Wild Hot Racing

  • Gegen Mittag stand Semir auf der Matte. Ben begrüßte ihn mit einem breiten Grinsen und schlug ein, als der ihm die Hand bot. „Hi Champ-bist du mal wieder von der Schippe gesprungen!“ sagte Semir burschikos und rau, aber sowohl Sarah als auch Ben bemerkten die Rührung in seiner Stimme. Am Vortag hatten Sarah, Semir und Lisa viel Zeit gehabt, miteinander zu sprechen und so wusste Sarah genauestens die Abläufe der letzten Tage und was nacheinander vorgefallen war. „Semir hat Tim und mich aus den Händen der Haug-Brüder befreit-ich würde nicht mehr so unversehrt da stehen, wenn er und Hartmut nicht eingegriffen hätten-und was die mit Tim angestellt hätten-ich mag gar nicht dran denken!“ hatte Lisa ihr verraten und natürlich hatte Sarah das im Laufe des Vormittags auch Ben erzählt.
    Zudem waren nacheinander mehrere Visiten gekommen, die Herzchirurgen hatten genauestens mit Ultraschall die korrekte Drainagenlage kontrolliert, der Wirbelsäulenchirurg seine Wunde nochmals begutachtet und auch gleich die Drainagen entfernt, was Ben beinahe dazu gebracht hätte, ihm an die Gurgel zu gehen, wenn er nur ein bisschen beweglicher gewesen wäre und auch die Viszeralchirurgen hatten die Bauchwunde besichtigt. „Mann so langsam müssen die doch jetzt jeden Zentimeter von mir gesehen haben!“ beschwerte sich Ben bei Sarah, aber die hatte ihm beschieden, dass er jetzt vorsichtshalber die Klappe halten sollte, sonst könnte er sich von ihr eventuell auch noch Eine einfangen. „Statt rumzumosern sei mal lieber dankbar, dass du noch lebst-oder so daliegst wie Brami!“ sagte sie ein wenig ärgerlich und nun war Ben sehr still und nachdenklich-bis Semir kam. Der holte dann auch gleich sein Smartphone heraus und zeigte Ben und Sarah ein Video von Tim mit seinen Töchtern, das er erst vor einer halben Stunde gemacht hatte. Tim lag auf dem Bauch auf seiner Decke, strampelte und gluckste vor Begeisterung und Ayda und Lilly rollten immer wieder einen großen Ball auf ihn zu, den er mit noch unkoordinierten Bewegungen, aber immerhin, wieder wegrollte, was die Mädchen immer wieder mit Lob und Applaus bedachten, was Tim nur noch viel mehr zum Strahlen brachte. „Unser kleiner Sonnenschein!“ sagte Ben ergriffen, dem gerade eine einzelne Träne im Mundwinkel hing. „Und die Mädels hat er voll im Griff-ganz der Papa!“ fügte er dann frech hinzu und nun versetzte ihm Sarah einen gespielt empörten Nasenstüber. „Dir geht´s schon wieder viel zu gut!“ bemerkte sie und Semir schickte sie daraufhin zu sich nach Hause. „Ich habe schon gegessen, aber Andrea und die Kinder wollten warten und dann mit dir gemeinsam essen. Du siehst-Tim geht es gut und ich kann dir nur raten-beeil dich, dass die auch wirklich warten mit dem Essen und dir noch was übrig lassen-Andrea hat sich mal wieder selber übertroffen-allerdings habe ich auch meinen Beitrag dazu geleistet-ich habe die Zwiebeln geschnitten und den Tisch gedeckt!“ erklärte er stolz und mit einem kleinen Schmunzeln machte sich Sarah nun auf den Weg.


    Semir setzte sich still neben Ben und fragte: „Tut es sehr weh?“ aber der schüttelte den Kopf. „Die haben mich schon abgedopt!“ sagte er, aber dann rückte er damit heraus, was er schon die ganze Zeit loswerden wollte. „Semir-ich wollte dir von Herzen danken. Du hast wieder mal dein Leben riskiert um mich und meine Familie zu retten und es ist dir gelungen. Ich hoffe das hier“ sagte er und ließ seinen Blick über die medizinischen Gerätschaften schweifen „ist bald vorbei und wir können wieder gemeinsam über die Autobahn düsen!“ und Semir sagte herzlich: „Das wünsche ich mir auch!“ und nun schloss Ben die Augen und schlummerte ein wenig ein.
    Semir erhob sich nach einer Weile und trat auf den Flur. Er wurde magisch vom Nebenzimmer angezogen und nachdem niemand ihn daran hinderte, trat er an Brami´s Bett. Er dachte eigentlich der würde schlafen, denn er hing am Beatmungsgerät, hatte eine Magensonde und einige Infusionen neben dem Überwachungsmonitor, aber der hatte die Augen geöffnet und sah Semir mit so viel Hass im Blick an, dass der sich schleunigst zurückzog und wieder zu Ben eilte, der nun im Schlaf begonnen hatte, sich unruhig umher zu werfen. Semir betrachtete ihn stirnrunzelnd-der hatte so verdächtig rote Backen und als wenig später zwei Schwestern ins Zimmer traten um Ben zu betten und Blutgase abzunehmen, griff die eine zum Fieberthermometer und Semir, der gebeten worden war draußen zu warten hatte den richtigen Riecher gehabt-Ben hatte hoch aufgefiebert! Man legte ihm nun eine Temperatursonde die kontinuierlich das Fieber maß und breitete eine kühle Gebläsedecke über ihn, um die Temperatur zu senken. Semir nahm nun wieder neben dem Bett Platz, in dem sich Ben nun unruhig herumwarf und immer wieder unverständliche Sachen murmelte. Gerade als Semir beschlossen hatte nun Sarah zu verständigen, stand die vor ihnen und sah entsetzt auf den Monitor, der trotz Kühlung gerade 40,8°C anzeigte. „Ach Semir, ich befürchte es ist noch nicht vorbei!“ sagte sie unglücklich und holte einen kühlen Waschlappen mit dem sie Ben das Gesicht abwusch. „Übrigens-die Chefin hat bei euch zuhause angerufen-du sollst sie bitte kontaktieren-sie konnte dich ja übers Handy nicht erreichen!“ richtete sie dann noch aus und Semir nickte und ging aus dem Krankenhaus, um dort zum Telefon zu greifen.

  • „Chefin was gibt´s?“ fragte er und machte sich schon auf irgendwelche Hiobsbotschaften gefasst. „Herr Gerkhan-nachdem ich mit dem Rest der Truppe noch am Wirtschaftsgipfel festsitze, denn für den Schutz des Konvois zurück zum Flughafen sind wir ebenfalls noch verantwortlich, auch wenn die aktuelle Gefahrenlage jetzt deutlich geringer bewertet wird-würde ich sie bitten, sich um Dr. Amami und seinen Angestellten zu kümmern. Die werden heute um 17.00 Uhr mit einem Ferienflieger nach Monastir zurückreisen und dort die Verständigung von Brami´s Familie vornehmen. Susanne hat diese Reisemöglichkeit aufgetan, da sind noch freie Plätze in dem Flugzeug und die Reisezeit beträgt nur zweieinhalb Stunden. Allerdings würde Dr. Amami zuvor noch gerne selber bei Brami vorbeischauen und mit dessen behandelnden Ärzten sprechen!“ erklärte sie und Semir versprach das alles zu organisieren und legte dann auf. Nach einem Blick auf die Uhr befand er, dass er am besten sofort zur Schutzwohnung fahren und die beiden Männer abholen würde und so geschah es.


    Zu seinem Erstaunen fand er dort Khaled vor, der zuhause für die ganze Mannschaft ein tunesisches Essen gekocht hatte und dann mit dampfenden Töpfen zur Schutzwohnung gefahren war, die nun eigentlich gar keine mehr war. „Hallo Semir!“ sagte er und begrüßte herzlich seinen Freund. „Ich habe schon gehört, dass es Brami erwischt hat und unser Doktor wieder zurückfliegen wird. Da habe ich mir gedacht, ich nehme ein altes Prepaidhandy mit und zeige Yasser´s Familie wie man damit umgeht-allerdings haben mir jetzt seine Brüder gezeigt, was ich noch nicht wusste!“ erklärte er mit einem breiten Grinsen und wies auf zwei der Kinder, die ein Spiel auf dem Gerät spielten. „Ich dachte mir ich stehe ihnen als Dolmetscher zur Verfügung, wenn es notwendig ist, so können sie mich immer erreichen und nen alten PC habe ich auch noch mitgebracht-nur so zum Deutsch lernen-das Programm empfehle ich immer meinen neu zugezogenen Landsleuten.“ sagte er noch und Semir sah ihn gerührt an. Khaled hatte schon immer ein Herz aus Gold gehabt und so waren die aktuellen Verständigungsprobleme auch lösbar geworden. Die Kinder und auch Yasser´s Vater waren warm in ordentliche Kleidung gehüllt und eine Menge Spielsachen waren in der Wohnung, die schon ein wenig heimelig wirkte. Hier würde die Familie es eine Weile aushalten können und Yasser würde er natürlich auch bald im Krankenhaus besuchen gehen.


