Wellness ganz anders

  • Semir richtete sich langsam auf. Der Gesteinsbrocken, der ihn am Rücken getroffen hatte, hatte zwar keine schlimmen Verletzungen verursacht, wie er sofort feststellte, aber weh tat es trotzdem. Diese Schwärze um sie herum war einfach undurchdringlich, aber er musste jetzt trotzdem sofort nach Ben sehen. Plötzlich durchbrach ein schwacher Lichtschein die Dunkelheit. Sarah hatte in ihre Jackentasche gefasst und dort den kleinen LED-Anhänger gefunden, den sie an ihrem Schlüsselbund hatte. Semir war erleichtert, dass sie nun wenigstens ein bisschen sehen konnten. „Sarah, ist dir was passiert?“ fragte er sofort besorgt, während er sich in Ben´s Richtung vortastete, aber zu seiner Erleichterung antwortete sie: „Nein, außer dem Schreck nichts. Hier oben war´s nicht so schlimm, aber Semir, was ist mit Ben?“ fragte sie angstvoll und richtete den Lichtstrahl in die Richtung des Tisches. Darauf sah man unter vereinzelten Gesteinstrümmern einen reglosen Körper liegen. Neben dem Tisch lag der Chemiker, verschüttet unter einigen kleineren Felsbrocken, Gesicht nach unten und rührte sich nicht mehr.


    „Bleib erst mal oben und leuchte mir!“ befahl Semir, denn Sarah wollte sich gerade einen Weg nach unten bahnen, aber dann konnte Semir dort überhaupt nichts erkennen und außerdem wollte er auch nicht, dass Sarah einen eventuell schrecklichen Anblick nah vor Augen hatte. So leuchtete Sarah mit zitternden Händen, während Semir begann die Gesteinsbrocken, wenigstens am Oberkörper, von Ben herunterzuräumen. Als er ihn anfasste überkam ihn eine große Erleichterung, Ben atmete, auch wenn er auf die Berührung sonst keine Reaktion zeigte. „Sarah, er lebt!“ rief Semir hinauf und die begann vor Erleichterung zu weinen.


    „Gut, jetzt kannst du versuchen, runterzukommen, aber sei vorsichtig!“ befahl Semir, denn außer dass Sarah Ben´s Freundin und die Mutter seines ungeborenen Kindes war, war sie ja immerhin auch noch eine erfahrene Intensivkrankenschwester und konnte vielleicht eher als er abschätzen, was zu tun war. Der Lichtstrahl bewegte sich von ihm weg und eine ganze Ecke entfernt war eine Art Treppe in den Fels gehauen, die weitgehend unbeschädigt war und so konnte Sarah, die sowieso klettern konnte, wie eine Katze, relativ gefahrlos zu ihnen kommen. Sie hörte auf zu weinen, als sie bei Ben und Semir eingetroffen war, atmete tief durch, was allerdings ein Husten zur Folge hatte, denn der Staub hatte sich noch nicht völlig verzogen und begann dann systematisch, Ben´s Vitalfunktionen zu prüfen. Semir hatte inzwischen die restlichen Felsbrocken von seinem Freund heruntergeräumt und begann nun die Fesseln zu lösen.
    Ben lag völlig schlaff da. Er hatte ein paar oberflächliche Verletzungen, unter anderem eine Kopfplatzwunde, die ziemlich blutete, aber man konnte sonst von außen nicht viel sehen. Mit Schaudern entfernte Semir die Klebeelektroden. Mein Gott, was hatte sein Freund da schon wieder aushalten müssen! Sarah hatte inzwischen Ben´s Puls an seiner Halsschlagader kontrolliert. Er schlug sehr schnell bei 130 Schlägen pro Minute, also hatte Ben entweder einen Schock, eventuell verursacht durch schwere innere Verletzungen, oder das Mittel, das er gespritzt bekommen hatte, verursachte das. Ben´s Atmung war relativ normal und nur leicht beschleunigt. Als Sarah ihm in die Augen leuchtete und die Pupillen kontrollierte, konnte sie keine Auffälligkeiten feststellen. Die waren weder verengt, noch erweitert, reagierten prompt und waren auch seitengleich, was gegen eine schwere Kopfverletzung sprach.
    Die Spritze war samt Nadel aus Ben´s Arm gerutscht und hatte einen kleinen Blutsee verursacht. Ohne viel nachzudenken, machte Sarah die Nadel ab, ließ die auf den Boden fallen und steckte die fast leere Spritze in ihre Jackentasche. Sie kniff Ben in die Wange und sprach ihn laut an, aber es kam keinerlei Reaktion von ihm. Semir hatte besorgt ihr Tun beobachtet und fragte nun: „Und, was denkst du?“ „Im Augenblick ist er relativ stabil, aber ich kann nicht ausschließen, dass er nicht doch schwere innere Verletzungen oder eine Gehirnerschütterung bis hin zur Hirnblutung hat. Er muss sobald wie möglich in ein Krankenhaus, wo man ihn einfach gründlicher untersuchen kann. Außerdem wissen wir auch überhaupt nicht, was für ein Medikament er gespritzt bekommen hat, ich hätte ihn gerne, sobald es geht hier draußen, es ist möglich, dass es um jede Minute geht!“ sagte sie. Gemeinsam drehten sie Ben noch um, aber am Rücken konnten sie keine Verletzungen erkennen und sie ließen ihn nun auf der Seite liegen.


