Schlüsselerlebnis

  • Schlüsselerlebnis


    Etwa vor 2 Wochen: Planung


    Egon Paulsen und seine Frau Gertrud stellten ihren Mercedes 280 SL auf dem Parkplatz hinter „Leos Club“ ab.


    Bei „Leos Club“ handelte es sich um ein Etablissement im Besitz von Leonard Kunze, einem Mann, den Vertreter der Rheinländer Oberschicht als einen ihrer wichtigsten Partner in Sachen Öffentlichkeitsarbeit ansahen, Vertreter der Mittelschicht als durchgeknallten, selbstverliebten Barbesitzer, der sich gerne mit schicken Leuten umgab, oder besser ausgedrückt, Leuten, die sich selbst als „schick“ ansahen, weil ihre Kleidung die richtigen Logos trugen, und der Durchschnittsbürger sich diese niemals würde leisten können. Der Club selbst war ein zweistöckiges Gebäude, ein Erdgeschoss ohne Fenster, dafür aber mit mehreren doppelflügeligen Türen, es trug ein Obergeschoss mit einer langen Fensterreihe zur Straße hin und zwei Fenstern zum Innenhof, nicht dass die Anzahl der Fenster für die Story irgendwie von Bedeutung wäre.


    Der Türsteher, der die Eingangstür bewachte, kannte das Ehepaar Paulsen, begrüßte sie freundlich und ließ sie passieren. Sie wandten sich im Foyer nach rechts zur Garderobe, gaben ihre Mäntel und Taschen dem dort wartenden Mädchen und betraten das Clubzimmer. „Guten Abend, Leo“, begrüßten sie den bereits anwesenden Herrn, „du willst eine Benefizveranstaltung ausrichten, ist uns zu Ohren gekommen?“ – „Hallo Gertrud, Hallo Egon, ja, das ist geplant, ich habe die Einladungen bereits verschickt und auch schon diverse Zusagen bekommen.“ – „Wir wollten noch einen Preis stiften für die Versteigerung: ein Wochenende mit einem Maserati Gran Cabrio Goodwood, freie Kilometer, voller Tank, wäre das was?“


    Das Ehepaar Paulsen besaß ein Autohaus, in dem sie mit Luxusautos diverser Marken handelte, aber auch mehrere Modelle zur Miete anbot. Für den Fall, jemand hatte den sehnlichen Wunsch, sich einmal im Leben mit einem Ferrari dem morbiden Charme des morgendlichen Berufsverkehrs auf dem Kölner Ring auszusetzen: Egon Paulsen kann mit Sicherheit behilflich sein.


    Kleiner Exkurs:
    Er spreizt sich wie ein Pfau,
    sein Porsche, der ist blau,
    aus maßgeschnitzten Sitzen,
    lässt er die Pferdchen flitzen
    und landet passgenau – im Stau
    (Liederjan)


    „Das klingt super, das bringt bestimmt viel Geld für das Kinderhilfswerk. Kann ich euch etwas zu trinken bringen lassen? Prosecco vielleicht für dich, Gertrud? Du trinkst doch bestimmt einen Scotch mit mir, oder Egon?“, fragte er seine Gäste und hielt bereits den Telefonhörer in seiner Hand. Nachdem er ein Nicken als Antwort erhalten hatte, wählte er eine Kurzrufnummer: „Annika, sorgst du bitte mal für Prosecco und 2 Scotch und einen kleinen Imbiss? Die Gäste bleiben noch.“ Das war das Stichwort für das junge Mädchen in der Garderobe, die zuerst die Bestellung an die Küche weiterreichte, um gleich darauf sich daran zu machen, Taschen und Jacken der Gäste zu durchsuchen und bald Ausweis, Fahrzeugpapiere und Schlüsselbund rausgefischt hatte. Sie nahm einen Schlüsselring mit einem Pappanhänger und beschriftete diesen mit den Namen, der Anschrift, dem Autotyp und Kennzeichen. Dann gab sie diesen Schlüsselring und den kompletten Schlüsselbund einem jungen Türken, der am Eingang stand. „Hier, Murat, du hast etwa 45 Minuten Zeit“. Anschließend legte sie die Papiere wieder dorthin, wo sie sie gefunden hatte.


    Murat fuhr nur einige Hundert Meter zu einem kleinen Schlüsseldienstgeschäft an einer Hausecke und parkte direkt vor dem Eingang. Er betrat das Geschäft kurz nach 18:00 Uhr. Der Inhaber wollte gerade die Ladentür zuschließen und machte einen leicht nervösen Eindruck, als er den Kunden sah, der die Tür wieder aufstieß. „Nicht so eilig, guter Mann, ich habe noch was für dich zu tun!“



    Intro
    http://www.youtube.com/watch?a…j0TtfUqMdtQ&v=HghpojLOTGc

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • Job


    Murat nahm am Tresen Platz und legte den Schlüsselbund und den bis auf den beschrifteten Anhänger leeren Schlüsselring auf die Ladentheke. Er schob den vollen Schlüsselbund zu dem Handwerker auf der anderen Seite des Tresens, dann spielte er mit den Schlüsselanhängern, die in einem Ständer zum Kauf angeboten wurden. Der Schlüsseldienst-Inhaber wusste, was Murat von ihm erwartete, setzte seine Maschine missmutig wieder in Betrieb und fing an, einen Schlüssel nach dem anderen zu duplizieren. Die Schlüsselkopien fädelte er auf den Schlüsselring mit dem Adress-Anhänger und gab diesen Murat, der sich von dem hohen Hocker erhob. „Das war’s für heute, jetzt kannst du Feierabend machen. Demnächst haben wir einen Großauftrag für dich, nimm dir am übernächsten Samstag nichts vor!“ – „Wenn ich dann noch hier bin“, rutschte dem Handwerker raus. Mist! Das wollte er nicht sagen. Schließlich stand er in der Schuld Murats, oder eigentlich dessen Chefs, und musste sich fügen. Er befürchtete sonst Anschläge auf sich oder sein Geschäft. Und seine „Dienstleistung“ war nicht nur eine Art Schutzgeld, sondern ermöglichte ihm auch, seinen Kredit, den er vor eigener Zeit bei Murats Boss aufgenommen hatte, zurück zu zahlen.


    „Du wirst ganz bestimmt hier sein, hörst du? Dafür werden wir schon sorgen.“ Mit diesem Hinweis verließ Murat den Laden. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss. Auf dem Weg zu seinem Wagen drehte er sich noch einmal um und blickte auf das Eckhaus, über dessen Tür ein Schild hing mit der Aufschrift: Schlüsseldienst Kemal Gerkan. „Dafür werden wir sorgen“, wiederholte er leise.


    Kemal blieb noch einige Minuten alleine in seinem Laden stehen, schaltete dann die Maschine wieder aus und verschloss die Ladentür von innen. Anschließend ließ er die Jalousien herunter, machte das Licht aus und ging durch die hintere Tür in das Treppenhaus, um zu seiner Wohnung im Obergeschoss hinauf zu steigen, in der er mit seiner Frau Halime und seinem Sohn Kerim lebte.


    Zurück im Club angekommen gab Murat den Originalschlüssel Annika, die ihn wieder in der Jackentasche von Egon Paulsen verschwinden ließ, und legte den Schlüsselring mit den Duplikaten in eine Schublade der Kommode, die sich ebenfalls in der Garderobe befand.


    Im Clubzimmer begann jetzt die Verabschiedung Leonard Kunzes vom Ehepaar Paulsen, welches seine Sachen in der Garderobe abholte, Annika noch 10 € Trinkgeld überreichte, sich für ihre Freundlichkeit bedankte und schließlich mit seinem Mercedes SL wieder zurück in seine herrschaftliche Villa in Düsseldorf fuhr.



    http://www.youtube.com/watch?v=ECWoPwPK864

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • Urlaub?


    „Ich möchte, dass du und Kerim zu deinen Eltern nach Izmir fahrt“, sagte Kemal zu seiner Frau, die in der Küche am Tisch saß und mit der Herrichtung des Abendessens beschäftigt war, „und das möglichst in den nächsten Tagen schon.“ – „Aber es sind doch gar keine Ferien. Kerim muss zur Schule“, entgegnete diese, ohne von ihrer Arbeit aufzublicken. Als dieser nicht reagierte, blickte sie jetzt doch ihren Mann an, der sich an den die Küchenzeile gelehnt hatte. Er sah entschlossen aus. Es war sein Gesichtsausdruck, der sie das Messer weglegen ließ, sie war jetzt zu einhundert Prozent bei der Sache „Was ist los? Warum sollen wir weg?“, fragte sie Kemal.


    „Murat war eben wieder da. Halime, ich halte es nicht mehr aus. Ich möchte aus der Sache aussteigen. Vielleicht werde ich auch die Polizei einschalten. Und das könnte dann gefährlich werden. Denn wenn hier auch nur ein Streifenwagen mehr unterwegs ist, als sonst, werden die mich gleich in Verdacht haben.“ – „Aber wäre es dann nicht besser, du würdest mit uns kommen? Lass uns zusammen gehen!“ Kemal schüttelte seinen Kopf. „Dann hört es doch nie auf. Ich möchte hier mit euch in Frieden leben können, den Kredit zurückzahlen, aber in Geld, hörst du? Ich muss mich der Sache stellen. Aber die Schlüsselkopien, die ich für Murat anfertige, das geht nicht, ich mache mich die ganze Zeit strafbar, und lange wird das nicht gutgehen. Wenn ich nicht in den Knast wandern will, muss ich jetzt bald reinen Tisch machen“, erklärte er seiner Frau. Diese überlegte noch einige Minuten, kam aber nicht auf eine Idee, mit der sie ihren Mann von seinem Entschluss hätte abbringen können. So stimmte sie schließlich zu. „Okay, Kemal, wir gehen in die Türkei. Aber ich lasse dich nicht gerne hier zurück, mir ist nicht wohl bei der Sache. Du legst dich mit mächtigen Leuten an und wirst dich bei ihnen sehr unbeliebt machen. Das werden die nicht mit sich machen lassen.“ – „Und gerade deshalb will ich dich nicht hier wissen.“ Er senkte den Kopf.


    Halime stand auf und trat zu ihrem Mann, der sie in seine Arme schloss. „Aber versprich mir, vorsichtig zu sein, hörst du?“, bat sie ihn noch.