    Dr. Amami, der am Vortag noch die nötigsten Toilettenartikel und für sich und seinen Fahrer, dem es schon wieder recht gut ging und dazu eine warme Winterjacke gekauft hatte, erhob sich. „Wie geht es meinem Patienten Herrn Jäger?“ fragte er mit einem Lächeln, aber als Semir nun von dem erneuten Fieberschub, der Herzoperation und den ganzen Komplikationen erzählte, flog ein Schatten über sein Gesicht. „Oh je-das klingt ja nicht gut, aber ich weiss ihn trotzdem bei den Kollegen in der Uniklinik in den besten Händen!“ sagte er und nach einer herzlichen Verabschiedung brachen die drei auf, während Khaled noch einen Stapel tunesischer DVD´s hervorzog und den vorhandenen Player damit fütterte. „Ich wollte diesen Film schon lange mal wieder anschauen!“ sagte er, während er sich zu Yasser´s Vater aufs Sofa schmiss. „Und später fahren wir noch zu ihrem Bruder ins Krankenhaus-das habe ich den Kindern versprochen!“ kündigte er an und Semir zog lächelnd die Tür hinter sich ins Schloss.


    Sarah hatte inzwischen besorgt versucht Ben´s Temperatur zu senken. Am unverletzten Bein hatte sie Wadenwickel angelegt, seine Stirn gekühlt, aber das Fieber blieb unverändert hoch und Ben fantasierte vor sich hin. Er schrie immer wieder im Fieberwahn und durchlebte anscheinend gerade die schlimmen Geschehnisse der vergangenen Woche aufs Neue. Wenn sie ihn schüttelte und streng ansprach, machte er zwar die Augen auf und erkannte sie auch, aber sonst war das Fieber unvermindert hoch trotz aller Kühlungsversuche. Als sie ihn gemeinsam mit der diensthabenden Schwester wenig später abwusch, entdeckte sie noch einen merkwürdigen Ausschlag an den Hautumschlagfalten und auf Höhe der Gelenke, die Ben anscheinend trotz Opiaten fürchterlich schmerzten, man konnte sie kaum beugen, ohne dass er aufschrie. Der Stationsarzt wurde geholt und stand genauso ratlos vor seinem Patienten, der sich voller Schmerzen im Bett herumwarf und vor sich hin stöhnte. Man nahm eine erneute Blutkultur ab, versuchte es erfolglos mit Paracetamol, aber das Fieber sank und sank nicht. Weil die Nierenwerte durch die Narkose ebenfalls wieder angestiegen waren, hängte man ihn an die Dialyse und Sarah saß voller Sorge neben ihm und hielt seine Hand.


    Semir war inzwischen mit dem tunesischen Arzt im Krankenhaus eingetroffen. Sie hatten noch eine gute Stunde bis sie zum Flughafen aufbrechen mussten und der las sich zunächst einmal in Brami´s Akte ein, bevor er erst mit den behandelnden Ärzten sprach und sich dann den schwer verletzten Geschäftsmann ansah. Er deutete dessen Blick eher als Flehen und war trotz der Verbrechen die der begangen hatte erschüttert über den aussichtslosen Zustand seines ehemaligen Schulkameraden. „Ich fahre jetzt in die Heimat zurück und überbringe deiner Frau und deiner Tochter die schlimme Nachricht!“ sagt er zu Brami und nun liefen aus dessen Augenwinkeln die Tränen.
    Dr. Amami wandte sich nun um und ging ins Nebenzimmer, wo Semir und Sarah tief besorgt neben Ben´s Bett saßen und verzweifelt dessen Hände hielten, die trotz des hohen Fiebers eiskalt waren. Man versuchte gerade die Temperatur durch die Dialyse zu senken und Ben hatte außer einem Handtuch über dem Schambereich aktuell nichts an. Dr. Amami ließ seinen Blick erst über die Geräte schweifen, blickte auf die Temperaturanzeige des Monitor´s und musterte dann Ben von Kopf bis Fuß. „Ich denke ich weiss, woher das Fieber kommt!“ sagte er dann einfach und nun sahen ihn Sarah und Semir überrascht an.

  • Auch der Stationsarzt war ins Zimmer getreten, um nach seinem Patienten zu sehen, bei dem er sich das Fieber und die restlichen Zeichen nicht erklären konnte. Dr. Amami sagte zu seinem Kollegen: „Ich denke, dass er den Symptomen nach eine Ascarideninfektion hat und darauf allergisch reagiert!“ sagte er und nun starrten ihn der deutsche Arzt und Sarah verblüfft an, während Semir nur Bahnhof verstand. „Ich würde vorschlagen sie nehmen Blut ab und schauen im Ausstrich nach, ob die Eosinophilen erhöht sind, wenn das der Fall ist würde ich einfach ein Antihelmetikum empfehlen!“ sagte er und der Arzt nickte zögernd, um dann schnell die Laboranforderung draußen an einem der Stationscomputer einzugeben. Semir ließ seinen Blick von Ben zu Sarah und dem tunesischen Arzt schweifen: „Und was bedeutet das auf Deutsch?“ fragte er und nun lächelte der Tunesier. „Oh je-wir schon wieder mit unserem Fachchinesisch-ich wollte damit sagen, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit eine Spulwurminfektion hat-etwas was in meiner Heimat und in ganz Afrika sehr verbreitet ist. Die Wurmeier sind praktisch überall zu finden und man hat vielfältige Möglichkeiten sich zu infizieren. Hat man damit von Kindesbeinen an zu tun, bekommt man zwar Würmer, interessanterweise ist man dann aber wenig empfindlich für Allergien-fast jeder von uns musste sich schon einmal dagegen behandeln lassen. Man schluckt ein Wurmmittel, was sie in Deutschland eher von ihren Haustieren her kennen-und damit ist die Sache erledigt. Man kann auch Stuhlproben entnehmen, wobei die manchmal nicht auf Anhieb ein Ergebnis bringen, weil die Würmer auch Vermehrungszyklen haben und nicht ständig Eier ausgeschieden werden, sondern nur phasenweise. Die Erkrankung kann bei schlechtem Immunsystem und starkem Befall über Jahre durchaus zu Auszehrung aber auch zu Darmverschlüssen mit tödlichem Ausgang führen, aber meistens sind diese Infektionen eher harmlos. Europäer hingegen reagieren manchmal hochgradig allergisch gegen das artfremde Eiweiß in ihrem Körper, denn die Wurmlarven fressen sich durch die Darmwand und lassen sich in ihrem Vermehrungszyklus durch den Blutkreislauf tragen. Der Körper reagiert dann mit Hautausschlägen, Fieber und Gelenkschwellungen und ich denke genau sowas liegt hier vor!“ erklärte er und da kam auch schon der Arzt mit einem Blutröhrchen herein und nahm aus dem arteriellen Zugang Blut ab, um es ins Labor bringen zu lassen. „Der Ausstrich dauert etwa eine Stunde-dann haben wir Gewissheit!“ sagte er und erwähnte auch nicht, dass er gerade vorsichtshalber noch im Internet nachgesehen hatte, aber die Vermutung des Tunesiers konnte durchaus stimmen.
    Nach einem Blick auf die Uhr bedeutete Dr. Amami nun aber: „Ich denke wir sollten langsam aufbrechen-erstens hat meine Familie schon Sehnsucht nach mir und zweitens haben Brami´s Frau und Tochter auch ein Recht auf Information-ich würde das gerne heute Abend noch hinter mich bringen!“ sagte er und verabschiedete sich herzlich von Sarah. Ben berührte er an der Schulter und sprach ihn laut an, so dass der trotz des hohen Fiebers die Augen aufmachte und ihn ansah: „Gute Besserung!“ wünschte er seinem ehemaligen Patienten und der nickte, bevor er wieder in einen unruhigen schmerzvollen Dämmerschlaf fiel.