    Semir nickte betreten und sagte dann: „Gibst du mir mal die Funzel? Ich schaue dann, ob wir hier auf tschechischer Seite rauskommen, oder vielleicht über die Galerie Hilfe holen können!“ und Sarah gab ihm mit einem Nicken ihren Schlüsselbund. Semir ging erst nach oben, um nach kurzer Zeit festzustellen: „Da geht nur ein Gang weg, vermutlich der, über den du reingekommen bist, aber der ist nach ein paar Metern verschüttet, da ist kein Durchkommen!“ rief er und kletterte wieder nach unten. Der Hauptgang, durch den er gekommen war, war zwar auch weitgehend verschüttet, aber es zweigten ja durchaus noch mehrere Stollen in andere Richtungen ab-vielleicht gab es so einen Weg nach draußen!


    In diesem Augenblick rief Sarah: „ Der eine Mann kommt wieder zu sich!“ und nun eilte Semir geschwind zu seinen Freunden zurück. Nach kurzer Überlegung zog er Ben vom Tisch und legte ihn vorsichtig auf dem Boden ab, dann zwang er mit vorgehaltener Waffe den Mann, der nun wieder bei Bewusstsein war, darauf zu klettern und fesselte ihn dort so, wie Ben dagelegen hatte. „Erklär mir wo´s rausgeht! Sonst lassen wir dich hier verschimmeln!“ sagte er grob, aber der Mann wandte den Kopf zur Seite und schwieg. Semir ging nun zu dem Toten und wollte ihm ein paar Kleidungsstücke ausziehen, um notdürftig Ben´s Körper zu schützen, aber die Sachen waren viel zu klein. Auf dem Boden neben dem Tisch entdeckte er dann Ben´s eigene Klamotten, aber die waren kalt, nass und voller Moorschlamm, aha er war also durchaus im Moor gewesen! Die konnten sie ihm nicht anziehen, da würde er nur noch mehr auskühlen. Nur die Schuhe legten sie ihm an, damit seine Füße geschützt waren, wenn er über den Fels gezogen wurde.


    Sicher wäre es vernünftiger gewesen, wenn einer versucht hätte alleine rauszukommen und Hilfe zu holen, aber die beiden anderen würden dann in der ungewissen Dunkelheit sitzen und Semir beschloss, dass das nicht zumutbar war. Er würde Ben mit sich schleppen und als er damit begann, wollte Sarah mit anfassen: „Nein Sarah! Du leuchtest uns, aber denk an das Kind-du sollst nicht schwer heben, ich schaff das schon!“ sagte er liebevoll und nun machte sich die kleine Truppe auf den Weg und verschwand in einem kleinen Stollen, der grob geschätzt in die richtige Richtung führte.

  • Andrea brauchte eine ganze Weile, um sich zu sammeln. Um Himmels Willen, wohin war Sarah nur gegangen! „Hat sie irgendwas gesagt, wo sie hinwollte?“ fragte Andrea hoffnungsvoll, aber die Dame an der Rezeption schüttelte den Kopf. „Nein, aber sie ist recht zügig da hinaufgegangen“ zeigte sie mit der Hand die Richtung. Andrea überlegte fieberhaft, wo Sarah wohl hingegangen sein könnte. Vielleicht war sie zur Unfallstelle im Moor gelaufen? Sie fragte die Rezeptionistin: „Wie komme ich zu dem Ort im Moor, wo man nach unserem Freund sucht?“ und die Frau beschrieb ihr den Weg. Andrea eilte nun in ihr Zimmer zurück und zog eine warme Jacke und feste Schuhe an. Eigentlich hatten Semir und sie beschlossen gehabt, das Hotel in dieser Woche nicht zu verlassen und sich ausschließlich zu erholen und auszuruhen, aber jetzt war plötzlich alles anders! Andrea versuchte nochmals Sarah anzurufen, aber sie war nicht erreichbar.


