – „Ja, tut mir leid Andrea, aber ich bin auf eurer Couch eingeschlafen.“ – „Was hast du denn mit deinem Gesicht gemacht? Ist ja alles grün und blau!“ Der geschwollene Kiefer war Andrea in der Nacht nicht aufgefallen, da hatte sie auch keinen Blick für freigehabt.
    Andrea nahm am Tisch Platz, links und rechts von ihr eines ihrer Kinder, die jetzt auch anfingen, an ihren Brötchen zu knabbern. „Ben hat schon angerufen, Semir geht es gut, er freut sich schon auf euren Besuch, möchte aber lieber nach Hause“, erzählte Susanne und schenke Andrea einen Becher Kaffee ein. Mit einem Seitenblick stellte Andrea fest, dass Alex nur Kaffee trank. „Essen geht noch nicht? Soll ich dir eine Bananenmilch machen, damit du wenigstens etwas in den Magen bekommst?“, fragte Andrea und stand schon auf, „Keine Widerrede, ich nehme auch eine.“ Sie nahm Bananen aus dem Obstkorb, Milch aus dem Kühlschrank und machte sich an die Arbeit. Sie musste bald für jeden am Tisch ein Glas füllen. „Ach Andrea“, begann Susanne, „deine Mutter hat schon angerufen und gefragt, wo ihr bleibt, solltet ihr da heute hin?“ – „Ach du Scheiße, das hätte ich jetzt total vergessen. Du hast ihr doch nicht …“ – „Wo denkst du hin? Ich habe ihr gesagt, bei euch sei die Seuche ausgebrochen und ich müsste hier auf vier Schwerkranke aufpassen, naja so in etwa jedenfalls. Am besten rufst du sie nachher mal an und erklärst ihr alles in Ruhe.“

    Nach dem Frühstück machte Andrea sich und die Kinder fertig für den Besuch bei Semir und war um 11:30 Uhr bereit zum Aufbruch.
    Alex fuhr mit Semirs BMW in die Dienststelle, um die nächtliche Aktion aufzuarbeiten, zumindest soweit er sie verstanden hat. Semir, Andrea und Ben müsste er natürlich noch befragen, um den Fall auch aus deren Sicht zu beleuchten, aber das hatte Zeit.

    Andrea und Susanne setzten die Kinder in ihre Kindersitze und fuhren mit Susannes Auto zu Semir ins Krankenhaus.


    http://www.youtube.com/watch?v=CzFHRdnsH0A

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

    • Zitieren
  • Yon
    Kriminaloberkommissarin
    Reaktionen
    308
    Beiträge
    3.013
    • 4. September 2013 um 09:21
    • #40

    Sonntag, 12:00 Ende

    Am Empfang erfuhr Andrea die Station und Zimmernummer und machte sich mit Susanne und den Kindern auf den Weg in den zweiten Stock und über einen langen Krankenhausflur, bis sie endlich für dem Zimmer mit der Nummer 215 stand. Sie klopfte und schaute kurz durch die leicht geöffnete Tür. Als sie Semir im Bett sitzen sah, der sich gerade mit Ben unterhielt, öffnete sie die Tür ganz und ließ Ayda und Lilly hinein, die sofort das Bett erstürmten, wo sie von ihrem Vater herzlich begrüßt und umarmt wurden, soweit dieses mit einem Arm möglich war.

    Ben stand von seinem Stuhl auf, trat zu Andrea, begrüßte sie mit einer herzlichen Umarmung und nickte dann Susanne zu. „Kaffee?“, fragte er sie leise und sagte dann zu Andrea: „Wir lassen euch einen Moment allein.

    Nachdem Ben und Susanne gegangen waren, fragte Semir Andrea: „Hast du mir was ordentliches zum Anziehen mitgebracht?“ Als diese nickte und ihm die Tasche auf das Bett stellte, schwang er seine Beine aus dem Bett, stemmte sich langsam in die Senkrechte und begann, sich den mitgebrachten Trainingsanzug anzuziehen. „Wie geht es dir? Was hat der Arzt gesagt? Wie lange sollst du hier bleiben?“ – „Wieso hier bleiben? Ich kann doch gehen.“ – „Semir?“ – „Naja, 3-4 Tage“, gab Semir kleinlaut zu. „Okay, dann reden wir frühestens übermorgen darüber“, bestimmte Andrea. Jetzt auf der Bettdecke sitzend und an das Kopfteil seines Bettes gelehnt, blickte er Andrea ernst an, die auf der Bettkante Platz genommen und seine Hand ergriffen hatte.

