Drive-by

  • Playa del Inglés - 03:00 Uhr


    Die beiden Männer waren nicht euphorisch, es war eine seltsame Stimmung als sie gemeinsam am Flughafen Palma de Mallorca auf den letzten Flieger zurück auf die Insel Gran Canaria warteten und später im Flugzeug saßen, wo sie ein spätes Abendessen einnahmen. Sie sprachen nicht viel miteinander, sie spürten aber in sich eine tiefe Erleichterung, und doch auch eine gewisse Weise der Ernüchterung. Sie hatten ihr Ziel erreicht... André war sich sicher, dass seine Zukunft aufgrund der manipulierten Bilder nicht mehr gefährdet war, allerdings kämpfte er nach wie vor mit seiner Vergangenheit. Diese konnte durch nichts ausgelöscht werden, er musste versuchen damit zu leben, diese 14 Jahre vergessen, verdrängen. Er war Frank einerseits dankbar für seine Hilfe, andererseits erkaufte er sich seine Fotos in Verbindung mit einem Mord von Frank an Charlie. Hin und wieder blickte der große Mann zu seinem Sitznachbarn im Flugzeug, als gerade die Schlafbeleuchtung eingeschaltet wurde, und auch wenn sich die beiden 14 Jahre lang nicht gesehen hatten... André konnte den Blick von Semir immer noch gut deuten. Vollends zufrieden war der kleine Polizist auch nicht, und André wusste auch genau warum.


    Semir war Polizist mit Leib und Seele. Hätte er gekonnt, hätte er versucht Charlie festzunehmen, oder nach Franks Mord zumindest ihn... auch wenn er ihnen geholfen hatte. Der Kommissar kam schwer damit klar, einen Mörder einfach laufen zu lassen, auch wenn er sich immer wieder ins Gedächtnis rief, dass er hier kein Polizist sei. Er hatte sich selbst dazu entschieden, seinem Freund zu vertrauen, seinem Freund zu helfen... und das hatten sie geschafft.
    Er war erleichtert, dass André ihm die Wahrheit gesagt hatte. Er wurde tatsächlich gezwungen, er wäre erschossen worden, wenn er selbst nicht abgedrückt hätte. So glaube er seinem Ex-Partner auch, dass das Opfer kein unschuldiger Mensch war, denn er schätzte André so ein, dass er dann zumindest sich nicht kampflos in dieses Schicksal gefügt hätte. Semir war selbst in dieser Situation, als seine Töchter und seine Frau Andrea gekidnappt wurden, und der Kidnapper verlangte, Ben zu erschiessen. Er konnte es damals nicht, in einer verzweifelten Situation richtete er die Waffe sogar gegen sich selbst. Aber der Polizist würde niemals überzeugend abstreiten, dass er in solch einer verzweifelten Situation, wenn es um seine, oder die Gesundheit von seiner Familie oder seiner Freunde ging, einen Vergewaltiger zu töten. Darüber dachte er nach, während das Flugzeug langsam in den Sinkflug, die Lichter verschiedener Ortschaften zu sehen waren, die am Meer lagen und auch die Landebahn bereits zu sehen, und einige Minuten später auch zu spüren war. "Du denkst über Frank nach, nicht wahr? Dass du ihn hast laufen lassen." André konnte die Gedanken seines Freundes mühelos erraten. Semir nickte, bevor das Flugzeug anhielt. "Ich bin Polizist, André. Ich bekomm die Gedanken nicht aus dem Kopf. Aber das wichtigste ist, dass du mir die Wahrheit gesagt hast, und du jetzt nichts mehr zu befürchten hast." André lächelte dankbar mit müden Augen.


    Auf leisen Sohlen schlich Semir zu seinem Hotelzimmer. Draussen konnte er das leise Rauschen des Gartenwasserfalls hören, als er die Schlüsselkarte in den Schlitz steckte, und die Tür knarrend öffnete. Sofort ging das Licht im Zimmer an, und er beruhigte seine Frau sofort, bevor sie erschrak. "Ich bins, Schatz.", sagte er schnell, zog die Tür zu und kam zu seiner Frau ans Bett, die mit verschlafenen Augen aufrecht im Bett saß. "Wie siehst du schon wieder aus?", sagte sie ein wenig vorwurfsvoll, als sie Semirs Schrammen im Gesicht sah, was sie allerdings wenig überraschte. Trotzdem schlang sie sofort die Arme um ihren Mann, gab ihm einen Kuss und freute sich, dass er wieder da war... gesund und munter. Und anhand seines Gesichtsausdrucks konnte sie erkennen, dass die Reise offenbar nicht unerfolgreich verlief. "Wie ist es gelaufen?", fragte sie, während Semir, müde wie er war, begann seine Klamotten auszuziehen. Er wog den Kopf hin und her... normalerweise hatte er keinerlei Geheimnisse vor seiner Frau, aber er erinnerte sich gerade an diesen Gänsehaut-Moment am Strand. "Unser Geheimnis" hatten sie beide gesagt und eingeschlagen, bevor sie die Fotos verbrannt hatten. "Es stimmte... André wurde bedroht.", sagte er ein wenig knapp. "Hast du die Originalbilder gesehen?" Semir nickte: "Ja. Und André hat nichts mehr zu befürchten." Der kleine Polizist lächelte seine Frau an, die dieses Lächeln erwiederte, als er nur im Shirt und Shorts unter die dünne Bettdecke schlüpfte und sich dicht an seine Frau kuschelte. Dabei strich sie über die Kratzer an seinen Händen... "Und was habt ihr so erlebt?" "Ach, Schatz...", seufzte er dabei und grinste: "Das, was ich immer erlebe, wenn ich mal wieder jemanden retten muss." Es klang lustig und gleichzeitig ironisch, es steckte die Wahrheit dahinter, die Andrea verstand, und war doch eine Lüge weil André ihn letztendlich retten musste. Es dauerte nicht lange, bis Semir in den Armen seiner Frau erschöpft einschlief.



    Ben's Wohnung - gleiche Zeit


    Ben hatte die Bettdecke auf den Boden geworfen. Er hatte das Gefühl, dass dünne Tuch sei bleischwer auf seinem Körper, es brachte ihn zum Schwitzen obwohl sich die Luft durch das Unwetter abgekühlt hatte. Zuviele Eindrücke lagen auf diesem Tag, zuviele Bilder schwirrten durch seinen Kopf. Er lag im Bett, die Augen weit geöffnet, er drehte sich, wälzte sich und konnte einfach kein Auge zu tun. Jedesmal kamen ihm Bilder von einem kaputten Auto in den Sinn, von Metall und Blech, das sich um seinen Körper legte und ihm die Luft zum Atmen nahm.
    Dann dachte er über Walter Trauscher nach... Über die beiden unglaublich ähnlichen Schicksalsschläge, die den Mann in solch eine Wahnsinnstat getrieben hatten. Sie hatten ihn noch weiter verhört, und beinahe unter Tränen hatte auch er erzählt, was sein Bruder bereits gesagt hatte. Später gestatteten sie Gregor Trauscher seinem älteren Bruder beizustehen, während dieser gestand. Der Unfall seines Sohnes hatte in seinem Kopf einen Schalter umgelegt, ein psychischen Druck zum Entladen gebracht, der sich über die Jahre aufgebaut hatte. Seine Eigenschaft als sehr guter Schütze und guter Autofahrer kamen ihm dabei entgegen. Er wollte als Rächer auftreten, als Rächer aller Autofahrer, die durch unvorsichtige Fußgänger psychischen oder physischen Schaden genommen hatten. Die Opfer waren zusammenhangslos, es hätte jeden an den Raststätten treffen können. Sein, scheinbar zufälliges, Treffen mit Kevin erklärte er mit der Provokation durch die Medien. Später würde ihn ein Psychologe sicherlich untersuchen, und entscheiden ob Trauscher ins Gefängnis muss, oder doch in eine Psychatrie. Jedenfalls hatte das ziellose Morden ein Motiv... und letztlich doch ein Rachemotiv, was die beiden Polizisten auf der Pressekonferenz noch ausgeschlossen hatten. Und Kevin konnte sich ein wenig in den Mann hinein versetzen.
    All diese Gedanken hielten Ben wach... das Erlebnis in seinem völlig zerstörten Mercedes war dabei prägend in seinem Kopf. Morgen würde ein schwerer Tag vor ihm liegen... er wollte sich unbedingt mit Kevin aussprechen, und einen, für ihn, wichtigen Anruf tätigen.