    Andrea lief den Weg, den ihr die Hotelfachfrau geschildert hatte und kam gerade noch zurecht, als die letzten Feuerwehrleute ihre Sachen zusammenpackten. „Haben sie ihn gefunden?“ fragte Andrea angstvoll, aber der Mann schüttelte den Kopf. „Nein, wir haben keine Leiche gefunden, aber das Moor hat seine eigenen Gesetze und gibt die Körper manchmal erst wesentlich später und an einer anderen Stelle her, als man momentan denkt. Immer wieder kommt es hier in diesen Hochmooren zu Unfällen und wenn man da vom Weg abkommt, hat man ohne Hilfe keine Chance, da wieder rauszukommen!“ erklärte er. „Das hat also nichts zu bedeuten, wenn wir ihn nicht gefunden haben, er kann trotzdem irgendwo da liegen!“ fügte er hinzu und Andrea musste schlucken. Es war für sie völlig unvorstellbar, dass der agile und fitte Ben hier gestorben sein sollte, ein Leben ohne ihn war für sie einfach im Moment nicht vorstellbar. Semir hatte im Dienst schon so viele Partner verloren und war mit jedem Mal schwerer darüber hinweggekommen, es konnte einfach nicht sein, was nicht sein durfte. „War seine Lebensgefährtin da?“ fragte sie nun den Feuerwehrmann noch. „Eine schlanke junge Frau um die dreißig, leicht gelockte halblange Haare und schwanger?“ aber der schüttelte den Kopf. „Ich habe niemanden gesehen!“ sagte er und auch die anderen Retter konnten sich nicht an Sarah erinnern. Es waren zwar einige Schaulustige dagewesen, aber erstens hatte man die nicht auf den Steg gelassen, um die Rettungskräfte nicht zu behindern und zweitens kannten die Feuerwehrleute auch jeden Einzelnen aus der Kleinstadt, Sarah wäre da aufgefallen. Andrea bedankte sich und versuchte nun Semir zu erreichen, aber auch mit ihm kam keine Verbindung zustande!
    Nun rief Andrea ihre Freundin Susanne an, die in der PASt am Computer saß und fragte die: „Susanne, kannst du bitte mal versuchen Sarah´s Telefon zu orten. Die ist vor zwei Stunden aus dem Hotel verschwunden und ist nicht erreichbar, Moment ich gebe dir ihre Telefonnummer!“ bat sie und Susanne tat, was Andrea wünschte. Nach einer Weile meldete sie sich. „Andrea, das ist merkwürdig!“ sagte sie. „Ich kann ihr Telefon im Augenblick nicht finden, aber der Ort, an dem sich das Handy zum letzten Mal vor etwa einer Stunde ins Netz eingewählt hat, ist Luftlinie nur etwa einen Kilometer von der Stelle entfernt, wo ich etwa um dieselbe Zeit das letzte Lebenszeichen von Semir und kurz zuvor von Ben´s Handy erhalten habe, allerdings auf deutscher Seite!“ sagte sie und nun stand Andrea mit offenem Mund da. Was war da los und wohin waren ihr Mann und ihre Freunde verschwunden?

  • Ben vom Fleck zu bewegen war schwieriger, als Semir sich das vorgestellt hatte. Der Boden des Stollens war ganz eben, aber trotzdem war Semir nach kurzer Zeit völlig außer Atem. Verzweifelt legte er seinen Freund ab, der schlaff und leblos wie ein nasser Sack in seinen Armen hing. Er hatte zwar versucht ihn mit dem Rautek-Griff, den er noch aus dem Erste Hilfe-Kurs in Erinnerung hatte, zu schleppen, aber Ben wog eben doch mehr als er selber und Semir musste sich eingestehen, dass er das nicht über eine längere Strecke packen würde. „Sarah, so schaffen wir das nicht! Einer von uns muss vorausgehen und versuchen, Hilfe zu holen. Allerdings haben wir auch nur diese eine Lichtquelle, das bedeutet, derjenige, der mit Ben zurückbleibt, sitzt da in völliger Dunkelheit, aber mir fällt jetzt auch keine andere Lösung ein. Möchtest du gehen, oder soll ich es versuchen?“ fragte Semir.


