Bluttat

  • Köln - 13:00 Uhr



    Tobias schwitzte. Seine Stirn war feucht, seine Handflächen schwitzten, während er sich schnell durch das Gebäude bewegte. Angespannt, immer auf der Hut und immer bereit, schnell und präzise den Abzug zu drücken. Nur noch wenig Munition... Sein Herzschlag beschleunigte. Mit einer schnellen Handbewegung wechselte der Jugendliche das Magazin und ging weiter. Hatte er dort aus dem Nebenraum etwas gehört? Sein Herz pochte bis zum Hals, als er sich der Türöffnung langsam näherte, und das Geräusch lauter wurde, je näher er kam. Er wusste, es gibt nur ihn oder mich, einer von ihnen würde jetzt gleich das Zeitliche segnen.
    Aber der 17jährige war geübt. Er ging in den Raum und hatte die Waffe schneller oben als sein Gegner. Zwei schnelle Schüsse aus seiner Pistole, die im Kopf des Jungens einschlugen, der hinter einem Schreibtisch kauerte und dort leblos zusammensackte. Hinter ihm spritzte das Blut an die Wand. Er erkannte das Gesicht, der 18jährige Christians aus der Paralellklasse, der beste Fussballer der Schule. In Tobias stieg eine wohlige Wärme, ein Gefühl der Zufriedenheit auf. "Na, wie ist es dort am Boden?", fragte er laut, bevor er den Abzug ein paar Mal betätigte und den leblosen Körper aufzucken ließ. Er drehte sich weg, verließ den Raum und lief weiter. Nur noch 5 Minuten, und er musste noch zwei von den Schweinen finden, die es auf ihn abgesehen hatten.



    Aus dem Zimmer heraus trat Tobias auf den Flur, lief dort an den großen Fenstern vorbei zur Toilette. Hier war Achmed aus der 12ten, ein gebürtiger Tunesier, aber seit seiner Kindheit schon in Deutschland. Tobias wusste, dass er an der Schule Drogen verkaufte und von kleineren Schülern Schutzgeld erpresste. Auch von ihm... doch damit war jetzt Schluß. Der Tunesier war nicht so schnell wie der junge Schüler, und das Waschbecken, an dem er zusammenbrach war blutbesuddelt. "Du mieser Wixxer. Mich hast du zum letzten Mal ausgenommen.", dachte Tobias als er mit weiteren Salven das Magazin in den leblosen Körper entleerte. Wieder stieg Zufriedenheit und eine merkwürdige Befriedigung, beinahe eine Befreiung in ihm auf, je länger er sich den Jungen am Boden besah.
    Er war völlig vertieft, als er den Raum verließ, dass er nicht merkte, dass jemand hinter ihm stand. Er war in einem Tunnel, in einem Rausch und in seiner eigenen Welt mit sich und seinen Widersachern. Erst als sich eine Hand auf seine rechte Schulter legte, schrak der junge Schüler auf.



    "Mama!! Musst du mich so erschrecken?", rief er und fuhr herum. Seine Mutter stand mit vorwurfsvoller Miene hinter ihm, und zog ihm mit einer Hand die dick gepolsterten Kopfhörer von den Ohren. "Kein Wunder, dass ich mir unten die Lunge aus dem Hals schreie, wenn du diese Dinger auf den Ohren hast.", sagte sie und legte den teuren Kopfhörer auf den Schreibtisch neben die Maus, auf der Tobias' feuchte Hand ruhte, beinahe verkampft das Spielgerät umklammert, den Finger am Abzug. "Ich wollte dir nur sagen, dass das Mittagessen fertig ist... glaubst du, du kannst dein Spiel mal für eine halbe Stunde zur Nahrungsaufnahme unterbrechen?" "Ja... ja, sorry... ich hab dich nicht gehört. Ich komm gleich runter." Mit zwei Klicks beendete er das Ballerspiel an seinem PC und atmete, unbemerkt von der Mutter die kopfschüttelnd zwei leere Flaschen neben seinem Tisch mit in die Küche nahm, einmal durch.
    Es war ihm immer etwas unangenehm, von seiner Mutter so überrascht zu werden. Nicht, dass er was peinliches tat... er spielte Ballerspiele wie vermutlich jeder zweite Jugendliche in seinem Alter auch. Unangenehm war ihm eher, wie ernst er dieses Spiel nahm, wie sehr er sich reinsteigerte... und die Tatsache, dass ihm sein Freund Niklas das Spiel umprogrammiert hatte. Statt vermummter Geiselnehmer, die seine Gegenspieler waren, waren es Leute, die er kannte, aus seiner Schule... die er hasste wie die Pest. Sollten seine Eltern das mal wissen, würde er sich wohl unangenehme Fragen gefallen lassen.



    Am Tisch saß bereits Tobias Vater, während die Mutter dem Mittagessen den letzten Schliff gab und dann mit zwei Töpfen zum Essenstisch kam. "So früh schon Schluß heute, Sohn?", fragte er und legte die Zeitung, die er heute morgen nicht zu Ende gelesen hatte, zur Seite. Er arbeitete bei einem Versicherungsunternehmen in verantwortlicher Position, verdiente gut und konnte es sich wegen seines kurzen Arbeitsweges fast jeden Tag erlauben, mittags daheim zu essen. Dass sein einziges Kind mit am Tisch saß war eine Seltenheit, meistens hatte er bis in den Nachmittag Unterricht, er war auf dem Weg zum Abitur. "Ja... weißt doch wie das ist am Ende des Schuljahres, wenn alle Arbeiten geschrieben sind, fällt hin und wieder mal ne Stunde aus.", sagte er und klang eher desinteressiert, als gäbe es für ihn nichts langweiligeres als sich mit seinem Vater über die Schule zu unterhalten.
    Und so verlief das Mittagessen von Tobias aus sehr schweigend, er hörte mit wenig Interesse dem Gespräch seiner Eltern zu und gab eher einsilbig Antwort, wenn sein Vater ihm ein paar Worte entlocken wollte... wenn man schon mal zusammen zu Mittag aß. Irgendwann wurde es aber auch dem Erwachsenen zu dumm, und er gab die Versuche schnell wieder auf, und sein Sohn dankte es ihm schweigend.



    Nach dem Mittagessen klingelte Tobias' Smartphone, gerade als er das Geschirr in die Spülmaschine räumte. Als Marvins Name darauf ließ, entschuldigte er sich bei seiner Mutter, da müsse er dran gehen. "Ja, geh nur. Ich schaff das hier alleine.", sagte die Frau und trocknete das restliche Geschirr selbst ab. Da ihr Mann so gut verdiente, konnte sie es sich leisten nur halbtags in ihrem Job als Buchhalterin zu arbeiten. "Hi Tobias, hier ist Marvin.", hörte er die aufgeregte Stimme seines besten Freundes am Telefon. "Ja, das hab ich auf dem Display gesehen. Was gibts denn?" "Ich hab den Schlüssel gefunden... ich weiß, wo mein Vater ihn aufbewahrt... wir können an die Sachen ran." Tobias sah sich kurz um... natürlich war seine Mutter weit genug weg, als dass sie Marvins aufgeregte Stimme hätte hören können. Damit aber auch er ungestört reden konnte, verschwand er mit schnellen Schritten in seinem Zimmer.
    "Das ist ja der Hammer. Und ist auch alles da, was wir brauchen?" "Auf jeden Fall. Für jeden eine und genügend Munition. Aber wir können nicht vorher üben... Papa guckt da jeden Tag rein und er würde sofort merken, wenn etwas fehlt oder weggenommen wurde. Wir können es erst holen, an dem Tag, wenn wir es machen." Tobias nickte unmerklich während er gedankenverloren auf der Tastatur drückte und mit einem Leuchten in den Augen sagte: "Und das wird bald sein..."

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen


    <3

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  • Hamburg - 13:30 Uhr



    Semir hatte in seinem Kleiderschrank vielleicht zwei Anzüge. Beide waren schwarz, der eine etwas teurer als der Andere. Warum er sich den Zweiten überhaupt mal zulegte, wusste er nicht mehr... vermutlich war ihm der Erste zu eng geworden. Er wusste aber, dass es nur zwei Anlässe gab, an denen er den Anzug aus dem Schrank nahm. Entweder waren es fröhliche Anläße, wie Hochzeiten, runde Geburtstage die etwas größer gefeiert wurden oder offizielle Anläße der Polizei, wie der alljährliche Ball bei dem sich allerlei Politikpräsenz die Klinke in die Hand gab, und zu dem Anna Engelhardt ihren Stellvertreter jedes Mal nötigen musste, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Dann stand Semir immer mit bittersüßer Miene an Stehtischen und wartete, bis er endlich nach Hause durfte.
    Oder aber, es waren traurige Anlässe zu denen er den schwarzen Anzug anziehen musste, meistens dann mit passender schwarzer Krawatte, und das waren zumeist Beerdigungen. Die improvisierte von André, die wirklichen von Tom und Chris... und jetzt, als er vor dem Hotelspiegel die Krawatte fachmännisch band, was er vermutlich gleich bei seinem Partner Ben ebenfalls machen musste, weil der es nicht konnte, musste der Anzug wieder zu dem traurigen Anlaß herhalten.



    Jenny hatte sie vor drei Tagen mit erschöpfter und trauriger Stimme angerufen. Timo sei nur wenige Tage, nachdem er, Ben und Kevin Hamburg verlassen hatten, verstorben ohne noch einmal aufzuwachen. Die inneren Verletzungen, die er durch den Schuss erlitten hatten, waren einfach zu schlimm. Ben und Semir waren gleichermaßen betroffen von der Nachricht und sagten sofort zu, zur Beerdigung zu kommen, schließlich hatten sie mit ihm zusammen gearbeitet, um Jenny zu finden. Die hatte noch Tage an Timos Bett gewacht und gebetet, dass er aufwachen würde.
    Kevins Reaktion war äusserlich distanziert, Ben hatte es ihm gesagt. Aber innerlich nagte Timos Tod an Kevin. Überhaupt war ihr Verhältnis in den wenigen Tagen, in denen die drei wieder zusammenarbeiteten, nachdem die Chefin in Absprache mit Ben und Semir die Entscheidung gefällt hatte, Kevin wieder seinen Job bei der Autobahnpolizei zurück zu geben, von Abstand und beinahe Misstrauen geprägt. Ben bezeichnet es mal, als würden sie sich nicht kennen, als wäre Kevin ein neuer unbekannter Kollege und keine der Seiten hatte ein Interesse daran, die jeweils andere Seite näher kennen zu lernen. War Kevin mit einem der beiden Polizisten zusammen auf Streife, herrschte eine kühle Atmosphäre, in der sich niemand wohl fühlte... ein völliger Gegensatz zu dem, was war wenn Semir und Ben zusammen im Auto saßen. Auch Ben konnte sich, entgegen seiner sonstigen Überzeugung, nicht dazu durchringen tiefergehende Gespräche mit Kevin zu beginnen, oder in vielleicht zu einer gemeinsamen Gitarren-Session zu überreden... der Schock und der Eindruck von Kevin aus dem Parkhaus saß einfach noch zu tief.



    Semir klopfte an Bens Hotelzimmertür, es wurde Zeit, aufzubrechen. Sie würden Jenny bei ihrer Wohnung noch abholen, und der erfahrene Polizist schaute in das völlig verzweifelte Gesicht seines Partners, der noch ohne Jackett aber mit völlig verknoteter Krawatte vor ihm stand. "Ich häng mich an dem Ding gleich auf...", jammerte er gespielt, und Semir zog missbilligend und kopfschüttelnd die Augenbrauen hoch. "Lass den Papa mal ran...", meinte er, entknotete die Krawatte komplett und zurrte fachmännisch einen perfekten Krawattenknoten zusammen. "Wird Zeit, dass du öfters wieder Uniform anziehst. Los, ab gehts... wir sind spät dran." Ein Satz, der für Ben, der chronisch zu spät kam, nicht neu war.
    Jenny war nicht der Typ Frau für lange Kleider... so hatte sie sich für eine dunkelblaue Jeans und einen leichten schwarzen Blazer entschieden. Es war ein schöner, beinahe schon warmer Frühlingstag und die Sonne strahlte vom Himmel, als wolle sie die kleine Trauergemeinde, die sich nach der Messe auf dem Friedhof versammelte, verhöhnen. Jenny aber wollte sich einbilden, dass es Timo war, der mit seinem Jugendfreund und seinen Eltern um die Wette strahlten, weil sie wieder vereint waren.



    Angehörige hatte Timo keine... die Eltern bereits tot, keine feste Freundin oder Geschwister. Im Prinzip lebte der junge Mann völlig allein für sich und lebte für seinen Beruf... was man aufgrund seines sonnigen Wesens nur schwer glauben konnte. Gregor wusste Bescheid um seine Situation, nahm sich dem Jungen aber nicht an, denn er spürte keine Verpflichtung für ihn. Und Schwandt, der Leiter der Dienststelle OK wusste mehr über seine Fallstatistiken als über seine Mitarbeiter. Seine Trauerrede vor dem Grab fiel kurz und allgemein aus, als hätte er sie sich im Internet ausgedruckt. Sie wurde Timo, da waren sich Ben, Semir und auch Jenny später, als sie zusammen in die Hamburger Innenstadt essen waren, gemeinsam einig.
    "Jetzt bin ich vor meinem Trauma in Köln nach Hamburg gezogen... jetzt habe ich hier mein Trauma, und das in Köln ist fort.", sagte die junge Frau nachdenklich. Sie hatte viele Tränen an Timos Bett vergossen, seine Hand gestreichelt und war im ewigen Gefühlschaos gewesen. Sorge um Timo, Trennung von Kevin, Wut auf Kevin, Sehnsucht nach Kevin und wieder Sorge um Timo. Heute kamen ihre Gefühle nochmal kurz, als sie den hellen Sarg im Boden verschwinden sah, und Bens Arm um ihre Schulter vermittelte soviel Trost und Sicherheit, die ihr in den letzten Tagen gefehlt hatte. "Ich kann verstehen, wenn es dir momentan sehr schwierig erscheint, nochmal mit Kevin zusammen... also... zu arbeiten.", sagte Semir vorsichtig. "Aber du weißt, dass dein Platz bei uns immer frei sein wird. Die Chefin wird das genauso sehen." Jenny nickte dankbar und lächelte...



    Um die gleiche Zeit schob in Köln ein junger Mann mit tättowiertem Unterarm eine Kiste unter den Tisch. Das Tattoo war neu, noch leicht gerötet und recht simpel. Es waren zwei Striche, nebeneinander, leicht wackelig und nicht ganz gerade... wie eine Aufzählung, bei der man nach vier Strichen einen Schrägstrich zog. Semir hatte das Werk regestriert, Ben dagegen neugierig nachgefragt... doch die Bedeutung behielt der junge Polizist für sich. "Jetzt bin ich schon das zweite Mal hier...", sagte er mit leicht schief angelegtem Kopf wobei seine abstehenden Haare sich leicht mit bewegten. Ben beäugte die Antwort misstrauisch, denn er wusste, dass es je nach Zählweise bereits das dritte oder vierte Mal war... und dass sich Kevin so etwas Triviales wie die Aufenthalte bei einer Dienststelle sicher nicht auf den Arm tätowieren würde.
    Kevin wäre gerne auch mit nach Hamburg gefahren und wollte zeigen, wie leid ihm die Sache um Timo tat. Aber weder Ben noch Semir hielten es für eine gute Idee, wenn der Mann bei der Beerdigung auftauchte, der den Tod des jungen Polizisten hätte verhindern können. Auch wollten sie Jenny eine neue Konfrontation ersparen und die Chefin verhängte Sonderschichten für den jungen Polizisten... Urlaub oder Krankmeldung nicht akzeptabel. Und er hielt sich daran... vor allem aber um Jennys Willen, obwohl er die Frau, mit der er vor seinem unseeligen Kolumbientrip glücklich zusammen war, bitterlich vermisste. Und genau an sie dachte er in diesem Moment, als er in seinem neuen Büro im kurzärmeligen Shirt am Schreibtisch saß, die Ellbogen auf den Tisch und das Kinn auf die Fäuste gestützt, während mein sein Strich-Tattoo gut sehen konnte... als warte es darauf, bald einen dritten Strich zu bekommen...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen


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  • Vorstadt - 15:00 Uhr



    Thomas spürte die angenehm warme Frühlingsluft auf dem Gesicht, als er mit dem Fahrrad durch die Straßen des großen Wohngebiets fuhr. An Vorgärten und hochwertigen Wohnhäusern vorbei, nahm er Kurs auf das Haus seines Freundes Jens. Jens war ein kluger Kopf, für sein Alter ein Ass in Chemie und Physik. Er hatte immer etwas, was mit diesen Themen zu tun hatte im Kopf und konnte sich nur schwer davon trennen, auch mal an etwas anderes zu denken. An den Hobbys anderer Jugendlicher hatte er meist kein Interesse. Der Schüler verbrachte seine Freizeit zu Hause, las Fachbücher über Physik und Chemie oder werkelte in der Garage an allerlei Dingen.
    So auch heute. Thomas bremste in der Kieseinfahrt seinen Drahtesel ab, wobei er mit dem Hinterrad eine Spur durch die Kieselsteine zog. Mit dem Fuß schüttete er die Furche wieder zu, weil er wusste dass Jens' Vater ziemlich akkurat und empfindlich reagierte, wenn sein englischer Rassen nur zwei Centimeter zu hoch wuchs, oder ein Kieselstein nicht genau im Winkel zu den anderen lag. Mit knirschenden Schritten ging er zum Garagentor und klopfte dreimal, wartete kurz, und klopfte wieder dreimal.



    Mit surrendem Geräusch setzte sich der elektronische Garagenöffner in Gang und ließ Tobias eintreten. Die beiden Jungs begrüßten sich, Jens blieb auf seinem Drehstuhl, von dem er die Lehne abmontiert hatte sitzen und rollte von einem Schreibtisch, auf dem er ein Laptop stehen hatte, zu einer Werkbank auf dem einige seltsame Apparaturen lagen. "Und, wie läufts?", fragte Tobias und sah sich in der Garage um. Er sah die Apparaturen, Drähte und Platinen, ein pinkes Päkchen. "Ich hätte nicht gedacht, dass man im Darknet so einfach Anleitungen findet und sich die passenden Zutaten dazu schicken lassen kann...", sagte der Bastler verblüfft und nahm fachmännisch den heißen Lötkolben zur Hand. "Danke, dass du mir das eingerichtet hast."
    Tobias stand schräg hinter ihm und lächelte, wobei seine Augen funkeln. "Bist du sicher, dass du mitmachen willst?", fragte er Jens, als sei der sich selbst noch nicht sicher darüber gewesen. In Wahrheit traute Tobias dem manchmal sensibel und scheu wirkenden Jens das, was sie vorhatten, einfach nicht zu. Und auch die Stimme, mit der der junge Bastler antwortete, empfand Tobias als wackelig, entgegen des Inhalts: "Den Typen in den Arsch treten? Da kannst du Gift drauf nehmen." Er grinste, fragte noch ob bei Marvin alles klar sei, was Tobias bejahte. Dann ging Jens stumm seinem Hobby weiter nach.




    JVA - 13:00 Uhr am nächsten Tag



    Die schweren Türen der JVA öffneten sich vor Kevin und er trat von einer bekannten in die andere bekannte Welt... und das nicht nur, weil er Polizist war und öfters Insassen der JVA vernehmen oder besuchen musste, sondern weil er selbst schon hier drin war. Ein paar Tage nach dem Anschlag auf ihn, als die Polizei ihn nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus kurzzeitig als Verdächtigen festnahm. Angeblich soll er bei dem Anschlag auf die mitgeholfen haben, sogar unter Mordverdacht stand er. Es sei danach eskaliert und seine eigenen Freunde hätten ihn auch umbringen wollen... für Kevin an den Haaren herbeigezogen und nur schwer zu ertragen. Das zweite Mal, als er unter Verdacht stand einen jungen Kommissarsanwärter erschlagen zu haben, der einen Tag davor Jenny vergewaltigt hatte, war er auch ein paar Tage in dieser Anstalt, und fand seinen alten Freund Jerry wieder. Und zu dem war er jetzt unterwegs.
    An der Pforte zeigte er seinen Dienstausweis vor, bekundete sein Anliegen Jerry zu besuchen und wurde durchgelassen. Es war beinahe üblich dass das Überwachungspersonal nach kurzer Bitte den Raum verließ, wenn der Besucher Polizist war, und noch dazu im Dienst war.



