Wild Hot Racing

  • Andreas Benko war auf dem Rückweg von der Siegerehrung. Stolz sah er sich immer wieder den Pokal auf dem Beifahrersitz an. Das war sein Leben! Die ganze nächste Woche würde er in der Fabrik stehen und seine Brötchen verdienen, aber am Wochenende würde er wieder zum Rennfahrer werden. Er würde konzentriert über den Ring düsen, das Gaspedal bis zum Anschlag durchtreten, er würde den Rausch der Geschwindigkeit fühlen, die Ideallinie suchen und dabei immer besser und besser werden. Irgendwann würde ein Sponsor ihn entdecken und dann würde er mit seinem Hobby Geld verdienen, er wäre reich und berühmt, aber bis es so weit war, musste er eben noch viel auf eigene Kosten üben.
    Dann runzelte er die Stirn. Was er heute morgen beobachtet hatte, gefiel ihm überhaupt nicht. Er hatte einen der Veranstalter darauf angesprochen, aber der hatte abgewiegelt. Dabei hatte Sicherheit doch absoluten Vorrang, wie er in den angebotenen Seminaren, die ja ebenfalls Geld kosteten, gelernt hatte. Er musste jetzt einfach noch ein wenig besser werden, damit er dann seine Rennlizenz machen und groß im Geschäft einsteigen konnte!


    Autobahn verengte sich und wurde gerade an dieser Gefällstrecke einspurig. Gut, dass jetzt Sonntag abend war, sonst wäre hier sicher ein kilometerlanger Stau. Andreas ging auf die Bremse-aber nanu? Was war da los? Das Pedal ging leer durch und anstatt langsamer zu werden, rollte er immer schneller den Berg hinunter. Gerade wollte er zurückschalten, um die Motorbremse zu aktivieren und hatte schon eine Hand am Handbremshebel, um sein Fahrzeug so zu verlangsamen, da ertönte ein lauter Knall, der rechte Vorderreifen zerbarst, Andreas raste schleudernd in die Baustelle und kam mit voller Wucht an einem Betonpfeiler zu stehen. Der Mann im Fahrzeug hinter ihm grinste zufrieden und legte die Fernbedienung beiseite. Er ging aufs Gas und war wenig später am Horizont verschwunden.


    Semir und Ben hatten Wochenenddienst. Das hier war ihre letzte Streifenfahrt vor dem Feierabend. Es war Oktober und die Nächte wurden schon kühl. Untertags allerdings schenkte ihnen die Herbstsonne noch schöne Stunden und Ben hatte gerade seinem Freund und Kollegen von seinem Sohn vorgeschwärmt. „Weisst du Semir, der kleine Tim ist einfach nur süß! Manchmal schläft er jetzt sogar schon durch, aber er kann so laut lachen, dass man einfach mitlachen muss!“ erzählte er und Semir schmunzelte. Nie hätte er gedacht, dass Ben einmal ein derart begeisterter Vater werden würde. Ein Bild seines Sohnes zierte sein Handy als Hintergrundbild und die ganze PASt wurde von jeglichen Entwicklungsfortschritten auf dem Laufenden gehalten. Ben fuhr nach der Arbeit immer sofort heim zu seiner kleinen Familie. Sie waren noch kein einziges Mal auf einen Absacker gewesen, seitdem vor zwei Monaten der kleine dunkelhaarige Junge geboren worden war, aber das würde sich mit der Zeit schon ändern. Semir erinnerte sich an die Zeit nach Ayda´s Geburt, das war auch eine aufregende Lebensphase gewesen, aber irgendwann würde das Elternsein auch bei Ben und Sarah Normalität werden, aber das konnte noch ein wenig dauern.
    Nun lenkte Ben seine Aufmerksamkeit auf die Straße vor ihnen. Sie waren ein gutes Stück vor der Baustelle, die ausgerechnet an diesem steilen Berg aufgebaut war. Heute ging es, aber das würde morgen im Berufsverkehr wieder Staus ohne Ende geben. „Mann was ist denn da vorne los?“ fragte Ben, denn sie sahen auf einmal rote Rücklichter rasend schnell auf der Gefällstrecke verschwinden. „Der sollte lieber bremsen-der ist viel zu schnell!“ kommentierte Semir, aber da war es schon passiert. Ein lauter Knall ertönte, dann ein Krachen und als sie näher kamen, konnten sie den Wagen völlig demoliert an einem Betonpfeiler hängen sehen. Während Semir so zügig wie möglich näher fuhr, griff Ben zum Funkgerät. „Cobra 11 an Zentrale-wir haben einen schweren Unfall im Baustellenbereich auf der A 1. Bitte einen RTW, wir schauen gleich mal,was los ist!“ rief er und in der gleichen Sekunde sagte er noch ärgerlich. „Leider habe ich das Nummernschild des dunklen Wagens nicht erkennen können-der hätte sonst gleich noch eine Anzeige wegen unterlassener Hilfeleistung gekriegt!“ denn das Fahrzeug vor ihnen, das ja ein wenig eher an der Unfallstelle gewesen war, hatte sich gerade zügig vom Acker gemacht.

    Semir und Ben sprangen aus dem Wagen. Nach einem Blick ins Innere konnten sie sehen, dass für den Fahrer jede Hilfe zu spät kam, anscheinend hatte er einen Genickbruch erlitten. Dennoch öffneten die beiden mit Gewalt die Fahrertür und tasteten nach dem Puls, aber da war nichts mehr zu spüren. Nur ein goldener Pokal fiel ihnen ins Auge. Ben ging zum Polizeifahrzeug zurück und meldete der Zentrale: „Du kannst den RTW wieder abbestellen und stattdessen den Leichenbeschauer und die Spurensicherung bestellen, der Fahrer ist tot!“ meldete er und Susanne organisierte alles Weitere. Als Ben zum Wagen zurückging, sagte er nachdenklich: „Hast du nicht auch erst einen Knall und dann das Krachen gehört?“ und Semir nickte. Er war um das demolierte Fahrzeug herumgegangen und zeigte auf den geplatzten Reifen: „Ich denke, das war der Knall, aber warum verdammt nochmal ist der so gerast? Vielleicht kann Hartmut etwas herausfinden!“ sagte er und Ben nickte. Während sie mit behandschuhten Händen die Papiere des Toten aus seiner Hosentasche nahmen, seufzte Ben auf. „Verdammt, jetzt dürfen wir heute auch noch eine Todesnachricht überbringen-da könnte ich mir was Schöneres vorstellen und ein paar Überstunden gibt’s auch!“ erklärte er und sah auf die Uhr. Es war kurz vor acht und langsam begann es richtig kalt zu werden. Susanne glich die Personalien des Toten mit der Wohnadresse ab und als der Leichenbeschauer und die Spurensicherung eintrafen, warteten sie noch kurz, aber der Pathologe bestätigte ihre Vermutung: „Tod durch Genickbruch!“ und nun machten sich Semir und Ben auf, um die Angehörigen zu verständigen.

  • Als die beiden Polizisten vor der Adresse ankamen, die in den Papieren stand, sahen sie, dass es ein Mehrfamilienhaus war, wo auf den obersten beiden Klingelschildern zweimal der Name Benko stand-einmal Andreas und darunter Hubert. Zunächst drückte Semir auf den obersten Knoopf, aber als auch nach dem zweiten Läuten kein Türsummer ertönte, läutete er bei Hubert Benko. Wenig später wurde die Tür geöffnet und Semir und Ben liefen in den vierten Stock, denn Aufzug gab es keinen. Eine einfach gekleidete Frau stand in der Tür und sah ihnen neugierig entgegen. „Sind sie eine Angehörige von Andreas Benko?“ wollte nun Ben wissen und zog gleichzeitig mit Semir seinen Dienstausweis. „ Wir sind Semir Gerkan und Ben Jäger von der Autobahnpolizei!“ setzte er hinzu und beide wiesen ihre Dienstausweise vor. Die Frau sagte alarmiert: „Andreas ist mein Sohn-hat er etwas angestellt, oder ist er gerast, wenn gleich Autobahnpolizisten deswegen zu uns kommen?“ fragte sie und nun bat Ben: „Dürfen wir reinkommen?“ und die Frau öffnete ihnen nun mit bangem Gesichtsausdruck die Tür und bat sie ins Wohnzimmer, wo ihr Mann im Jogginganzug vor dem Fernseher saß.
    „Hubert, die Herren sind von der Polizei!“ sagte sie und der Mann drückte auf den Ausschaltknopf der Fernbedienung und stand auf, um die beiden zu begrüßen. „Sie sind wegen Andreas da!“ fügte die Frau noch hinzu und nun blickte auch Hubert überrascht auf. „Was hat er denn angestellt,ist er wieder zu schnell gefahren?“ wollte der Vater wissen und Semir ergriff nun das Wort. „Leider liegen sie mit ihrer Vermutung wegen der überhöhten Geschwindigkeit richtig. Wir müssen ihnen leider die traurige Mitteilung machen, dass ihr Sohn vor weniger als einer Stunde in einer Baustelle an der A1 tödlich verunglückt ist. Wir waren kurz hinter ihm und er ist auf einer Gefällstrecke von der Fahrbahn abgekommen und an einen Betonpfeiler gerast. Er hatte einen Genickbruch und war wohl sofort tot!“ sagte er und nun sahen die geschockten Eltern ihn erst entsetzt an, um sich dann in die Arme zu fallen und beide hemmungslos zu weinen.


    Ben sah betreten zu Boden. Wie würde es sich anfühlen, wenn man als Eltern so eine Mitteilung bekam? Gut-deren Sohn war erwachsen-laut Papieren 21 Jahre alt- gewesen, aber man liebte seine Kinder doch ein Leben lang und wenn er sich jetzt vorstellte, dass in einigen Jahren Sarah und er einmal so eine schreckliche Nachricht kriegen würden-er könnte es nicht ertragen. Sein Sohn Tim war das Allerwichtigste in seinem Leben und egal in welchem Alter, man liebte seine Kinder einfach unendlich und erst jetzt konnte er ermessen, welches Leid sie hier dieser Familie übermittelt hatten! Sanft sagte er: „Es tut uns sehr leid-wir sind auch beide Eltern und können uns vorstellen, welchen Schmerz sie gerade aushalten müssen!“ und zog gleichzeitig eine Packung Papiertaschentücher auis der Jackentasche und streckte sie dem Ehepaar entgegen. Semir sah ihn ein wenig überrascht von der Seite an-so hatte er Ben noch nie erlebt, aber das Ehepaar Benko spürte die Empathie in seinen Worten, nahm dankend die Taschentücher entgegen und beruhigte sich ein wenig. „Aber er musste wirklich nicht leiden?“ vergewisserte sich die Mutter und Semir und Ben schüttelten gleichzeitig den Kopf.


    Der Vater sagte stockend: „Eigentlich haben wir sowas ja immer befürchtet, denn unser Sohn ist Autorennen gefahren. Wir hatten allerdings immer gedacht, dass wenn, etwas bei einem Rennen passieren würde, auch wenn er uns immer versucht hat weis zu machen, dass das völlig ungefährlich sei. Seine Worte waren immer: „Die Wahrscheinlichkeit im Straßenverkehr ums Leben zu kommen, ist wesentlich höher, als in einem Rennwagen auf einer Rennstrecke und nun hat sich das leider bewahrheitet!“ sagte er mit einem Schluchzen. Ben mischte sich nun ein: „Er hatte einen Pokal auf dem Beifahrersitz-kam er dann wohl gerade von einem Rennen?“ fragte er und der Vater nickte. „Wie fast an jedem Wochenende. Sein Veranstalter, dem er sein ganzes Geld in den Rachen geschoben hat, hatte dieses Wochenende den Nürburgring gemietet. Da war er ganz aus dem Häuschen, denn das kommt nur sehr selten vor. Letztes Wochenende war er auf dem Sachsenring, wieder ne Woche vorher in Brünn-ach wir kennen bald alle Rennstrecken in Europa-wenigstens von den Bildern und vom Namen her, denn das war seine Passion!“ erklärte er.
    Auch wenn das nun eigentlich nichts zur Sache beitrug, fragte Semir: „Wohnt er noch hier bei ihnen, oder hat er eine eigene Wohnung?" und nun erhob sich die Mutter, ging zum Schlüsselbrett im Flur und sagte: „Ich zeige ihnen sein Reich! Wir haben hier nur eine kleine Drei-Zimmer-Wohnung und als die Mansardenwohnung darüber frei wurde, hat Andreas, der da gerade ausgelernt und in der Fabrik, in der mein Mann auch arbeitet, eine Stelle bekommen hatte, sie gemietet. Er kam zwar zum Essen immer noch runter, hat auch die Wäsche zum Waschen gebracht, aber sonst war er eben doch freier und selbstständiger!“ erklärte sie und stieg vor ihnen die Treppe hinauf. Als sie die Tür öffnete strahlten ihnen aus der modern aber nicht teuer eingerichteten Wohnung von allen Wänden Bilder entgegen. Andreas im Rennanzug-meistens auf dem Siegertreppchen, strahlend einen Pokal nach oben haltend und als die Mutter einen zweiten Lichtschalter bediente, ging das Licht in einem großen Vitrinenschrank an, der gefüllt war mit einer Unzahl glänzend polierter Pokale. „Er war sehr erfolgreich und der Veranstalter Pro-Racing hat ihm eine große Zukunft prophezeit!“ sagte die Mutter ein wenig stolz, aber dann zog ein Schatten über ihr Gesicht. „Jetzt ist es wohl vorbei-und er hat mit seiner Meinung Recht gehabt, der Straßenverkehr ist viel gefährlicher als jede Rennstrecke!“ jammerte sie und nachdem sich Semir und Ben noch kurz umgesehen hatten, verabschiedeten sie sich und wünschten den Eltern nochmals viel Kraft in diesen schweren Stunden. Die Identifizierung brauchten sie erst am nächste Tag vorzunehmen und nachdem Karten und Telefonnummern ausgetauscht waren, verließen Semir und Ben nachdenklich das bescheidene Mietshaus.


    „Hast du schon jemals etwas von einem erfolgreichen Rennfahrer aus der Region namens Benko gehört?“ fragte er Semir und der schüttelte den Kopf. Während sie langsam zur PASt fuhren, googelte Ben in seinem Smartphone den Namen und tatsächlich war in den Siegerlisten dieses winzigkleinen Rennveranstalters ständig Andreas Benko enthalten, aber sonst konnte man übers Internet nichts über ihn erfahren. „Gut das spielt jetzt auch keine Rolle mehr, aber vielleicht erklärt es, warum er so schnell in die Baustelle gerast ist-einmal Rennfahrer-zumindest im Kopf-immer Rennfahrer!“ vermutete Ben und stieg in seinen Mercedes, um nach Hause zu Sarah und Tim zu fahren.

  • Als Ben am Abend nach Hause gekommen war, hatte Tim schon geschlafen. Sarah, die er kurz angerufen hatte, war noch ein wenig wach gewesen, aber dann waren sie bald zu Bett gegangen. Tim hatte im Schlafzimmer ein praktisches höhenverstellbares Babybettchen, das man direkt ans Elternbett anbauen konnte und so zog ihn Sarah, wenn er zu quengeln begann, einfach zum Stillen herüber und so schliefen sie dann oft wieder ein. Wenn Tim allerdings gar keine Ruhe gab, dann war der Papa gefragt. Wenn er seinen Sohn in die Arme nahm, wurde der oft sehr schnell ruhig, wie das schon in Mamas Bauch funktioniert hatte. So waren die Nächte erholsamer als erwartet und morgens stand Sarah dann meistens mit dem Kleinen auf und gönnte Ben, der schließlich arbeiten musste, noch ein Stündchen Morgenschlaf. Sie konnte sich ja mittags nochmal hinlegen.Als sie gemeinsam frühstückten und Tim in seiner Wippe fröhlich vor sich hin krähte, erinnerte Sarah ihren Ben: „Denkst du auch dran, dass wir um sechzehn Uhr einen Termin beim Kinderarzt haben und ich abends in die Rückbildungsgymnastik möchte?“ und Ben nickte folgsam. Er hatte das mit der Chefin abgeklärt und die hatte ihm zugesagt, dass er deswegen eher Feierabend machen durfte. Gut-wenn es wie gestern später wurde, machten er und Semir das ja auch ohne zu jammern-eine Hand wusch die andere! Wenig später brach Ben auf und Sarah kümmerte sich um den Haushalt und das Baby.


    In der PASt angekommen gingen sie erst ihren Routinearbeiten nach und fuhren die erste Streife bis am späten Vormittag plötzlich Semir´s Handy klingelte. Hartmut war dran: „Jungs-ich habe doch den Wagen des Unfallopfers von gestern Abend in der Werkstatt. Das müsst ihr euch ansehen!“ sagte er aufgeregt und Semir und Ben beeilten sich, in die KTU zu kommen. Hartmut hatte das Fahrzeug grob auseinandergenommen und schickte sich jetzt zu langatmigen Erklärungen mit vielen Fremdworten an, die von Ben allerdings bald unterbrochen wurden. „Komm sags mit Worten, die ich auch verstehen kann, Einstein!“ und nun kam Hartmut auf den Punkt: „Bei dem Fahrzeug wurden die Bremsen manipuliert und zusätzlich ein ferngezündeter Sprengsatz im rechten Vorderreifen angebracht. Der Junge hatte an einer Gefällstrecke keine Chance-allerdings muss ihn ein Fahrzeug verfolgt haben, denn auch das Bremssystem wurde elektronisch außer Betrieb gesetzt. Das muss jemand gemacht haben, der sich sehr gut mit Fahrzeugen auskennt und der auch im richtigen Moment aufs Knöpfchen gedrückt hat!“ erklärte er und nun wechselten Semir und Ben einen Blick: „Dann war das also kein Unfall, sondern Mord-und vermutlich saß in dem Fahrzeug, das sich so schnell vom Acker gemacht hat, der oder die Mörder-so ein Mist!“ ärgerte sich Ben, dass er nicht auf das Nummernschild geachtet hatte. „Dann mal los-wir werden jetzt nochmals bei den Eltern vorbei schauen und in der Pathologie fahren wir auch gleich vorbei, ob der Doc schon mit der Obduktion fertig ist!“ forderte Semir ihn auf und wenig später waren sie zunächst auf dem Weg in die Gerichtsmedizin. Die Chefin war ebenfalls telefonisch davon in Kenntnis gesetzt worden, dass sie einen neuen Fall hatten und gab ihnen grünes Licht für ihre Ermittlungen und versprach, einen Durchsuchungsbefehl für die Wohnung des Ermordeten zu beschaffen.