    Semir erhob sich und ging voran zum Wagen. Auf dem Weg nahmen sie noch den Fahrer mit, der derweil in der Cafeteria gewartet hatte und wenig später waren sie am Flughafen angelangt, wo Susanne bereits Tickets hatte hinterlegen lassen und verabschiedeten sich herzlich. „Vielen Dank für ihre Hilfe!“ sagte Semir, während er die Hand des Arztes voller Rührung drückte. „Ich glaube ohne sie wären wahrscheinlich wir-und fast mit Sicherheit Ben- nicht mehr am Leben!“ sagte er schlicht und der Arzt antwortete mit einem Lächeln: „Es war mir eine Ehre!“ und machte sich dann mit seinem Chauffeur auf zum Check-In.


    Semir fuhr zum Krankenhaus zurück und als er eintraf erzählte ihm Sarah fassungslos: „Stell dir vor-die Vermutung des Arztes hat sich bestätigt-Ben hat tatsächlich eine Allergie auf diese Würmer. Gerade hat man beim Apothekennotdienst ein entsprechendes Medikament bestellt und sobald das kommt, müssen wir das Ben eingeben!“ erklärte sie und griff nun zu einer Schnabeltasse, die am Nachtkästchen stand. Sie stellte das Bett höher und versuchte ihn zum Trinken zu bewegen, aber Ben verschluckte sich sofort an der kleinen Menge Wasser, die sie ihm anbot. „Kann man das Mittel nicht anders geben?“ fragte Semir, aber Sarah schüttelte den Kopf. „Für Tiere gibt es tatsächlich Wurmmittel zum Spritzen, aber nicht für Menschen-ich fürchte, er wird eine Magensonde brauchen!“ sagte sie und ließ Ben´s Kopf wieder in das Kissen zurückgleiten, was ihm ein lautes Stöhnen entlockte, denn jede Bewegung tat ihm einfach nur weh, außerdem juckte sein ganzer Körper, aber er hatte nicht einmal Kraft sich zu kratzen.
    Semir wartete sorgenvoll und als kurz darauf das Medikament angeliefert wurde, besprach Sarah die Schluckproblematik mit dem Stationsarzt. „Gut-dann probieren wir es erst gar nicht so-ich möchte das Wurmmittel ehrlich gesagt nicht aus der Lunge saugen, das ist sicher dort nicht sehr bekömmlich!“ sagte er und gab Sarah´s Kollegin den Auftrag, alles zum Magensondenlegen herzubringen. Semir war in eine Zimmerecke zurückgetreten und ihn hob es selber, als er die martialische Aktion beobachtete. Während Sarah Ben´s Kopf ein wenig Richtung Brust drückte, schob der Arzt kurzerhand eine Silikonsonde, die man zuvor mit Gleitgel beschmiert hatte, durch dessen Nase bis in den Magen vor. Ben war nicht fähig koordiniert zu schlucken, aber sein Würgen erfüllte den Raum. Endlich war die Lage korrekt, was man noch testete, indem man den Führungsdraht entfernte, Luft in die Sonde blies und mit dem Stethoskop auf ein typisches Gluckern auf dem Bauch hörte. Man befestigte die Sonde mit Spezialklebepflastern an der Nase und spritzte erst einmal 50ml Wasser ein. Nun löste die Schwester das Wurmmittel auf und 10 Minuten später gab man das durch den Magenschlauch und spülte mit einer größeren Menge Wasser nach. „So jetzt können wir nur auf den Wirkungseintritt warten!“ erklärte der Arzt-„normalerweise müssten die lebenden Würmer und Wurmlarven in spätestens 24 Stunden abgestorben sein und dann eine Besserung eintreten. Die Behandlung muss in drei Wochen nochmals wiederholt werden, denn dann sind auch eventuelle Neularven aus den Eiern geschlüpft. Ab morgen soll man auch mit Abführmaßnahmen beginnen, habe ich nachgelesen, aber jetzt warten wir einfach mal ab!“ sagte er. Sarah fuhr kurz zum Stillen zu den Gerkhan´s, während Semir derweil bei Ben blieb, aber danach stellten ihr ihre Kollegen wieder ein Bett ins Zimmer-sie würde heute Nacht bei ihrem Freund bleiben und Andrea hatte ihr versichert, dass das mit Tim kein Problem darstellte. So ging wieder ein Tag ins Land und man würde sehen, ob Dr. Amami Recht behalten würde.

  • Der tunesische Arzt war inzwischen endlich wieder in seiner Heimat gelandet. Seine Frau hatte ihn und den Chauffeur am Flughafen abgeholt und er hatte auf Nachfrage der Flughafensicherheit beteuert, dass er die nächsten Tage zur Aufklärung des Zwischenfalls bei der Abreise zur Verfügung stehen würde, aber nun etwas Wichtiges bei der Familie Brami erledigen müsse und das öffnete ihm letztendlich die Türen. Sie setzten den Fahrer bei sich zuhause ab, er ließ seine Frau daheim aussteigen und versicherte ihr, dass er bald wiederkommen würde. Dann übernahm er den Wagen und fuhr zum Anwesen der Brami´s. Es war zwar schon nach 21.30 Uhr als er dort ankam, aber die Wachen ließen ihn unbehelligt passieren und wenig später stand er der Frau des Hauses und wenig später auch Brami´s Tochter gegenüber, die gehört hatte, dass Besuch kam. Freimütig erzählte er, was die letzten Tage geschehen war und während die Tochter in Tränen ausbrach, als sie vom Schicksal des Vaters, aber auch den schrecklichen Verbrechen vorher hörte, wirkte seine Frau wie versteinert. Erst nach einer Weile flüsterte sie: „Es ist vorbei-endlich ist es vorbei!“
    Dr. Amami erklärte den beiden, dass ihr Ehemann und Vater wohl für immer Pflegefall bleiben würde, der nicht selber sprechen und atmen konnte, wie ein Baby gewickelt und über eine Ernährungssonde ernährt werden müsste. Man musste ihn alle zwei Stunden lagern, aber trotzdem wäre die Wahrscheinlichkeit des Wundliegens groß. „Am besten ihr lasst hier einen Bereich des Hauses zur Pflegezone umbauen, stellt Ärzte und Pflegepersonal an, dann kann er noch viele Jahre da sein!“ erklärte er und vermied es den Ausdruck „Leben“ zu gebrauchen, denn in seinen Augen war das eher ein unwürdiges Dahinvegetieren. „Das würde Papa nicht wollen!“ sagte Brami´s Tochter verzweifelt. „Ich habe mich lange mit ihm über sowas unterhalten, weil einer seiner Geschäftspartner erst kürzlich einen Schlaganfall hatte und da hat er mir gesagt, er würde in so einer Situation lieber sterben wollen!“ erklärte sie und die Frau, die zwar sehr distanziert wirkte, bestätigte die Aussage. „Dann werden wir dafür sorgen, dass sein Willen respektiert wird!“ sagte Dr. Amami und hatte noch ein langes Gespräch mit den beiden. „In Deutschland gibt es zu viele Schwierigkeiten deswegen. Ihr müsst hinfliegen und ihn nach Hause holen-hier werde ich euch helfen, dass er seinen Frieden findet!“ bestimmte der Arzt und so buchte Brami´s Ehefrau online einen Linienflug nach Köln am nächsten Morgen. Es war schon lange nach Mitternacht als der tunesische Arzt endlich wieder zuhause war, aber er schlüpfte zufrieden neben seiner Frau ins Bett, die sich glücklich ihn wieder daheim zu haben, an ihn schmiegte.


    Tim hatte am Abend eine Weile geweint, aber nachdem ihn Andrea ins große Bett geholt und zwischen sich und Semir gelegt hatte, schlief er dann doch ein. „Mann ich hoffe nur, dass bald wieder alle gesund sind und der Alltag einkehrt!“ stöhnte Semir und schloss nun ebenfalls die Augen, nicht ohne zuvor dem Baby liebevoll die Hand auf den kleinen Körper gelegt zu haben, was dem Kleinen unheimlich gut tat. Trotzdem war er froh, dass seine beiden Kinder schon so groß waren-die Nächte waren einfach ruhiger.