    Bereits am folgenden Tag ging Kemal in ein benachbartes Reisebüro und buchte einen Flug für seine Frau und seinen Sohn in die Türkei. Als er am Telefon seinen Schwiegereltern vom anstehenden Besuch ihrer Tochter und ihres Enkels erzählte, wunderten sie sich zwar über den ungewöhnlichen Zeitpunkt außerhalb der Ferien, freuten sich aber auf den Besuch.


    Drei Tage später war Kemal allein in seiner Wohnung.


    http://www.youtube.com/watch?v=sLptVEiG-NY

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • Foto


    Leo traf Murat im kleinen Büro seiner Angestellten und ließ sich von ihm von der letzten Schlüsselbeschaffung berichten. „Chef, ich glaube, der Türke macht langsam Probleme, wir sollten allmählich den Druck erhöhen.“ – „Was schlagen Sie vor? Wir brauchen ihn für die Kopien.“ – „Gerade deshalb sollten wir uns seiner uneingeschränkten Bereitschaft zur Mitarbeit sicher sein, ich denke er würde weiterhin hochmotiviert für uns weiterarbeiten, wenn wir ihn wissen ließen, wie lang unser Arm sein kann!“ – „Sie meinen …?“, wollte Leo nachfragen. „Seine Familie, genau.“


    Leonard Kunze ließ sich den Vorschlag seines Mitarbeiters durch den Kopf gehen und meinte dann: „Okay, ein wenig Druck kann ja nicht schaden. Übernehmen Sie das, Murat?“ Der Angesprochene nickte. „Geht klar Chef, ich lasse mir etwas einfallen.“


    Murat hörte sich unauffällig im Viertel des Schlüsseldienst-Inhabers um und erfuhr nicht nur, dass dessen Frau und sein Sohn zwar zurzeit in der Türkei weilten, sondern auch dass er auch einen Bruder mit Familie besaß. Zwar war der Kontakt zwischen den Brüdern nicht wirklich existent, aber diese Familien hielten doch immer zusammen und er würde sicher nicht das Leben von Angehörigen aufs Spiel setzen. Murat brachte zusätzlich in Erfahrung, wo dieser Bruder lebte, aber leider auch, dass er bei der Polizei arbeitete. Das gefiel ihm ganz und gar nicht. Da musste er doppelt vorsichtig sein, wenn die Brüder Kontakt aufnähmen, wäre der ganze Coup in Gefahr. Mitwisser und besonders welche, die auf der anderen Seite des Gesetzes stehen, konnten sie gar nicht gebrauchen. Murat telefonierte mit seinem Bruder Kenan und veranlasste, dass dieser sich auf die Fersen dieses Bruders machte.


    Kenan fuhr am nächsten Tag in seinem dunklem Audi zunächst am Haus der Gerkans vorbei. Jetzt in den frühen Morgenstunden schien Licht aus nahezu allen zur ruhigen Wohnstraße liegenden Fenstern. Die Familie schien noch komplett zuhause zu sein, denn auf der Auffahrt standen zwei Wagen, ein grauer Skoda Octavia und ein silberner BMW. Er suchte sich einen unauffälligen Parkplatz in der Nähe und packte seine Kamera aus. Das 300mm-Objektiv sollte für diesen Zweck ausreichen. Er stellte noch ISO, und die Blendenautomatik ein, um trotz der Dämmerung kurze Belichtungszeiten zu ermöglichen und machte einige Probeaufnahmen vom Haus und den Autos. Als er das Ergebnis auf dem Monitor der Kamera begutachtete, nickte er zufrieden.


    Gegen 7:30 Uhr verlöschte das Licht im Haus und die Haustür wurde geöffnet. Kenan schmunzelte, er hatte Glück, die gesamte Familie verließ das schmucke Einfamilienhaus gleichzeitig. Schnell hatte er einige Schnappschüsse von den Eltern und den beiden Töchtern angefertigt. Er sah Semir nach der Verabschiedung von seiner Familie in den BMW steigen, während Andrea die Mädchen in den Skoda einsteigen ließ und der Kleinen beim Befestigen des Gurtes ihres Kindersitzes half.


    Kenan beschloss, der Frau hinterherzufahren, um noch einige weitere Fotos zu schießen, was er dann auch vor der Schule und dem Kindergarten tat. Dann machte er sich auf den Weg zurück zu Murat, um seine Ergebnisse zu präsentieren und auszudrucken.


    http://www.youtube.com/watch?v=aju5zPurgas

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • Dienstag, 10:00 Einbruch


    Petra Grundtal, eine blonde, sportlich gekleidete Frau, betrat die Garderobe von Leos Club am frühen Vormittag und entnahm der Schublade der Kommode den Bund mit den Schlüsseln zu Paulsens Anwesen, um sich anschließend in ihren unscheinbaren grünen Opel Corsa zu setzen und zu der Adresse zu fahren, die Annika auf den Schlüsselanhänger geschrieben hatte. In einer Seitenstraße fand sie ein kleines Parkhaus, in dem sie ihren Opel abstellte. Dann ging sie etwa eine viertel Stunde durch die einsamen, von Stadtvillen gesäumten Wohnstraßen, bis sie vor der vermerkten Adresse stand. Von Leo wusste sie, dass die Bewohner um diese Uhrzeit nicht zu Hause waren, weil sie sich um ihr Autohaus kümmerten. Auch der Gärtner und die Putzfrau hatten an diesem Tag frei.


    Ohne Spuren zu hinterlassen, verschaffte sie sich Zutritt zu dem Anwesen und dem Haus. Sie deaktivierte die Alarmanlage mittels eines Schlüssels, der sich ebenfalls an dem Bund befand. Routiniert schaute sie sich in aller Ruhe im gesamten Haus um, fand im Bade- und Schlafzimmer Schmuck und nahm auch den Tresor in Augenschein, der in diesem Fall einen kleineren Stapel Bargeld und Goldmünzen und allerhand Geschäftspapiere enthielt, die sich nicht zu Geld machen ließen. Die Paulsens bewahrten keine Reichtümer in ihrer Villa auf, wahrscheinlich hatten sie noch ein Schließfach bei einer Bank oder ein Konto in der Schweiz. Aber Petra Grundtal war dennoch zufrieden mit ihrer Beute und verließ die Villa wieder durch die Haustür, die sie sorgfältig hinter sich verschloss.


    Da es keine Einbruchspuren gab, hatte dieser Diebstahl gute Chancen unentdeckt zu bleiben, bis irgendwann das gestohlene Schmuckstück oder die anderen Gegenstände vermisst werden. Aber dann wäre es zu spät, sie wäre längst über alle Berge und keiner würde herausfinden, wie der Dieb sich Zugang zum Grundstück und Haus verschaffte.
    Und wenn es besonders gut läuft, so wie heute, kann Petra sogar den Wagen des Opfers mitnehmen.


    Sie entfernte sich mit einem älteren, aber top gepflegten, roten Mercedes SL Cabrio vom Anwesen der Paulsens, fuhr mit diesem in das Parkhaus und stoppte neben ihrem Opel Corsa, sie hatte Glück, der Nachbarparkplatz war noch frei. So konnte sie beide Kofferraumdeckel gleichzeitig öffnen. Dann befestigte sie falsche Nummernschilder, die sie aus dem Kofferraum des Kleinwagens holte, mit Hilfe von Magneten auf den Originalnummernschildern des Mercedes‘ und holte noch einen schwarzen Lederkoffer aus dem Opel. Hierin verstaute sie die weitere Beute des heutigen Tages, Schmuck und Bargeld, legte den Koffer auf den Beifahrersitz des Cabrios und verließ mit ihm das Parkhaus.


    Ihren Opel Corsa würde sie zu einem späteren Zeitpunkt abholen.


    http://www.youtube.com/watch?v=cVt9bte2a_g

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • Dienstag, 10:00 Alltag


    „Was machst du gerade?“, fragte Semir seinen Partner Alex, der ihm gegenüber saß, gelangweilt, als er von seinem PC aufblickte, und gähnte. Sie saßen an ihren aufgeräumten und leeren Schreibtischen. Die Berichte des letzten Falls waren erstellt und abgegeben. Die Ruhe war schon fast gespenstig. Seit Tagen waren sie in der Routine gefangen, kein aktueller Fall war zu klären. „Nichts!“, war deshalb auch die einsilbige Antwort des dunkelblonden Hauptkommissars Alex Brandt, die etwa eine halbe Minute auf sich warten ließ. „Nichts?“, fragte Semir ungläubig und streckte sich, „bist du gestern nicht fertig geworden?“


    „Ach komm, lass uns ein wenig rumfahren, vielleicht ergibt sich ja was auf der Straße“, meinte Alex nach weiteren fünf Minuten und stand schon auf, um seine Jacke anzuziehen. Semir tat es ihm gleich und so verließen sie das Büro, um auf der Autobahn ihre Runde zu drehen.


    Während der Fahrt klingelte Semirs Handy. Er blickte aufs Display und lächelte. „Andrea, mein Schatz, was gibt es? – Was? Diesen Sonntag? Muss das sein? – Ja, natürlich mag ich deine Mutter, aber … -- Ja, ok, ich sage ihm ab – Ciao“, er beendete das Gespräch und fluchte „Scheiße!“ Alex sah kurz zu seinem Partner. „Alles in Ordnung? Was ist?“ „Ach, Andreas Mutter feiert am Sonntag ihren Geburtstag, und wir müssen schon zum Frühstück hin, damit ist das ganze Wochenende für mich gelaufen, ich wollte mich eigentlich am Sonntag mit Ben treffen, das kann ich jetzt knicken.“ Seine Laune näherte sich ungebremst mit rasender Geschwindigkeit seinem heutigen Tiefpunkt.


    Mit Ben meinte er natürlich Ben Jäger, seinen ehemaligen Partner und Alex‘ Vorgänger. Dieser hatte vor einigen Monaten der Polizei den Rücken gekehrt, um sich ausschließlich seiner Musiker-Karriere zu widmen. Und das mit Erfolg: Gerade hatte seine Band und er die erste Tour als Profis hinter sich gebracht, nahezu alle Konzerte waren ausverkauft, eine neue CD ist in Arbeit. Jetzt am Sonntag wollten Ben und Semir endlich mal wieder einen Männerausflug unternehmen, denn die letzten Monate waren bei beiden komplett verplant gewesen. Und ausgerechnet jetzt kam Andrea mit der Geburtstagsfeier ihrer Mutter, zu der sie, wie sie sich unmissverständlich ausdrückte, absolut nicht gewillt war, alleine mit den Kindern zu fahren. Und sie hatte eine unwiderstehliche, unnachahmliche Art, ihn spüren zu lassen, dass jeder Widerspruch zwecklos sei. Den Sonntagsausflug mit Ben konnte Semir getrost abhaken.