    Sarah hatte sich inzwischen besorgt über Ben gebeugt und seine Pupillen kontrolliert, die aber immer noch unverändert waren. Der Puls jagte nach wie vor und inzwischen war der junge Polizist von einem dünnen Schweißfilm überzogen, obwohl er sich eiskalt anfühlte. Semir zog kurzentschlossen seine Jacke aus-gut in die würden sie Ben beim besten Willen nicht stopfen können, aber sein Sweatshirt, das er darunter trug, war weit genug und Semir verfluchte sich fast, dass er da nicht eher drangedacht hatte. Mühsam zog er gemeinsam mit Sarah sein Shirt über Ben´s Kopf und steckte die schlaffen Arme hinein, was ein ausgesprochen mühsames Unterfangen war. Sarah zog ihre Jacke aus und legte sie über Ben´s Unterkörper. „Nein wirklich, mir ist warm genug!“ log sie, aber sie ließ sich nicht dazu bewegen, sich wieder anzuziehen. „Semir, geh du-ich bleibe hier bei Ben, wenn etwas ist, kann ich ihm auch besser Erste Hilfe leisten!“ schwindelte sie, denn eigentlich war sie ohne die Geräte und Medikamente aus dem Krankenhaus genauso hilflos wie jeder Laie. Gut, sie konnte ihm Atemspende geben, oder eine Herzdruckmassage beginnen, wenn es zum Äußersten kam, aber damit hatte es sich.
    Sie mussten versuchen, Ben sobald als möglich hier herauszubringen, denn es war äußerst bedenklich, dass er so gar nicht zu sich kam. Auch seine Schutzreflexe funktionierten nicht und wenn er sich übergab, würde er an seinem Erbrochenen ersticken, weil er nicht einmal einen Hustenreflex hatte. So setzte sich also Sarah auf den Boden, bettete Ben´s Oberkörper auf ihren Schoß und umfasste ihn mit ihren Armen. „Schatz, du musst durchhalten, für mich und das Baby!“ flüsterte sie und als Semir nun loslief und einen letzten Blick zurück warf, krampfte sich sein Herz zusammen, so rührend war diese Szene! Aber nun ging Semir eilig weiter, er musste den Ausgang finden, koste es, was es wolle!


    Andrea hatte sich kurz mit Susanne beratschlagt, was zu tun sei. Als die Chefin aus ihrem Büro kam und sie fragend anblickte, mit wem sie denn so aufgeregt telefonierte, unterbrach Susanne kurz das Gespräch und teilte der Chefin mit, dass Andrea am anderen Ende war und was es schon wieder für neue Entwicklungen gab. Die Chefin stöhnte auf: „Mann, man kann die beiden wirklich nicht einmal zusammen in Urlaub fahren lassen, ständig passiert ihnen was!“ aber dann griff sie zum Telefon und rief den Münchner Polizeichef an, den sie auf einem Kongress einmal näher kennengelernt hatte. Sie schilderte ihm die Sachlage und der sagte: „ Gut, zuständig für den Bayerischen Wald ist das Polizeipräsidium in Niederbayern, ich werde mal mit denen Kontakt aufnehmen, aber so wie sie mir das schildern, dürfte hier sowohl die Grenzpolizei, als auch die Kripo in Freyung-Grafenau zuständig sein, ich informiere die mal und melde mich dann nochmal!“ und Andrea, die das Gespräch mitgehört hatte, atmete ein wenig auf. Immerhin wurde nun Hilfe angeleiert und sie fühlte sich nun schon nicht mehr so ganz alleingelassen. Aber trotzdem war es ein Rätsel, wo die anderen steckten!