    Ben hatte in der Nacht nochmals eine Krise. Er bekam Schüttelfrost und man untersuchte ihn vorsichtshalber gründlich durch, aber anscheinend waren keine weiteren Komplikationen dazu gekommen und so verabreichte man ihm Hydrokortison und es wurde danach ganz schnell besser. Sarah hatte ihr Bett daraufhin ganz nahe an das ihres Partners geschoben und hielt seine Hand, bis sie gemeinsam einschliefen.
    Am nächsten Morgen fuhr Sarah, nachdem sie Ben, der nun schon wieder wacher und dessen Fieber gesunken war, gewaschen hatte zu den Gerkhans. Andrea hatte sowieso Urlaub und Semir hatte seine Kinder nach dem Frühstück in Schule und Kindergarten gebracht, während seine Frau mit Tim zu Hause blieb. Danach schaute der kleine Polizist noch kurz bei Ben vorbei, bevor er in die PASt fuhr und der gefiel ihm schon wesentlich besser als am Vortag. „Du hast uns vielleicht Sorgen gemacht gestern!“ beschwerte er sich bei seinem Freund, aber der beteuerte, das nicht mit Absicht getan zu haben. „Semir ich kann mich an den Sonntagnachmittag fast nicht mehr erinnern, aber eines weiss ich-die Schmerzen waren fürchterlich, die wünsche ich meinem schlimmsten Feind nicht!“ erklärte er und verabschiedete seinen Kollegen dann. „Ja ja, während du hier faul im Krankenhaus rumliegst darf ich mich jetzt mit der Krüger rumärgern!“ neckte Semir seinen Freund und der musste schon wieder ein wenig grinsen als er ihn verließ.


    Auf Semir wartete in der PASt eine Überraschung.Die Schrankmann, ein wichtiger Mitarbeiter des LKA und des Außenministeriums waren versammelt und beglückwünschten ihn und den ebenfalls anwesenden Hartmut zu den hervorragenden Leistungen des Wochenendes. „Durch ihre Hilfe konnte der Wirtschaftsgipfel ohne Blutvergießen beendet werden und wegen der Deutsch-Tunesischen Wirtschaftsverbindungen wird jetzt erst einmal gründlich nach den Zusammenhängen geforscht werden, bevor eine politische Entscheidung getroffen wird. „Herr Gerkhan, Herr Freund-als Dank für ihre herausragenden Leistungen bekommen sie diese Woche eine Freistellung, also praktisch einen Urlaub ohne an ihre Urlaubstage zu müssen!“ verkündete die Chefin stolz und so war Semir wenig später wieder zuhause. „Dann kannst du gleich mal Tim nehmen, während ich Weihnachtseinkäufe mache!“ bestimmte Andrea, denn Sarah war schon wieder zu ihrem Partner aufgebrochen und Semir stöhnte auf-Mann da würde er ja lieber Streife fahren!

  • Als Andrea gegen Mittag schwer bepackt wiederkam, fuhr Semir erst einmal zu Hubert Benko ins Krankenhaus. Als er an der Anmeldung fragte erfuhr er, dass der schon auf der Normalstation lag. Als er an der Zimmertür klopfte, ertönte ein sonores: „Herein!“ und als er eintrat wurde er freudig von Hubert und Hildegard, die ihren Mann liebevoll umsorgte, begrüßt. Das zweite Bett im Zimmer war nicht belegt und so hatte Hubert da schon Privatsphäre. „Herr Benko-wie gehts ihnen denn?“ fragte Semir, während er dem Mann die Hand reichte. „Schon besser-ich muss noch bis Ende der Woche hierbleiben, aber die Ärzte meinen, dass keine Spätfolgen zurückbleiben werden!“ gab der ältere Mann Auskunft und Semir atmete auf. „Wie geht es denn dem kleinen Tim und Lisa?“ wollte nun Hildegard wissen und in der Kurzfassung erzählte Semir den beiden die weiteren Geschehnisse. „Dann hat der Anstifter des Ganzen bekommen, was er verdient hat!“ sagte Hubert zufrieden und Semir empfahl ihm, doch eine Schmerzensgeldforderung gegen den Täter der ihn verletzt hatte, anzustrengen. „Auch wenn Günther Haug tot ist, hat er noch Vermögen und daraus können sie entschädigt werden!“ erklärte er ihm und Hubert dankte ihm für den Hinweis. „Eigentlich bin ich ja nicht geldgierig, aber wenn wir für das Grab unseres Sohnes einen schönen Grabstein kaufen könnten, wäre das wundervoll!“ überlegte er und Semir musste schlucken. Diese beiden Menschen hatten einen schweren Verlust erlitten, aber sie trugen ihn mit Würde. „Übrigens hat Dietmar Haug zugegeben, dass er und sein Bruder das Fahrzeug ihres Sohnes manipuliert und so seinen Tod verursacht haben. Wir hoffen, dass Dietmar eine sehr lange Haftstrafe bekommt und ich werde ihnen mitteilen, wann die Verhandlung stattfindet!“ verabschiedete sich Semir nun freundlich und mit vielen guten Wünschen für alle anderen Betroffenen im Gepäck fuhr er zur Uniklinik.


    Dort ging es mit Ben steil bergauf. Sarah war eben wieder zum Stillen zu Tim gefahren und sein Freund wurde gerade vom Krankengymnasten und der Schwester an den Bettrand gesetzt. Semir war zwar ein wenig mulmig wegen der vielen Schläuche-vor allem wenn er daran dachte, dass die Drainage mittig auf der Brust ja direkt im Herzen lag, aber das Personal ging da mit großer Selbstverständlichkeit damit um und Ben machte es heute wirklich gut und ihm wurde nicht einmal übel dabei. „Na Herr Jäger, wenn sie so weitermachen, waren sie die längste Zeit auf der Intensivstation!“ sagte der Physiotherapeut freundlich und Ben antwortete voller Insbrunst: „Ich hatte auch nicht vor, hier zu überwintern!“ und nun brachen alle Anwesenden in schallendes Gelächter aus. Man hatte Ben am Morgen noch ein Abführmittel durch die Magensonde verabreicht und diese dann herausgezogen. Nun unterhielten sich die beiden Freunde und Semir erzählte von seinem Besuch bei Benko, seinem kurzfristigen Urlaub und dass er später noch vorhatte Yasser in der Kinderklinik zu besuchen, da drückte Ben plötzlich hektisch auf die Glocke. „Was ist los?“ fragte Semir besorgt, aber Ben schmiss ihn nun kurzfristig einfach raus. „Mann die haben mir ein Abführmittel verabreicht-ich glaube das wirkt jetzt!“ gab er Bescheid und als Semir auf dem Intensivflur herumging während Ben vom Pflegepersonal versorgt wurde, trat auf einmal Brami´s Tochter zu ihm, die wenig zuvor mit ihrer Mutter beim Vater eingetroffen war.
    Ihre Augen waren vom Weinen gerötet und sie reichte ihm still die Hand. „Ich weiss inzwischen dass sie nicht nur Pferdefreund, sondern auch Polizist sind und was mein Vater ihrem Freund und vielen anderen angetan hat. Dr. Amami hat uns das erzählt und ich kann es fast nicht glauben, denn zu mir war Papa immer der beste Vater, den man sich vorstellen kann. Wir möchten Papa jetzt mit nach Hause nehmen und ihn dort weiter versorgen, aber das Pflegepersonal hat gesagt, dass das nicht so einfach ist und da die Polizei auch noch ein Wörtchen mitzureden hat!“ vertraute sie ihm an und Semir versprach, sich darum zu kümmern. Klar war, dass Brami nicht haftfähig war und nach der gängigen Praxis hätte man ihn auch sonst nach der Verhandlung in sein Heimatland ausgeliefert-warum sollte der deutsche Steuerzahler die immensen Kosten tragen, die mit der Pflege eines derart schwer verletzten Täters entstanden? So ging Semir vors Krankenhaus und griff zu seinem Telefon, rief die Krüger an und schilderte die Problematik. „Ich kümmere mich drum und kontaktiere sofort Frau Schrankmann, ob man da eine Sonderregelung treffen kann!“ versprach sie und Semir ging wieder zurück auf die Intensivstation. Als er zuerst in Brami´s Zimmer trat, saßen da dessen Frau und die Tochter neben ihm und hielten seine schlaffen Hände, während aus Brami´s Augen Tränen flossen. Semir gab kurz Bescheid, dass die Sache lief und nun war von Hass bei dem Verbrecher nichts mehr zu spüren, sondern die pure Verzweiflung lag in der Luft.