    Jerry grinste, als er sich Kevin gegenüber an den Tisch saß... die Haare etwas länger als zuvor, ein wenig müde wirkend. "Kevin, was für eine Überraschung. Ich hab gehört, du seist tot." "Ich habe gehört, du würdest leben.", sprach ihn der junge Polizist auf die leichte Blässe an. "Ach... hatte ne Blinddarm-OP. Das Alter... du kennst das.", meinte er und lachte. Dann lehnte er sich zurück, zündete sich eine Zigarette an und legte die Beine übereinander. "Was verschafft mir das Vergnügen deines Anblicks?"
    Kevin beugte sich ein wenig über den Tisch und sein Gesicht wurde ernst. "Patrick ist tot." "Patrick?", wiederholte Jerry etwas leiser und auch sein Gesicht wurde ernst. Ohne, dass Kevin weitere Details bekannt gab, bemerkte er sofort in Jerrys Verhalten eine Veränderung. Die Lockerheit war weg, seine Stirn zog sich in Falten. "Hast du...?", fragte er leise und abwartend, als er bemerkte dass auch Kevins Ausdruck erhärtete, seine Sympathie gerade verloren ging. "Du hast es also gewusst?" Jerry seufzte... und nickte. "Ja hab ich. Schon als du im Knast warst.", ließ er heraus und Kevins Blick wandelte sich ins Fassungslose...



    "Warum hast du es mir nicht gesagt?", zischte er hörbar wütend seinem Freund und ehemaligen Mentor entgegen. "Weil ich wusste, was du dann tust, sobald du hier raus bist. Nachdem du erzählt hast, was mit Peter Becker passiert ist, hielt ich es für besser. Um dich zu schützen." Kevin sah zur Seite, als würde ihn das beruhigen und tippte mit den Fingern auf dem Tisch herum. Er konnte seine Wut in diesem Moment schlecht verbergen. "Sag mal, wie alt bin ich eigentlich?", fragte er sarkastisch. "Scheinbar nicht alt genug um zu wissen, dass Rache kein guter Begleiter ist." Irgendwo hatte er diese Worte schon einmal gehört... sie kamen von einem bärtigen Mann mit dickem Bauch in Uniform, und er sagte sie vor über einem Jahr, als Peter Becker noch lebte.
    "Was ist mit Timmy? Ist der wirklich durch einen "Unfall" hier ums Leben gekommen, oder war das auch eine Lüge?" Timmy hatte damals den drei Angreifern den Tipp gegeben, dass Kevin nicht mehr ganz klar in der Birne war und seine Schwester jetzt nach Hause brachte, damit sie ihm auflauern konnten. "Erstmal habe ich dich bei Patrick nicht belogen, sondern einfach nicht die Wahrheit gesagt." Für solche Spitzfindigkeiten hätte Kevin seinen Freund schon vor 15 Jahren erwürgen können. "Und nein... bei Timmy habe ich dir die Wahrheit gesagt. Timmy ist Wurmfutter, und er hat es verdient." "Aha... aber Rache ist kein guter Begleiter, was?" "Das war keine Rache, sondern längst fällig. Der Typ war ein Kriecher."



    Für ein paar Augenblicke schwiegen die beiden Männer. Kevins Puls beruhigte sich langsam, aber er war immer noch erregt von der Tatsache, dass sein bester Freund ihn in so einer Sache belogen hatte... oder zumindest nicht die volle Wahrheit gesagt hat. Jerry war es unangenehm, und er verbuchte es als Fehler. Ehrlichkeit war das Wichtigste für Kevin, die Grundlage für sein Vertrauen. "Wer war der Dritte?", fragte Kevin dann plötzlich und sah Jerry an. "Ich weiß es nicht." "Jerry...", sagte der Polizist warnend, als würde er schon wieder eine "Unehrlichkeit" hinter der Aussage des JVA-Insassens vermuten. "Kevin, ich schwöre dir... es tut mir leid, dass ich dir nicht die Wahrheit gesagt habe. Aber ich hatte Angst, dass du Unsinn machst. Ich war damals überzeugt, dass du unschuldig bist und wusste, dass du da draussen eine Chance hast. Die hättest du dir mit einem Mord völlig verbaut."
    Kevin atmete durch... damals, als er aus dem Knast rauskam, war er gefestigt... er hatte Vertrauen zu Semir und Ben, und die Beziehung zu Jenny stand kurz vorm Anfang. "Wenn du es damals gesagt hättest... wäre vielleicht gar nichts passiert." "Und was ist jetzt passiert? Warum hast du ihn umgebracht?" Kevin sah seinen Freund an und erzählte, was in den letzten Tagen vorgefallen war... danach musste Jerry erstmal durchatmen.



    "Janines Erinnerung wird erst positiv, wenn die Kerle tot sind. Dann kann ich mit ihr leben, vorher geht es nicht.", sagte Kevin mit bitterer Stimme und sah Jerry fest an. Der konnte die Sichtweise zwar verstehen, aber er fand sie nicht gut. Sie war ein Schlag in die Magengrube. Kevin würde noch einen Mord begehen... aber diesmal sagte Jerry die Wahrheit: "Ich weiß es nicht. Wirklich nicht, Kevin. Ich würde es dir sagen, wenn ich es wüsste, aber ich weiß es nicht." Er sagte die Wahrheit, das spürte der Polizist. Lügen konnte er wirklich nicht gut... damals sagte er schlicht nicht alles, und Kevin hatte ihn auch nicht gefragt.
    Die beiden verabschiedeten sich und bevor der junge Polizist den Raum verließ, hielt Jerrys Stimme ihn noch kurz zurück: "Mach keinen Scheiss, Kevin. Lass den dritten Strich von deinem Unterarm weg... er ist es nicht wert, was du verlierst... glaub mir."

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    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

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    Wie sie.


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  • Köln - 13:30 Uhr



    Kevin war noch aufgewühlt von dem Gespräch mit Jerry, als er in der Kölner Innenstadt von einer roten Ampel an die nächste rollte. Er war aufgebracht, irgendwie wütend auf seinen Freund, dass er ihn hinsichtlich der Mörder von Janine belogen hatte... zumindest in Bezug auf Patrick. Aber hätte er sich ausgerechnet daran erinnert, bei seinem Gedächtnisverlust? Hätte er Patrick vielleicht vorher schon gefunden? Kevin spinnte den Gedanken weiter... hätte er Patrick vorher gefunden, festgenommen oder getötet... wer hätte ihn dann gefunden nach seinem Total-Blackout aus Kolumbien? War es vielleicht eine glückliche Fügung, dass Jerry nichts gesagt hatte? Allerdings wäre dann vor allem Jenny einiges erspart geblieben... nein, glücklich war das sicher nicht. Es war nur eine andere Art von Übel.
    Der Gedanke an Jenny ließ Kevin sofort traurig werden. Er hatte gedacht, dass er es wegstecken könnte... oder dass sich der Verlust in Wut und Sucht niederschlagen würde. Doch er irrte. Wo er all die Jahre Schmerz und Trauer mit Alkohol, Zigaretten und Drogen betäubte, funktionierte es bei Jenny nicht. Lag er schlaflos im Bett und dachte an die junge Polizistin, spürte er nicht das geringste Verlangen nach Alkohol oder Tabak... noch weniger nach kleinen Helferpillen. Es war, als sei alleine die Tatsache dass Jenny ihm damals nach seinem heftigen Absturz, ohne Kompromisse helfen wollte, immer noch verantwortlich dafür, dass er von seiner Sucht die Finger ließ. Zumindest, wenn der Kummer wegen der Trennung verursacht wurde.



    Das Hupen hinter ihm, weil er an der grünen Ampel nicht anfuhr, weckte ihn aus seinen Tagträumen. "Ja ja...", grummelte er mit Blick in den Rückspiegel, bevor er hastig anfuhr. Die Stimme aus dem Radio, die gerade die Verkehrsmeldungen vorlas, ließ ihn wieder vollends in die reale Welt zurückkehren. "... Vollsperrung nach einem schweren Verkehrsunfall mit mehreren Fahrzeugen auf der A57 vor Roggendorf. Es sind bereits mehrere Kilometer Stau in beide Richtungen zusammengekommen...". Auf der engen Autobahn kam es häufiger zu Unfällen, aber ein Massencrash bei diesem schönen Wetter... komisch. Kevin griff zum Funkgerät um nach zu hören, ob seine Kollegen Verstärkung bräuchten... und um sicher zu gehen, dass er bei seinem Privatbesuch im Gefängnis keinen Funkspruch überhört hatte.



    Am Unfallort hörte Ben aus der offenen Fahrertür das Knarzen des Funkgerätes sowie Kevins Stimme. "Cobra 11 2 ruft Cobra 11 1, kommen? Braucht ihr Unterstützung?" Ben stand im Shirt in der Sonne, denn es war ungewöhnlich warm für den mittleren März, während Feuerwehr, THW und Krankenwagen herumwuselten. Mehrere zusammengeschobene PKWs, eine durchbrochene Mittelleitplanke und zwei LKWs mit Totalschaden standen herum. Ben und Semir waren zur Aufnahme und Koordination gerufen worden, würden aber abwarten müssen bis die Verletzten aus ihren Autos befreit wurden. Der junge Polizist ging zurück zum Wagen, öffnete die Fahrertür und griff in das Innere, um das Funkgerät zu greifen. "Hier Cobra 11 1... bräuchten wir schon, aber du wirst uns nicht erreichen. Es staut sich bereits bis nach Köln, und hier gibts keinen Standstreifen... und auf ne Rettungsgasse kannst du bei dem ignoranten deutschen Autofahrer lange warten.", sagte Ben durchs Funkgerät. "Ausser du kommst von der anderen Seite und die Ausfahrt dahinter... aber eigentlich..."
    Im Hintergrund konnte Kevin in seinem Wagen die aufgeregte laute Stimme von Semir hören. "Was ist denn los bei euch?" Ben blickte rüber zur Beifahrertür, wo Semir mit dem Handy am Ohr stand, laut redete, mit der freien Hand gestikulierte als zeichnete er ein Bild und immer ein paar Schritte hin und her ging.



    "Andrea, ich kann hier nicht weg. Kann sie nicht mit dem Bus fahren? Wieso hat sie ihr Handy nicht an?" Er schnaubte, sah zu Ben und verdrehte die Augen. "Wir haben hier ne Vollsperrung und 7km Stau. Ich weiß, dass du nicht einfach aus der Schulung kannst. Wieso kannst du telefonieren? Achso, ihr habt 5 Minuten Pause. Was ist mit deinen Eltern? Achja, Kreuzfahrt... ich weiß. Herrje... was soll ich denn machen." Ben grinste und führte das Funkgerät wieder Richtung Mund. "Ayda scheint Schulschluß zu haben und im Hause Gerkhan ist niemand da, der sie abholen kann. Semir organisiert." "Hört sich eher nach Katastrophenfall an.", merkte Kevin schnippisch an und sorgte bei Ben für ein Grinsen... der Polizist hatte das Gefühl, einen ganz leichten Schwung von guter Laune, Unbeschwertheit und kippender Distanz bei Kevin zu hören... und spürte sofort bei sich selbst, dass ihm das nicht angenehm war.
    "Ich bin gerade in der Innenstadt. Ich kann sie doch abholen.", hörte Ben dann plötzlich die Stimme seines Partners, dem er wie auch Semir in letzter Zeit so wenig Vertrauen entgegen brachten. "Ähm... ich weiß nicht... also... das muss ich Semir fragen. Moment." Ben konnte nicht genau sagen warum er gerade ein penibel schlechtes Gefühl hatte. "Semir?" "Moment...", winkte der ab. "Ja... ja... dann weiß ich auch nicht. Wenn sie merkt, dass keiner kommt, wird sie ihr Handy schon einschalten oder selbst mit dem Bus fahren. Sie ist ja nun keine 6 mehr." Ayda war bereits 12, ging seit dem letzten Sommer auf ein Gymnasium und wurde trotzdem öfters noch von ihren Eltern abgeholt. Manchmal war ihr das peinlich weil viele ihrer Freundinen selbstständig mit dem Bus nach Hause fuhren. Heute hatte sie Theater AG und deshalb länger Schule. Von ihrem Koma vor einem Jahr hatte sie sich gut und vollständig erholt, auch wenn es ihr schwer fiel und sie einigen zu Beginn verpasst hatte.



    "Semir!?" "Was ist denn?", fragte der leicht genervt, nachdem er das Telefonat beendet hatte. "Kevin ist am Funk... er hat mitbekommen, was los ist und hat... ähm... er ist gerade in der Innenstadt und hat gefragt, ob er Ayda abholen soll." Dabei hatte er nicht den Finger auf dem Sendeknopf, so dass Kevin die unsichere Stimmlage von Ben nicht mitbekam. Semir sah seinen Partner an, und plötzlich erwischte er sich bei Gedanken, die er sich vor einigen Monaten nicht mal getraut hätte, nur zu denken. Kevin hatte sein Leben riskiert um Ayda aus den Fängen eines Gangster-Trios zu retten. Kevin war Polizist... er hatte seine Schwester verloren und wusste am besten, wie sich Verlust anführlte.
    Aber er wusste auch dass Kevin anfällig war für Rachegedanken... und dass sowohl dass er selbst nicht unbedingt dafür waren, dass Kevin noch einmal eine Chance auf der Dienststelle erhielt. Nur, wusste das auch Kevin? Aber was sollte er schon tun? Nein... nein, das würde er nie... würde er nie? "Semir, was ist?" "Ben... halt mich für ein Vollidiot, aber mir gehen gerade die merkwürdigsten Sachen durch den Kopf, wenn ich dran denke, dass Kevin meine Tochter von der Schule abholt.", sagte er offen und ehrlich zu seinem Partner, kam um den Wagen herum und stellte sich zu Ben an die Fahrertür. "Ja, so ganz wohl war mir auch gerade nicht... aber wenn wir mal ehrlich sind... das würde Kevin niemals tun." Die beiden sahen sich an. "Oder?"



    Plötzlich schlug Ben gegen das Lenkrad im Auto. "Spinnen wir? Wir reden hier von Kevin! Er hatte sein Gedächtnis verloren, aber jetzt zieht er wieder klar. Von mir aus hat er ein Drogenproblem oder Rachegefühle gegen die Mörder seiner Schwester, aber doch nicht gegen uns. Doch nicht gegen dich.", sagte er laut, als hätte er gerade einen imaginären Schlag gegen den Hinterkopf wegen seiner Zweifel bekommen. Semir hatte diesen Schlag nicht bekommen, und seine Augen drückten immer noch Skepsis aus. Er würde umkommen vor Gram, wenn er diese Situation falsch einschätzte, und seiner Tochter würde ewas passieren. Umgekehrt genauso würde er sich grämen, wenn Ayda auf dem Heimweg alleine was zustoßen würde... und er schätzte diese Gefahr größer ein, als die Hirngespinste um Kevin... er nickte. Danach gab Ben die Adresse von Aydas Schule per Funk durch, und der junge Polizist machte sich auf den Weg.

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  • Dienststelle - 14:10 Uhr



    Semir und Ben waren mit den Rettungskräften ein eingespieltes Team. Zu oft sahen sie sich und arbeiteten miteinander, man kannte sich und wusste genau, wie der andere tickte. Nur selten gab es unangenehme Überraschungen, wenn beim Rettungsdienst Azubis mitfuhren und deren Magen für Unfallopfer noch nicht wirklich ausgelegt war. Dann gab es meist noch den ein oder anderen mehr zu versorgen, vor allem Unfälle, bei denen Motorradfahrer und LKWs beteiligt waren, konnten manchmal hässlich sein. Als das Gröbste bereinigt war, konnten die beiden Autobahnpolizisten allerdings aufbrechen und übergaben die Einsatzleitung an Hotte und Dieter, die noch vor Ort blieben bis der letzte Unfallwagen abtransportiert war. Die Autobahn war mittlerweile einspurig auf beiden Seiten wieder passierbar und die Autobahnmeisterei begann bereits, die Mittelleitplanke zu reperarieren.
    Semir fühlte sich unwohl. Er konnte gar nicht genau sagen woher diese Unwohlsein stammte, was es auslöste... oder wollte er es nicht sagen? Denn immer wieder erwischte er sich bei Gedanken, die er eigentlich gar nicht denken wollte. Denn er hätte sich nicht im Traum vorstellen können, wie tief das Misstrauen Kevin gegenüber sein konnte, wenn sein Hirn ihm diesen Streich spielte und ihm alarmierende Gedanken, Ideen und Bilder in seinem Kopf vorgaukelte. Ja, er fühlte sich unwohl, weil er Kevin misstraute, aber das wollte er noch nicht wahr haben.



    Noch während sie unterwegs zurück zur Dienststelle waren, griff der Familienvater zu seinem Handy um seine Tochter anzurufen. Wenn Kevin sie direkt nach ihrem Telefonat abgeholt hatte, wenn er in der Innenstadt war, müsste er sie längst zu Hause abgesetzt haben. Seine Stirn legte sich in Falten, als nur die Mailbox dranging, und er kurz die liebliche Stimme seiner Tochter hörte, die fröhlich sagte dass man ihr eine Nachricht hinterlassen sollte. Semir steckte das Handy zurück in die Hosentasche und räusperte sich nur, während Ben herüber zu seinem besten Freund sah. Er meinte, Sorgenfalten zu sehen und dass er aus dem Fenster sah. "Alles klar?" "Ja ja...", war die kurze Antwort. Ben verzog das Gesicht zu einer Schnute... sie kannten sich so lange, sie kannten sich in und auswendig... warum machten sie sich, wenn sie Sorgen oder Probleme hatten, immer noch etwas einander vor?
    Als Ben den Mercedes auf den Dienstparkplatz abstellte, drückte Semir die Wahlwiederholtaste. Wieder nur die Mailbox... die Sorgenfalten wurden tiefer. Er tippte in WhatsApp eine Nachricht an seine Tochter. "Melde dich mal bitte kurz." Ein grauer Haken bestätigte, dass die Nachricht abgeschickt wurde. Als er das Handy auf den Schreibtisch legte, kurz zur Toilette ging und einige Minuten später zurückkam um auf das Handy zu sehen, hatte sich der Status nicht geändert... die Nachricht war zwar verschickt, aber nicht an Aydas Handy ausgeliefert. Der dritte Anruf endete ebenfalls sofort wieder bei der Mailbox.



    "Das gibts doch nicht...", murmelte der erfahrene Polizist. "Was ist denn los, sag mal?", fragte sein Partner wieder vom anderen Ende des Schreibtisches. "Aydas Handy scheint ausgeschaltet zu sein." Semirs ernster Blick traf seinen Partner, bevor er mit ein paar schnellen Schritten an der Bürotür war, um quer durch das Großraumbüro zu gucken. Durch die Glasscheiben erkannte er, dass Kevins Büro leer war. Er biss sich auf die Lippen. Ben bemerkte die Geste, bemerkte Semirs Unsicherheit... und obwohl sein eigenes Vertrauen in Kevin einen schweren Schaden erlitten hatte, sah der junge Polizist die Dinge noch etwas realer. "Semir, du siehst Gespenster. Vielleicht ist ihr Akku leer." "Akku leer? Man merkt, dass du keine Teenies zu Hause hast."
    Semir brummte, als er sich zurück auf seinen Platz setzte. "Ayda lädt ihr Handy jede Nacht auf. Akku leer... eine Katastrophe. Wieviel WhatsApp-Nachrichten man da von der Freundin verpasst." Er atmete hörbar aus und fuhr sich mit beiden Händen über den Kopf. "Nen Haustürschlüssel hat sie doch, oder?", fragte Ben, als ihm die Stille zu unangenehm wurde. "Na klar...", war die kurze Antwort.