    „Ich muss Kemals Frau anrufen. Halime weiß doch noch nichts.“ – „Ja, das solltest du am besten heute noch tun. Weißt du, wie du sie erreichen kannst?“ Semir schüttelte mit dem Kopf. „Ich werde Hartmut fragen. Die Telefonnummer muss in Kemals Handy oder Wohnung zu finden sein. Aber erzähl, wie geht es euch?“

    Er warf bei seiner Frage einen Blick auf Ayda und Lilly, die leise am Tisch spielten. Andrea schwieg. Dann zuckte sie mit den Schultern. Sie wusste keine Antwort. „Wir kommen schon klar, die Zeit wird alles heilen“, beschloss sie schließlich zu sagen. „Es tut mir so unendlich leid, euch in die Sache mit reingezogen zu haben.“ – „Semir, das ist doch nicht deine Schuld. Das darfst du dir nicht einreden. Nicht du hast entschieden, uns zu überfallen.“ – „Aber ich habe zu lange gezögert, ich hätte gleich nach Kemals Besuch bei uns die Kollegen alarmieren sollen, statt zu warten und dann alleine los zu stürmen. Ich habe euch in große Gefahr gebracht.“ – „Du hast getan, was du für richtig gehalten hast, und du kannst nicht wissen, was passiert wäre, wenn du dich anders entschieden hättest. Also Schluss jetzt mit den Selbstvorwürfen. Wir stehen das gemeinsam durch.“ Semir nickte und lächelte zum ersten Mal, seit Andrea im Zimmer war. „Ich gehe uns mal was zu trinken holen.“ Sie erhob sich, um zu gehen, als in diesem Moment Hartmut nach kurzem Klopfen ins Zimmer trat.

    „Hartmut!“, begrüßte ihn Andrea, „ich wollte gerade Kaffee holen, soll ich für dich auch etwas zu trinken mitbringen?“ – „Ja danke, Andrea, Kaffee wäre super.“ Hartmut nahm sich den Besucherstuhl. „Semir! Wie geht es dir?“ – „Geht so. Was hast du mitgebracht?“, fragte Semir mit Blick auf die Tasche, die Hartmut dabei hatte. „Ich habe dir deine Waffen mitgebracht.“ – „Hartmut! Was soll ich denn jetzt mit den Knarren? Gib sie doch bitte Alex zur Verwahrung.“ – „Stimmt, daran habe ich gar nicht gedacht. Dann eure Handys, wir haben sie im Wald gefunden.“ Hartmut griff in die Tasche und zog die beiden Mobiltelefone hervor. „Interessieren dich die Ergebnisse, soweit ich sie habe?“ – „Durchaus. Aber Moment, Andrea, meinst du, du könntest Ayda und Lilly mitnehmen? Sie müssen das nicht alles hören.“ Andrea verstand. „Kinder, kommt ihr mit, wir gehen ein Eis essen!“
    Als seine Familie die Tür von außen zugemacht hatte, wandte sich Semir dem Kriminaltechniker zu. „So Hartmut, erzähl! Was habt ihr“?

    „Wo fange ich an? Das „Päckchen“, das du uns im Wald hinterlassen hast, alle drei Männer sind polizeilich gut bekannt, haben aber zunächst, mit eurer Entführung konfrontiert, hartnäckig geschwiegen. Erst die Fingerabdrücke, die wir später im Audi und auf den Waffen im Auto gefunden haben, konnten sie mit diesem Fall in Verbindung bringen. Sie werden zurzeit noch vernommen, standen aber wohl alle drei auf der Gehaltsliste von Leonard Kunze, der übrigens auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben ist. Seine beiden Leibwächter oder Türsteher, was auch immer, waren bereits tot, als wir eintrafen.“

    Semir dachte an den Schusswechsel in Leonard Kunzes Büro zurück. „Weiter, Hartmut“, bat er den Rotschopf fortzufahren.

    „Dein eigenes Auto steht unversehrt bei mir in der KTU, eine nähere Untersuchung erübrigt sich jetzt wohl. Ihr könnt es also jederzeit abholen.“ – „Ich werde Andrea bitten, es zu holen, vielleicht kann Susanne sie nachher kurz hinfahren.“

    „Mit der Wohnung von dieser Grundtal ist mein Team noch nicht fertig. Aber ich kann dir schon sagen, dass dein Bruder von einem Querschläger getroffen wurde. Das Projektil hat eindeutige Spuren auf seiner Maschine hinterlassen und ist davon abgeprallt. Es tut mir sehr leid, Semir.“ Hartmut war gerade mit seinen Ausführungen fertig, als die Tür wieder aufging und Andrea mit drei Bechern Kaffee durch die Tür schritt. Er stand von seinem Stuhl auf, um ihr mit den Tassen zu helfen und die Tür zu schließen. Auf Semirs fragenden Blick hin erklärte sie: „Ich habe sie bei Susanne und Ben gelassen, sie gehen mit ihnen raus zum Spielplatz.“

