Blue Velvet

  • Blue Velvet



    Anfang April


    "Nicht gerade eine Empfehlung, Ihre letzte Beurteilung", meinte Wolfgang Koch und zog die rechte Augenbraue in die Höhe. Sein abschätzender Blick wanderte an der schlanken Gestalt seines Gegenübers entlang, bis er ihm in die Augen sehen konnte. Allerdings nur kurz, weil dieser ihm auswich.
    "Ach, wir hatten ein paar Meinungsverschiedenheiten", murmelte Tom Kranich sichtlich genervt. "Wir haben nun mal einen hohen Materialverbrauch, die Autobahn ist kein besonders ruhiger Einsatzort." - "Aber dafür um so gefährlicher", bemerkte Koch. "Vor allem für diejenigen, die sich mit Ihnen angelegt haben." Er studierte kurz einen Abschnitt in Kranichs Personalakte. "Oder wie kam es zu der Beinahe-Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung?"
    Tom verdrehte die Augen, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und fuhr sich mit der Linken durchs Haar. "Der Typ wollte sich nicht festnehmen lassen, ich musste ihn erst nachdrücklich davon überzeugen, mitzukommen." - "Mit den Fäusten?", hakte Koch nach. "Ich musste mich verteidigen, ich hatte keine andere Wahl", wehrte Kranich ab. "Aber sicher die M?glichkeit aufzuhören, bevor sie dem Verdächtigen zwei Rippen, Jochbein und Nase brachen.."
    Hauptkommissar Koch schob den Kiefer hin und her, kaute einen Moment auf der Unterlippe. "Wir brauchen hier keine Polizisten, die sich nicht im Griff haben, Kranich. Vor allem in unserem Bereich nicht! Da ist zwar Durchsetzungsvermögen, aber auch Fingerspitzengefühl gefragt." - "Das habe ich, wenn es drauf ankommt", versicherte Tom vehement. "Geben Sie mir die Chance, es zu beweisen!"
    Einen Augenblick war es still im Raum. Dann atmete Koch tief ein und nickte. "Okay. Sie bekommen Ihre Chance, Kranich. Ich erwarte Sie Montag um 9 Uhr zum Dienstbeginn." Tom erhob sich und erlaubte sich ein angedeutetes Lächeln. "Danke. Sie werden es nicht bereuen, Herr Koch." - "Das hoffe ich, Kranich. Für Sie..."


    ***


    "Und wenn Sie mir tausend Mal am Tag sagen, dass Sie mit meiner Entscheidung nicht einverstanden sind, Semir", seufzte Anna Engelhardt, "Kranich musste gehen! Sonst wäre er für alle Zeiten erledigt gewesen." Sie seufzte und ließ sich in ihren Sessel fallen. "Sie haben ja keine Vorstellung davon, was im Präsidium abging! Es hat nicht viel gefehlt und man hätte ihn vor Gericht gestellt und in den Knast geschickt. Dass er überhaupt noch Polizist ist erscheint mir schon wie ein Wunder, nach den Drohungen des Polizeipräsidenten."
    "Verdammt, wieso tut auf einmal jeder, als wäre Tom ein gemeingefährlicher Schläger?", schimpfte Semir. "Dieses Ar'schloch hat ihn doch zuerst angegriffen und dann noch hochgradig provoziert!" - "Trotzdem hätte er sich soweit zusammenreißen müssen, dass es ohne gebrochene Knochen ausgeht!", erwiderte Anna müde. "Bitte, Semir ? lassen Sie es dabei bewenden und konzentrieren Sie sich auf Ihre Arbeit, ja? Ich möchte Sie nicht auch noch verlieren."
    Gerkhan grummelte noch einige unverständliche Worte in seinen Bart, zog sich aber in sein eigenes Büro zurück. Missmutig wälzte er Akten hin und her, ohne überhaupt zu registrieren, was er tat. Diese ganze Angelegenheit schmerzte zu tief, als dass er sich ernsthaft mit den Fällen auf seinem Schreibtisch beschäftigen konnte.
    Man hatte seinen Partner und besten Freund suspendiert und vor den Disziplinarausschuss gezerrt. Tom wurde abgemahnt, einen Rang inklusive Gehaltsklasse zurückgestuft und dann in eine Abteilung mit schauderhaftem Ruf versetzt. Sein neues Arbeitsgebiet war das Rotlichtmilieu... Und all das wegen eines vorbestraften Junkies, der sich mit Gewalt gegen seine Festnahme gewehrt hatte! Es war einfach nur zum Heulen.
    Semir schloss die Augen und vergrub das Gesicht in den Händen. Keine zwei Jahre arbeiteten sie wieder zusammen, nachdem Tom zurückgekehrt war. Und nun erneut getrennt. Scheiß-Sesselfurzer, die einen Dreck von den täglichen Gefahren in diesem Revier wussten! Und davon, wie wichtig ein aufeinander eingespieltes Team war, das sich blind vertrauen konnte. So wie Tom und er. Aber wen interessierte das in den oberen Etagen? Kein Schwein. Aus und vorbei...


    ***


    "Das ist nicht dein Ernst, oder?" Tom starrte seinen Kollegen Maik Rothe verdutzt an. Dieser grinste breit und zuckte mit den Schultern, während er sich abschnallte. "Kannst ja im Wagen bleiben, wenn du willst. Aber ich garantiere dir, dass es drinnen gemütlicher ist." Er stieg aus und wandte sich danach dem Gebäude zu, vor welchem sie parkten. Tom überlegte nur kurz, ehe er den Dienstwagen verließ und Rothe folgte.
    Gleich darauf betrat er mit gemischten Gefühlen das "Blue Velvet", ein als Club getarntes Bordell. Maik saß bereits an der Bar und fasste einem der halbnackten Mädchen an den Po. Zwei weitere gesellten sich zu ihm, tätschelten seine Arme und boten sich dem Polizisten offensichtlich an. Kranich trat näher und wurde sofort von einer feschen Brünetten angesprochen.
    "Na, mein H?bscher? Bist du neu hier?", gurrte sie an seinem Ohr und strich ihm dabei mit dem Handrücken über die Wange. Rothe drehte sich um und rief: "Das ist Tom, er ist erst seit ein paar Tagen bei uns. Sei nett zu ihm, Teresa, er hatte ziemlichen Ärger in seiner letzten Dienststelle." Noch bevor Kranich etwas erwidern konnte fühlte er Teresas Hände tiefer wandern. "Oh, du Armer. Dann sollten wir dich aber ganz schnell trösten", flüsterte sie dabei.
    "Ähm... Das ist ja wirklich nett von Ihnen, aber...", setzte Tom an, kam jedoch nicht weit. "Gar nicht lieb, dass du mich siezt", schmollte die junge Frau. "Du magst mich wohl nicht?" - "Doch, natürlich?, besänftigte Kranich sie hastig. Aus den Augenwinkeln bemerkte er einen der für diese Clubs typischen Gorillas, welcher ihn bereits argwöhnisch beobachtete. Mit diesen Leuten wollte er sich ganz bestimmt nicht anlegen. Sein Ruf war schon schlecht genug, da musste er nicht gleich in der ersten Woche in eine Auseinandersetzung geraten.
    Automatisch legte er seinen Arm um Teresas Schultern, zog sie näher an sich. Verflixt, was war das für eine merkwürdige Situation? Eigentlich hatten sie Mittagspause, wollten diese in einer Gaststätte verbringen. Zumindest hatte er Maik so verstanden, als dieser etwas von einem ebenso guten wie günstigen Essen erwähnte. Und jetzt waren sie stattdessen in einem der Bordelle ihres Bezirks, flirteten mit den Prostituierten und tranken Bier. Rothe jedenfalls.
    "Hallo Jungs, kommt ihr?", drang eine samtene Frauenstimme an sein Ohr. Er drehte sich um und sah direkt in ein Paar leuchtendblaue Augen. Die Frau war vielleicht Mitte Dreißig, hatte eine sportliche Figur und kastanienbraunes Haar. Trotzdem sie älter als die anderen Mädchen war strahlte sie eine dermaßen große Attraktivität und Lebenskraft aus, dass es Tom beinahe den Atem verschlug.
    Rothe schlenderte an ihm vorbei und zog ihn mit. "Komm, es gibt Mittagessen", meinte er. "Wie bitte?" Kranich glaubte, sich verhört zu haben. "Sei nicht so begriffsstutzig! Charlotte ist die beste Köchin im Umkreis von 5 Kilometern. Also essen wir möglichst häufig hier", erklärte Maik und marschierte mit dem Bierglas in der Hand in einen Nebenraum.


    Später, als sie langsam durch den Bezirk fuhren, fragte Tom: "Sag mal... Wie steht eigentlich der Chef zu diesen Ausflügen? Was wir da machen widerspricht doch jeglichen Vorschriften!" Rothe grinste nur breit. "Koch ist ein typischer Beamter, ein echter Sesselfurzer. Der rührt sich nur aus seinem Büro weg, um nach Hause oder aufs Klo zu gehen."
    Er klopfte Kranich beruhigend auf die Schulter. "Solange unsere Berichte plausibel sind und wir ihm genügend Verhaftungen liefern interessiert es ihn nicht, was wir hier draußen treiben." Er zeigte auf eine eindeutige Szene in einer schmalen Nebenstrasse. "Ganz besonders freut er sich, wenn wir diesem ausländischen Abschaum ordentlich das Geschäft verderben!"
    Tom registrierte, dass zwei offensichtlich vom Balkan stammende Männer einer Prostituierten Geld abnahmen. Dabei gingen sie äußerst grob mit der jungen Frau um. "Lass uns eingreifen", schlug er vor. "Ich verabscheue Männer, die Frauen schlecht behandeln. Egal, welchem Gewerbe sie nachgehen." Maik nickte und parkte den Wagen. "Mit dem größten Vergnügen!"