    Krankenhaus - 6:30 Uhr


    Als die Neonbeleuchtung in Jennys Krankenzimmer aufblitzte, als die erste Krankenschwester zur ersten Visite des Tages hineinkam, staunte diese nicht schlecht. Auch Jenny, die langsam schlaftrunken die Augen öffnete konnte sich zwischen einem kurzen Schrecken und leiser Freude nicht so recht entscheiden, als die beiden Frauen auf drei zusammengeschobenen Stühlen den schlafenden Körper eines Mannes vorfanden. Kevin hatte den Kopf angelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt, die Beine ausgestreckt über zwei weitere Stühle und überkreuzt. Es sah nicht nach einem erholsamen Schlaf aus, denn der Mann gerade hatte, und dass er so schon seit 4 Stunden da lag. Er hatte um halb drei, nachdem sie das Büro verließen und er noch alleine drei Stunden in einer Bar verbrachte ohne wirklich viel zu trinken, sich ins Krankenhaus aufgemacht um Jenny sofort heute morgen davon zu erzählen, dass sie den Killer geschnappt hatten. Dabei hatte er die beiden Beamten, die vor Jennys Tür postiert waren, nach Hause geschickt.
    Jenny lächelte und war gerührt darüber, dass Kevin lieber die Nacht auf unbequemen Stühlen verbrachte als zu Hause in seinem Bett. Sie stand, noch etwas wackelig, auf und tapste barfuss zu den Stühlen, während die Krankenschwester sich, ebenfalls lächelnd, verzog. Sanft rüttelte das Mädchen an Kevins Schultern, der daraufhin ebenfalls erwachte, und Jenny anblickte. "Bist du schon wieder umgezogen?", fragte sie belustigt und behielt ihre Hand, rein zufällig, auf seiner Schulter, als sich der Mann langsam aufsetzte. "Ich hatte nach gestern einfach keine Lust, alleine zu schlafen.", meinte er mit einem recht müden Lächeln und machte Jenny Platz, damit sie sich auch setzen konnte. Sie wünschten sich einen guten Morgen, und dann erzählte der Polizist alles, was sich gestern nach seinem Besuch zugetragen hatte. Dabei ließ er den Streit zwischen Ben und ihm immer noch weg, genauso wie er es vermied seine Rolle bei Bens Betreuung heraus zu stellen.


    Jenny war erstaunt über das Motiv des Mannes, und dass er Jennys Verletzung einfach so in Kauf genommen hatte um auf die Provokationen zu antworten. "Er wollte mich nicht töten?", fragte sie ungläubig. "Und was, wenn ich mich gerade in dem Moment wieder hingesetzt hätte?" Kevin zuckte mit den Schultern. "Rache macht krank, Jenny. Ich glaube nicht, dass der Mann in seinen Gedanken noch sehr rational gehandelt hat, auch wenn es von aussen den Eindruck machte." Was sich wie eine perfekte Ausbildung in Psychologie anhörte war in Wirklichkeit eigene Erfahrung von Seiten Kevin... und Jenny spürte das, als sie die Stimmlage hörte, mit der Kevin sprach und dabei in seine hellblauen Augen blickte. "Ja...", sagte sie nachdenklich und lehnte ihren Kopf an seine Schulter, als wäre es das Normalste von der Welt. Sie fühlte sich geborgen, wo sie hier doch so oft und viel alleine war, und sie war froh, dass diese potentielle Gefahr nun hinter Gitter war. "Und jetzt?", fragte sie wieder etwas vergnügter, und hoffnungsvoll setzte sie hinzu: "Bleibst du bei uns?" Kevin lächelte, aber es war ein eher bitteres Lächeln, denn er wusste was ihm wohl heute noch bevorstand: "Ich weiß es nicht..."

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen


    <3

  • Dienststelle - 9:30 Uhr


    Verdammt... Ben hatte verschlafen. Das war an sich nichts aussergewöhnliches, dass der Polizist hin und wieder zu spät zum Dienst kam, aber als sein Wecker 9 Uhr anzeigte, statt halb 7 war doch geschlagene zweieinhalb Stunden zu spät. Erst im Morgengrauen waren dem Mann die Augen zugefallen, nachdem er sich die ganze Nacht mit düsteren und engen Gedanken umher gequält hatte. Jetzt sprang er in Rekordtempo unter die Dusche, danach in seine Jeans, Shirt und Schuhe. Es war draussen wieder herrlicher Sonnenschein, ein neuer Sommertag der sich nichts mehr an das schwere Unwetter von gestern anmerken ließ. Nur war es nicht gerade so heiß, sondern angenehme warmen Temperaturen.
    Bens Klimaanlage lief schon auf Hochtouren in dem Dienstwagen, mit dem er gestern heimgefahren war, als er mit seinen halbfeuchten Haaren an der Dienststelle ankam. Er hatte in der Nacht lange Zeit gehabt zu überlegen, wie er mit Kevin reden wolle, wie er sich entschuldigen wolle, wie er seinen unkontrollierten Ausbruch und die harten Worte, die er dem jungen Mann über ihn und seine Vergangenheit an den Kopf geworfen hatte, erklären wollte. Es schien, als würde er einen Brief schreiben, den Brief nach mehreren Zeilen wieder ausradieren, von vorne anfangen und wenn er dann fertig war, zusammenknüllen und wegwerfen. Als er aus dem Wagen stieg hatte er immer noch keinen Plan, keine konkrete Idee, wie er das Gespräch gestalten sollte. Er wollte es einfach auf sich zukommen lassen, aber er sagte sich selbst immer wieder, dass er es heute unbedingt tun musste. Der Fall war geklärt, der eine Druck, die unwirkliche Gefahr eines potentiellen Anschlags, war vorbei. Sie würden vermutlich noch einige ruhigere Tage haben, mit Streifendienst verbringen, bis Semir wieder da war, und Kevin erneut die Abteilung wechseln würde.... vielleicht. Also musste es heute sein... je eher, desto besser.


