Schwabenhighway

  • (21)


    Zufrieden blickte er aus dem Fenster. Der Qualm der Explosion des Turms zog langsam in Richtung Neckartal und vermischte sich mit den geschuppten Wolken. „Gute Arbeit!“ lobte er Stölzle, der in der Tür erschienen war. Auch er sah zufrieden aus. „Gut, dass Sie so schnell reagiert hatten und mir das Foto mit dem Handy geschickt hatten, als Stechele mit dem zweiten Mann auftauchte.“ – „Unser Glück, dass Stechele ihn beim Namen nannte und Sie ihn in der Datenbank gleich finden konnten.“ – „Das war nicht Glück.“ Demmler drehte sich um. „Es hat sich einfach bewährt, Zugangsdaten für das Polizeinetz für alle Notfälle bereitzuhalten. Ich frage mich nur, warum er den zweiten Bullen dabei hatte.“ – „Vielleicht hatte er Angst?“ – „Wenn Sie Angst haben, schieben Sie dann einen Polizisten mit einer Waffe in der Jackentasche quer durch die Bahnhofshalle?“ – „Nicht wirklich. Aber egal. Dieser Jäger kommt uns nicht mehr in die Quere. Auf dem Foto ist die Waffe nicht zu erkennen, und deshalb hat es Lehner ja geschluckt.“


    Demmler sah wieder aus dem Fenster. Bald würde Gras über die Sache gewachsen sein und dann könnte er endlich wieder zur Tagesordnung übergehen. Diese Sache hatte schon viel zu viel Zeit gekostet. Wenigstens sind jetzt alle Mitwisser aus dem Weg geräumt. Sonja Kandel tot, Stechele tot, dieser Jäger so gut wie hinter Gittern. Es war vorbei. Er konnte wirklich zufrieden sein. Und Stölzle hatte sich seine Belohnung wirklich verdient…

    fantreffen 2005 (Wir lassen es krachen) // 2006 (Never change a running system) // 2007 (Abschied) // 2008 (Schlafen kann man auch zuhause) // 2009 (Cobra 11 Freunde müsst ihr sein) // 2010 (Ausnahmezustand im Strafvollzug) // 2011 (72 Stunden Semir, Spaß und Schokolade) // 2012 (Hürth, wir haben ein Problem!) // 2013 (Zarte Fäuste und ein Hallelujah) // 2014 (Neue Betten braucht das Land!) // 2017 (Irgendwann is' Schluss)

  • (22)


    Gespannt saßen Häberle, Krüger und Semir im Konferenzraum des Geislinger Polizeireviers Gerhard Menk gegenüber und lauschten seinen Erzählungen. Menk hatte seinen Gehstock an den Tisch gelehnt, er saß leicht nach vorne gebeugt und hatte die leicht zittrigen Hände gefaltet. „Ich gehe davon aus, dass es Ihr wichtigstes Ziel ist, diese SMS von Sonja zu entschlüsseln. Das kann ich übernehmen. Sie hatten soweit Recht, DS steht für Dieter Stechele. Und MD steht für den Stuttgarter Oberbürgermeister, Michael Demmler.“ Häberle sah ihn zweifelnd an. „Der Stuttgarter Oberbürgermeister? Sind Sie sich da sicher?“ fragte Semir nach. „Hundertprozentig. Denn ich bin der ‚M.‘ in ihrer SMS. Sonja hat sie mir vorgestern Abend geschickt.“ Menk, schoss es Semir durch den Kopf.


    Dieser fuhr fort: „Dass Stechele im Rahmen des Volksentscheides Stimmen hat verschwinden lassen, wissen Sie ja bereits. Den Auftrag dazu hat er von Demmler erhalten. Demmlers Privatsekretär und Stechele sind beide in Uhlbach aufgewachsen und waren dort lange Jahre im Schützenverein. Und jetzt hat Demmler mit Stecheles Hilfe erreicht, dass Stuttgart 21 doch gebaut wird.“ – „Und was hat Demmler davon?“ – „Er erhält eine Menge Geld von der Bahn und hat ein Vorkaufsrecht auf die Grundstücke des Bahnhofsgeländes. Ein riesiges neues Baugebiet mitten im Zentrum der Stadt. Können Sie sich vorstellen, welche Grundstückspreise die Stadt hierfür verlangen kann?“ – „Und woher wissed Sie des alles, wenn I frage derf?“ Häberle sah Menk wieder misstrauisch an.


    Gerhard Menk seufzte tief, bevor er fortfuhr. „Demmler war früher meine rechte Hand. Damals, noch zu der Zeit, als wir gegen die Atomkraftwerke in Neckarsulm demonstriert hatten, wurde ich zum Chef der ‚Grünen‘ von Stuttgart gewählt. Die Partei zog 1980 zum ersten Mal in den Gemeinderat ein: Wir haben viele Projekte gemeinsam vorangetrieben. Unter anderem haben wir die Nordostumgehung verhindert, mit der der damalige OB eine Betonschneise durch die schönen Weinberge der Oststadt schlagen wollte. Doch als 2009 die Grünen stärkste Kraft im Gemeinderat wurden und Demmler zum Oberbürgermeister gewählt wurde, schien er wie ausgewechselt. Projekte, die wir früher bekämpft hatten, begann er nun zu realisieren. Und bei Stuttgart 21 habe ich mich dann völlig mit ihm überworfen. Ich habe ihn als Verräter und Verbrecher beschimpft. Im Gegenzug hat er dafür gesorgt, dass ich jegliche politische Ämter verliere. Sogar aus der Partei haben die mich ausgeschlossen.