    ***


    Ende April


    "Und, wie gefällt dir deine neue Dienststelle?", fragte Semir vorsichtig. Er saß mit Tom vor Schröders Imbiss. Das erste Mal seit Kranichs Zwangsversetzung. "Na ja... Ich hätte es schlimmer treffen können", entgegnete Tom zurückhaltend. "Zumindest sind die Kollegen ganz okay, der Chef nervt nicht wegen jeder Beule im Dienstwagen..."
    Gerkhan schaute ihn erstaunt an. "Seit wann hast du was gegen die Engelhardt?", entfuhr es ihm. Kranich zuckte mit den Schultern. "Sie ging mir zuletzt enorm auf den Zeiger mit ihrem ewigen Gemecker", meinte er. Semir schüttelte ungehalten den Kopf. "Sie hat nur was gesagt, wenn wir Scheiße gebaut oder zu viele Autos geschrottet haben", berichtigte er seinen Freund. Dabei konnte er einen leisen Vorwurf in der Stimme nicht unterdrücken. "Sonst stand sie immer hinter uns; schon vergessen?"
    Tom hob eine Augenbraue. "Das hab ich gemerkt, als ich sie gebraucht hätte?, lautete seine trockene Antwort. Gerkhan riss die Augen auf. "Was soll denn das heißen? Sie hat dir den Ar'sch gerettet, du undankbarer Idiot! Ohne die Chefin und ihren Einsatz beim Polizeipräsidenten wärst du vielleicht sogar im Knast gelandet!", fauchte er.
    "Ach ja?" Tom knallte seine Bierdose auf den Tisch, dass es spritzte. "Ich will dir mal was sagen, Herr Neunmalklug. Wenn die Engelhardt sich wegen des kaputten Mercedes weniger angestellt hätte wäre es erst gar nicht zu dieser beschissenen Situation gekommen! Dieser miese Wic'hser konnte doch überhaupt nur auf mich losgehen, weil ich kein anständiges Auto unter dem Hintern hatte! Mit dem CLK oder deinem BMW hätte ich seine Rostlaube nämlich so gründlich in die Mauer gerammt, dass ich zuerst aus dem Wagen raus gewesen wäre, um ihm Handschellen anzulegen."
    Er schnaubte vor Wut, schüttelte mühsam beherrscht den Kopf. "Aber nein, ich hatte ja nur diesen altersschwachen Passat und musste mich mühsam aus dem Fenster hangeln, weil die Tür verzogen war. Und hatte die Faust dieses Ar'schlochs schon im Gesicht, bevor ich richtig draußen stand."
    Seine Augen wurden schmal, als er einen großen Schluck Bier nahm. "In was für einer Welt leben wir, dass man sich als Bulle nicht mal mehr verteidigen darf, ohne bestraft zu werden, Semir? Wozu reißen wir uns tagtäglich den Ar'sch auf, riskieren unser Leben, unsere Gesundheit? Damit die Kriminellen dieser Welt sich auch noch über uns lustig machen, weil sie im Zweifelsfall den pfiffigeren Anwalt bezahlen können?" Er leerte die Dose in einem Zug, warf sie mit Schwung in den nächsten Mülleimer und stand auf. "Sorry, Semir. Aber ich hab die Schnauze voll von dieser Schei'ße. Lass uns ein andermal weiterreden."
    Gerkhan erhob sich ebenfalls. Seine Miene war angespannt. "Ich glaube, das ist eine ausgezeichnete Idee, Tom. Melde dich doch einfach, wenn du von deinem Selbstmitleids-Trip zurück bist und man wieder normal mit dir sprechen kann, ja?" Kranich stie? hörbar den Atem aus. "Ach, so ist das. Du bist auf ihrer Seite! Hätte ich mir eigentlich denken können..." Er zuckte verüchtlich mit den Schultern. "Dann mach´s gut ? Ex-Partner. Und mehr Glück mit meinem Nachfolger", wünschte er. Der beißende Hohn in seiner Stimme fuhr Semir bis ins Mark. Und katapultierte ihn im Bruchteil einer Sekunde von 0 auf 180...
    "Verdammt, Tom!", brüllte er los. "Merkst du überhaupt noch was? Wie kann man sich innerhalb so kurzer Zeit dermaßen zu seinem Nachteil verändern? Reiß dich gefälligst zusammen und trample nicht auf allem ´rum, was dir was bedeutet hat!" " ?Ach, halt´s Maul, Semir. Lass mich einfach in Ruhe, verstanden?", schnauzte Kranich zurück und ging zu seinem Wagen, ohne Gerkhan noch eines Blickes zu würdigen. Gleich darauf fuhr er mit aufheulendem Motor und quietschenden Reifen davon.
    "Was ist denn mit Tom los?", fragte Kai Schröder verblüfft. Semir hob hilflos die Schultern. "Ich weiß es nicht", erwiderte er seufzend. "Ich hoffe nur, dass er sich wieder beruhigt und aus Frust nicht noch mehr Mist baut..."


    ***

  • Fünf Tage später


    "Bist du sicher, dass du nicht mit mir schlafen möchtest?" Sonja dehnte und streckte sich neben Tom, blieb in aufreizender Pose auf dem Satinbezogenen Messingbett liegen. Ihre moosgrüne Spitzenunterwäsche saß perfekt, deutete mehr an als man sah. Alles an ihr war Verlockung pur - bis auf den merkwürdig neutralen Ausdruck ihrer groß?en braunen Augen.
    Kranich streichelte ihr Gesicht. "Ja, ganz sicher", antwortete er leise. "Ich mag dich, Sonja. Sehr gern sogar. Zu sehr, um dich auszunutzen!" Sie schaute ihn fragend an. "Was meinst du mit "ausnutzen"?", wollte sie wissen. "Es gehört doch zu meinem Job, mit euch zu vögeln!"
    Tom seufzte und schüttelte den Kopf. "Kein Polizist dürfte seine Dienstpausen hier im Club verbringen. Und schon gar nicht in euren Betten", erklärte er. "Ach, das meinst du", kicherte sie. "Das gehört doch zum Geschäft!" - "Ich weiß; deshalb sage ich ja auch nichts", bestätigte Kranich. "Schließlich wäre ich schön blöd, mir dieses angenehme Arbeitsklima zu versauen. Trotzdem finde ich es nicht richtig, Sex als Teil des Deals zu betrachten. Ich bin völlig zufrieden, wenn wir es uns gemütlich machen und miteinander reden."
    Er streckte sich neben ihr aus, legte seinen Arm um sie. Sonja kuschelte sich an seine Schulter. "Du bist nett, Tom. Etwas merkwürdig, aber nett", meinte sie. "Wieso merkwürdig? Weil ich euch als Menschen respektiere und nicht als Spielzeug betrachte?", fragte er. Sie lachte leise. "Genau das sind wir doch: Männerspielzeug!" Es klang zynisch. Und bitter.
    Kranich zog sie dichter an sich und strich ihr übers Haar. "Nein, Sonja. Ihr seid nette Mädchen, die im falschen Milieu gelandet sind", machte er ihr mit sanfter Stimme klar. "Spielzeug ist Ware. Und Menschen sind keine Ware!" - "In diesem Geschäft schon", widersprach die Prostituierte. "Aber nur, weil geldgierige und notgeile Kerle die Spielregeln aufstellen, Sonja!", setzte Tom dagegen.
    In diesem Augenblick hörte man schwere Schritte auf dem Flur. Die Tür zu einem der Nachbarzimmer wurde geöffnet, undeutliche Stimmen drangen zu ihnen. "Scheiße, Theo macht Kontrolle!", fluchte Sonja. Angst flackerte ihn ihren Augen. "Wenn der sieht, dass ich nicht mit dir schlafe, gibt es Ärger..." Kranich schaute sie erschrocken an. "Du meinst, er schlägt dich?" Sie nickte zögernd. "Theo befiehlt und wir müssen gehorchen", sagte sie. "Ist doch so was wie Vertragsbruch, wenn wir unseren Teil der Abmachung mit den Bullen nicht einhalten."
    Mit einem Satz sprang Kranich aus dem Bett, riss sich in Windeseile die Sachen vom Leib, legte sich zu der jungen Frau und begann, sie zu küssen. Gerade rechtzeitig. Sie schlang eben die Arme um seinen Hals, als Theo Haller den Kopf zur Tür hereinsteckte. Er grinste breit, als Tom ihm einen unfreundlichen Blick zuwarf. "Verpiss dich, Theo. Siehst du nicht, dass du störst?", raunzte er ihn an. "Ja ja, bin schon wieder weg", versicherte der Geschäftsführer des "Blue Velvet" und schloss die Tür wieder.
    "Puh, das ist gerade noch mal gut gegangen", atmete Kranich auf. "Danke...", flüsterte Sonja gerührt und strich Tom eine Haarsträhne aus der Stirn. "Ist doch selbstverständlich", wehrte dieser ab. "Nein, ist es nicht!" Sonja drückte Kranich sanft auf den Rücken und begann, ihn überall zu streicheln. "Du bist der erste aus dieser miesen Bullentruppe, den es stört, dass wir geschlagen werden. Der meine Gefühle über seinen Schwanz stellt." Sie küsste ihn, hob seine Hand an ihren Busen, bewegte sie darauf hin und her. "Vergiss die Abmachung, Tom. Ich möchte, dass du mit mir schläfst. Einfach, weil wir uns gern mögen!? Der Ausdruck ihrer Augen hatte sich geändert, sie leuchteten ihn jetzt voller Zuneigung an.
    Kranich zögerte. Was er hier machte widersprach allem, was er bisher getan, wofür er jahrelang gelebt und gearbeitet hatte. Andererseits - weshalb sollte er sich nicht auch etwas Schönes gönnen? Seine letzte erwähnenswerte Beziehung war ein nur wenige Wochen dauerndes Abenteuer mit einer BKA-Kollegin gewesen. Etwas in ihm war seit Elenas Tod zerbrochen, verhinderte tiefer gehende Gefühle für andere Frauen.
    Doch sein Bedürfnis nach Nähe blieb, er sehnte sich nach der Berührung eines weichen, warmen Körpers. Als Toms Gedanken an diesem Punkt ankamen schloss sich seine Hand fester um Sonjas Brust. Automatisch schob er ihren BH hoch, massierte die hart gewordene Knospe sanft zwischen Daumen und Zeigefinger und ergab sich völlig dem seit Monaten nagenden Hunger nach Zärtlichkeit.