    Kurze Zeit später fuhr Alex auf den Standstreifen und hielt hinter einem liegengebliebenen VW Käfer älteren Baujahres an. Alex und Semir stiegen aus, und der Jüngere begrüßte den Fahrer, der etwas hilflos neben seinem Wagen stand: „Guten Morgen, Brandt, von der Autobahnpolizei, Ihren Führerschein und die Fahrzeugpapiere bitte. Sind Sie liegengeblieben?“ – „Ja, der Motor ist einfach ausgegangen“, erhielt er zur Antwort, während er seine Brieftasche hervorholte und die gewünschten Papiere in Semirs ausgestreckte Hand legte. Dieser drehte sich sogleich um und schritt zur Überprüfung der Angaben zum Mercedes der Beamten zurück, „Ich wollte gerade zur Notrufsäule laufen und den ADAC anrufen“ – „Sparen Sie sich den Weg, ich rufe den ADAC über Funk“, sagte Semir noch auf dem Weg zum Wagen. „Wann ist denn das passiert?“, wollte Alex weiter wissen. „Vor ein paar Minuten erst“ – „Der Tank ist noch voll?“ – „Ja, es muss am Motor liegen“ Jetzt schlenderte Semir heran und bemerkte trocken: „Da habt ihr Käferfahrer doch Glück. Ihr habt immer einen Ersatzmotor hinten im Kofferraum. Der ADAC weiß Bescheid, Sie stellen bitte noch ein Warndreieck auf, und wir sind hier fertig.“ Er gab die Papiere zurück. „Komm Alex, wir fahren!“ - „Ich wünsche Ihnen noch einen guten Tag, der ADAC wird sicher gleich da sein“, verabschiedete sich Alex von dem Käfer-Fahrer, ging kopfschüttelnd hinter Semir zum Mercedes und setzte sich wieder hinter das Lenkrad seines Dienstwagens.


    „Na, deine Laune ist heute wohl endgültig stiften gegangen“, meinte er zu seinem älteren Kollegen. „Ist das ein Wunder?“, lautete Semirs einziger Kommentar zu Alex‘ Feststellung. Sie läuteten zunächst die Mittagspause ein, machten Station in der PAST und begaben sich in ihr Büro. Alex hatte sich Essen warm gemacht und der Duft füllte den Raum. „Hat Mutti wieder gekocht?“, fragte Semir auf seinem Brot kauend seinen jüngeren Kollegen, der mit vollem Mund nickte. Obwohl Alex mittlerweile seine eigene Wohnung in Köln gefunden hatte, war er doch oft bei seinen Eltern zum Essen und bekam die Reste mit. Semir glaubte mittlerweile, dass Alex‘ Mutter extra eine Portion mehr kocht, weil sie verhindern will, dass ihr einziger Sohn sich nur von Fast Food und Tiefkühl-Pizza ernährt. Alex konnte dieser Service nur recht sein.


    Susanne steckte den Kopf in das Büro der Hauptkommissare: „Kommt ihr mal eben zur Chefin?“ Gesagt, getan, Semir und Alex gingen in das Büro von Kim Krüger, die gleich zur Sache kam: „Wenn ich es richtig mitbekommen habe, haben Sie zurzeit nicht ganz so viel zu tun. Jenny und Erik sind seit den frühen Morgenstunden in unserer Großkontrolle auf der A 57 im Einsatz und sollten für ein paar Stunden abgelöst werden. Und ich komme mit, um mich vor Ort kurz nach den Neuigkeiten zu erkundigen. In fünf Minuten vor der PAST?“ – „Okay, Chefin.“


    http://www.youtube.com/watch?v=K36zqhSIsyY

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • Dienstag, 13:00 Abkürzung


    Auf dem Weg zur Großkontrollstelle fiel ihnen ein Wagen auf, der in einer auf 100 km/h beschränkten Zone mit knapp 180 Sachen an ihnen vorbei rauschte. „Na, den schauen wir uns mal näher an, was meinst du?“, murmelte Alex. Das war eine rein rhetorische Frage, denn er war schon auf die linke Spur gewechselt und beschleunigte seinen Dienstwagen. Semir schaltete auch die Videoüberwachung ein. Mit 195 km/h brausten sie am nächsten 100 km/h-Schild vorbei. „Ich glaube, wir geben uns mal zu erkennen und ziehen sie raus“, beschloss Semir, aktivierte das Blaulicht und den `Polizei´-Schriftzug in seiner heruntergeklappten Sonnenblende.


    Der Fahrer des dunklen Sportwagens registrierte, dass er von der Polizei verfolgt wurde, machte aber keinerlei Anstalten anzuhalten. Ganz im Gegenteil: Er zog rasant auf die rechte Spur, um im allerletzten Moment noch die Abfahrt zu nehmen; dabei fuhr er mit seinem linken Reifenpaar schon über die Grünfläche, kam kurz ins Schleudern, fing den Wagen aber wieder ab und fuhr die Ausfahrt zur Bundesstraße hoch. Alex machte eine Vollbremsung, drehte rasant auf dem Standstreifen hinter der Ausfahrt, musste etwa 150 Meter gegen den fließenden Verkehr fahren, um ebenfalls die Abfahrt zu nehmen. Dank des hohen Verkehrsaufkommens auf der Bundesstraße konnten sie den Sportwagen noch beim Abbiegen sehen und wussten so, in welche Richtung er fuhr. Sie überholten mit eingeschaltetem Martinshorn die wartende Autoschlange und rasten hinter dem Flüchtigen her.


    Plötzlich und für Semir und Kim völlig überraschend bog Alex in einen kleinen unscheinbaren Seitenweg ein. „Was machst du?“, fragte Semir mit lauter Stimme, „willst du hier etwa Pause machen?“ – „Nein, warte ab, die Bundesstraße beschreibt hier einen großen Bogen und wenn wir diesen Weg nehmen, können wir uns direkt vor ihn setzen. Diese Abkürzung ist genial. Wirst sehen!“, begründete Alex seine Fahrentscheidung. Und richtig, keine drei Minuten später konnten sie die Bundesstraße wieder neben sich sehen, doch nach einem letzten 90°-Knick des Wegs in Richtung Hauptstraße blockierte plötzlich eine nagelneue rot-weiße Schranke ihre Weiterfahrt. Alex trat in die Eisen und brachte den Mercedes gerade noch rechtzeitig vor dem Hindernis zum Stehen. Zum Greifen nah, aber dennoch für sie unerreichbar fuhr jetzt der verfolgte Sportwagen an ihnen vorbei. Hätte er keine getönten Scheiben gehabt, Semir und Alex hätten das hämische Grinsen des Fahrers sehen können. „Ganz toll, Alex! Ganz tolle Abkürzung! Ich bin begeistert!“, fluchte Semir. Er war sauer.


    Kim Krüger nahm das ganze schweigend hin und musste über das Verhalten ihrer Kommissare schmunzeln. „Mal verliert man und mal gewinnen die anderen“, meinte sie mit einem Lächeln, „wenn sie jetzt zu unserer Großkontrolle fahren könnten, wäre ich Ihnen sehr verbunden. Auf direktem Weg und ohne Abkürzungen, bitte.“ – „Jawohl, Chefin“, antwortete Alex kleinlaut und brummelte in seinen nicht vorhandenen Bart: „Die Schranke war letztes Wochenende noch nicht da!“


    ***


    Nicht weit von meinem Wohnort (ca. 20 km) wird heute die fünfte Jahreszeit eingeläutet: das Wacken Open Air beginnt, kurz W:O:A! Das Dorf Wacken wird für vier Tage zur drittgrößten Stadt Schleswig-Holsteins. Um euch einen kleinen Eindruck von diesem Ereignis zu geben, habe ich dieses kleine Video rausgesucht.


    http://www.youtube.com/watch?v=uZjNhF-HPsE

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

    Einmal editiert, zuletzt von Yon ()

  • Dienstag, 15:00 Unfall


    Petra Grundtal fuhr in dem entwendeten Mercedes SL auf die A 57 in Richtung Düsseldorf. Es hatte wieder zu regnen begonnen, die Scheibenwischer schmierten auf der Frontscheibe. Sie näherte sich dem Abschnitt, in dem Jenny und Erik gemeinsam mit weiteren Kollegen der Frühschicht den Geschwindigkeitstrichter für eine gemeinschaftliche Großkontrolle aufgebaut hatten, die die Polizei mit dem Zoll und dem Bundesamt für Güterfernverkehr hier durchführten. Jeder Wagen musste allmählich die Geschwindigkeit reduzieren und wurde schließlich auf einen großen Rastplatz geleitet, wo mehrere Einsatzwagen der genannten Behörden auf sie warteten. Durch die Gemeinschaftskontrolle wurde gewährleistet, die Fahrer, ihre Papiere, Lenkzeiten, Ladung und den Zustand der Fahrzeuge gleichzeitig überprüfen zu können.


    Semir und Alex saßen gerade in einem VW-Bus der Polizei und vernahmen eine Gruppe unter dem Verdacht des Drogenkonsums stehender junger Personen, als der rote Mercedes SL auf die Kontrolleure zufuhr, dann plötzlich Gas gab und die Sperre durchbrach. Zum einen war es natürlich nicht zu dulden, dass sich ein Fahrer oder eine Fahrerin durch ein solch waghalsiges Manöver der Kontrolle entzog und dabei auch noch Staatsbedienstete in unmittelbare Gefahr brachte, zum Anderen witterten sie jetzt aber auch ihre Chance, dieser für sie als elend langweilige Papierarbeit empfundene Tätigkeit, die eine solche Großkontrolle nun einmal eben mit sich brachte und zu der sie ihre Chefin Kim Krüger regelrecht verdonnert hatte, nun endlich zu entkommen.


    Sie ließen die zu Vernehmenden im Bus sitzen, sprangen auf und spurteten zum bereit stehenden Mercedes, Dieter Bonrath noch ein „Machst du hier bitte weiter?“ nachrufend. Der angesprochene Kollege schaute ihnen kopfschüttelnd hinterher und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Dann ging der hochgewachsene Uniformierte langsam zu dem VW Bus, um die begonnene Vernehmung fortzusetzen.