  • Semir war zügig vorangegangen. Allerdings hatte er das Problem, dass immer wieder Stollen in alle Richtungen abzweigten, die auch teilweise nach unten oder oben führten, so dass er sich nach kurzer Zeit überhaupt nicht mehr sicher war, ob er überhaupt in die richtige Richtung lief, oder sich nicht eher dem Berginneren näherte. Er begann, an den Wegkreuzungen mit einem großen Stein Markierungen zu ritzen, damit er zumindest wieder zu Sarah und Ben zurückfand. Plötzlich war geschehen, was er schon die ganze Zeit befürchtet hatte, er stand wieder in der großen Höhle und dann sah er etwas, was sein Blut in den Adern gefrieren ließ-der Tisch auf dem er den Übeltäter festgebunden hatte, war leer und der Mann im weißen Laborkittel der Ben so gequält hatte, war auch weg! Er verfluchte sich. Wie selbstverständlich hatte er angenommen, dass der Mann im weißen Kittel, der verschüttet unter den Steinen gelegen hatte, tot war, aber er hätte das nachkontrollieren müssen!


    Sarah saß mit ihrer großen Liebe in der pechschwarzen Dunkelheit. Sie hörte Ben´s angestrengtes Atmen und meinte auch ein kleines Pfeifgeräusch dabei zu hören, als wenn er eine beginnende Lungenentzündung hätte. Das wäre ja auch kein Wunder! Die nassen Klamotten, die Kälte, die Folter, wenn er da nicht krank wurde, dann wäre es eher erstaunlich. Aber das war nicht ihr größtes Problem. Ihre Nerven waren zum Zerreissen gespannt, sie lauschte in die Schwärze und meinte nach einer Weile Geräusche zu hören, als wenn jemand leise in ihre Richtung laufen würde. Allerdings konnte es nicht Semir sein, denn der war vor nicht allzu langer Zeit ja in die Gegenrichtung verschwunden. Dann hörte sie Stimmen. Zwei Männer unterhielten sich: „Welchen Weg haben sie wohl genommen?“ fragte der eine und in der Ferne konnte Sarah um die Ecke einen schwachen Lichtschein erkennen, als wenn eine Taschenlampe unruhig über die Wände tasten würde. „Ich denke, sie sind Richtung Ausgang unterwegs!“ sagte der andere und dann bogen die beiden in den vorher abzweigenden Stollen ein und die Stimmen und das Licht entfernten sich wieder.


    Sarah hatte vor Aufregung und Angst die Luft angehalten. Sie hätte überhaupt nichts machen können, wenn die beiden Männer sie gefunden hätten, sie und Ben wären wie die Opferlämmer dagesessen und hätten darauf gewartet, dass man sie umbringen würde-und dass diese Männer keine Skrupel hatten, war ihr nach dem, was sie in der Höhle beobachtet hatte, klar. Die kannten keine Gnade und Ben hatte da wohl etwas in der Höhle entdeckt, was diese Männer nicht für gut fanden und weshalb sie ihn und alle die davon Kenntnis hatten, töten würden. Sie hatte-im Gegensatz zu Semir- nämlich die Fragen des Folterers verstehen können. Er hatte von Ben wissen wollen, ob er noch irgendjemandem von seinen Beobachtungen erzählt hatte, was Ben aber, auch unter Schmerzen, immer von sich gewiesen hatte.


    Gerade begann sich Sarah wieder ein wenig zu entspannen, da hörte sie erneut Schritte aus der Richtung, wo sie hergekommen waren. Die waren aber von einer einzelnen Person und ihr Gefühl sagte ihr, dass das keine Bösen waren und da bog auch schon Semir um die Ecke. Erleichtert ließ sie ihren dennoch vor Anspannung angehaltenen Atem fließen. Sie war so froh, ihn zu sehen und obwohl sie das absolut nicht vorhatte, kullerten jetzt auch bei ihr ein paar Tränen. Semir setzte sich zu ihnen auf den Boden und fragte besorgt: „Wie geht´s euch?“ und nun berichtete Sarah von ihrer Beinaheentdeckung. Semir nickte, er war so erleichtert gewesen, als er seine beiden Freunde lebend angetroffen hatte, er hatte schon das Schlimmste befürchtet!
    „Allerdings denke ich, die beiden Männer kennen sich hier unten recht gut aus und wenn die dort vorne in den Stollen eingebogen sind, dann geht dieser Weg wohl Richtung Ausgang. Ab sofort bleiben wir zusammen, wir schaffen das, Sarah!“ versuchte Semir ihr Mut zu machen, aber da starrte Sarah plötzlich entsetzt auf Ben.