    Semirs Gedanken waren absurd... mit einem klaren, absolut rationalen Blick würde er das Gleiche sagen. Er war geschult darauf, bei Vermisstenfällen erst einmal alle rationalen Gründe für das Verschwinden auszuschließen. Welche logischen Erklärungen gab es, dass ein Kind oder ein Jugendlicher nicht zu Hause auftauchte. Nur die wenigsten fielen wirklich einem Verbrechen zum Opfer. Meist gingen sie halt noch weg, ohne Bescheid zu sagen. Verspäteten sich, waren im Funkloch, das Handy verloren oder kaputt... oder tatsächlich das Akku leer. Es gab soviele Möglichkeiten, die erklärbar waren, ohne dass die Verschwundene sofort entführt worden ist.
    Doch Semir war vorbelastet... Ayda war erst vor knapp einem Jahr entführt worden und von Semir, Ben und Kevin gerettet. Seitdem war Semir viel wachsamer, was seine Kinder anging. Natürlich war er kein Helikoptervater, er versuchte mit der nötigen Vernunft Ayda einen normalen Freiraum in ihrem Alter zu lassen. Trotzdem war die Angst gestiegen, dass so etwas nochmal vorkam. Und jetzt, dieses Misstrauen in Kevin, diese Angst um seine Tochter und nun die komische Situation, dass ihr Handy ausgeschaltet war... es war einfach zu viel. Der Kopf spielte Semir Streiche und gegen die negativen, beängstigenden Gedanken, konnte er sich nicht wehren. Er nahm das Handy in die Hand und drückte die Wahlwiederholungstaste... wieder Mailbox. Als bei Kevins Nummer ebenfalls direkt die Mailbox dranging, spürte er, wie sich sein Puls beschleunigte.



    "Kevins Handy ist auch ausgeschaltet...", sagte er zu Ben, der von seinem Bildschirm aufsah. "Vielleicht fahren beide gerade im Funkloch?" "Ja klar... vielleicht fahren sie nach Österreich, gerade durch nen Tunnel. Meine Güte Ben... von der Schule bis nach Hause ist es mit dem Auto ne Viertelstunde... durch Stadt und Wohngebiet, da gibt es kein Funkloch. Und jetzt versuch mir bitte nicht zu erklären, dass beide Handys leer sind oder zufällig gleichzeitig kaputt gegangen sind." Ruckartig stand Semir von seinem Stuhl auf und zog sich die leichte Jeansjacke über. "Was ist denn jetzt? Wo willst du hin?" "Ich fahr nach Hause nachsehen, ob meine Tochter da ist." "Ruf doch auf dem Festnetz an.", sagte Ben kopfschüttelnd und zeigte mit der Hand auf sein Telefon.
    "Wenn Ayda in ihrem Zimmer sitzt und Musik hört, hört sie das nicht. Ich fahr jetzt nach Hause.", sagte der erfahrene Polizist entschlossen und verließ das kleine Büro. Ben sprang auf und folgte ihm: "Warte doch!" Dass sich in der Dienststelle etwas Hektik breitmachte, die nicht den beiden galt, merkten sie nicht.

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen


    <3

  • Semirs Haus - 14:30 Uhr



    Wenn Semir in normalem Tempo morgens zur Arbeit fuhr, brauchte er normalerweise eine Viertelstunde, je nach Verkehr. Jetzt beeilte er sich... zur Einsatzfahrt fehlte nur, dass er die rote Ampel missachtete und das Blaulicht einschaltete. Er war wütend auf sich... einerseits, weil er entgegen seinem Bauchgefühl vor einer Stunde gehandelt hatte und andererseits weil ihn das fehlende Vertrauen, das große Misstrauen Kevin gegenüber selbst ärgerte. Aber er konnte nicht aus seiner Haut und Gefühle ließen sich nicht ignorieren. Zu sehr war er nach der Entführung vor knapp einem Jahr gebranntes Kind, zu frisch die Erinnerungen daran, als er hilflos mitansehen musste, wie der vermeintliche Entführer mit den Beamten im Verhörzimmer Katz und Maus spielte, beharrlich schwieg und keinerlei Infos über den Aufenthaltsort seiner kleinen Tochter preisgab. Hilflos, wie er sie beobachtete, im Koma liegend... nicht wissend ob sie jemals wieder aufwachen würde.
    Dieses Gefühl der Hilflosigkeit verfolgte ihn hin und wieder in seinen Träumen. Dann wurde der erfahrene Polizist schweißgebadet wach und brauchte meist eine Zeitlang, bis er wieder in den Schlaf fand. Eigenartigerweise beschäftigte ihn das schlimmere Trauma um ihn selbst ein paar Wochen später nicht so lange und nachhaltig, wie die Entführung seiner Tochter.



    Und angespannt war er. Angespannt, als er den BMW in der Einfahrt zu seiner Garage vor dem kleinen aber schicken Einfamilienhaus anhielt. Mit schnellen Schritten waren die beiden Kommissare an der Haustür, mit zittrigen Fingern suchte Semir den Zugang seines Schlüssels ins Schloß, um die Haustür aufzusperren. Es kam ihm vor, als schlüge ihm eine Kälte aus dem Haus entgegen, obwohl die Temperatur völlig normal war, und ohne zu wissen, dass das Haus tatsächlich menschenleer war, spürte er es sofort. "Ayda?", rief er einmal in den Flur, einmal ins Wohnzimmer und ging dann mit schnellen Schritten die Treppe hinauf ins Kinderzimmer. Doch auch das war leer.
    "Scheisse...", murmelte er niedergeschlagen und nervös. Die Schlinge um seinen Bauch zog sich immer weiter zu und sein Puls beschleunigte sich. "Und?" "Nichts...", war Semirs kurze Antwort, als er die Treppe wieder zu Ben kam. "Kann es sein, dass sie noch zu einer Freundin ist?" Der Familienvater schüttelte den Kopf: "Dann schreibt sie uns das... und wenn ihr Handy wirklich leer wäre, hätte sie es hier aufgeladen, bevor sie ging... oder einen Zettel hingelegt. Sie ist da sehr genau."



    Die beiden Männer setzten sich ins Wohnzimmer auf die Couch-Landschaft. Ben begann selbst langsam zu zweifeln... wo sollte Kevin mit Ayda hin? Was konnte ihnen dazwischen kommen? Die beiden Polizisten hatten auf dem Weg die Verkehrslage bei Hotte abgefragt... nirgends in der Innenstadt gab es Stau. Es gab zwar einen, scheinbar etwas größeren Einsatz in Köln, aber der war nicht zwischen Aydas Schule und ihrem Wohnhaus. Also konnten sie auch nicht im Stau stehen. Traute er Kevin so etwas zu? Eine Entführung? Eine Entführung von Semirs Tochter? Mittlerweile traute der junge Polizist seinem schweigsamen Partner einiges zu... und er war selbst auch nicht völlig von Jennys Version der Notwehr im Keller überzeugt. Aber seine Skrupellosigkeit richtete sich vor allem gegen seine Feinde... aber nicht gegen seine Freunde.
    "Nur mal angenommen... Kevin hätte Ayda tatsächlich... entführt.", begann Ben vorsichtig in Semirs Richtung. "Welchen Grund hätte er?" Bevor sein bester Freund antwortete, zuckte er mit den Schultern: "Ich war mehr dagegen als dafür, dass er nochmal bei uns arbeitet?" "Aber davon weiß er nichts." "Wenn jemand geredet hat?" Ben schüttelte den Kopf: "Selbst wenn... was bezweckt dann eine Entführung? Was will er verlangen? Ausserdem... er arbeitet wieder bei uns. Er hat das, was er wollte... egal was du darüber denkst. Ich hatte eher das Gefühl, dass er versucht ist, zumindest das Vertrauen was zur Zusammenarbeit nötig ist, wieder zu erlangen. Wenn auch nicht soweit, dass es zur Freundschaft reicht." Eigentlich taten Ben diese Worte weh, aber es war eben das, was er fühlte.



    Semir konnte der Argumentation folgen... er saß auf der Couch, nach vorne gebeugt und die Ellbogen auf die Oberschenkel gestützt, die Hände zu einer Faust zusammengeballt. Er sah durch den Raum, als würde sich an einer der Wände eine Antwort für alle Fragen befinden. Plötzlich schien an der Wohnzimmerwand die Antwort zu stehen... jedenfalls wurden Semirs Augen größer, als hätte er gerade eine Erleuchtung. Er sah zu Ben herüber und fragte ernst: "Wenn Kevin dich fragen würde... ob du ihm hilfst den dritten Beteiligten an Janines Tod zu finden und zu töten... was würdest du ihm sagen?" "Ich würde ihm sagen, dass er nicht mehr ganz dicht ist... vielleicht etwas schönen umschrieben.", antwortete Ben und sein Partner nickte: "Ich würde es ihm ähnlich sagen. Vor allem, nachdem was in den letzten Wochen passiert ist."
    Langsam fiel auch der Groschen bei Ben und er hatte das gleiche Bild vor Augen, wie Semir... die beiden Striche an Kevins Unterarm... zwei für die toten Peter und Patrick, die an dem Mord beteiligt waren, der Kevins Leben zerstört hatte. "Du meinst, das bedeuten die Striche? Die beiden Männer, die tot sind?", fragte Ben. "Hast du etwa die Story mit den Dienststellen-Engagements geglaubt? Mal davon abgesehen, dass er sich dann verzählt hätte?", meinte Semir spöttisch und sein Partner schüttelte den Kopf. "Nein... natürlich nicht."



    Semir fuhr mit seinen Gedanken fort: "Wenn er unsere Hilfe erzwingen will, braucht er ein Druckmittel. Und Kevin weiß genau, wie wir beide reagieren wenn eines meiner Kinder in Gefahr ist. Er hat es selbst erlebt damals." Für Ben war die Vorstellung, dass Kevin gleich anrufen würde und mit seiner monotonen Stimme drohte, Ayda etwas anzutun, völlig surreal. "Aber meinst du nicht, er könnte das alleine? Ohne uns?" "Ich weiß es nicht. Aber vielleicht ist das der einzige Grund, warum er nochmal unbedingt auf unsere Dienststelle wollte." Es war still, unheimlich still. Nur die Wanduhr in Semirs Wohnzimmer machte Geräusche, für einige Minuten schwiegen sich die beiden Männer an. Es war so surreal... aber genauso surreal war es für Ben immer noch, dass Kevin seine Hände um dessen Hals gelegt hatte und zudrückte, bis Ben sich nicht mehr rührte. Es hatte die Schranke in seinem Kopf zerstört, die ihn jetzt noch von dem Verdacht abhielten, Kevin hätte Ayda tatsächlich entführt. "Dann müsste er sich ja bald melden...", sagte er resigniert.
    Semir zog sein Handy aus der Tasche... nachdem erneuten Anrufversuch auf Aydas und Kevins Handy, was wieder in der Mailbox endete, wählte er Hartmuts Nummer: "Hartmut... du musst was für uns tun." "Was auch sonst... wann ruft ihr eigentlich mal an und sagt: Hartmut, können wir etwas für dich tun?", gluckste das rothaarige Genie durch die Leitung. "Mir ist nicht nach Scherzen zu Mute... du musst ein Dienstfahrzeug für uns orten."



    Sofort war Hartmut an seinem PC. Semirs Satz, dass er nicht nach Scherzen aufgelegt war und die Stimmlage, hatte den KTU-Leiter in Alarmbereitschaft versetzt... denn dann musste wirklich was passiert sein. "Okay... Kennzeichen?" Semir gab das Kennzeichen von Kevins Dienstfahrzeug durch, das Hartmut sofort erkannte: "Moment... das ist doch Kevins Wagen." "Ganz richtig...", bestätigte Semir beinahe niedergeschlagen. "Ist was mit ihm passiert?" "Nun guck doch bitte..." Durch das Telefon konnte er Hartmuts schnelle Finger auf der Tastatur klacken hören. "Hmm... letzte Aufzeichnung an der Dienststelle. Gegen 12 Uhr... dann wurde das Gerät abgeschaltet." "Abgeschaltet...?" "Für Privatfahrten schaltet ihr das Modul doch selbst auch manchmal ab... ist er irgendwohin gefahren?" Semir dachte nach, aber Ben, der über Lautsprecher mithörte, kam ihm zuvor: "Er hatte gesagt, er muss etwas erledigen... das war so um Mittag." Man konnte es nun deuten, wie man mochte... schaltete er es absichtlich ab, um nicht geortet werden zu können? Wegen der Entführung? Was hatte er sonst Geheimnisvolles zu erledigen? Zu seinem Dealer fahren? Semir bekam Kopfschmerzen und bedankte sich bei Hartmut. "Semir... was ist los? Warum wolltet ihr das wissen?" Der erfahrene Polizist seufzte... er vertraute Hartmut, doch bisher war alles Spekulation. "Bitte sags noch keinem... aber..." Seine Stimme stockte: "Wir glauben... dass..." Er biss sich auf die Lippen: "Kevin hat meine Tochter entführt..."

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


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    <3

  • Köln - 14:45 Uhr



    Hartmut war sprachlos. Man konnte für einen Moment seinen Atem am Telefon hören, als Semir diesen Satz sagte. Und es dauerte sicher einige Sekunden bis das Superhirn die Sprache wiederfand. "Semir, weißt du eigentlich, was du da gerade gesagt hast? Glaubst du das nur, oder weißt du das?" Auch er konnte Semirs Verzweiflung, Semirs Zweifel in seiner Stimme deutlich raushören. "Ich... ich weiß nur, dass er meine Tochter von der Schule abholen sollte. Und dass meine Tochter jetzt eben nicht zu Hause ist, sowohl sie als auch Kevin das Handy ausgeschaltet haben und momentan nirgends auffindbar sind. Es gibt keinen Stau in der Umgebung und wenn sie mit dem Auto liegen geblieben wären, hätte Kevin uns doch angerufen."
    "Aber warum sollte er das tun?" Semir erklärte in kurzen Sätzen die Überlegungen, die die beiden Kommissare hatten, als sie zusammen im Wohnzimmer saßen und Theorien über die Beweggründe spannen. "Wenn er euch damit erpressen wollte, hätte er sich doch längst gemeldet, oder? Ausserdem... Kevin ist ein Einzelgänger. Zur Not würde er den Mörder seiner Schwester alleine suchen, der würde niemals deine Kinder miteinspannen." Hartmut stand Kevin völlig neutral gegenüber. Natürlich hatte er auch eine emotionale Bindung zur Familie Gerkhan, aber nicht so eng wie zum Beispiel Ben... und deshalb eine weitaus distanziertere Sicht auf die Dinge.



    Und es war gut, eine solche Stimme zu hören. "Meinst du wirklich?", fragte Semir und seine Zweifel an der eigenen Theorie begannen stärker zu werden. "Ganz sicher... Semir, egal was da los ist, es gibt sicher eine harmlose Erklärung dafür.", versuchte er auch seinen Kumpel zu beruhigen. Ben hörte die Worte, und seine Zweifel wurden schneller stärker, weil er nochmal etwas distanzierter war als Semir, aber in der Vertrauensfrage auf Kevin bezogen ebenso betroffen und involviert. Vielleicht hatten sie überreagiert mit ihrem Verdacht. Semir noch unter dem Eindruck der Entführung vor einigen Monaten, er unter dem Eindruck von Kevins Angriff unter Gedächtnisverlust... es kam einfach alles zusammen.
    In Windeseile versuchte Hartmut noch herauszufinden, wo die letzte Einbuchung der beiden Handys war. Beide Einbuchungen waren in einer Funkzelle nahe der Schule, auf die Ayda ging, jene Zelle aber recht groß und von mehreren anderen Funkzellen überlagert. "Hmm... komisch...", murmelte Hartmut. "Was denn?" "Kevins Handy wurde ordnungsgemäß ausgeschaltet. Man kann das aus dem Checkout im Netz erkennen. Aydas Handy aber hat diesen Checkout nicht vollzogen." "Und was bedeutet das?" Es würde sicher nicht zur Beruhigung von Semir beitragen, aber Hartmut musste in so einer Situation einfach ehrlich sein. "Defekt des Handys oder entfernen des Akkus. Einfach alles, was das Handy ausgehen lässt, aber keinen normalen Herunterfahrvorgang. Vielleicht ist ihr Handy heute tatsächlich einfach kaputt gegangen."



    Hartmut hatte den Satz gerade zu Ende gesprochen, als ein weiterer Apparat in seinem Büro klingelte. "Moment kurz...", sagte er zu Semir und sie konnten die Worte nur kurz hören. "Was? - Wozu braucht ihr mich da? Wozu haben wir ein Sprengstoffkommando? Hmm... ja... okay, ich pack meine Sachen und komme sofort." Dann legte er auf und nahm sein Handy wieder zur Hand. In seinem Kopf drehte es sich kurz, weil er jetzt erst die Informationen verarbeitete, und sein Herz begann fest zu schlagen. "Semir! Auf welcher Schule ist deine Tochter?", fragte er hastig. "Auf dem Genoveva-Gymnasium... wieso?", war die Antwort und er hörte Hartmut ausatmen. "Gott sei Dank..." "Warum? Was ist los?"
    "Es gibt eine Amoklage am Montessori-Gymnasium. Ich muss los, die haben scheinbar Probleme mit der Technik des Sprengsatzes, mit denen die Täter die Eingangstür verbarrikatiert haben." Bei dem Wort "Amoklage" wurde Semir kurz schlecht. Es war der Alptraum aller Eltern, nach Erfurt, nach Winnenden. Eine Situation, vor der man nie gewappnet war und die immer und überall passieren konnte. Jetzt war sie in Köln passiert... aber zum Glück nicht auf der Schule seiner Tochter, sondern auf einer Schule die gut 12km weiter westlich in Köln lag und nicht den besten Ruf hatte. Aber das war oft Ansichtssache...



    "Okay, Hartmut... sei vorsichtig, danke für deine Hilfe.", sagte Semir und beendete das Gespräch. "Sprengsatz? Klingt fast eher nach Geiselnahme als nach Amoklauf. Amoklauf ist doch eigentlich so schnell wie möglich mehrere Menschen ermorden, während man sich mit nem Sprengsatz eher barrikatieren will...", überlegte Ben laut und sah Semir an, der ein wenig bleich um die Nasenspitze war. Seine Sorge hatte sich nicht gelegt... obwohl die Tatsache, dass Aydas Handy einfach nur kaputt gegangen war, sowohl beruhigend als auch beunruhigend sein konnte. Aber Semir ließ eine Beruhigung nicht zu. "Was machen wir jetzt?", fragte Ben, nachdem Semir auf seinen Einwurf nicht einging.
    "Hartmut hat irgendwie recht, mit dem was er über Kevin sagt...", sagte er während er auf sein Handy blickte. "Aber ich will auf Nummer sicher gehen... lass uns zu ihm nach Hause fahren. Einfach nur gucken, ob er da ist... okay?" Ben konnte Semir verstehen... es war einfach die nackte Angst um sein Kind, und die ließ sich auch durch logische Worte von Hartmut nicht einfach verdrängen. Je nachdem, was sie bei Kevin vorfänden, würde es die Angst vielleicht entschärfen... oder verstärken. Sie machten sich auf den Weg...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

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    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


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    <3

  • Köln - 15:10 Uhr



    Eine Heimat, festen Wohnsitz, das Gefühl nach Hause zu kommen. Ben konnte nachfühlen, dass Kevin dieses Gefühl lange nicht hatte als sie vor dem Altbauhaus am Kölner Stadtrand ausstiegen. Als sie den jungen Polizisten kennengelernt hatten, wohnte er in einem heruntergekommenen Wohnsilo, für sich isoliert. Es war ein schreckliches Gefühl zum ersten Mal seine Wohnung zu betreten. Sie war vermutlich die sauberste im ganzen Block, Kevin lebte nicht im Mief, aber die Atmosphäre drum herum war einfach nur bedrückend. Danach zog er zu seiner Ziehmutter Kalle. Sie war ein Transvestit-Künstler rund um die Uhr, zog ihn auf weil sie Kevins Vater, der sich nicht um den Jungen kümmerte, aus dem Rotlichtbezirk kannte. Auch seine Schwester nahm sie bei sich auf.
    Kalle war aber weder Mama noch Papa... sie war keine Bezugsperson, sondern Ansprechpartnerin. Sie bot den beiden Kindern das bisschen Liebe, was zum Leben nötig war und eine raue Herzlichkeit, die sie nie abgelegt hatte. Dass Kevin auf die schiefe Bahn geriet, konnte auch sie nicht verhindern... sie sah es als "vorprogrammiert" an, bei seinem Hintergrund.
    Als Kevin mit Jenny zusammen kam, zog er aus und zu der jungen Polizisten. Zum ersten Mal fühlte er sich richtig zu Hause, wenn er von der Arbeit heimkam. Zum ersten Mal Dazugehörigkeit, Wärme und Geborgenheit. Er setzte es aufs Spiel und verlor. Nach seiner Rückkehr aus Kolumbien kam er wieder bei Kalle unter.