    Es dauerte eine ganze Weile, dann konnten Alex und Semir endlich den roten Mercedes einige hundert Meter vor ihrem Dienstwagen sehen. Sie näherten sich allmählich dem flüchtenden Fahrzeug.


    Petra Grundtal hatte den nachfolgenden Verkehr im Blick und fädelte sich mit hohem Tempo zum Überholen eines LKW auf die linke Spur ein. Da Alex noch ohne Blaulicht fuhr, bemerkte sie nicht, dass es die Polizei war, die hinter ihr herfuhr. Sie wollte nur der Kontrolle entkommen und den gestohlenen Wagen zum verabredeten Übergabeort bringen. Der VW Polo, der vor ihr fuhr, war deutlich langsamer, so dass sie sehr dicht auffuhr. Als der Kleinwagen plötzlich und unerwartet bremste, blieb Petra Grundtal nichts anderes übrig, als zu versuchen, durch die Lücke zwischen dem Polo und dem gerade überholten LKW auf die rechte Spur zu kommen. Dabei touchierte sie aber das rechte hintere Rücklicht des Kleinwagens und geriet auf der vom Regen schmierigen Fahrbahn ins Schleudern.


    Die rechte Leitplanke katapultierte sie zurück auf die Fahrbahn, wo sie entgegen der Fahrtrichtung liegen blieb und frontal von dem heranrasenden LKW erwischt wurde.
    Der Mercedes musste später von der Feuerwehr mit schwerem Gerät aus dem Motorblock des LKW geschnitten werden. Für die Fahrerin Petra Grundtal kam jede Hilfe zu spät, sie war auf der Stelle tot.


    ***


    W:O:A 2. Tag Damit soll es dann aber auch mit dem Ausflug in die norddeutsche Kulturlandschaft gewesen sein. Übrigens: In diesem Jahr ist auch Heino dabei und tritt zusammen mit Rammstein auf ….


    http://www.youtube.com/watch?v=MUEs5Wmxo2A

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • Dienstag, 15:30 Unfallaufnahme


    „Hey, was macht er denn jetzt?“ Mensch, brems!“, schrie Semir, als er sah, welches Manöver der Mercedes gerade versuchte. Sie wurden Augenzeugen des für die Fahrerin verheerenden Unfalls. Alex konnte seinen Wagen gerade noch rechtzeitig zum Stehen bringen und hielt auf der Standspur an, wo bereits der touchierte VW Polo stand. Er schaute dem heranrollenden Verkehr entgegen und bemerkte, dass sich bereits ein Stau bildete.


    Alex nahm das Funkgerät zur Hand: „Zentrale für Cobra 11 – schwerer Unfall auf der A 57, Höhe Nievenheim, bitte RTW und Feuerwehr und weitere Streifenwagen!“ Dann ging er zu Semir, der bereits am Führerhaus des LKW angekommen war und sich dem Fahrer zuwandte, der die Tür seines Gefährts schon geöffnet hatte: „Sind Sie in Ordnung? Können Sie aussteigen?“ Der Fahrer nickte nur zur Antwort. Er stand sichtlich unter Schock.


    Der Blick in den Mercedes erübrigte sich. Die Fahrerin hatte es nicht einmal für nötig gehalten, sich anzuschnallen, aber auch ein Gurt hätte sie nicht retten können. Der Wagen war bis zur Rücksitzbank zusammengefaltet wie ein Akkordeon. Die Fahrertür ließ sich von Menschenkraft nicht öffnen.


    Alex hob etwas von der Straße auf und hielt es Semir hin. Ein verbeultes Nummernschild mit Magneten auf der Rückseite. Semir ahnte was und ging zum hinteren Ende des Mercedes. Dort war das gleiche Nummernschild angebracht, ließ sich aber, wie Semir schnell feststellte, mit einem Ruck lösen. Darunter kam ein anderes Kennzeichen zum Vorschein, welches fest mit dem Wagen verschraubt war. Semir blickte seinen Partner an. „Der Wagen kommt in die KTU“, entschied er, „wir fassen hier nichts mehr an.“ Er zog sein Handy aus seiner Jackentasche und wählte Susannes Nummer. „Ja, Semir hier, du Susanne, kannst du für uns mal zwei Kennzeichen überprüfen? Das eine lautet NE – EP 1 und das andere D – AS 13, ich vermute, das erste gehört zu einem Mercedes SL und das zweite könnte falsch oder gestohlen sein. Du rufst zurück? Ach noch etwas Susanne, hier ist ein Wagen, den soll Hartmut sich mal genauer ansehen, schickst du den Abschleppwagen, und einen Leichenwagen brauchen wir hier auch. Danke! Ciao!“


    Bis zum Eintreffen der Rettungs- und Bergungsmannschaften kümmerten sich Alex und Semir um den LKW-Fahrer und darum, die Schaulustigen zurückzuhalten.
    Der eingetroffene Notarzt konnte nichts mehr für Petra Grundtal tun, er stellte lediglich den Tod fest und nahm sich anschließend des LKW-Fahrers an, der zunehmend zittriger wurde und erleichtert war, auf der Trage im RTW Platz nehmen zu dürfen. Er wurde in die nächste Klinik gefahren.


    Susanne rief zurück und bestätigte Semirs Vermutung. Der Mercedes SL gehörte zum Kennzeichen NE – EP 1 und war zugelassen auf einen Egon Paulsen, das andere Kennzeichen war zurzeit nicht vergeben und damit eine Fälschung.


    Der Mercedes wurde mit schwerem Gerät von dem LKW getrennt, und nachdem die Fahrerin in einen Zinksarg gelegt war, auf den Anhänger der KTU verladen und dorthin verbracht. Nachdem auch der LKW selbst auf die Standspur geschleppt worden war, konnte die Autobahn wieder für den Verkehr freigegeben werden, und schon bald hatte der Regen auch die letzten Spuren dieses Unfalls weggespült.



    http://www.youtube.com/watch?v=KYaToR9XlXk

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • Dienstag, 15:00 Leos Club


    Leonard „Leo“ Kunze saß in seinem Ledersessel hinter einem riesigen Schreibtisch und spielte mit einem Kugelschreiber in seiner rechten Hand, während er wartete, dass sich sein Telefonpartner meldete. Das Büro war abgedunkelt, schwere Vorhänge verhinderten ein Eindringen des Sonnenlichtsvon außen. Eine Schreibtischleuchte mit einem grünen Glasschirm erhellte die Schreibfläche. Außer der Lampe und dem Telefon war der Schreibtisch komplett leer.


    „Ach Martin, gut dass ich dich erreicht habe. Ich wollte noch mal fragen, ob wegen Samstag alles klar geht.“ Er lauschte kurze Zeit, antwortete dann: „Ja, alles wie beim letzten Mal. Gut, wenn noch Fragen sind, meldest du dich… Alles klar, wir sehen uns. Tschüß!“ Er legte den Hörer wieder auf die Gabel.


    Leo lockerte seine Krawatte und erhob sich schwerfällig aus seinem Sessel. Sein Hemd spannte über seinem dicken Bauch, der über den Hosenbund hing. Die Hose wurde durch schwarze Hosenträger gehalten. Er tupfte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn und aus dem Nacken. Er ging zu der Fensterfront, durch die er in seinen Veranstaltungssaal blickte, der sich ein Stockwerk tiefer befand. Er beschloss, nach unten zu gehen und nach dem Rechten zu sehen.


    Leo nahm sein Jackett und verließ sein Büro durch die lederbeschlagene Tür. Er ging den Flur entlang und eine Treppe hinunter und betrat durch eine unscheinbare Tür den Saal, der bereits für die Wohltätigkeits-Veranstaltung am Wochenende vorbereitet wurde. Stehtische wurden mit Tischdecken bezogen. Stühle bereitgestellt, die Bühnenbeleuchtung installiert und getestet und Kabel für Scheinwerfer und Lautsprecher verlegt. Auch der Catering-Service war schon vor Ort und koordinierte die Aufstellung der Tische und des Kühltresens für das Büffet. Der Tresen wurde in eine Sekt- und Cocktailbar verwandelt, Dekorationen angebracht. Leo erwartete für die Party die Anwesenheit hoher Gäste aus Politik, Wirtschaft und Sport. „Sehen und gesehen werden“, das war für viele der Hauptgrund ihrer Anwesenheit, und so lautete auch das inoffizielle Motto dieser Veranstaltung, viele waren dafür bereit, viel Geld zu geben,welches wiederum für einen guten Zweck gespendet wurde. Ihre Namen in Verbindung mit einer Kinderhilfsaktion, Namen und Foto in der Presse, das war es, was für die Gäste zählte. Die Versteigerung von gespendeten Preisen, von einer Übernachtung in einem Schlosshotel in Frankreich bis zum Wellness-Wochenende an der Ostsee, war ein Höhepunkt des Abends und sollte den Anwesenden das Geld aus der Tasche locken und ihre Spendenbereitschaft erhöhen.


    In dem Raum, der als Garderobe diente, war Annika schon damit beschäftigt, zusätzliche Garderobenständer aufzubauen. Sie war eine Studentin, die in Leos Club aushalf, um ihr Studium zu finanzieren, seitdem ihre Eltern ihr den Geldhahn zugedreht hatten. Sie waren nur zur Finanzierung einer einzigen Ausbildung bereit; wenn ihre Tochter nach Germanistik jetzt auch noch Soziologie studieren wollte, so war es ihre eigene Sache. Die Arbeit bei Leo brachte ihr zwar nur zehn Euro pro Stunde, aber das Trinkgeld der Gäste, auf deren Jacken und Taschen sie bei den Veranstaltungen „aufpasste“, übertraf diesen Lohn bei weitem. Und der Extraverdienst, den sie bei Leo nach erfolgreichem Abschluss einer Aktion jedes Mal einstreichte, war auch nicht zu verachten. Sie konnte sich ihr Zimmer und das Studium leisten und genoss ihr Leben.



    http://www.youtube.com/watch?v=xg6L7MhEK9g

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • Dienstag, 17:00 Luxury


    Semir und Alex fuhren von der Unfallstelle direkt zu der ihnen von Susanne genannten Adresse der Paulsens am Stadtrand von Düsseldorf und standen vor einer stattlichen Jugendstilvilla, die mitten in einem riesigen Garten stand, umgeben von einem hohen Eisenzaun. Klingeln blieb ohne Erfolg, auch nach mehreren Wiederholungen tat sich nichts.