  • Ben begann urplötzlich zu krampfen. Seine Muskeln wurden zu stahlharten Klumpen, er verdrehte die Augen, dass man nur noch das Weiße sah, blutiger Schaum trat aus seinem Mund und er lief blau an. Semir wollte irgendetwas machen und griff nach seinem Freund, aber Sarah wehrte seine helfende Hand ab. „Lass ihn!“ sagte sie ruhig, denn nun kam die Krankenschwester in ihr wieder durch. Der Mann vor ihr war im Augenblick nicht ihr geliebter Partner mit dem sie die innigsten Momente, die zwei Menschen miteinander haben konnten, erlebt hatte, sondern im Augenblick für sie ein Patient und sie wusste, was zu tun war. Semir schien die Zeit unendlich, aber irgendwann löste sich der Krampf und Ben wurde wieder völlig schlaff. Sarah drehte ihn nun zur Seite und blutiger Speichel rann aus seinem Mund. Als sie mit der Taschenlampe hineinleuchtete, sah man, dass Ben sich mit Wucht auf die Zunge gebissen hatte und die nun heftig blutete. Als Sarah noch die Pupillen kontrollierte, waren die wieder wie vorher. Semir war von dem Anblick völlig fertig und fragte entnervt: „Was war das, was hat Ben?“ und Sarah erklärte nüchtern: „Was du da gerade gesehen hast, war ein sogenannter Grand Mal-Anfall. So etwas bekommt man bei Epilepsie, bei schweren hirntoxischen Vergiftungen, oder bei Gehirnverletzungen. Ich weiß nicht genau, was es bei ihm ist, aber wir müssen ihn auf jeden Fall jetzt so schnell wie möglich hier rausbringen."


    Inzwischen war Ben nicht mehr blau, sondern hatte wieder eine rosigere Farbe angenommen, soweit man das im Licht der Funzel erkennen konnte. Sarah erklärte Semir noch: „Wenn du zu so einem Anfall dazukommst, versuche nur, dich selber nicht in Gefahr zu bringen. Die Patienten haben keinerlei Kontrolle über sich und es ist in der Literatur beschrieben, dass da sogar schon Finger von Hilfspersonen abgebissen wurden, die versucht haben, die verkrampften Kiefer zu lockern. In den meisten Fällen löst sich so ein Krampfanfall von selber, allerdings kommt es in seltenen Fällen zu einem Status Epileptikus, der hat eine ziemlich schlechte Prognose, kann aber auch nur medikamentös gebrochen werden. Das ist jetzt bei Ben nicht der Fall und wir können nichts weiter tun, als zu verhindern, dass er an dem Blut in seinem Mund erstickt!“ erklärte sie und irgendwie half ihr Semirs Belehrung, den Schrecken der letzten Minuten zu verarbeiten. Einen Vorteil hatte es. Ben war durch die schwere Muskelarbeit während des Krampfens jetzt wieder ein wenig wärmer und sie zog deshalb ihre Jacke wieder an. Denn die hatte so in der Bewegung keinerlei Funktion bei Ben, da sie nur hinunterrutschte. Mit einem Seitenblick entdeckte sie den nassen Fleck auf dem Fels und machte Semir, der gerade Ben wieder im Rautekgriff davonzuschleppen begann, darauf aufmerksam: „Das ist auch ein typisches Zeichen für so einen Anfall: Die Patienten haben keine Kontrolle mehr über ihre Schließmuskel und es kommt zu einer unwillkürlichen Blasenentleerung!“ erklärte sie nüchtern und Semir fragte sich, wie sie das nur aushalten konnte, dermaßen distanziert über den schrecklichen Zustand ihres Lebensgefährten zu dozieren.
    Sarah achtete darauf, gleichzeitig mit der kleinen Lampe den Weg zu beleuchten und dafür zu sorgen, dass Ben´s Kopf zur Seite gedreht war, damit Blut und Speichel nicht hinten runterliefen. Als sie in den Seitenstollen einbogen, der hoffentlich Richtung Ausgang führte, stand plötzlich in einer Nische am Rand eine Art Rollwagen. Semir legte seinen Freund ab und Sarah untersuchte ihn erneut, während Semir prüfte, ob der Rollwagen funktionstüchtig war. Der bestand den Test und so legte Semir erleichtert Ben in Seitenlage auf den Wagen und begann ihn hinter sich herzuziehen, während Sarah aufpasste, dass er nicht herunterfiel. Das ging natürlich wesentlich besser, als die kräftezehrende Schleiferei und so kamen sie recht zügig voran, bis auf einmal das LED-Licht erst dunkler wurde und dann gänzlich erlosch.