    Als sie das pathologische Institut betraten, war der Doc gerade in seinem Büro dabei, sich einen kleinen Imbiss zu genehmigen und lud die beiden auf einen Kaffee ein, den Semir dankend annahm, während sich Ben angewidert abwandte. Auch wenn dieses Büro hier aussah wie jedes andere, bildete sich Ben ein, dass es hier, wie im ganzen Gebäude, nach Leichen roch und er hätte hier nichts essen oder trinken können. Er hatte schon Probleme damit dem Doc die Hand zu reichen, obwohl der sicher bei der Arbeit immer Handschuhe trug, aber das war reine Kopfsache und Ben war jedes Mal froh, wenn er hier wieder draußen war! „Dr. Winterstein-hatten sie den jungen Unfallfahrer von gestern Abend-Andreas Benko-schon auf dem Tisch?“ wollte Semir nun wissen und der Arzt bejahte. „Der Tod trat augenblicklich durch Genickbruch ein-er musste wenigstens nicht leiden-das habe ich den Eltern schon gesagt, die ihn vorhin identifiziert haben. Ich habe die Leiche zur Bestattung frei gegeben. Das Tox-Screen aus Blut und Urin war negativ, kein Alkohol, keine Drogen, er war bis zu dem Unfall ein gesunder junger Mann!“ erklärte der Arzt. „Haben sich die Eltern irgendwie auffällig verhalten?“ fragte nun Ben, aber der Pathologe schüttelte den Kopf. „Das waren ganz normale, tief trauernde Eltern, die sicher zuvor die ganze Nacht kein Auge zugetan haben!“ erklärte er und die beiden bedankten sich für die Info. „Allerdings war der junge Mann kein Unfallopfer, sondern ein Mordopfer-sein Wagen wurde manipuliert!“ informierten sie den Arzt noch, der daraufhin durch die Zähne pfiff. „Dann mal auf und findet den Mörder, damit ich nicht nochmal einen so jungen Menschen obduzieren muss-welche Verschwendung!“ sinnierte der Arzt, Semir trank seinen Kaffee aus und sie machten sich erneut auf den Weg zu Andreas´ Eltern.


    Als sie an der Türe läuteten, wurde ihnen sofort geöffnet. Als sie die Stufen nach oben erklommen hatten, stand die Mutter mit vom Weinen geröteten Augen, ganz in schwarz gekleidet, vor ihnen. „Was wollen sie denn schon wieder?“ fragte sie müde und ihr Mann trat-ebenfalls ganz in schwarz-hinter sie. „Herr und Frau Benko-dürfen wir nochmal reinkommen-wir haben ihnen noch etwas mitzuteilen!“ bat Semir und die Eltern machten den Weg zum Wohnzimmer frei. „Wir haben Andreas schon identifiziert-er sah aus, als würde er noch leben-ich kann es immer noch nicht fassen, dass er sich zu Tode gerast hat!“ weinte die Mutter und nun sagte Ben sehr ernst: „Genau deshalb wollten wir noch einmal mit ihnen sprechen-hatte Andreas Feinde?“ wollte er wissen, aber ohne nachzudenken schüttelten beide Eltern den Kopf. „Er war so ein lieber Junge-überall beliebt, fleißig, gewissenhaft, nur diesen Spleen mit den Autorennen konnte ihm niemand ausreden!“ erklärte der Vater und nun ließ Semir die Bombe platzen. „Herr und Frau Benko-ihr Sohn hat sich nicht zu Tode gerast, sondern er wurde ermordet-sein Wagen wurde manipuliert und er hatte keine Chance!“ informierte er die Eltern und nach einer kurzen Schrecksekunde brach die Mutter in Tränen aus. „Oh mein Gott-so schrecklich das ist-aber wenigstens war er dann nicht selber schuld an seinem Tod!“ weinte sie. „Finden sie den Mörder-ich will ihn lebenslang hinter Gittern sehen!“ fügte nun der Vater ebenfalls tief betroffen hinzu und Semir und Ben versicherten, sich damit alle Mühe zu geben. Nun stellten Semir und Ben einige Fragen und die Eltern erzählten freimütig, dass Andreas erst in einem kleinen Betrieb ganz in der Nähe KFZ-Mechaniker gelernt hatte. „Na eigentlich heißt das ja heutzutage Mechatroniker, aber ich kann mich an die neuen Ausdrücke so schlecht gewöhnen!“ erklärte der Vater. „Irgendwann während seiner Ausbildung hat er dann angefangen, die ersten Autorennen bei Pro-Race zu fahren und war ab da Feuer und Flamme. Es gab kein anderes Thema mehr und er hat sogar mit seiner Freundin deswegen Schluss gemacht-die wollte das nicht mittragen!“ erinnerte sich der Vater. „Nach Abschluss seiner Ausbildung hätte ihn der Betrieb auch übernommen, aber da hätte er Samstags auch gelegentlich arbeiten müssen und das wollte er partout nicht, deshalb habe ich ihn in die Fabrik hineingebracht, in der ich auch seit Jahren beschäftigt bin und da hat er regelmäßige Frühschicht am Band und jeden Freitag schon mittags Feierabend. Danach hat er seine Sachen gepackt und war fast jedes Wochenende auf einer anderen Rennstrecke in Europa und wenn nicht dort, dann auf der kleinen Kartbahn des Veranstalters, um dort zu trainieren!“ erzählte der Vater. „Sein Opa hat ihm ein kleines Vermögen in Höhe von 50000 € hinterlassen, aber das hat er alles in sein Hobby gesteckt-ich glaube nicht, dass da noch viel davon übrig ist!“ fügte die Mutter voller Kummer hinzu. „Er war aber überzeugt, in Kürze den Durchbruch zu haben-er sagte, da wären schon verschiedene Sponsoren auf ihn aufmerksam geworden und würden ihn bei den Rennen und beim Training beobachten, er würde bald ganz offizielle Rennen fahren und hatte auch schon seine Rennlizenz gemacht, was alles nicht billig ist. Wir haben dem Frieden eh nicht getraut, aber solange der jeden Tag pünktlich und zuverlässig in die Arbeit ging und auch sonst ein lieber Junge war, haben wir halt gehofft, diese Spinnerei würde bald von selber aufhören, er würde eine nette Frau kennenlernen, heiraten Kinder kriegen und ein normales bürgerliches Leben führen!“ erzählten die beiden und Semir und Ben nickten.


    Die Chefin rief wenig später auf Semir´s Handy an: „Herr Gerkhan-ich habe den Durchsuchungsbefehl für Andreas Benzko´s Wohnung-sie können loslegen! Wenn die Angehörigen den sehen wollen, schicke ich ihnen Frau Dorn vorbei, die kann ihn bringen!“ informierte sie den kleinen türkischen Polizisten, aber die Eltern hatten da kein Interesse daran. „Hier nehmen sie den Schlüssel für die Wohnung-sehen sie zu, dass sie irgendwelche Hinweise auf den Mörder unseres Sohnes finden und bringen sie den hinter Gitter. Wir müssen nun die Kremierung und die Trauerfeier organisieren und die Verwandten verständigen!“ sagte der Vater und so begannen wenig später die beiden Autobahnpolizisten damit, die Wohnung des Opfers zu durchsuchen. Als Ben, der sich die Aktenordner vorgenommen hatte, die Unterlagen durchsah, pfiff er durch die Zähne. „Der junge Mann hat nicht nur das ererbte Vermögen durchgebracht, sondern auch Schulden bei der Bank und einem Kredithai. Aber schau dir mal die Belege an-die sind ja wahnsinnig-alleine für die Bahnbenutzung hat der jedes Wochenende über 500€ verbraucht-ich wusste nicht, dass das Fahren von Amateurrennen so ein teures Hobby ist!“ sagte er und Semir überlegte langsam: „Ich denke aber, genau da liegt das Motiv!“ und Ben konnte ihm nur zustimmen.
    Gegen drei waren sie mit der Durchsuchung der Wohnung fertig, sie nahmen die Unterlagen mit und versiegelten momentan die Wohnung. „Sobald wir Näheres ermittelt haben, werden wir die Wohnung freigeben, aber im Augenblick sind diese Unterlagen beschlagnahmt und die Wohnung darf nicht betreten werden. Wir geben uns alle Mühe den oder die Mörder ihres Sohnes zu ermitteln und halten sie auf dem Laufenden!“ erklärte Ben. „Ach ja-und falls die Frage des Nachlassgerichts kommen sollte, ob sie das Erbe ihres Sohnes annehmen wollen, würde ich das ausschlagen!“ sagte Ben noch und Semir sah ihn fragend an, als sie wieder im Wagen saßen. „Wenn die Eltern das Erbe annehmen, zahlen sie die nächsten Jahre die Schulden ihres Sohnes ab, so aber bleibt der Kredithai auf seinen Kosten sitzen und da ist was faul im Staate Dänemark-das sage ich dir!“ überlegte Ben verbissen und Semir pflichtete ihm bei-auch er hatte dieses Gefühl.
    Nach einem Blick auf die Uhr sagte Ben nun: „Tut mir leid Semir-aber ich kann leider nicht mit zu dem Rennveranstalter-wir müssen mit dem Kleinen zum Kinderarzt-er wird heute geimpft und da habe ich Sarah versprochen, dabei zu sein. Die Chefin hat das auch schon genehmigt!“ fügte er hinzu und Semir sagte, während sie die PASt ansteuerten, um dort die Akten auszuladen: „Kein Ding-dann nehme ich eben Jenni oder jemand anders mit-es gibt einfach Prioritäten im Leben und morgen früh sehen wir uns dann wieder in alter Frische!“ und so geschah es, dass wenig später Ben pünktlich zuhause war und Semir mit Jenni Dorn zur Bahn des Rennveranstalters fuhr.

  • Semir und Jenni kamen wenig später an der Kartbahn von Pro-Racing an. Einige heruntergekommene Gebäude zierten das mit Maschendraht umzäunte Gelände, das in einem Industriegebiet außerhalb Kölns in der Nähe eines Schrottplatzes lag. Quer über den Platz verlief die asphaltierte Bahn, die in den Auslaufflächen geschottert und mit Fangzäunen versehen war. Im Kurvenbereich waren zum Teil Strohballen aufgeschichtet, falls jemand mit den Karts von der Fahrbahn abkam, aber insgesamt wirkte das Gelände wie ausgestorben. Semir und Jenni blickten sich unschlüssig um, als plötzlich mit jovialem Lächeln ein gut aussehender Mittvierziger in Mechanikerkleidung auf sie zukam. Er war aus einer der Garagen getreten und wischte sich gerade die Hände an einem Schmierlumpen sauber. „Wie kann ich ihnen helfen?“ fragte er beflissen und Semir, der sich erst gewundert hatte, wie er sie wohl bemerkt hatte, sah nun auf den zweiten Blick überall kleine Kameras installiert, die anscheinend den Eingang und das ganze restliche Gelände überwachten. Semir zog seinen Dienstausweis hervor und Jenni, die ebenfalls in Zivil war, tat es ihm gleich. „Gerkhan und Dorn-Kripo Autobahn“ stellte Semir sie vor. „Ich hätte gerne etwas zu Andreas Benko gewusst!“ und nun sperrte der Mechaniker das Tor auf, das mit einem Vorhängeschloss gesichert war. „Kommen sie rein!“ sagte er fröhlich lächelnd. „Was wollen sie denn über unseren Champion wissen?“ fragte er und bedeutete ihnen mit einer Bewegung vorzugehen.
    Semir und Jenni traten ein und hinter ihnen verschloss er das Tor wieder. „Bei uns finden am Montag keine Rennen statt. Ab Dienstag ist freies Training und Montags haben wir nach einem für uns alle anstrengenden Rennwochenende eigentlich Ruhetag. Allerdings müssen die Fahrzeuge ja auch irgendwann gewartet werden und darum sind mein Kollege und ich heute zugange!“ erklärte er und bat sie in eine Art Tagungsraum, der allerdings ungemütlich kalt war. „Wir heizen leider nur, wenn auch Seminare stattfinden!“ entschuldigte er sich und bot ihnen etwas zu trinken an, was die beiden höflich ablehnten. „Um nochmals zum Thema zu kommen: Was hat Andreas denn angestellt, dass sich die Autobahnpolizei gleich für ihn interessiert? Ist er etwa im Privatleben auch so gerast, wie er das auf den Rennstrecken der Welt macht-unser neuer Stern am Fahrerhimmel!“ lächelte er und Semir, dem dieser Mann einen ganze Spur zu überheblich wirkte, sagte kurz. „Leider hat Herr Benko gestern sein letztes Rennen bestritten-er ist am Abend auf der A1 tödlich verunglückt!“ teilte er mit und nun war oder tat der Mechaniker völlig überrascht. Semir, der ja ein gutes Bauchgefühl hatte, war der Überzeugung das Entsetzen und die Trauer, die der Mann nun an den Tag legte, wären gespielt, das war aber auch nur an seinem Gefühl fest zu machen. Nach außen stimmte die Mimik und Gestik, die entsetzten Worte des Bedauerns-alles war genau richtig und wirkte trotzdem aufgesetzt. Semir wusste einfach, dass dieser Mann zu Benko´s Tod zumindest etwas wusste, wenn er nicht sogar seine Finger im Spiel hatte!


    Der griff auch gleich zu seinem Handy und hatte Sekunden später seinen Kompagnon am Apparat: „Dietmar-kommst du bitte schnell in den Seminarraum, ich habe gerade eine schreckliche Nachricht erhalten!“ rief er in den Hörer und wenig später stand ein zweiter Mann vor ihnen, der eine unbestreitbare Ähnlichkeit mit dem anderen hatte. „Das ist mein Bruder und Geschäftsmitinhaber Dietmar Haug-ich bin übrigens Günther Haug!“ stellte er sich mit etwas Verspätung vor. „Dietmar-du wirst es nicht glauben, aber die Herrschaften von der Polizei haben mir gerade erzählt, dass unser bester Fahrer Andreas gestern tödlich verunglückt ist-ich bin immer noch ganz außer mir!“ heuchelte er und nun tat auch der andere geschockt und betroffen.„Wie ist es denn passiert?“ wollte er wissen und Semir beschloss im selben Augenblick nichts davon zu erwähnen, dass Andreas ermordet worden war. „Herr Benko war auf dem Weg nach Hause und wir sind deswegen auf sie gestoßen, weil er neben sich auf dem Beifahrersitz einen Pokal mit ihrem Firmenemblem hatte. Wie sie schon vermutet haben ist er zu schnell in eine Baustelle gerast, hatte daraufhin einen Reifenplatzer und ist dann gegen einen Betonpfeiler geprallt. Er hatte einen Genickbruch und war sofort tot!“ informierte Semir die beiden Männer. „Uns hätte jetzt nur interessiert, wo er zuvor war und seine Eltern haben uns an sie verwiesen. Vielleicht war er ja übermüdet-wir müssen jetzt einfach aus reiner Formsache ermitteln, auch wenn es ihn nicht mehr lebendig macht,“ erzählte Semir harmlos und bemerkte gleich den Blick, den die beiden Brüder unauffällig miteinander wechselten.
    „Wir hatten gestern gemeinsam mit zwei anderen deutschen Rennveranstaltern den Nürburgring für unsere interne Wertung gemietet. Das ist immer das Highlight des Jahres für unsere Fahrer-sozusagen die Hausstrecke. Sonst sind wir eher im benachbarten Ausland unterwegs, da sind die Mieten nicht so hoch. Andreas war der Gesamtsieger und hat wieder einmal den Pokal mit nach Hause genommen. Er war unser talentiertester Rennfahrer und hätte eine große Zukunft vor sich gehabt. Es tut mir sehr leid, dass er verunglückt ist-weiss man denn schon, wann die Beerdigung stattfindet?“ fragte der Mechaniker und Semir sagte: „Keine Ahnung, da müssen sie sich schon mit den Eltern in Verbindung setzen-alles weiss die Polizei auch nicht!“ und so stellte Semir noch einige belanglose Fragen, ohne dabei etwas herauszufinden. Die beiden Männer erklärten nur, dass sie mit aufgemotzten Straßenfahrzeugen Rennen veranstalteten und das schon für viele Fahrer der Zugang zum Rennsport gewesen sei. „Bei uns schauen auch immer wieder Sponsoren vorbei, die sich nach talentierten Nachwuchsfahrern umsehen-wir betreiben parallel dazu die Kartbahn und wie man an den Schumacher-Brüdern sehen kann, sind das keine schlechten Zugangsvoraussetzungen für den großen Sport!“ prahlte der eine der Brüder und Semir hätte beinahe verächtlich gelacht. Dieser Vergleich spottete jeder Beschreibung-das war, als wenn sich eine Schülerin für einen Katalog ablichten ließ und sich dann auf die Stufe mit Heidi Klum stellte-es war zwar dasselbe Metier, aber eine ganz andere Klasse.
    Allerdings würden sie so nichts weiter herausbekommen, denn die Brüder mauerten und als Semir beim Hinausgehen noch in Richtung der Garagen schauen wollte, stellte sich der eine einfach in den Weg. Ohne Durchsuchungsbefehl würden sie hier nichts zu sehen kriegen, aber irgendwo musste ja das Motiv für den Mord liegen! Als sie sich verabschiedet hatten war Semir irgendwie sehr unzufrieden und auch Jenni teilte seine Vermutungen: „Da stimmt etwas nicht, aber wir müssen uns jetzt überlegen, wie wir an die Typen rankommen!“ überlegte er und Jenni sagte langsam: „Na am besten als Kunde!“ und nun sah Semir sie erst zweifelnd an, aber dann überzog ein Lächeln sein Gesicht. „Jenni-du bist genial-na da werde ich Ben morgen gleich mal darauf vorbereiten, dass er jetzt einen potentiellen Rennfahrer mimen muss!“ und etwas besser gestimmt fuhren sie zurück zur PASt, um der Chefin zu berichten.