    Durch Zufall lernte ich Sonja Kandel vor drei Monaten auf einer Demonstration kennen. Sie war genau die richtige, genauso, wie ich einst war. Wir hatten dieselben Ziele, die gleiche Überzeugung und verstanden uns prächtig.“ – „Und da haben Sie sie auf Demmler angesetzt?“ – „Ich hatte noch einige Vertraute im Gemeinderat. Die halfen mit, dass Sonja eine Praktikantenstelle bei Demmler bekam. Tagsüber bereitete sie seine Reden und Positionspapiere vor, war fleißig und tüchtig, und wenn Demmler und Stölzle außer Haus waren, hat sie ein wenig in deren Computern herumspioniert. Letzte Woche konnte sie endlich die Passwörter knacken. Als sie mitbekam, was beim Volksentscheid tatsächlich abgelaufen war, hat sie den Inhalt von Demmlers E-Mail-Postfach auf ihren Laptop kopiert. Sie wollte mir die Daten so schnell wie möglich zukommen lassen.“ – „Hat sie ihnen diese nicht direkt per E-Mail weitergeleitet?“ – „Wissen Sie, da bin ich altmodisch. Ich besitze zwar einen Computer, aber keinen Internetanschluss. Ich war froh, dass mir Sonja beigebracht hat, mit dem Mobiltelefon umzugehen und SMS zu schreiben. Dafür habe ich ihr andere Tricks beigebracht.“ – „Zum Beispiel, das Handy unter dem Sitz festzukleben?“ fragte Krüger beinahe beiläufig. Gerhard Menk musste schmunzeln. „Ja, das hat sie von mir.“ – „Den Laptop haben wir in tausend Einzelteilen aus dem Autowrack von Sonjas Mördern geholt. Unsere Techniker versuchen gerade, ob darauf noch Daten zu retten sind.“


    Als ob er auf dieses Stichwort gewartet hatte, stand Benedikt mit einem breiten Grinsen in der Tür. „Herr Gerkhan, Frau Krüger, Herr Häberle! Wir haben es geschafft, wir konnten aus dem Laptop ein paar Dateien wiederherstellen!“ Freudestrahlend sprang Häberle auf. „Kommed se, Menk, Sie kennad sich in derer ganze Schose aus. Sie könned uns beschtimmt e bissle was entschlüssele…“ Semir und Kim Krüger folgten Häberle, Menk und Benedikt in den Keller der KTU…

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  • (23)


    Das fahle Neonlicht über Benedikts Schreibtisch flackerte beständig. Benedikt tippte wie wild auf die Tastatur, während Semir, Häberle, Gerhard Menk und Kim Krüger ihm über die Schulter blickten. „Also, Euer Hartmut ist ja mal n richtiger Crack.“ lobte Benedikt. „Wir haben bestimmt ne Stunde telefoniert und der hat mir ganz neue Tricks gezeigt, die ich bis dato überhaupt nicht kannte, zum Beispiel…“ – „Ich unterbrech‘ Sie nur ungern, aber können wir uns bitte die Dateien anschauen,“ mahnte Semir zur Eile, „mein Partner möchte so schnell wie möglich wieder aus der U-Haft auschecken…“ – „Na klar!“. Benedikt legte die Stirn in Falten und öffnete ein paar Dateien. „Die hier konnten wir komplett wiederherstellen. Nicht viel, aber ich hoffe, Ihr könnt etwas damit anfangen…“


    Über eine Stunde sichteten sich die fünf durch die „paar“ Dateien und E-Mails – genau einhundertdreiundachtzig. Menk erläuterte die Hintergründe, soweit sie ihm bekannt waren und doch waren alle danach nur teilweise zufrieden. „Sodele, für e Haftbefehl für de Stölzle dürfte des auf jede Fall reiche, und de Bürgermoischta kemmt aa ned guat dabei weg…“ stellte Häberle fest. Krüger unterbrach ihn: „Nur leider kein einziger Hinweis auf Stechele!“ stellte sie resigniert fest. „Chefin, den müssen wir aber unbedingt noch bekommen. Wenn wir Demmler und Stölzle wegen der Daten hier festnageln und die stellen sich stumm, dann wird Ben hier bei Wasser und Spätzle versauern. Wir brauchen unbedingt Beweise, dass Stechele für Stölzle gearbeitet hat, sonst können wir Ben nicht vom Mordverdacht entlasten!“