    Andrea war in der Zwischenzeit wieder langsam zum Hotel zurückgelaufen, um dort auf das Eintreffen der einheimischen Polizisten zu warten. Alleine konnte sie nichts ausrichten und wenigstens einer von ihnen musste vernünftig sein-es genügte, wenn die anderen Drei einfach so von der Bildfläche verschwunden waren.


    Susanne hatte im fernen Köln inzwischen die Satellitenkarte der Umgebung des Grenzgebiets auf den großen Monitor an der Wand der PASt herangezoomt und den Radius, in dem sie die Handysignale zuletzt geortet hatte, eingekreist. Nach der Chefin waren auch noch Bonrath und Jenni, die gerade von einer Streifenfahrt zurückgekommen waren, herangetreten und musterten, nachdem man sie von den Geschehnissen informiert hatte, die Karte.
    Hartmut war zwar eher selten in der PASt, denn sein Reich war die KTU und in seinem Labor und am Computerarbeitsplatz war sein Zuhause, aber ab und zu musste er doch mal in der Zentrale erscheinen, um seine Abrechnung abzuholen, oder etwas mit der Chefin zu besprechen. Justament in diesem Augenblick trat er in die PASt und ließ sich in knappen Worten den Stand der Dinge erklären. Gemeinsam schauten sie auf die Karte und dann sagte Hartmut nach 30 Sekunden voller Überzeugung: „Sie sind in dem stillgelegten Bergwerk!“ und nun musterten ihn die anderen mit offenem Mund.

  • „Wie kommst du jetzt darauf?“ wollte Susanne neugierig von Hartmut wissen. „Es passt einfach nur zu perfekt zusammen!“ erklärte er. „Dieses Symbol hier zeigt, dass dort einmal ein Industriedenkmal war, dafür spricht auch der Parkplatz auf tschechischer Seite, auch wenn jetzt kein aktueller Hinweis mehr da ist-also wurde es aufgelassen. In diesem deutsch-tschechischen Grenzgebiet war außerdem der Eiserne Vorhang noch nie ganz dicht und diese Felsformation sieht mir sehr danach aus, als wären da Bodenschätze zu finden-ich habe da mal was darüber gelesen, dass da schon in alten Zeiten Halbedelsteine, Eisenerz und Farben für die Kirchenmalerei gewonnen wurden, also nicht speziell da, aber in dieser ganzen Gegend halt. Wenn wir jetzt annehmen, dass Ben und Semir da beide von tschechischer Seite aus einen Zugang gefunden haben, weil es dort etwas Interessantes zu sehen gab, während Sarah da auf einem Geheimweg von deutscher Seite hineingegangen ist, würde es erklären, warum wir die Handys nicht orten können. Ich würde vorschlagen, wir informieren die Polizei vor Ort und dann können die vielleicht einen Rettungstrupp losschicken, denn wir sind hier leider zu weit weg, um irgendetwas zu unternehmen!“ sagte er zu seinen Kollegen und Susanne griff kurzerhand zum Telefon. Nach kurzer Überlegung rief sie dann aber erst mal Andrea an, die ja bereits auf die ortsansässige Polizei wartete. Bis sie jetzt aus der Ferne die zuständigen Beamten ausfindig gemacht hatten, wäre das viel zu aufwendig, aber Andrea saß ja praktisch im Mittelpunkt des Geschehens.