    ***

  • "Und?" Maik Rothe zog an seiner Zigarre, stieß blaue W?lkchen in die ohnehin schon verqualmte Luft und sah ihnen nachdenklich hinterher. "Er poppt Sonja", erwiderte Haller und grinste dabei von einem Ohr zum anderen. "Sicher?" Rothe legte den Kopf schräg, seine Miene drückte Zweifel aus. "Mann, ich hab´s selbst gesehen! Er war nackt und an ihrer Wäsche", berichtete Haller leicht gereizt. "Wenn du mir nicht glaubst geh doch selbst rauf und sieh nach!"
    Rothe streifte die Glut der teuren Havanna sorgfältig ab und legte sie in den Aschenbecher. Dann erhob er sich und marschierte ohne ein weiteres Wort zur Treppe. "Mensch, Maik! Du willst doch nicht wirklich...?!", begann Theo und schüttelte verständnislos den Kopf. "Und ob ich will!", stellte Rothe klar. "Kranich ist schon fast zwei Wochen bei uns und wir haben ihn immer noch nicht in der Hand! Das geht nicht, verstanden?"
    Er kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. "Dass er mit uns herkommt und zu dem kleinen Deal zwischen Polizei und Club die Schnauze hält genügt nicht! Er muss Teil des Teams werden, oder wir müssen ihn loswerden, ehe er uns schaden kann. Hast du das kapiert?" - "Ja, sicher." Haller zog eine Grimasse und dackelte wie ein gescholtener Hund hinter dem Polizisten her.
    Vor dem Zimmer mit der Nummer 16 blieben beide stehen und lauschten zunächst. Ein verhaltenes, aber eindeutiges Stöhnen war zu hö?ren. Leise öffnete Rothe die Tür und spähte um die Ecke. Nach wenigen Sekunden zog er sich zurück und drückte die Tür nahezu geräuschlos ins Schloss. Ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Lippen, während er in das Büro im Erdgeschoss zurückkehrte.
    "Na, was hab ich gesagt?" Theo breitete die Arme aus. "Ist ja gut", winkte Maik ab und setzte seine Zigarre umständlich wieder in Brand. Nachdem er einige Züge gepafft hatte verzog sich sein Mund zu einem hinterhältigen Grinsen. "Es geht doch nichts über eine gut durchdachte Organisation; nicht wahr, Theo? So lange alle mitspielen behalten wir die Oberhand im Milieu. Nicht die Scheiß-Türken und schon gar nicht diese Kanaken aus Albanien!" Er rieb sich die Hände.
    "Und die Russen?" Hallers Gesicht nahm einen sorgenvollen Ausdruck an. "Die sind doch viel gefährlicher und rücksichtsloser als das andere Gesindel zusammen!" -"Aber sie haben keine Unterstützung bei der Polizei, Theo! Sobald einer von denen auch nur ´nen Kaugummi auf die Straße schmeißt landet er in Abschiebehaft." Rothe lehnte sich mit einem selbstgefälligen Grinsen zurück. "Mach dir nicht ins Hemd; den Abschaum haben wir im Griff. So wie Kranich..."


    ***

  • Mitte Juni


    "Noch eine Scheibe Filet, Tom?" Charlotte lächelte Kranich an. Er schüttelte den Kopf. "Nein, vielen Dank. Wenn ich noch einen einzigen Krümel esse, platze ich", lehnte er mit einem zufriedenen Seufzen ab. Er erhob sich von dem ausnahmsweise mit Kerzen und Blumen dekorierten Tisch und umarmte sie liebevoll.
    "Das war ein fantastisches Geburtstagsessen, Charly", sagte er und küsste sie sanft auf die Wange. "Ganz herzlichen Dank, dass du dir meinetwegen so viel Mühe gemacht hast." Sie strich ihm zärtlich übers Haar. "Für dich würde ich noch viel aufwändigere Gerichte kochen als "Rinderfilet Wellington"", murmelte sie. "Ebenso wie die Mädels sich dir gegenüber ganz anders verhalten als bei deinen arroganten, geilen Kollegen..."
    Kranich hielt sie ein Stück von sich weg und schaute ihr ernst in die Augen. "Es wäre gelogen zu behaupten, ich würde eure Gesellschaft nicht in vollen Zügen genießen, Charly. Ich habe euch alle sehr gern. Deshalb bin ich ja mittlerweile fast ständig hier, sobald ich Dienstschluss habe. Aber es ist nicht gut für euch, wenn ihr mich den anderen so offensichtlich vorzieht." Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse. "Ich weiß, dass Maik, Werner und Pascal manchmal echte Arschlöcher sind. Schließlich arbeite ich mit ihnen zusammen. Trotzdem ist es wesentlich gesünder für euch, wenn ihr weiterhin nett zu ihnen seid."
    Charlotte schmiegte sich wieder enger an ihn. "Du hast ja Recht, wir handeln uns nur Ärger ein, wenn Theo erfährt, dass wir Unterschiede machen. Aber du bist nun mal etwas Besonderes in diesem Scheiß-Milieu", erklärte sie. "Zumindest unter denen, die hier mitmischen", fügte sie leise hinzu. "Unter den Kunden sind ´ne Menge nette Typen..." Tom stieß scharf den Atem aus. ?"Was meinst du mit "die mitmischen"?", fragte er erschrocken. "Ich bin nicht korrupt!"
    Charly ließ ihn los und starrte ihn verblüfft an. "Nein? Denkst du etwa, Theo lässt dich aus lauter Güte hier essen und Spaß haben? Oder nur gegen die unbedeutende Kleinigkeit, dass eure Truppe sich nicht um die Geschäfte im "Blue Velvet" kümmert? Hat er dich noch nie um einen Gefallen darüber hinaus gebeten?" Kranich schüttelte vehement den Kopf. "Nein. Und wenn er es jemals tut werde ich selbstverständlich ablehnen?, stellte er nachdrücklich fest.
    Charlotte lächelte schief und stupste seine Nasenspitze mit dem Finger. "Mein Gott, bist du wirklich so naiv, Tom? Glaubst du ernsthaft, ohne Gegenleistung in diesem trüben Fluss mitschwimmen zu können?" Sie seufzte tief auf. "Wenn ich du wäre würde ich mich schnellstens versetzen lassen. Oder besser noch, ganz aus der Stadt verschwinden! Zu deinem Schutz, versteht sich", beeilte sie sich hinzuzufügen. "Wir Mädels würden dich höchst ungern verlieren. Aber besser so, als wenn wir eines Tages zu deiner Beerdigung müssten, verstehst du?"
    Kranich presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Überlegte einen Augenblick. Dann meinte er leise: "Danke für die Warnung, Charly. Ich werde mich dann wohl zukünftig weniger hier sehen lassen, um Theo keine Angriffsfläche zu bieten. Aber ganz abhauen kommt nicht in Frage. Dafür bedeutet ihr mir inzwischen zu viel." Er zog Charlotte wieder in seine Arme und drückte sie fest. "Ich weiß, dachte sie voller Sorge bei sich. "Vor allem Sonja, du armer verliebter Narr..."


    ***

  • Ende Juni


    Sonja bäumte sich auf, so weit es ihre Fesseln zuließen. Tränen rannen über ihre Schläfen, ihre verzweifelten Schreie verloren sich im Stoff des Tuches, das sie knebelte. "Tom! Bitte, hilf mir!", schluchzte sie stumm. Hoffte inbrünstig, dass er kommen und sie retten würde.
    Doch der Albtraum ging unvermindert weiter. Pascal Meinert prügelte wieder und wieder mit seinem Gürtel auf sie ein. Immer neuer Schmerz durchloderte ihren gepeinigten Körper. Das dumpfe Geräusch, wenn das Leder auf ihre Haut klatschte, bohrte sich durchs Ohr bis in den Magen. Ihr wurde übel. Bis er aufhörte und die plötzliche Stille sie erleichtert aufatmen ließ. Endlich sicher...
    Doch der Anschein trog. Sonjas Martyrium setzte sich fort, als Meinert keuchend und mit einem triumphierenden, lüsternen Grinsen seinen Unterleib entblößte. Mit vor Erregung zitternden Fingern streifte er sich hastig ein Kondom über. Dann warf er sich auf sie, drückte ihre Schenkel brutal auseinander und drang rücksichtslos in sie ein.


    Kranich zog irritiert die Augenbrauen zusammen, als er an Hallers Tisch im Clubraum vorbeiging. Weshalb gab Pascal dem Zuhälter Geld? Noch dazu eine solche Summe? Auch wenn er nur einen flüchtigen Blick auf die Scheine werfen konnte waren es doch mindestens tausend Euro, die soeben den Besitzer gewechselt hatten.
    "Was soll´s", dachte Tom. "Wahrscheinlich hat er es beim Spiel verzockt." Seine Gedanken wanderten zu Sonja, die oben auf ihn wartete. Mit einem zärtlichen Lächeln auf den Lippen wandte er sich der Treppe zu und lief hinauf.