    Ben war überpünktlich zu Hause eingetroffen und Sarah freute sich. Seitdem sie ein gemeinsames Kind hatten war Ben wie verändert. Er war gewissenhafter und pünktlicher geworden als früher und so packten sie den Kleinen in die Familienkutsche und fuhren so zum Kinderarzt. Ben hatte großes Mitleid als der kleine Mann geimpft wurde und kurz weinte, aber sonst fand er den Kinderarzt eigentlich sehr sympathisch. Auch die anderen kleinen Patienten im Wartezimmer, wo sie kurz saßen, waren süß gewesen und ein etwa Zweijähriger hatte ihm immer Bauklötze gebracht-ach ein Leben mit Kindern war schon etwas Besonderes!
    Danach hatten sie zu Abend gegessen und Sarah hatte Tim noch gestillt, bevor sie gegangen war. „Falls er ganz schrecklichen Hunger kriegen sollte und anders nicht mehr zu beruhigen ist, habe ich ein wenig Muttermilch eingefroren, die müsstest du dann auftauen, warm machen und aus der Flasche füttern, aber ich denke, das wird schon klappen!“ sagte Sarah-die letzten Male hatte Ben das ja auch hingebracht- und verschwand zu ihrer Rückbildungsgymnastik. Kaum war sie aus dem Haus, da stellte Ben fest, dass Tim´s Schlafanzughose sich am Bein verdächtig gelbbraun färbte. Er ging mit ihm zur Wickelkommode und als er ihn auszog, sah er die Bescherung. „Mann-hättest du das nicht erledigen können, als die Mama noch da war!“ sagte Ben vorwurfsvoll und versuchte erst, seinen Sohn, der inzwischen zu weinen begonnen hatte, mit Feuchttüchern sauber zu machen, aber das war ein vergebliches Unterfangen! Tim weinte und strampelte und irgendwann trug Ben ihn wie er war ins Bad und hielt den kleinen Popo einfach unter den Wasserhahn. Gut-immerhin war er jetzt sauber, aber als er ihn in ein frisches Handtuch gehüllt wieder zurück ins Kinderzimmer trug und komplett neu anzog, hörte er trotzdem nicht auf zu weinen. Die Ader an seinem Kopf schwoll vor Kummer und Zorn an und Tim brüllte sich die Seele aus dem Leib. Ben versuchte ihn mit dem Schnuller zu beruhigen, aber den wollte er sowieso nicht gerne und spuckte ihn aus, sobald Ben ihn in das kleine Mündchen gestopft hatte.
    Ben wiegte den kleinen Tim in seinen Armen, wanderte mit ihm durch die Wohnung und sang ihm etwas vor, ohne dass der nur eine Sekunde zu weinen aufhörte. Sein Kopf war vom vielen Schreien inzwischen hochrot, die kleinen Bäckchen glühten und Ben wurde immer verzweifelter. Er holte die Milch in dem kleinen Beutelchen aus dem Gefrierschrank und suchte nach Flasche und Sauger. Verdammt-die musste man doch jetzt erst sterilisieren-wie ging das nochmal? Tim wurde bisher voll gestillt und Sarah hatte vor, das auch die ersten sechs Monate durchzuziehen, weil das einen Schutz gegen Allergien darstellte, wie sie Ben erklärt hatte, aber so hatte der eben auch gar keine Übung im Umgang mit einem Fläschchen. Auf seinem Smartphone suchte er die Anleitung zum Flaschen sterilisieren und holte dann einen Topf heraus, in dem er eine Menge Wasser zum Kochen brachte. Dafür hatte er Tim kurz weglegen müssen, der lauter und lauter brüllte und inzwischen anscheinend genauso verzweifelt wie sein Vater war. Ben überlegte, wie er ihn denn noch beruhigen könne und zog sich schließlich oben herum aus. Dann holte er Sarah´s Tragetuch, musste dann sogar die Bindeanleitung noch googeln, aber irgendwann hatte er sich seinen immer noch brüllenden Sohn um den nackten Oberkörper gebunden, tanzte nun beruhigende Lieder singend durch die Wohnung und hoffte, dass Sarah endlich kam, während das Wasser auf dem Herd langsam verkochte.
    So fand Sarah die beiden vor, als sie wenig später nach Hause kam und wenn Tim nicht so geweint hätte, hätte sie erst mal laut gelacht ob des Anblicks. So aber nahm sie einem erleichterten Ben ihren brüllenden Sohn ab, befahl ihm den Herd auszuschalten, von dem nur noch Dampfwolken aufstiegen und setzte sich auf das Sofa um zu stillen. Binnen Kurzem hatte Tim, der nur noch ab und zu seufzte, eine Portion getrunken und war eingeschlafen, während Ben sich den Schweiß von der Stirn wischte. „Jetzt weiß ich, warum das Stillen heißt!“ stöhnte Ben und machte sich erst einmal ein Bier auf.

  • Die Nacht bei der jungen Familie war sehr unruhig, denn Tim war quengelig und bekam Fieber nach der Impfung. Er schlief zwar immer wieder ein, aber sowohl Sarah als auch Ben waren am nächsten Morgen ziemlich erschöpft. „Schatz du siehst, das hatte überhaupt nichts mit deinen Qualitäten als Babysitter zu tun, dass er sich gestern nicht hat beruhigen lassen!“ sagte Sarah beim Frühstück und Ben nickte müde. Nach der dritten Tasse Kaffee ging es einigermaßen und mit ziemlich wenig Elan machte Ben sich auf in die PASt.
    Dort wurde er schon von Semir und der Chefin erwartet, die ihm vom gestrigen Nachmittag erzählten. „Herr Jäger-ich würde vorschlagen, sie fahren heute Abend bei diesem Rennveranstalter vorbei und versuchen etwas herauszubringen, ohne sich als Polizist zu erkennen zu geben!“ ordnete die Chefin an und Ben nickte. Den Vormittag über sahen Semir und er die Aktenordner genauer durch, die sie in Benko´s Wohnung mitgenommen hatten und stellten fest, dass er insgesamt 20000 € Schulden hatte, davon 5000 € bei seiner Hausbank und 15000 € bei einem Kredithai, der der Polizei bekannt war, sich aber immer haarscharf am Rande der Legalität aufhielt. Man konnte ja niemandem vorwerfen, er hätte die Kreditverträge vor der Unterzeichnung nicht genau gelesen.Was interessant war-Andreas hatte sorgfältig alle Belege über Seminare, Ausrüstung und die Rennwochenenden aufgehoben. Die Firma Pro-Racing hatte in den letzten drei Jahren sozusagen jeden Cent, den der junge Mann verdient und geerbt hatte, erhalten. Er verdiente in der Fabrik netto 1650 €, davon gingen etwa 700 € für Miete, Nebenkosten und den Unterhalt seines Autos drauf. Der Rest und etwa 1000 € extra-anscheinend zunächst aus dem Erbe und danach durch die Kredite finanziert- hatte er in seine Rennkarriere gesteckt. „Wetten der Junge hat sich nur das Allernötigste gegönnt, gegessen hat er bei der Mama und die hat auch seine Wäsche gewaschen, aber welch ein Blödsinn, sich wegen seines Hobbys dermaßen zu verschulden!“ schüttelte Ben den Kopf. „Ich werde mich da heute Nachmittag mal umsehen, aber jetzt lass uns noch ne Runde Streife fahren und dann gleich was essen gehen-ich verhungere!“ teilte er Semir mit und der klappte den letzten Ordner zusammen und erhob sich ebenfalls, denn Ben war schon fast zur Tür raus.
    „Du fährst!“ bestimmte Ben-„ich muss nach dem Essen vielleicht noch ein wenig ausruhen, wenns abends vermutlich später wird-ich habe nämlich das Gefühl, ich hätte heute Nacht keine Minute geschlafen!“ erklärte er Semir und auf dessen Nachfrage erzählte er von seinem aufregenden Abend als Babysitter und Semir konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, als er sich die Situation vorstellte. Sie kehrten am nächsten Dönerstand ein und tatsächlich begann Ben auf dem Beifahrersitz danach zu schnarchen, als Semir ihre gewohnte Runde über die Autobahnen kurvte. Es war aber auch nichts Auffälliges zu sehen und deshalb ließ Semir seinen Partner ein wenig ausruhen, bis sie gegen 15.00 Uhr wieder zurück in der PASt waren.


    Ben hatte Sarah informiert, dass es abends vermutlich später werden würde, aber da konnte sie nichts dagegen sagen-immerhin hatte er am Vortag ja auch früher Feierabend gehabt. Sie hatte sich mittags mit Tim ein wenig hingelegt und war deshalb nicht mehr ganz so müde, allerdings war der schon anstrengend mit seinem Fieber und wollte ständig herumgetragen oder gestillt werden. Allerdings wollte Ben lieber mit seinem Privat-PKW fahren, nicht dass den Rennstallbetreibern auffiel, das der Mercedes ein Polizeifahrzeug war, womit bei Autoprofis zu rechnen war. Er fuhr deshalb kurz heim, tauschte nach kurzer Überlegung den Mercedes gegen seinen privaten Porsche, küsste Tim aufs heiße Köpfchen und Sarah auf den Mund, bevor er wieder Richtung Kartbahn verschwand. Er erzählte Sarah auch nicht, wo er hinfuhr-das war schließlich ein dienstlicher Auftrag, das ging sie nichts an.


    Als Ben gegen 17.00 Uhr an der angegebenen Adresse ankam, war da schon ziemlich was los. Überwiegend Jugendliche kurvten unter Gejohle mit mehreren Karts um die Rennstrecke, es gab einen Helmverleih und man konnte die Fahrzeuge gegen eine Gebühr viertelstundenweise mieten. Dafür brauchte man auch keinen Führerschein und die Mopeds die vor dem Gelände standen sprachen eine eigene Sprache. Ben wollte gar nicht wissen, welches davon nicht frisiert war-aber ehrlich gesagt hatte er das mit seinen Kumpels im Internat auch gemacht und Semir war da sowieso Profi drin, drum drückten die beiden da immer mal ein Auge zu und verzichteten auf eine Anzeige, wenn die kleinen Tuner sich freiwillig bereit erklärten, die Fahrzeuge wieder in den legalen Urzustand zurück zu versetzen.
    Kaum hatte er seinen Oldtimerporsche neben den Mopeds und einigen wenigen PKW geparkt, kam auch schon ein recht gut aussehender Mittvierziger auf ihn zu. „ Hallo erst mal!“ sagte er überfreundlich und streckte Ben die Hand entgegen. „Ich bin Günther Haug und einer der Inhaber dieser Kartbahn, wie kann ich ihnen helfen?“ fragte er und Ben musterte die kleine Bahn und sagte: „ Ben Jäger-ich wollte immer schon mal in so einem Teil ein wenig durch die Gegend cruisen und jetzt ist mir im Internet ihre Adresse in die Hände gefallen. Kurz entschlossen habe ich mir gedacht, ich schau jetzt einfach mal vorbei und da ist ja ordentlich was los!“ sagte er und Haug lächelte beflissen. „Natürlich können sie da sofort eine Probefahrt machen-es ist ganz nett und wir geben uns auch alle Mühe das für unsere Kunden interessant zu gestalten. Es gibt freies Training, immer mal wieder Rennen, einen Vereinscup und was am Besten ist-die erste Probefahrt ist sogar kostenlos, wie sie sicher im Internet gelesen haben!“ sagte er und bat Ben mit einer Handbewegung ihm zu folgen.
    So kam es, dass kurz darauf Ben mit einem geliehenen Helm kurz in die Bedienung eines Karts eingewiesen wurde, die Strecke für die Proberunden für ihn gesperrt wurde und er wenig später in bester Rennfahrermanier versuchte die Ideallinie zu finden. Haug beobachtete ihn und winkte mit einer Flagge wie in der Formel eins einige Runden später ab. „Sie haben Talent, Herr Jäger-wenn sie möchten, lasse ich jetzt die Jungs wieder auf die Strecke, dann können sie mal versuchsweise gegen echte Konkurrenten fahren!“ sagte er. Ben wollte es sich erst nicht eingestehen, aber es machte tierischen Spaß gegen die anderen zu fahren und beinahe ein wenig verbissen legte er seine in jahrelangem Training auf der Autobahn geschulten Reflexe und Rennfahrerqualitäten bloß und machte die Jungen binnen Kurzem nass. Ein Lächeln überzog sein Gesicht als er 15 Minuten später aus dem Kart stieg. „Das hat Spaß gemacht!“ sagte er und Haug lächelte ebenfalls. „Herr Jäger-bei ihrem Talent habe ich etwas viel Besseres für sie-haben sie das kommende Wochenende schon was vor?“ fragte er und Ben verneinte nach kurzem Nachdenken. „Geben sie mir ihre Handynummer-ich melde mich bei ihnen!“ sagte er und Ben gab sie ihm. Aus dem Augenwinkel hatte er hinter einem der Gebäude einen dunklen BMW stehen sehen-das könnte das Auto gewesen sein, das sich an der Unfallstelle von Andreas Benko vom Acker gemacht hatte-er würde dran bleiben.
    Nach einem Gruß setzte er sich wieder in seinen Porsche und fuhr nach Hause. Sarah war beinahe überrascht, dass er nicht wesentlich später als sonst zuhause erschien, allerdings erklärte er ihr, während sie gemeinsam zu Abend aßen, dass er vermutlich am nächsten Wochenende schon wieder arbeiten müsse. „Dann schau doch bitte, dass du dafür unter der Woche frei kriegst-Tim und mir ist das egal an welchem Wochentag du zuhause bist!“ sagte Sarah und Ben küsste sie zärtlich ob ihres Verständnisses. Er hatte Semir eine kurze SMS geschickt: „Bin auf dem Heimweg-die Sache läuft!“ und nun konnte sich der auch ohne Sorgen seiner Familie widmen und beide genossen ihren Feierabend.

  • Nachdem die Jungen von der Kartbahn abgezogen waren, trat Günther Haug zu seinem Bruder. „Hast du den Typen gesehen-und vor allem seinen Wagen?“ fragte er und der lachte. „Wer in jungen Jahren so einen Porsche fährt ist ein verkappter Rennfahrer-auch wenn der Wagen ein Oldtimer ist. Klar ist dem sein Baby zu schade, um auf der Straße herum zu rasen und seinen Führerschein zu riskieren, aber gegen sein Rennfieber haben wir ja was!“ sagte er lachend und klatschte seinen Bruder ab. „Ich habe seine Telefonnummer-ich denke, wir werden da fürs kommende Wochenende was einfädeln-damit wir auch bald wieder flüssig sind!“ sagte er. Die beiden milchkaffefarbigen Mechaniker in einem der Gebäude schweißten derweil mehr als nachlässig einen Überrollbügel in ein Serienfahrzeug ein und unterhielten sich dabei leise in ihrer Muttersprache.


    Die nächsten Tage verbrachten Semir und Ben mit Routinearbeit. Die Chefin hatte aufmerksam Ben´s Schilderungen zugehört und gab ihm dann Donnerstag und Freitag frei, wenn er am Wochenende bei den Verdächtigen im Fall Benko ermitteln sollte. „Herr Gerkan-sie können wie geplant ganz normal bis Freitag arbeiten und haben dann das Wochenende frei-nachdem sie ja als Polizist bei der Firma Pro-Racing bekannt sind, können sie Herrn Jäger da wohl kaum unterstützen!“ erklärte sie ihm und Semir nickte zustimmend. Natürlich wäre er für Ben da, wenn der seine Hilfe brauchte, aber am Sonntag wurde der Geburtstag seiner Schwiegermutter gefeiert und da wäre Andrea wohl sauer, wenn er da kurzfristig einfach nicht mitkommen würde. Allerdings hasste er solche Familienfeiern und hätte lieber gearbeitet, aber er hatte schon zu oft kurzfristig abgesagt-langsam würde das auffällig! Außerdem war für ihn Wochenendfreizeit wichtiger als für Ben-denn der hatte noch keine schulpflichtigen, bzw. Kindergartenkinder, die ja auch etwas vom Papa haben wollten.


    Der kleine Tim hatte inzwischen sein Impffieber überwunden und war wieder gesund und fröhlich wie eh und je. Ben verbrachte zwei wundervolle freie Tage mit Sarah und dem Kleinen und brachte bei einem wunderschönen Rheinpromenadenspaziergang bei wärmender Oktobersonne das Gespräch nochmals auf die Hochzeit. Die ersten Wochen nach der Geburt waren so aufregend gewesen, da hatten sie einfach keinen Kopf frei gehabt, aber jetzt fand Ben, dass man jetzt durchaus endlich einen Termin finden könne. Sie hatten den Kleinen gleich als Tim Jäger am Standesamt angemeldet, denn Sarah wollte ganz traditionell den Namen ihres Mannes annehmen, wenn sie verheiratet waren und das Gesetz erlaubte ja inzwischen diese Regelung.
    Auf Ben´s Frage, wann sie denn jetzt endlich heiraten würden, sagte Sarah: „Ben-sei mir nicht böse-aber wie ich dir ja schon gesagt habe, habe ich da ganz traditionelle Vorstellungen. Ehrlich gesagt kann ich mir nicht vorstellen bei Eiseskälte im Schneematsch zu heiraten. Ich will da warme Temperaturen und bis Mai kann man da wohl gar nichts planen. Klar könnten wir erst Mal aufs Standesamt, aber ich hätte eigentlich gerne einen einzigen Hochzeitstag, vormittags die amtliche Trauung und am Nachmittag dann die kirchliche und Tim´s Taufe auch gleich dazu-findest du das jetzt sehr vermessen von mir?“ wollte sie wissen, aber Ben schüttelte lächelnd den Kopf. „Nein-dein Wunsch ist mir Befehl-du musst mir nur versprechen, dass du dir inzwischen nicht von anderen Männern den Kopf verdrehen lässt!“ sagte er und Sarah sagte lachend: „Verdammt, aber genau das ist schon passiert!“ woraufhin sie Ben entsetzt ansah. „Der andere Mann ist genau zwei Monate alt, hat keine Zähne im Mund und ist gerade dabei seine dunkle Haarpracht abzuwerfen und ein kleiner Glatzkopf zu werden!“ sagte Sarah lächelnd und blickte liebevoll in den Kinderwagen, in dem der kleine Tim warm eingepackt friedlich schlief. Nun blieb Ben, der den Wagen geschoben hatte stehen, machte die Bremse fest und nahm dann Sarah fest in seine Arme: „Das ist aber auch die einzige Konkurrenz, die ich dulden werde!“ sagte er fröhlich lachend und küsste seine Freundin und Mutter seines Kindes zärtlich. „Gut-dann haben wir ja noch ein wenig Zeit-aber wir fangen rechtzeitig zu planen an und die Einladungen zu verschicken-ich versprechs dir!“ sagte Sarah und nun war Ben zufrieden. Sie liefen weiter und kehrten danach noch in einem Café ein, wo sie auf den Stühlen draußen die letzten wärmenden Strahlen der Herbstsonne genossen und sich einen Cappuchino, bzw Tee mit einem wundervollen Stück Nusstorte gönnten.