    Bei Ben im Nebenzimmer war das Fenster geöffnet und der lag im wahrsten Sinne des Wortes erleichtert in seinem Bett. Auch Sarah war inzwischen wieder eingetroffen. „Ich besuche jetzt Yasser!“ gab Semir bekannt und Ben bat ihn im nächsten Spielwarenladen vorbeizuschauen und dort den größten Teddy zu erstehen, den die zu verkaufen hatten. „Sobald ich hier raus bin, muss ich dringend meinen kleinen Retter besuchen und ihm persönlich danken, aber ich denke, das wird noch ein paar Tage dauern!“ erklärte Ben und auftragsgemäß machte sich Semir nun auf den Weg. Wie gefordert kaufte er einen wundervollen riesigen Teddy für Yasser und als er in der Kinderklinik eintraf und den Teddy vor sich ins Zimmer schob, brach Yasser, der schon wieder ganz der Alte war und spielend auf dem Boden hockte, in Jubel aus. Wenig später kamen auch sein Vater, der die erste ambulante Chemo hinter sich und gut vertragen hatte und die Geschwister, begleitet von Khaled und so verabschiedete sich Semir bald und fuhr endlich nach Hause zu seiner Familie. Langsam wurde es dämmrig und die Weihnachtsbeleuchtung in der Stadt ging an und tauchte Köln in ein hoffnungsvolles Licht. Die Temperatur war unter null und Semir begann nun langsam in Weihnachtsstimmung zu kommen.

  • Auch diese Nacht schlief Sarah wieder bei Ben. Tim war bei den Gerkhan´s gut aufgehoben und die Mädchen übertrafen sich damit, mit ihm Quatsch zu machen, solange er wach war. Als sie nach dem abendlichen Stillen-Ayda und Lilly schliefen schon- Tim ins Bett gelegt hatte, sprach sie den beiden nochmals ihren größten Dank aus. „Andrea-Semir, ich weiss gar nicht genug, wie ich euch danken kann, aber irgendwie muss ich gerade bei Ben sein. Der braucht mich notwendiger als Tim. Ich habe zwar ihm und auch euch gegenüber ein furchtbar schlechtes Gewissen, aber ich muss gerade Prioritäten setzen und liebe eben alle beide!“ versuchte sie hilflos zu erklären und Andrea nahm sie kurz in den Arm. „Hör mal-das ist doch in Ordnung so! Tim ist bei uns geliebt und willkommen und nachdem ich eh Urlaub habe und Semir freigestellt ist, passt das ganz hervorragend. Man muss sich als Partnerin und Mutter auch nicht entscheiden wen man lieber mag-du hast einfach deine beiden Männer gern und versuchst das Beste für sie zu tun. Jetzt fahr zu Ben, richte ihm einen schönen Gruß von uns aus und gute Besserung-und Kopf hoch!“ beruhigte sie ihre Freundin und die fuhr nun schon leichteren Herzens ins Krankenhaus, wo sie schon sehnsüchtig von Ben erwartet wurde. „Wie geht´s Tim?“ wollte der wissen. „Ich habe schon so große Sehnsucht nach ihm und kann es fast nicht erwarten ihn wiederzusehen!“ sagte er und Sarah holte ihr Handy hervor mit dem sie vorher wieder ein kurzes Filmchen gedreht hatte. „Sieh mal-es geht ihm gut! Und Andrea und Semir sind so lieb-ich weiss ihn einfach gut aufgehoben, obwohl ich ihn natürlich auch viel lieber hier bei uns hätte!“ sagte sie und schob ihr Bett nach der nächsten Runde der Nachtschwester die noch Blutgase bestimmte und danach mit Sarah´s Hilfe Ben einigermaßen bequem hinlegte, neben das seine. „Beeil dich einfach mit dem Gesundwerden-umso eher siehst du unseren Sohn wieder!“ schlug Sarah vor und Ben sagte voller Ernst: „Ich werde mir die größte Mühe geben!“ bevor er die Augen schloss und einschlief.


    Diese Nacht verlief bei allen ruhig und auch Tim schlief durch. Am nächsten Morgen wusch Sarah ihren Ben wieder liebevoll, aber heute konnte er schon ziemlich viel mithelfen und als die Laborbefunde da waren und sich alle Werte stark gebessert hatten, wartete man zunächst auf die Visite der Herzchirurgen. „Wir werden jetzt die Perikarddrainage entfernen!“ sagte der Operateur und Ben rutschte vor Aufregung das Herz in die nicht vorhandene Hose. Oh Gott-das würde sicher schrecklich weh tun und wenn er sich so vorstellte, dass dieser Schlauch in seinem Herzen lag, dann wurde ihm alleine von dem Gedanken daran ganz schlecht! Man stellte das Bett flach, löste das Pflaster und sprühte auf die Einstichstelle der Drainage. Der Arzt entfernte mit einem kleinen Scherchen und einer Pinzette die Annaht und zog dann vorsichtig an dem dünnen Schläuchlein, das auch sofort herausflutschte. Ben hatte die Luft angehalten und die Augen vor Aufregung geschlossen. Als der Arzt nun sagte: „Erledigt-bitte ein steriles Pflaster!“ und die Drainage auf Vollständigkeit prüfte und mitsamt Ablaufbeutel in den bereitgestellten Abfalleimer warf, riss er seine Augen erstaunt wieder auf. Das hatte nur ein kleines bisschen geziept und ansonsten hatte er überhaupt nichts gemerkt. Auch Sarah, die seine Hand gehalten hatte atmete auf. Manchmal kam es dabei zu Herzstolpern oder anderen Komplikationen, aber heute war ihnen der Glücksgott wohlgesonnen.
    Als wenig später der anästhesiologische Chefarzt zur Visite kam und alle Werte studierte, seinen Patienten in Augenschein nahm und dann noch kurz Rücksprache mit dem Nephrologen hielt, wartete sie gespannt auf dessen Urteil und nun kam der ersehnte Satz auf den Sarah schon eine Weile gewartet hatte: „Na Herr Jäger, ich glaube sie profitieren nun nicht mehr von unserer Intensivmedizin. Die weitere Behandlung kann auf der Normalstation durchgeführt werden. Ich wünsche ihnen alles Gute und hoffe sie so bald hier nicht mehr als Patienten begrüßen zu dürfen!“ verabschiedete er ihn und Sarah wäre am liebsten in lauten Jubel ausgebrochen. Aufgeregt besprach und organisierte sie danach einige Dinge und kam dann zu Ben zurück. „So mein Schatz-ich habe für uns drei ein Familienzimmer bestellt. Ich werde jetzt dann nach Hause und zu den Gerkhan´s fahren, alle benötigten Sachen zusammenpacken und in wenigen Stunden wirst du Tim wieder in den Armen halten können!“ überraschte sie ihn und als sie kurz darauf ging, hatte Ben vor Aufregung einen ganz trockenen Mund. Langsam begann er selber daran zu glauben, dass bald wieder Normalität in sein Leben einkehren würde und das Schönste war-er würde Tim wiedersehen, nach dem er sich vor Sehnsucht verzehrte!

  • Als Sarah die Intensivstation verließ, kam der Flugzeugarzt der Ben und die anderen aus Tunesien rausgeschafft hatte mit seiner Crew auf sie zu. „Hallo Sarah-stell dir mal vor, was wir jetzt für einen Transport zu begleiten haben! Wir bringen den Anführer der Attentäter zurück in seine Heimat. Der wird in seinem Leben nie mehr jemandem schaden können und was glaubst du, wer den dann in Monastir in Empfang nimmt? Dr. Amami-also ist sozusagen die alte Truppe dann wieder komplett!“ plauderte er und Sarah nickte. Sie war nur froh, dass es vorbei war und ging leichten Herzens zu ihrem Wagen. Zuerst fuhr sie in ihre Wohnung und lud das Auto mit allerlei Dingen für Tim, für Ben und für sich voll um dann weiter zu den Gerkhan´s, denen sie schon telefonisch Bescheid gesagt hatte, zu düsen. „Mensch Sarah das ist ja toll-setz dich erst mal, trink ein Tässchen Tee und iss ein Brötchen-wir haben genügend da!“ forderte Andrea sie auf und nach kurzer Überlegung machte Sarah das auch. An so profane Dinge wie essen und trinken hatte sie die letzten Tage nur nebenbei gedacht und wenn ihre Freunde und Kollegen sie nicht so fürsorglich mit betreut hätten, würde sie jetzt auf dem Zahnfleisch daherkommen und sicher auch keine Milch mehr haben, während es so mit dem Stillen wieder ganz gut klappte und Tim zwischendurch eher was mit dem Löffel gegessen hatte. „Ben kann es schon kaum mehr erwarten endlich seinen Sohn wiederzusehen!“ erklärte Sarah allerdings nach einer Weile und Semir erbot sich, sie ins Krankenhaus zu begleiten und ihr beim Rauftragen zu helfen, was sie gerne annahm und so waren eine halbe Stunde später die ganzen benötigten Sachen in dem Familienzimmer und während Sarah, die darin ebenfalls ein Bett und Tim ein Babykinderbettchen hatte, dort wartete, ging Semir auf die Intensivstation, um zu sehen wo Ben blieb.