    „Musst du lange hierbleiben?“, erkundigte sich Hartmut. „Nein, nur bis …“ – „mindestens übermorgen“, fiel ihm Andrea ins Wort. Als sie Semirs verständnislosen Blick bemerkte, fügte sie hinzu: „Ich werde den Arzt bitten, die Schmerzmittel auf Null zu reduzieren, dann sagst du mir heute Abend noch mal, wann du nach Hause willst.“ Semir gab sich geschlagen, sah Hartmut an. „Frühestens übermorgen, Hartmut.“

    Sie tranken ihren Kaffee in Ruhe aus. „Ach, Hartmut, ehe ich es vergesse“, kam Semir auf den Fall zurück, „ich brauche die Telefonnummer von Kemals Schwiegereltern in der Türkei oder von Halimes Handy. Kannst du sie für mich rausfinden? Vielleicht habt ihr Kemals Handy gefunden?“ – „Das haben wir noch nicht, aber ich kümmere mich darum. Jetzt erhol dich gut, wenn ich die Rufnummer habe, melde ich mich. Du siehst echt nicht gut aus, Semir.“ – „Vielen Dank Hartmut“ – „Ich bin dann weg, Tschüß ihr beiden.“ Hartmut griff sich seine Tasche und ging.

    Kurz darauf kam auch noch Alex für einige Minuten vorbei und erzählte, wie sich die Geschichte für ihn darstellte. Von den Vernehmungen konnte er noch nichts Neues berichten, sie würden am nächsten Tag fortgesetzt. „Was ich nicht verstehe, Semir, warum hast du mich nicht viel früher eingeweiht, ich hätte dir doch helfen können?“, fragte Alex jetzt. Semir nickte. „Das weiß ich jetzt auch, Alex. Aber so ist es eben: Die meisten Ratschläge bekommt man erst, nachdem man sie gebraucht hätte.“

    Semir und Andrea waren wieder allein. „Hat Ayda was erzählt? Oder Lilly? Wie viel haben sie verstanden?“, wollte Semir wissen. „Ayda? Alles. Aber gesagt hat sie noch nichts. Ich werde heute Abend versuchen, mit den Mäusen zu reden. Sie sollen es nicht zu lange verdrängen.“ Semir sagte darauf nichts, er war in seinen eigenen Gedanken versunken.

    „Semir? Hast du gehört? Woran denkst du?“ – „Ich denke gerade, dass ich ihn vermissen werde. Ich meine, ich habe Kemal in den letzten paar Jahren vielleicht 3, 4 Mal gesehen, und nun …Andrea, er fehlt mir schon jetzt.“ Eine Träne löste sich aus seinem Auge. Andrea zog ihren Mann in eine innige Umarmung und er ließ jetzt seiner Trauer um seinen Bruder freien Lauf.

    E N D E

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

    • Zitieren

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!

Benutzerkonto erstellen Anmelden

Letzte Beiträge

  • [E360] Meinungen zu "Auf Bewährung"

    Cuntdestroyer69 8. Juni 2025 um 12:49
  • Fernsehpionier stirbt mit 86 Jahren - Trauer um Dr. Helmut Thoma

    PAST 7. Juni 2025 um 19:54
  • Drehorte Berlin 90er Jahre

    Chris-AFC11 30. Mai 2025 um 19:33
  • Alarm für Cobra 11 - Fortsetzung 2024

    PAST 1. Mai 2025 um 19:40
  • Ankündigung: 21. internationales "Alarm für Cobra 11" - Fantreffen

    delol 1. Mai 2025 um 19:07

Heiße Themen

  • AFC 11 Zitate/Sprüche raten

    4.078 Antworten, Vor 15 Jahren
  • 2 Neue Filme ab 14.1.2025

    22 Antworten, Vor 6 Monaten
  • Herbststaffel 2020

    763 Antworten, Vor 5 Jahren
  • Die Person nach mir...

    3.327 Antworten, Vor 16 Jahren
  • [E382] Meinungen zu "Kein Kinderspiel"

    14 Antworten, Vor 5 Monaten

Statistiken

Themen
5.432
Beiträge
153.060
Mitglieder
303
Meiste Benutzer online
16.106
Neuestes Mitglied
Cuntdestroyer69

Benutzer online

  • 40 Besucher
  • Rekord: 16.106 Benutzer (16. März 2022 um 04:09)
  1. Impressum
  2. Datenschutzerklärung
  3. Nutzungsbedingungen
  4. Unterstütze uns
Community-Software: WoltLab Suite™