    Ein wenig gehetzt ging Ben mit schnellen Schritten in das Großraumbüro, grüßte Hotte und Bonrath und wunderte sich, dass Zweiterer in zivil am Schreibtisch saß. Er sah durch die Fensterscheibe in sein Büro, konnte Kevin dort aber nirgends erkennen, obwohl er sein Motorrad auf dem Parkplatz stehen gesehen hatte und sein Helm auf Semirs Schreibtisch liegen sah. Als Ben den Blick umherschweifen ließ durch das Büro, das wie immer erfüllt war von Gesprächen, Telefonklingeln und Funkgeknatter, blieben seine Augen auf dem Büro der Chefin haften. Für einen Moment setzte Bens Herzschlag aus, ein ungutes Gefühl sammelte sich in seinem Magen, als hätte er eine böse Vorahnung...
    Es waren nur wenige Schritte, die ihn von der Glastür zum Büro der Chefin trennte, und er überwand sie in Sekunden. Noch bevor die Tür komplett offen war, entschuldigte sich Ben: "Tut mir leid, Chefin... also für die Verspätung. Sind sie... seid ihr schon in der Nachbesprechung des Falls?" Die Chefin sah ihren Mitarbeiter streng und tadelnd an: "Herr Jäger... ich hätte sie schon hereingebeten, wenn wir etwas zu dritt zu besprechen hätten." Bens Unwohlsein stieg weiter an. "Aber momentan möchte ich mich mit Herrn Peters alleine unterhalten. Also?" Der Polizist schnappte auch den Blick seines Partners auf und konnte ihn, wie bei Kevin so oft, nicht richtig deuten. Er schien in seltsamer Art und Weise resigniert und... müde. Ja, Kevins Augen wirkten richtiggehend müde. Hatte er schlecht geschlafen? Oder wirkten sie nicht körperlich müde, sondern eher... seelisch müde. Mit einem genuschelten "Sorry..." zog Ben seinen Körper wieder aus der Tür und schloß diese langsam hinter sich. Sein ungutes Gefühl hatte sich in einen Brechreiz verwandelt, als er von Hottes Tisch aus das Gespräch zwischen Kevin und der Chefin beobachtete. Eigentlich war es ein einseitiges Gespräch, denn es sprach fast ausschließlich der sonst so schweigsame Kevin. "Bitte, lass ihn nur von dem Fall berichten...", murmelte Ben leise. "Wisst ihr um was es geht?", fragte er dann, lauter und deutlich an die beiden Streifenbeamte Hotte und Bonrath gerichtet. Beide zuckten nur mit den Schultern und schüttelten mit den Köpfen, auch wenn der erfahrene Herzberger eine Vermutung hatte, die er unausgesprochen ließ. Ben beobachtete die Szenerie, das Kopfschütteln der Chefin, dann sagte sie mal was, es schien tadelnd aber irgendwie ebenfalls ein wenig hilflos, dann hörte sie wieder nur zu, wobei sich ihr Gesichtsausdruck immer mal veränderte... vom Interessierten ins Geschockte, und wieder zurück. Die Hoffnung des Polizisten, dass es nur um den Fall ging, den sie gemeinsam gelöst hatten, schwand von Minute zu Minute...


    Als Kevin aufstand wandte sich sein Partner scheinbar zufällig ab und verzog sich in sein Büro. Es dauerte nur wenige Augenblicke bis auch Kevin hereinkam... er schien seltsam erleichtert, er lächelte in Bens Richtung und wünschte ihm "Guten Morgen.", der dieses erwiederte. "Auch ne scheiss Nacht gehabt?", fragte der Mann mit den wuscheligen Haaren, und sein Partner nickte. "Kann man so sagen." Er war wenigstens halbwegs schön geweckt worden, dachte der schweigsame Mann, wenn er daran dachte dass heute morgen das Erste, was er gesehen hatte, Jennys lächelndes Gesicht war.
    "Habt ihr... habt ihr über den Fall gesprochen.", fragte Ben zögerlich, er hatte sich in den Drehstuhl zurückgelehnt und ein Bein quer über das andere gelegt, während Kevin stehenblieb und mit Blickkontakt zu Ben nickte. "Und?" "Die Chefin hat den Haftbefehl beantragt, und Trauscher sitzt erstmal in U-Haft. Die Akten gingen heute morgen schon an die Staatsanwaltschaft." Kevins Kollege lächelte siegessicher. "Dann waren wir ja nicht so schlecht, hmm?", meinte er, doch seine Stimme hatte immer noch etwas zögerliches, und er spürte, dass jetzt alles raus musste.
    Er stand von seinem Stuhl auf, sein Lächeln verschwand und er stellte sich Kevin direkt gegenüber. "Kevin, es tut mir leid. Es tut mir leid, was ich gesagt habe im Krankenhaus. Ich kanns mir eigentlich nicht erklären... nicht erklären wie mir so etwas rausrutschen konnte. Es war noch nicht gesagt, da wollte ich es schon zurückholen, und...", er merkte, dass er sich in Phrasen verhedderte und blickte direkt zu Kevin. "Es tut mir leid... wirklich." Sein Kollege spürte deutlich Bens Hilflosigkeit in dieser Situation, und er war nicht der Typ der so eine Situation ausnutzte. Er wusste selbst, dass er teilweise unmöglich darauf reagierte, doch Kevin war von Bens Worten schwer getroffen, es hatte sein Vertrauen beeinträchtigt, seine Offenheit gegenüber Ben getrübt, wenn er so unsensibel mit solchen Dingen umging. "Es ist schon okay.", sagte er mit seiner monotonen Stimme, als wären ihm Bens Entschuldigungen unangenehm. "Ich hab mich danach auch nicht fair verhalten.", setzte er noch hinzu, und Ben atmete erleichtert auf.


    Doch etwas lag dem Polizist noch auf dem Magen... dieses ungute Gefühl, das er hatte, seit er Kevin bei der Chefin erblickt hatte. "Wenn du willst...", sagte er schnell "...stell ich die Sache bei der Chefin klar. Ich denk mir was aus, wie ich diesen Ausspruch über dich erklären kann, okay?" Darüber hatte er sich auch die ganze Nacht Gedanken gemacht, wie er möglichst glaubwürdig irgendetwas behaupten kann, was die Chefin zu viel in die beiden Sätze interpretiert hat. Doch Kevin schüttelte den Kopf, und sagte Worte, die Ben wie Pfeile ins Herz trafen. "Das ist nicht mehr nötig." Das Lächeln verschwand aus dem Gesicht von Semirs Langzeitpartner, es wich einem versteinerten Entsetzen, seiner Befürchtung und sein Magen wollte sich auf den Kopf stellen. "Was meinst du ... damit?", fragte er stotternd, obwohl er sich die Antwort längst denken konnte. Er war beeindruckt von Kevins Selbstsicherheit, sollte sich das bewahrheiten, was er vermutete. "Ich habe der Chefin die Wahrheit gesagt." Kevins Freund schluckte auf, seine Augen waren aufgerissen, sein Mund halboffen. "Was... was hast du ihr... erzählt?" "Alles", antwortete der schweigsame Mann. "Alles, was sie wissen wollte. Wie du darauf kamst, mich einen Drogendealer zu nennen... also habe ich ihr erzählt, dass ich mit Drogen gedealt hatte. Wie es dazu kam? Weil ich in einer Jugendgang war. Was ich sonst noch so angestellt hatte", dabei zuckte er am Ende mit den Schultern. "Den Rest kennst du." Seinem Gegenüber wurde schwindelig, so dass er sich ebenfalls gegen den Tisch lehnte, und erstmal keine Worte fand. Ben fuhr sich mit der Hand über den Mund, seine Augen drückten Entsetzen aus, als er merkte was er getan hatte... er hatte in einem Affekt Kevins komplettes Geheimnis aufgedeckt, was er und Semir in einer Kneipe vor einem halben Jahr geschworen hatten, gut zu behüten. "Und sie hat mich gefragt, was das Wunder gewesen wäre, das keins war.", meinte der junge Polizist noch... nicht um das Messer in Bens Brust noch einmal herum zu drehen, sondern um jetzt auch nichts aus zu lassen. Er stotterte: "Und... du hast... alles erzählt?" Ein stummes Nicken war die Antwort. "Aber warum?" Ben klang beinahe verzweifelt, als ihm die Tragweite seines Ausbruchs langsam bewusst wurde. "Ich habe keinen Bock mehr jedem etwas vorzulügen. Der weiß das von mir, der andere weiß nur das von mir und ich muss jedes Mal aufpassen, wie ich auf etwas reagiere, um mich nicht zu verraten." Und als wäre dieser Satz wichtig, wiederholte er ihn noch einmal mit Nachdruck seiner monoton klingenden Stimme, und mit festen Augenkontakt zu Ben: "Ich hatte keinen Bock mehr." Ben fuhr sich mit den Fingern durch die Augen, durch die Haare und blickte von Kevin weg, als er ein leises: "Oh Gott..." anführte. Er fühlte sich schrecklich schuldig, denn er wusste was auf Kevin jetzt zu kam.