    Eine kurze Rückfrage in der Dienststelle führte sie zur Adresse des Autohauses „Luxury“, in dem Egon Paulsen Luxus-Autos, Oldtimer und Sportwagen zum Kauf oder auch zur Miete anbot.


    Alex und Semir betraten den Ausstellungsraum und staunten nicht schlecht. Lamborghini, Maserati, Ferrari auf der einen, Cadillac, Hummer, Stretch-Limo auf der anderen Seite der Halle. Dagegen sah der Porsche 911, der sich ebenfalls in der Reihe befand, schon sehr mickrig aus.


    „Womit kann ich Ihnen dienen, meine Herren?“, wurden sie von einem smarten jungen Mann im Nadelstreifenanzug angesprochen. „Sind Sie Egon Paulsen?“, fragte Alex ihn. „Nein, das ist mein Vater“ – „Wo ist Ihr Vater jetzt?“ – „Im Büro. Möchten Sie ihn sprechen? Wen darf ich melden?“ – „Gerkan, Kripo Autobahn, das ist mein Kollege Brandt.“ - „Ist eines unserer Autos zu schnell gefahren?“ Semir schmunzelte, diesen ‚Scherz‘ hatte er schon so oft gehört Er ging nicht näher darauf ein, sondern fragte stattdessen: „Können Sie Ihren Vater vielleicht einfach holen?“ – „Einen Moment bitte.“ Damit verschwand der Verkäufer. Semir sah ihm hinterher, drehte sich dann suchend zu Alex um und fand ihn schließlich in einem Cadillac sitzen und mit den Fingern über die Armaturen und das Lenkrad streichen. „Der gefällt dir, was?“ Semir beugte sich zum offenen Fahrerfenster, um zu Alex hineinschauen zu können. „Ja“, erhielt er zur Antwort, „alte Autos haben etwas. Ich hatte mal einen Opel Rekord, Baujahr 1967, musste ihn aber in gute Hände abgeben. Der Unterhalt ist einfach zu teuer, Garage, Pflege, Reparaturen usw. Wusstest du, dass dieser Cadillac schon damals über elektrische Fensterheber verfügte?“ - „Nein“, musste Semir zugeben und musste mit seinem Kopf zurückweichen, um nicht im sich auf Knopfdruck schließenden Fenster eingeklemmt zu werden, welches Alex aber ebenso wieder öffnete, „das wusste ich nicht.“ – „Da kann ich dir also doch noch was beibringen. Ach, ich glaube der Paulsen kommt.“


    Semir richtete sich wieder auf und trat einen Schritt zur Seite, um Alex aus dem Oldtimer aussteigen zu lassen. „Egon Paulsen?“, fragte Alex den älteren Mann, der zu ihnen getreten war. „29.000 und er gehört Ihnen“, war dessen erste Äußerung, die Alex lächelnd mit einem ablehnenden Kopfschütteln quittierte. Er gab den beiden Polizisten die Hand. „Und Sie sind von der Polizei?“ – „Ja“, Alex und Semir zeigten dem Geschäftsmann ihre Ausweise. „Gehört Ihnen ein Mercedes SL mit dem Kennzeichen NE – EP 1?“, kam Semir nun zur Sache.“ – „Ja, was ist mit meinem Wagen?“ – „Wer ist heute Mittag mit dem Wagen gefahren?“ – „Niemand, er steht auf meinem Grundstück.“ – „Herr Paulsen, Ihr Wagen war heute in einen schweren Unfall auf der A 57 verwickelt. In ihm starb eine junge Frau. Wir gehen zurzeit davon aus, dass er Ihnen entwendet wurde. Wann haben Sie Ihren Wagen zuletzt gesehen?“ Egon Paulsen wich einige Schritte zurück. „Eine Frau starb in meinem Wagen? Mein Gott, das ist ja schrecklich“, er war sichtlich erschüttert und musste sich am Dach des Cadillacs kurz festhalten, „er stand heute Morgen vor meinem Haus, meine Frau und ich haben unseren Zweitwagen genommen, weil es so geregnet hatte.“ – „Hat außer Ihnen noch irgendeiner einen Schlüssel zu Ihrem Grundstück und zu dem Auto?“ – „Nein, es gibt nur einen einzigen, ich wollte immer mal einen zweiten für meine Frau anfertigen lassen, bin aber noch nicht dazu gekommen. Und auf das Grundstück kommen meine Frau und ich, meine Söhne, die Putzfrau, der Gärtner, ja, ich glaube, das war’s dann auch.“ – „Herr Paulsen, Ihr Wagen wird von der KTU näher untersucht, sollen wir Sie benachrichtigen, wenn das Wrack freigegeben wird, oder sollen wir uns um die Entsorgung kümmern. Ich nehme an, Sie melden den Fall zunächst Ihrer Versicherung, wir schicken Ihnen dann den Polizeibericht zu, damit sie ihn mit einreichen können.“ – „KTU?“ – „Das ist die kriminaltechnische Untersuchung.“ – „Danke. Wenn der Wagen Totalschaden hat, können Sie ihn gerne entsorgen, was soll ich damit?“ – „Von Totalschaden können wir ganz sicher ausgehen. Da ist nicht mehr viel übrig. Wenn Sie noch Fragen haben, können Sie uns jederzeit erreichen.“ Semir reichte dem Autohändler seine Karte. „Das war’s für jetzt, wir kommen wieder auf sie zu, wenn sich etwas ergibt oder wir mehr wissen.“


    Semir und Alex fuhren zurück zur PAST und machten bald darauf Feierabend. Ein ereignisreicher Tag lag hinter ihnen, obwohl er mit purer Langeweile begonnen hatte, dachte Semir auf der Fahrt nach Hause. Plötzlich hatten sie wieder einen Fall auf dem Tisch. Was er nicht ahnen konnte: Er würde sich für ihn zu einem der persönlichsten Fälle seiner Laufbahn entwickeln. Semir setzte Alex an seiner Wohnung ab und versprach, ihn am Morgen gegen 8:00 Uhr dort wieder abzuholen.


    http://www.youtube.com/watch?v=r_Pf7Lycm2E

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

    Einmal editiert, zuletzt von Yon ()

  • Dienstag, 18:00 Bedrohung


    Mit den Fotos, die sein Bruder vor einigen Tagen geschossen hatte, begab sich Murat zu Kemal in dessen Schlüsseldienst-Geschäft und kam, als der letzte Kunde vor ihm gegangen war, gleich zur Sache. „Kemal, Kemal“, meinte er kopfschüttelnd, „wir hatten ja eigentlich gehofft, du würdest etwas bereitwilliger mit uns zusammen arbeiten, schließlich hast du noch eine stattliche Kreditsumme zurück zu zahlen, und zwar an uns. Aber nun müssen wir dir wohl anders zeigen, wie ernst uns die Angelegenheit ist.“ – „Was meinst du damit? Ich habe bis jetzt jeden Job erledigt.“ – „Ja, du sagst es: bis jetzt! Aber wir wollen doch sicher gehen, dass es auch so bleibt. Leider macht deine Frau und dein Sohn Urlaub in der Türkei. Den Zeitpunkt hast du sehr gut gewählt. Ich an deiner Stelle würde dafür sorgen, dass sie dort bleiben. Du würdest doch sicher nicht wollen, dass ihnen etwas zustößt, oder etwa doch?“


    Murat ließ sich Zeit, seine unterschwellige Drohung auf Kemal wirken zu lassen und setzte sich auf einen der beiden hohen Hocker, die vor dem Ladentresen standen. Dann sprach er weiter: „Und um uns deiner uneingeschränkten Mitarbeit auch bis zu ihrer Rückkehr sicher zu sein, haben wir jetzt - statt deiner - diese kleine Familie ausfindig gemacht, die dir sicher auch etwas bedeutet.“ Murat holte die Fotos von Semirs Familie hervor und legte sie auf die Ladentheke. „Verstehen wir uns? Wir melden uns bei dir, halte dich zu unserer Verfügung. Du willst doch dieses kleine Familienglück nicht zerstören, oder? Und Kemal, wir passen auf dich auf, sollten wir merken, dass du Kontakt zu deinem Bruder aufnimmst, werden wir in Zukunft auf dich und deine Mitarbeit verzichten, du verstehst, was ich meine?“


    Damit erhob sich Murat von seinem Sitz und ließ seine Frage und einen eingeschüchterten Kemal im Raum stehen und verließ das Ladenlokal.



    Da dieses Kapitel so kurz war, hier eine umso schönere Pauseneinlage. Und morgen gibt es wieder mehr zu lesen, versprochen!


    http://www.youtube.com/watch?v=XAFem5yu9Uc

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • Mittwoch, 09:00 Ausfall


    Schweigend fuhren Alex und Semir durch den morgendlichen Berufsverkehr. Alex schaute aus seinem Seitenfenster auf die Fußgänger auf dem Bürgersteig. „Hast du das gesehen?“, fragte er plötzlich, „der hat doch der Frau eben die Handtasche gestohlen!“ In der Tat: Ein junger Mann auf einem Fahrrad hatte im Vorbeifahren einer älteren Dame die locker über die Schulter gehängte Tasche entrissen und fuhr jetzt eilig auf dem Fahrradweg davon. Dass er bei seiner Tat von Polizisten beobachtet worden war, ahnte er nicht. „Los, den schnappen wir uns!“, forderte Alex Semir auf. Semir verfolgte jetzt den Radfahrer in eine kleine Seitenstraße. Er fuhr an ihm vorbei, stoppte den Wagen nach etwa einhundert Metern am Straßenrand, und beide Kommissare traten dem Dieb jetzt zu Fuß entgegen, um ihn zu stellen. In dem Moment, in dem er auf ihrer Höhe war, griffen sie zu. Es kam zu einem Gerangel zwischen Alex und dem Handtaschenräuber. Semir dachte schon, ihn im festen Polizeigriff fixiert zu haben, während Alex die gestohlene Tasche sicherstellte.


    Später konnte keiner der Polizisten sagen, wie es passiert war, aber plötzlich war der Täter wieder frei, Semir kniete auf dem Bürgersteig, hielt sich den schmerzenden Arm, und Alex lag am Boden. Der Räuber konnte, wenn auch ohne Beute, auf seinem Fahrrad entkommen.