    "Mal hier, mal dort... das ist für einen Menschen auch nicht gut.", murmelte Ben mehr für sich, als sie vor dem Haus ausstiegen und den Klingelknopf drückten. "Er hat sich das selbst ausgesucht." Semirs Antwort klang in Bens Ohren ungewohnt kaltherzig, und er stellte mit Erschrecken fest, dass er das Gleiche gedacht hatte. Als müsse er sein eigenes Gewissen beruhigen fragte er schnippisch: "Hat er das?" Der junge Polizist spürte bei seinem erfahrenen Partner die Unsicherheit und Dünnhäutigkeit. Die Anrufversuche hatte er mittlerweile aufgegeben und je mehr Zeit verstrich ohne dass sein Handy klingelte und sich Ayda endlich meldete, desto mehr wurde die Befürchtung greifbar, es sei etwas Schlimmes passiert.
    Es dauerte ein paar Sekunden, bis die mächtige Erscheinung von Kalle an der Tür auftauchte und misstrauisch auf die beiden Beamten sah. Polizisten gehörten nicht zu ihrer Lieblingsspezies und ausser Kevin (der in ihren Augen nie ein richtiger Polizist war, eher ein Verfechter für Gerechtigkeit) hatte sie noch keinen sympathischen Polizisten kennengelernt. Auch sah sie manche Erzählung von Kevin über Ben und Semir kritischer, als sie die lobenden Worte ihres Ziehsohns auf der Plusseite verbuchte.



    "Ja?", fragte sie schnippisch. "Ist Kevin zu Hause?" Semir sah ernsthaft drein und hielt es nicht für nötig, seinen Ausweis zu zeigen. Erstens kannte Kalle die beiden Polizisten und zweitens konnte die Nachfrage auch rein privater Natur sein. "Nein, der arbeitet. Das müsstet ihr doch wissen." "Er ist übers Handy nicht erreichbar. Hat er gesagt, dass er noch irgendetwas erledigen will?" Ben und Semir spürten die Ablehnung in Kalles Gestik und Mimik. Scheinbar hatte Kevin von den letzten Vorkommnissen mit den beiden Polizisten und ihr gestörtes Verhältnis untereinander erzählt, und die Ziehmutter hatte klar Stellung bezogen. "Wenn ihr das hättet erfahren sollen, hätte er es euch erzählt."
    Mit diesem Satz wollte sie eigentlich die Tür schließen, aber Semir stellte seinen Schuh zwischen Rahmen und Tür. "Was soll das?", zischte Kalle. "Hören sie! Er sollte meine Tochter von der Schule abholen, und nun sind beide spurlos verschwunden. Wir haben die Vermutung, dass Kevin...", Semir stockte. Er wollte es schon wieder sagen. Er wollte Kevin schon wieder vorverurteilen, wie er es eben bei Hartmut gemacht hatte. "Wir haben die Befürchtung dass beiden etwas passiert sein könnte.", kam sein Partner ihm zur Hilfe.



    Kalle sah abwechselnd von einem zu dem anderen Kollegen. "Ihr glaubt, er hat der Kleinen was angetan?" Es war eine Mischung aus Fassungslosigkeit in ihren Augen und Arroganz in der Stimme. Semirs Mund war staubtrocken und seine Gedanken in seinem Kopf liessen mögliche Antwortmöglichkeiten durcheinander purzeln. "Wir glauben gar nichts.", stellte Ben klar. "Wir suchen ihn, weil wir uns Sorgen um ihn machen. Und vor allem um Ayda. Also helfen sie uns, wenn sie etwas wissen."
    Kalle bewegte die Lippen, als würde sie etwas kauen. Sie sah auf den Boden und dachte nach, für die beiden Polizisten war dieses Schweigen schwer zu ertragen. Denn es schien fast, als sei es ein Schuldeingeständnis. "Wo hat er sich versteckt?", rutschte es Ben raus, und diesmal verurteilte er Kevin vor. "Er hat sich nirgends versteckt!", fauchte Kalle. "Er hat schon Recht, wenn er euch nicht vertraut, und nicht erzählt wo er zur Mittagspause war. Sein ganzes Leben lang wurde er von seinen sogenannten Kollegen..." sie spuckte das Wort fast schon verächtlich aus... "... als Krimineller gebrandtmarkt. Nicht als einer von ihnen. Der Junge, der von der Straße kam und in den Polizeidienst wollte. Zuhälter-Vater, Ziehmutter aus dem Gewerbe... pah. Dabei wart ihr die Ersten, über die er auch mal gut gesprochen hatte."



    Kalles Worte drangen vor allem in Bens Seele ein, und die beiden Polizisten standen recht hilflos an der Tür. Aber Kalle verstand immerhin eines: Semir machte sich ernsthaft Sorgen um seine Tochter, und das erweichte ihr Herz. Sie war sich ganz sicher, dass Kevin ihr nichts angetan hatte... und dass es eine Erklärung für das Verschwinden geben musste. "Er wollte in der Mittagspause zu Jerry. Mehr weiß ich nicht. Und jetzt lassen sie mich zufrieden.", sagte sie missmutig und zog nun endgültig die Tür zu, nachdem Semir den Fuß aus der Tür genommen hatte.
    Beide Polizisten gingen niedergeschlagen zu ihrem Dienstwagen. Es fühlte sich beschissen an, dachte Ben... wenn man so den Spiegel vorgehalten bekommt. Sie dachten wie die Kollegen von Kevin, über die er sich immer beklagt hatte, in seinen alten Abteilungen. Vorurteile gegenüber seiner Vergangenheit. Einmal Krimineller, immer Krimineller. Semir dachte in diesem Moment, als er leise zu Ben sagte: "Das ist ein Alptraum...", vor allem an seine Tochter Ayda...

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    Wie sie.


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    <3

  • Genoveva-Gymnasium - 15:45 Uhr



    Die Sorge um Ayda hatte jetzt vollständig von Semir Besitz ergriffen. Es war für beide Kommissare einfach nicht mehr ausredbar, dass etwas unnormales vorgefallen sein musste. Autopanne und beide Handys fielen an einem Tag aus... das war zuviel Zufall in der rationalen Gedankenwelt des erfahrenen Polizisten. Dazu die Erinnerung an Aydas Entführung vor knapp einem Jahr, machte die langsam aufkommende Panik perfekt. "Lass uns zu ihrer Schule fahren. Das ist das Einzige, was mir jetzt noch einfällt...", sagte Ben, als sie sich wieder ins Auto gesetzt hatten, nachdem sie bei Kevin zu Hause waren und Ziehmutter Kalle ihnen einige Pfeile in die Seele gejagt hatten.
    Ben zwang sich quasi dazu, nicht Kevin als Schuldigen zu verurteilen, sondern versuchte sich irgendeine Situation auszumalen, die passen könnte. Es fiel ihm keine ein... ausser die Worte, die Hartmut eben gesagt hatte. Ein Amoklauf... schrecklicher Gedanke. Aber der Amoklauf passierte an der Montessori-Schule, und nicht an der Schule, auf die Ayda ging, und auf deren Parkplatz sie jetzt das Dienstauto abstellten.



    Die Eingangstüren wirkten einladend aber altmodisch, alles in dieser Schule war aus den frühen 90ern und wenig modernisiert. In Schulen war das Geld gewohnt knapp, wie in vielen staatlichen Einrichtungen, und man legte mehr Wert auf die moderne technische Ausstattung der Schulräumemit Overhead-Projektoren, Fernsehern und sogar schuleigene Tablets sollten die Schüler demnächst bekommen. Dass dann andere Dinge in der Schule finanziell auf der Strecke blieben, war logisch.
    In der großen Halle war es recht kühl während es draussen schon sehr angenehm war. Sie wirkte menschenleer. An den Wänden hingen Bilder, Kunstprojekte verschiedener Klassenstufen und eine breite Treppe führte in verschiedene Stockwerke. "Wenn offen ist, muss auch noch irgendjemand da sein.", meinte Ben und schaute sich um. Sie hatten beide die leise Hoffnung, dass Ayda irgendwo herumsaß und noch auf Kevin wartete, der alleine für sich irgendwo verloren gegangen war... und das meinten sie nicht negativ Kevin gegenüber. Natürlich würden sie sich dann weiterhin auch um ihn sorgen, aber dann wäre Ayda zumindest nicht in Sicherheit. Ihre Hoffnung erfüllte sich nicht.



    "Komm, ich weiß wo hier das Lehrerzimmer ist.", sagte Semir und die beiden Polizisten gingen die Treppe nach oben. Bis zum Lehrerzimmer schafften sie es nicht, denn ein Mann im Anzug kam ihnen auf der Treppe entgegen. Natürlich entging diesem die silberne Waffe an Semirs Gürtel nicht, und seine Augen weiteten sich einen Moment. "Nicht erschrecken... wir sind von der Polizei.", sagte Semir sofort, denn er bemerkte den erschrockenen Blick in den Augen des Mannes und zeigte umgehend seinen Dienstausweis. "Um Gottes Willen... entschuldigen sie bitte. Wir sind ein wenig schreckhaft gerade.", atmete der Mann aus und hielt sich am Geländer fest.
    "Wegen der Amoklage am Montessori-Gymnasium?", fragte Ben und der Mann nickte. "Ein paar Kollegen sind noch hier und wir verfolgen die Lage am Fernseher. Natürlich sind wir in Sorge um unsere Kollegen und die Schüler, die dort zur Zeit festgehalten werden. Und natürlich... naja... man denkt halt immer daran, wie man selbst reagieren würden, wenn es einmal hier passiert. Im Grunde kann es ja überall passieren." Eine Vorstellung, die ein Horror war für jeden Schüler, Lehrer und Elterteil.



    "Sind sie deswegen hier? Gibt es Hinweise, dass hier auch etwas passieren soll?", fragte er dann. Semir schüttelte den Kopf. "Nein, wir sind eigentlich privat hier. Meine Tochter hatte heute Theater-AG und sollte von einem Kollegen abgeholt werden, aber beide sind nicht zu Hause angekommen. Wir wollten den jeweiligen Lehrer fragen, ob er etwas beobachtet hat.", erklärte Semir. "Hmm... Herr Tziolis ist schon weg, denke ich mir. Aber kommen sie mit ins Lehrerzimmer, von dort aus können sie ihn sicher anrufen und fragen."
    Semir und Ben folgten dem Mann im Anzug die letzten Treppenstufen hinauf und bogen in einen langen Gang ab. Als sie das Lehrerzimmer betraten, schauten sich vier oder fünf Lehrer, die an verschiedenen Plätzen zu einem Fernseher gewandt saßen und eine Sondersendung zu der Amoklage schauten, zu ihnen um. "Das sind Polizisten. Sie sind aber privat hier.", beruhigte der Mann gleich die Kollegen. Semir und Ben nickten ihnen zu und grüßten.



    "Um was gehts denn? Mein Name ist Schmidt, ich bin der Direx der Schule.", stellte sich ein grauhaariger Mann vor, dessen Mähne bis zu den Schultern reichte. Mit dem Spitzbart, ebenfalls komplett in Grau, sah er aus wie ein Musketier in Rente. Es fehlte nur noch Hut und Umhang, dafür trug er einen akkurat sitzenden Anzug und reichte den beiden Polizisten die Hand. "Wie kann ich ihnen helfen." "Wir würden gern mit dem Leiter der Theater-AG reden. Meine Tochter ist heute nach der AG nicht nach Hause gekommen." "Ahja, der Herr Tziolis. Der Kollege wird ihnen sicher die Nummer..." "Oh mein Gott...", wurde der Direx von einer Frauenstimme hinter ihm unterbrochen, die scheinbar das Wort "Theater-AG" mitbekommen hatte.
    "Was ist denn los, Renate?", fragte der Direx und blickte sich um. Hinter ihm hatte sich eine etwas ältere Frau vom Stuhl erhoben und zugleich alle Farbe verloren. Sie stammelte: "Die Theater-AG... die... die haben heute... die sind heute..." Semir merkte, wie ihm mulmig wurde... nein, nicht mulmig. Ihm wurde schlecht... kotzübel. Noch bevor er die Worte hörte, die sich zitternd und stotternd auf den Weg von Renates Mund zu seinen Ohren machte. "Die haben heute... heute in der Montessori-Schule geprobt... weil... weil dort die... die Kulissen stehen... Oh mein Gott..."

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen


    <3

  • Köln - 13:45 Uhr



    Etwas gedankenverloren, mit Jerrys Gespräch und Bens unsicher wirkender Stimme, als er Semirs Einwilligung über den Funk weitergab, im Kopf steuerte Kevin den Parkplatz des Genoveva-Gymnasiums an. Der Parkplatz war bereits gut geleert, die meisten Lehrer hatten gegen 13 Uhr bereits Feierabend und es herrschte eine angenehme Stille. Der junge Polizist ließ seine Weste, die die Waffe verdeckte, an. Er trug seine Waffe, anders als Ben und Semir, nicht am Gürtel sondern an der linken Körperseite, zur Innentasche der Jacke. Im Bedarfsfall konnte man eine Waffe so besser verdecken, und in einer Schule wollte er nicht unbedingt mit sichtbarer Knarre rumlaufen. In Zeiten von Terroranschlägen und Amokläufern mussten Zivilbeamte etwas sensibler mit dem Thema umgehen.
    Allerdings war es ihm auch von den Vorschriften her verboten, die Waffe im Dienstfahrzeug zu lassen. Nicht wegen seiner Sicherheit, aber es war nicht auszudenken, wenn ihm der Wagen gestohlen wird, und seine Dienstwaffe liegt drin.



    Der junge Polizist drückte die Türen der Schule auf und trat in die kühle Eingangshalle, nachdem er ein paar Minuten gewartet hatte. Hatte Ayda etwa noch nicht Schulschluss und wartete vor der Tür? Vielleicht kam ihr Vater immer herein, um sie abzuholen. Ein Umstand, der Kevin als Jugendlicher vermutlich furchtbar peinlich gewesen wäre, aber seine Jugendzeit war in keinster Weise mit dem wohlbehüteten Aufwachsen Aydas und Lillys vergleichbar. Mit 12 hatte er schon die ersten Kippen für seine Freunde in die Schule geschmuggelt... ein Thema, was für Ayda vermutlich noch vollkommen tabu war.
    Ein Mann im karierten Hemd und Schlabber-Jeans schritt durch den Flur und wurde in der Empfangshalle auf den Polizisten mit den abstehenden Haaren aufmerksam. "Kann ich ihnen helfen?" Es war ungewöhnlich dass Erwachsene um diese Zeit auf dem Schulflur rumliefen und der Mann beäugte ihn misstrauisch. Es erinnerte Kevin an seine Schulzeit, auch damals empfing er nur selten freundliche Blicke von den Lehrern, denn auch an den Schulen, an denen er war war seine Gang und ihr Ruf bekannt. Viele Lehrer trauten sich nicht, sich dagegen zu stellen, viele hatten aber auch einfach kein Interesse daran. Landete der Junge in der Gosse, dann war es halt so. Sozialarbeiter oder Streetworker gab es damals nicht.



    "Ich wollte Ayda Gerkhan abholen. Sie hätte hier Theater-AG.", sagte der Mann. "Sind sie ein Freund des Vaters?" Eigentlich war das Misstrauen des Lehrers lobenswert. Scheinbar kannte er die Eltern der Kinder, die er unterrichtete und gab nicht jedem Dahergelaufenen Auskunft über den Aufenthaltsort der Kinder... geschweige denn, dass er sie einfach abholen ließ. Er stellte vermutlich eine Ausnahme im Schuldienst dar. Doch jetzt rollte Kevin etwas genervt mit den Augen und zeigte seinen Dienstausweis. "Nein, aber ein Kollege. Ich soll sie abholen, weil Semir verhindert ist." Der Mann beäugte den Ausweis kurz und murmelte dann eine Entschuldigung.
    "Die Theater-AG probt heute am Montessori-Gymnasium. Dort stehen nämlich die Kulissen für den Auftritt am Wochenende, dafür haben wir leider keinen Platz. Der Leiter der AG hat sie mit unserem kleinen Schulbus herübergefahren und eigentlich sollten die Kinder ihren Eltern sagen, dass sie dort abgeholt werden sollen. Hat Ayda vermutlich vergessen." "Ja, oder Semir.", meinte der Polizist und lächelte etwas. "Alles klar, dann weiß ich Bescheid. Danke.", sagte er und verließ das Schulgebäude wieder.



    Schulen sehen von Außen oft gleich aus. Moderne Schulen gab es wenige, zumindest von Außen waren es oft ältere, manchmal schon historisch anmutende Gebäude, große Schulhöfe, mehrere Eingänge. Auch die Montessori-Schule machte da keine Ausnahme, obwohl es hier nur zwei Eingänge gab. Kevin wusste das... tatsächlich ging er hier 2 Jahre zur Schule. Die fünfte und sechste Klasse besuchte er, doch der Lockruf der Straße war größer. Auf der Straße hängen, nicht lernen und Schule schwänzen führte dazu, dass er von dem Gymnasium geschmissen wurde und zur Hauptschule ging. Dieser Tapetenwechsel zog ihn noch weiter in den Strudel des Abgrundes, denn während man an Gymnasien auf dem Schulhof allerhöchstens in gewissen Kreisen mal mit etwas Gras und einem Joint in Berührung kommt, ist das auf der Hauptschule erst die Spitze des Eisberges.
    Auch hier war vor der Schule Ayda nirgends zu sehen. Kevin nutzte diese Gelegenheit um seine alte Schule mal wieder von innen zu sehen, und stieg erneut aus. Auch hier führte eine Eingangstür in eine Halle, die sich nach rechts und links in einen Flur abzweigte, in der Mitte war das Treppenhaus.



    Die Wände waren seit Kevins Abschied scheinbar noch nicht wieder gestrichen worden. Und auch sonstiges Mobiliar schien überlebt zu haben. Ein wenig gedankenverloren ging Kevin den Flur entlang, und er geriet aus dem Blickfeld der Eingangstür heraus. Den jungen Mann, der dort etwas an der Ausgangstür anbrachte und dann mit leisem Kabelbinder die beiden Griffe der Tür zusammenband, bemerkte Kevin genauso wenig wie umgekehrt. Der junge Polizist war eher damit beschäftigt, irgendwo einen Lehrer zu finden, um nach der Theater-AG zu fragen. Er wusste aber, dass bei der Aula ein großer Lagerraum war, wo die Kulissen vermutlich, wie früher, immer noch gelagert werden.
    Als er um eine weitere Flurecke bog, blieb er stehen. In seinen Händen, Armen, Beinen und Oberkörper breitete sich ein Kribbeln aus. Sein Mund wurde staubtrocken und seine hellblauen Augen aufgerissen. An der Wand saß ein junges Mädchen, mit blutbefleckten Oberteil, einer großen Blutlache um sich herum und starrte ihn mit großen, toten Augen an.