    ***

  • Das Schluchzen ebbte nur langsam ab. Tom strich immer wieder beruhigend über Sonjas Rücken, hielt sie fest und wiegte sie sanft hin und her. Seine äußere Zärtlichkeit stand allerdings im krassen Widerspruch zu dem unbändigen Zorn in seinem Innern. Es fiel ihm schon schwer genug, Sonja mit den regulären Freiern zu teilen. Dass sie wegen dieser verdammten Abmachung auch seinen Kollegen zu Willen sein musste war für Kranich schier unerträglich.
    Doch was Meinert sich heute geleistet hatte war eine bodenlose Schweinerei! Und er war zu spät gekommen, um sie vor diesem Arschloch zu schützen. Wegen eines völlig unwichtigen Berichts, den Koch unbedingt fertig haben wollte. Toms Geduldsgrenze war endgültig überschritten, er schäumte vor Wut! Vor allem, weil diese Brutalität offensichtlich von Theo geduldet wurde. Anders konnte Tom sich nicht erklären, weshalb der so genannte "Beschützer" weder eingriff noch Pascal bestrafte - sondern offenbar stillschweigend für diese "Extraleistung" kassierte.
    Sonja hörte auf zu weinen und blickte ihn voller Schmerz an. Ihr Körper war übersät von blauen Flecken, der empfindlichste Teil ihres Unterleibs rot und wund gerieben. "Aus, Ende!", versprach Kranich. "Ich bringe dich noch heute von hier weg, Liebling!" -"Ach Tom, wie willst du das denn schaffen?", fragte sie und begann erneut zu schniefen. "Die bringen dich um, wenn du es nur versuchst!" Sie umschlang ihn ganz fest."Ich will nicht, dass dir was passiert. Ich liebe dich!"
    "Ich liebe dich auch", erwiderte er leise. "Und genau deshalb ist ein für alle Mal Schluss mit diesem ganzen Milieu. Ich kenne jemanden in Norddeutschland, wo du unterschlüpfen kannst. Ein Frauenhaus, da bist du vollkommen sicher vor Theo und den anderen Mistkerlen." - "Aber wie soll ich da hinkommen, ohne dass jemand Verdacht schöpft?", wandte die junge Frau ein.
    Tom lächelte und küsste sie zärtlich. "Das ist nicht schwer, Darling. Zieh dich an; ich bringe dich zum Arzt. Ohne Behandlung kannst du mindestens eine Woche nicht arbeiten..." Er zwinkerte ihr liebevoll zu. Sie verstand und ein zaghaftes Lächeln stahl sich auf ihre geschwollenen Lippen. Keine zehn Minuten später stieg sie mit der offiziellen Erlaubnis von Haller in Toms Auto.


    ***

  • 5 Stunden sp?ter


    Rico Schulz holte aus und schlug zu. Der dumpfe Laut, als seine Faust Kranichs Kinn traf, hallte wie ein dröhnender Gong in dessen Schädel nach. Tom versuchte vergeblich, sich aus Theos Klammergriff zu befreien, um den nüchsten Schlägen zu entgehen. Erneut rammte Rico ihm beide Fäuste unmittelbar nacheinander in die Rippen, dass er nur vor Schmerz aufstöhnen konnte. Erst jetzt ließ Haller ihn los, stieß ihn auf einen Stuhl und zündete sich ganz gemüchlich eine Zigarette an.
    "Versteh mich nicht falsch, Tom", begann er. "Es ist nichts Persönliches. Du weißt, ich hab nichts gegen dich. Nur was dagegen, wenn man sich an meinem Eigentum vergreift!" - "Sonja gehört dir nicht! Genauso wenig wie die anderen Mädchen", stöhnte Kranich und wischte sich mit dem Handrücken das Blut aus dem Gesicht.
    "Tja, das ist eben der Punkt, wo unsere Meinungen auseinander gehen", erwiderte Theo. "Die Mädels sind doch mein Broterwerb, ohne sie könnte ich das "Blue Velvet" dichtmachen! Sie sind gewissermaßen Teil der Zimmereinrichtungen", behauptete er grinsend. "Man zahlt für ihre Nutzung; also mache ich Verlust, wenn eine abhaut, ohne gleichwertigen Ersatz zu stellen."
    Tom schnaubte höhnisch. "Verarsch mich nicht! Du verdienst dich doch dumm und dusselig an den Mädchen! Ob eine mehr oder weniger für dich anschafft macht allenfalls ein paar Krümel auf dem fetten Kuchen aus..." Haller zuckte mit den Schultern. "Ist mir gleich, wie du es siehst. Ich sehe es so: Wer eines der Pferdchen aus meinem Stall haben will muss dafür bezahlen! Egal, ob er es mietet oder kauft; kapiert?"
    "Seit wann kauft man Menschen?" Kranich schaute ihn dermaßen böse an, dass Theo Rico zunickte. Sofort knallte dieser Tom erneut die Faust in den Brustkorb. Ein heftiger Hustenanfall war die Folge. "Hör auf, mich zu provozieren", schlug Haller vor und holte ein Blatt Papier aus dem Schreibtisch. Er hielt es Tom vor die Nase.
    "Das ist ein Vertrag. Darin bestätigst du, dass du Sonja für 50.000,-- Euro ausgelöst hast. Wenn du das nicht unterschreibst, machen wir dich so fertig, dass du darum bettelst, erschossen zu werden! Aber ich garantiere dir, dass du uns vorher noch verrätst, wo du das kleine Luder versteckt hast", erklärte er mit trügerisch sanfter Stimme.
    Kranich schluckte hörbar. "Ich... Ich habe keine 50.000. Nicht mal annähernd...", flüsterte er. Theo lächelte gönnerhaft. "Och, das ist kein Problem. Du kannst die Kohle auch bei mir abarbeiten." Tom zog verwirrt die Augenbrauen hoch. "Wie, abarbeiten" Was müsste ich denn dafür tun?", fragte er unsicher. "Mal dies, mal das. Gelder eintreiben, die Mädels bei Ausgängen vor der Konkurrenz beschützen..." Haller fixierte seinen Blick. "Und vor allem dafür sorgen, dass mein Laden keinen Ärger mit irgendwelchen Behörden bekommt! Weder mit Bullen anderer Abteilungen, noch mit dem Ordnungsamt oder wem auch immer, verstanden?"
    Tom senkte den Kopf und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Scheiße, worauf hatte er sich da eingelassen? Wenn er sich weigerte, diesen Fetzen Papier zu unterschreiben, würden sie ihn so lange foltern, bis er Sonjas Versteck verriet. Er war sich nicht sicher, dass er bis zum äußersten durchhalten und schweigen würde. Wer konnte schon wissen, was sie alles mit ihm anstellten? Andererseits hatten sie ihn unwiderruflich in der Hand, wenn er seinen Namen unter diesen "Kaufvertrag" setzte.
    Verdammt, was sollte er tun? Sich erpressen lassen und korrupt werden? Oder die Frau, die er liebte verraten, um sich Folter und Tod zu ersparen? Nein, das kam überhaupt nicht in Frage. Sonja vertraute ihm. Zählte darauf, dass er sie vor Theo und diesem ganzen Abschaum beschützte. Wie sollte sie ein neues Leben beginnen, wenn sie immer Angst vor diesen Kerlen haben musste?
    Tom schloss die Augen, um Theos widerwärtiges Grinsen nicht mehr sehen zu müssen und holte tief Luft. Dann nahm er den angebotenen Kugelschreiber und unterzeichnete den Vertrag, der das unwiderrufliche Ende seiner Laufbahn als ehrlicher und anständiger Polizist bedeutete.


    ***

  • Ende Juli


    Dieter Bonrath verzog verlegen das Gesicht. "Bist du sicher, dass wir da rein müssen?", erkundigte er sich. Semir nickte grimmig. "Laut Akte arbeitet Rico Schulz in diesem Club." "Warum können wir ihn denn nicht in seiner Wohnung befragen?", murrte Dieter. "Weil das dieselbe Adresse ist. Er lebt anscheinend auch in dem Gebäude", meinte Gerkhan und verdrehte die Augen.
    "Mein Gott, du bist ein gestandener Mann von Ende Vierzig! Was ist so schlimm daran, wenn du dienstlich einen Nachtclub betrittst?", wollte er wissen. "Äh... Also... Ich...", stammelte Bonrath und wurde rot. "Ich war noch nie..." Schweißtropfen erschienen auf seiner Stirn. "Das ist doch ein Puff, Semir!", entfuhr es ihm schließlich. "Anständige Menschen gehen da nicht rein! Schon gar nicht am helllichten Tag!"
    Gerkhan grinste. "Hast du eine Ahnung, wie viele anständige, hoch angesehene Bürger in solche Läden gehen!", bemerkte er kopfschüttelnd. "Und glaub mir, das ist tausend Mal besser, als Frauen zu vergewaltigen, weil sie ihren Trieb sonst nicht loswerden!" "Na ja... Das stimmt natürlich", pflichtete Dieter ihm bei. "Trotzdem fühle ich mich dabei nicht wohl." "Du sollst dich auch nicht wohl fühlen, sondern mich bei der Befragung dieses Schulz unterstützen", erinnerte Semir ihn und öffnete die Tü?r des offiziell noch geschlossenen "Blue Velvet".