    Alex rappelte sich langsam auf, blieb aber doch auf seinen Knien hocken und hielt dabei beide Hände vor sein Gesicht. Durch die Finger rann das Blut und tropfte auf Kleidung und Asphalt. „Alex, bist du verletzt?“, fragte Semir überflüssigerweise, denn dass Alex‘ Nase gebrochen war, konnte auch von einem Laien nicht übersehen werden und die kleinen weißen „Steine“ in seiner Hand sprachen eine mehr als eindeutige Sprache. Er bekam auch keine Antwort. Alex hatte große Schmerzen, und Semir ging neben ihm in die Hocke und ihm beim Aufstehen behilflich zu sein. „Ich weiß auch nicht, wie es passieren konnte, er hat sich irgendwie aus meinem Griff rausgedreht und war plötzlich frei. Es tut mir leid. Ich hätte ihn besser festhalten müssen. Komm, ich fahre dich zum Arzt.“ Er führte Alex zur Beifahrerseite des BMW und half ihm noch beim Einsteigen. Dann suchte er nach dem Verbandkasten und kramte mehrere Kompressen raus, die er seinem Partner in die Hand drückte.


    Semir fuhr auf dem schnellsten Weg zum Krankenhaus und hielt vor der Notaufnahme an. Er wollte schon aussteigen, als Alex ihn zurückhielt. „Du musst nicht mitkommen, ich nehme mir nachher ein Taxi“, sagte er undeutlich nuschelnd zu Semir. „Sicher? Aber du rufst nachher an?“ Semir legte ihm eine Hand auf die Schulter, zog sie aber schnell wieder zurück, als er den Schmerz in der Schulter wieder spürte. Das war auch Alex nicht entgangen und er erkundigte sich: „Solltest du deine Schulter nicht auch untersuchen lassen?“, aber Semir winkte ab. „Ist nicht so schlimm, das geht auch wieder weg. Jetzt mach, dass du reinkommst! Und lass dich nicht zu sehr quälen.“ Alex ging langsam in das Krankenhausgebäude, wo die Arzthelferin in der Anmeldung gleich sah, was ihm passiert war. Sie führte ihn am Wartezimmer vorbei direkt in ein Behandlungszimmer.


    Semir fuhr indessen Richtung KTU, um die ersten Ermittlungsergebnisse zum gestrigen Unfall von Hartmut zu erfahren.


    Beim Austeigen fiel sein Blick auf die sichergestellte Handtasche, die auf dem Rücksitz des BMW lag, und er nahm sich vor, diese ihrer Besitzerin zurück zu bringen, sobald sein Besuch in der KTU beendet war.



    http://www.youtube.com/watch?v=NGf4WbfC7M4

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • Mittwoch, 11:00 KTU


    „Guten Morgen, Hartmut!“, begrüßte er den Kriminaltechniker, „Was kannst du mir zu dem Unfallwagen von gestern sagen? Schon etwas rausgefunden?“ Der Rotschopf blickte von seiner Arbeit am PC auf. „Semir! Dir auch einen guten Morgen. Wo hast du denn Alex gelassen“? – „Alex ist bei einem Gerangel mit einem Handtaschendieb gestürzt und hat in die Bordsteinkante gebissen. Ich habe ihn gerade zum Arzt gebracht.“, erklärte Semir ihm. Hartmut sog geräuschvoll die Luft durch die Zähne. „Das klingt ja gar nicht gut. Die Bordsteinkanten von heute sind ja auch so was von unflexibel … Habt ihr ihn denn wenigstens geschnappt?“ – „Nein, er ist uns entwischt, aber - da fällt mir ein …, einen Moment, Hartmut!“ Semir ließ einen fragend dreinblickenden Hartmut zurück und verließ die KTU, um nur Augenblicke später mit der Handtasche zurückzukommen. „Vielleicht kannst du sie mal auf Fingerabdrücke hin untersuchen. Womöglich ist uns der Dieb bekannt.“ – „Klar mach ich, leg sie dort auf den Tisch."


    Semir tat wie geheißen und kam dann auf den laufenden Fall zurück. „Nun zum Mercedes, was kannst du mir sagen?“
    „Nicht viel, aber auch mehr als nichts“, begann Hartmut, „Die Fahrerin ist noch immer unbekannt, die Fingerabdrücke nicht polizeilich gespeichert. Sie hatte keinerlei Papiere bei sich, nichts, aus dem sich irgendwie eine Identität ableiten ließe, Klamotten Massenware aus dem Kaufhaus. Das Gutachten des Gerichtsmediziners steht aber noch aus, das heißt, das Zahnschema, die Blutwerte und so weiter werden nachgeliefert.“


    Semir, der bislang schweigend zugehört hatte, nickte. „Wenn ihr was habt, schickt es gleich zu mir, okay?“ – „Aber sicher. Etwas Interessantes habe ich noch.“ Hartmut kramte einen Schlüsselbund unter den abgelegten Papierstapeln hervor und warf ihn Semir zu, der ihn auffing. „Schlüssel? Hartmut, was soll das?“ – „Mit einem dieser Schlüssel ist der Wagen gestartet worden. Der Autoschlüssel und auch die anderen Schlüssel an diesem Ring sind alle Duplikate.“ Semir betrachtete den Schlüsselbund genauer. Ihm fiel der Pappanhänger auf. Die Aufschrift war schon etwas verschmiert, aber er konnte noch „Paulsen“, dessen Adresse und „NE – EP 1“ entziffern. Ihm kam eine Idee, aber noch bevor er diese äußern konnte, fasste Hartmut sie in Worte: „Ich an eurer Stelle würde einmal nachforschen, ob das Auto das einzige ist, was diesem Paulsen gestohlen wurde.“


    „Wir haben nämlich noch einen Koffer sicherstellen können. Hier!“, setzte Hartmut nach und hob jetzt einen kleinen ledernen Aktenkoffer auf seinen Schreibtisch, öffnete die Schnappverschlüsse und präsentierte Semir den Inhalt: Gold- und Silberschmuck, Münzen, Bargeld. Semir pfiff anerkennend. „Sieht ganz so aus, als wäre heute nicht nur eine Autodiebin auf der Autobahn verunglückt.“


    „Und“, fuhr Hartmut fort, „diesen Schlüssel“ – er gab Semir einen Autoschlüssel – „hatte sie auch bei sich in der Hosentasche, könnte zu einem älteren Opel Corsa oder Astra gehören. Ist aber auch ein Duplikat, also ohne Seriennummer. So können wir keine Rückschlüsse auf den Besitzer oder das Fahrzeug ziehen.“ – „Wir werden den Wagen schon finden“, antwortete ihm Semir, „danke, Hartmut!“



    http://www.youtube.com/watch?v=mWN4Oa3mDJA

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • Mittwoch, 12:00 Anwesen Paulsen


    Telefonisch verabredete sich Semir mit Egon Paulsen an seinem Anwesen. Es war für den Autohändler eine Selbstverständlichkeit, der Polizei zu helfen und auch im Eigeninteresse war ihm an der Aufklärung des Autodiebstahls von seinem Gelände sehr gelegen. Zumal er sich auch schon gefragt hatte, wie die Autodiebin sein Grundstück betreten und den Wagen von diesem entfernen konnte.


    So ließ er in seiner Firma alles stehen und liegen und machte sich in Begleitung seiner Ehefrau auf den Weg zu seiner Villa, wo er vor dem schmiedeeisernen Tor auf den wartenden Semir traf.


    „Guten Tag, Herr Paulsen“, begrüßte der Hauptkommissar den Hausbesitzer, „ich habe Ihnen hier etwas mitgebracht, was ich Sie bitten möchte, zu begutachten.“ Semir wies auf den Koffer in seiner Hand. „Gerne doch, Herr Gerkan, Ihr Kollege ist heute nicht mit?“ – „Nein, der hatte heute Morgen einen kleinen Unfall und ist gerade beim Arzt.“ – „Hoffentlich nichts schlimmes, ich hätte gedacht, ich könnte mit ihm noch einmal über den Cadillac sprechen, rein aus geschäftlichem Interesse. Kommen Sie …“, er wollte gerade das Tor aufschließen, als Semir ihn unterbrach: „Halt, warten Sie, wir probieren diese Schlüssel.“ Er zog den Schlüsselbund an der Jackentasche, den ihm Hartmut gegeben hatte. Schon der zweite Schlüssel passte zu dem Tor und Semir ließ sich selbst auf das Grundstück der Paulsens. „Genau das habe ich vermutet“, meinte er zu dem Geschäftsmann, der ihn verwundert ansah. Dann erklärte er ihm, dass die Autodiebin diesen Schlüsselbund bei sich hatte, der Autoschlüssel befand sich daran, die Vermutung lag nahe, dass, da ja keinerlei Aufbruchspuren an dem Tor zu sehen waren, sie auch dafür einen entsprechenden Schlüssel besaß.


    Nachdem sie über den Kieselweg zu dem großen Haus gegangen waren – auch Egon Paulsen hatte seinen Wagen an der Straße geparkt – versuchte sich Semir auch an der Haustür und war ebenso erfolgreich. Dann sah er auf die blinkende Alarmanlage. Würde er diese nicht innerhalb von 20 Sekunden deaktivieren, würde sie in der nächsten Polizeistelle Alarm schlagen und er hätte bald die ganze Kavallerie vor Paulsens Villa. Der kleinste Schlüssel an dem Bund tat seinen Dienst und das Blinken hörte auf.