    Gerade wurde Brami, den der Fliegerarzt sediert hatte, um seinem Patienten nicht allzu viel Stress zuzumuten, auf einer Trage herausgefahren um direkt zum Hubschrauber und mit dem zum Ambulanzflieger gebracht zu werden, der am Köln-Bonner Flughafen wartete und die ganze Familie Brami in die Heimat zurückbringen würde. Brami´s Frau und Tochter würden mit dem Taxi dorthin fahren und als das junge Mädchen Semir´s ansichtig wurde, trat sie zu ihm. „Vielen Dank Herr Gerkhan, dass sie es uns ermöglicht haben, Papa in die Heimat zurückzubringen. Wir werden dort das Bestmögliche für ihn tun. Ich möchte mich auch nochmals auch im Namen meiner Mutter für all das entschuldigen was mein Vater ihnen und ihren Freunden angetan hat. Wie ich inzwischen weiss, ist mein Vater ein Verbrecher und ich trage schwer an den Gedanken, welche Schuld er auf sich geladen hat. Soweit uns das möglich ist werden wir versuchen das wiedergutzumachen!“ sagte sie und Semir schüttelte ihr gerührt die Hand. Diese junge Frau hatte das Herz auf dem rechten Fleck und in diesem Augenblick wurde auch schon Ben in seinem Bett aus dem Intensivzimmer gefahren, von wo ihn die Schwestern der Normalstation abgeholt hatten. Brami´s Tochter trat nun auch zu ihm, reichte ihm die Hand, woraufhin Ben zögernd einschlug und sagte leise: „Ich bitte auch sie im Namen meines Vaters um Entschuldigung für das erlittene Unrecht und die Schmerzen. Ich hoffe sie werden bald wieder gesund sein-ein Zustand den mein Vater nie mehr erreichen wird!“ erklärte sie und Ben war ganz gerührt. Ob sie wohl wusste, dass er derjenige war, der ihren Vater zum Krüppel geschossen hatte? Gerade als er darüber nachdachte sagte sie fest: „Papa hat bekommen was er verdient hat und wird sich vielleicht bald bei einer höheren Macht für seine Taten verantworten müssen-sie trifft keine Schuld!“ und damit drehte sie sich um und verschwand aufrecht um mit ihrer Mutter zum wartenden Taxi zu gehen.


    Je näher Ben der Station kam , wo sein Sohn auf ihn wartete, desto aufgeregter wurde er. Er hatte noch eine Infusion am ZVK hängen, die anderen Schenkel waren abgestöpselt. Die Thoraxdrainage würde ihn noch ein paar Tage begleiten, aber auf seinem Bauch waren auch nur noch drei kleine Pflaster, man hatte vorhin diese Drainagen ebenfalls entfernt und nur die unförmigen Gipsverbände erinnerten noch an seinen Aufenthalt in dem tunesischen Krankenhaus. Gut auch der Shaldonkatheter der wie eine Indianerfeder aus seinem Hals ragte war störend und den Blasenkatheter wäre er ebenfalls lieber gestern als heute losgeworden, aber ansonsten fühlte er sich schon wieder ganz gut.
    Endlich machte Semir die Tür auf und während die beiden Schwestern das Bett an seinen Platz schoben und die Thoraxsaugung anschlossen, trat Sarah schon mit einem satten und munteren Tim auf dem Arm zu ihm und legte ihn sanft auf der rechten Seite, die ja relativ unversehrt war, neben ihn ins Bett. Ben schossen vor Rührung die Tränen in die Augen und sein Sohn sah ihn mit großen Augen verwundert an. Als sich Ben´s Gesicht unwillkürlich zu einem Lächeln verzog und er sagte: „Hallo kleiner Mann!“ da überzog plötzlich ein Strahlen das Gesicht seines Sohnes und er lachte und gurrte, dass alle Anwesenden mit lachen mussten. „Endlich haben wir uns wieder!“ flüsterte Ben und als sich Sarah nun auch noch zu den beiden beugte musste sich auch Semir ein kleines Tränchen der Rührung aus dem Augenwinkel wischen.

  • Brami´s Flug verlief ruhig und Dr. Amami hatte im Haus des Großindustriellen ein Pflegebett, eine Absaugung und eine Beatmungsmaschine organisiert. Am Flughafen wurde der immer noch sedierte Patient in ein Ambulanzfahrzeug umgeladen und von dem tunesischen Arzt und zwei Sanitätern in Empfang genommen. Einer seiner Vertrauensleute hatte einen Blick auf ihn erhaschen können und war betroffen, wie hilflos dieser so vitale Mann, der seit Jahren eine Schreckensherrschaft aufgebaut hatte, plötzlich war. Auf Nachfrage wurde ihm bestätigt, dass der Anführer nie wieder gesund werden würde und dank Handy war diese Tatsache wenig später in den Terrorcamps und auch den übrigen Kreisen bekannt. Sofort begannen die ein wenig unschlüssigen Rekruten davonzulaufen und nachdem Brami ja seine fähigsten Männer und Vertraute für den Anschlag mit nach Deutschland genommen hatte, begann noch am selben Abend sein Imperium des Schreckens zu bröckeln. So mancher der bisher vor Angst stillgehalten hatte, wie auch die Frau des Rennstreckenverwalters ging nun zur Polizei und die wenigen Männer der Organisation die noch übrig geblieben waren, wurden innerhalb der nächsten Tage von dieser verhaftet.
    Brami wurde indessen in seinem Haus von den Sanitätern in das Pflegebett gelegt und Dr. Amami schloss ihn an die Beatmungsmaschine an. „Ihr seid euch sicher, dass ihr die richtige Entscheidung für euren Mann und Vater getroffen habt?“ wollte nun der Arzt wissen, der in seiner Tasche alles Nötige dabei hatte und die Angehörigen seines Patienten nickten. Dr. Amami ließ ihn zuvor noch einmal wach werden, damit er wusste, dass er zuhause war. „Wenn ihr ihm noch irgendetwas sagen wollt, dann wäre jetzt die letzte Gelegenheit dazu!“ forderte er die Frau und das junge Mädchen auf, aber die setzten sich nur still neben das Bett und hielten jeder eine seiner Hände, obwohl er ja auch das nicht mehr spüren konnte. Brami´s Augen waren im Raum herumgewandert und hatten voller Wehmut seine Umgebung gemustert, bevor sie sich mit Tränen füllten. „Ich werde dir jetzt helfen dieses unwürdige Leben zu beenden!“ sagte der tunesische Arzt zu seinem Schulkameraden und meinte eine Zustimmung in dessen Blick zu finden. Der Doktor spritzte nun eine hohe Dosis Schlafmittel in den Zugang, so dass sein Patient auch wirklich nicht leiden musste und nachdem seine Augen sich geschlossen hatten und er eingeschlafen war, trennte Dr. Amami einfach die Trachealkanüle in Brami´s Hals von der Maschine und er erstickte sozusagen innerhalb weniger Minuten im Schlaf. Noch lange saßen seine Frau und seine Tochter neben ihm und als später der Imam der Gemeinde kam, um gemeinsam mit einigen von Brami´s männlichen Angestellten die rituelle Waschung vorzunehmen, meinte er eine friedliche Miene im Gesicht des Toten zu entdecken.