    "Guten Tag, die Herren. Haller, ich bin der Geschäftsführer; was kann ich für Sie tun?" Theo baute sich mit vor der Brust gekreuzten Armen vor den beiden Polizisten auf. Er war lange genug in der Branche, um auch fremde Bullen auf Anhieb zu erkennen. Semir und Dieter zückten ihre Dienstausweise.
    "Gerkhan, Kripo Autobahn. Das ist mein Kollege Bonrath. Wir möchten Rico Schulz sprechen", erklärte Semir. "Und weshalb?", kam sofort die misstrauische Frage von Theo. "Nur eine Routineangelegenheit", teilte Semir ihm mit. "So?", wunderte Haller sich und drehte sich zu Teresa um, die sich gerade eine Cola von der noch nicht besetzten Bar holte.
    "Hey, sag Rico Bescheid, dass er sofort herkommen soll", rief er, bevor er sich wieder an die Beamten wandte. "Möchten Sie inzwischen was trinken?" Beide lehnten höflich ab, nahmen aber die Einladung an, sich mit ihm an einen der Tische zu setzen. Kurz darauf erschien Rico. Auf seiner Stirn zeigte sich eine mürrische Falte, als er Platz nahm und die unwillkommenen Gäste fixierte. "Ja?"
    "Herr Schulz, Sie fahren doch einen weinroten Pontiac Firebird mit dem Kennzeichen K - BV 333; richtig?", eröffnete Gerkhan das Gespräch, nachdem er und Dieter sich erneut vorgestellt hatten. "Ja; und?", war die schroffe Antwort. "Waren Sie damit gestern Abend zwischen 23:00 und 23:15 Uhr auf dem Rastplatz Königsforst?", hakte Bonrath nach. Rico und Theo tauschten einen schnellen Blick; Haller nickte kaum merklich. "Ja; wieso?" Ricos lauernde Antwort schien sich gummiartig auszudehnen. Semirs Nackenhaare stellten sich auf. "Ist Ihnen ein dunkelblauer Ford Mondeo aufgefallen? Oder ein silbernes Mercedes-Coup??"
    Schweigen. Schulz schien nachzudenken. Allerdings nicht darüber, ob er die Fahrzeuge gesehen hatte; dessen war Gerkhan sich instinktiv sicher. Dieser miese Gorilla überlegte allenfalls, ob sein Boss ihm den Kopf abreißen würde, wenn er "a" sagte. "Vielleicht...", rang Schulz sich mühsam ab. "War ja dunkel und ich hab nicht drauf geachtet, was da los war. Musste halt nur kurz pinkeln..."
    "Ach, da war etwas los?", bohrte Dieter spontan nach, ohne eine Miene zu verziehen. Semir musste sich beherrschen, um ihn nicht wie das achte Weltwunder anzustarren. Wo nahm Bonrath auf einmal diese Kaltblütigkeit her, wo er vorhin doch noch fast im Erdboden versunken wäre? Seine Verblüffung wuchs, als ihm klar wurde, dass Dieter punktgenau ins Schwarze getroffen hatte. Sowohl Schulz als auch Haller wurden eine Spur blasser.


    "Ähm..." Rico räusperte sich mehrmals. "Nee, so kann man das nicht sagen", versuchte er, sich aus der Affäre zu ziehen. "Der dunkle Wagen ist halt mit quietschenden Reifen los, so ´ne Art Kavaliersstart", behauptete er mit einer wegwerfenden Handbewegung. "Und hat dabei ganz unabsichtlich den Fahrer des Mercedes über den Haufen gefahren und liegen gelassen", ahmte Semir voller Verachtung den lässigen Tonfall des Ganoven nach. Denn dass es sich bei den beiden Kerlen um solche handelte stand für ihn unverrückbar fest. Ebenso wie das untrügliche Gefühl, dass sie etwas mit dem Tod des türkischen Zuhälters auf dem Rastplatz zu tun hatten.
    Ihr schlecht gespieltes Entsetzen über das Verbrechen bestätigte seine Vermutung. "Wirklich? Also, davon hab ich echt nichts mitbekommen", wehrte Schulz mit erhobenen Händen ab. "Nat?rlich nicht", knurrte Bonrath. "Und das Kennzeichen des Mondeo wissen Sie selbstverständlich erst recht nicht; oder doch?" Rico schüttelte den Kopf. "Nee, Herr Kommissar. Ich sagte doch, es war dunkel und ich hab nicht auf die anderen Autos geachtet", wiederholte er lahm. Semir und Dieter wechselten einen Blick. Doch bevor Gerkhan zur nächsten Frage ansetzen konnte drang eine nur allzu bekannte Stimme an sein Ohr...


    ***

  • "Das ist typisch für Rico. Der achtet nämlich aus Prinzip nicht auf seine Umwelt. Jedenfalls nicht, so lange weder aufgemotzte Ami-Schlitten noch Mädchen darin vorkommen", bemerkte Kranich und trat aus dem Schatten eines Vorhangs. Dahinter war der Durchgang zu einem schmalen Flur zu erkennen.
    Unmittelbar darauf erschien eine attraktive Frau in knapper schwarzer Ledermontur. Sie schmiegte sich an den Polizisten und gab ihm einen Kuss auf den Mund. "Bis später, Darling", verabschiedete Charlotte sich mit einem Seitenblick auf Haller und ging hinter die Bar.
    Semir riss ungläubig die Augen auf, Dieter blieb vor Schreck der Mund offen stehen. "Tom...", rutschte es ihm heraus. "Was machst du hier?" Kranich stellte sich neben Theos Stuhl und zuckte mit den Schultern. "Das könnte ich genauso gut euch fragen", wich er aus. "Schließlich ist das mein Bezirk, nicht eurer." Er funkelte die ehemaligen Kollegen sichtlich abweisend an.
    "Wie ermitteln in einem Mordfall", erklärte Gerkhan und erhob sich langsam. "Aber wie es scheint, hat wohl niemand aus der deutschen Zuhälter-Szene Interesse am Tod eines türkischen Rivalen. Obwohl nachweislich ein Konkurrent zur Tatzeit am Tatort war. Oder wie siehst du das?" "Anwesenheit ist nicht gleich Schuld, Semir. Das weißt du genauso gut wie ich", antwortete Kranich. "Finde den Tatwagen und weise eine Verbindung von dessen Halter zu Rico nach, dann sehen wir weiter."
    Semirs Augen wurden zu schmalen Schlitzen, die Wangenmuskeln traten hervor. "Du kennst dich ja anscheinend bestens in diesem Milieu aus. Vermutlich, weil du dich inzwischen schon während der Dienstzeit in den Betten der Huren herumtreibst", fauchte er. Toms eiskalter Blick schien ihn zu erdolchen. "Wage es nie wieder, so abfällig über die M?dchen zu sprechen, Semir!", drohte er.
    "Sonst was? Werde ich dann auch eines Nachts an einem dunklen Ort überfahren? Oder vielleicht doch nur zusammengeschlagen?" Die Empörung über die Wandlung seines Ex-Partners und besten Freundes ließ ihn jegliche Zurückhaltung und Taktik vergessen. "Ich weiß genau, dass jemand aus diesem Club seine Hände bei diesem Mord im Spiel hatte. Und ich werde es auch beweisen!", kündigte er an.
    "Tu, was du nicht lassen kannst", bemerkte Kranich achselzuckend. "Aber ich gebe dir einen guten Rat: Dies ist mein Revier. Lass dich hier nicht wieder ohne Beweise oder Durchsuchungsbefehl sehen!" Bonrath schnappte vor Empörung und langsam aufsteigender Wut hörbar nach Luft. Doch Semir zog ihn am Arm Richtung Ausgang, ehe er Tom seine Meinung über dessen schockierendes Verhalten an den Kopf werfen konnte. "Komm, Dieter; lass uns gehen. In dieser ehrenwerten Gesellschaft haben wir nichts mehr verloren...", zischte Gerkhan mit einem letzten verbitterten Blick auf Kranich.


    ***

  • Schweigen durchzog den Raum, nachdem die beiden gegangen waren. Selbst Charly vermied es, mit den Gläsern zu klappern, die sie gerade spülte. Schließlich meinte Rico: "Danke, Tom. Ich hätte echt nicht gewusst...?" "Du bist ja auch zu blöd!?, raunzte Theo ihn sofort an. "Hast du Idiot nicht darauf geachtet, dass keiner sonst da war? Wozu bist du überhaupt zu gebrauchen?" Er schüttelte missbilligend den Kopf und bog die Fingergelenke durch, bis sie knackten. "Wenn man Dummheit "rausprügeln" könnte würde ich dich mir mal gründlich vornehmen. Aber das nützt ja doch nichts", schimpfte er.
    "?Ich sollte Kemal nur da hinlocken und so tun, als ob ich ihm ein Geschäft vorzuschlagen hätte. Um den Rest wollte sich der Boss kümmern", verteidigte Schulz sich. "Wenn jemand zufällig gesehen hat, wie der Türke platt gemacht wurde, ist das nicht meine Schuld!" Haller seufzte mit verdrehten Augen. "Du warst nicht nur der Köder, sondern auch die Rückendeckung. Ich hab gleich gesagt, dass du dafür zu dämlich bist. Aber der Boss wollte ja wieder mal nicht auf mich hören", murmelte er, bevor er sich an Kranich wandte.
    "Das war gute Arbeit", lobte er. "Woher kennst du die beiden?" "Ich war bei der Autobahnpolizei, bevor ich hierher versetzt wurde", sagte Tom. "Gerkhan war dort mein Partner..." "...und bester Freund", setzte er den Satz in Gedanken fort. "Damit ist es jetzt endgültig aus. Mit dieser Nummer habe ich mich so weit von ihm entfernt, dass es wohl keinen Rückweg mehr geben wird?, dachte er wehmütig.
    Theo und Rico standen auf und klopften Tom im Vorbeigehen auf die Schulter. "Maik wird sich freuen, dass du so gut reagiert hast", meinte Haller. Damit verschwanden beide Männer im Durchgang. Kranich ließ sich auf einen der Stühle fallen und vergrub das Gesicht in den Händen. Was hatte er getan? Wie konnte er sich auf die Seite von korrupten Polizisten und Verbrechern stellen? Gegen seine Freunde? Er stöhnte verzweifelt auf.
    Eine Hand streichelte sanft über sein Haar. Er blickte auf. Charlotte schaute ihn besorgt, aber auch ängstlich an. "Kann ich irgendetwas für dich tun, Tom?", erkundigte sie sich leise. Er zog sie in seine Arme. "Ja, Charly?, flüsterte er an ihrem Ohr. "Du kannst etwas für mich tun. Auf dich und die Mädchen aufpassen, damit ihr nicht zwischen die Fronten geratet! Schließlich habt ihr mit der ganzen Scheiße nichts zu tun...?
    Er holte tief Luft. "Wenn du irgendwann das Gefühl hast, nicht mehr allein mit der Situation fertig zu werden, wende dich an Semir Gerkhan. Du kannst ihm vertrauen, er wird dir helfen!" - "Warum sprichst du nicht selbst mit ihm? Er war doch dein Partner." Charly schaute ihn nachdenklich an. "Und auch dein Freund, nicht wahr?", fügte sie ruhig hinzu. Er wich ihrem Blick aus, fuhr sich mit einer nervösen Bewegung durchs Haar. "Zu spät...?, murmelte er.