    Am Donnerstagnachmittag läutete Ben´s Handy und mit unterdrückter Nummer meldete sich Günther Haug. „Herr Jäger-der Wetterbericht sagt für dieses Wochenende bestes sonniges Herbstwetter. Ich hatte ihnen ja versprochen, ihnen einen interessanten Vorschlag zu machen. In diesen Breiten sind wir da im Winterhalbjahr immer auf die Witterung angewiesen, aber der Renngott ist ihnen anscheinend glücklich gesonnen. Es ist uns gelungen, eine Teststrecke bei einem kleinen Automobilhersteller für dieses Wochenende zu bekommen. Wenn sie Lust haben, können sie dazu stoßen-Treffpunkt ist am Samstag früh um sieben bei unserer Anlage-von dort fahren wir gemeinsam-Fahrer, Equipement und wir- auf die Strecke in der Pfalz, wo wir das Wochenende mit Training, einigen Tourenwagenrennen und einfach viel Spaß verbringen werden. Leider sind auf dieser Strecke Zuschauer nicht möglich, aber wir bleiben da unter uns und dann können sie einmal spüren, wie es ist unter Rennatmosphäre, ohne Rücksicht auf die Straßenverkehrsordnung ein Auto auszufahren, die Ideallinie zu finden und auch gegen andere anzutreten!“ erklärte er ihm. „Für Speis und Trank ist gesorgt-wir haben einen Trailer dabei, in dem wir schlafen können und wegen den Kosten-für dieses Wochenende sind sie unser Gast und wenn sie danach kein Interesse mehr haben, dann wars das-sonst können wir uns dort über alles Weitere unterhalten!“ erklärte er und Ben versprach am Samstag früh an der Kartbahn zu sein.

  • Ben hatte der Chefin schon mitgeteilt, dass er einen Anruf erhalten hatte und er wohl über Nacht mit den Haug-Brüdern in die Pfalz fahren würde. „Jäger gehen sie kein Risiko ein. Sobald sie angekommen sind, melden sie sich in der Zentrale und behalten sie das Handy immer am Mann, damit wir sie notfalls orten können, ich denke aber, die sind ja völlig ahnungslos, dass wir sie verdächtigen am Tod von Benko Schuld zu sein und wir hatten die Eltern gebeten, nichts davon zu erwähnen, dass ihr Sohn ermordet worden ist!“ sagte die Chefin und ging am Freitagabend ebenfalls in ihr freies Wochenende.
    Ben hatte Sarah mitgeteilt: „Schatz, ich muss am Wochenende dienstlich in die Pfalz-bin also zum ersten Mal in der Nacht nicht da, aber ich weiss nicht, wie ich das der Krüger erklären soll, dass ich keine Einsätze mit Fremdübernachtung mehr machen will!“ grübelte er, aber Sarah lachte ihn beinahe aus. „Jetzt mach dir mal deswegen keine Sorgen! Das ist schließlich dein Job und nach den Geschehnissen erst vor wenigen Wochen sind wir doch alle froh, dass du den noch hast-da hast du doch erst gemerkt, wie wichtig dir die Arbeit bei der Autobahnpolizei ist. Ich bin nicht davon ausgegangen, dass sich dein Berufsleben völlig verändert, nur weil du jetzt Vater bist. Was sollte da Semir sagen? Der ist sogar zweifacher Vater und da hat auch noch nie jemand gesagt, er dürfe deswegen auf keinen Außeneinsatz mehr. Tim und ich kommen schon alleine zurecht, aber wenn du das jetzt sagst, dann rufe ich gleich meine Freundin an, die hat einen einjährigen Sohn und ist nach ihrer Heirat von Köln weggezogen. An einem Tag hin-und zurückzufahren ist der wegen dem Kind zu viel, aber wenn sie dann bei mir übernachten kann, dann sieht die Sache gleich anders aus! Wir haben die ganze Zeit schon überlegt, wie wir das anstellen sollen, damit wir uns endlich wieder einmal sehen und sie vor allem Tim einmal kennenlernen kann. Außerdem ist es auch für Tim schön, mal ein Kleinkind zu beobachten-bisher kennt er ja vorwiegend Ayda und Lilly, aber die sind gegen ihn halt schon recht groß, obwohl sie ja total süß mit ihm sind!“ erklärte sie Ben und so war der dann gar nicht mehr so abgeneigt von seinen Außenermittlungen.
    Als allerdings am Samstagmorgen um sechs der Wecker klingelte, verfluchte er seine Zusage. Mann-er hätte sagen sollen, dass er vor neun überhaupt nicht konnte, aber so quälte er sich aus dem Bett, duschte kurz und trank schnell zwei Tassen Kaffee, während heute Sarah und Tim erst nach ihm aufstanden. Kurz trat er noch vors Bett und musterte die beiden wichtigsten Personen in seinem Leben, die nochmals eingeschlafen waren, hauchte Tim einen zarten Kuss aufs Köpfchen und holte dann seinen Porsche aus der Tiefgarage, um pünktlich um sieben an der Kartbahn zu sein.


    Dort war schon einiger Betrieb. Auf einem Autotransporter waren vier ältere Tourenwagen aufgeladen, ein großes Wohnmobil stand bereit und außer den Haug-Brüdern waren noch drei andere junge Männer da, allerdings alle deutlich jünger als er, die ganz aufgeregt miteinander schwatzten. Sie stellten sich alle vor und Günther Haug sagte: „Das ist Ben Jäger- und das sind für dieses Wochenende ihre Trainingspartner. Die trainieren schon eine ganze Weile bei uns und sind alle auf dem Absprung in den großen Sport. Manche haben ihre Rennlizenz schon beinahe, andere noch nicht, aber nachdem wir ja jetzt auf der privaten Bahn eines Automobilherstellers fahren dürfen, spielt das auch keine Rolle. Ich hoffe sie finden Gefallen an unserem Sport!“ sagte er und setzte sich ans Steuer des Wohnmobils, während sein Bruder den Autotransporter fuhr.


    Unterwegs wurde geschwatzt und so erfuhr Ben, wie das bei Pro-Racing so ablief. Wenn man bei der Firma trainieren wollte, musste man für jedes Trainingswochenende eine Teilnahmegebühr berappen. Fuhr man offizielle Rennen, brauchte man eine Rennlizenz, die aber ziemlich schwierig und auch teuer zu erwerben war und da war Pro-Racing auch zu klein, um dort Prüfungen abzuhalten, also musste man dafür zu einem anderen Rennveranstalter. Allerdings konnte man verschiedene Vorbereitungsseminare buchen und man wurde anscheinend gebauchpinselt, wie Ben aus den Erzählungen der jungen Männer, die sich allesamt als aufgehende Sterne am Fahrerhimmel sahen, entnehmen konnte. Immer wieder kämen Sponsoren beim Training und den privaten Rennen, die auch gegen andere Kleinfirmen aus anderen Städten gefahren wurden, vorbei und suchten nach talentierten Nachwuchsrennfahrern. „Andreas, der letztes Wochenende tödlich verunglückt ist, wäre der nächste gewesen, der in den Profisport abgewandert wäre, aber so haben wir alle miteinander jetzt eine neue Chance!“ erzählte ihm einer der jungen Männer namens Fred freimütig und Ben nickte dazu. Wenn er sich das Ganze so anhörte, konnte er sich nicht vorstellen, warum sich Sponsoren gerade bei so einer Klitsche umschauen sollten. Der Autotransporter hatte schon bessere Tage gesehen und Ben war sich fast sicher, dass er den eigentlich aus dem Verkehr ziehen müsste, wenn er den ausgiebig filzte. Das Wohnmobil war zwar ein großes Mehrtonnermodell mit Küche, Dusche, Toilette und sechs Sitz-und Schlafplätzen an Bord, aber das war auch schon uralt und Ben war sich nicht sicher, ob das beim nächsten Mal noch durch den TÜV kommen würde.
    Nach mehrstündiger Fahrt kamen sie an einer komplett eingezäunten Teststrecke eines Automobilherstellers an. Nur ein Gebäude mit Sanitärräumen und einer Tankstelle war da und ein junger Mann kam heraus und sperrte ihnen kurz das Tor auf, damit sie hineinfahren konnten. Ben sah, wie zwei Hunderter in dessen Tasche verschwanden und dann fuhr der mit seinem Auto davon, während die Haug-Brüder nun das Wohnmobil an Strom und Wasser anschlossen und dann nacheinander die Tourenwagen abluden, die auch schon alle bessere Tage gesehen hatten. Es waren ein BMW, ein Opel Calibra, ein Mercedes und ein Alfa-alle schon alt, aber anscheinend gut gewartet und mit vielerlei schnittigen Aufklebern versehen. Man konnte aber noch durchaus das Serienmodell erkennen. Dietmar Haug erklärte voller Elan: „Das hier sind originale Klasse zwei Tourenwagen, also alle sehr nah an den Serienmodellen, aber sie werden sehen, Herr Jäger-die gehen ab wie die Sau!“ und nun kamen alle Teilnehmer des Trainingswochenendes überein, sich ab sofort zu duzen. Ben ging kurz zur Toilette und gab in der Zentrale Bescheid, wie ihm die Krüger aufgetragen hatte, aber dann gesellte er sich wieder zu den anderen.


    Ben sah das Leuchten in den Augen der jungen Männer und konnte es erst nicht verstehen. Als er aber wenig später zum ersten Mal in einem der Fahrzeuge mit Günther Haug als Beifahrer um die Strecke kurvte, begannen auch seine Augen zu leuchten-so geil hatte er sich das nicht vorgestellt! Man hatte ihm einen Rennanzug und einen Helm geliehen und er fühlte sich nun fast wie ein Profi, als er sich mit den Anweisungen des Instruktors die Strecke erschloss. Erst fuhren alle mehrere Runden ohne Gegner auf der Bahn und er versuchte mit Anweisungen die Ideallinie zu finden, aber dann stieg sein Rennlehrer aus und nun begann er gegen die drei anderen Rennen zu fahren. Er genoss den Rausch der Geschwindigkeit, den Nervenkitzel, ging an die Grenzen der Technik und vergaß völlig, dass er Polizist war und hier eigentlich ermitteln sollte. Er merkte kaum, dass er Hunger und Durst hatte-wenn die Instruktoren ihn nicht gezwungen hätten, zwischendurch einen Energydrink und eine Flasche Wasser zu sich zu nehmen, hätte er das völlig vergessen. So verging ein wundervoller Samstag und als am frühen Abend der Grill angeheizt wurde und man Steaks und Würstchen briet, mehrere Kästen Bier vernichtete und über den ereignisreichen Tag sinnierte, sagten seine Kontrahenten voller Neid: „Mensch Ben-du fährst als wenn du in deinem Leben nichts anderes gemacht hättest!“ und genauso fühlte er sich auch!

  • Ben hatte sich kurz bei Sarah gemeldet, aber die hatte gar keine Zeit für ihn und aus dem Hörer tönte ein fröhliches Lachen. „Schatz ich genieße den Tag mit meiner Freundin, Tim findet das andere Kind sehr aufregend und gluckst immer vor sich hin. Ich hoffe, dein Dienst ist nicht all zu stressig!“ sagte sie und man hörte fast ein schlechtes Gewissen heraus, aber Ben versicherte ihr sofort, dass es bei ihm ganz in Ordnung sei und er sich auf den nächsten Abend freute, wenn er sie und Tim wiedersah. Auch in der PASt gab er Bescheid, dass die Ermittlungen liefen, er aber in keiner Gefahr schwebe und so verging auch der nächste Vormittag mit speziellem Renntraining wie im Flug. Nach der Rückkehr nach Köln stiegen seine Trainingspartner in ihre Wagen und fuhren davon, nicht ohne das nächste Event gebucht zu haben. Allerdings waren zwei der jungen Männer gerade nicht flüssig und so kam man überein, sich zusammen zu telefonieren.
    Die beiden Haug-Brüder hatten das Wohnmobil in einer Garage geparkt und bevor sie begannen die Fahrzeuge abzuladen, baten sie Ben zum Gespräch. „Und Ben-wie hat es dir gefallen?“ fragten sie und Ben konnte ihnen nur mit echter Begeisterung sagen: „Sehr, sehr gut!“ „Du hast aber auch Talent und das richtige Auge für die Ideallinie, dazu schnelle Reaktionen-ich würde vorschlagen, falls du interessiert bist, können wir aus dir etwas Großes machen!“ schmierte ihm Dietmar Honig ums Maul und Ben, dem durchaus bewusst war, dass es jetzt ums Geschäft ging und er bald vermutlich mehr erfahren würde, lächelte geschmeichelt. „Doch ich muss gestehen, ich habe Blut geleckt-jetzt sagt mir bitte erst einmal, was ihr für dieses tolle Wochenende kriegt!“ bat er, aber die beiden Brüder schüttelten energisch den Kopf. „Das war frei, wie wir dir schon gesagt haben, aber wenn du jetzt Interesse hast, dann kostet jedes Rennwochenende 500 €-manchmal auch mehr, wenn wir teure Rennstrecken buchen, wie z. B. letzte Woche den Nürburgring. Außerdem müsstest du bei uns Kurse als Vorbereitung auf die Rennlizenz belegen-da wird die nötige Theorie gepaukt, das ist unbedingt notwendig. Dann brauchst du einen Rennanzug und den speziellen Helm mit Mikrophon, damit man dich von außen coachen kann. Blöderweise steht nun das Winterhalbjahr bevor und da müssen wir immer kurzfristig nach Wetterlage disponieren, darum haben wir auch Connections zu Rennstrecken im Süden, z. B. in Spanien, Portugal und Tunesien. Dort nehmen wir aber Autos vor Ort-das wäre viel zu aufwändig mit dem Transporter dorthin zu fahren. Wir setzen uns dann mit unserer Mannschaft in den Flieger und lassen das triste mitteleuropäische Winterwetter hinter uns. Allerdings kostet natürlich die Miete für die Fahrzeuge dort nochmals extra-das Ganze ist nicht ganz billig, aber bei uns schauen sich immer wieder Sponsoren um, die Talente suchen und abwerben, es ist bei deinem fahrerischen Können schon ohne großes Training durchaus möglich, dass du den internationalen Durchbruch schaffst und irgendwann bei den DTM-den Deutschen Tourenwagen Masters starten kannst, du musst nur fleißig trainieren. Gerade so Überholmanöver und Taktik kann man auch mit den Karts üben, das geht außer bei Glatteis fast ganzjährig!“ erklärte er und Ben nickte artig.
    So kam es, dass er wenig später die Bestellung für einen Rennanzug mit passendem Helm abgegeben hatte und für den kommenden Mittwochabend die erste Theoriestunde gebucht hatte. Außerdem musste er Vereinsmitglied werden und hatte so mal eben ganz locker 3000€ ausgegeben. Gut-er hatte das Geld, aber ein Normalverdiener ohne ererbtes Vermögen kam da schon an die Kante. Allerdings hatte Ben nun schon wieder den dunklen Wagen um die Ecke stehen sehen und er wollte einfach den Tod Benko´s aufklären-dessen Eltern hatten es verdient, dass man den oder die Mörder vor Gericht stellte, auch wenn es ihren Sohn nicht mehr lebendig machte.
    Gerade als er zu seinem Porsche ging, um zu Frau und Kind zu fahren, sah er einen kleinen Mann in Monteurkleidung um eine Ecke huschen, aha hier wurde sogar am Sonntag geschraubt, dachte er noch und fuhr nach Hause.


    Sarah und Tim waren guter Dinge als er dort ankam, sie bestellten eine Pizza und machten einen Salat dazu und während Sarah begeistert von den beiden schönen Tagen mit ihrer Freundin erzählte, hielt Ben mit den Informationen hinterm Berg, damit sich Sarah nicht beunruhigte. Dienst und Privatleben sollte man trennen, sonst gab das bloß Verwicklungen!


    Am nächsten Morgen wurde er zum Rapport zur Chefin bestellt und Semir hörte ebenfalls zu. Der hatte das Familienfest heil überstanden, beneidete aber Ben glühend, als der von seinen Wochenenderlebnissen erzählte, das war schon besser gewesen als der Familienklatsch mit artigem Kaffee trinken. Die Krüger sah Ben merkwürdig an: „Also auf den Nenner gebracht Herr Jäger-sie haben bisher noch überhaupt nichts ermittelt, sondern sich auf Staatskosten ein schönes Wochenende gegönnt. Seien sie aber versichert, dass wir das der Spesenabteilung nicht glaubhaft machen können, dass die da irgendwelche Seminare bezahlen. Sie bekommen die Stunden, aber mehr auch nicht!“ erklärte sie Ben eindringlich und der nickte. „Und wenn sie mir nicht binnen Kurzem irgendetwas Greifbares liefern, dann wird der Einsatz abgebrochen und der Fall zu den Akten gelegt-haben wir uns verstanden!“ sagte sie scharf und Ben stimmte wortlos zu. Als er später mit Semir auf Streife war, schwärmte er dermaßen von dem Rennfeeling, dass der ihn ebenfalls mit schräg geneigtem Kopf ansah: „Also ehrlich gesagt bin ich jetzt auch ein wenig überrascht von deiner Begeisterung, aber schau bloß, dass du bald was rausfindest, sonst wars das!“ sagte er und Ben grinste frech. „Na ja die Krüger kann mir aber nicht vorschreiben, was ich in meiner Freizeit mache und für was ich mein Geld ausgebe!“ und nun stöhnte Semir auf.