    Menk mischte sich ein. „Sonja hat mir am Wochenende noch E-Mails auf ihrem Laptop gezeigt, die Stechele an Stölzle geschickt hat. Aber ich habe keine Kopien oder Ausdrucke davon.“ – „Wurden im Wagen oder in der WG irgendwelche Sicherungskopien gefunden?“ fragte Semir. Krüger verneinte. „Aber wir könnten ja bei ihren Mitbewohnerinnen nochmal anklopfen. Vielleicht hat Sonja bei den beiden eine CD oder einen USB-Stick deponiert.“ – „Also, auf nach Plochingen!“ Semir verließ den Raum, die anderen folgten ihm. Benedikt sah ihnen nach. „Ein einfaches ‚Danke‘ hätte auch gereicht.“ flüsterte er in seinen nicht vorhandenen Bart. Ob Semir sich bei Hartmut auch nie bedankt? Er würde ihn fragen, wenn er das nächste Mal mit ihm telefonieren würde. Und das würde er bestimmt. Endlich kannte er jemanden, mit dem er in Ruhe würde fachsimpeln können…

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  • (24)


    Julia und Simone putzten ihre WG, als Semir, Kim Krüger und Gerhard Menk eintrafen. Zwar stapelten sich nun Zeitschriften, Bücher und Geschirr auf dem Boden und der Balkon war mit einer Armee kaputter Pflanzen vollgestellt, ansonsten war die Wohnung zwischenzeitlich aber wieder halbwegs bewohnbar geworden. Die beiden waren schockiert, als sie erfuhren, dass Stechele ebenso korrupt wie tot war und Ben verhaftet worden war. Ebenso erstaunt waren sie, als sie erfuhren, dass und wie Demmler den Volksentscheid gefälscht hatte und Sonja sich neben ihrem Studium quasi als Spionin verdingte. Von CDs oder USB-Sticks mit Sicherungskopien wussten sie auch nichts. Semir durchsuchte noch einmal Sonjas Zimmer, doch auch er konnte nichts finden. Erschöpft und nachdenklich ließ er sich auf die Wohnzimmercouch fallen, die Julia und Simone von Stapeln aller Art befreit hatten.


    Menk dachte laut: „Wenn Sonja keine Sicherungskopien gemacht hat, gibt es nur eine Möglichkeit: Wir müssen die Daten neu von Demmlers Rechner beschaffen.“ – „Wie stellten Sie sich das vor, Herr Menk?“ entgegnete ihm Kim Krüger. „Solange wir keine Beweise haben, können wir nicht einfach einen Durchsuchungsbefehl für das Büro des Oberbürgermeisters beantragen, jedenfalls nicht erfolgreich. Ich bin mir sicher, dass das schwäbische Pendant zur Schrankmann da einiges auszusetzen hätte.“ Semir grinste bei Krügers Seitenhieb auf seine Lieblings-Staatsanwältin. „Aber solange wir keinen Durchsuchungsbefehl haben, haben wir auch keine Beweise.“ seufzte Menk. „Wir müssten wieder jemanden bei Demmler einschleusen. Er braucht doch mit Sicherheit eine Nachfolgerin für Sonja. Ist ja wahrscheinlich nicht so, dass Demmler den ganzen Tag krumme Dinger dreht, sein Geld zählt und in der übrigen Zeit nur in der Nase bohrt…“ – „Das ist zu gefährlich, Herr Menk!“ Kim Krüger wurde lauter. „Sie wissen ja, was Stölzle und Demmler mit Stechele und Kandel gemacht haben. Die beiden scheinen keine Skrupel zu kennen, wenn es um ihren bescheuerten Bahnhof geht.“ – „Ich kenne aber auch keine Skrupel, wenn es darum geht, Stuttgart 21 zu verhindern, Frau Krüger.“ wehrte sich Menk. Semir ergänzte: „Chefin, und ich kenne keine Skrupel, wenn es darum geht, Ben wieder bei mir zu haben. Ich glaube, Menk hat Recht. Das ist die einzige Chance, die wir haben. Stölzle und Demmler wiegen sich jetzt in Sicherheit. Der Zeitpunkt wäre also günstig. Und wenn Ben erst vor dem Haftrichter steht und seine Unschuld vollends bezweifelt wird, muss ich künftig alleine über die A 4 jagen.“


    Semir sah Kim Krüger mit dem niedlichsten Hundeblick an, den er in diesem Augenblick zustande bekam. Sie dachte lange nach, und schließlich schloss sie die Augen und seufzte. „Gut, Gerkhan, was schlagen Sie vor?“ – „Was Menk gesagt hat: Wir schleusen eine neue Praktikantin ein.“ – „Ich habe noch ein paar Kontakte in der Personalabteilung, das müsste sich hinbiegen lassen, ohne dass Demmler oder Stölzle etwas bemerken.“ – „Das MUSS sich hinbiegen lassen, Herr Menk!“ mischte sich Semir wieder ein. „Und wen?“ Menk stand auf und begann, langsam im Raum auf- und abzuwandern. Die Aufregung schien ihn seine maroden Gelenke vergessen zu haben. „Diejenige müsste an den Schlüssel zur Etage gelangen. Mit dem lassen sich alle Büros öffnen. Die Zugangsdaten und Passwörter von Demmlers PC hat Benedikt rekonstruieren können. Rein, einloggen, Mailverkehr auf einen USB-Stick kopieren und wieder raus. Ich kann diejenige instruieren, wie sie in Demmlers Büro gelangt, das Rathaus ist seit meinem Ausscheiden nicht mehr umgebaut worden.“ – „Und an wen denken Sie, wenn Sie ‚diejenige‘ sagen?“ Semir sah Menk fragend an.