    ***

  • Werner Brandt, Pascal Meinert und Maik Rothe saßen in einem gemütlichen Raum neben dem Büro. Die Männer tranken Longdrinks, rauchten und spielten Poker. Mehrere Tausend Euro lagen vor ihnen. "Ich will sehen", knurrte Brandt und warf einen weiteren Hunderter auf den Einsatztopf. Rothe fächerte mit breitem Grinsen sein Blatt aus. "Full House!"
    "Scheiße!" Brandt schmiss seine Karten quer über den Tisch und nahm einen großen Schluck seines Tequila-Orangensaft-Drinks. "Das ist heute echt nicht mein Tag", grummelte er. "Na und? Dafür hast du letzte Woche mindestens 6.000 abgeräumt", erinnerte Meinert ihn. Er war schon einige Runden zuvor ausgestiegen und freute sich, dass er verhältnismäßig glimpflich davon gekommen war.
    Haller und Schulz kamen herein und berichteten in Kurzform, was sich im Clubraum zugetragen hatte. Sie waren eben fertig, als es klopfte. "Kann ich kurz stören?" Kranich betrat den Raum und schaute unsicher in die Runde. "Ja klar; willst du mitspielen?", bot Rothe an. "Nein danke, ich hab schon genug Schulden bei Theo", war die trockene Antwort. "Ich wollte dich nur mal eben was fragen, Maik." - "Schieß los."
    Tom fixierte den Blick seines Partners. "Wo ist unser Dienstwagen?" Rothe hob erstaunt eine Augenbraue. "Hinten im Hof, wieso?" - "Hast du ihn nicht zur Reparatur gegeben?" Maik runzelte die Stirn. "Weshalb sollte ich? Sind doch bloß ein paar Kratzer und eine kaputte Scheinwerferabdeckung. Ich war nur in der Waschanlage, wegen der Blutspritzer."
    "Ach ja, das Wildschwein, das dir gestern Nacht angeblich vors Auto gelaufen ist..." Kranichs Augen wurden zu schmalen Schlitzen. "Ich glaube, in Wirklichkeit hast du diesen Kemal überfahren! Und zwar mit Absicht, Maik. Du bist ein Mörder!" Seine Stimme zitterte vor Wut und Abscheu.
    Alle schwiegen zunächst und tauschten bedeutsame Blicke. Schließlich traten Rothe und Haller näher an Kranich heran. "Und wenn schon", zischte Maik. "Es war doch nur ein wertloses Türkenschwein!" Tom starrte ihn fassungslos an. "Nur ein Türke, ja? Mein Ex-Partner ist türkischer Abstammung. Und der ist mindestens das Doppelte wert wie jeder von uns!", protestierte er zornig. "Außerdem - von Mord war nie die Rede! Da mache ich nicht mit!", stellte er klar.
    "Oh doch, das wirst du!", widersprach Theo energisch. "Sonst legen wir dich entweder um oder du landest noch vor uns im Knast! Und du kannst Gift darauf nehmen, dass wir dich tief genug reinziehen, dass du mindestens wegen Beihilfe dran kommst!" Ein hinterhältiges Grinsen verzog sein Gesicht, als er noch dichter zu Kranich rückte. "Und außerdem - wenn du tot bist oder einsitzt kannst du die Ablöse für die kleine Nutte nicht mehr bezahlen, nicht wahr" Ich hätte also das Recht, sie mir zurückzuholen. Und ich tue es auch, wenn du mich dazu zwingst!"
    Entsetzen breitete sich auf Toms Miene aus. Sonja... Sie war nur sicher, so lange er dieses verfluchte Spiel mitmachte. Wenn sie nichts mehr von ihm hörte würde sie zurückkommen oder zumindest anrufen, um sich nach ihm zu erkundigen. Beides wäre ihr Verderben. Vor allem, weil er sich nur zu genau ausmalen konnte, wie ihr zweites Leben im "Velvet" ohne ihn aussehen würde!
    Er schloss die Augen, taumelte zurück an die Wand. Sein Atem ging in harten Stößen, sein Herz pochte so heftig, dass er meinte, es an den Rippen zu spüren. Sie hatten ihn unwiderruflich festgenagelt. Er hatte keine Chance mehr, sich aus der Affäre zu ziehen. Konnte nur noch mit den Wölfen heulen, in deren Rudel er sich begeben hatte. Sonst würden sie ihn und Sonja gnadenlos zerreißen.
    Er schlug die Augen wieder auf und nickte mit so fest aufeinander gepressten Kiefern, dass seine Wangenmuskeln hervortraten. "Okay", würgte er mühsam hervor. "Ich halte den Mund." - "Gute Entscheidung, Tom", beglückwünschte Rothe ihn mit einem herablassenden Lächeln. "Ich wusste doch, dass du ganz vernünftig sein kannst!"
    Kranich starrte ihn böse an. "Ich bin sogar vernünftiger als du", fauchte er. "An deiner Stelle würde ich nämlich schleunigst dafür sorgen, dass die Schäden unauffällig repariert werden! Oder glaubst du ernsthaft, die Autobahnpolizei ist zu dämlich, um herauszufinden, dass wir einen dunkelblauen Mondeo als Dienstwagen haben? Wenn der in der KTU landet bist du geliefert!"
    Maik wurde aschfahl, ebenso wie seine Kollegen. "Meinst du wirklich, dass die uns verdächtigen könnten?", fragte Brandt. Tom schaute ihn verblüfft an. "Wie, uns?", wollte er wissen. "Warst du etwa auch dabei?" Werner nickte. "Klar. Der Boss schickt nie jemanden allein los bei solchen Aktionen. Viel zu gefährlich!"
    Kranich lachte zynisch. "Tja, das hat euch dieses Mal anscheinend auch nichts genützt, wenn ein Unbeteiligter trotzdem Zeuge werden konnte", bemerkte er, bevor er sich an Schulz wandte. "Du kennst doch bestimmt ´ne verschwiegene Werkstatt, Rico. Bei deinem Hang zu getunten Karren..." - "Ja sicher!" Schulz strahlte vor Freude, etwas Sinnvolles zu der vertrackten Situation beitragen zu können. "Ich hab da nen Kumpel, Ingo, der hat einen geilen Mechanikertrupp in Deutz. Nach außen harmloser Karosseriebauer mit Lackierbetrieb, aber eigentlich handelt er mit geklauten, umgebauten Luxusschlitten." - "Klingt ideal", bestätigte Tom. "Am besten, ihr fahrt gleich hin. Je eher die Spuren beseitigt sind, desto besser!"
    Rothe zögerte. Dann bot er Kranich die Hand. "Scheint, ich habe dich falsch eingeschätzt, Tom", räumte er ein. "Danke für deine Unterstützung!" Einige Sekunden verstrichen, dann erwiderte Kranich den Händedruck. "Schon gut. Ich musste eben erst ein paar Dinge neu sortieren", antwortete er.


    ***

  • "Wie bitte?"Anna Engelhardt sah irritiert von Semir zu Dieter. "Kranich macht gemeinsame Sache mit diesen Zuhältern? Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst?!" Gerkhan hob die Schultern, machte eine abfällige Handbewegung. "Er treibt es in der Mittagspause mit den Prostituierten im Club, deckt diesen Rico, schmeißt uns in einer Art und Weise raus, als wenn er da was zu sagen hätte ... Wie soll ich das sonst interpretieren? Er steckt eindeutig mit drin in diesem Sumpf von Mädchenhändlern und Mördern!"
    "Entsetzlich", klagte Bonrath mit traurigem Blick. "Wie konnte Tom so tief sinken?" - "Das geht bestimmt auch noch tiefer", bemerkte Semir kalt. "Ist letztendlich auch nur bedingt unser Problem. Wir haben einen Mörder zu finden. Und der gehört ganz eindeutig zum Umfeld des "Blue Velvet"", stellte er klar.
    "Wenn Kranich und weitere Kollegen dieser Abteilung tatsächlich korrupt sein sollten ist das Sache der SoKo Inneres", meinte Anna. "Schon", stimmte Gerkhan zu. "Ich bin mir nur nicht sicher, ob wir die einschalten sollten, bevor wir nicht mehr Beweise in unserem Fall haben. Schließlich könnten eindeutige Spuren beseitigt werden, wenn tatsächlich Querverbindungen bestehen und wir den oder die Täter zu früh aufscheuchen."
    Die Engelhardt nickte langsam. "Ich werde darüber nachdenken. Auf jeden Fall übernehme ich den Kontakt zur Inneren, sobald es erforderlich ist, sie ins Boot zu holen." - "Danke, Chefin. Und wir fahren jetzt zu Hartmut und schauen mal, ob die Spuren vom Tatort noch was ergeben haben." - "Tun Sie das. Viel Glück, meine Herren", beendete Anna das Gespräch.