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen


    <3

  • Schule - 14:00 Uhr



    Die drei Jungs, Tobias, Marvin und Jens hatten einen klaren Plan, nachdem sie die Schule betreten hatten. Hätten sie ein möglichst großes Blutbad anrichten wollen, wären sie zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt gekommen. Am Nachmittag hatten nur wenige Klassen Unterricht, dazu noch einige AGs. Doch das war nicht das Ziel der drei Jungs. Nachdem sie durch einen Eingang die Schule betreten hatten, hatten sie diesen mit einer Kette verschlossen, und den, von Jens gebauten Kontakt angebracht. Nacheinander gingen sie durch die Flure, schauten in die Klassenzimmer und zerrten die Schüler jeden Alters auf den Flur. "Versucht nicht abzuhauen, und es wird nichts passieren.", sagte Tobias in jedem Zimmer.
    Doch bei manchen Schülern und vor allem Schülerinnen setzte Panik ein. Die drei Jungs hatten sich vorher abgesprochen, dass man keine Angst, keine Skrupel zeigen durfte, wenn sie ihr Ziel erreichen wollten. Schon beim ersten Klassenzimmer nahmen zwei Schülerinnen reißaus, als sie aus dem Zimmer gezwungen wurden, und Marvin setzte das Jagdgewehr seines Vaters ohne Skrupel und gezielt ein. Ein Mädchen wurde genau zwischen die Schulterblätter getroffen, das andere Mädchen in den Hinterkopf. Wortlos gingen sie im Lauf zu Boden, und blieben regungslos liegen.



    Die drei Schüler hatten sich Gesichtsmasken angezogen, um zunächst nicht erkannt zu werden und Reaktionen bei den Schülern hervorzurufen. Sie würden sich zeigen, wenn es an der Zeit war. Als Marvin die ersten beiden Mädchen erschoss, blickten Jens und Tobias sichtlich beeindruckt. "Es geht ganz einfach. Du drückst einfach ab. Immer und immer wieder." Das hatte Tobias zu Marvin gesagt, und hatte es auf sein Computerspiel bezogen. Marvin fand es tatsächlich einfach, er hatte schon auf Zielscheiben, Rehe und Hasen gezielt und abgedrückt, als sein Vater ihn mit auf die Jagd nahm. Jetzt klopfte ihm zwar das Herz bis zum Hals... aber viel Unterschied war tatsächlich nicht. Im zweiten Klassenzimmer begann eines der Mädchen auf Tobias einzuschlagen. Er schubste sie ihm Flur an die Wand und feuerte ebenfalls zweimal aus dem Gewehr auf ihren Oberkörper, so dass sie an der Wand zu Boden sackte und dort sitzen blieb. In einem Flur im zweiten Stockwerk versuchten zwei Jungs aus der Lese-AG, die erst in die 5te Klasse gingen, aus Panik, weg zu laufen. Sie wurden wiederrum von Martin gestoppt, der sie von hinten erschoss. Ansonsten waren fast alle Klassenräume leer... bis auf die Turnhalle, in der die Sport-AG Training hatte, und der große Lagerraum vor der Aula, in der die Theater-AG probte. Auch aus der Theater-AG versuchte ein Junge und ein Mädchen zu fliehen, was wiederrum Tobias und Marvin verhinderte, während Jens den zweiten Eingang präparierte.



    Die drei Jungs und Kevin mussten sich gerade nur um kurze Zeit verpasst haben, als er zu dem toten Mädchen im Flur trat. Eigentlich war es unnötig, ihren Puls zu fühlen, denn ihre Augen starrten Kevin an, und aus zwei Einschüssen ihres Shirts sickerte unaufhörlich Blut. "Scheisse...", murmelte der junge Polizist und wollte im ersten Affekt zur Waffe greifen, als er in den Flur blickte und zwei weitere Körper am Boden liegen sah. Auch bei ihnen stellte er schnell fest, dass jede Hilfe zu spät war. Dann hörte er über sich Schüsse und Geschrei, und ihm wurde klar, was hier gerade passierte. Kevin reagierte wie Kevin es immer tat. Er begann zu laufen und folgte dem Geräusch der Schüsse, wobei er die Nummer der Zentrale wählte... allerdings nicht der Zentrale der Autobahnpolizei. Er meldete eine Amoklage.
    Die Hand bereits fest um den Griff der Waffe geklammert, ging er um die nächste Ecke, und wich sofort wieder zurück, als er zwei der drei vermummten Gestalten kurz erblickte. Er hörte Stimmen und atmete durch. "Los, alle in die Aula. Und wehe, es haut noch einer von euch.", klang die Stimme eines jungen Mannes, vielleicht auch eines Jugendlichen. In Kevin arbeitete es. Bei einem Amoklauf schoß ein Täter meistens auf alles, was sich bewegte. Dass es mehr als ein Täter war, war schon mal ungewöhnlich. Dass sie die Schüler in die Aula bringen wollten, auch. Handelte es sich vielleicht gar nicht um einen Amoklauf, sondern eine Geiselnahme?



    Die Gedanken änderten Kevins Taktik. War bei einem Amoklauf seine Aufgabe, die Täter möglichst schnell unschädlich zu machen, auch auf das Risiko dass noch weitere Schüler sterben, um die Opferzahl der Unschuldigen trotzdem möglichst gering zu halten, da der Amoklauf dann beendet wäre, so war es bei einer Geiselnahme anders. Bei einer Geiselnahme musste er Ruhe bewahren und versuchen, das Schlimmste zu verhindern. Er wusste, wohin die Täter die Schüler brachten, und dort musste er versuchen, soviel zu schützen wie es ging. Auch die jeweiligen Lehrer wurden zur Aula gebracht. Kevin lief, mit schnellen Schritten an den drei toten Schülerinnen vorbei in Richtung Toilette.
    Tobias befahl, dass sich alle Schüler auf den Boden setzen sollten, und sich ruhig verhalten sollten. Die Sportler, alle noch in Turnhose in Shirt, sammelten sich auf einem Haufen, die jungen Sextaner aus der fünften Klasse saßen unter sich und die Theater-AG ebenfalls, in der ebenfalls Fünftklässler, aber auch einige bis zur 9.Klasse drin waren. Die Mädchen schnieften, hielten sich einander fest, einige Jungs waren kreidebleich im Gesicht.



    Jens, der noch die zweite Tür verkabelte, kam zurück und hatte scheinbar einen weiteren Lehrer im Schlepptau. "Hey... der hier ist noch über den Flur gelaufen... aber den kenne ich gar nicht.", schnaufte er durch die Maske und schien der nervöseste der 3 Jungs zu sein. Tobias und Marvin schauten den Mann in Kapuzenweste und Jeans an, auch sie kannten ihn nicht. "Wer bist du?", fragte Tobias, und der Mann sagte: "Ich bin Referendar vom Genoveva-Gymnasium und sollte unsere Theater-AG wieder abholen." Dabei blickte er durch die Aula zu jeder der Schülergruppen und versuchte irgendwo Ayda zu erblicken. "Soso... was für ein Zufall.", sagte Tobias beinahe höhnisch, als würde er ihm nicht glauben. Marvin, der genauso groß war wie der fremde Mann, griff ihm in die Innentaschen der Weste, griff ihm an den Gürtel. "Der hat nix dabei, warum sollte er lügen?", meinte er, denn er hatte wohl für eine Sekunde den gleichen Gedanke wie sein bester Freund.
    Tobias schaute noch etwas kritisch. "Dann setz dich zu deiner Truppe und halt den Mund. Dann wird dir nichts geschehen." Dabei zeigte er auf die kleine Gruppe an der Wand, unter denen er einige Jungen und Mädchen im Alter von 10 bis vielleicht 15, sowie einen schwarzhaarigen Lehrer mit Drei-Tage-Bart erkennen konnte. "Na los!", sagte Tobias und schubste den Mann zwei Schritte vorwärts, bevor der sich umdrehte. "Was zum Teufel habt ihr hier vor?", fragte er und sah ihn mit seinen hellblauen Augen an, während seine Haare in alle Richtungen standen.

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


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  • Schule - 14:20 Uhr



    Es herrschte eine kurze, gespenstische Stille in der großen Aula. Für diesen Raum war das nichts ungewöhnliches, denn hier fanden normalerweise wichtige Klassenarbeiten statt, oder das Abitur. Auch dann konnte man, wie jetzt, eine Stecknadel fallen hören. Kevin war, in den Augen der Schüler, der erste Lehrer der den drei Jungs was entgegensetzte, zumindest verbal. Die anderen Lehrer waren geschult. Nach den Amokläufen von Erfurt und Winnenden gab es während des Studiums, und für alle bereits beschäftigten Lehrer Crashkurse... Verhalten im Ernstfall. Klassenzimmer absperren, Ruhe bewahren, wenn möglich das Zimmer über die Fenster verlassen, sollten die Fenster zum Aussebereich der Schule liegen, nicht zum Schulhof.
    Es wurde mittlerweile, wegen der erhöhten Terrorgefahr, auch zwischen Amoklauf und Geiselnahme unterschieden. Bei einer Geiselnahme sollte man die Kinder beruhigen und den Anweisungen der Verbrecher Folge leisten. Man hatte eine Verantwortung für die Kinder und Jugendlichen, und es war nicht angebracht, sich durch einen Angriff auf die Geiselnehmer in Gefahr zu bringen... oder noch schlimmer, die Kinder. Nach diesem Schema verfuhren die vier Lehrer jetzt auch, drei Männer und eine Frau. Aber natürlich waren sie ebenfalls geschockt und aufgelöst, nachdem mehrere Schülerinnen und Schüler von den Geiselnehmern erschossen wurden.



    Auch Kevin verfuhr danach. Deswegen hatte er zur Deeskalation sich gestellt, um bei den Kindern zu sein und, wenn möglich, Einfluss zu haben. Er schätzte seinen Nutzen geringer ein, wenn er mit Waffe über die Flure schlich und hoffte, einer der Geiselnehmer würde sich dort nochmal blicken lassen... warum auch immer? Hier konnte er abwarten, versuchen die Kinder zu schützen, die Beweggründe der Verbrecher erfahren und vielleicht auf sie einwirken. Auch, wenn er ausser der Meldung dass es hier scheinbar einen Amoklauf gibt, jeglichen Kontakt zur Aussenwelt abgebrochen hatte.
    Nur eins wog nun schwer gegen seine Entscheidung. Die Tatsache, dass Ayda nicht bei der Theatergruppe war und auch sonst nirgends in der Aula zu sehen war, verursachte ihm Magenstechen. Grüne Augen blickten ihn durch die Schlitze der Sturmhaube an, und auf seine Frage gab es nur ein harsches: "Wenn du diese Sache überleben willst, dann solltest du nicht soviele Fragen stellen. Los!" zur Antwort. Er schubste den, für ihn, fremden Lehrer zu der Gruppe der Theaterkinder, wo Kevin langsam zu Boden ging, und versuchte die Kinder anzulächeln. Alle saßen nun am Boden, entweder an die Wand gelehnt oder an Tische und Stühle. Die drei Jungs redeten immer kurz miteinander, so leise, dass Kevin es nicht mitbekam.



    Irgendwann kam einer von ihnen in die Mitte und zog die Sturmhaube ab. Es war Tobias, den Kevin ein wenig von seiner Haltung her, als Anführer definiert hat. Für den Polizisten wirkte seine Erscheinung nun urplötzlich viel weniger bedrohlich, denn Tobias hatte eher ein noch etwas kindliches Gesicht. In den Augen der anderen Schüler und Lehrer begriff der Polizist aber auch direkt, dass sie ihn kannten. Verwunderung, Entsetzen und Schock, einer der Lehrer stammelte nur ein: "Tobias... bist du das?", als könne er nicht glauben, dass es einer der ihrigen war, obwohl es zumindest bei einem Amoklauf natürlich nicht unüblich war.
    Als dann auch Marvin und Jens die Masken lüfteten, schüttelten viele den Kopf, es kam aber keine Verwunderung auf. Alle drei waren als Einzelgänger verschrieen, dass sie aber dieses Ding zusammen durchzogen, war ein wenig überraschend. Scheinbar hatten sie ihre Freundschaft nach Außen nicht vermittelt. In Marvins Augen erkannte Kevin etwas Unheimliches, etwas Böses. Er schaute verschlagen, seine Haare kurz geschnitten, an den Seiten abrasiert und er war der kräftigste von den dreien. Jens war eher etwas dicklich, hatte rötliche Backen und sah angestrengt, beinahe etwas verängstigt aus. Er war es auch, der bis jetzt noch keinen Schuß abgegeben hatte, was Kevin natürlich nicht wusste, und der allgemein der ruhigste von ihnen war. Es schien, als sei er sich nicht ganz sicher, was er hier tat. Die Überzeugung, die von Tobias und Marvin ausging, fehlte komplett.



    Von der Sportgruppe stand ein muskulöser, braungebrannter Junge auf. Er war mit kurzer Hose und Shirt bekleidet und stemmte beide Hände in die Hüfte. "Ihr seid das? Ihr drei Wahnsinnigen?" In seinen Augen war die Bedrohung plötzlich nicht mehr greifbar... denn er erkannte die drei Jungs, die auf der Schule von allen schikaniert wurden. Tobias als stiller Einzelgänger, der immer ein bisschen merkwürdig wirkte, Jens als dicklicher Tüftler und Marvin als überhebliches Großmaul, der jedmöglichen Streit suchte und nicht selten von mehreren dann verprügelt wurde. In dem Jungen, der auf den Namen Kai hörte, war plötzlich das Bild des Schwächlings Tobias viel präsenter als das Bild des Geiselnehmers.
    Tobias, der bei Kais Stimmte innerlich immer sofort in Abwehrhaltung ging, und sich daran gewöhnt hatte lieber den Rückzug anzutreten, oder sich ohne zu wehren demütigen zu lassen, grinste diesmal. Er grinste diesmal den Sportler an, denn jetzt fühlte er sich stark wie in seinem Videospiel, nur dass er den Finger nicht auf der Maus hatte, sondern am Abzug. Er hob die Waffe und ging zwei Schritte auf Kai zu, der jetzt plötzlich wieder den Geiselnehmer Tobias sah, nicht das Schulopfer.



    "Heute drückt du niemandem den Kopf in die Kloschüssel, du Bastard!", zischte Tobias und stieß ihm mit der Waffe gegen den Rippenbogen. Kai verlor den Mut, Tobias zu entwaffnen, obwohl es dem etwas eitlen Schüler gut gefallen würde, als Held dazustehen. Doch die Knie wurden weich, der Boden begann sich zu bewegen und die Arme waren schwer. "Es mag dir vielleicht nicht schlimm vorkommen, wenn du einen Schüler, der in deinem Sport Handball nicht so gut ist, veräppelst und veralberst. Aber weißt du eigentlich wie weh es tut, wenn man einen Schüler am Mattenwagen festbindet, um mit seinen Freunden zusammen möglichst viele Handbälle ins Gesicht zu werfen?", fragte er, während er ihn mit der Waffe zurück an die Wand drängte. "Hey Tobias, das war nur ein Spaß. Du musst dich ein bisschen abhärten.", versuchte Kai locker zu wirken, doch seine Stimme zitterte und eine Klammer legte sich um die Brust. Genau wie bei Kevin, der die Szene stumm und mit staubtrockenem Mund beobachtete. "Nein... das war kein Spaß. Aber das hier... das macht Spaß.", sagte er und strich mit der Mündung über Kais Shirt bis hin zu seinem rechten Arm, um diesen genau am Ellbogengelenk gegen die Wand zu drücken. "Tobias..." "Rechts war dein Wurfarm, oder?" Kevins Ruf nach dem Jungen kam zu spät. Nach dem lauten Knall der Waffe folgte ein lauter, schmerzvoller Schrei, sowie geschockte Rufe der anderen Schüler.

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

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    Wie sie.


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  • Schule - 14:40 Uhr



    Kevin spürte den Boden nicht mehr, auf dem er saß, als er die Szene um Tobias und dem größeren Jungen beobachtete. Der Knall des Gewehrs hallte durch die Aula, die Schreie des Schülers, der zusammenbrach und sich auf dem Boden krümmte, hallten nach. Einige der jüngeren Schüler sprangen schreiend auf, was Marvin dazu veranlasste, sofort drohend auf einige zu zu gehen und wieder auf den Boden zu zwingen. "Still! Keiner rührt sich!", schrie er und stieß den Lauf der Waffe einem jungen Schüler gegen den Kopf, was nicht zu dessen Beruhigung beitrug. Kai lag zitternd am Boden, hielt seine Hand um den blutenden Arm geklammert und jammerte.
    "Na... jetzt ist das Ganze nicht mehr so lustig, oder?", sagte Tobias mit einer Ruhe in der Stimme, die Kevin eine Gänsehaut versetzte. Einer der Lehrer stand wieder auf. "Hört auf damit! Das macht alles keinen Sinn, was ihr hier tut!" Marvin sah in Tobias Richtung, der sich von Kai abwand und in Richtung des Lehrers ging. Kevin bemerkte, dass der Dritte im Bunde immer noch stocksteif und stumm da stand, die Waffe in der Hand, und beobachtete. War er der heimliche Chef? Oder hatte er einfach Angst?



    "Was macht denn Sinn, Herr Glöckler?", fragte Tobias mit ernstem Ton einen seiner Lehrer, den er vermutlich kannte. Herr Glöckler war groß gewachsen, sah aber auf den ersten Blick nicht wie der Liebling aller Schüler aus. Graue Haare, Anzug und Brille, die mal in den 90ern modern war. "Macht es Sinn, wenn einzelne Schüler von einer anderen Gruppe fertig gemacht werden?" Der Lehrer schwitzte... vor Aufregung, vor Angst. Adrenalin. Er schluckte und sah zu dem etwas kleineren Schüler, und scheinbar bereute er es bereits, aufgestanden zu sein und den Mund aufgemacht zu haben. "Nein, das macht auch keinen Sinn.", sagte er mit leicht zitternder, aber versöhnlich klingender Stimme. Er machte sich Illusionen, die drei Schüler zu besänftigen, die gerade mehrere Kinder und Jugendliche erschossen hatten.
    "Aber was ihr hier macht, ist Wahnsinn. Ihr... ihr werdet eures Lebens nicht mehr froh." Marvin lachte auf und kam ebenfalls zu Herrn Glöckler. Kevin beobachtete die Szene und überlegte einzugreifen. Aber selbst wenn er beide Jungs überwältigen konnte, war da noch der Dritte... und der war nicht einzuschätzen von dem jungen Polizisten, weil er einfach gar nichts tat.



    "Wir waren auch unseres Lebens nicht froh auf dieser Schule. Und die Lehrer haben immer weggeguckt.", sagte Marvin laut. Herr Glöckler fühlte sich in die Enge getrieben. "Wir machen nicht alles richtig, das stimmt. Aber trotzdem..." "'Nicht alles richtig' ist gut. Sie haben weggeschaut! Warum? Zahlen die Eltern der Super-Sportler da hinten mehr Schulgeld?", blaffte Marvin. Beide Jungs hatten ihre Waffe nicht gegen den Lehrer erhoben. "Und was soll das jetzt bringen? Genugtuung? Wollt ihr uns alle umbringen? Was haben die Kinder damit zu tun, die hier sind?" "Gar nichts... und wenn sie sich ruhig verhalten, wird ihnen nichts passieren." antwortete Tobias. "Die anderen sind aus Angst weggelaufen und sind jetzt tot." sagte der Lehrer nun wieder weniger versöhnlich und deutlich erregter. "Wäret ihr alle so brav mitgekommen, wenn wir nicht geschossen hätten?" Der Schüler mit der Waffe neben Tobias setzte eine fragende Miene auf und Herr Glöckler spürte, wie im ein Rinnsaal Schweiß aus den Haaren lief. "Hören sie zu, Herr Glöckler. Verhalten sie sich einfach genauso ruhig wie die Schüler hier. Und auch ihnen wird nichts passieren. Niemandem, der uns nichts angetan hat, tun wir etwas an, ausser sie wollen abhauen... dann müssen wir uns selbst schützen. Aber wir haben hier noch einige Rechnungen zu begleichen... Das wird unsere Bluttat." Der Lehrer sah fassungslos in die Augen des Schülers, den er niemals als hasserfüllt oder feindseelig ansah. Marvin drückte ihn mit der Waffenmündung wieder zur Wand, wo sich der Lehrer geschlagen wieder hinsetzte.