    Für einen Moment herrschte Stille. Kevin fühlte sich in gewisser Weise erleichtert. Die Frage, wo er wohl hinging, nachdem Semir wieder zurück aus dem Urlaub kam, würde ihn wohl nicht mehr beschäftigen. Die Chefin wusste nun, wer dieser Kerl wirklich war, was er erlebt hatte und was ihn geprägt hatte. Vielleicht würde sie ihn in Zukunft, falls sie noch einmal aufeinander treffen würden, besser verstehen. Ben dagegen fand keine Worte über das, was er gerade gehört hatte. Er wusste, wie wichtig die Arbeit für Kevin war... er wusste, was es für ihn bedeutete, Polizist zu sein, Menschen zu helfen dass sie nicht das Gleiche erleiden mussten, wie er damals. Und nun schien diese Existenz gefährdet, weil Ben sich nicht unter Kontrolle hatte... weil Ben nicht der Partner war, der er sein musste. Der hinter Kevin stand, hinter der Entscheidung den Kerl zu provozieren. Er hatte sich von seinre Angst leiten lassen.
    Kevin unterbrach die Stille, als er sagte: "Mach dir keine Vorwürfe, Ben. Irgendwann wäre es wohl eh rausgekommen." Ben schüttelte den Kopf, er konnte das nicht glauben. Er hatte gehofft, dass Kevin seine Erinnerungen nicht vergessen würde, aber nach hinten schieben könne. Je länger etwas her ist, desto eher ist es vergilbt. Doch er hatte das Gegenteil bewirkt, Kevins Vergangenheit war präsenter als zuvor. "Ich soll dich nach mir zur Chefin schicken.", meinte der Mann mit den zackigen Haaren dann noch sachlicher, den Blickkontakt senkend.


    Wie in Trance ging Ben durch das Großraumbüro, und es kam ihm vor, als würden Bonrath und Hotte ihn vorwurfsvoll ansehen, was eine völlige Einbildung war. Als er sich auf den Stuhl vor den Schreibtisch der Chefin niederließ, fühlte er sich als Schüler, der von seinem Lehrer gleich die größte Standpauke seines Lebens erhalten würde. Die Chefin schloß die Tür und setzte sich an ihren Tisch, die Hände gefaltet und ihren Mitarbeiter durchdringend ansehend. Sie war einigermaßen beeindruckt, aber auch geschockt von Kevins Geständniss und seiner Lebensgeschichte. Um den heißen Brei reden wollte sie auch nicht. "Haben sie es gewusst?" Ben blickte sofort auf, wollte aber erst auf ahnungslos tun. "Gewusst... was?" Anna Engelhardt verdrehte die Augen. "Lassen sie das, Jäger.", sagte sie streng. "Ich kann mir gut vorstellen, dass sie alles über Kevin wussten. Sie brauchen es mir nicht zu bestätigen." Doch Ben tat es... er nickte und sagte leise: "Ja... ich habe es gewusst." Die Chefin fühlte sich selbst nicht gut, die ganze Sache war unangenehm für sie und die ganze Dienststelle. "Und sie haben es mir nicht gesagt, um ihn zu schützen?" Ein tonloses, klägliches Nicken ging von ihrem besten Mitarbeiter aus. "Weil sie genau wussten, was ich dann tun muss?" Der Mann blickte auf, und seine Augen waren traurig und hilflos. "Bitte Chefin, tun sie es nicht. Geben sie ihm eine Chance... wir haben doch auch schon Mist gebaut. Sie stehen hinter ihren Männern, das weiß ich." Selbst wenn die Chefin gewollte hätte... sie hätte nicht gekonnt. Sie schüttelte erst langsam den Kopf und beugte sich dann zu Ben nach vorne: "Es geht hier nicht um einen geschrotteten Dienstwagen, um einen verprügelten Zeugen oder um ein drohendes Disziplinarverfahren.", sagte sie mit durchdringender Stimme: "Hier geht es um Verbrechen. Es geht um Dealerei, es geht um schweren Einbruch, es geht um Körperverletzung und vermutlicher fahrlässiger Tötung... oder sogar Todschlag." Die Worte seiner Chefin durchdrangen Ben wie Kugeln. "Wenn er angezeigt werden würde, es noch Beweise gebe... Ihr Partner würde ins Gefängnis gehen.", sagte sie streng, und Bens Blick richtete sich auf den Boden.


    Er hörte draussen das Starten eines Motorrads. Wie auf Knopfdruck erhob er sich, und sah aus dem großen Glasfenster, das zum Parkplatz hinausging... er konnte noch sehen, wie Kevin sich mit seinem Motorrad Richtung Autobahn entfernte. "Ich kenne Herr Peters nicht. Ich weiß nicht wie er tickt, Ben. Und ich muss mich... leider Gottes, an die Gesetze halten." Ben hörte die Stimme seiner Chefin im Hintergrund, während das Motorrad auf der Autobahn immer kleiner wurde, Ben aber unfähig war, ihm zu folgen. Er blickte sich um zur Chefin, die ebenfalls stand, und ihr Gesicht drückte keine Strenge aus, es schien ihr beinahe leid zu tun... ein bisschen jedenfalls. "Ich habe die Sache an das Dezernat für innere Angelegenheiten weitergeleitet. Die wird sich damit beschäftigen. Und was das in dieser Zeit für Kevin bedeutet, wissen sie." Der Polizist musste die Zähne zusammenbeißen... übersetzt hieß das, dass Kevin suspendiert war. Im besten Fall würde die Innere nichts gegen ihn unternehmen, im schlechtesten Fall würde er nie wieder Polizist sein. Der Gedanke ließ Ben die Tränen in die Augen steigen. "Sie haben recht...", sagte der Kommissar mit erstickender Stimme in Richtung seiner Chefin. "Sie kennen Kevin nicht. Sonst würden sie wissen, was das für ihn bedeutet... und sie würden anders handeln." Die Chefin konterte auf Bens Gefühle nicht mit ihrer Autorität, sondern mit einer unangenehmen Wahrheit: "Das...", sagte sie etwas zögernd, ohne gehässig zu wirken: "...hätten sie sich im Krankenhaus ebenfalls überlegen können."
    Ohne ein weiteres Wort verließ Ben das Büro seiner Chefin, ging mit schnellen Schritten in sein eigenes Büro und versuchte mit aller Macht, seine aufkommenden Gefühle zu unterdrücken. Noch schwerer wurde es, als er auf Semirs Schreibtisch Kevins Dienstwaffe und seinen Dienstausweis vorfand.