    „Frau Krüger, mit Verlaub, für eine Praktikantin sind Sie leider zu alt. Und Häberle ist zu dick dafür, also…“ Mit einem Mal blieb Menk stehen, drehte sich um, und sah Julia und Simone direkt in die Augen. Die beiden jungen Frauen sahen sich gegenseitig an. Sie waren sprachlos...

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  • (25)


    „Sie könnten also schon nächste Woche anfangen?“ Julia und Simone nickten brav. Beide saßen auf schwarzen, ledernen Besucherstühlen und hatten ihre Arme in den Schoß gelegt. Stölzle sah aus den beiden Bewerbungsmappen hoch, die Julia und Simone am Vorabend hastig zusammengezimmert hatten. Um nicht mit Sonja in Verbindung gebracht zu werden, hatten sie nicht ihre Plochinger Anschrift, sondern die des Studentenwohnheims angegeben. „Das ist gut.“ Stölzle erhob sich, sah zum Fenster hinaus und wand den beiden den Rücken zu. „Ihre Vorgängerin hatte leider einen tragischen Unfall. Wir suchen also händeringend wieder jemanden, der uns unterstützt. PR-Arbeit, Telefonate führen, Termine koordinieren und Veranstaltungen vorbereiten. Wir brauchen jemanden auf den wir uns hundertprozentig verlassen können.“ Simone sah sich im Raum um. Bereits, als sie von Stölzle in sein Büro geführt wurden, hatte sie seinen grauen Mantel am Garderobenhaken bemerkt. „Da sind wir genau die Richtigen.“ – „Aber wir haben nur einen Platz zu vergeben, so leid es mir tut…“


    Simone versuchte sich zurückzuhalten. Hier spielt Stölzle den mitleidenden Chef und hinten rum lässt er einen Auftragskiller auf Sonja los. Ihre Hände bohrten sich in das Leder des Stuhls. Stölzle sah kurz auf. „Ist etwas, Frau Heller?“ Simone wurde es heiß. Sie hoffte, dass Stölzle nicht bemerkte, wie ihr der Schweiß von der Stirn tropfte. „Entschuldigung, Herr Stölzle, mir ist gerade nicht gut. Dürfte ich kurz auf die Toilette gehen?“ – „Rechts, den Gang runter, letzte Tür links.“ Simone stand auf. Langsam ging sie zur Türe. Kurz, bevor sie diese erreicht hatte, ließ sie ihren Schlüsselbund fallen. Stölzle sah erneut kurz auf, führte aber dann sein Gespräch mit Julia fort. Ganz langsam hob Simone den Schlüssel auf, während sie mit der anderen Hand in Stölzles Manteltasche griff. Sie jubelte innerlich, als sie einen Schlüsselbund greifen konnte. Schnell nahm sie beide Schlüssel und drückte die Türklinke nach unten.


    Leise schloss sie die Türe wieder hinter sich. Uff, geschafft. Der Gang vor Stölzles Büro war menschenleer. Sie bückte sich und betrachtete den Schließzylinder. „ZEISS IKON“ war darauf zu lesen. Mist. Es gab zwei Schlüssel an Stölzles Schlüsselbund, die diese Bezeichnung trugen. Sie steckte den Schlüsselbund wieder in ihre Tasche, ging auf die Toilette und schloss die Tür ab. Sie betrachtete eingehend die beiden Schlüssel, hielt sie gegen die Deckenlampe. Sie sahen genau gleich aus. Simone setzte sich. Und nun? Sie stieß einen stillen Jubelschrei aus, als sie erkannte, dass auf beiden Schlüsseln die gleiche Seriennummer eingraviert war. Noch leichter kannst Du es uns nicht machen, dachte sie und zog langsam einen der beiden Schlüssel von dem Ring, an dem sie befestigt waren. Sie befestigte ihn an ihrem eigenen Schlüsselbund, drückte die Spülung, tupfte sich am Waschbecken mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn, wusch sich die Hände und verließ die Toilette. Die Garderobe war beim Reingehen rechts, erinnerte sie sich und nahm Stölzles Schlüsselbund fest in die rechte Hand.