    "Hey... was wird denn das da hinten?", fragte Marvin dann mit lauter Stimme, als er sah dass sich der fremde Lehrer zu Kai begeben hatte. Er hatte die Kapuzenweste, die nicht so recht zu einem Pädagogen passte, ausgezogen und drückte sie auf den Arm des wimmernden Schülers. "Ich versuchte die Blutung zu stoppen.", sagte Kevin mit einer Ruhe in der Stimme, die eigentlich abgebrühten Verbrechern aufgefallen wäre. Marvin packte den Polizisten grob am Shirt und zog ihn von Marvin weg. "Haben sie ne Macke? Glauben sie, wir machen nur Spaß hier?", zischte er und ließ das Shirt wieder los. Die Jacke verblieb auf Kais Arm, der schweißüberströmt am Boden lag, einer seiner Freunde hatte ihm beruhigend aber hilflos eine Hand auf die Schulter gelegt.
    "Er braucht einen Arzt.", sagte Kevin und blieb aber zunächst, um nicht weiter zu eskalieren, in der devoten sitzenden Position. "Achja, braucht er das?", fragte Marvin scheinheilig. Kevin sah in seinen Augen, dass er den Jungen am liebsten einfach niedergeschossen hätte... doch scheinbar wollte Tobias all die Peiniger quälen, die ihn gequält hatten. Und seine Freunde. "Er wird verbluten." "Das ist mir scheissegal! Und soviele Jacken haben sie nicht, dass sie jeden hier verarzten können, der noch eine Rechnung zu bezahlen hat."



    Dann sah Marvin zu dem Jungen, der dicht bei Kai saß und stieß ihn mit dem Gewehr ans Kinn. "Nicht wahr, Paddy... ach nein, so dürfen dich ja nur deine Freunde nennen." "Hör auf damit.", sagte Kevin nun etwas deutlicher, doch Marvin ließ sich nicht abhalten. Aber er wandte sich nochmal zu Kevin. "Paddy ist ein ausgezeichneter Fussballer. 10er-Position. Die Weiber lieben Fussballer." "Und warum hast du kein Fussball gespielt?", fragte der Polizist, denn er wusste auf was das Gespräch rauslaufen würde. "Weil er es nicht kann. Weil er nicht mal mit einem Ball geradeaus laufen kann und lieber mit seinem Papi in den Wald zum Rumballern gegangen ist. Da sieht man, was dabei rauskommt."
    Kevin sah den Jungen erstaunt an, der scheinbar den Mut zu Verzweiflung gefunden hat. Er hatte sich aufgerichtet und sprach mit lauter, arroganter Stimme. "Es ist auf der Welt halt so, dass es Starke und Schwache gibt. Gewinner und Verlierer. Und wir können nichts dafür, wenn ihr zu den Verlierern zählt!", rief er und vermutlich war es tatsächlich Paddys Selbstverständnis, die Dinge so zu sehen. Doch Marvin rastete heute nicht aus, wie so oft wenn er erniedrigt wurde... er tobte nicht, zerschlug keine Dinge. Er würde Paddys Leben genauso zerstören, in dem er ihm das nahm, was er liebte... den Sport. Er zielte mit dem Gewehr auf Paddys Kniescheibe, und Kevin konnte nicht mehr verhindern, dass der Junge abdrückte.

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

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    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


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    <3

  • Schule - 15:00 Uhr



    Marvin schien recht zu behalten. Spaß machten sie wirklich nicht... es war blutiger Ernst. Kevin war zwar erneut aufgesprungen, als der Schüler mit der Waffe Paddys Kniescheibe zerschoss und dessen Leben körperlich für immer beeinträchtigen würde... aber sofort spürte er, wie Tobias seine Waffe auf ihn richtete. Er verharrte, er hätte es eh nicht verhindern können... und er musste überleben solange er nicht wusste, was mit Ayda war. "Hinsetzen... sofort.", sagte Tobias dessen Stimme nicht einschüchternd klang, aber entschlossen. Kevin hatte gesehn, dass er scheinbar kaltblütig abgedrückt hatte, als Schüler und Schülerinnen noch im Kindesalter versucht hatten, die Flucht zu ergreifen.
    Paddy jammerte nun ebenso wie sein Sportsfreund, der langsam ruhiger wurde und scheinbar das Bewusstsein zu verlieren schien. Zu groß der Blutverlust, die Angst und der Schmerz. Die anderen Jungs in Sportklamotten wollten sich um ihre Freunde kümmern, doch sie waren ebenso eingeschüchtert... kamen sie auch noch an die Reihe? Hatten sie mit, weitaus harmloseren Hänseleien als das, was Paddy und Kai getan hatten ebenso verspielt bei den Jungs und standen auf der Abschussliste?



    Man nahm alles als so normal hin. Man hatte das doch auch immer schon so gemacht. Einer war halt immer der etwas Schwächere, der andere fühlte sich überlegen. Gehört das nicht zur Entwicklung dazu? Seine Grenzen abstecken, wie weit kann man gehen? Wie kann man sich benehmen, wann bekommt man vielleicht mal einen Schlag? Es wurde gehänselt, aber es war doch alles nur ein Spaß und kein Hass im Spiel, doch bei Paddy und Kai war die ganze Sache aus dem Ruder gelaufen. Ranzen verstecken, Stuhl wegziehen... das war ja alles okay. Aber die beiden übten gegen Tobias und Jens physische Gewalt aus. Gegen sie kamen sie alleine an. Marvin provozierten sie, bis dieser selbst zur Gewalt griff. Dann waren sie bereit, mit mehreren Jungs von anderen Schulen und richteten Marvin übel zu.
    Jetzt sahen alle Jungs angstvoll, nur zwei trauten sich näher an Kai und Paddy heranzurücken, eine Jacke um Paddys Bein zu wickeln und durch Handauflegen zu versuchen, ihn zu beruhigen. "Bitte lasst einen Arzt zu ihnen!", traute sich nach einigen Minuten dann doch einer der Sportler etwas zu sagen, doch seine Stimme klang weder überzeugend noch drohend óder scharf. "Ich glaube nicht, dass einer der beiden einen Arzt gerufen hatte, als ich mit gebrochenen Rippen auf der Schultoilette lag.", sagte Tobias seelenruhig.



    Die drei Schüler begannen sich zu besprechen, sie flüsterten miteinander. Währenddessen rückte der Lehrer der Theatergruppe, Herr Tziolis, dichter an Kevin heran. "Wer, zum Teufel, sind sie?", zischte er flüsternd. "Eigentlich sollte ich nur jemanden abholen. Ich bin Polizist.", sagte Kevin leise, sicher genug dass die drei Jungs ihn nicht hörten. "Polizist? Dann tun sie endlich was, verdammt." "Was soll ich machen? Mich erschiessen lassen, weil ich versuche einen der Jungs zu überwältigen?" "Warum haben sie sich überhaupt mit gefangen nehmen lassen?" "Weil ich einen Eindruck von der Situation gebraucht habe, und nun hören sie auf mir meine Arbeit zu erklären." Kevin musste aufpassen, nicht zu laut zu flüstern... was wusste der Lehrer schon.
    Wäre Kevin auf den Fluren geblieben, hätte er nichts weiter tun können. Er hätte vielleicht durch Schreie und Schüsse gehört, was in der Aula vor sich ging, aber draussen konnte er noch weniger tun als drinnen. Hier wollte er als Lehrer versuchen, auf die Geiselnehmer einzugehen, doch bisher hatte er keine Gelegenheit... und die beiden Schwerverletzten konnte er auch nicht verhindern. Bisher war sein Entschluß ein Fehlschlag, aber der Polizist war überzeugt davon, draussen nichts ausrichten zu können.



    "Los Jens... jetzt bist du dran.", sagte Marvin und grinste. Der dritte im Bunde, der leicht dickliche Jens, machte bisher einen eher verschüchterten Eindruck. Marvin schob ihn in Richtung einer Gruppe Mädels, die sich an die gegenüberliegende Wand gekauert hatten und Tobias ging dicht an Kevin heran, für den Fall dass er wieder versuchen würde einzugreifen. "Jetzt zeigs der Sch.lampe." Eines der Mädchen schien zu ahnen, wen der Junge meinte, und auf sie wurde nun von Jens zitternd die Waffe gehalten. "L... los. Steh auf." Eine äusserst hübsche Blondine erhob sich, mit schlankem Körper und leicht überschminktem Gesicht. Sie zitterte und ihr Mascara war durch Tränen leicht verlaufen. "Bitte... bitte tu mir nichts, Jens. Ich... ich habs nicht so gemeint."
    "Was hat sie getan?", fragte Kevin mit monotoner Stimme, während er hilflos die Szene vor sich beobachtete. "Sie hat ihn abgewiesen.", war die kurz und knappe Antwort. Kevin sah zu Tobias hoch. "Hey, ich kann es ja in gewissen Maßen nachvollziehen, dass ihr auf die Jungs sauer seid, die euch misshandelt haben. Aber eine nicht erwiederte Liebschaft? Das kommt jeden Tag vor." "Was wissen sie denn schon? Sie sind hier nicht auf der Schule, und nicht mal die Lehrer hier wissen, was abgeht.", antwortete Tobias während das Mädchen sich mit dem Rücken an die Wand drückte.



    "Dann erklär es mir.", forderte Kevin und versuchte den Augenkontakt zu Tobias aufrecht zu halten, und dessen Blick war leicht verwirrt. Scheinbar war er es nicht gewohnt, dass man fragte, was los sei. Nach den Problemen der drei Jungs. "Sie hat ihn nicht nur abgewiesen. Nicht normal. Er hat allen Mut zusammengenommen und ihr einen Brief geschrieben. Vielleicht etwas kitschig, ja... aber er hat sich getraut. Er ist nunmal so, wie er ist." Tobias sprach so, dass Jens ihn nicht hören konnte... der war gerade mit sich selbst beschäftigt, denn ihn schien nun der Mut zu verlassen, während Marvin ihn anfeuerte. "Sie hat nicht gesagt: Schön von dir, aber das wird nichts. Sie hat den Brief auf Facebook gepostet und sich darüber lustig gemacht. Sie hat ihn kopiert und ans schwarze Brett geheftet. Jens bekam den Spott der kompletten Schule."
    Kevin sah zu der Szene hin... und ihn überkam ein unheimliches Gefühl. Das Mitleid für das Mädchen nahm plötzlich ab, das Mitleid für den dicklichen Jungen zu. Sein Mund wurde trocken: "Trotzdem, ihr müsst damit aufhören. Ihr habt schon soviele Menschen getötet, das kann nicht die Lösung sein." "Jens wollte sich umbringen deswegen...", antwortete Tobias ohne auf Kevins Bitte Bezug zu nehmen, der starr auf die Szene schaute, als Jens die Waffe langsam senkte um dem blonden Mädchen auf den Schritt zu zielen. Marvin feuerte ihn an, während sich Kevins Finger in den Teppichboden krallten. "Er soll aufhören, Tobias. Sag ihm, dass er aufhören soll!", sagte er leise und eindrücklich. Er konnte nicht verantworten, dass er ein drittes Mal zusah. Wenn er eingriff, könne er sonst niemandem mehr helfen. Auch nicht dem Mädchen... und schon gar nicht Ayda. Wo immer sie auch gerade war.

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen


    <3

  • Schule - 15:15 Uhr



    Kevin spürte sein Herz bis zum Hals schlagen, als er Sekundebruchteile vor einer Entscheidung stand, die die komplette Situation um sich verändern könnte, vielleicht sein Leben beenden würde. Er hatte die jetzigen unschuldigen Schüler vor Augen und Ayda im Sinn... aber man würde ihm Fragen stellen. Fragen, warum er es zuließ, dass drei Schüler vor seinen Augen schwer verletzt, vielleicht sogar tödlich verletzt wurden. Schließlich war ein Schuss in den Unterleib, vor dem das junge Mädchen gerade stand, nur schwer überlebbar, und die Schussverletzungen der beiden Jungs hatten auch schon einen hohen Blutverlust zur Folge.
    Fragen, warum er sich absichtlich in die Geiselnahme verwickeln ließ, statt die Schule zu verlassen? Statt sich zu verstecken? Und warum er, als er mitten im Geschehen war, nicht eingriff. Nach den letzten Ereignissen in Kevins Leben hatte er damit begonnen, den Schutzwall um sich herum wieder aufzubauen, denn zuerst Ben und Semir zumindest angekratzt und aufgebrochen hatten, Jenny letztendlich durch ihre Liebe komplett eingerissen hatte.



    Doch davon war nichts mehr übrig. Jenny hatte die Beziehung unmissverständlich beendet, Kevin hatte Ben aufgrund von Manipulation und Erinnerungslücken fast umgebracht und Semir hegte größten Misstrauen, inwiefern der junge Polizist nochmal rückfällig wurde... und inwieweit er schuld am Tod des jungen Timo war, der in einem Parkhaus von Kevins ehemaligem Jugendfreund, der versucht hatte Kevin zu manipulieren, erschossen wurde. Kevin sah sich zurückversetzt an den Punkt des Lebens, als er zur Autobahnpolizei gekommen war, von der Mordkommission geflohen ist, wo man ihn schief ansah, immer noch für ein Straßenkind hielt, der im Polizeidienst nichts verloren hatte. Misstrauen und Vorurteile schlugen ihm dort entgegen, die er nicht mehr an sich ranlassen wollte.
    Doch diese Vergangenheit war jetzt ganz weit weg. Die Gegenwart war für Kevin nur wenige Meter entfernt, die er vielleicht überwinden konnte, bevor einer der drei Schüler die Waffe auf ihn richten konnte, und den Abzug betätigen konnte. Doch es hielt ihn zurück. Ab wieviel Verletzten war es das Risiko wert, das vielleicht noch mehr Tote und Verletzte, inklusive sich selbst, beinhaltete. Einer, Fünf oder 50 % von allen?



    Der Zufall nahm Kevin die Entscheidung ab, als ein Handy klingelte. Jens schaute verwirrt, Marvin schaute verwirrt, und beide blickten zu Tobias, von dem der Klingelton ausging. "Hatten wir nicht gesagt, wir schalten die Handys ab?", fragte Marvin und Jens ließ, beinahe erleichtert, die Waffe vor dem Mädchen sinken, das kurz vor einem Nervenzusammenbruch stand. "Falls wir fliehen, hab ich gesagt.", knurrte Tobias und sah auf das Handy, wo "Unbekannt" stand. "Wer ist das, zum Teufel?" "Keine Ahnung... steht Unbekannt da." Für einen Moment war sich der optische Anführer unsicher, ob er abheben sollte, oder nicht. "Die Polizei vielleicht.", sagte Kevin, der den kurzen Moment der Verwirrtheit nicht ausnutzen konnte... zu weit weg standen seine Gegner.
    "Was?" "Glaubst du, es wäre noch nicht auffällig geworden, was hier passiert? Jeder draussen hat die Schüsse gehört, und die Eltern der Kinder warten darauf, dass sie sie ihre Kids abholen können. Die stehen sicher vor dem Gebäude." Tobias sah von Kevin zum Telefon und zurück. Herr Tziolis sah mit trockenem Mund zu Kevin und atmete etwas schneller, als wolle er stumm protestieren, dass der Polizist den Jungs diesen Tipp gab.



    Doch Kevin kannte einige Leute vom SEK... unter anderem Karl-Heinz Kosicke. Er hatte eine psychologische Ausbildung und war Verhandlungsführer beim SEK. Wenn es darum ging, Geiselnehmer zur Aufgabe zu bringen, ohne Waffengewalt einzusetzen, war er in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland erster Mann. Er hielt im ganzen Bundesgebiet Vorträge und konnte bereits auf eine beeindruckende Statistik an erfolgreich beendeter Geiselnahmen zurückblicken. Kevin war sich sicher, dass man ihn aus dem Urlaub, Feierabend oder sonstwas geholt hatte, um dieser Lage zu betrauen... wenn denn wirklich die Kollegen, die er informiert hatte, anriefen.
    Tobias wartete einige Sekunden, und nahm dann tatsächlich ab. Und tatsächlich hörte er die knarrende, leicht verrauchte Stimme von Karl-Heinz Kosicke auf der anderen Seite der Leitung. "Kosicke, Verhandlungsgruppe SEK. Mit wem spreche ich?" Kosicke hatte seine eigenen Methoden zur Verhandlung und konnte sich sowohl auf professionelle abgebrühte Geiselnehmer einstellen, als auch auf Menschen, die im Affekt handelten. Denen war meist leichter zu helfen und sie waren leichter zu beeinflussen.



    "Was wollen sie?" "Ich will nur mit ihnen reden. Und mit ihnen eine Lösung finden, wie wir die ganze unschöne Sache möglichst gut über die Bühne bringen." Anhand der Stimme erkannte Kosicke bereits, dass es sich nicht um einen Menschen handelte, der jede Woche eine Geiselnahme durchführte. Als Tobias die Stimme des SEK-Beamten hörte, machte es in seinem Kopf "Klick", denn er redete jetzt mit einem Polizisten. Allein dieses Wissen änderte sich sein Puls, als wenn er mit einem, in Kevins Fall, vermeintlichen Lehrer sprach. Man merkte es auch an der schwindenen Sicherheit in seiner Stimme. Er schaltete das Handy auf Laut, damit Marvin und Jens mithören konnten.
    "Ist es möglich, dass sie mir ein paar Informationen geben können, wie es bei ihnen aussieht? Gibt es Tote oder Verletzte? Wieviele Geiseln haben sie in ihrer Gewalt?" War ein Geiselnehmer kommunikativ, konnten sich die Einsatzkräfte schnell und leicht ein besseres Bild verschaffen. "Ja, es gab ein paar Tote, die flüchten wollen. Und wir haben hier bestimmt... ähm..." Tobias zögerte und zählte erst genau durch, dann überflog er nur... "Ähm... ungefähr vielleicht 20 Schüler und 4 Lehrer als Geisel." "Und was können wir tun, damit es nicht noch mehr Tote gibt?", fragte Kosicke indirekt nach den Forderungen. "Gar nichts! Lassen sie uns einfach in Ruhe, und es wird keine Geisel mehr getötet!"

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  • Schule - 15:30 Uhr



    Jens schien beinahe erleichtert zu sein, als es die Ablenkung durch das Telefonat gab, und Kevin beobachtete ihn genau. Er schwitzte, er zitterte leicht und er trug nicht die brutale Überzeugung seines Tuns nach Außen, so wie Marvin und Tobias. Die beiden genossen es, gegenüber ihren Peinigern Stärke zu zeigen. Jens war selbst jetzt mit einer Waffe in der Hand noch ängstlich und unsicher. Der junge Polizist zeichnete in seinem Kopf Psychogramme, Täterprofile um die drei Jungs einzuordnen. Tobias, kühl und berechnend, introvertiert und trotzdem ein Anführer. Marvin erschien aggressiver und auf den ersten Blick gefährlicher. Vielleicht auch ein bisschen labil. Und Jens war ein Nervenbündel.
    Er hörte die Stimme von Kosicke und seine Zuversicht hebte sich wieder ein wenig. Dazu überlegte er, dass er Jens durch seine Unsicherheit oder Tobias durch seine Intelligenz wohl am ehesten zur Aufgabe überreden könnte. Aber bei Tobias brauchte er gute Argumente. Und die hatte er noch nicht. Schon gar nicht, als einer der Jungs der Theater-AG, der vielleicht in Aydas Alter war, laut um Hilfe schrie, als er die Stimme des SEK-Beamten am Telefon hörte und scheinbar realisierte dass draußen die Polizei war.