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen


    <3

  • Köln - 16:30 Uhr


    Ben kam der heutige Tag im Polizeidienst unendlich lang vor. Er zog sich wie Kaugummi, sein Kopf fühlte sich unendlich schwer an, und er war ungewohnt schweigsam, während er mit Bonrath Streife fuhr. Weil ausser zwei Unfällen heute nicht mal etwas Besonderes war, verkam der Tag zum stupiden Abfahren ihres Autobahnabschnittes, einigen Berichten zu schreiben... und nachdenken. Ben hatte genügend Zeit um über die letzten Stunden, den gestrigen Tag nachzudenken. Seine Worte gegenüber Kevin, die Folgen daraus. Er kam immer wieder zu dem Schluß, selbst alles kaputt gemacht zu haben. Und das Schlimme war: Er konnte nichts dagegen tun. Er konnte es nicht rückgängig machen, seine Entschuldigung hatte sein Partner angenommen und akzeptiert, was es eigentlich noch schlimmer machte. In Bens Innerem war ein Drang, ein Drang irgendetwas zu tun... Kevin anrufen, zu ihm nach Hause fahren, aber was sollte er sagen? Noch tausend Mal um Entschuldigung bitten, ihm erzählen, wie sehr es ihm leid tat? Er hatte die Entschuldigung angenommen, hatte nicht mal rumgeschrien, schien sogar erleichtert und trotzdem am Boden zerstört... und das machte Ben fertig. Die Gewissheit, verantwortlich zu sein, und nichts mehr dagegen tun zu können... es wa einfach ein ätzendes, bedrückendes Gefühl.


    Ben verspürte den Drang, mit irgendjemandem zu reden... doch mit wem? Bonrath, Hotte? Was konnten sie tun, ausser schlaue Ratschläge zu geben. Sollte er vielleicht Semir auf Gran Canaria anrufen, und ihm alles erzählen... und bewirken, dass Semir in seinem Urlaub sich Gedanken macht? Nein, das wäre auch nicht richtig.
    Um die Mittagszeit verließ der Polizist alleine die Dienstelle, und fuhr mit Semirs BMW zur Innenstadt. Er hielt vor einem Mehrfamilienhaus, drei Parteien wohnten hier in einer Nebenstraße. Kevins neue Adresse... es war weitaus gemütlicher und wohnlicher als der hässlische Plattenbau, in dem er vorher lebte und Ben wusste, dass er mit einem Transvestiten zusammenlebte, der ihn als Kind großgezogen hatte. Mit beklemmendem Gefühl trat er auf die kleine Treppe, bis er die Namen auf der Klingel lesen konnte. Er wollte reden, aber nicht über die Sache von gestern... sondern fragen, ob sie was zusammentrinken wollten, heute abend vielleicht ein bisschen Gitarre spielen. Ben wollte so normal sein wie möglich, auch wenn es ihm falsch erschien weiter der gute Freund zu sein, nachdem er gerade schuld daran war, dass Kevin seinen Job verloren hatte, zumindest vorrübergehend. Aber er musste etwas tun, die Gedanken brachten ihn um den Verstand und das Schweigen war quälend. Er hatte das Gefühl, dass auf der Dienststelle jeder sauer mit ihm war, ein regelrechter Verfolgungswahn. Jeden Blick von Bonrath nahm er negativ auf, und er beschränkte sein Gespräch während den Autofahrten auf das Notwendigste.


    Kurz nachdem er die Klingel gedrückt hatte, summte die Haustür und Ben trat ein. Direkt an der ersten Tür im Treppenhaus stand Kalle, eine staatliche Erscheinung, im Kleid. Man konnte die männlichen Züge in ihrem Gesicht erkennen, Ben schätzte sie auf Mitte 50, sie war größer als er und mindestens doppelt so breit. Kevin hatte erzählt, dass sie damals im Klub seines Vaters arbeitete, als Künstlerin, Sängerin und sich seiner angenommen hatte. Der junge Polizist war ihr dafür dankbar, war sie neben seiner Schwester doch lange die einzige Bezugsperson.
    "Was gibts?", fragte sie mit einer Mischung aus männlicher und weiblicher Stimme. "Ich... ähm... ich wollte zu Kevin.", stammelte Ben zuerst, bevor seine Stimme sicherer wurde. "Wer sind sie denn überhaupt?", fragte Kalle, und zog ein wenig misstrauisch die Augenbrauen nach oben. Sie machte keinerlei Anstalten Ben herein zu bitten oder näher zu begrüßen. "Mein Name ist Ben Jäger... ich bin ein Kollege von Kevin." Das Wort "Freund" brachte er in diesem Moment nicht über die Lippen. Kalle schien den Namen schon mal gehört zu haben, denn mit weiter hochgezogener Braue nickte sie. "Ahja..." Anscheinend hatte Kevin ihr erzählt, dass er seinen Job erstmal los war, und wer dafür verantwortlich war. "Kevin ist nicht da.", gab sie dann zur Information. "Und ich glaube dass es sinnlos ist, wenn sie weiter nach ihm suchen." Ben überlief eine Gänsehaut, als er daran dachte dass sie Kevin vor einigen Monaten schon mal verzweifelt gesucht hatten, und dabei das Schlimmste befürchteten. "Wie meinen sie das?" "Er hat mir alles erzählt.", sagte sie ein wenig missbilligend und der Polizist kam sich gleich ein paar Centimeter kleiner vor. "Und er hat gesagt, dass er erstmal Ruhe braucht... er hat seinen Rucksack gepackt, hat sich auf sein Motorrad gesetzt und mir nur gesagt, dass er für ein paar Wochen weg ist." Der Polizist seufzte auf und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Kevin reagierte, wie er immer reagierte. Als Einzelgänger, erstmal weg von allem, niemanden mehr an sich herankommen lassen. "Er hat nicht gesagt, wohin?", versicherte er sich. "Nein... der Junge ist erwachsen genug." Man merkte, dass Kalle nicht gewillt war, Ben irgendwelche Informationen zu stecken... vielleicht war es auch von Kevin so gewollt. Er bedankte sich bei dem Transvestit, dass nickend wieder in der Wohnung verschwand.