    ***


    "Also, ich habe folgendes herausgefunden." Hartmut wischte sich die Hände an einem ziemlich schmutzigen Tuch ab. "Den gefundenen Scheinwerfer- und Lacksplittern nach handelt es sich um ein ganz besonderes Mondeo-Modell. Davon wurden bundesweit etwa hundert, hier in Nordrhein-Westfalen nur zehn Stück ausgeliefert." Er machte eine Pause, suchte und fand einen Bonbon in seiner Montur und schob ihn sich in den Mund. "Und dass es vermutlich einer davon ist lässt sich aus dem Kölner Kennzeichen schließen."
    "Das könnte auch geklaut oder gefälscht sein", warf Bonrath ein. "Sicher; aber unwahrscheinlich. Ich denke, es war nur ver?ndert. Der Ablauf sieht nach guter Vorbereitung aus. Euer Zeuge war ein dummer Zufall, der nicht hätte passieren dürfen", behauptete Hartmut im Brustton der Überzeugung.
    "Mensch, spann uns nicht so auf die Folter!", drängte Semir. "Wie können wir diese zehn Autos finden?" - "Hab ich schon, war ganz einfach nämlich in unserem zentralen Fuhrparkregister", grinste der KTU-Spezialist. "Sie wurden eigens für die Polizei in dieser Ausführung gebaut. Es war nicht schwer, herauszufinden, in welchen Abteilungen sie stationiert sind." Er fischte eine halb zerknitterte Liste von seinem Schreibtisch.
    "Es wird euch wahrscheinlich wahnsinnig überraschen, dass einer davon zu den Dienstwagen einer Spezialeinheit im Rotlichtviertel gehört. Genauer gesagt wird er hauptsächlich von zwei Oberkommissaren benutzt: Maik Rothe und..." - "...Tom Kranich", beendete Semir den Satz mit tonloser Stimme. Seine Kehle war auf einmal trocken wie W?stensand.
    Zur gleichen Zeit erreichte der durch den Mord entfachte Sturm unaufhaltsam den Hinterhof des Clubs, von wo Rothe und Schulz gerade zur Werkstatt gestartet waren...


    ***

  • "Hier Hermelin. Es gibt ein Problem - die Bande hat einen Mord begangen. Pfeifen Sie die Kripo Autobahn zurück, bevor sie mit ihren Ermittlungen alles kaputt macht! Ich bin noch nicht so weit." Er lauschte seinem Gesprächspartner und zuckte reflexartig mit den Schultern. "Nein, an den Boss bin ich bisher nicht rangekommen. Ich habe leider auch noch keinen Hinweis, wer es sein könnte!" Wieder zuhören, dann ein leichtes Nicken. "Okay. Danke und Ende." Er war eben im Begriff, sein Handy einzustecken, als sich der Lauf einer Waffe in seinen Nacken bohrte. "Hände hoch und keinen Mucks!", befahl eine kalte Stimme.
    Lähmende Angst kroch durch seinen Körper, während er der Aufforderung wie in Trance folgte. Der Mann tastete nach seiner Pistole, zog sie geschickt aus dem Halfter. Gleich darauf wurde ihm das Mobiltelefon aus der Hand genommen. "Und jetzt die Hände hinter dem Kopf verschränken und ganz langsam vor mir her in den Club!", lautete die nächste Anweisung.
    Tom schluckte und gehorchte notgedrungen. Verdammt, wieso hatte er den Mistkerl nicht kommen hören? Jetzt war alles aus. Er hatte es vermasselt. So gründlich, dass er eigentlich gleich selbst den Leichenwagen bestellen konnte. Denn die Bande würde nicht lange fackeln, sondern ihn ohne die geringsten Skrupel aus dem Weg räumen. Und unliebsame Zeugen gab es dieses Mal nicht. Für Gäste war es noch zu früh.
    Am meisten ärgerte ihn jedoch, dass er keine Chance mehr hatte, den Namen des Chefs weiterzugeben. Denn die wohlbekannte Stimme hinter ihm konnte niemand Anderer sein als der bisher unbekannte Drahtzieher im Hintergrund. Verdammte Scheße...


    ***

  • Semir wirkte, als wollte er der Chefin im nächsten Augenblick auf den Schreibtisch springen. "Was haben Sie gerade gesagt?" Er glich mit jeder verstreichenden Sekunde mehr einem Vulkan kurz vor dem Ausbruch. "Ich sagte, die Ermittlungen sind vorläufig einzustellen", wiederholte Anna ungehalten. "Ist daran irgendetwas unklar?" Gerkhan schnaubte vor Wut. "Ja, die Begründung", fauchte er. "Es geht schließlich um einen Mord!" - "Eigentlich darf ich Ihnen nichts darüber sagen. Aber ehe Sie jetzt losstürmen und alle Anweisungen ignorieren..." Sie seufzte.
    "Eine andere Instanz ist seit geraumer Zeit an den Vorgängen rund um das "Blue Velvet" dran, ihnen fehlt nur noch der Boss im Hintergrund. Und deshalb dürfen wir uns zum jetzigen Zeitpunkt nicht in deren Ermittlungen drängen. Okay?" Semir sah sie überrascht an. "Die wissen, was da gespielt wird?" - "Sicher noch nicht in allen Einzelheiten; aber im Großen und Ganzen schon", räumte die Engelhardt ein.
    Gerkhan ließ sich vollkommen geplättet in den nächsten Stuhl fallen. "Und warum erfahre ich das erst jetzt?", wollte er wissen. "Vielleicht hätten Bonrath und ich uns im Club anders verhalten, wenn wir eingeweiht gewesen wären?!" - "Und hätten womöglich Misstrauen wegen Ihrer zu gleichgültigen Haltung ausgelöst. Nein, Semir; es war so gewollt und in Ordnung", widersprach Anna. "Und jetzt kümmern Sie sich bitte um einen der anderen Fälle oder fahren Streife."


    ***

  • "Boss, was zum Teufel...", setzte Haller verblüfft an, als die beiden Männer hintereinander den Gastraum betraten. "Dieses Stinktier hat uns alle geleimt", erklärte Wolfgang Koch in verächtlichem Tonfall. Er winkte Brandt heran. "Handschellen!" Werner war sichtlich perplex, beeilte sich jedoch, den Befehl seines Chefs auszuführen. Kaum waren die Stahlfesseln eingerastet, riss Koch Kranich zu sich herum und trat ihm in den Unterleib. Aufstöhnend brach Tom in die Knie.
    Koch betätigte derweil die Wahlwiederholungstaste von Kranichs Handy. Nachdem der Angerufene sich gemeldet hatte beendete er die Verbindung sofort. "Und?", fragte Theo. "Wie ich vermutet habe: Förster, der Leiter der Inneren", zischte Koch. "Aber du hast doch jemanden da?!", wandte Theo verwundert ein. "Warum hat der dich nicht vor diesem Spitzel gewarnt?" - "Vermutlich, weil Förster weiß, dass er eine undichte Stelle hat und niemand sonst dort informiert wurde", sagte Koch.
    Er zog Toms Kopf an den Haaren hoch und drückte ihm den Lauf seiner Waffe an die Schläfe. "Hab ich Recht?" Kranich nickte nur schwach. "Seit wann arbeitest du für ihn? Hat er dich erst angesprochen, nachdem du zu uns versetzt wurdest oder..." Er spannte den Hahn der Pistole.
    Tom schluckte schwer. Es machte keinen Sinn, die Antwort zu verweigern. "Von Anfang an", gab er stockend zu.
    "Die Sache mit der Körperverletzung, die Abmahnung, angebliche Strafversetzung - alles Teil des Plans?", bohrte Koch nach. "Ja...? Mit einem lästerlichen Fluch schlug Koch ihn ganz zu Boden.
    Brandt und Meinert bekamen vor Verblüffung große Augen. "Heißt das, alles, was er hier abgezogen hat, war nur Theater?" - "Spielt keine Rolle", würgte Koch seine Handlanger ab. "Er muss schleunigst von der Bildfläche verschwinden. Schafft ihn in meinen Kofferraum und sorgt dafür, dass er sich nicht bemerkbar machen kann."
    Er steckte seine Pistole ein und meinte herablassend: "Ich erledige es lieber selbst, bevor ihr das auch noch versaut..." Theo grinste schwach. "Ich kenne ein einsames Plätzchen am Rheinufer. Da kannst du die Leiche problemlos im Fluss entsorgen", schlug er vor. Koch nickte zustimmend. "Gut. Komm mit raus und zeig es mir auf der Karte."


    ***

  • Lauer Sommerwind. Blauer Himmel, nur von ein paar Schäfchenwolken durchsetzt. Das stetige Flüstern des Rheins, der träge unterhalb der Böschung entlang floss. Tom nahm diese Eindrücke so intensiv in sich auf wie noch nie. Denn er wusste, dass es die letzten waren, die er erleben durfte.
    Er kniete am Rand des Abhangs, zu welchem Koch ihn gezerrt hatte. Sein wehmütiger Blick folgte dem grünlichen Strom, schöpfte Trost aus der sich im Wasser spiegelnden Idylle. Ein seltsamer Frieden ging von dieser Atmosphäre aus, erleichterte ihm die letzten Momente.
    Seine Gedanken wanderten zu Sonja. Hoffentlich gelang es ihr, ein neues Leben anzufangen. Sich für immer vor diesen Mistkerlen zu verbergen. Er wünschte es ihr von ganzem Herzen. Auch, wenn er seine Gefühle im Verlauf der erzwungenen Trennung neu sortieren musste. Wahrscheinlich war es besser, wenn sie nicht mehr erfuhr, dass seine Liebe nur ein Strohfeuer war. Dass er seine Empfindungen für sie in dieser besonderen Situation falsch gedeutet hatte. Beschützerinstinkt... Zuneigung... Freundschaft...
    "Semir...", dachte er traurig. Zwar würde die Chefin irgendwann offen legen, dass er nicht die Seiten gewechselt, sondern einen Undercover-Einsatz durchgeführt hatte. Aber er hätte viel darum gegeben, nicht diese vergiftete Atmosphäre und all die unausgesprochenen Dinge zwischen ihnen hinterlassen zu müssen. "Es tut mir Leid", schickte er einen letzten Gruß an seinen Partner. Und an Charly...


    "Tja, das war´s dann, Kranich", kündete Koch seinen unmittelbar bevorstehenden Tod an. Die Stimme des korrupten Polizisten klang triumphierend. "Noch irgendwelche letzten Worte?", erkundigte er sich mit einem hämischen Grinsen. Tom verdrehte nur voller Bitterkeit die Augen. Was sollte er mit einem Klebestreifen vor dem Mund wohl von sich geben? Nicht genug, dass das Schwein ihn umbrachte - er verspottete ihn auch noch! Arschloch. Hoffentlich erwischte Förster ihn irgendwann...
    "Nicht? Okay..."
    Koch trat hinter Tom, setzte den Lauf der Waffe direkt auf das Genick seines Opfers und zählte: "Drei, zwei, eins..."
    Tom schloss die Augen, sein Magen krampfte sich zusammen. Dann fiel der Schuss.