    Sie öffnete Stölzles Bürotür. Dieser war immer noch mit Julia im Gespräch. Als Julia bemerkte, dass sich die Tür geöffnet hatte, begann sie dreimal lautstark zu husten. Simone nutzte den Moment und ließ Stölzles Schlüsselbund wieder in seine Manteltasche gleiten. Das war geschafft. „Ist mit Ihnen wieder alles in Ordnung?“ Sie erschrak, als sie Stölzles Stimme hörte und sah, wie er sie ansah. „Ja, ja, geht schon wieder. Alles in Ordnung.“ Sie versuchte zu lächeln, war sich aber nicht sicher, ob es nicht zu aufgesetzt wirkte. Hoffentlich war es der richtige Schlüssel. Und hoffentlich hatte Stölzle nichts bemerkt, sonst würden sie ähnlich enden wie Sonja…

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  • (26)


    Das Entree des Rathauses lag in absoluter Dunkelheit. Der einzige Lichtkegel weit und breit kam aus dem Pförtnerhäuschen. Der Sicherheitsbeamte starrte schweigend auf den Monitor, auf dem abwechselnd verschiedene Perspektiven der Überwachungskameras erschienen. Auch aus dem Treppenhaus, das zwischen den sechs stählernen Aufzügen lag, drang kein Lichtschein. Stufe für Stufe tasteten sich Julia und Simone nach oben. Für den Hintereingang hatte der Schlüssel gepasst. Sie hatten sich umgesehen, hatten jedoch nur an der Tiefgarageneinfahrt selbst eine Kamera entdecken können, und deren Blickfeld hatten sie mit einem Zick-Zack-Kurs umgehen können. Beide schwitzten und zitterten. Endlich waren sie im 9. Stock angekommen. Der Zugang zur Etage war nicht abgeschlossen, doch hinter den Aufzügen war der Weg durch eine Tür versperrt.


    Simone kramte ihren Schlüsselbund hervor. Jetzt kam es darauf an. Sollte der Schlüssel hier nicht passen, wäre alles umsonst gewesen. Vorsichtig steckte sie den Schlüssel in das Schloss. Die Tür rührte sich nicht. So leise sie konnte, ruckelte Simone an der Tür. „Was ist?“ flüsterte Julia ihr ins Ohr, fast unhörbar. Simone spürte, wie ihr der kalte Schweiß über den Nacken lief. Sie zog den Schlüssel heraus, versuchte ihn dabei so gerade wie möglich zu halten und steckte ihn erneut in das Schloss. Langsam zog sie die Klinke an sich heran. Es knackte leise. Nun ließ sich der Schlüssel drehen, die Tür öffnete sich. „Nach Ihnen, Gnädigste.“ flüsterte sie Julia zu. Beide traten durch die Tür, die Simone wieder hinter sich verschloss. Was hatte Menk ihnen gesagt? Geradeaus, an der Teeküche vorbei und danach die sechste Tür rechts. Sie standen vor einer schweren Holztür. Raum 9.010 stand an dem rotbraunen Schild, jedoch kein Name. Das musste es sein. Das musste das Büro von Michael Demmler sein.


    Julia drückte vorsichtig die Klinke nach unten. Die Tür war nicht abgeschlossen. Das große Aquarium, das den Raum in zwei Hälften teilte, tauchte Demmlers Büro in einen fahlen Lichtschein. Vom Marktplatz drangen die Lichter der umliegenden Häuser durch die Panoramafenster in den Raum. Die beiden gingen zu Demmlers Schreibtisch. Ein dunkler, wuchtiger Tisch, der sorgsam aufgeräumt war. Auf ihm lagen drei Unterschriftsmappen, ein paar Kugelschreiber und ein Foto, von dem Julia und Simone vermuteten, dass es Demmlers Familie zeigte. Wie würde dieser Kerl zuhause seiner Familie eine heile Welt vorspielen können, während er hier Verbrechen begeht? Oder wusste seine Familie am Ende noch, was er hier trieb? Dass er mindestens zwei Menschen auf dem Gewissen hatte? Oder hatten Leute, die an so einem Tisch sitzen, überhaupt kein Gewissen? Julia startete Demmlers PC. Vor einem blauen Hintergrundbild erschien der Anmeldebildschirm. Julia tippte ‚bordeaux‘ ein, das Passwort, welches Sonja in ihren Dateien vermerkt hatte. Hoffentlich hatte Demmler es noch nicht geändert. Der Mauszeiger verwandelte sich in eine Sanduhr. Die Sekunden schienen zu stehen.


    Beide erschraken, als die Begrüßungsmelodie von Windows ertönte. Doch um sie herum war alles still. Simone zog den USB-Stick, den ihr Benedikt am Morgen gegeben hatte, aus ihrer Tasche und steckte ihn ein. Nach einem kurzen Surren zeigte der Bildschirm an, dass der PC den USB-Stick erkannt hatte. Julia wechselte in das E-Mail-Programm. Wieder erinnerte sie sich an Sonjas Aufzeichnungen, die sie sich sorgsam eingeprägt hatte. Rubrik „Intern“, dann Ordner „Projekte“, dann das zweite Passwort eingeben. Wieder tippte Julia auf der Tastatur. Es öffnete sich ein neues Fenster mit einer Liste von E-Mails. Julia überflog die Zeilen. An zehnter Stelle erkannte sie Stecheles Namen. Julia doppelklickte auf die E-Mail. Das war es. Das würde genügen, um Ben, den schnuckeligen Polizisten, zu entlasten. Julia markierte alle E-Mails, die der Ordner „Projekte“ enthielt, klickte auf die rechte Maustaste und kopierte die E-Mails auf den USB-Stick. Wieder schien die Zeit stillzustehen. Julia und Simone wagten nicht zu atmen.