  • An einem der folgenden Tage war Ben pünktlich um 20.00 Uhr zum Seminar, das außer ihm noch mehrere andere junge Männer besuchten. Frauen waren überhaupt keine vertreten. Ben hatte pünktlich Feierabend gemacht, war erst nach Hause zu Sarah und Tim und hatte sich um 19.30 Uhr nochmals verabschiedet, weil er eine Ermittlung führen müsse. Als er um 22.00 Uhr wieder heimkam, schwirrte sein Kopf vor lauter Flaggenkunde und Theorie, aber er musste anerkennen, dass Günther Haug das sehr gut erklärt hatte und er hatte auch etwas zum Lernen mit nach Hause gebracht und für den nächsten Abend gleich eine Stunde auf der Kartbahn gebucht. Ben vermied es Semir davon zu erzählen, auch der hatte so abfällig den Kopf geschüttelt, als er von seinem Rennfieber gehört hatte.
    Beinahe jeden Abend fuhr er nun direkt nach der Arbeit konzentriert mit einem Kart, aber natürlich hielt er auch die Augen offen, um irgendwelche verdächtigen Beobachtungen zu machen. Genauso lief es in den kommenden Wochen auch ab und vor einem Wochenende musste man leider wegen eines Schlechtwettereinbruchs mit dem ersten Glatteis des Jahres alle Rennaktivitäten absagen, so dass Ben ein gemütliches Familienwochenende verbrachte, während er am nächsten wieder unterwegs war. Sarah hatte die etwas verlängerten Arbeitszeiten Ben´s mit einem Schulterzucken zur Kenntnis genommen. Tim schlief untertags noch lang und war abends meistens bis zehn wach, so dass Ben trotzdem noch genügend Zeit mit seinem Sohn verbrachte. Klar hatte Ben oft ein schlechtes Gewissen Sarah gegenüber, dass er sie eigentlich hinterging, aber er konnte ihr doch nicht plausibel machen, dass er als frisch gebackener Familienvater plötzlich Autorennen fahren wollte, dabei war das nur halb so gefährlich, wie immer alle dachten, wenn man die Sicherheitsvorschriften beachtete, die er jede Woche in den Seminaren lernte.


    Dietmar Haug saß konzentriert in einer Elektrowerkstatt und baute den Helmfunk in Ben´s neuen Helm ein. Es sah fast aus, wie in Hartmut´s Reich und als Ben sich dort umblickte, bat ihn Dietmar mit einem Lächeln, doch Platz zu nehmen. Ben wunderte sich inzwischen, warum Semir bei den beiden Brüdern so ein ungutes Gefühl verspürt hatte, er fand die zwei ganz sympathisch und war sich fast sicher, dass die mit dem Tod von Benko gar nichts zu tun hatten. Da musste man bei den Ermittlungen vermutlich anderswo ansetzen-vielleicht hatten die Kredithaie, bei denen er Schulden hatte, ihm einen Schreck einjagen wollen, denn dass der Unfall gleich tödlich enden würde, hatte ja keiner ahnen können! Seitdem Ben sich öfter auf dem Gelände aufhielt, mit jedem ein freundliches Wort wechselte und auch sonst unheimlich darauf konzentriert war zu lernen, die Ideallinie zu finden und jeden Tipp, von denen die beiden Brüder eine Menge hatten, aufzusaugen, war er inzwischen in die Gemeinschaft der Rennfahrer aufgenommen. Da gab es richtige Männerfreundschaften, aber auf der Bahn fuhr jeder um den Sieg. In den Werkstätten waren Mechaniker am Werk, die eine milchkaffeefarbige Gesichtsfarbe hatten. Ben konnte nicht sagen, aus welchem Land die kamen und ehrlich gesagt konnte er die auch nicht auseinanderhalten. Es waren eine ganze Menge und Ben konnte sich die Gesichter nicht sonderlich gut merken. Als er sich vorsichtig in den Nebengebäuden umsah, entdeckte er dort eine Art Schlafsaal, eine Küche und eigene Sanitärräume-anscheinend wohnten die sogar zeitweise hier, aber die Karts waren gut gewartet und die groben Reparaturen an den Tourenwagen nahmen auch diese Männer vor, während für das Feintuning Günther und Dietmar zuständig waren.


    Als Ben einmal bei wundervollem Herbstwetter an einem Werktag im späten November frei hatte und ihn sein Weg wie selbstverständlich zu der Kartbahn führte, weil Sarah mit Tim bei einer Freundin war, wurden gerade zwei Rennwagen aufgeladen und als Günther ihn sah, lud er ihn ein, doch mit zu einem neu angelegten Autobahnstück zu kommen, das noch nicht für den allgemeinen Verkehr freigegeben war. „Das ist zwar illegal was wir hier machen, aber du wirst uns schon nicht an die Autobahnpolizei verpetzen!“ sagte Dietmar lächelnd und Ben fuhr erst ein gehöriger Schreck in die Glieder. Hatten die rausgefunden, wo er arbeitete? Aber mit den nächsten Worten zerstreute Dietmar seine Bedenken. „Die Trainingsmöglichkeiten sind ja rar und wenn wir so schönes Wetter haben, müssen wir jede Gelegenheit im Umkreis ausnutzen. Das tut ja niemandem weh und du freust dich auch, wenn du zu deinem nächsten Rennen ein fein abgestimmtes Fahrzeug unterm Hintern hast!“ erklärte er. Man hatte schnell Ben´s Rennausrüstung eingepackt und als der Autotransporter unauffällig hinter der kurz beiseite geräumten Absperrung verschwand und die Auto´s abgeladen wurden, hatte er einen Moment ein schlechtes Gewissen, dass er das zuließ, aber das verging sehr schnell, als er nun die beiden Fahrzeuge nacheinender ausfahren durfte, das Kurvenverhalten testen und jedes Mal entweder Günther oder Dietmar mechanisch und auch elektronisch an der Abstimmung feilten. Über den Helmfunk war er mit den beiden verbunden und kam sich vor, wie ein Profi. Zum Schluss liefen die beiden Wagen wie ein Glöckchen und als Highlight fuhr er nun ein Rennen gegen Günther Haug. Obwohl die Fahrzeuge gleichwertig waren, Ben sich alle Mühe gab und das Rennfieber wieder von ihm Besitz ergriffen hatte, gelang es ihm nicht den zu schlagen-da war wirklich ein Meister seines Fachs am Werk!


    Ben hatte natürlich im Internet recherchiert und tatsächlich waren die beiden Brüder, bevor die Deutsche Tourenwagen Meisterschaft Anfang der Neunziger damals abgeschafft worden war, aufgehende Sterne am Rennfahrerhimmel gewesen. Heute gab es ja wieder eine DTM-nur stand das M hintendran jetzt für Masters und Privatteams hatten wegen der immensen Kosten keine Chance mehr. Heute waren das Duelle der Autohersteller gegeneinander, während früher das fahrerische Können im Vordergrund gestanden hatte und auch kleine Teams zum Zug kamen. Allerdings war das tatsächlich eine eigene Szene mit eigenen Regeln und je mehr Ben da hinein schnupperte, desto mehr Gefallen fand er daran. Wenn er an seiner Kurventechnik feilte, an seine-und die Grenzen des Fahrzeugs- ging, dann war er glücklich! Der Geruch nach verbranntem Gummi war viel besser in seiner Nase als jedes Parfum und er merkte, wie er das Gelernte auch im Alltag begann umzusetzen! Als er letzthin mit Semir auf dem Beifahrersitz einen flüchtigen Verkehrsrowdie verfolgt hatte, war es ihm nur durch seine inzwischen ausgefeilte Rennroutine gelungen an dem dran zu bleiben und ihn letztendlich zu überholen und auszubremsen und Semir hatte nur bewundernd gesagt: „Whow-das war jetzt richtig gut!“ und Ben hatte daraufhin geschmeichelt gelächelt.

  • Im Fall Benko hatten Semir und Ben auf Ben´s Anregung hin auch noch die Firma des Kredithais überprüft. Als sie an der angegebenen Adresse ankamen, waren dort nur eine Sekretärin und zwei smarte Männer mittleren Alters in feinen Anzügen zu sehen. „Wie kann ich ihnen helfen?“ fragte der eine freundlich, aber als Semir und Ben ihre Dienstausweise zückten, wich sein Lächeln großer Verärgerung. „Ich weiss gar nicht, warum sich die Polizei für unsere Firma interessiert. Bei uns geht alles mit rechten Dingen zu!“ verteidigte er sich und Semir lachte höhnisch. „Ja genau-sie verleihen Geld für horrende Zinsen an Leute, die sich den Kredit eigentlich gar nicht leisten können und so manchmal sogar in den Ruin getrieben werden. Wenn jemand dann nicht zahlt, gibt es so nette Inkassofirmen, wo schwarz gekleidete Schränke dann zufällig bei denen vorbeikommen und denen mit allem Möglichen drohen, wenn sie das Geld nicht zurückzahlen. Eine reelle Bank weiss schon, warum sie so manchen Kredit eben nicht genehmigt!“ beschuldigte er den Kredithai, der sich daraufhin erhob und begann herumzulaufen und zu dozieren. „Sie denken, nur weil wir den Leuten zu höheren Preisen als andere Banken Geld leihen, sind wir Verbrecher? Das sehe ich aber anders! Wenn jemand einen großen Wunsch hat, oder eben auch ein Geschäft eröffnen möchte, was von den Großbanken als wenig aussichtsreich beurteilt wird, dann wird er von denen meist abgelehnt, wenn die Sicherheiten nicht passen. Wir hingegen kalkulieren so, dass der eine oder andere eben doch Erfolg hat und sein Geld zurückzahlen kann, eben weil wir ihm eine Chance gegeben haben. Ein paar werden das aber nicht schaffen, wobei ich da schon die erstaunlichsten Dinge gesehen habe. Dieses Risiko aber kalkulieren wir eben in unsere Kosten ein. Die die zahlen, finanzieren sozusagen diejenigen mit, die es nie schaffen werden, das geliehene Geld vollständig zu berappen.“ erklärte er die Philosophie seines Unternehmens. „Außerdem hat das Amt für Kreditwirtschaft ein waches Auge auf unsere Branche. Keiner unserer Verträge ist sittenwidrig-wir helfen eben nur, Wünsche zu erfüllen, die ansonsten nie wahr werden würden!“ fuhr er fort sich als Wohltäter der Menschheit darzustellen.
    Semir fuhr ihm nun beinahe über den Mund, während Ben nachdenklich zugehört hatte. Er persönlich hatte noch nie Geldsorgen haben müssen, denn er war sozusagen mit dem goldenen Löffel im Mund geboren worden, wenn er sich das nun allerdings so vorstellte, einen Lebenstraum zu haben und aus finanziellen Gründen keine Chance, den jemals zu erfüllen, dann waren die Erklärungen des Bankers gar nicht so abwegig. Semir sagte scharf: „Was können sie uns über ihren Kunden Andreas Benko erzählen, der vor kurzer Zeit tödlich verunglückt ist?“ fragte er und der Mann zuckte mit den Schultern. „Das ist jetzt so ein klassischer Fall, wo wir unser Geld vermutlich nie mehr wiedersehen werden. Der war ein angehender talentierter Rennfahrer, der sicher reich geworden wäre, wenn er überlebt hätte, aber wenn jetzt seine Eltern das Geld nicht zurückzahlen, dann werden wir wohl auf diesen Kosten sitzen bleiben!“ sagte er. „Sie haben ihn also an seinem Todestag nicht gesehen oder mit ihm gesprochen?“ fragte nun Ben und der Banker schüttelte den Kopf. „Ich hätte nichts von seinem Tod und glauben sie mir, Andreas stand kurz vor dem Durchbruch und war bemüht seine Zinsen regelmäßig zurückzuzahlen-das Geld hätten wir wiedergesehen, wenn er noch leben würde, dieser nette junge Mann!“ sagte der Kredithai bedauernd und so verabschiedeten sich die beiden Polizisten.


    Im Wagen sagte Ben nachdenklich: „So habe ich das noch gar nie gesehen, aber Semir lachte verächtlich auf. „Ben wach auf-diese Menschen leben in einer Grauzone der Legalität vom Leid und der Armut anderer Leute-und sie leben nicht schlecht dabei!“ wies er auf die beiden Luxuskarossen, die vor dem Bürogebäude standen. „Aber nichts desto trotz fehlt eigentlich das Motiv für einen Mord und wenn der als Abschreckung für nicht zahlungswillige Kunden gedacht gewesen wäre, würde jetzt die Unfalltheorie nicht funktionieren, dann wäre da schon lange publik geworden-vermutlich in der Bildzeitung-dass der junge Mann unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen ist. Das könnte man dann strategisch einsetzen, aber so müssen wir eben weiter nach den Mördern suchen-und für mich sind da immer noch die Haug-Brüder die Hauptverdächtigen!“ sagte er, um kurz darauf anzuhängen: „Und gehst du da jetzt eigentlich immer noch gelegentlich hin und versuchst vor Ort etwas rauszufinden?“ und Ben nickte stumm mit dem Kopf, ohne näher darauf einzugehen. Semir fiel sofort auf, dass Ben da nicht drüber reden wollte-oh je, er hatte plötzlich ein sehr ungutes Gefühl dabei!


    An einem der nächsten Tage wurden sie zur Chefin gerufen. „Herr Jäger-wie weit sind sie mit ihren Ermittlungen im Fall Benko?“ fragte sie und Ben musste zugeben, dass er da absolut nichts hatte rausfinden können. „Gut Herr Jäger-dann ist ihr Undercovereinsatz hiermit beendet. Wir verfolgen den Fall zwar weiter, aber er ist nicht mehr in vorderster Front. Ich werde das der Staatsanwaltschaft nachher gleich mitteilen, aber wir wurden nun gebeten, die Augen offen zu halten-gesucht wird dieser Mann“ sagte sie und sie rief am großen Bildschirm ein Foto auf. „Er soll sich Gerüchten zufolge im Raum Köln aufhalten und ist dem internationalen Terrorismus zuzurechnen.“
    Semir und Ben musterten interessiert das Foto, das einen milchkaffeefarbigen, schwarzhaarigen Mann in Militärausrüstung und mit grimmigem Gesichtsausdruck zeigte. „Gibt es nähere Hinweise, wo er sich aufhalten könnte?“ fragte Semir, aber die Chefin schüttelte den Kopf. „Prägen sie sich das Gesicht ein und halten sie die Augen offen, demnächst findet in Köln ein Wirtschaftsgipfel statt und man befürchtet einen Anschlag. Das Auftreten solcher Männer im Umkreis bestätigt dieses Risiko und wir sind für die Sicherheit auf den Autobahnen rund um die Lokalitäten zuständig, wo der Wirtschaftskongress stattfindet. Kontrollieren sie verschärft und versuchen sie Polizeipräsenz zu zeigen-alles Weitere übernehmen andere Stellen, aber es darf auf unseren Autobahnen einfach nichts passieren. Wir werden Begleitschutz für die An-und Abreise bieten, die näheren Pläne werden wir jetzt dann gemeinsam ausarbeiten!“ sagte sie und so geschah es, dass für das übernächste Wochenende ein Plan ausgearbeitet wurde, der Sicherheit für alle Kongressteilnehmer bieten sollte.

  • Nun war der Winter auch in Köln angekommen. Beim ersten Schneefall drehten die Autofahrer durch. „Das wird jetzt wieder ne Weile dauern, bis sich alle an die Witterungsverhältnisse gewöhnt haben-und vor allem Winterreifen aufgezogen haben!“ stöhnte Semir. Bei jedem zweiten Unfall den die beiden aufnahmen, war eine unpassende Bereifung zumindest mit Schuld und so wurden viele Strafen verhängt-es hatte sich anscheinend noch nicht allgemein durchgesprochen, dass eine der Witterung angepasste Bereifung inzwischen vorgeschrieben war.
    Der Schnee wich totalem Schmuddelwetter und Sarah stöhnte, weil der Kinderwagen durch den Schneematsch kaum mehr vom Fleck kam. Als Ben abends nach Hause kam, hatte er strahlend ein Mitbringsel dabei-einen hölzernen Schlitten mit einem aufgeschraubten Sitz im Retro-Style. „Sieh mal, was ich für unseren kleinen Mann gekauft habe!“ sagte er voller Begeisterung. „Damit kommt er durch jede Schneewehe!“ und Sarah schüttelte lächelnd den Kopf. „Meinst du nicht, dass Tim da mit seinen vier Monaten noch ein wenig zu klein ist? Und außerdem kann er noch nicht einmal sitzen-ich glaube, da muss er noch ein wenig warten, bis er damit fahren kann!“ sagte sie und Ben schmollte. Er hatte sich schon mit seinem Sohn an einem der Schlittenberge die es auch in und um Köln gab, den Hang hinunter sausen sehen. Was hatte er den Schnee als Kind geliebt! Sie waren in den Ferien auch immer in die Schweiz und nach Österreich zum Ski-und Schlittenfahren gefahren, da hatte sogar sein Vater Spaß daran gehabt und mal Zeit mit Julia und ihm verbracht. So räumte er den Schlitten vorrübergehend in den Keller-seine und Tim´s Schlittenfahrerzeit würde noch kommen-das wusste er sicher!