    Tobias hielt eine Hand auf das Telefon, damit die Stimme des Jungen nur gedämpft durch die Leitung strömte und Marvin ging sofort mit erhobenem Gewehr auf die Gruppe Kinder zu, die bei Herr Tziolis und Kevin saßen. Aus dem "Hilfe" wurde ein schrilles "Nein!!!" und unter den Schülern wurde Unruhe breit. "Was geht da vor sich? Hallo, sind sie noch dran? Reden sie mit mir!", knarzte es leiser durch das Handy des Jungen, während der junge Polizist sich nun nicht von der Vernunft sondern von seinem Bauch leiten ließ. Dieser Junge hatte einfach Angst, er hatte den drei nichts getan und Kevin stand vom Boden auf, um sich vor den kauernden Jungen zu stellen. Der Lauf des Gewehrs berührte seine geschlossene Weste an der Brust.
    "Lass ihn in Ruhe. Er hat nur Angst!", sagte er zu Marvin und er sah dass dieser den Finger auf den Abzug gelegt hatte. Die beiden schauten sich in die Augen und die Entschlossenheit, die Kevins Blick ausstrahlte, verwirrte nun auch Marvin. Kevin war nicht mehr im Schauspiel-Modus des Lehrers, sondern stand nun als Polizist vor Marvin, und genau das bemerkte der Junge jetzt, als er ihn mit dem Lauf gegen die Brust stieß. "Was für ein komischer Lehrer sind sie eigentlich?"



    "Nichts ist hier los! Wir brauchen keinen Psychologen und auch kein Gequatsche, wir werden unser Ding durchziehen. Und sie sollten nichts unternehmen. Die Türen sind vermint und gekoppelt mit Sprengsätzen im Chemiesaal. Was das bedeutet, kann ihnen sicher unser Direktor erklären." Daraufhin legte er auf und kam mit einigen Schritten zu Marvin und Kevin. "Wenn keiner der Kleinen abhaut, lassen wir sie in Ruhe.", sagte er leise zu Marvin um dann zu Kevin zu schauen. "Was unterrichten sie eigentlich?" Herr Tziolis spürte, wie sein Mund trocken wurde und sein Herz wieder schneller schlug, als er aus sitzender Position zu Kevin hochsah. Er wusste, dass jetzt die Gefahr drohte, dass dessen Tarnung durch seinen Einsatz auffliegen könnte.
    "Physik und Sport.", antwortete Kevin knapp... denn Physik war der einzige Unterricht, an den er sich noch an irgendwas erinnern konnte. Ausserdem so schwer, dass er hoffte, die Jungs würden nicht nach irgendetwas fragen. "Und welche Sportart ist ihr Spezialgebiet?", fragte Tobias mit leicht hochgezogener Augenbraue. Kevin ließ sich keinerlei Unsicherheit anmerken... seine Stärke keinerlei Gefühlsregung zu zeigen, was sein Gegenüber oftmals provozierte, war hier von Vorteil.



    "Selbstverteidigung.", war seine knappe Antwort. Sie sollte ein wenig abschrecken, sich mit ihm anzulegen, wobei das eh keinen Sinn machte... schließlich waren die drei Jungs bewaffnet. "Selbstverteidigung... das trifft sich ja prima.", sagte der Junge und grinste fast schon, was Kevin ein wenig mulmig werden ließ. Er drehte sich etwas weg von Kevin und Herrn Tziolis und ging auf eine Gruppe Jugendlicher zu, die auch in dessen Alter waren und dicht bei der Sportgruppe standen. Er stieß mit dem Gewehr einem muskulösen, ausländisch aussehenden Mitschüler an, mit leicht dunklem Teint und schwarzen Haaren. "Achmed... du magst es doch dich zu prügeln."
    Achmed schaute den Jungen vom Boden aus an. Man konnte in seinen Augen den Hass erkennen, der nur von der Tatsache abgehalten wurde, dass Tobias eine Waffe hatte. Sicher war der Tunesier kein Kind von Traurigkeit und die Jungs hatten unter ihm zu leiden. "Los, steh auf.", sagte Tobias und der Junge erhob sich langsam. Er war bestimmt 1m90 groß, als er sich erhob und weder Marvin noch Tobias, schon gar nicht Jens, hätten körperlich je eine Chance gegen den 18jährigen.



    "Na, würden sie sich mit ihm anlegen wollen?", fragte der Schüler in Richtung Kevin, wobei er mit der Waffe auf Achmed deutete. "Was soll der Unsinn?", fragte der Polizist mit ruhiger Stimme. "Heute stelle ich die Fragen. Also... was würden sie tun, wenn er mit einem Messer vor ihnen stehen würde im Unterricht?" Achmed atmete schneller... ihm war die Situation nicht geheuer. Immer hatte er in Tobias das Bild eines weinerlichen Schwächlings, wenn er schon bettelte, ihn zu verschonen und er ihm freiwillig sein Geld aushändigte auf dem hinteren Platz auf dem Schulhof. "Ich würde das Gleiche tun, was ich tue wenn jemand mit einem Gewehr vor mir steht.", antwortete Kevin und Tobias musste erneut grinsen.
    "Los, greif ihn an.", sagte er zu Achmed. Der sah erst zu Tobias, dann zu Kevin, dann wieder zu Tobias. "Warum? Ich habe keinen Grund.", sagte er mit leichtem Akzent, aber gutem Deutsch. Das Lachen verschwand aus Tobias' Gesicht. "Hattest du einen Grund, mich jeden zweiten Tag zu schlagen? Mein Gesicht in den Dreck zu drücken oder mich zu treten, obwohl ich schon wehrlos am Boden lag? Hattest du dafür einen Grund??", rief er wütend und drückte dem gebürtigen Tunesier den Gewehrlauf an die Schläfe, so dass dieser die Lippen zusammenpresste. "Los! Greif ihn an!"

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  • Schule - 15:45 Uhr



    Es war mucksmäuschenstill in der großen Aula, und die Schüler und Lehrer am Boden sahen zu Achmed und Kevin, die sich wie zwei Raubtiere gegenüber standen. Doch es waren Raubtiere, die nicht auf den Kampf aus waren, sondern eher Angst voreinander hatten. Eigentlich wollten sie voreinander flüchten, doch Tobias mit der Waffe in der Hand hielt sich im Käfig. "Was soll das? Was bringt dir das?", fragte Kevin noch einmal und hob beschwichtigend die Arme nach oben. "Soll das ein Beweis für dich sein, dass ich wirklich ein Lehrer bin? Wer soll ich denn sonst sein? Der Vater eines Kindes, der sich als Lehrer ausgibt?" Auch Achmeds Gesicht drückte Unsicherheit aus... ja, er hatte schon viele Menschen geschlagen, aber das hatte meist einen Grund. Weil sie kein Schutzgeld dabei hatten, weil die Drogen zu teuer waren, oder weil jemand ihm drohte, ihn auffliegen zu lassen mit seinen kriminellen Geschäften.
    Doch so ein inszenierter Kampf? Das war nicht seine Welt. Und er nickte beipflichtend zu den Worten des, aus seinen Augen, Lehrers. "Das macht gar keinen Sinn, Alter.", sagte er zustimmend. Aber Tobias schüttelte den Kopf. "Entweder sehe ich, wie dieses Großmaul endlich mal eine Tracht Prügel bekommt...", sagte er und stieß mit der Waffe erneut gegen Achmeds muskulösen Körper. "...oder ich erreiche, dass sie mal für eine Weile die Klappe halten. Also los! Ich sags nicht nochmal... oder wollen sie für den Tod eines ihrer Schüler verantwortlich sein?", fragte er provokant und hielt die Waffe erneut an Achmeds Schläfe.



    "Na schön...", sagte Kevin und ging gegen Achmed in Kampfposition. Der sah letztendlich auch ein, dass es keinen Sinn hatte sich gegen Tobias Wunsch zu wehren und folgte dessen Wunsch. Er stellte sich vor Kevin, der den Größenunterschied jetzt erst richtig merkte. Achmed war austrainiert, sicher ein Muckibuden-Gänger... aber ob er von Kampfsporttechnik Ahnung hatte, würde sich erst bei den ersten Bewegungen zeigen. Doch im Kopf des Polizisten arbeitete es unaufhörlich... sollte er den Jungen jetzt fertigmachen und Tobias so seine Genugtuung geben? Würde ihn das besänftigen? Bestand die Gefahr, dass er Achmed etwas antun könnte, wenn er gegen den Polizisten obsiegen würde? Und was bedeutete es für ihn selbst? Machte sich Kevin mehr oder weniger verdächtig, wenn er diesen Muskelprotz auf den Boden schicken würde? Würden sie ihn unterschätzen?
    Achmed ging in den Angriff, er hatte die Fäuste geballt und schlug zu. Mehr aus Reflex als aus Wollen wich Kevin mühelos aus und schlug selbst erst nicht zu. Alle Augen waren auf den seltsamen und in dieser Situation völlig bizarren Zweikampf zwischen einem vermeintlichen Lehrer und einem Schläger der Schule gerichtet. Kevins erster Hieb ging absichtlich ins Leere, und trotzdem zeigte er nach aussen, dass er kein plumper Prügler war, sondern Technik beherrschte. Zum ersten Mal brachte er Achmed relativ schmerzfrei zu Boden, als er sich unter einem Schlag duckte und dem Tunesier mit dem Fuß das Standbein wegzog.



    Tobias grinste, als er Achmed am Boden sah: "Na? Fühlt sich nicht besonders gut an." Dabei hatte er immer noch den Lauf des Gewehres auf ihn und Kevin abwechselnd gerichtet, während Achmed sich nochmal aufrappelte. "Halt bloß die Klappe...", grummelte er, im Adrenalin nicht darauf achtend, dass Tobias immer noch das Gewehr in der Hand hielt. "Lass uns aufhören! Was willst du damit be...", sagte Kevin und hob erneut die Hände, was der Schulhof-Schläger sofort ausnutzte und eine krachende Rechte in Kevins Gesicht folgen ließ. So hart und unerwartet, dass dem Polizisten sofort die Beine wegknickten und einen leichter blutiger Rotschleier vor seinen Augen hing. Der Boden war härter, als angenommen und ein richtiges Abrollen war mit dem pochenden Brennen auf Nase und Wange auch nicht mehr möglich.
    "Scheisse...", grummelte Achmed... einerseits, weil er gar nicht genau registrierte, dass sein Gegenüber in diesem Moment auf Tobias konzentriert war... und zweitens, weil er es eigentlich nicht so weit kommen lassen wollte. Beinahe zynisch stellte sich Tobias zu Kevin, der sich eine Hand stöhnend gegen Nase und Wange drückte, und das warme Blut spürte und schmeckte. "Ich hoffe, sie sehen vom Selbstverteidigungsunterricht in Zukunft ab. Und bleiben weiter bei ihrer Theater-AG." Kevin sah mit leicht zusammengekniffenen Augen und blutverschmierter Hand zu Tobias und setzte sich auf. Einen Kommentar sparte er sich. Achmed hatte selbst entschieden, wie das Duell endete, hatte selbst entschieden, bevor Kevin es tat, ob er sich absichtlich besiegen lassen sollte.



    "Aber glaub nicht, dass du damit aus dem Schneider bist.", knurrte Marvin, der sich noch vor Lachen schüttelte, als Achmed zu Boden gegangen war, zu dem dunkelhäutigen Jugendlichen. "Du bist heute auch noch fällig." Beinahe resigniert setzte sich der Teenager wieder zu Boden. Kai und Paddy waren immer stiller geworden, sie lagen bei ihren Freunden, schweißüberströmt und höchstens hin und wieder ein wenig wimmernd. Die drei Jungs steckten die Köpfe zusammen und stellten sich wieder etwas abseits, als Kevin sich langsam aufrappelte und wieder zurück zu Herr Tziolis ging. "Alles in Ordnung?", fragte der arggewöhnisch mit Blick auf die Blutspuren um Kevins Nase herum, doch der winkte nur ab. Was die drei Jungs redeten, konnte er nicht verstehen.
    "Wo ist Ayda?", fragte der Polizist dann unvermittelt. "Wie bitte? Wie kommen sie jetzt darauf?" "Ich sollte sie für meinen Partner abholen. Sie ist nicht hier. Was ist mit ihr passiert?" Der Lehrer, der die ganze Zeit äusserlich versuchte, Ruhe auszustrahlen, zitterte nun ein wenig. "Ich... ich weiß es nicht. Es war ein riesiges Durcheinander, als die drei Jungs in den Proberaum, wo die Requisiten stehen, gekommen ist. Einige Schüler wollten weglaufen, einer der Jungs hat ein paar Mal geschossen, und dann wurden wir hier hineingestoßen. Ich kann... ich kann ihnen nicht sagen, wer es geschafft hat und wer nicht. Einige fehlen uns jedenfalls... auch Ayda." Kevin sah den Lehrer an, der jetzt zum ersten Mal Gefühle und Gestern der Verzweiflung zeigte. Dabei presste er die Lippen aufeinander. Er konnte sich nicht vorstellen aus diesem Gebäude zu gehen, auf Semir zu zu gehen und ihm zu sagen, dass er seine Tochter nicht retten konnte...

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  • Vor der Schule - 16:00 Uhr



    Semir und Ben konnten den großen Auflauf an Fahrzeugen mit blau-silberner Färbung sowie zwei schwarzen Personentransporter schon von der Hauptstraße aus erkennen. Die schlimmsten Befürchtungen schienen sich zu bewahrheiten... wobei dies ja nicht mehr vermeidbar war. Wenn Nachrichten über etwas berichten, eine Sondersendung brachten, dann durfte man davor die Augen nicht verschließen. Aber Semir hatte sich selbst immer wieder bei dem Gedanken erwischt: "Es ist alles nur ein Missverständniss. Das wird sich alles aufklären." Er wurde enttäuscht... bitterböse.
    Mit quietschenden Reifen bog der Polizist mit seinem Partner auf den Parkplatz des Gymnasiums ein, welchen man weiträumig mit Flatterband abgesperrt hatte. Überall wuselten Leute, Menschen in Uniform, Menschen in schwarzer SEK-Bekleidung und schwer bewaffnet. Dort ein Kameramann, davor eine Frau in Hosenanzug und Mikrofon in der Hand. Eine Handvoll Eltern standen am Rand, betreut von drei oder vier Männer in violetten Westen, die Kennzeichnung der polizeilichen Notfallseelsorger. Wäre Semir nicht Polizist, könnte er sich jetzt dort dazu stellen, denn in seinem Kopf pochte es und sein Puls raste, als er mit schnellen Bewegungen aus dem Auto stieg und ungebremst auf das Flatterband zuhielt, unter dem er sich dann durchwand. Dabei fiel ihm Kevins Dienstwagen auf dem Parkplatz auf, und es versetzte seinem Herz einen Stich... und seinem Gewissen.



    Ein junger Kollege in Polizeiuniform, der das Blaulicht am Dienstwagen scheinbar übersehen hatte, wollte ihn aufhalten. "Hey, halt! Sind sie ein Elternteil? Dann müssen sie...", doch weiter kam er nicht. War Semirs Tochter in Gefahr, war es die denkbar schlechteste Idee, Semir ihn irgendeiner Form aufzuhalten, einzubremsen oder von seinem Vorhaben abzuhalten. Als der Kollege den kleinen Polizisten dann auch noch am Jackenärmel festhielt, war das bereits zuviel. Semir packte ihn an der blauen Uniform. "Wo ist die Einsatzleitung?" "Spinnen sie??", entfuhr es dem Kollegen, der mit dieser Art der Antwort nicht gerechnet hatte.
    Ben kam der Situation zur Hilfe, packte seinen besten Freund am Arm, um den Griff zu lösen. "Jetzt behalt doch mal die Nerven.", raunte er ihm zu, obwohl Ben natürlich Semirs Sorge um seine Tochter absolut nachvollziehen konnte... und teilte. Trotzdem schaffte er es, ein paar Prozent seiner Gefühle im Polizei-Modus zu lassen und hielt dem jungen Kollegen seinen Ausweis unter die Nase. "Die Einsatzleitung?", fragte er dann im freundlicheren Ton. Langsam begriff der Beamte und wies auf den zweiten Parkplatz neben der Schule, wo die beiden Männer zwischen Bäumen den ziemlich betagten, grün-weißen Bus, die mobile Einsatzzentrale.



    Es war kein schneller Gang, in dem sich die beiden Polizisten über den Asphaltplatz bewegten, sondern ein Lauf. Immerhin konnte Ben währenddessen mit schnaufender Stimme Semir davon überzeugen, zwei Gang runterzuschalten und zumindest anzuklopfen, bevor er die Zentrale besetzen wollte. Semir gehorchte... und ihm wurde nach zweimaligen Klopfen auch geöffnet. "Was gibts denn?", fragte ein stämmiger Mann mit einem umgedrehten U-förmigen Schnurbart über den Lippen und Glatze, was ihm ein wenig den Look eines Piraten verlieh. Schorr, seines Zeichens Einsatzleiter des SEK... ein erfahrener Mann, aber in Semirs Augen ein Hitzkopf und dafür bekannt, gerne im Rampenlicht zu stehen. Er und Semir waren in jeglichen Einsätzen öfters mal aneinandergeraten.
    "Schorr... lassen sie mich bitte rein.", sagte Semir und vergaß jeglichen Streit, den er jemals mit dem Einsatzleiter hatte. "Gerkhan... haben sie sich verfahren? Ich habe keine Zeit für Kaffeekränzchen.", war die etwas barsche, aber aufgrund fehlender Informationen bezüglich dem Hintergrund von Semirs Auftauchen, verständliche Antwort. Hinter Schorr bewegte sich im Dunkeln des Buses eine Gestalt, und ein zweites Gesicht erschien in der Frühlingssonne. "Semir, was machst du denn hier?", fragte eine Stimme, die Semir und Ben sofort erkannte.



    "Karl-Heinz... gut dass du da bist.", sagte Semir und schüttelte Kosickes Hand. Der grau angehauchte Mann mit gleichfarbigen Drei-Tage-Bart nickte den beiden Männern zu, und Semir rückte mit der Sprache seines Vorstoßes raus. "Meine Tochter ist dort drin. Und ein Kollege von uns." "Ach du scheisse...", entfuhr es dem Verhandlungsführer völlig spontan und auch Schorr verdrehte die Augen. "Das wird ja immer besser." "Bitte, ihr müsst mir sagen was ihr bisher wisst... wie siehts da drin aus, was wisst ihr schon?" Der Einsatzleiter sah seinen Kollegen kurz an, der nickte. "Lassen sie die beiden rein. Das ist eine Ausnahmesituation.", sagte er aus psychologischer Sicht... und weil er Semir kannte. Er wusste, dass der Vater in dieser Situation mit einem gutgemeinten: "Tut mir leid, aber das geht nicht, wir machen unsere Arbeit.", sicherlich nicht auf dem Parkplatz auf eine Bank setzen würde, und wartet, bis alles vorbei ist.
    "Na schön...", meinte Schorr und ließ die beiden in den, eh bereits recht engen Bus. Am Tisch saß ein weiterer Mitarbeiter, der die Technik überwachte, vor einigen schwarzen Monitoren und zeichnete die Gespräche zwischen den Geiselnehmern und Kosicke auf.



    "Also, wir wissen leider bis jetzt nicht viel... es ist alles ein bisschen undurchsichtig.", begann Kosicke, der es für besser fand in seiner psychologischen Vorsicht das Wort zu übernehmen, bevor Schorr Semir mit knallharten Fakten beschoss. "Wir wurden einmal informiert von einem Mann im Inneren des Gebäudes... euren Kollegens wahrscheinlich. Kevin Peters." Beide Polizisten atmeten tief ein und aus, Ben fuhr sich mit den Fingern durch die Augen. "Gleichzeitig hat ein Schüler des Gymnasiums angerufen, der zwei Schüler mit Gewehren erkannt hatte, als sie in die Schule gingen. Danach seien Schüsse gefallen." "Konntet ihr bereits Kontakt aufnehmen?", fragte Ben.
    Kosicke nickte: "Wir haben leider keine Ahnung, wo sich die Schüler aufhalten. Sie haben die Türen vermint, angeblich mit FUnkverbindung zu weiteren Sprengsätzen im Chemielabor. Ein Spitzentechniker der KTU hat sich von aussen die Sprengsätze angesehen und konnte zumindest eine Funkverbindung bestätigten. Wenn die Schüler alle im Chemiesaal sitzen, und wir gehen einfach rein, können wir uns gratulieren. Das fällt also flach."