    Nach einer Minute waren die Dateien fertig kopiert. Simone zog den USB-Stick aus dem Rechner, während Julia hastig ALT und F4 drückte, um die Programme zu schließen. Nun noch leise hier herausspazieren, dann hatten sie es geschafft. Das Licht des Bildschirms erlosch, der PC war heruntergefahren. Auf leisen Sohlen verließen sie Demmlers Büro. Sie schlichen den langen Gang in Richtung Treppenhaus entlang. Schon standen sie wieder vor der Zwischentür, die Simone wieder verschlossen hatte. Sie drehte den Schlüssel wieder um. „Gleich sind wir wieder draußen.“


    Sie öffnete die Tür und stieß einen lauten Schrei aus. Vor ihnen stand eine dunkle Gestalt. Das Licht im Gang ging an. „Guten Abend, meine Damen. Sie hätten mit den Überstunden warten sollen, bis ich mich entschieden habe, wen von Ihnen ich einstelle. Und Sie haben doch nicht wirklich geglaubt, dass ich es nicht merke, wenn mein Ersatzschlüssel fehlt?“ Wie erstarrt blickten sie in Stölzles braune Augen…

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  • (27)


    „Ich hab‘ sie verloren!“ schrie Benedikt so laut, dass Kim Krüger und Semir hochschreckten. Sie drehten sich zum Rücksitz des VW Passat um, auf dem Benedikt mit seinem Laptop saß. Häberle, der im Geislinger Revier auf den erlösenden Anruf von Semir und Kim Krüger wartete, hatte darauf bestanden, dass die beiden Stecheles Dienstwagen nahmen und nicht seine E-Klasse, schließlich hatte er ja in den letzten Tagen ausreichende Erfahrungen gemacht, was bei den rheinischen Kollegen alles zu Bruch gehen kann. „Wie?“ – „Jemand muss die Peilsender bei Julia und Simone entdeckt und entfernt haben!“ – „Kann es sein, dass die Technik spinnt?“ wollte sich Semir vergewissern. „Das ist echte Wertarbeit, das Neueste vom Neuen!“ rechtfertigte sich Benedikt. „Außerdem ist die Wahrscheinlichkeit eins zu zehn Millionen, dass beide Sender gleichzeitig ausfallen!“


    Krüger handelte sofort. „Okay, Gerkhan, wir machen es wie besprochen. Ich werde mich vor dem Eingang postieren und Sie und Benedikt vor der Tiefgarage. Wenn die Mädchen bei Ihnen auftauchen sollten, hupen Sie zweimal.“ Krüger stieg aus und lief zum großen Platz vor dem Haupteingang, während Semir den Passat um das Gebäude fuhr. Er durfte gar nicht daran denken, was mit Julia und Simone passieren würde, würden Stölzle oder Demmler sie entdeckt haben. Er würde es sich nie verzeihen, wenn den beiden etwas zustieße. Er ließ die Tiefgaragenausfahrt keine Sekunde aus den Augen. Um ihn herum war es völlig still. Benedikt umklammerte mit beiden Händen seinen Laptop.


    „Und jetzt?“ fragte er Semir. „Leise!“ zischte der, als die Ampel der Tiefgarage auf Rot sprang und sich das Rolltor langsam in Bewegung setzte. Semir sah die beiden Scheinwerfer, die aus der Dunkelheit heraustraten. Er hupte zweimal. Der Audi A8 verließ die Garage und bog sofort nach links ab. Durch die Beifahrertür konnte Semir blonde Haare erkennen. Julia! Das musste sie sein. Die Beifahrertür des Passat sprang auf. Kim Krüger stieg hastig ein und schnallte sich an. „Sind sie das?“ – „Sitzt auf jeden Fall eine blonde Frau auf dem Beifahrersitz.“ Der Audi beschleunigte. „Und der Fahrer scheint es eilig zu haben.“ Semir setzte sich hinter den Audi. „Zweistein, anschnallen!“ rief er nach hinten. Benedikt tat, wie ihm befohlen…

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  • ( 28 )


    Ein lautes Dröhnen durchbrach die Stille der Nacht, gefolgt von einer Polizeisirene. Mit atemberaubendem Tempo rasten ein Audi und ein Passat über die vierspurig ausgebaute B 14. Semir versuchte, den Abstand zu verringern, was aufgrund des Leistungsunterschieds jedoch nicht einfach war. Auf der Rücksitzbank saß Benedikt. Mit der einen Hand hielt er sich am Türgriff fest, mit der anderen umklammerte er sein Handy. „Herr Häberle, die Sache ist schiefgelaufen! Julia und Simone wurden entdeckt und entführt. Gerkhan verfolgt den Entführer auf der Hauptstätter Straße.“ Ein rotes Licht blitzte vor dem Audi auf. „Und jetzt haben wir auch ein Beweisfoto für die Entführung!“ Semir grinste. „Das gibt bestimmt ein paar Punkte in Flensburg. Lächeln, Chefin!“ Auch der Passat wurde von der stationären Radarfalle erfasst. Nach einer Unterführung verengte sich die Fahrbahn auf eine Spur und mündete in eine Linkskurve. Der Audi musste abbremsen, Semir konnte aufholen.