    Nachdem nun auch auf der Kartbahn das Eis die Oberhand bekommen hatte, wurde im Moment bis zur Wetterbesserung überhaupt nicht mehr trainiert und als sich Ben an einem der nächsten Tage wieder zu einem Seminar einfand, nahm ihn nach dem Unterricht Günther Haug zur Seite. „Ben-hättest du Lust kommendes Wochenende mit uns nach Südspanien auf eine Rennstrecke zu fahren? In Cartagena ist bestes Wetter und mit dem Flieger sind wir in kürzester Zeit unten. Wir hätten da sogar einen rennsportbegeisterten Sponsor, der uns mit seinem Privatflugzeug mitnehmen würde!“ schlug er ihm vor und Ben, dem der Geruch nach verbranntem Gummi schon fehlte, sagte nach kurzer Zeit: „Ich muss das noch mit meiner Lebensgefährtin absprechen. Dieses Wochenende ginge sogar vielleicht-am nächsten muss ich nämlich arbeiten!“ sagte er, bisher war er aber noch nie gefragt worden, was er beruflich machte. Nun kam die Frage aber im selben Augenblick: „Wo schaffst du denn eigentlich Ben?“ wollte Günther wissen und einen Moment wollte Ben sagen: Im Baugeschäft meines Vaters, aber dann entschied er sich für die Wahrheit. „Ich bin bei der Autobahnpolizei!“ sagte er schlicht und nun sah ihn Günther mit offenem Mund an. „Und da verdient man so gut, dass man sich so nen Porsche leisten kann?“ fragte er -„und außerdem hättest du uns bei unserer illegalen Fahrt auf dem neuen Autobahnteilstück also sofort verhaften können!“ sagte er dann und begann laut zu lachen. Dann rief er nach seinem Bruder, der sich im hinteren Bereich des Seminarraums mit Papierkram beschäftigte: „Dietmar, hast du gehört, was unser neuer Rennstar hauptberuflich macht?“ fragte er laut und als Dietmar nun erstaunt näher kam, entgleisten ihm beinahe die Gesichtszüge, als es Ben auch ihm mitteilte, er hatte sich aber bald wieder gefangen. „Also dann sehen wir uns hoffentlich am Freitagmittag am Flughafen!“ sagte er und Ben ging nach Hause und überlegte schon die ganze Zeit, wie er das Sarah beibringen sollte, dass er das nächste Wochenende nicht mit ihr und Tim verbringen wollte.
    Als er davongefahren war, sagte Dietmar zu seinem Bruder: „Verdammt-wir müssen ihn loswerden-gerade jetzt ist das ja wahnsinnig ungünstig!“ und Günther antwortete langsam: „Da bin ich ganz deiner Meinung, aber ich habe da schon einen Plan!“

  • Ben hatte kaum die Tür aufgeschlossen, da kam ihm Sarah schon entgegen und drückte ihm seinen Sohn in die Hand. „Ben-gut dass du kommst-stell dir vor, ich habe dir doch schon erzählt, dass ich eine Tante habe, die auf Norderney lebt und da sogar ein Haus hat. Die hat sich jetzt neu verliebt-mit 58 Jahren stell dir vor und ist jetzt zu ihrem Freund nach Hamburg gezogen. Nun stellt sie das Haus, das sie nicht verkaufen oder vermieten will, falls es mit der Beziehung auf Dauer doch nicht klappt, der Verwandtschaft zum Urlaubmachen zur Verfügung. Mein Bruder und seine Frau haben gerade eine Vertretung für ihren Reiterhof gefunden und jetzt haben sie mich gefragt, ob ich nicht mit Tim zu einem verlängerten Wochenende dorthin kommen möchte. Ich war als Kind sehr oft bei dieser Tante und liebe diese Insel und das rauhe Klima, das ist auch super für Tim´s Bronchien, die Luft ist dort einfach besser als im Kölner Vorweihnachtssmog. Ich habe jetzt spontan zugesagt-natürlich nur wenn du nichts dagegen hast. Ich würde morgen früh gleich fahren und wenn du möchtest, könntest du am Freitagabend oder Samstag ja nachkommen!“ sprudelte sie aufgeregt hervor und packte weiter ihre Koffer. Ben schüttelte lächelnd den Kopf. „Na da wünsche ich dir doch viel Vergnügen, aber wenn es dir nichts ausmacht, würde ich doch lieber nicht mitkommen. Ich bin nämlich heute auch etwas gefragt worden-ob ich nämlich am Freitag mit nach Südspanien fliegen möchte, da bei einem Autorennen zusehen!“ schwindelte er ein wenig. Dass er gedachte selber zu starten, verschwieg er, denn dann hätte sich Sarah nur Sorgen gemacht, dabei war das Fahren auf der Rennstrecke wesentlich ungefährlicher als im normalen Straßenverkehr. Da hatte man Auslaufzonen, Überrollbügel, keinen Gegenverkehr, Radfahrer und Fußgänger.


    Tim quengelte ein wenig und Ben begann mit ihm herumzulaufen und ihn zu herzen und zu küssen, was ihn binnen Kurzem zum Gurgeln und Lachen brachte. „Es wird mir schon schwer fallen, vier Tage ohne euch beide auszuhalten, aber ich denke du kannst dich dann ein wenig erholen und die Kinder deines Bruders sind ja auch total süß und werden unseren kleinen Mann schon beschäftigen!“ sagte Ben und Sarah küsste ihn im Vorbeiweg. „Danke für dein Verständnis, aber ich wusste, dass du da nichts dagegen haben würdest-schließlich braucht jeder von uns noch ein bisschen Freiheit und Privatleben, auch wenn wir Eltern sind!“ sagte Sarah und packte geschäftig Kinderkleidung in einen zweiten Koffer. „Mann, da braucht man vielleicht viel Zeug, wenn man mit einem Baby verreist-gut dass du das große Auto gekauft hast-in meinem Polo würde ich das alles gar nicht unterbringen!“ bemerkte sie noch und Ben warf einen bewundernden Blick in die Ecke des Wohnzimmers, wo sich die Sachen stapelten. Wie konnte man nur so viel mitnehmen? Wenn er verreiste passten die Sachen für eine Woche in eine kleine Reisetasche!
    Endlich waren alle Sachen gepackt, Tim fielen nun schon beinahe die Augen zu und so wickelte ihn Ben noch ein letztes Mal vor der Nacht, zog ihm seinen Schlafanzug an und während sie nebeneinander auf dem Sofa Platz nahmen und Sarah den Kleinen noch stillte, fielen dem schon bald die Augen zu. Sarah legte ihn sanft in sein Babybettchen im Schlafzimmer und dann kuschelten sie und Ben auch noch eine Weile, bis sie sich ebenfalls schlafen legten. „Ich liebe dich Schatz!“ flüsterte Sarah ihm noch zu, bevor sie ihre Augen schloss und Ben sagte aus vollem Herzen: „Ich dich auch!“


    In der Früh standen sie zeitig auf und Ben trug die ganzen Sachen noch zum Auto und spielte mit seinem Sohn, damit der dann auf der Fahrt bald wieder müde wurde und schlief, aber das war mit ihm eigentlich kein Problem, denn der fuhr total gerne Auto und es war auf der Strecke auch bisher kein Stau gemeldet, wie Ben dem Verkehrsservice auf seinem Smartphone entnommen hatte. „Gute Fahrt Schatz, erhol dich gut, liebe Grüße an deinen Bruder und Familie-und ruf mich an, wenn du angekommen bist!“ ermahnte er sie noch. Sarah lächelte und sagte: „Dir auch viel Spaß-wo genau seid ihr jetzt nochmal?“ wollte sie wissen und Ben sagte: „In Cartagena in Spanien, da ist eine super Rennstrecke!“ und Sarah nickte.
    Das war Ben´s zweites Hobby neben der Musik. Er sah, wenn es vom Dienst her ging, alle Formel 1-Rennen im Fernsehen an und in letzter Zeit auch andere Autorennen mit Tourenwagen, die im Pay-TV rund um die Uhr anzuschauen waren-ach jeder hatte halt seine kleinen Meisen. Da konnte sie gut damit leben, denn Ben war ein liebevoller Vater und verständnisvoller Partner-nicht jeder hätte auf die Ankündigung, dass sie vier Tage verreisen würde, so gelassen reagiert. So sollte der mit seinen Autorennen auch ein schönes Wochenende haben und am Sonntagabend würden sie sich wieder zuhause treffen. Ben setzte Tim in seinen Kindersitz, winkte Sarah noch nach und ging dann glücklich in seine Wohnung zurück.
    Na prima, dann konnte er den Haug-Brüdern ja zusagen und schon bevor er zur Arbeit fuhr, schrieb er Günther eine Mitteilung und bekam auch prompt eine Antwort. „Ab wann kannst du am Freitag am Flughafen sein?“ lautete die Frage und nach kurzer Überlegung schrieb Ben: „So gegen eins könnte es klappen!“ und dann fuhr er zur Arbeit.


    Nachdem sie erst wieder einen weiteren Plan für den Wirtschaftsgipfel und die Personaleinteilung gemacht hatten, fuhren Semir und Ben auf Streife. Erst jetzt hatten sie Zeit für ein ausführliches Gespräch. „Semir-nachdem wir ja am nächsten Wochenende alle arbeiten müssen, hat doch die Chefin gesagt, wir hätten alle an diesem Freitag schon ab mittags frei. Jetzt habe ich ein Angebot, mit einem Learjet nach Südspanien zu einem Autorennen zu fahren, denn hier ist die Witterung gerade so mistig. Meinst du, du könntest mich evtl. zum Flughafen bringen?“ wollte Ben wissen und Semir nickte mit dem Kopf. „Das müsste schon gehen, aber schaust du da nur zu, oder fährst du selber?“ wollte er wissen. „Und was sagt Sarah denn dazu?“
    Ben druckste ein wenig herum. „Also dass ich nach Spanien fliege ist kein Problem-sie ist nämlich heute Morgen nach Norderney gestartet-ein Familienwochenende verbringen, da hätte ich eh nicht mitgewollt. Sie hat da nichts dagegen, nur habe ich ihr nichts davon gesagt, dass ich selber gelegentlich auf der Rennbahn rumkurve-sonst macht sie sich doch nur Sorgen!“ erklärte er seinem älteren Partner. „Ben-ich würde ihr das schon sagen, ich wusste es ja schon, denn anders sind deine fahrerischen Verbesserungen bei unseren Verfolgungsjagden gar nicht zu erklären, das ist ja für dich beruflich sogar nutzbar dieses Hobby, aber natürlich ist das gefährlich, das brauchst du dir auch nicht schön reden-allerdings ist das unser Job auch. Was mir mehr Bauchschmerzen bereitet ist, dass du das anscheinend bei dieser dubiosen Firma Pro-Racing machst-du weisst, dass mein Bauchgefühl bei diesen Haug-Brüdern anschlägt, die sind nicht sauber, ich weiss das einfach. Die haben was mit Benko´s Tod zu tun, ob du das glaubst oder nicht!“ redete er seinem Freund eindringlich ins Gewissen. Ben schwieg dazu-Semir immer mit seinem Bauchgefühl! „Also dann fährst du mich morgen nach Dienstschluss zum Flughafen?“ vergewisserte er sich und Semir nickte-natürlich-Ben war doch sein Freund, klar würde er das machen!

  • Sarah hatte mittags angerufen. Mit einer längeren Pause war sie in guten fünf Stunden Fahrt auf Norderney angekommen. Tim war sehr brav gewesen und Ben hörte ihn jetzt im Hintergrund krähen, denn seine Cousinen und Cousins machten gerade Blödsinn mit ihm, was ihm außerordentlich gut gefiel. „Ach Ben-es ist so schön hier-schade dass du nicht mitfahren konntest!“ bedauerte Sarah. „Das nächste Mal komme ich mit!“ versprach Ben und musste sich dann verabschieden, denn Semir war gerade dabei einen Schnellfahrer in der Achziger- Zone zu verfolgen und letztendlich zu überholen und Ben musste nun die Kelle raushalten, um ihn zum Stehen zu bringen. „Ich melde mich morgen noch kurz vor dem Abflug-gib meinem kleinen Schatz nen fetten Kuss von mir!“ trug er Sarah auf, bevor er auflegte.
    Abends ging Ben heute ausnahmsweise noch mit Semir nach der Arbeit auf einen Absacker. Jeder trank am Tresen ein Bier und Semir musterte sinnend seinen Freund. „Jetzt hoffe ich nur, dass dein Rennwochenende auch so entspannend wird, wie du dir das vorstellst!“ sagte er und Ben grinste. „Na aufregender als bei dir auf dem Beifahrersitz kanns auch nicht werden!“ sagte er flapsig und kassierte dafür einen Rempler von Semir. Wenig später fuhren beide gut gelaunt nach Hause und Ben schmiss auch gleich seine Sachen in eine kleine Reisetasche. Die Winterjacke hatte er an, aber er packte hoffnungsvoll zwei kurzärmlige T-Shirts und ne kurze Hose ein. Vielleicht konnten sie wirklich dem Sommer ein bisschen hinterher reisen-es wäre schön, denn das Kölner Dezemberwetter kotzte ihn an! Allerdings sagte die Wettervorhersage für Südspanien leider keine allzu hohen Temperaturen und sogar leichten Nieselregen, aber mit 20°C wäre es auf jeden Fall wesentlich wärmer als hier in Deutschland.


    Zügig verging der Freitag Vormittag und bis sie sich versahen war es Mittag und die Chefin wünschte ihrer Mannschaft ein schönes Wochenende. „Erholen sie sich gut, denn dann steht uns eine harte Woche und ein anstrengendes Wochenende bevor. Die freien Tage werden rotierend gegeben, ich würde vorschlagen, Herr Gerkan und Herr Jäger beginnen gleich mit Montag und Dienstag und dann machen wir weiter!“ sagte sie und nun strahlten Ben und Semir. „Super-vier Tage frei, das wird Andrea freuen, die wollte schon die ganze Zeit, dass ich das Wohnzimmer streiche!“ flüsterte Semir seinem Freund zu und verdrehte die Augen, so dass Ben herzlich lachen musste. „Ich finds auch gut, dann habe ich Zeit für Sarah und den Kleinen, wenn wir am Sonntagabend alle wieder zuhause sind!“ freute sich auch Ben und stieg nun frohgelaunt in Semir´s BMW und gemeinsam brausten sie vom Hof Richtung Flughafen. Die Tasche lag da schon den ganzen Morgen drin und Ben´s Dienstmercedes stand brav vor der PASt, falls der die nächsten Tage benötigt würde.
    Am Flughafen angekommen zückte Ben sein Handy. Er war gut in der Zeit und als er Günthers Nummer anrief, sagte der ihm, wo er und die anderen Mitreisenden zu finden waren. „Hast du einen Reisepass dabei?“ fragte Günther-„wir haben nämlich vielleicht eine Planänderung!“ kündigte er an und Ben sah vorsichtshalber in seiner Brieftasche nach und da lag der Pass. „Ich bin zu allen Schandtaten bereit, der Pass liegt parat!“ sagte er lachend und verabschiedete sich mit Handschlag und einem herzlichen Dank von Semir, der ihm erst ein schönes Wochenende wünschte und ihm dann sinnend nachsah, während er auf eine Lücke zum Ausfahren aus der Haltebucht wartete. „Warum braucht der einen Reisepass-Spanien ist doch EU-Land?“ überlegte er, aber dann verwarf er den Gedanken. Er würde jetzt nach Hause fahren und sich seelisch und moralisch auf ein arbeitsreiches Wochenende einstellen. Verdammt-warum konnte er nicht die finanziellen Mittel wie Ben haben-der würde vermutlich die Wohnung in seiner Abwesenheit von einer Firma renovieren lassen, aber von sowas konnte er nur träumen! Also würden Andrea und er jetzt dann ins Fachgeschäft fahren und Farbe kaufen und dann war Ausräumen angesagt!


    Ben rief noch kurz Sarah an und die wünschte ihm ebenfalls viel Spaß und dann fand er auch sofort das kleine Grüppchen. Zu seiner Überraschung war kein einziger anderer Fahrer dabei, den er kannte, aber außer den Haug-Brüdern standen zwei arabisch aussehende Männer mit schwarzen Haaren dort. „Ben darf ich vorstellen-das ist einer unserer Sponsoren Said Brami, ein reicher tunesischer Geschäftsmann-und das ist sein Leibwächter!“ sagte Günther Haug und Ben schüttelte deren Hände und nannte seinen Namen. „Monsieur Brami ist sehr rennsportbegeistert, er hat uns zu diesem Kurztrip eingeladen!“ erklärte Günther und nun machten sie sich auf den Weg zur Passkontrolle. „Wir haben kurzfristig umdisponiert!“ sagte nun Dietmar. „In Spanien ist kein allzu tolles Wetter, aber in Nordafrika brennt die Sonne vom Himmel-hier gerade kaum vorstellbar. Deshalb haben wir auch das Reiseziel geändert und darum die Frage nach dem Reisepass!“ erklärte er. „Was wäre jetzt gewesen wenn ich keinen dabei gehabt hätte?“ fragte Ben und nun zuckte Günther mit den Schultern. „Dann hättest du eben hierbleiben müssen!“ sagte er und nun ärgerte sich Ben kurz, denn sowas hätte man auch früher klären können. Aber dann erschien ihm die Aussicht auf Sonne und ein tolles Rennwochenende einfach zu verlockend und er schob seinen Missmut beiseite. Als Reiseziel wurde Monastir angegeben, ein Flugplatz in Tunesien und nachdem sie kurz gecheckt worden waren, wurden sie durchgewinkt und man wünschte ihnen einen guten Flug. Auf einem kleinen Flugfeld stand ein hoch moderner Learjet, wo gerade ein paar arabisch aussehende Männer die letzten Reisevorbereitungen trafen. Einer davon kam Ben irgendwoher bekannt vor, aber er verwarf den Gedanken sofort. Woher sollte er einen tunesischen Mechaniker kennen, das bildete er sich nur ein! Der hatte auch eine starke Brille auf und ein Käppi, so dass man ihn eh schlecht erkennen konnte. Während sie nun mit ihrem kleinen Gepäck in den Jet stiegen, ging der Mann langsam Richtung Abfertigungshalle-der blieb anscheinend in Köln.Wenig später waren sie in der Luft und während sie den grauen deutschen Himmel hinter sich ließen und Kurs Richtung Alpen nahmen, schob Ben alle trüben Gedanken beiseite und freute sich wie ein kleines Kind auf seinen Kurztrip!

  • Der vierstündige Flug verlief völlig ereignislos. Der Pilot bat alle Mitreisenden doch die Handys auszuschalten, damit die Flugelektronik nicht gestört wurde. In den heutigen großen Passagiermaschinen war das nicht mehr notwendig, da die Geräte dort abgeschirmt waren, aber Ben beeilte sich der Aufforderung nachzukommen. Erst lagen die Alpen wie ein weißes großes Band mit ihren schneebedeckten Gipfeln unter ihnen und dann flog der Pilot die gesamte italienische Küste entlang, um von Sizilien aus dann das Mittelmeer zu überqueren. Ben konnte sich nicht satt sehen an den wundervollen Bildern aus den Flugzeugfenstern. Unterwegs bot ein Steward alkoholfreie Getränke an und auch kleine Snacks wurden gereicht. Um 18.00 Uhr landete die Maschine in Monastir und bis sie durch die Zollkontrolle gelaufen waren und ihre Stempel in die Pässe erhalten hatten, verging nur eine sehr kurze Zeitspanne, denn das dortige Flughafenpersonal behandelte den tunesischen Geschäftsmann wie einen König. Im Gegensatz zum europäischen Standard wirkte der kleine Flughafen eher familiär und davor parkte eine Stretchlimousine, deren Chauffeur mit tief gesenktem Kopf die Türen aufhielt und die kleine Truppe dann weiter zum Landsitz Brami´s, zwei Stunden entfernt, in der Nähe der Stadt Sousse, beförderte. Die Temperaturen waren angenehm, auch jetzt am Abend waren es noch über 20°C und Ben wurde-ohne es zu bemerken- mit Argusaugen beobachtet, als er sein Handy im Wagen einschaltete.