    Der Duft eines Krankenhauses war überall der gleiche. Desinfektionsmittel, sobald man das Gebäude betrat. Ben ging schnellen Schrittes durch die Flure, bis er bei Jenny an der Tür stand und klopfte. "Ja?", hörte er sofort ihre freudige Stimme, und blickte ins Zimmer herein. "Oh Ben... du bist es.", sagte sie mit einem Lächeln, anscheinend hatte sie jemand anderes erwartet. Der Polizist wollte wissen, ob Kevin noch jemandem Bescheid gesagt hatte, was er vorhatte... aber aufgrund von Jennys natürlicher freudiger Reaktion auf seinen Besuch, schwand seine Hoffnung bezüglich Jenny. Denn er bildete sich ein, dass Jenny mit Sicherheit sauer auf Ben war, nachdem was vorgefallen ist. "Hallo Jenny... wie gehts dir?", fragte der Polizist, schloß die Tür hinter sich und kam in das geräumige Zimmer, dass Jenny allein belegte. Er zog sich einen der Stühle ran, auf denen Kevin genächtigt hatte, und setzte sich zu seiner Kollegin ans Bett. "Ganz okay... die Narbe tut noch ein wenig weh. Aber ich darf vielleicht Ende der Woche raus.", erzählte die junge Frau und blickte Ben lächelnd an. "Ich hab gehört, ihr habt den Killer gefasst. Gratuliere!" Ben blickte etwas überrascht auf: "Achja... wer hat dir das erzählt?" "Kevin war heute morgen hier. Er muss heute Nacht gekommen sein, und hat hier geschlafen.", sie kicherte ein wenig dabei. "Da hat er mir grad alles erzählt. Aber...", sie blickte auf die Uhr, die an der Wand hielt und bemerkte, dass Ben ja eigentlich im Dienst war. "Wo steckt er denn? Habt ihr frei?" Nein, sie wusste nichts davon. Und offenbar war Kevin abgereist, ohne ihr Bescheid zu sagen. "Nein Jenny... ich habe nicht frei.", sagte er mit trauriger Stimme, und wagte es kaum seine Kollegin anzusehen, die sofort merkte dass etwas nicht stimmte. "Was ist denn los?", fragte sie einfühlsam, natürlich auch aus Neugier, was denn mit Kevin sei.


    Ben atmete tief durch... sollte er alles erzählen? Dann würde er aber Kevins Vergangenheit ebenfalls verraten müssen... er wusste ja nicht, wieviel Jenny davon wusste oder nicht. Nein, das konnte er nicht tun. "Kevin... ist verreist." Jenny lachte auf: "Aber das hätte er mir doch gesagt." Ben wog den Kopf hin und her, und murmelte: "Es ist vielleicht besser, wenn er dir das selbst erzählt, wenn er wieder da ist. Ich weiß nicht, wo er hin ist... ich hatte gedacht, er wäre vorher nochmal hier gewesen." Jenny merkte so langsam, dass Ben keine Scherze machte, und ihr Lächeln gefror ein wenig: "Wie meinst du das, dass er einfach verreist ist?" Ein leiser Seufzer glitt über Bens Lippen, und er blickte Jenny hilflos an. "Es wäre wirklich besser, wenn Kevin dir das erzählen würde.", sagte er und fühlte sich furchtbar in die Ecke gedrängt. Einerseits wollte er nichts von Kevins Vergangenheit erzählen, andererseits hatte seine junge Kollegin ihn jetzt quasi am Kragen... und Kevin selbst wollte eh nicht mehr lügen. Bei nächster Gelegenheit würde er es vielleicht selbst erzählen. "Nein.", sagte sie bestimmt, und konnte auch überzeugend sein, wenn sie wollte... das brauchte man auch als Polizistin. "Was ist los?" "Er ist suspendiert worden. Die Chefin hat ein Gespräch zwischen mir und ihm mitbekommen, in dem ich ihm etwas aus seiner Vergangenheit an den Kopf geworfen habe... und das war fatal." In Jennys Gesicht bildete sich ein großes Fragezeichen. Sie wusste zwar von Kevins Schwester, aber nichts von Kevins früherem Leben. "Seine Vergangenheit?" Ben nickte, aber er verschloß seinen Mund. "Darüber kann ich dir wirklich nichts erzählen."
    Er war seiner Kollegin dankbar, dass sie nicht weiterbohrte... eher schien sie erschrocken davon zu sein, wie rigoros Kevin reagierte... einfach abzudampfen, ohne etwas zu sagen. Heute morgen war er doch noch vollkommen locker. "Und wo ist er hin?" Ben schüttelte den Kopf. "Ich weiß es nicht... er hat sich seinen Rucksack gepackt, und ist weggefahren. Ich dachte, er hätte dir Bescheid gesagt." Jenny versetzte es einen Stich in die Brust. Ja, dass hatte sie auch von Kevin gedacht... aber scheinbar überschätzte sie die Zuneigung des jungen Mannes ihr gegenüber zu sehr. Hatte sie sich in etwas hineingesteigert? Der Abend bei ihr... ein Essen, DVD gucken... es war nichts passiert, ausser dass sie auf seinem Knie eingeschlafen war. Aber dass er hier übernachtete? Warum hatte er ihr nicht Bescheid gesagt, dass er wegfuhr... war sie ihm doch so unwichtig... doch nicht mehr als eine Kollegin. Ihre Augen wurden traurig, als sie Ben ansah, der kapierte dass Kevin seine Entscheidung allein traf. Oder auch er hatte die Beziehung zwischen den beiden überschätzt.


    "Es tut mir leid... ich wollte dich nicht traurig machen. Aber ich dachte, dass er mit dir vielleicht vorher darüber gesprochen hatte." Resiginierend und traurig schüttelte Jenny den Kopf. "Nein... er hat mir nichts gesagt." Dann atmete sie tief ein: "Warum sollte er auch. Wir sind nur Kollegen, so wie du und er auch." Ben blickte überrascht und wunderte sich über Jennys Tonfall. Offenbar war sie vor allem enttäuscht darüber, dass Kevin es nicht für nötig hielt, ihr irgendwas zu sagen. Er war ein typischer Einzelgänger und das müsste Jenny wohl auch noch lernen. Aber sie war unendlich traurig, denn sie hatte gedacht dass sie eine engere Verbindung zu dem jungen Mann hatte. "Ich... ich würd gern ein bisschen schlafen.", sagte sie leise zu Ben, aber vor allem wollte sie jetzt ganz allein sein. Der Polizist nickte verständnisvoll und stand von dem Stuhl auf. "Falls er sich meldet... ich sag dir sofort Bescheid." Jenny aber schüttelte den Kopf. "Wenn er das wollen würde, würde er sich bei mir selbst melden.", sagte sie und rutschte unter ihre Decke. Sie drehte Ben den Rücken zu, bis dieser aus dem Zimmer ging, nachdem er sich verabschiedete, denn sie wollte nicht, dass er ihre feuchten Augen sah. Ben ging es auf dem Flur nicht besser...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen


    <3

  • Eine Woche später


    Semir und Andrea hatten letztendes noch einen herrlichen Urlaub auf Gran Canaria. Nach der Rückkehr der beiden Freunde von Mallorca hing Semir zwar teilweise noch seinen Gedanken hinterher über alles, was passiert war, und ob er denn alles richtig entschieden und getan hatte, aber er verschob diese Grübelei meist auf die Nacht, oder wenn er morgens hin und wieder ein paar Runden im Pool drehte, zum Frühsport, bevor er Andrea und die Kinder weckte, und mit ihnen gemeinsam frühstückte. Sie gingen an den Strand, sie bummelten durch Playa del Inglés, spielten zusammen MiniGolf und hatten einfach eine Menge Spaß. André gesellte sich hin und wieder zu ihnen, verhalf Ayda zu einem Erfolgserlebnis bei einer abendlichen Animation "Der heiße Draht", und passte sogar einen Nachmittag auf die beiden Kinder auf, als Semir und Andrea den Buggy-Ausflug zu zweit wiederholten, und sich die Insel ansahen. Sie vertrauten ihrem ehemaligen Kollegen, für den diese Rolle neu war, andererseits er zusammen mit Felicita, die dazu extra ins Hotel kam, viel Spaß hatte.
    Nein, sie verlebten ohne Zweifel einen herrlichen Urlaub, in dem Semir den Klingelton seines Handys überhaupt nicht vermisste. Nach dem letzten Frühstück packte André die Koffer der Familie in den Kleinbus des Hotels, und die Gerkhans kamen erneut in den Genuß des exklusiven Shuttleservices. Vor dem Flughafen fielen die beiden Mädchen dem großen Mann nochmal um den Hals, Andrea umarmte ihren ehemaligen Kollegen ebenfalls herzlich und wünschte ihm alles Gute für die gemeinsame Zukunft mit Felicita. Als sie dann mit ihren beiden Töchtern einen Kofferwagen besorgte, blieben die beiden Männer kurz noch alleine. "Es freut mich, dass ihr noch einen schönen Urlaub hattet.", meinte André und blickte durch die Glasfront des Flughafens. "Du hast eine fantastische Familie." Semir lächelte, stolz und glücklich, über beide Ohren und schlug seinem Gegenüber freundschaftlich auf die Schulter. "Die wirst du auch haben.", sagte er dann, und sein Freund nickte. "Ich weiß gar nicht, wie ich mich bei dir für alles bedanken soll." "Ach André... wir haben uns doch nie gegenseitig gedankt, wenn wir uns früher aus der Scheisse gezogen hatten. Warum sollten wir jetzt damit anfangen?" Die beiden Männer mussten lachen, und sie fielen sich für einen Moment nochmal in die Arme, wobei André sich bücken musste, und Semir sich nach oben strecken. "Viel Spaß bei deinem Job. Und besuch uns mal mit Felicita in Deutschland." "Das mache ich... kommt gut nach Hause und pass auf der Autobahn auf dich auf." Beide Männer wussten, dass ihre Freundschaft vielleicht enger war, als früher. Bewusster, was sie aneinander hatten, und auf ewig verbunden, ob ihres Geheimnisses über André...


    Der Flug war ruhig, die Maschine hatte keine Verspätung und die Landung angenehm. Die Kinder hatten den ganzen Flug über zusammen Karten gespielt, und so waren alle vier bester Laune, auch wenn ihr Urlaub jetzt erstmal vorbei war. Bepackt mit ihren Koffern auf dem Kofferwagen verließen sie den Flughafen und erspähten sofort den silbernen BMW, an dem Ben wartete. Auf Semir wirkte er im ersten Moment ein wenig blasser als sonst, und auch sein Lächeln war nicht so euphorisch. "Hey, Companero", rief Semir und breitete für Ben die Arme aus. Die beiden umarmten sich kurz, und der kleine Polizist wunderte sich, wie unterschiedlich Freundschaften sein konnten. Auch Andrea umarmte Ben, drückte ihm ein Küsschen links und rechts auf die Wange, und Lilly gab keine Ruhe bis Ben sie nicht einmal auf den Arm nahm, während Semir die Koffer ins Auto hob. "Na, ihr Mäuse. Seid ihr so braun geworden, oder ist das noch Sand vom Strand?", scherzte er und bemühte sich erstmal, gute Laune zu verbreiten. In Wirklichkeit sehnte er sich sehr nach seinem Partner, gerade nach dieser schweren Woche, in der er nichts von Kevin gehört hatte, und auch nichts von den Ermittlungen der Inneren Abteilung. Nur eine kleine Info drang gestern über die Chefin zu ihm durch, und zwar dass die Innere Abteilung die Befragung von Kevin anstehen lassen musste, da er nirgends erreichbar war.
    Die kleine Gruppe stieg in den BMW, Semir zu Ben nach vorne, Lilly ging hinten in die Mitte zu Andrea und Ayda. "Wo ist denn dein Benz?", fragte Semir, und Ben lächelte ein wenig schnippisch. "Werkstatt..." "Hätte ich mir ja denken können." Bevor Semir seinen Freund fragen konnte wie es ohne ihn gelaufen ist, kam der ihm zuvor: "Wie war der Urlaub?" "Herrlich Ben... das Wetter, das Hotel, der Strand.", schwärmte Andrea von hinten. "Ich bin ohne Schwimmflügel geschwommen.", meldete sich Lilly aus der Mitte, und Ben, den sie als eine Art Onkel ansah, nickte anerkennend. "Ja, es war toll. Und unser Problem konnten wir auch lösen.", sagte Semir augenzwinkernd. "Aber das erzähle ich dir morgen in Ruhe, wenn ich auf der Dienststelle bin." Nein, bis morgen konnte Ben nicht warten... zumindest nicht mit dem, was er Semir erzählen wollte. Und so fragte er, nachdem sie vor Semirs Haus anhielten und Andrea bereits aus dem Auto stieg schnell: "Könntest du vielleicht kurz mit zur Dienststelle fahren? Es ist wichtig." Semir schaute kurz irritiert, spürte aber sofort den Stimmungswechsel seines Partners, so dass er zustimmte. Er kam sofort zurück, nachdem er die Koffer ins Haus getragen hatte.



    Dienststelle - 17:00 Uhr


    Die Fahrt verlief seltsam stillschweigend. Nichts war mehr zu spüren von Bens guter Laune, und Semir spürte dass etwas nicht okay war. Doch er fragte erstmal nicht, denn er wollte die Geschichte ganz in einem Stück hören, am besten auf der Dienststelle. Nur kurz redeten sie darüber, dass Andrés Schuld gemindert war, er damals wirklich bedroht wurde, und Semir auch entsprechende Beweise gesehen hatte.
    Es war bereits ruhiger im Büro, der Schichtwechsel in die Spätschicht war bereits vollzogen, die Chefin war nicht mehr da, Bonrath war bereits zu Hause und Hotte wollte gerade gehen. Er begrüßte Semir herzlich, sie tauschten einige Minuten Smalltalk über den Urlaub aus, bis dann auch Hotte sich in den Feierabend verabschiedete. Semir setzte sich in seinen Stuhl und lehnte sich zurück, während Ben sich mit dem Finger über die Lippen strich. "Na dann erzähl mal, was dir auf dem Herzen liegt." Natürlich hatte Semir gemerkt, dass das was Ben ihm zu erzählen hatte nichts erfreuliches war. Zu lange kannten sich die beiden nun, so genau wussten sie allein anhand des Gesichtsausdrucks, was in ihnen vorging.
    Und Ben erzählte... von dem Fall, von seiner guten Zusammenarbeit mit Kevin, von dem Plan, den Attentäter zu provozieren. Semir wunderte sich über die Methode, fand sie aber auf Anhieb nicht verkehrt. Aber er unterbrach seinen Freund nicht, sondern hörte weiter zu, wie Ben von dem Streit erzählte, dem Anschlag auf Jenny, der Semir kurz schockte obwohl die junge Kollegin mittlerweile zu Hause war, und dem folgenschweren Dialog auf dem Krankenhausflur. Der erfahrene Polizist fragte beinahe entgeistert: "Was hast du zu ihm gesagt?" Ben senkte den Kopf, er atmete hörbar. "Ich wollte es nicht... Es kam... es kam einfach." Auch Semir musste tief durchatmen, das war starkter Tobak. Aber er gab Ben ein Zeichen, weiter zu erzählen. Die Ermittlungen, der Unfall und die schlimme Situation im Wagen. Hier wechselte das Gefühl des Urlaubers wieder ins Erschrockene, dass er nicht da war um seinem besten Freund beizustehen. Das abschließende Gespräch mit der Chefin und die Tatsache, dass Kevin alles erzählt hatte, hinterließ wieder einen erstaunten Gesichtsausdruck bei dem Kommissar. "Er hat wirklich alles erzählt?" "Ich war nicht dabei... aber er hat zumindest gesagt, dass er kein Bock mehr auf das Versteckspiel hat. Seitdem ist er weg... seine Ziehmutter sagt, er wäre mit seinem Rucksack in Urlaub gefahren."