    „Wo könnte der hinwollen?“ fragte Kim Krüger in Benedikts Richtung. „Raus aus der Stadt wahrscheinlich.“ Semir schaltete wieder hoch. „Dann müssen wir ihn vorher schnappen, auf der Autobahn haben wir keine Chance gegen den Schlitten.“ – „Wenn er den Heslacher Tunnel nimmt, haben wir noch eine Chance.“ Semir spitzte seine Ohren. „Wieso?“ Sie fuhren an der nächsten Kreuzung vorbei. Benedikt versuchte sich nach vorne zu beugen, aufgrund Semirs Tempo fiel ihm dies sichtlich schwer. „Im Tunnel gibt es eine Kreuzung, die ist ampelgeregelt. Die Ampel ist die ganze Nacht durch an.“ – „Und wenn die Ampel grün ist?“ – „Ich muss da öfters durch. Die ist nie grün!“ schrie Benedikt nach vorne, da ihn die letzte Kurve schon wieder in den Sitz gedrückt hatte. Vor ihnen tat sich bereits das Tunnelportal auf. „Na dann hoffen wir mal, dass Sie recht haben.“


    Semir schaltete erneut, als sie in den Tunnel einfuhren, der sich nach einer leichten Rechtskurve gerade durch den Stuttgarter Südhang schlängelte. „Da vorne!“ rief Benedikt. Schon von Weitem erkannte Semir die Ampel. Sie zeigte rot. Vier Autos warteten geduldig, weiterfahren zu dürfen. Der Audi bremste scharf ab, die Reifen quietschten. „Jetzt haben wir ihn!“ rief Benedikt freudig aus. Doch der Audi scherte nach links aus und fuhr auf der Gegenfahrbahn des einröhrigen Tunnels weiter. In diesem Moment schaltete die Ampel auf Grün, die Fahrzeuge setzten sich langsam in Bewegung. Stölzles Audi fuhr jedoch bereits neben der Warteschlange. Eine Lichthupe durchbrach das eintönige Weißgelb der Neonlampen. Auch in der Gegenrichtung hatten Fahrzeuge auf die nun angebrochene Grünphase gewartet. Der Audi bremste wiederum scharf ab. Ein ohrenbetäubendes Hupen erklang durch die Röhre und wurde von den Tunnelwänden reflektiert. Da bog der Audi nach links in einen Seitentunnel ab. „Verdammt!“ schrie Benedikt. „Was ist?“ – „Er ist jetzt auf der Gegenfahrbahn der Ausfahrt.“ – „Das bedeutet?“ – „Die ist nicht breit genug für zwei Fahrzeuge. Jetzt darf keiner entgegen kommen.“ – „Und jetzt?“ – „Hier rechts raus, da kommen wir zur gleichen Straße.“ Semir fuhr nach rechts in den Seitentunnel ein. Sie hörten einen Knall, der eindeutig aus dem anderen Seitentunnel kam…

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  • (29)


    Als Stölzle in den Seitentunnel abgebogen war, war ihm seine Waffe in den Fußraum gefallen. Julia sah ihre Chance gekommen. Sie sprang von ihrem Sitz auf und warf sich auf Stölzle. Mit einem Ruck griff sie in das Lenkrad und ruckelte daran. „Nicht!“ schrie Stölzle. Der Audi bewegte sich auf die Tunnelwand zu. Julia ließ das Lenkrad wieder los. Doch es war zu spät. Der Audi hatte die Tunnelwand bereits berührt, Teile des Außenspiegels rissen ab und Funken stoben, als das Fahrzeug mit der rechten Seite an der Tunnelwand entlang schrammte und sich verlangsamte.


    Julia griff wieder ins Lenkrad und drehte es mit einem Ruck nach links. Die Reifen quietschten und die Front der Limousine krachte kurz vor dem Tunnelportal in die gegenüberliegende Seitenwand des Tunnels. Sofort sprangen vor Stölzle und Julia die Airbags auf und warfen die beiden in ihre Sitze. Simone wurde über die Rücksitzbank geschleudert und stieß sich ihren Kopf am Türgriff an. Plötzlich war es still. Das leise Dröhnen der Fahrzeuge auf der Hauptstraße des Tunnels war nun wieder zu hören. Keiner der drei Insassen bemerkte, dass es unter dem Fahrzeug brannte...

    fantreffen 2005 (Wir lassen es krachen) // 2006 (Never change a running system) // 2007 (Abschied) // 2008 (Schlafen kann man auch zuhause) // 2009 (Cobra 11 Freunde müsst ihr sein) // 2010 (Ausnahmezustand im Strafvollzug) // 2011 (72 Stunden Semir, Spaß und Schokolade) // 2012 (Hürth, wir haben ein Problem!) // 2013 (Zarte Fäuste und ein Hallelujah) // 2014 (Neue Betten braucht das Land!) // 2017 (Irgendwann is' Schluss)