    Ben hatte derweil im fernen Deutschland seine Familienzusammenführung mit vollen Zügen genossen. Er konnte sich gar nicht satt sehen an seinem wunderhübschen Sohn und er schäkerte mit ihm und der quietschte und lachte. So verging der Tag und als am späten Nachmittag der Unfallchirurg zu ihm kam und sagte: „Nachdem sich ihre Werte alle miteinander so gebessert haben, würden wir morgen die Osteosynthese ihres Armes und des Beins in Angriff nehmen, wenn sie einverstanden sind!“ teilte er ihm mit. Man hatte zwar Röntgenaufnahmen durch die Gipsverbände hindurch angefertigt, aber nun nahm man die unhandlichen Schienen ab, was allerdings für Ben mit erheblichen Schmerzen verbunden war und fertigte in der Röntgenabteilung neue Bilder an. Er sah entsetzt auf seine Extremitäten. Die waren völlig krumm und man konnte auf den Röntgenbildern auch die beginnende Kallusbildung, also die Knochenheilung in dieser unphysiologischen Lage erkennen. „Wie soll das jemals wieder werden?“ fragte Ben entsetzt und sah sich schon verkrüppelt im Rollstuhl sitzen, aber der Unfallchirurg, der die Bilder aufmerksam betrachtet hatte, beruhigte ihn. „Das Wichtigste ist, dass sie keine Infektion im Knochen haben-alles andere kriegen wir schon hin. Es kann freilich sein, dass wir das nicht in einer Sitzung schaffen und mehrere Operationen nötig sind um die Funktionalität wiederherzustellen, aber vertrauen sie auf uns und unsere Erfahrung!“ sagte er und dann wurde Ben mit provisorischen Schienenverbänden zurück in sein Zimmer gebracht. Dort unterschrieb er die Einverständniserklärung für die Operationen und danach noch eine für eine Vollnarkose. „Sie können natürlich auch eine Regionalanästhesie haben!“ pries der Narkosearzt an und faselte etwas von Periduralkatheter und Plexusblock, aber Ben wehrte ab. „Ich möchte einfach schlafen und wenn ich aufwache soll die OP vorbei sein!“ bestimmte er und Sarah nickte beifällig. Gerade Knochenoperationen waren psychisch sehr belastend bei wachen Patienten, weil da wie im Heimwerkerkeller gehämmert, gesägt und gebohrt wurde. „Genau mein Schatz-und wenn du aufwachst, bin ich bei dir!“ sagte sie liebevoll und nun waren die Eingriffe für den morgigen Tag in Vollnarkose beschlossen.
    Zum Abendessen bekam Ben schon ein leichtes Süppchen und danach beklagte er sich: „Mann gerade fängt mir das Essen zu schmecken an und jetzt muss ich morgen schon wieder nüchtern bleiben!“ maulte er, aber Sarah beruhigte ihn: „Wenn das vorbei ist, wirst du schon mit Plätzchen, Stollen und anderen Leckereien von uns aufgefüttert!“ tröstete sie ihn und Ben fragte dann noch hoffnungsvoll: „Und ner Weihnachtsgans mit Rotkraut und Klößen?“ und nun musste Sarah lachen.

  • Am nächsten Morgen wurde Ben gleich nachdem ihn Sarah gewaschen und gerichtet hatte in den OP gebracht. „Alles Gute!“ wünschte sie ihm liebevoll und gab ihm zum Abschied einen Kuss. Danach packte sie Tim ein und ging erst ein Ründchen mit ihm spazieren, um danach in die Wohnung zu fahren und mit dem Anbringen der Weihnachtsdeko zu beginnen. Eigentlich hatte sie nicht gedacht, dass sie dieses Jahr noch Lust darauf haben würde, aber so lenkte sie sich ab und auch Tim war sehr zufrieden und half auf dem Bauch auf seiner Krabbeldecke mittendrin liegend mit geschäftigen Lauten Einpackpapier zu zerfetzen. Sarah wusste, dass die OP mehrere Stunden dauern würde und danach Ben noch im Aufwachraum liegen würde. Ihre Kollegen hatten versprochen ihr Bescheid zu geben wenn die Operationen beendet waren, was die am PC verfolgen konnten. Danach hatte sie noch etwa zwei Stunden bis Ben im Zimmer war und als um elf ihr Handy klingelte, das sie inzwischen von Frau Krüger zurückerhalten hatte, arbeitete sie noch in aller Ruhe ein Stündchen weiter, aß dann noch was und fuhr dann ins Krankenhaus zurück. Tim machte ein ausgiebiges Mittagsschläfchen und so hatte Sarah genügend Zeit sich um ihren Verlobten zu kümmern, als der kurz vor dreizehn Uhr ins Zimmer gefahren wurde.


    Ben war morgens sehr aufgeregt gewesen, als er eingeschleust wurde. „Hoffentlich bleibe ich kein Krüppel!“ vertraute er der Anästhesieschwester seine Ängste an, aber auch die beruhigte ihn. „Jetzt lassen sie unsere Docs mal machen! Die haben sehr viel Erfahrung mit Osteosynthese und sind da ständig auf Fortbildungen!“ erklärte sie ihm und wenig später rauschte das Narkosemittel über den ZVK in seine Venen und er schlief sofort ein. Man intubierte ihn problemlos und nahm sich dann im Saal erst das Bein vor. Die Stellen an denen sich schon Kallus gebildet hatte, wurden sozusagen unter Sicht nochmals gebrochen und dann stabilisierte und reponierte man mit unzähligen Platten und Schrauben das Bein. Man legte danach mehrere Redondrainagen ein, klebte sterile Wundverbände auf die Wunden und wickelte dann das Bein mit elastischen Binden. Nun wurde Ben umgelagert, die Operateure zogen sich frische Kittel und Handschuhe an und dann operierte man den Arm. Der Oberarm und das Ellenbogengelenk konnten recht gut versorgt werden, nur am Unterarm waren so viele eingestauchte Trümmerfrakturen, dass man sich entschloss, da einen Fixateur externe anzulegen und so sah wenig später Ben, als er im Aufwachraum zum zweiten Mal erwachte-an das erste Mal im Operationssaal nach der Extubation konnte er sich gar nicht mehr erinnern-verwundert auf ein merkwürdiges Metallgestell an seinem linken Arm. Er hatte aber kaum Schmerzen, so gut hatte man ihn mit Schmerzmitteln abgedeckt und als er um die Mittagszeit abgeholt und in sein Zimmer gefahren wurde, hatte er ehrlich gesagt vor allem eines: Hunger und Durst!
    Sarah begrüßte ihn mit einem liebevollen Kuss, er warf einen zufriedenen Blick auf seinen schlafenden Sohn und döste dann noch ein wenig vor sich hin. Nach zähen Verhandlungen ließ sich Sarah gegen 15.00 Uhr erweichen ihm etwas zu trinken zu holen und als gegen 16.00 Uhr der Operateur noch vorbeikam, um ihm vom Verlauf der OP und der Prognose zu erzählen, war sein größtes Anliegen sein knurrender Magen. Der Unfallchirurg prüfte erst die Durchblutung, die Motorik und die Sensibilität der operierten Gliedmaßen und erklärte dann, dass das Bein ab sofort mit etwa 20 kg teilbelastet werden durfte und am Arm erst in einigen Wochen eine erneute OP anstand. „Insgesamt ließ es sich aber sehr gut machen-viel besser als ich erwartet hatte. Wenn jetzt keine Infektion dazukommt, werden sie von diesen Verletzungen wohl völlig genesen und ganz wiederhergestellt werden!“ machte er ihm Mut. „Und ab wann kriege ich wieder was zu essen?“ fragte Ben nun hoffnungsvoll und der Chirurg brach in schallendes Gelächter aus. „Ab sofort steht einer normalen Ernährung nichts mehr im Weg!“ teilte er ihm mit und so stürzte sich Ben danach heißhungrig auf sein Abendessen. „Mann was soll ich jetzt mit diesen zwei mickrigen Brotscheiben und dem bisschen Wurst!“ beklagte er sich. „Ich könnte einen ganzen Elefanten verschlingen!“ und so bekam Semir, der nachher vorbeikam um nach seinem Freund zu sehen erst einmal einen Spezialauftrag und als er wenig später mit einer großen McDonalds-Tüte das Zimmer wieder betrat war Ben endlich zufrieden. „Solche Besuche sind mir die liebsten!“ bemerkte er, während er herzhaft in seinen Burger biss.


    Die nächsten Tage schritt Ben´s Genesung zügig voran, er machte mit dem Gehwagen schon bald Gehübungen und auch die Thoraxdrainage sowie der Shaldonkatheter konnten wenige Tage vor Weihnachten entfernt werden. Den Blasenkatheter war er schon am Tag nach der letzten OP losgeworden. Sarah war zwischendurch wenn andere Besuche kamen, die sich auch wirklich die Klinke in die Hand gaben, immer mal wieder für einige Stunden verschwunden und hatte sogar ein paar Sorten Plätzchen gebacken. Konrad, der im Ausland gewesen war und von der ganzen Sache erst verspätet erfahren hatte besuchte ihn ebenfalls, nur Julia konnte nicht kommen, denn die war schwanger und musste liegen, aber sie telefonierte sehr regelmäßig mit ihrem Bruder. Auch Yasser, der schon fast wieder ganz gesund war, war mit seiner ganzen Familie zu Besuch gekommen und Ben hatte den Jungen einfach wortlos an sich gedrückt. Die hatten sich in der Schutzwohnung ganz gut eingelebt, die Kinder wurden sogar an einer internationalen Schule unterrichtet, denn für die Chemo des Vaters waren primär mal sechs Monate veranschlagt, aber trotzdem wollten sie unbedingt so bald als möglich wieder zurück in die Heimat-hier in Köln war es ihnen eindeutig zu kalt!