    „Okay, Herr Paulsen, wir müssen davon ausgehen, dass Sie Opfer eines Räubers oder eher einer Räuberin geworden sind, die im Besitz einer kompletten Kopie Ihres Schlüsselbundes war. Möchten Sie sich bitte mal diese Dinge anschauen?“ Semir legte den Koffer auf das kleine Tischchen in der Diele, öffnete ihn, und Frau Paulsen ließ sich ihren Schmuck durch ihre Hände gleiten. „Das ist mein Armband und meine Uhr, Egon schau!“, forderte sie ihren Mann auf. Der blickte nur kurz auf den Schmuck und nickte. „Das Geld und die Goldmünzen könnten mir gehören, wenn sie nicht mehr im Tresor liegen. Ist auch ein Tresorschlüssel an dem Bund?“ Semir gab ihm den Schlüsselring und Ego Paulsen ging voraus in sein Arbeitszimmer, wo er den Tresor geschickt mit einer der Schlüsselkopien aufschloss. Er enthielt lediglich noch die Geschäftspapiere. „Herr Paulsen, haben Sie einen Kalender und ein Adressbuch, welches sie uns ausleihen können? Wir müssen davon ausgehen, dass die Täterin nicht zum ersten Mal in Aktion getreten ist. Vielleicht gibt es weitere Opfer und sie haben alle denselben Bekannten. Irgendjemand muss ja in den Besitz Ihres Schlüssels gekommen sein. Dürfte ich den Schlüsselbund übrigens wieder haben?“


    20 Minuten später befand Semir sich wieder auf dem Weg zur PAST und dachte über den Fall nach. Er hatte ein Adressbuch mitbekommen und würde davon Kopien machen, damit Egon Paulsen es möglichst schnell wieder zurückbekommen konnte. Wer war das Unfallopfer? Das war die zentrale Frage zu diesem Zeitpunkt. Polizeilich bekannt war die Person noch nicht, sonst hätte Hartmut ihm die Auflösung bereits präsentiert. Susanne hatte schon die Vermisstenanzeigen nach einer mittelgroßen, dunkelhaarigen Frau zwischen 30 und 40 Jahre durchsucht, war aber bislang erfolglos geblieben. Eine erwachsene Frau wurde auch meistens erst später bei der Polizei als vermisst gemeldet. Zunächst vermutet man sie bei Bekannten, Kollegen oder Verwandten. Und wenn diese Unbekannte, wie in diesem Fall, eine Diebin und Einbrecherin ist, kann es durchaus sein, dass niemals jemand bei der Polizei vorbei kommt, weil sonst vielleicht der ganze Ring aufzufliegen droht. Und dass sie Helfer gehabt haben muss, das stand für Semir fest.



    http://www.youtube.com/watch?v=c8bdX16Uzlw

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • Mittwoch, 14:00 Erste Ermittlung


    Susanne versuchte, mit den wenigen ihr zur Verfügung stehenden Spuren und Angaben irgendetwas aus dem Computersystem der Polizei heraus zu kitzeln.
    Insbesondere interessierte sie sich für gleichgelagerte Fälle von Diebstählen ohne sichtbare Einbruchspuren. Teilweise sind die Eigentümer selbst unter Verdacht geraten, ihre Versicherung betrügen zu wollen, da ein Einbruch nie hatte nachgewiesen werden können. Sie schaute sich die Akten dieser Fälle an und verglich insbesondere die Namen und Kalenderangaben. Irgendetwas müssen die Opfer doch gemeinsam haben. Sie wollte nicht an Zufallsopfer glauben. Die verunglückte Einbrecherin musste Kontakt zu jedem dieser Opfer haben oder zumindest zu jemanden, der Kontakt zu allen Opfern hatte.


    Als Semir ihr das Adressbuch von Paulsen gab, fertigte sie zunächst eine Kopie an und fing dann an, die Namen in dem Adressbuch mit den Namen in den Akten der anderen potentiellen Opfer zu vergleichen. Sie telefonierte auch mit ihnen und las ihnen die Namen aus dem Adressbuch der Paulsens vor. Bei einem Namen stutzen alle, er war ihnen allen bekannt: Leonard Kunze!


    Nun ist es auch schwer, in der Gegend noch gar nichts von dem Club-Besitzer Leonard Kunze gehört zu haben, man musste schon die regionale Presse vollständig ignorieren, um ihn nicht zu kennen. Aber hier gaben alle, mit denen Susanne sprach, an, ihn persönlich zu kennen, sie kannten Adresse und Telefonnummer und auch im Adressbuch der Paulsens stand der Name handschriftlich vermerkt, nicht lediglich in Form einer Visitenkarte. Könnte Leonard Kunze der Schlüssel sein? Sie würde Semir das Ermittlungsergebnis am Donnerstag früh mitteilen, denn mittlerweile war es 19:00 Uhr geworden, und Semir war schon im Feierabend.


    Auf die Befragung aller Schlüsseldienste im Köln-Düsseldorfer Raum nach dem Kopieren eines ganzen Schlüsselbundes verzichtete sie in Anbetracht der Menge dieser Handwerksbetriebe. Das würde sie erst dann weiter verfolgen, wenn alle anderen Möglichkeiten erschöpft wären.


    Während Susanne also telefonierte, um eine gemeinsame Schnittmenge der Einbruchopfer zu ermitteln, nahm sich Semir Dieter, Jenny und Erik zur Seite und erklärte ihnen, dass sie jetzt gemeinsam einen Opel Corsa oder Astra suchen müssten, zu dem der Schlüssel gehörte. „Stellt euch vor, ihr wollt in eine Villa einbrechen und auch das Auto des Opfers stehlen. Mit Bus und Bahn kommt man dort nicht hin, die nächste Haltestelle ist zu weit entfernt. Wo würdet ihr euren Wagen abstellen?“, fragte er seine uniformierten Kollegen. – „In der Nähe“, war Jennys erster Einfall, „wo er nicht auffällt“, ergänzte Erik. „Und wo fällt ein Auto nicht auf?“, hakte Semir nach, „wo viele andere Autos auch stehen“, beantwortete er selbst seine Frage, „und genau dort fangt ihr an. Parkplätze, Parkhäuser im Radius von, sagen wir mal, 500 Meter um die Villa von Egon Paulsen. Wäre doch gelacht, wenn wir den Wagen nicht finden würden. Macht euch am besten 2 Kopien von dem Schlüssel und teilt euch auf.“ – „Semir“, kam jetzt von Dieter, „was ist, wenn sie mit einem Taxi hingefahren ist?“ Der Angesprochene dachte nach. „Das bringt uns nicht wirklich weiter. Selbst wenn du ein Taxi fändest, dass eine Frau unserer Beschreibung zur fraglichen Zeit in die Nähe der Villa gebracht hätte, hätten wir noch keinen Namen. Also sucht auf jeden Fall zunächst nach dem Auto!“, forderte er seine Kollegen auf.



    http://www.youtube.com/watch?v=33Vxyb5BYrc

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • Mittwoch, 16:00 Handtasche


    Hartmut rief Semir aus der KTU an, um ihm das Ergebnis der Überprüfung der Handtasche mitzuteilen: „Es waren in der Tat einige Fingerabdrücke auf der Tasche zu isolieren. Neben deinen, Alex‘ und einem unbekannten Abdruck, aller Wahrscheinlichkeit nach von der Besitzerin auch die Abdrücke eines registrierten Kleinkriminellen. Ich schicke dir die Daten rüber, die Tasche ist schon unterwegs zu dir, ich denke, du wirst sie der Besitzerin zurückbringen?“ – „Ja, das mache ich gleich nach Feierabend. Ach, hier ist die Datei. Danke dir, Hartmut!“ Semir legte den Hörer zurück und öffnete die Datei, die Hartmut ihm geschickt hatte. „Georg Sauber“, sagte er zu sich selbst, „ein ganz sauberer Kerl, wie es scheint. Laden- und Taschendiebstahl, Hausverbote in diversen Geschäften, kleinere Drogendelikte, Beschaffungskriminalität … Na, dann fügen wir dem ganzen doch einen Handtaschendiebstahl hinzu.“ Aufgrund der örtlichen Zuständigkeit telefonierte Semir noch mit Jens Jensen vom Innenstadtrevier und verabredete sich mit ihm, diesem Georg Sauber einen Besuch abzustatten. Dabei erfuhr er, dass die Eigentümerin, Karla Bruhn bereits kurz nach der Tat Anzeige erstattet hatte. Jens Jensen versprach, ihr gleich telefonisch die erfreuliche Nachricht vom Auffinden ihrer Tasche zu melden und ihren Besuch anzukündigen.


    Bevor Semir sein Büro verlassen konnte, meldete sich Alex bei ihm. Er würde den Rest der Woche auf jeden Fall ausfallen, teilte er unverständlich seinem Partner mit. Er freute sich aber über die Identifikation des Handtaschendiebs und gab Semir noch den guten Tipp, diesmal besser zuzugreifen als am Morgen. Nach Überbringen der Genesungswünsche der gesamten PAST verabschiedeten sich die Kollegen voneinander, und Semir verließ die Dienststelle mit den Zielen Innenstadtrevier, Karla Bruhn, Georg Sauber und Feierabend.


    Jens Jensen begrüßte Semir freundschaftlich im Innenstadtrevier und ließ sich von dem Autobahnpolizisten genau erzählen, was am Morgen vorgefallen war, wie Alex sich verletzt hatte und machte sich dann gemeinsam mit ihm auf zu Frau Bruhn, um ihr die Handtasche auszuhändigen. Die Seniorin war überglücklich und auch wenn sie keine Zeit hatten, auf die Einladung zum Kaffee einzugehen war es für die beiden Polizisten doch ein Moment, in dem sie es genossen, Polizisten und damit die sprichwörtlichen „Freunde und Helfer“ sein zu können. Die Begründung dafür dass sie leider keine Zeit hätten, mit ihr Kaffee zu trinken, konnte sie sehr gut nachvollziehen, schließlich galt es, den Handtaschendieb festzunehmen. Nachdem Karla Bruhn gehört hatte, dass zu dem Diebstahl auch noch Widerstand gegen die Staatsgewalt und Körperverletzung kommen, außerdem habe sich der Täter seiner Festnahme durch die Flucht entzogen, rückte sie von dem Vorhaben, ihre Anzeige zurückzuziehen, sofort wieder ab und hoffte, die Polizisten würden den Täter zur Rechenschaft ziehen.


    Dann fuhren sie zu der Adresse von Georg Sauber, der in einem fast verfallenen Mehrfamilienhaus hauste. Er bewohnte eine kleine Wohnung im Dachgeschoss. Als er sich den beiden Beamten gegenüber sah, ließ er sich widerstandslos festnehmen. Er wusste, wann er verloren hatte, und aus seiner kleinen Wohnung gab es kein Entrinnen. Jensen legte ihm Handschellen an, um die Fluchtgefahr auf das absolute Minimum zu reduzieren. Georg Sauber sagte während der ganzen Prozedur kein Wort.