    Semir und Ben nickte, der erfahrenere Polizist spürte ein Zittern in seiner Hand. Alte Ängste kamen wieder hoch, Erinnerung an Aydas Entführung. "Laut den Geiselnehmern gibt es einige Opfer. Wer, oder wieviele... können wir nicht sagen. Ungefähr 20 Schüler und 4 Lehrer befinden sich in ihrer Gewalt. Von einem Polizisten haben sie nichts erwähnt." "Vielleicht ist Kevin noch frei. Und hat sein Handy aus, damit er nicht entdeckt wird.", vermutete Ben um vielleicht sich selbst ein wenig Hoffnung zu machen. "Möglich. Jedenfalls haben wir versucht, mit den Geiselnehmern weiter zu kommunizieren, doch er blockt ab. Dass es ein Schüler ist, kein abgebrühter Geiselnehmer, wird deutlich. Er wirkte auf mich unsicher, aber lehtn entschieden jegliche Einflussnahme ab. Ich glaube, dass er genau weiß, was er da drin möchte.", erklärte Kosicke.
    "Also gar kein kopfloser Amoklauf, um möglichst viele Menschen zu töten?", fragte Semir, und auch das machte ihm ein wenig Hoffnung. Kosicke schüttelte den Kopf. "Das schließe ich aus. Dafür dauert die Sache viel zu lange, und der Zeitpunkt ist schlecht. Es waren nur noch wenige Schüler im Gebäude, und zumindest die beiden Schüler, die erkannt wurden als Täter, sind von dieser Schule und wissen das."



    Semir biss sich auf die Lippen. "Was können wir tun? Oder wie wollt ihr jetzt weiter vorgehen." Kosicke seufzte etwas und sah zu Schorr, der nun mit seiner dominanten Stimmlage das Wort übernahm: "Ich studiere zur Zeit mit dem Hausmeister die Gebäudepläne, um vielleicht einen Zutrittspunkt zu finden. Allerdings dürfen wir aufgrund der Sprengfalle kein Risiko eingehen." "Und meine Kollegen versuchen gerade, die Eltern der beiden Schüler beizukriegen, damit die vielleicht auf ihre Kinder einwirken können. Das hat sich oft bewährt, sie aus ihrem Tunnelblick, in dem sie sich momentan befinden, heraus zu holen. Ausserdem wollte ich mit einigen Lehrern, die mittlerweile da sind, reden um mir einen Überblick über die beiden Schüler zu schaffen. Dabei könntet ihr mich unterstützen, wenn ihr...", er sah kurz zu Semir: "Wenn du dazu in der Lage bist. Es wird dich sicher etwas ablenken. Sonst kannst du eh momentan nichts tun..." und er klopfte Semir dabei auf die Schulter. Der kam sich dabei ganz klein und hilflos vor... und er machte sich schreckliche Sorgen.

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  • Schule - 16:15 Uhr



    Semir fühlte sich wie taub an. Um ihn herum war alles in Watte gepackt, die Stimme seines Partners klang dumpf und weit weg, der Boden den seine Füße berührten schien aus Kaugummi zu bestehen als sie die mobile Einsatzzentrale verließen. Kosicke hatte sich bereits zwei Fotos der beiden Jungs besorgt, die für dieses Massaker verantwortlich sein sollen und hatte sie den beiden Autobahnpolizisten aufs Handy gespielt, damit die einige anwesenden Lehrer befragen könnten und den Verhandlungsführer unterstützen sollten. Dieser war allerdings allzeit bereit, wieder in die Zentrale zurück zu kehren, falls die beiden Schüler aus der Schule nochmal anriefen.
    Der erfahrene Beamte, der neben Ben zu den Lehrern ging und seinem besten Freund meist das Wort überließ, konnte sich auf keines der Gespräche konzentrieren. Immer wieder blickte er sich mit besorgter Miene zu dem großen Schulgebäude um, das übermächtig und bedrohlich wirkte, als würde etwas schreckliches im Inneren passieren. Horrorbilder von blutenden, toten Schülern baute sich vor seinem inneren Auge auf, und seine Tochter mittendrin. Der Gedanke war unerträglich.



    Ben war nicht weniger besorgt, hatte er zu den Kinder von Semir doch eine besonders enge Beziehung, die weit über eine normale Bekanntschaft zu den Kindern eines Freundes hinausging. Er war so etwas wie ein Onkel, ein Familienmitglied. Die emotionale Bindung war aber im Vergleich zu Semir als Vater ein Stück distanzierter, und Ben schaffte es in diesem Moment einigermaßen, sich auf seinen Job zu konzentrieren. Die ersten beiden Lehrer, die sie befragten, winkten ab... sie kannten die Schüler vom Sehen, aber weder mit Namen noch ihren Charakter. Erst ein kleinerer Mann mit grauem Haarkranz und Brille auf der Nase nickte beim Bild von Tobias und Jens.
    "Ja, die beiden waren in meiner Klasse. Sehr stille Jungs, denen ich sowas eigentlich nicht zu trauen.", sagte er mit trauriger Stimme. "Wie würden sie sie beschreiben? Von ihren Charakteren her?", fragte Ben, während er merkte dass sein Partner völlig geistesabwesend war. Der ältere Mann dachte kurz nach, nahm seine Brille von der Nase und putzte sie mit einem Brillenputztuch. Es schien, als brauche er etwas Zeit zum Nachdenken.



    "Jens war sehr still, aber man hat gemerkt, dass er sehr intelligent ist. Besessen von Technik und Physik. Ich habe die beiden unter anderem in Physik unterrichtet. Aber ein Eigenbrödler, sehr zurückgezogen. Er wusste alles, er konnte alles, aber er hat sich gar nicht am Unterricht beteiligt. Wenn zum Beispiel an der Tafel etwas vorrechnen sollte, haben ihm jedes Mal die Nerven versagt, obwohl er es mit Leichtigkeit gekonnt hatte." Ben notierte sich einiges auf einem Spiekzettel, weil er wusste dass die momentane Situation um Ayda und Kevin seine Merkfähigkeit beeinträchtigen würde. "Und Tobias?", fragte er dann, als er seine Stichwortliste beendet hatte.
    Wieder überlegte der Lehrer kurz. "Hmm... schwer zu sagen. Auch still. Intelligent, wenn auch nicht mit der Affinität zur Physik, wie Jens. Ich habe oft gemerkt, dass er Probleme mit Jungs aus seiner Klasse hatte. Dass er nur schlecht akzeptiert wurde, obwohl ich der Meinung bin... naja... dass er eigentlich Führungsqualitäten hat. Ein Charisma, das auf andere ausstrahlt." Wieder putzte er die Brille. "Aber in diesem Alter holen Jungs das unterschiedlich auf. Während die einen sich von dieser Art Charisma anstecken lassen und sich in einem Team der Führung unterordnen, sehen andere das als Arroganz und Herausforderung, dagegen anzukämpfen. Ich glaube, dass er deshalb Probleme mit einigen Jungs hatte, die diese Rolle für sich beanspruchten." Nach einer kurzen Pause setzte er hinzu: "Aber das ist nur mein Eindruck..."



    Ben bedankte sich bei dem Mann und zog weiter. Er sah Kosicke, der ebenfalls mit einer Lehrerin sprach, die sich immer wieder die Augen mit einem Taschentuch trocknete, und sichtlich mitgenommen war von der Situation. "Ben...", hörte er Semirs Stimme, und einen leichten Zug am Ärmel. "Das bringt doch alles nichts. Ich halte das hier draussen nicht aus." Ben hatte sich schon gewundert, dass Semir nicht in blinder Wut und gezogener Waffe in das Gebäude gestürmt war, um seine Tochter da rauszuholen. Seine Reaktion war eher eine Ohnmacht, eine Hilflosigkeit, die er von seinem Partner so nicht kannte. Er war zwar so leichter zu kontrollieren, Sorgen machte es dem jungen Polizisten trotzdem.
    Auch sein jetziger Vorstoß klang mehr verzweifelt, als wütend... und er sah seinen besten Freund mit hilflosen Augen an. "Semir, ich versteh dich ja. Aber wir können momentan nichts tun. Die Türen sind vermint... stell dir vor, was passiert wenn wir einen Fehler machen. Erinnere dich, wieviel Glück Ayda hatte, als wir sie in der verminten Hütte gefunden hatten." "Ja, das sitzt mir auch noch im Kopf... was glaubst du, warum ich noch nicht da drin bin.", sagte Semir und enthüllte den Grund für seine Zurückhaltung.



    Ben sah seinen Freund mitfühlend an, der schwer ausatmete. "Die Situation ist so surreal... wenn die Jungs wenigstens sagen würden, was sie da drin wollen." "Die Amokläufe von Schülern, über die ich weiß, waren meist aus persönlichen Gründen. Ablehnung, vielleicht Mobbing.", sagte Ben, um Semir vielleicht zu beruhigen... und auch sich selbst. "Wenn das der Fall ist, hat Ayda nichts zu befürchten. Warum sollten sie ein kleines Mädchen erschiessen, das nicht mal von der Schule ist. Ausserdem...", und Ben pausierte kurz, als sich sein schlechtes Gewissen meldete, weil die beiden Polizisten ihrem Kollegen eben noch selbst eine Straftat zugetraut hatten: "Solange Kevin bei Ayda ist... solange wird ihr nichts passieren."

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen


    <3

  • Schule - 16:20 Uhr



    Kevin wusste nicht, was die drei Jungs jetzt vor hatten... sie tuschelten miteinander, sie redeten leise und dann blieben sie mal wieder für ein paar Minuten stumm. Es schien fast so, als wüssten sie gerade nicht recht weiter. Als sei alles doch nicht so durchgeplant, wie es den Eindruck machte. Vor allem der dickliche Jens wurde zusehends nervös. Ihr schwitzte, er war bleich und es schien, als würde der Druck auf ihm ins Unermessliche steigen. Der junge Polizist, der mittlerweile wieder am Boden saß, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, sah das mit Sorge. Es konnte eine Schwachstelle im Gefüge der Jungs sein, aber genauso könnte es auch eine tickende Zeitbombe sein.
    "Was ist mit dir?", fragte Tobias beinahe etwas fürsorglich seinen Freund, der leicht taumelte und sich, schwer atmend auf einen der Stühle setzte. "Ich... ich weiß nicht. Mir ist irgendwie schlecht.", sagte er und hielt die Waffe fest umklammert, so dass seine Fingerknöchel weiß anliefen. "Das ist alles zuviel.", murmelte er dabei mit zitternder Stimme. "Du musst jetzt die Nerven behalten, ja...?", versuchte Tobias im gut zu zu reden.



    Marvin kam zu den beiden und raunte Tobias leise zu: "Wir hätten ihn nicht mitnehmen sollen. Ich hab es dir gleich gesagt." Ebenso leise zischte Tobias zurück: "Er wollte aber mit! Wir sind Freunde. Er wird das schaffen." Dabei legte er kurz den Arm um Jens' breite Schulter. Kevin, dessen Blut aus der Nase mittlerweile zwischen Nase und Mund getrocknet war, fragte lauter, so dass es die drei Jungs hören konnten: "Was ist mit ihm?" Marvin und Tobias schauten gleichzeitig zu dem jungen Polizisten, aber nur Marvin setzte sich in Bewegung, wobei die Mündung des Gewehrs sofort wieder auf den jungen Mann zeigte, so dass einige der jüngeren Schüler, die dicht bei Kevin und Herrn Tziolis saßen, wegrückten, sich duckten oder angstvoll quiekten.
    "Was geht sie das an? Bleiben sie einfach ruhig, wie die anderen.", sagte er mit aggressivem Unterton. Ganz klar hatte Marvin am ehesten das Potential dazu, den Schülern die ihn mobbten, körperlich Paroli zu leisten. Er war zwar körperlich nicht der Kräftigste, aber von seinem Wesen her der Aggressivste der drei. Aber vermutlich war er gegenüber den Jugendgruppen, die es auf die drei Schüler abgesehen hatten so sehr unangepasst, dass er dort keinen Anschluss fand... oder finden wollte.



    Kevin sah dem Schüler in die Augen. "Ist doch nicht so ohne, einfach ein paar andere Schüler abzuknallen.", sagte er und wollte ein wenig dem Wesen des Jungen auf den Grund gehen... tat er nur so kalt, oder war er wirklich so. "Glauben sie das?", fragte er und grinste. "Ist auch nicht anders, als auf davonlaufende Rehe oder wegfliegende Scheiben zu schießen." Dabei ging er vor Kevin in die Hocke, und die Öffnung der tödlichen Waffe war genau auf den Oberkörper des Polizisten gerichtet. Der aber senkte den Blick nicht.
    "Wenn er hier einen Plan verfolgt... und die Schüler bestraft, die euch gemobbt haben... warum habt ihr dann die Schüler auf den Fluren getötet?", fragte Kevin ohne auch nur einen Moment die Waffe vor ihm wirklich wahrzunehmen. Er blendete sie aus, versuchte sie zu ignorieren, als sei sie nicht da. "Wir haben jedem gesagt, dass er nicht weglaufen soll. Darauf haben nicht alle gehört." "Glaubt ihr wirklich, diejenigen, die Angst vor euch haben hätten nur deshalb Angst, weil ihr auf die Schüler geschossen habt?" Kevin dachte, dass die Jungs sich damit vor allem Respekt verschaffen wollten. "Nein... aber wir können nicht zulassen, dass jemand geflohen wäre."



    Der Polizist kniff ein wenig die Augen zusammen. Er konnte dieses sinnlose Töten nicht verstehen. "Warum? Die Schüsse haben die Polizei doch sowieso alarmiert. Was..." "Wir haben die Ausgänge vermint, Herr...", plötzlich fiel Marvin ein, dass er den Namen des Lehrers, mit dem er sprach, nicht kannte. Es war surreal, denn er sprach, wie ein Schüler mit einem Lehrer sprach, und nicht wie ein Geiselnehmer mit einer Geisel sprach. Es machte die ganze Situation skurril, und Kevin spürte in diesem Moment tatsächlich, dass sich die Wut der Jungs nur gegen Einzelne richtete... und nicht gegen alle. Sonst hätte der den Polizisten ganz anders angepackt.
    "Du kannst mich Kevin nennen.", bot er Marvin quasi das "Du" an, weil er von früher wusste, dass sich ein Verhältnis zwischen Schüler und Lehrer schnell entspannte, wenn der Schüler den Lehrer duzen durfte. Doch viel gespannter war er nun auf die Erklärung bezüglich der verminten Ausgänge. "Jens hat über Funk Auslöser an den Türen mit einem Sprengsatz im Chemiesaal verbunden. Er ist unsere Sicherung, damit die Polizei das Gebäude nicht stürmt. Der Chemiesaal ist hier direkt nebenan."



    Kevins Herz schlug fest gegen seinen Brustkorb... nicht aus Angst, sondern weil ihn plötzlich eine schreckliche Gewissheit traf: "Und jeder der gelohen wäre, wäre für uns eine Gefahr gewesen... weil er versuchte hätte, durch den Ausgang zu flüchten." "Und damit die Sprengung ausgelöst hätte." Marvin nickte und sah noch, wie Kevin sich auf die Lippen biß. Es war ein unglaubliches Wagnis gewesen, alle Schüler beieinander zu halten oder zu stoppen... doch scheinbar wussten die Jungs, dass nicht alzu viele Schüler zu diesem Zeitpunkt in der Schule waren. Doch eine Erkenntnis war in diesem Moment viel schlimmer... hatte er vorher noch ein bisschen Resthoffnung, dass Ayda den schießwütigen Jungs entkommen war, sich versteckt hatte um dann wegzulaufen, als Ruhe einkehrte, so wurde dem Polizisten jetzt klar, dass diese Hoffnung gerade verstarb. Durch den verminten Ausgang hätten es alle hier drin gemerkt, wenn Semirs Tochter zur Tür gekommen wäre, und damit den Auslöser aktivierte. Es war eine schreckliche Paralelle zu dem Fall der Komakinder, als Ayda in einer Holzhütte versteckt war, in der auch ein Sprengsatz durch einen Kontaktzünder von Kevin, Ben und Semir aktiviert wurde. Ein Mädchen bezahlte dies mit ihrem Leben und Kevin hatte daran schwer zu knabbern.



    "Passt auf... ich weiß, dass wir das nicht entschuldigen können, was wir getan haben... aber...", begann Achmed plötzlich von einer anderen Ecke und war langsam aufgestanden. Kevin hatte ihn eben die ganze Zeit beobachtet, und sich an seine eigene Schulzeit zurückerinnert. Er hatte damals die Mobber-Typen, die es vor 10 und 20 Jahren schon gab, gehasst und hatte sich oft mit ihnen angelegt. Er konnte den Kummer und den Schmerz der drei Jungs durchaus verstehen, wenn auch nicht ihre wahnsinnige Reaktionstat. Doch Achmed hatte sich am ehesten versucht um die beiden Schwerstverletzten zu kümmern und machte überhaupt nicht den Eindruck eines kleinkriminellen Assozialen, auch wenn Kevin nicht glaubte, dass die drei Jungs sich diese Dinge über den Tunesier ausgedacht hatten.
    Marvin erhob sich wieder um nun zu Achmed zu gehen, und die Waffe auf ihn zu richten, und auch Tobias kam nun näher an ihn heran. "Aber was...?" Achmeds Angst vor der Waffe war groß... aber der Tunesier hatte in seiner Familie und seiner, wenn auch kleinkriminellen Clique gelernt, Verantwortung zu übernehmen. Vor seinen kleinen Brüdern, die er beschützte. "Lasst die Kleinen wenigstens gehen. Die Mädchen. Sie haben damit nichts zu tun." Es kostet ihn Überwindung das zu sagen, aber er hatte das untrügerliche Gefühl, dass die Sache für ihn nicht gut ausgehen würde. Und dass er in seinem Leben Fehler gemacht hatte, weil er auf Schwächere eingetreten hat und seine Stärke ausgenutzt hatte. Innerlich wollte er etwas gutmachen, so kam es ihm vor.



    Tobias lachte höhnisch auf: "Ist das jetzt dein Ernst, Achmed? Du willst hier den Helden spielen? Du, der unschuldige Kinder abgezogen hast, erpresst hast... zu Drogen verführt hast um sie auszubeuten?" Der Tunesier schüttelte den Kopf: "Gar nichts will ich spielen, Mann. Aber lass die Unschuldigen gehen." "Unschuldigen?" Tobias ging vor Achmed in die Hocke, während Marvin wieder ein paar Schritte Richung Kevin ging. "Wo haben wir uns denn schuldig gemacht, dass du uns für deine Quälereien auserkoren hast? Ich, Marvin oder vor allem Jens? Hmm? Waren wir nicht unschuldig?" Die Lippe des Tunesiers zitterte und er sah zwischen Marvin und Tobias hin und her. Natürlich hatte der Junge recht... aber er wusste auch, dass Tobias sich mit keiner Rechtfertigung zufrieden geben würde.
    "Was willst du denn hören? Dass ich und meine Jungs Fehler gemacht haben? Oder willst du sehen, dass ich mich vor Angst einpisse? Ja, von mir aus, du machst mir mit deiner Knarre eine scheiss Angst! Aber die Angst machst du auch den Kleinen, also lass sie gehen!!", rief er laut, so dass sich in Kevins Körper alle Muskeln spannten. Tobias und Achmed sahen sich für Sekunden beinahe atemlos in die Augen, bis der Junge mit der Waffe sagte: "Von dir will ich nur eines sehen und hören..." Es war wie im Computerspiel, wenn Tobias mit der Hand die Maus bewegte und auf die Taste drückte. Der Sound der Waffe war realistischer als im Spiel, und die Reaktion von Achmeds Körper realer, als die seiner Figur auf dem Bildschirm, als er an der Wand zusammensackte. Ebenso neu war das Geräusch, als Marvin Kevin den Griff der Waffe in den Magen rammte, als dieser aufgesprungen war, um einzugreifen...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen


    <3

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