    In der großen Villa angekommen, wurden den Gästen Zimmer zugewiesen und dann bat man sie zu einem fürstlichen Dinner. Ben, der nach dem anstrengenden Reisetag einen Riesenhunger hatte, genoss die tunesischen Spezialitäten. Zuerst wurde eine wohlschmeckende Suppe gereicht und später gab es Huhn und Lamm in vielerlei Variationen. Edles Gemüse, Salate, Kichererbsen und Couscous vervollständigten das Menü und zum Nachtisch gab es noch eine Art Blätterteiggebäck mit Nüssen und Honig. Dazu wurden alle Arten alkoholfreie Getränke gereicht und Ben probierte sogar den angebotenen heißen Pfefferminztee, dem der Gastgeber vor allem zusprach. Seine Frau war tief verschleiert, aber die Tochter, die- wie er stolz erzählte- ein Gymnasium besuchte und fast perfekt deutsch sprach, war westlich gekleidet und verhielt sich kaum anders als ein europäischer Teenager. Sie spielte zwischendrin immer mit ihrem Handy rum und teilte Bilder und Nachrichten mit ihren Freunden. Nach dem Essen ging man noch auf die Terrasse und genoss eine Wasserpfeife und da kam sie ein wenig mit Ben ins Gespräch, der ihr unheimlich gefiel. Als er ihr dann allerdings Foto´s von Sarah und Tim zeigte und von seiner Familie zu schwärmen begann, zog sie sich bald enttäuscht in ihr Zimmer zurück.
    „So Ben-jetzt schlaf dich aus-morgen nach dem Frühstück gehts auf die private Rennstrecke am Rande der Sahara, die unser Gönner sich da ausschließlich für den Privatgebrauch hat bauen lassen. Es sind keine Sandstürme gemeldet und so werden wir morgen ein paar tolle Rennen fahren!“ kündigte Günther an und tatsächlich sank Ben wenig später in die weichen Kissen seines Himmelbettes und fiel in einen traumlosen Schlaf. Mitten in der Nacht wachte er auf einmal auf. Jetzt war ihm eingefallen, wem der Mann am Flughafen ähnlich gesehen hatte! Dem internationalen Terroristen nach dem man im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsgipfel fahndete. Kurz beschlich Ben ein ungutes Gefühl, aber dann verwarf er den Gedanken wieder. Diese Leute sahen doch alle fast gleich aus und so genau hatte er ihn auch nicht gesehen-was er sich nur schon wieder einbildete! Aber wenn er zurück in Deutschland war, würde er der Sache nachgehen und mit Semir darüber sprechen-sie hatten schließlich noch die ganze Woche Zeit, aber jetzt würde er sein Wochenende genießen!


    Sarah verlebte ein paar wundervolle Tage mit ihrem Bruder und seiner Familie. Der kleine Tim wurde von allen gehätschelt und geliebt und war der kleine Prinz in der Kinderschar. Sie hatte mit Ben ausgemacht, dass sie erst am Sonntag wieder telefonieren würden, denn er wusste nicht, wie seine Tage ablaufen würden und wenn er im Rennauto saß konnte er nun beileibe keine Ablenkung gebrauchen, darum hatten sie diese Regelung auf seinen Wunsch hin getroffen, aber Sarah gestand ihm ja durchaus sein Privatleben zu-er sollte auch mal Urlaub von der Familie machen dürfen!


    Semir hatte am Freitag tatsächlich gemeinsam mit Andrea die Farbe besorgt. Die Kinder wurden übers Wochenende zu den Großeltern gebracht, so konnten Andrea und er ungestört arbeiten und am Freitagabend hatten sie das Wohnzimmer ausgeräumt und alles abgedeckt, damit Semir gleich am Samstagmorgen beginnen konnte zu streichen.

  • Ben, die Haug-Brüder und Brami trafen sich beim Frühstück. Ben war voller Tatendrang und freute sich auf den Tag. Das Grundstück des reichen Tunesiers wurde von einer Menge Sicherheitsleute bewacht und im Vorbeigehen sah Ben, dass in einem Nebengebäude eine Art Speisesaal fürs Personal war. Dort war alles wesentlich einfacher gehalten, während die Villa Brami´s vor Luxus nur so strotzte. Als sie-diesmal mit zwei Geländewagen-das Grundstück verließen, ritt gerade die Tochter Brami´s auf einem wunderschönen, lackschwarzen Araberhengst vorbei und sah ihnen sinnend nach.
    Nun fuhren sie etwa eine Stunde, vorbei an Golfplätzen, Ferienanlagen und riesigen Hotels. Ben erinnerte sich daran, was er in der Schule über Tunesien gelernt hatte. Dort waren eigentlich überwiegend die Küstenregionen besiedelt und es zog sich sozusagen ein grünes Band entlang des Mittelmeers, während im Landesinneren vor allem eines war: Wüste-die Sahara! Nun ließen sie besiedeltes Gebiet hinter sich, es wurde rauer und rauer, Felsformationen ragten in die Luft und eine unheimlich klare Luft ohne ein einziges Stäubchen war zu sehen. Die beiden großen Porsche Cayenne waren natürlich klimatisiert, aber Ben hatte sich morgens noch gedacht, dass es für Afrika hier noch verdammt frisch war und fröstelnd seine Winterjacke wieder angezogen. Endlich kamen sie an eine Strecke, an der schon geschäftiges Treiben herrschte. Über den Rundkurs mit mehreren Schikanen fuhr eine Kehrmaschine, Mechaniker hatten einige Boliden aus den Garagen gefahren und das Geräusch von Mehrzylindern die brummend aus der Tiefe ihrer Motoren ihre Kraft hören ließen, brachte Ben´s Herz zum aufgeregten Schlagen. Wie in Deutschland bei den Haug-Brüdern waren auch hier alte Tourenwagen aus den Neunzigern sorgfältig gewartet und hergerichtet. Über und über mit schnittigen Aufklebern versehen boten sie ein Bild der Nostalgie-in solchen Fahrzeugen waren schon Hans-Joachim Stuck und der Meister-Klaus Ludwig-wohl der erfolgreichste Tourenwagenfahrer aller Zeiten, unterwegs gewesen. Ben erinnerte sich, was er auf Wikipedia gelesen hatte-es hatte Jahre gegeben, in denen die Tourenwagenmeisterschaften ein höheres Budget verbraten hatte, als die damalige Formel eins-etwas was man sich heute fast nicht mehr vorstellen konnte! Allerdings hatten sich die Autohersteller dann so nach und nach wegen der immensen Kosten zurückgezogen und die kleineren Privatteams die ganz früher noch existiert hatten, waren sozusagen ausgestorben. Außerdem war die Vergleichbarkeit der Fahrzeuge nicht gegeben gewesen-jeder Hersteller hatte so seine eigenen Tricks und die Reglements schafften es nicht, da Ordnung reinzubringen. Man hatte dann versucht mit sogenannten Handicaps, wie im Galopprennsport-ebenfalls in Form von Gewichten-zu arbeiten, aber auch das hatte keine Gerechtigkeit gebracht.


    Ben war sich völlig im Klaren darüber, dass er in seinem Alter als Rennanfänger international nie eine Chance haben würde, aber das war auch nicht sein Ziel und reich war er schon-also brauchte er auch keinen Sponsor, aber er hatte sich einen Kindheitstraum erfüllt, indem er in diesen Fahrzeugen über die Rennstrecken-oder noch nicht eröffnete Autobahnstücke, wie er sich schuldbewusst erinnerte-über den Asphalt cruiste, den Geruch verbrannten Gummis einsog, dem Röhren der Motoren lauschte und das Gefühl spürte, wenn sein rechter Fuß das Gaspedal durchtrat, während der linke zur Bremse ging-ganz anders als beim normalen Autofahren.
    Zwei tunesische Fahrer, bereits in Rennanzügen, waren zu ihnen getreten. Ben begrüßte sie, konnte sich aber kaum verständigen, weil er nur ein paar Brocken französisch sprach-irgendwie hatte er diese Sprache, obwohl er sie in der Schule durchaus gehabt hatte-weitgehend verdrängt. Aber hier kam man mit englisch schlechter durch, denn neben der Landessprache tunesisch-arabisch, war Tunesien früher unter französischem Protektorat gestanden und dies hatte sich noch vielerorts erhalten. Ben´s Rennanzug und Helm waren aus Deutschland mit dem Flieger mitgebracht worden und so zog er sich, ebenso wie die Haug-Brüder, nun um. Dann wurden ihnen ihre Fahrzeuge zugewiesen. Ben bekam einen alten Porsche und Günther sagte lächelnd: „Da musst du dich nicht so umstellen, bei diesem Fahrzeug, das kennst du von zuhause.“ Als Günther sich umdrehte erhaschte er einen Blick von Brami, der nun lächelnd zu Boden blickte. Zwei einheimische Mechaniker blickten Ben irgendwie mitleidig an, hatte er den Eindruck, aber pah-denen würde er es zeigen, die dachten wohl, er hätte diesen Wagen nicht im Kreuz, weil sie ihn damit noch nie hatten fahren sehen!


    Ben wand sich wie die anderen seitlich ins Fahrzeug hinein-wegen des Überrollbügels konnte man in ein Rennfahrzeug nicht normal einsteigen-und auch das Lenkrad wurde erst danach aufgesteckt. Einen Moment hatte er das Gefühl, da hätte etwas gewackelt, aber dann beruhigte er sich-was er sich nur schon wieder einbildete! Über den Helmfunk gab nun Brami ihnen Anweisungen, der wie ein kleiner Junge vor seiner Carrerabahn auf einer erhöhten Tribüne saß, flankiert von seinem Leibwächter. Brami, der ja perfekt deutsch sprach, bat nun die Fahrer auf den Kurs, der von der Kehrmaschine inzwischen vom Saharasand befreit worden war. Vermutlich aus Kostengründen gab es keinerlei Fangzäune in den Auslaufflächen, sondern überall war Sand, allerdings teilweise durchaus von kleinen Felsen durchsetzt. Allerdings hatte Ben das zwar wahrgenommen, aber vor freudiger Erwartung klopfte inzwischen sein Herz bis zum Hals und er schob die Sicherheitsbedenken einfach beiseite. Ein wenig schuldbewusst rief er sich in Erinnerung, dass er ja eigentlich noch Psychologentermine wegen seiner Traumata und seiner Suchttherapie machen sollte, aber seitdem er bei Pro-Racing verkehrte, hatte er da keinen mehr wahrgenommen-wie viel aufregender war es doch stattdessen in den Rennsport hinein zu schnuppern! Das war gerade seine Therapie! Irgendwie hatte er sein Leben lang auf so eine Gelegenheit gewartet und sie nun einfach beim Schopf ergriffen, als sie sich ihm im Zuge der Ermittlungen bot. Das war vielleicht egoistisch, auch Sarah gegenüber, aber ein klein wenig Privatleben brauchte auch ein Polizist und Familienvater!
    Aber nun schob er die Bedenken beiseite, während er sich, wie die anderen Fahrer auch, erst langsam mit dem Kurs vertraut machte und die Motoren und Reifen warm gefahren wurden. Nach mehreren Einzelrunden, auch schon in höheren Geschwindigkeiten, nahmen er und seine Mitfahrer die Startaufstellung ein und auf die Anweisung von Brami hin, schwenkte einer der Mechaniker die Starterflagge und das Rennen begann.

  • Ben kam gut aus seiner Startposition weg. Er war Zweiter nach Günther Haug, während die drei anderen Fahrer auf den hinteren Plätzen fuhren. Ben merkte, wie das Blut pulsierend durch seine Adern schoss und die Adrenalinausschüttung in hellwach werden ließ. Ja das war es-ein Gefühl wie ein Orgasmus-der Rausch der Geschwindigkeit, das Fühlen der Strecke und des Fahrzeugs mit jeder Faser seines Körpers. Er war eins mit der Rennmaschine, gab gefühlvoll Gas und versuchte zunächst einmal Dietmar, der ja direkt hinter ihm war, am Überholen zu hindern. Er suchte die Ideallinie, holte auf den Geraden das Letzte aus dem Motor heraus, um in letzter Sekunde, wie er es gelernt hatte, vor den Schikanen abzubremsen. Allerdings musste er voller Neid anerkennen, dass sowohl vor, als auch hinter ihm zwei Könner am Werk waren.
    Günther blieb stur auf der Ideallinie. Ohne nur in irgendeiner Weise zu zögern, befuhr er mit traumwandlerischer Sicherheit den Kurs, wie Ben neidlos anerkennen musste. Man merkte die jahrzehntelange Rennerfahrung und wie er Ben einmal im Vertrauen erzählt hatte, waren sein Bruder und er in ihrer aktiven Zeit nur nicht erfolgreicher gewesen, weil sie eben einem dieser kleinen Privatteams angehört hatten, die nicht das Geld hatten, wie die großen Autohersteller, sondern ihre Fahrzeuge selber herrichten und tunen mussten. Anscheinend war Günther ein versierter Mechaniker, der das auch mal gelernt hatte und Dietmar hatte sich um die Elektronik gekümmert. Klar hatten sie kleinere Sponsoren gehabt, aber mit den Summen, die da ausgegeben wurden, hatten sie nicht mithalten können und waren so eben nicht in dem Maße erfolgreich gewesen, wie die Werksfahrer, die hinter sich Millionenkonzerne hatten. Deshalb waren sie damals gar nicht so unglücklich gewesen, als die deutsche Tourenwagenszene sich völlig verändert hatte und einige Jahre keine Meisterschaften mehr stattgefunden hatten. Sie hatten in dieser Zeit das Gelände gepachtet, die Kartbahn eröffnet und so ihr Auskommen gehabt. Jetzt sahen sie ihre Berufung in der Förderung junger Talente und nutzten ihre Beziehungen zur Szene, um den Leuten auch etwas zu bieten.
    Ben hatte allerdings bei seinen durchaus stattgefundenen Recherchen herausgefunden, dass es bisher keiner ihrer Schützlinge geschafft hatte, den internationalen, oder auch nur regionalen Durchbruch zu schaffen, wobei Günther ihm mit Tränen in den Augen versichert hatte, dass der tödlich verunglückte Andreas Benko das Zeug dazu gehabt hätte und kurz vor der Entdeckung gestanden habe.


    Nun musste sich Ben allerdings wieder am Riemen reißen, denn beinahe hätte er zu spät vor einer Kurve gebremst und das konnte übel ausgehen. Sie waren nun allerdings schon mehrere Runden unterwegs und Ben merkte langsam, wie anstrengend das eigentlich mental, wie auch körperlich war, denn Rennwagen auf Idealkurs zu halten. Heute Morgen hatte er noch gefröstelt und seine dicke Jacke angezogen, aber jetzt lief ihm unter seinem Rennanzug das Wasser vorne und hinten herunter. Er hatte nach dem Rennen sicher zwei Kilo weniger! Als er einen flüchtigen Blick in den Spiegel warf, war Dietmar noch immer dicht hinter ihm, während die beiden tunesischen Fahrer bereits mit einigem Abstand hinterherfuhren. Ben überlegte, dass die beiden Haug-Brüder diesen Kurs, der natürlich wesentlich kürzer war, als eine offizielle Rennstrecke, vermutlich gut kannten, denn ihr Umgang mit Brami, der in etwa in ihrem Alter war, war sehr vertraut gewesen. Die fuhren hier sicher nicht zum ersten Mal, umso stolzer war Ben, dass er sich eigentlich ganz gut schlug. Über den Helmfunk hatte Brami ihm seine Rundenzeiten mitgeteilt und die waren gar nicht so schlecht. Immerhin war er ja erst seit Kurzem im Geschäft und die Haug-Brüder waren eigentlich langjährige Profis. Aber Ben nahm nun seine ganze Konzentration zusammen-wenn er es heute schaffen würde, an Günther vorbeizukommen und dieses Rennen zu gewinnen, würde für ihn ein Traum in Erfüllung gehen!
    Auf der nächsten langen Geraden versuchte er sich schon in die Ideallinie zum Überholmanöver zu bringen. Er beschleunigte sein Fahrzeug auf beinahe 300 Sachen und hatte die nächste Schikane für den Überholvorgang geplant. Er würde erst ganz kurz zuvor abbremsen und dann innen an Günther vorbeiziehen-das musste einfach klappen! Dietmar war dicht hinter ihm und trieb ihn sozusagen vor sich her-einen kurzen Augenblick schoss Ben durch den Kopf: Wie ein Jäger das Wild- aber dann ging er in der letzten Sekunde auf die Bremse-und es geschah-nichts!


    Semir hatte im fernen Köln inzwischen schon die Hälfte des Wohnzimmers gestrichen. „Puh Schatz-jetzt machen wir mal Pause!“ sagte er aufseufzend, denn langsam ging das in die Knochen. Andrea holte kurz einen Döner beim Türken um die Ecke und Semir nutzte die Wartezeit und schaute im Internet nach, wie das Wetter in Cartagena in Südspanien war. „Trüb und Nieselregen!“ murmelte er. „Da hat Ben ja mal verdammtes Pech, da hätte er ja gleich zuhause bleiben können!“ dachte er noch, bevor er sich heißhungrig auf seine Mittagsmahlzeit stürzte, die Andrea inzwischen gebracht hatte.

  • Die nächsten Sekunden dehnten sich später in Ben´s Erinnerung zu Stunden. Erst trat er mit aller Kraft auf das Bremspedal und merkte, wie das leer durchging. Er hatte keine Chance, irgendetwas anderes zu tun, dazu war einfach das Tempo zu hoch und so schoss er zunächst geradeaus weiter und dann platzte plötzlich der rechte Vorderreifen. Diese Kombination brachte sein Fahrzeug dazu, bei dieser irrwitzigen Geschwindigkeit auszubrechen, es prallte gegen einen kleineren Felsen und begann dann, sich zu überschlagen. Weil die Bewegungsenergie so hoch war, reihte sich Überschlag an Überschlag und währenddessen brach der Porsche regelrecht auseinander. Der Sicherheitsgurt löste sich aus seiner Verankerung, der Überrollbügel brach an den Sollbruchstellen, die vorher vorbereitet worden waren und so wurde Ben mitsamt einem Haufen scharfkantiger Metallteile durch die Gegend geschleudert und prallte letztendlich mit voller Wucht mitsamt den Resten seines Fahrzeugs gegen einen größeren Felsen.