    Jens Jensen brachte ihn auf sein Revier und Semir konnte die Fahrt in seinen wohlverdienten Feierabend antreten.




    http://www.youtube.com/watch?v=hROyYkdu3Kk

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • Donnerstag, 10:00 Zweite Ermittlung


    Als Semir am Donnerstagmorgen ausgeschlafen die PAST betrat, stand Kim Krüger bei Susanne am Tisch und besah sich Meldungen der Nachtschicht. Es war nichts Außergewöhnliches vorgefallen, so kam sie gleich auf die beiden aktuellen Fälle, dem Einbruch-Autodiebstahl und dem Handtaschenraub zu sprechen. „Und habt ihr ihn gestern gefasst?“, wollte sie von Semir wissen. „Ja, Chefin, wir haben ihn gefasst.“ – „Und, wie wirkte er auf Sie?“ – „Tja, irgendwie … gefasst“, lautete seine Antwort, und er musste lachen, als ihm die Doppeldeutigkeit seiner Wortwahl auffiel, „aber das ist jetzt ein Fall des Innenstadtreviers und damit von unserem Tisch. Kann sein, dass Jensen noch meine und Alex‘ Aussage aufnehmen will, aber da wird er sich bei uns melden. Susanne, hast du gestern noch was herausgefunden? Und ist das Auto schon gefunden worden?“


    „Ja und nein. Dieter, Jenny und Erik waren gestern erfolglos, sind aber gleich heute früh wieder los. Aber ich habe einen Namen für dich, der im Adressbuch von Herrn Paulsen auftaucht und den auch die anderen Opfer, deren Fälle ich erneut überprüft hatte, zu kennen bestätigten: Leonard Kunze. Ich komme gleich zu dir und zeige dir, was ich über ihn herausgefunden habe“, erzählte Susanne.


    Nachdem Semir sich in der Teeküche mit frischem Kaffee versorgt und in seinem Büro Platz genommen hatte, betrat Susanne den Raum und hielt einige Seiten Papier in ihrer Hand. Sie setzte sich auf Alex‘ Bürostuhl und beschränkte sich auf die Kernaussagen ihrer Ermittlungsergebnisse:


    „Leonard Kunze ist also ein gemeinsamer Bekannter der Paulsens und zweier weiterer Opfer mysteriöser, ungeklärter Einbrüchen. Er ist 56 Jahre alt, besitzt mehrere Clubs, darunter befindet sich ein Golfclub und ein Veranstaltungsclub, ein 4*-Hotel in Düsseldorf, Mietshäuser in Köln und Bonn. Steinreich. Er vergibt Kredite an Leute, die von den Banken keinen bekommen, ohne Schufa, ohne Sicherheiten, zahlt in bar, kassiert in bar. Ihn selbst bekommt kaum jemand zu Gesicht. Er schickt seine Leute. Ist der Kredit bezahlt, ist Ruhe. Vollkommen legal, keine Wucherzinsen. Was passiert, wenn ein Schuldner nicht zahlt, konnte ich nicht in Erfahrung bringen, darüber redet niemand. Und er veranstaltet in seinem Club, der sich „Leos Club“ nennt, Charity-Veranstaltungen für einen guten Zweck, demnächst eine für das Kinderhilfswerk West.Er bewohnt einen alten Gutshof in der Eifel und hat in Düsseldorf eine Penthouse Wohnung.“ – „Hast du auch Adressen?“ – „Stehen alle hier auf dem Zettel. Und ich habe noch etwas: die Gästeliste für die Wohltätigkeitsveranstaltung am Samstag.“ Sie reichte ihm einige Computerausdrucke mit einer langen Namensliste, die sich Semir jetzt vornahm. „Ich frage besser nicht, wo du die her hast?“ Susanne lächelte. „Besser nicht.“


    Die Gästeliste las sich wie ein „who-is-who“ des Rheinlands. Alles was Rang und Namen hataus Politik, Wirtschaft und Sport, war auf dieser Liste vertreten. Bei einem Namen musste Semir schmunzeln: Konrad Jäger. Klar, Bens Vater ließ sich ein gesellschaftliches Ereignis dieser Größenordnung nicht entgehen. Auf der zweiten Seiten des Ausdrucks blieb Semir an einer Zeile hängen: Musik: Ben Jäger und Band!



    http://www.youtube.com/watch?v=77faY5reZaU

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • Donnerstag, 13:00 Todesnachricht


    Dieter Bonrath, Jenny Dorn und Erik Johannsen statteten jedem Parkplatz, jedem Parkhaus und allen Seiten- und Querstraßen in der Nähe von Paulsens Villa einen Besuch ab. Sie hatten sich getrennt, jeder war mit einem Schlüssel und einem Plan ausgerüstet. Sie hatten einen 500-Meter-Kreis um das Anwesen herum gezogen.
    Gegen Mittag versuchte Dieter sein Glück in einem kleinen Parkhaus nur 50m außerhalb dieses Kreises und wurde fündig! Ein grüner Opel Corsa, etwa 15 Jahre alt, stand in der hintersten Ecke, und der Schlüssel passte. Dieter rief sofort Erik und Jenny an, sie mögen die Suche einstellen, den Streifenwagen holen und zu ihm in das Parkhaus kommen. Dann bat er Hartmut, den Transport des Wagens in die KTU zu organisieren.


    Über Funk des mittlerweile eingetroffenen Streifenwagens teilte er den Erfolg der Suche auch der Zentrale mit und machte gleich eine Halterabfrage für das Kennzeichen K – SG 57. Der Opel Corsa war zugelassen auf einen Martin Grundtal, Bremer Str. 16 in Köln.


    Semir schrieb sich Namen und Adresse auf. Er prüfte die Gästeliste der Samstagsveranstaltung, stellte aber fest, dass sie keinen Gast mit dem Namen Grundtal enthielt. Das wäre ja auch zu einfach gewesen.


    Semir machte sich gleich auf den Weg zu der ermittelten Adresse und traf Martin Grundtal auch an. „Ein Opel Corsa? Ja, das kann sein. Aber den fährt Petra, meine Ex-Frau. Hat sie wohl noch nicht umgemeldet. Wir sind seit einem dreiviertel Jahr geschieden.“, sagte der strohblonde Mittdreißiger, nachdem Semir ihn nach dem Auto gefragt hat. „Herr, Grundtal, wir müssen leider davon ausgehen, dass Ihre Ex-Frau tödlich verunglückt ist. Es tut mir sehr leid. Sie hatte keine Papiere bei sich.“ - „Was? Petra ist tot? Wie?“ Martin Grundtal setzte sich auf einen Sessel, nachdem sie beide bislang in dem kleinen Wohnzimmer standen. „Geht es? Kann ich Ihnen etwas bringen? Ein Glas Wasser vielleicht?“, fragte Semir besorgt. „Nein, geht schon, können Sie mir sagen, was passiert ist?“, wollte Grundtal wissen. Semir nahm jetzt seinerseits auf dem Sofa Platz. „Sie hatte einen Unfall auf der Autobahn“, erklärte er. „Mit dem Corsa?“ - „Nein, sie fuhr einen anderen Wagen, wir gehen zurzeit davon aus, dass sie ihn gestohlen hat.“ Martin Grundtal brauchte etwas Zeit, um diese Mitteilung zu verarbeiten. 'Sollte er wirklich ahnungslos sein?', dachte Semir. „Herr Grundtal, darf ich Sie bitten, mich zur Gerichtsmedizin zu begleiten, um Ihre Frau zu identifizieren? Das würde uns sehr helfen.“
    Martin Grundtal nickte und erhob sich langsam. Seine Gedanken waren bei seiner toten Ex-Frau, kreisten aber auch darum, wie viel die Polizei bereits wusste. Er würde möglichst bald Leo anrufen, um ihm vorzuwarnen, dass ein Besuch der Polizei bevorstehen könnte.


    Er und Semir fuhren gemeinsam im BMW zur Gerichtsmedizin. Der Doktor begrüßte den Polizisten und seine Begleitung freundlich und ging voraus in einen Raum, in dem mehrere Stahl-Tische standen, auf einem lag eine abgedeckte Leiche. Vor diesen Tisch machte der Doktor halt. „Ich muss Sie darauf hinweisen, sie ist kein schöner Anblick, der Unfall hat schwere Verletzungen im Gesicht verursacht. Bereit?“ Er wartete auf ein Nicken von Martin Grundtal und hob dann das Tuch vom Gesicht der Toten. Martin Grundtal schaute seiner Ex-Frau einige Zeit ins Gesicht und wandte sich dann ab. „Ja“, sagte er leise, „das ist Petra.“



    http://www.youtube.com/watch?v=Nr_8nN6vx24

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

  • Donnerstag, 22:00 Kemal


    Als Murat ihm am Dienstag die Fotos von Semirs Familie zeigte und drohte, ihr etwas anzutun, blieb Kemal fast das Herz stehen. Er hatte seinen Bruder schon seit über einem Jahr nicht mehr gesehen. Sie hatten sich zwar wieder vertragen, sich aber wieder aus den Augen verloren, der Kontakt beschränkte sich eher auf zufällige Treffen. Wie war Murat nur auf ihn gekommen? Murat war kein Mann, der blufft, was er sagte, konnte und sollte man auch glauben. So würde es nicht bei der Drohung allein bleiben, wenn er nicht weiter spurte. Da seine eigene Frau und sein Sohn noch für einige Wochen in der Türkei sein würden, hatte er sich einfach die nächsten Verwandten gesucht.


    Langsam machte sich in ihm die Erkenntnis breit, dass von seinem Verhalten nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das Unschuldiger und sogar das von zwei kleinen Kindern abhängen könnte. Er brauchte fast zwei Tage, um seine Gedanken halbwegs zu sortieren und kam schließlich zum Entschluss, Semir aufzusuchen. Auf keinen Fall durfte er zulassen, dass sein Bruder unvorbereitet auf Murat oder einen seiner Handlanger trifft. Semir würde sich wohl noch zu wehren wissen, aber dass Andrea oder seinen Nichten etwas Derartiges passiert, das konnte er auf keinen Fall zulassen. Er würde heute noch zu ihm fahren und mit ihm reden. Er hätte es gleich am Dienstag machen sollen, aber das war nun nicht mehr zu ändern.


    Da er fürchtete, man könnte ihn beobachten, schlich er sich erst am späten Abend aus seinem Haus und strich einig Zeit um die Häuser, ehe er ein Taxi anhielt, welches ihn auf Umwegen in die Nähe von Semirs Haus brachte. Von dort ging er dann wiederum zu Fuß weiter, auch um sicher gehen zu können, dass ihm keiner folgte. Kurz vor 1:00 Uhr am Freitagmorgen stand er vor der Haustür seines Bruders und klingelte.



    Zugegeben, das war ein sehr kurzes Kapitel, dafür wird die Pause umso länger, und morgen gibt es wieder mehr zu lesen.


    http://www.youtube.com/watch?v=geTnK7dQ-HM

    "Ich will mit Alex arbeiten - oder gar nicht!"

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!