    Für einen kurzen Moment kehrte Stille in das Büro. Ben sah seinen Freund hoffnungsvoll an, als sage Semir etwas darüber und ihm würde es schlagartig besser gehen. Natürlich war das Wunschdenken. Sein Kollege konnte seine Meinung darüber äussern, aber er würde Bens Schuldgefühle nicht einfach zerstreuen können, höchstens mildern. Er dachte allerdings kurz nach, fuhr sich mit den Fingern über die hohe Stirn und sah dann Ben an... und merkte sofort wie sein Freund unter dieser Situation litt. Die Blässe im Gesicht, die leichten Ränder unter den Augen. "Du machst dir Vorwürfe, hmm?" sagte er mitfühlend, und sein Freund nickte. Er war schon froh, dass Semir ihm nicht sofort Vorwürfe machte, wie konnte er nur und was hatte er sich dabei gedacht. Aber Semir war zu erfahren im Umgang mit Menschen, zu erfahren im Umgang mit Ben, als dass er ihn sofort niedermachen würde. Er stand auf und stellte sich an den Tisch neben Ben, der es nicht wagte in irgendeine Richtung zu lange zu schauen, weil er befürchtete, feuchte Augen zu bekommen. So gut hatte er sich mit Kevin verstanden, so stolz war er dem ehemals recht labilen jungen Mann ein guter Partner zu sein, dem er sogar vertraute. So weh tat es nun derjenige zu sein, der das gesamte Kartenhaus von Kevin zum Einsturz gebracht hatte. "Was du gesagt hast, ist gesagt, Ben. Das brauche ich dir ja nicht zu erklären, und brauche dir nicht zu sagen... dass das nicht gut war.", meinte Semir. Er sagte es nicht tadelnd oder vorwurfsvoll, aber er sagte was er dachte. "Aber wir sind Menschen. Wir machen Fehler. Natürlich ist es blöd, dass ausgerechnet die Chefin es mitbekommen hat, dass du dich aufgrund der Situation überhaupt zu diesen Worten hinreißen lassen hast..." Semir konnte Ben natürlich nicht komplett von einer Schuld freisprechen... aber er versuchte ihm klar zu machen, dass das Leben weiterging... "Aber Ben: Letztendlich ist auch Kevin dafür verantwortlich, was er damals getan hat." Es klang hart in Bens Ohren, aber natürlich hatte sein erfahrener Partner auch recht. "Aber er hat es uns anvertraut...", meinte er mit trauriger Stimme. "Natürlich hat er das. Und du hast es ja auch niemandem erzählt. Letztendes war es nur ein dummer Zufall."


    Ben reichte das nicht... klar war es ein Zufall, es hätte genauso gut auch niemand hören können, als er Kevin als Drogendealer bezeichnet hatte. Aber es hatte nun mal jemand gehört. "Sieh mal...", sagte Semir mit etwas leiserer Stimme, und berührte seinen Partner leicht am Oberarm. "Warum, glaubst du, hat Kevin der Chefin die Wahrheit erzählt?" Ben schaute seinen Freund überrascht an: "Na, weil er nicht mehr lügen wollte. Weil er nichts mehr verheimlichen wollte." "Denkst du, er hätte es von sich aus auch erzählt, wenn dein Fauxpas nicht passiert wäre?" Der junge Mann schüttelte den Kopf, und Semir nickte zustimmend: "Vielleicht hast du ihm sogar einen Gefallen getan. Vielleicht fühlt er sich erleichterter, freier." Erinnerungen an Kevins Gesicht tauchten in Bens Kopf auf, als er sagte, dass er der Chefin alles gebeichtet hatte. Diese Mischung aus Traurigkeit und Erleichterung in seinen Augen, als wäre eine große Last von ihm abgefallen. Auf diesen Gedanken war er nicht gekommen, und vielleicht würde es helfen, ein wenig die Schuldgefühle verdrängen zu können. "Du hast vielleicht Recht.", stimmte er ihm erst zu: "Aber wenn er jetzt seinen Job verliert. Die Arbeit hat ihm doch sehr geholfen, das weißt du doch." "Ach, warte doch erstmal ab. Du kennst doch Kevin mittlerweile... der steht immer wieder auf. Was der alles schon erlebt hat, und immer ist er wieder hochgekommen. Die Innere bekommt den nicht klein.", meinte Semir aufmunternd und erinnerte sich, was er mit dem jungen Mann schon erlebt hat, und welche Schicksalsschläge er schon hinnehmen musste. "Die Innere schießt niemanden ab, den sie noch gebrauchen können. Und Kevin, mit der Erfahrung aus seinem früheren Leben, kann man in der Polizeiarbeit immer gebrauchen. Ausserdem sind seine Taten schon lange her, vieles davon dürfte bereits verjährt sein." Semir schaffte es, Bens dunkle Wolken zumindest ein wenig zur Seite zu schieben. "Du hast dich bei ihm entschuldigt. Er hat den Weg der Wahrheit gewählt. Was willst du sonst tun? Wir machen Fehler... alle machen Fehler. Und glaub mir: Kevin weiß, wie mies es ist, Schuldgefühle zu haben... und ich bezweifel, dass er es möchte, dass du dich so quälst.", sagte Semir dann und seine Worte trafen mitten in die Seele seines Partners. "Sonst hätte er deine Entschuldigung nicht angenommen." Der Polizist mit dem Wuschelkopf nickte dankbar ob Semirs Worte, auf die er so lange hat warten müssen. Die beiden Männer umarmten sich, und Ben murmelte ein kurzes "Danke" in Semirs Ohr.


    "Na los... lass uns was trinken gehen. Und dann erzähl ich dir, was ich mit André so erlebt habe." Ben nickte lächelnd und meinte: "Geh doch schon mal raus... ich muss noch kurz telefonieren."
    Als Semir das Büro Richtung Ausgang verlassen hatte, suchte Ben einen kleinen Zettel. Prof. Sahl, ein Psychologe bei dem Ben häufiger vorstellig war nach seinem traumatischen Erlebnis in einem Sarg, und dessen Nummer standen auf dem Zettel. Prof. Sahl hatte Ben damals in Gesprächen sehr geholfen, die Platzangst auf ein Minimum zu reduzieren, jetzt wählte Ben die Nummer auf dem Zettel. "Professor Sahl, mit wem spreche ich?", meldete sich die kernige Stimme des alten Mannes, der als einer der besten Psychologen in NRW galt. "Hier ist Ben Jäger, Hallo Herr Sahl.", meldete sich der Polizist, und der Psychologe erkannte sofort die Stimme seines ehemaligen Patienten. "Herr Jäger, schön von ihnen zu hören. Wie gehts ihnen?" Ben räusperte sich kurz, und sah durch die Glasscheibe heraus zu seinem besten Freund, der gerade ins Auto einstieg: "Professor Sahl... ich würde gerne in den nächsten Tagen bei ihnen vorbeikommen..."



    ENDE

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen


    <3

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