  • (30)


    Eine Alarmsirene gellte durch die Nacht. Sofort waren alle Ampeln an den Tunneleingängen auf Rot gesprungen, das vor ein paar Jahren neu installierte Notfallprogramm hatte zu laufen begonnen. Semir bremste vor dem Tunnelportal ab. „Ach du Scheiße!“ Benedikt wurde blass. „Zweistein, nicht fluchen, retten!“ Semir und Kim Krüger sprangen aus dem Passat und rannten auf den Audi zu. Unter dem Fahrzeug loderten bereits Flammen. Krüger riss die Beifahrertür auf und zog Julia von ihrem Sitz. Semir hechtete um die demolierte Front der Limousine und öffnete die Fahrertür. Stölzle lag bewusstlos in seinem Airbag. Er packte ihn an den Schultern und zog ihn ebenfalls aus dem Wagen. Von der anderen Seite hörte er Julia. „Simone! Simone ist noch im Wagen!“ Julia rannte zur hinteren Tür des Wagens zurück und zerrte Simone aus dem Auto. Ihre Stirn blutete, auch ihre linke Hand schien verletzt. Semir schleppte Stölzle aus dem Tunnel.


    „Der USB-Stick! Wo ist er?“ hörte er nun Simone stöhnen, die in ihren Jackentaschen kramte. Semir drehte sich um. „Semir, nicht!“ schrie Kim Krüger. Doch Semir hörte sie nicht. Er hechtete auf die Rücksitzbank und kramte in den Ritzen der Ledersitze. Das Feuer hatte den Benzintank beinahe erreicht. Plötzlich sah Semir im Fußraum etwas Silbriges glitzern. Er griff nach unten und robbte rückwärts aus dem Wagen. So schnell er konnte, lief er wieder aus dem Tunnel. Da knallte es. Der Benzintank des Audi explodierte, die Flammen reichten bis zur Tunneldecke. Ein ohrenbetäubender Lärm füllte das Röhrensystem des Heslacher Tunnels. Rauch stieg auf. Von der Ferne hörten Kim Krüger und Semir eine Feuerwehrsirene. „Ich glaub‘ die Kavallerie kommt.“ keuchte Krüger. „Na endlich…“ – „Haben Sie den Stick noch rausholen können?“ Semir öffnete langsam seine Hand und zeigte seiner Chefin den silbernen Metallstift. „Ich glaube, Stuttgart braucht bald einen neuen Oberbürgermeischter…“


    (31)


    Ben war erleichtert, als seine Zellentür geöffnet wurde. „Na Partner, hast Du mich vermisst?“ hörte er Semir rufen. Er lief auf ihn zu und umarmte ihn. Lehner stand daneben. „Herr Jäger, Sie sind frei. Wir haben dank Ihrer Kollegen mehr als genug Beweise dafür, dass Demmler und Stölzle Ihnen den Mord an Stechele in die Schuhe schieben wollten.“ – „Und? Haben Sie die beiden?“ – „Sitzen oben im Verhörraum. Das wird eine lange Nacht.“


    Krüger trat neben Semir. „Aber nicht mehr für uns, für uns ist der Fall abgeschlossen.“ Die drei gingen nach oben, wo Benedikt auf sie wartete. „Partner, das ist Zweistein. Die Ähnlichkeit ist doch verblüffend, oder?“ Ben musterte Benedikt von oben bis unten. „Heiligs Blechle!“ entfuhr es ihm. Dann gab er Benedikt die Hand und bedankte sich. „Komm‘ Partner, das viele Schwäbisch steht Dir nicht.“ hielt Semir ihm seine Jacke hin. Er zog sie an und die drei traten durch die Drehtür in die finstere Neumondnacht.


    „Weißt Du was, Ben? Gut, dass Du einen Teil vom Bahnhof schon abgerissen hast. Ab jetzt bin ich auch für Stuttgart 21.“ sagte Semir, als sie an einer Fußgängerampel vor dem Gebäude am Rotebühlplatz warten mussten. „Warum?“ sah Ben ihn fragend an. „So wie die hier Auto fahren, ist es besser, wir kommen hier das nächste Mal mit dem Zug durch. Was meinen Sie, Frau Krüger?“ Die beiden sahen zur Chefin hinüber. Kim Krüger sah auf die Uhr und gähnte. „Halb zwölf, meine Herren! Ich meine, wir müssen noch eine Nacht hierbleiben.“ Ben grinste: „Hotel Metropol, würde ich sagen!“ Die Fußgängerampel sprang auf grün. „Komm‘ mit, Du Casanova!“ scherzte Ben. „Stimmt doch gar nicht!“ Ben sah an Semir hinunter. „Na gut, Du kleiner Casanova.“ Krüger folgte den beiden in gemächlicherem Tempo. Sie schüttelte den Kopf und lächelte: „Männer…“


    ENDE.


    © by thommyn

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