    ***

  • Stille. Verwirrung. Müsste der Knall nicht viel lauter sein? Und er selbst im Gras liegen, ohne einen Hauch von Leben in sich? Oder doch nicht? Jemand stöhnte laut. Kranich drehte irritiert den Kopf. Und riss im nächsten Augenblick vor Überraschung die Augen weit auf. Koch lag schräg hinter ihm, presste beide Hände auf eine heftig blutende Wunde in der linken Seite.
    "Tom! Bist du okay?", drang eine vertraute Stimme an sein Ohr. Gleich darauf kniete Semir neben ihm, zog den Knebel ab, schloss die Handschellen auf und packte ihn bei den Schultern.
    "Mensch, sag was!", brüllte er ihn an. "Bist du verletzt?"
    Kranich schüttelte nur stumm den Kopf. Er schaute seinen Freund an. Tränen liefen ihm über die Wangen. "Semir... Ich...", stammelte er, bevor er schluchzend zusammensackte.


    Zehn Minuten später verließ ein RTW mit Koch an Bord den Schauplatz des Mordversuchs. Tom sß in eine Decke gehüllt in der offenen Schiebetür eines VW-Busses der PAST und schlürfte heißen Tee. "Wie gut, dass ich meine Thermoskanne noch im Auto hatte", bemerkte Bonrath lächelnd. "Der Melissentee tut dir bestimmt gut nach dem Schock!"
    Kranich nickte dankbar. "Ja, der ist gut für die Lebensgeister", best?tigte er. "Vor allem, wenn man nicht damit gerechnet hat, sie zu behalten!" Gerkhan und Bonrath tauschten einen verständnisvollen Blick. "Das war wirklich verdammt knapp", meinte Semir leise. "Ohne den Anruf hätten wir keine Ahnung gehabt, dass du in Gefahr bist. Geschweige denn, wo Koch dich..." Er stockte, bewegte noch die Lippen. Doch schließlich entschied er sich, lieber den Mund zu halten. Es war sicher besser, nicht in jedem zweiten Satz zu erwähnen, dass sein Freund so haarscharf am Tod vorbei geschrammt war wie noch nie...
    "Ach ja, der Anruf...", hakte Tom ein. "Wer hat dich denn informiert? Doch wohl kaum einer meiner ehrenwerten Kollegen. Geschweige denn, Theo..." - "Nein, es war eine Frau", berichtete Semir. "Sie sagte, dass Koch dich als Spitzel der Inneren entlarvt hat und hierher fahren würde." Kranich sah ihn erstaunt an. "Eine Frau"Hat sie einen Namen genannt?", wollte er wissen.
    "Nein; sie sagte nur, dass sie im "Blue Velvet" arbeitet, alles mitbekommen hat und nicht will, dass dir was passiert."Semir furchte die Stirn. "Sie meinte, dass sie mich informiert, weil sie wüsste, dass sie mir vertrauen kann. Dabei kenne ich doch gar keine der Damen dort."
    Tom sprang so heftig auf, dass der Tee überschwappte und ihm die Decke von den Schultern glitt. "Charly!", rief er entsetzt. "Wir m?ssen sofort hin, Semir! Wenn einer von denen erfährt, dass sie Koch verraten hat, ist sie tot!" Er stürzte so schnell zu Gerkhans BMW, dass seine Kollegen nur mit Mühe hinterher kamen. Gleich darauf brausten alle drei mit Höchstgeschwindigkeit zurück in die Stadt. Unterwegs informierte Kranich über Handy Anna Engelhardt und Paul Förster.


    ***

  • Zur gleichen Zeit, als eine SEK-Einheit die Werkstatt von Ingo Graumann stürmte, verteilte sich eine zweite Gruppe rund um den Club. Die inzwischen eingesetzte Dunkelheit erleichterte ihnen die Arbeit. Allerdings bedeutete die fortgeschrittene Uhrzeit auch, dass sich wahrscheinlich Freier im Geb?ude befanden. Sie mussten also mit äußerster Vorsicht vorrücken.
    "Ja?" SEK-Einsatzleiter Köhler lauschte konzentriert. Dann teilte er die neuesten Informationen mit. "In der Werkstatt hat alles wie am Schnürchen geklappt. Rothe, Schulz, Graumann und ein paar Mechaniker wurden verhaftet, der Mondeo sowie diverse weitere Fahrzeuge sichergestellt." Kranich lächelte kurz. "Sehr gut. Dann machen wir es den Kollegen doch gleich mal nach."
    Eine Minute später drangen die Beamten durch beide Zugänge gleichzeitig in den Club ein. Als erstes wurde Theo ohne viel Federlesens aus seinem Büro gezerrt und festgenommen. Wie erwartet gab es im Clubraum einigen Aufruhr unter den bereits anwesenden Gästen, aber auch bei den Mädchen. Doch sofort, als sie Tom erkannten und er ihnen bedeutete, ruhig zu bleiben, verhielten sie sich vorbildlich. Mucksmäuschenstill folgten sie einigen Polizisten nach draußen.
    Nur Teresa kam zu ihm und ließ sich auch von niemandem davon abhalten, ihm einen Kuss zu geben. "Schön, dass endlich mal jemand den Scheißladen aufräumt", flüsterte sie. "Aber sei auf der Hut, wenn du nach oben gehst. Pascal und Werner sind da." Ein besorgter Ausdruck stand in ihren Augen. "Theo hat Charly gezwungen, mit Pascal rauf zu gehen, Zimmer 14. Sie sind schon eine Ewigkeit weg. Ich habe Angst, dass er ihr so weh tut wie damals Sonja..."
    Mit einem entsetzten Ausruf schob Kranich Teresa beiseite und stürmte die Treppe hoch. Semir, Bonrath und mehrere SEK-Beamte rannten hinter ihm her, konnten ihn jedoch nicht einholen. Mit einem heftigen Tritt verschaffte er sich Einlass in den Raum. Was er dort vorfand übertraf seine schlimmsten Befürchtungen...


    ***

  • Charly hing bäuchlings über dem Bettgestell am Fußende, die Beine unnatürlich weit gespreizt und an den Eckstangen festgezurrt. Ihre Hände waren auf dem Rücken mit Handschellen gefesselt, von ihrem Hals spannte sich ein Strick zum Kopfende, um sie am Aufrichten zu hindern. Ein buntes Seidentuch knebelte sie. Ihr ganzer Körper war übersät mit blauroten Striemen, sie wimmerte vor Schmerzen.
    Pascal Meinert stand mit geschlossenen Augen hinter ihr, zu seinen Füßen lag eine kurze Lederpeitsche. Er stieß immer wieder brutal in sie, krallte seine Hände dabei tief in ihre Brüste. Dabei keuchte er dermaßen laut, dass er die veränderten Umstände nicht sofort registrierte. Und als er es tat, war es zu spät.
    Mit einem Schrei stürzte Tom sich auf ihn, riss ihn von Charly weg und zwang ihn zu Boden. Rasend vor Wut schlug er blindlings auf den Sadisten ein, bis mehrere Paar Hände ihn von Meinert herunter zerrten. "Hör auf, ehe du ihn umbringst!", beschwor Semir seinen Freund. "Das ist er nicht wert!2 Gemeinsam mit Köhler schob er Kranich weg und drückte ihn auf einen Sessel, während drei SEK-Kollegen Meinert aus dem Zimmer brachten. Bonrath war unterdessen dabei, Charly so behutsam wie möglich aus ihrer peinigenden Lage zu befreien.
    Ihr lautes Schluchzen, nachdem der Knebel entfernt war, holte Tom sofort aus dem Nebel des Zorns, der ihn eben noch gefangen hielt. Er ging zu ihr, nahm sie liebevoll in die Arme und wiegte sie wie ein kleines Kind. "Weine nur, mein Engel", brummte er leise. "Ich bin da. Dir geschieht nichts mehr. Niemals. Das verspreche ich!"


    ***

  • Tom stand vor dem Haupteingang des Clubs. Er war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, Charly ins Krankenhaus zu begleiten und dem Gefühl, für die Sicherheit der anderen Mädchen verantwortlich zu sein. Jetzt, wo ihre Zuhälter verhaftet waren, konnten sie unmöglich allein im "Blue Velvet" zurückbleiben.
    Die Konkurrenz schlief nicht und hatte ein gut funktionierendes Informationssystem. Sobald die Polizei abgerückt wäre würden die Nächsten auf der Matte stehen und sich den Club unter den Nagel reißen. Oder einen erbitterten Krieg um diese verwaiste Einnahmequelle vom Zaun brechen...
    Er blickte von dem RTW, in welchem Charly noch erstversorgt wurde, zu Teresa und ihren Gefährtinnen. Sie alle wirkten ratlos und ängstlich. Zwar hatten sie sich überschwänglich bei Tom und seinen Kollegen bedankt und waren sichtlich froh, Theo und die korrupten Bullen nicht mehr auf dem Hals zu haben. Doch was ohne offizielle "Beschützer" auf sie zu kommen würde wussten sie nur zu gut.
    Semir trat zu seinem Freund und klopfte ihm auf die Schulter. "Na los, fahr schon mit", forderte er ihn mit einem verständnisvollen Lächeln auf. "Ich sorge dafür, dass hier kein Unbefugter "reinkommt!" Kranich schaute ihn überrascht an. "Woher weißt du, dass ich mir darüber gerade den Kopf zerbreche?", wollte er wissen.
    "Ich kenne dich schon länger; vergessen?", meinte Gerkhan grinsend. "Schwirr ab, ich mache das mit Köhler und seinem Team klar, dass ein paar Leute vorläufig als Objekt- und Personenschützer eingesetzt werden." Tom umarmte seinen Freund spontan. "Danke...", flüsterte er gerührt. Dann lief er zum RTW und stieg schnell dazu, bevor die Türen geschlossen wurden.


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