    Nun war der Heilige Abend angebrochen. Ben hatte sich auf dem Menüplan des Krankenhauses zwar das Essen ausgesucht, aber irgendwie war es schon blöd das erste Weihnachtsfest mit Tim im Krankenhaus zu verbringen, aber es half ja nichts! Umso überraschter war er, als so gegen 15.00 Uhr am Nachmittag Semir plötzlich mit einem Rollstuhl vor ihm stand. Sarah, die bereits ein paar Stunden verschwunden gewesen war, war ebenfalls gekommen und legte ihm wortlos ein paar warme und weite Anziehsachen bereit, was mit dem Gestell um den Arm gar nicht so einfach war-sie hatte sogar Nähte aufgetrennt und Druckknöpfe vernäht-und verwundert zog Ben sich mit Hilfe an. Semir schob den Rollstuhl und wenig später waren alle Vier vor dem Krankenhaus, wo die Jäger´sche Familienkutsche schon bereit stand. Semir half Ben in den Fond, Tim kam in seinen Sitz auf der Beifahrerseite und Sarah steuerte nun das Fahrzeug zur Wohnung, während die Luft nach Schnee roch und die ersten Flocken sich aus dem wolkenverhangenen Himmel stahlen. Es kostete zwar Mühe und Kraft, aber mit Semir´s tatkräftiger Unterstützung erklomm Ben die Stufen zur Wohnung und oben am Treppenabsatz stand schon ein hoher Gehwagen bereit, wie ihn Ben auch im Krankenhaus benutzt hatte, um sich fortzubewegen. Schritt für Schritt näherte er sich mühsam der Wohnungstür und als Sarah, die mit vor Freude geröteten Wangen vorausgeeilt war, die Tür aufstieß, fielen Ben beinahe die Augen aus dem Kopf. Ihre ansonsten so moderne und nüchterne Wohnung hatte sich in ein üppiges Weihnachtsland verwandelt, überall waren weihnachtlich geschmückte Accessoires aufgehängt, Lichterketten, die ein heimeliges Licht verbreiteten, brannten, ein wundervoller Christbaum unter dem Geschenke aufgehäuft waren, stand in der Mitte und die ganze Wohnung durchzog ein wunderbarer Duft. Eine Mischung aus Tanne, Plätzchen und vor allem Gänsebraten. Auch Tim hatte mir großen Augen und voller kindlichem Staunen die Verwandlung seines Heims betrachtet und als nun Ben ganz ins Wohnzimmer trat sagte Sarah nur eines: „Frohe Weihnachten!“


    ENDE

  • Epilog: Um einige der offenen Fragen zu beantworten führe ich jetzt die von Yon eingeführte gute Sitte des Epilogs weiter:


    Ben musste zwar nach den Feiertagen nochmals zurück ins Krankenhaus, aber er erholte sich zügig und machte auch eine ambulante Reha, anstatt wegzufahren. Mit einer einzigen weiteren Operation kam auch der Arm in Ordnung und außer ein paar Narben blieb nichts zurück.Sarah bestand darauf, dass er seine Psychotherapie weiterführte und sie hatten inzwischen auch schon Partnerstunden gemacht-auf jeden Fall würde Ben vor Sarah keine so großen Heimlichkeiten mehr haben, sondern seine Wünsche und Probleme ansprechen, damit man eine gemeinsame Lösung finden konnte.


    Yasser`s Vater galt nach einem halben Jahr als geheilt und die ganze Familie konnte in die Heimat zurückkehren. Die Therapie und der Aufenthalt in Deutschland waren aus der Entschädigung Brami´s gezahlt worden und Ben verwendete nun das aus seiner persönlichen Kasse dafür vorgesehene Geld dazu, der hilfreichen Familie eine größere, schön eingerichtete Wohnung zu finanzieren und vor allem ein Stipendium für die Ausbildung aller Kinder einzurichten. Allerdings sah es gut aus-vermutlich konnte der Vater sogar wieder arbeiten!
    Yasser hatte während seines Kölnaufenthalts perfekt Deutsch sprechen gelernt und verbrachte viele Nachmittage damit, mit Tim zu spielen und als Krönung durfte er sogar mal mit Semir und Ben im Polizeiauto mitfahren und Semir zeigte sein fahrerisches Können, so dass Yasser mit geröteten Wangen ausstieg und tagelang von nichts anderem mehr schwärmte-außerdem stand sein Berufswunsch fest-er wollte Polizist werden.


    Die überlebenden Terroristen wurden in Deutschland verurteilt und nach einer Weile in die Heimat abgeschoben-allerdings verbürgte sich der Präsident Tunesiens dafür, dass die die volle Strafe in ihrer Heimat absaßen, denn nur durch Guido´s beherzte Aussage war ein Embargo gegen sein Land verhindert worden, die Deutsch-Tunesischen Beziehungen liefen in normalen Bahnen weiter und das nordafrikanische Land blieb ein beliebtes Urlaubsziel.
    Khaled verbrachte viel Zeit mit Yasser´s Vater mit dem er sich angefreundet hatte und versprach die Verbindung nicht abreißen zu lassen.


    Hassan und seine Familie wurden für ihren selbstlosen Einsatz fürstlich von Ben belohnt, unter anderem natürlich auch mit einem neuen Beduinentuch und einem Sack Kraftfutter für die Kamele-das einzige was er nicht mehr wollte, war dieses Land bereisen-zu viele böse Erinnerungen hingen daran! Allerdings wurde die Stimmung im Land nach Brami´s Tod wieder viel liberaler weil die Terrormilizen mangels Geldgeber ihre Schreckensherrschaft beendet hatten.
    Brami´s Tochter setzte alle Kraft daran gemeinsam mit ihrer Mutter die Leidtragenden der Verbrechen ihres Vaters zu entschädigen und außerdem half sie einmal die Woche Dr. Amami dabei in den Slums von Sousse die Ärmsten der Armen zu behandeln. Eines Tages sagte sie mit geröteten Wangen: „Dr. Amami-ich weiss jetzt was ich werden will: Ich werde nach dem Abitur Medizin studieren, dann eine Weile in Deutschland arbeiten und danach nach Tunesien zurückkehren und Gutes tun!“ und der Arzt sagte gerührt: „Ja tu das-dein Vater wäre stolz auf dich!“ obwohl er sich dessen gar nicht so sicher war-aber er ersetzte sozusagen die Vaterfigur bei diesem jungen Mädchen.


    Dietmar Haug wurde zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt und aus seinem Vermögen und dem Günther´s wurde auch Lisa entschädigt, die mit psychologischer Hilfe allmählich über das Trauma hinweg kam. Natürlich bekam auch Hubert sein Schmerzendgeld und am Friedhof stand nun ein wundervoller Grabstein aus weißem Marmor.


    Die nächsten Schulferien verbrachten Semir und seine Familie in dem Haus auf Norderney und sie erholten sich wunderbar-das war ein tolles Geschenk von Sarah gewesen.


    Als Ben wieder soweit genesen war kam ein verspäteter Wintereinbruch und Ende Februar lag Köln unter einer dichten Schneedecke. Ben der ab der nächsten Woche wieder dienstfähig geschrieben war, ging in den Keller, holte den Schlitten und diesmal klappte es mit der gemeinsamen Schlittenfahrt. Als er zusammen mit seinem Sohn ins Tal rauschte juchzte er vor Vergnügen und Tim, der mit roten Bäckchen in seinem dicken Schneeanzug steckte tat es ihm gleich. Sarah stand unten am Schlittenhang und nahm ihre Männer dort lachend wieder und wieder in Empfang-das hätte sie sich vor wenigen Wochen noch nicht träumen lassen, dass das jemals wieder möglich sein würde! Aber eines wusste sie-sie liebte die beiden von ganzem Herzen und würde sie am liebsten nie mehr aus den Augen lassen, aber das war einfach unmöglich.

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