    Wegen des Adrenalinschubs hatte Ben momentan keinen Schmerz gespürt, aber sein Verstand arbeitete mit aller Schärfe und das Geschehen lief für ihn im Zeitlupentempo ab. Er versuchte auch noch, sich irgendwie anzuspannen und zusammenzukrümmen und das erste was ihm einfiel war, dass diese Manipulationen an dem Fahrzeug exakt denen an Benko´s Wagen glichen und dem das Leben gekostet hatten. Er wusste-wenn er in diesem Augenblick die Technik des Bremssystems sehen könnte, würde er das elektronische Bauteil entdecken, das eine Bremswirkung unmöglich machte. Im rechten Vorderreifen würde man die Reste des Sprengsatzes finden, der diesen ferngesteuert zum Platzen gebracht hatte. Wie dumm war er gewesen-hier war der Beweis, dass die Haug-Brüder eben doch an Benko´s Tod schuld waren, aber er würde das vermutlich niemandem mehr mitteilen können!
    Während wie in einer Achterbahn der Horizont in rasendem Wechsel aus allen Ebenen zu sehen war, begann nun Ben´s Lebensfilm vor ihm abzulaufen. Verdammt-das stimmte anscheinend doch, wie er nun am eigenen Leibe erfahren konnte. Von seinen ersten Erinnerungen aus der frühen Kindheit, dem Gefühl der Liebe und Geborgenheit bei seiner Mama, die ihn und Julia plötzlich alleine gelassen hatte, bis zur Zeit im Internat waren tausend Eindrücke auf einmal da. Seine Abiturfeier, die Kämpfe mit seinem Vater, der unbedingt gewollt hatte, dass er die Firma übernahm und sein erster Tag auf der Polizeischule. Dann die Zeit beim LKA und letztendlich seine erste Begegnung mit Semir bei der Autobahnpolizei, als er ihn mit dem Motorrad geschnitten hatte und der wütend aus dem Auto gestikuliert hatte. Nie hätte er sich damals träumen lassen, dass dieser kleine Türke einmal sein bester Freund werden würde, der mit ihm durch dick und dünn ging und mehr als einmal sein Leben riskiert hatte, um ihn zu retten. Sie verband eine wunderbare, bedingungslose Freundschaft und irgendwie dachte er keinen Gedanken zu Ende, sondern viele Situationen waren in seinem Kopf einfach da und er wusste, wie das alles zusammenhing.
    Dann erschien Sarah in seinem Leben und plötzlich hatte er Liebe, Vertrauen und Nähe, wie zuvor noch auf Dauer bei keiner Frau gespürt. Ihre gegenseitige Liebe war einfach wunderbar und fand ihre Krönung in der Geburt des kleinen Tim. Die Erinnerungen an dessen Geburt riefen so ziemlich die stärksten Gefühle, derer er überhaupt fähig war, hervor. Er roch noch einmal den unvergleichlichen Geruch seines neugeborenen Sohnes, hielt ihn schützend in den Armen und wusste, dass diese allumfassende Liebe zu einem kleinen Menschen einfach nicht zu übertreffen war. Er sah ihn lachen und strampeln und betrachtete ihn im Geiste voller Entzücken, als auf einmal der Aufprall kam und dann wurde es dunkel um ihn.


    Brami legte die Fernbedienung weg und ein siegessicheres Lächeln umspielte seine Lippen. Er steuerte das Schicksal vieler Menschen und diese Tat hier war durchaus symbolisch. Mit einem Knopfdruck konnte er Leben beenden und wer sich ihm in die Quere stellte, würde das schrecklich büßen müssen. Das würden auch die Politiker im fernen Köln in Kürze erfahren, denn die wollten über ein Wirtschaftsembargo gegen Tunesien abstimmen, weil hier der internationale Terrorismus eine neue Keimzelle hatte. Das würde ihn wirtschaftlich empfindlich treffen und deshalb würden die Leute, die darüber zu entscheiden hatten, eines schrecklichen Todes sterben und die Verbliebenen würden daraufhin aus Furcht vor neuen Anschlägen weitermachen wie bisher, damit er seinen eigentlich sowieso schon immensen Reichtum und politischen Einfluss vermehren konnte.
    Gemeinsam mit den Haug-Brüdern , die ihre Wagen geparkt hatten und ausgestiegen waren, ging er nun zur Unfallstelle, um die Überreste des deutschen Polizisten anzuschauen.

  • Wenig später standen Brami und die Haug-Brüder vor Ben, der völlig verdreht im Sand lag. Er gab kein Lebenszeichen mehr von sich-wie sollte jemand auch einen Aufprall bei dieser Geschwindigkeit überleben? Günther überlegte, ob er vorsichtshalber Ben´s Helm abnehmen sollte und nachschauen, aber dann zog er nur dessen Handy aus der Brusttasche des Rennanzugs, warf es zu Boden und zertrat es auf einem Felsstück. Man konnte nämlich erkennen, dass das Visier von innen voller Blut war und da ekelte es ihn nun schon-außerdem wollte er eigentlich nicht mit bloßen Händen eine Leiche anfassen, deshalb nickten er, sein Bruder und Brami sich zu und der Industrielle rief ein paar Worte auf Arabisch zu seinem Verwalter, der für die Instandhaltung und Bewachung der Rennstrecke und der Garagen zuständig war, woraufhin der sich umdrehte und wenig später mit einem Quad wiederkam. Aus der Ferne beobachteten sie noch, wie er den Körper auf die Ladefläche wuchtete und damit in der Wüste verschwand. Die Brüder und die beiden tunesischen Fahrer parkten die Rennfahrzeuge in den dichten Garagen, die sandsturmsicher waren und die Einheimischen kassierten eine größere Summe von Brami, stiegen in ihre Privatautos und fuhren davon.
    Dietmar nahm noch Ben´s Kleidung an sich, die der in der Umkleide abgelegt hatte, warf sie ins Auto und schon waren alle auf dem Rückweg zum Anwesen des Großindustriellen-nur der Verwalter, der in einer einfachen Behausung neben der Rennstrecke lebte, blieb zurück. Er war ein ganzes Stück in die Wüste gefahren und legte nun den Körper einfach dort ab. Den Rest würde die Sonne erledigen, denn er hatte durchaus wahrgenommen, dass der Mann noch lebte. Allerdings wurde der Verwalter von Brami so schlecht bezahlt, dass er für den sicher keinen Mord begehen würde. Allah würde sich des Mannes annehmen-er übergab ihn in dessen Hände und fuhr dann mit dem Quad, das mit seinen breiten Reifen und dem Allradantrieb wunderbar durch den Sand pflügte, zurück, um die Schrotteile des Rennwagens aufzusammeln und die Strecke wieder in Ordnung zu bringen. Als er zurückkam waren alle anderen schon verschwunden, aber die wunderbare Jacke, die der Verunglückte gleich nach seiner Ankunft ausgezogen und nachlässig über einen Stuhl gehängt hatte, war noch da. Kurz entschlossen nahm der Verwalter sie an sich-das war ein teures Stück und die Nächte in der Sahara waren eisig!


    Ben tauchte langsam aus der Bewusstlosigkeit auf. Es war nicht so, dass er plötzlich hellwach war, sondern er erwachte langsam und irgendwann war er völlig wach. Allerdings wünschte er sich nun nichts sehnlicher, als wieder in die Bewusstlosigkeit abzutauchen, denn der Schmerz war allumfassend. Erst flossen seine Gedanken träge, aber dann wusste er auf einmal wieder, was passiert war. Er war auf der Rennstrecke verunglückt-und zwar auf dieselbe Art und Weise wie Benko. Sein ganzer Körper war ein einziger Schmerz, er hatte Angst und Schwierigkeiten beim Atmen. Als er mühsam die Augen öffnete, konnte er nur einen roten Film sehen-oh mein Gott-war er vielleicht auch noch erblindet? Nach einigem Blinzeln allerdings stellte er fest, dass sein Kopf noch in dem Helm steckte und da irgendwie Blut über sein Gesicht gelaufen war. Als er nun versuchte, irgendeinen Körperteil zu bewegen, ließ er das momentan wieder sein, denn die Schmerzen dabei waren nicht auszuhalten. Nach einer Weile allerdings probierte er es wieder und tatsächlich gelang es ihm, wie in Zeitlupe eine Hand nach oben zu führen und das Visier zu öffnen. Nun fiel ihm das Atmen gleich leichter und noch ein bisschen später schaffte er es, seine Augen frei zu wischen und sich umzusehen. Aber rund um ihn herum war nur Sand-feiner heller Saharasand.

  • Ben blieb eine Weile liegen, wie er war, um dann systematisch ein Körperteil nach dem anderen zu bewegen, falls es möglich war. Die rechte Hand und auch der Arm funktionierten, allerdings musste er vorsichtig sein, denn wenn er zu schnelle Bewegungen machte, strahlte das in die linke Körperhälfte aus. Dort ging überhaupt nichts. Er spürte zwar jeden einzelnen Knochen, aber die Schmerzen beim kleinsten Versuch sich zu bewegen, waren einfach unendlich. Weder Bein noch Arm waren zu gebrauchen und als er nach einer Weile alle Kräfte zusammennahm und mühsam seinen Kopf hob, um an sich herunterzusehen, konnte er erkennen, dass sowohl das Bein, als auch der Arm in einem völlig unnatürlichen Winkel da lagen. Da war sicher was gebrochen und schwer atmend stellte er seine Bemühungen ein und legte den Kopf wieder zurück. Wenn er tief einatmete schmerzten auch seine Rippen auf der linken Seite und der gesamte Rücken bereitete ihm unendliche Pein. Ben schloss also die Augen wieder und versuchte sich ein wenig zu erholen, um dann weiter zu überlegen, was er tun konnte.


    Sarah war derweil auf der Insel Norderney mit Tim im Tragetuch, ihrem Bruder, dessen Frau und deren drei Kinder am Strand. Es war zwar kühl und eine steife Brise wehte, aber sie waren warm angezogen und die Luft blies unwahrscheinlich klar und schön. Die größeren Kinder sammelten Muscheln und zeigten ihre Funde dann immer den Erwachsenen. Sarah atmete tief ein. Das hatte sie als Kind auch immer gemacht und der kleine Tim beobachtete interessiert seine Cousinen und den Cousin. „Nächstes Jahr müssen wir mit dem Papa hierherkommen, dann kannst du auch schon durch den Sand laufen oder krabbeln, kleiner Spatz!“ redete sie mit ihm und Tim gluckste zufrieden. Als sie weiterliefen wurde er müde, kuschelte sich in sein Tragetuch, warm und geborgen bei Mama und schlief ein. Sarah dachte einen Augenblick unheimlich intensiv an Ben-warum hatte sie denn nur gerade so ein ungutes Gefühl? Aber dann widmete sie sich wieder dem Gespräch mit den anderen und lief langsam weiter.


    In der Sahara wurde es inzwischen ziemlich warm. Nicht so warm wie im Sommer, aber trotzdem hatte es so knappe dreißig Grad und die Sonne brannte unbarmherzig vom strahlend blauen Himmel, an dem sich kein Lüftchen regte. Ben lag immer noch fast bewegungslos in der prallen Sonne. Er hatte während des Rennens ja schon geschwitzt und der schwer entflammbare Unterzieher unter dem Rennanzug hatte sich mit seinem Schweiß vollgesogen, aber jetzt brach ihm das Wasser aus allen Poren und ein unheimlicher Durst bemächtigte sich seiner. Er kam sich vor wie in seiner privaten Sauna und dampfte sozusagen im eigenen Saft vor sich hin! Er versuchte wenigstens den Helm abzunehmen, aber mit nur einer Hand und den starken Schmerzen im Rücken und Brustkorb war das einfach unmöglich. Irgendwann begann er zu weinen und die salzigen Tränen liefen über sein blutverschmiertes Gesicht. Er würde hier jämmerlich verrecken, wenn keiner ihm zu Hilfe kam, aber wer sollte hier, mitten in der Wüste nach ihm suchen? Kein Mensch außer den Haug-Brüdern und Brami wusste, wo er zu finden war und alle anderen wähnten ihn in Südspanien. Nun fiel ihm etwas ein-sein Handy-das ging doch über Satellit, damit konnte er Hilfe holen, aber als er mühsam an seine Brusttasche fasste, war die leer. Nun bahnte sich die Verzweiflung ihren Weg und eine Weile schluchzte Ben laut, bevor er die Augen schloss und darauf wartete, dass es endlich vorbei war.

  • Ben meinte, er müsse zerfließen, so warm war ihm. Das letzte Tröpfchen Wasser floss aus seinen Poren, dabei fühlte er sich sowieso schon völlig ausgetrocknet. Die Minuten zogen sich zu Stunden und die Schmerzen schlugen über ihn herein, vor allem wenn er sich nur das kleinste bisschen bewegte. Ein paarmal wandte er den Kopf und sah in die flirrende klare Luft. Langsam begann sein Verstand sich zu verwirren und wenn er den Horizont betrachtete, meinte er Menschen aus seinem näheren Umfeld zu sehen. Einmal meinte er, dass Bonrath auf ihn zukäme-ein langer Strich in der Landschaft, aber nach einer Weile war der verschwunden. Plötzlich lief Sarah fröhlich lachend im Hochzeitskleid auf ihn zu, aber als sie näher kam und er sie glücklich betrachtete, war auch sie auf einmal weg. Semir ritt auf einem Kamel an ihm vorbei und als es ihm bewusst wurde, dass er gerade eine Fata Morgana vor seinen Augen sah, entwich ein trockenes Schluchzen seinem ausgedörrten Mund. Immer wieder meinte er Tim zu hören und zu sehen. Er hörte das Glucksen und Lachen seines meist fröhlichen Sohnes, dessen Augen nun dunkel geworden waren, wie die seines Vaters. Ach wie gerne würde er ihn ein letztes Mal in den Armen halten, ihm seiner Liebe versichern und ihm gute Ratschläge für sein weiteres Leben ohne Papa erteilen. Da hatte er nämlich Erfahrung damit, denn für seinen Vater war immer erst die Firma und dann die Familie gekommen. Er war in Internate abgeschoben worden, während Julia zuhause wohnen durfte und von Nannys versorgt wurde. Wenn er in den Ferien heim gekommen war, hatte er sich immer wie ein Fremdkörper gefühlt und seine Mutter schmerzlich vermisst. Nun würde er sie vermutlich bald wiedersehen, wenn das so war, wie man es in manchen Büchern lesen konnte und wie einem die Kirche versuchte weis zu machen. Vielleicht war es jetzt aber auch einfach endgültig vorbei-keine Spur mehr von ihm und man würde ihn in Südspanien als vermisst melden und dort suchen, während er auf einem anderen Kontinent in der Wüste verdorrte.


    Dabei hatte er sich so vorgenommen für seine Kinder-denn bei Tim sollte es nicht bleiben- ein toller Vater zu sein, der ihnen vor allem zwei Dinge schenkte: Seine Zeit und seine Liebe. Dass das mit dem Geld nicht wichtig war, hatte er selbst erfahren, denn er hatte davon immer genügend zur Verfügung gehabt, ohne dass es ihn zufrieden gemacht hatte. Sein Glück hatte er gefunden, als er seinen eigenen Weg gegangen war, gegen den Willen seines Vaters zur Polizei und dort vor einigen Jahren zur Autobahnpolizei versetzt worden war. Eigentlich war das nur als kleines berufliches Intermezzo gedacht gewesen, aber jetzt war er dort glücklich, was nicht zuletzt an seinem Partner und Freund Semir lag. Warum hatte er dessen Bauchgefühl nicht vertraut? Der hatte ihm klar und deutlich gesagt, dass die Haug-Brüder nicht sauber waren, nur hatte er ihm nicht glauben wollen, sondern einen Jugendtraum verwirklichen-mit den schlimmsten Folgen, die er sich vorstellen konnte.
    Das hatten die Haug-Brüder raffiniert eingefädelt und nachdem er das geänderte Reiseziel niemandem mitgeteilt hatte, weil er es so spät erfahren hatte, war er praktisch verloren. Durch seine Abmachung mit Sarah, nicht zu telefonieren, würde es frühestens Sonntagabend auffallen, dass er verschollen war und er machte sich keinerlei Illusionen-bis dahin war er tot!
    Und wenn er über die Gründe nachdachte, warum er aus dem Weg geräumt werden sollte, dann vermutlich deswegen, weil dieser Typ am Flughafen vermutlich doch der gesuchte Terrorist gewesen war. Er war da in etwas hineingeraten, dessen Tragweite er völlig unterschätzt hatte und das Einzige was er sich jetzt noch wünschte war, dass Semir die Haug-Brüder aufmischte und die Verschwörung aufdeckte. Vermutlich war die Kartbahn eigentlich eine getarnte Terrorzelle und die angeblichen Mechaniker waren Terroristen, die in Deutschland installiert waren, um Terrorakte zu verüben-beginnend mit dem Wirtschaftsgipfel nächste Woche. Benko hatte irgendeine Beobachtung gemacht, die den Typen gefährlich erschien und deswegen hatte er einen „Unfall“ gehabt-wie nun er ebenfalls. Die räumten ihre Widersacher aus dem Weg und er hätte es in der Hand gehabt, die Verschwörung aufzudecken, derweil war er naiv wie ein Zwölfjähriger gewesen und hatte das Rennfieber genossen, anstatt seine Arbeit ordentlich zu machen!


    Mit diesen Gedanken versank er in eine Art Agonie aus der er erst wieder erwachte, als der Mond riesengroß am Himmel stand. Er hatte begonnen zu zittern und mit den Zähnen zu klappern, denn so heiß es untertags gewesen war, so kalt war es jetzt in der Nacht. Er konnte sich an den Erdkundeunterricht erinnern-in der Wüste waren Temperaturunterschiede von 40°C keine Seltenheit, so heiß es untertags war, so sehr kühlte die bei Nacht ab, weil die schützende Wolkendecke fehlte, die das Klima in ihren Breiten gemäßigt machte. Wie sehr hatte er den Kölner Schneematsch gehasst-und jetzt wünschte er sich sehnsüchtig dorthin zurück.

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!