    Die war inzwischen am Hotel angelangt und hatte gerade die Eingangshalle betreten. Als Andrea auf ihr läutendes Telefon blickte und Susanne angezeigt sah, ging sie sofort ran. „Habt ihr irgendwas?“ fragte sie angespannt und ihre Freundin bejahte. „Andrea, neben mir steht Hartmut, der behauptet voller Überzeugung, dass die drei Vermissten in einem grenznahen Bergwerk sind und irgendwie würde das ja auch unsere ganzen Fragen beantworten. Teil das doch bitte den Beamten mit, die jetzt dann bald zu dir kommen und wenn die noch was wissen wollen, gib ihnen Hartmuts Nummer, der kann das auch schlüssig erklären, aber natürlich ist das nur eine Vermutung- mehr können wir aus der Ferne auch nicht anstellen!“ sagte sie und Andrea nickte. In diesem Augenblick fuhren zwei Fahrzeuge vor. Das eine war ein dunkelblauer unauffälliger BMW und das andere ein Streifenfahrzeug mit der Aufschrift: „Grenzpolizei“. Außerdem wurde es draußen gerade stockdunkel, obwohl es gegen 16.30 Uhr war und die Dämmerung erst zwei Stunden später fallen würde, aber es kam ein kalter, heftiger Wind auf, die Schneewolken ballten sich zu bedrohlichen Formationen auf und wenig später tobte ein Wintergewitter mit Schneesturm über dem Urlaubsort. Die beiden Grenzpolizisten-ein älterer dicker Mann mit einem Jüngling an seiner Seite, der aussah, als wäre er gerade 15 geworden-schüttelten den Schnee von ihren Uniformen. Der andere zivil gekleidete große Mann mittleren Alters huschte auch schnell in den Schutz der Eingangshalle und nun trat Andrea auf die drei zu. „Ich bin Andrea Gerkhan. Mein Mann und sein Kollege, beides Kripobeamte bei der Autobahnpolizei in Köln, sowie dessen schwangere Lebensgefährtin werden vermisst und unsere Heimatdienststelle hat sie nun zu Hilfe gerufen!“ stellte sie sich kurz vor, denn sie hatte an dem zweiten Fahrzeug die versteckte Blaulichtleiste entdeckt-das war also der Kripobeamte.


    Der dicke Polizist musterte sie unverhohlen und sagte dann in tiefstem Niederbayerisch, was von Andrea nur sehr schwer verstanden wurde: „Ja, ich habe von den Kollegen schon gehört, um was es geht. Einer ihrer Begleiter ist im Moor tödlich verunglückt und jetzt versuchen die anderen aus ihrer Gruppe verzweifelt zu beweisen, dass er noch lebt und sind dabei selber verschollen!“ erklärte er, voller Zorn, dass man ihn bei diesem Sauwetter aus seiner warmen, gemütlichen Dienststelle geholt hatte.
    Der große Mann sah sie ein wenig hilflos an, gab ihr die Hand und sagte: „Frau Gerkan, ich bin Friedhelm Jantzer und der zuständige Kripobeamte. Vielleicht können sie mir einfach mal erklären, was denn überhaupt passiert ist!“ sagte er und Andrea hörte sofort, dass er aus dem hohen Norden kam. Andrea ignorierte also die unfreundliche Art und die Bemerkungen des uniformierten Polizeibeamten und erzählte in wenigen Worten die Ereignisse des Nachmittags, während man draußen meinen konnte, die Welt ginge unter.


    Semir und Sarah blieben erschrocken stehen, als es auf einmal finster um sie wurde. In diesem Augenblick hörte man von Ben einen erstickten Laut und als Sarah nach ihm griff, bemerkte sie wieder die tonisch-klonischen Krämpfe, die ihn schüttelten. Mit zitternden Händen zog sie ihr Handy heraus und benutzte es als Taschenlampe. Wie vorhin hatte Ben wieder einen Grand-Mal-Anfall und lag völlig verzogen auf dem Rollwagen. Mit einem Blick auf ihren Akku seufzte sie frustriert auf. „Mann ich habe kaum noch Saft-wie schaut´s bei dir aus?“ wollte sie von Semir wissen und der musste leider nach einem Blick auf sein Smartphone vermelden, dass es bei ihm auch nicht mehr so besonders gut aussah. „Wir müssen eines der Handys schonen, damit wir draußen sofort medizinische Hilfe anfordern können!“ sagte Sarah und Semir, der voller Entsetzen auf seinen Freund blickte, nickte und schaltete das seine aus, um Akkukapazität zu sparen. „Spürt er das?“ wollte er dann leise von Sarah wissen, die aber nur den Kopf schüttelte. „Gott sei Dank nicht-die Betroffenen haben später auch keine Erinnerung mehr an die Zeit des Anfalls, nur meistens eine große Müdigkeit und Muskelkater, aber das muss einen ja auch nicht wundern!“ erklärte sie und war erleichtert, als sich der Anfall langsam wieder dem Ende zuneigte. So packten sie also wieder ihren Rollwagen und bewegten sich, nur intermittierend von einem kleinen Lichtschein aus dem Handy auf dem Weg gehalten, dem hoffentlich nahen Ausgang zu.

  • Andrea hatte ihre Ausführungen geendet. Der Kripobeamte nickte nachdenklich und sagte: „Die Sache mit dem Bergwerk klingt irgendwie einleuchtend. Es erklärt zwar deshalb immer noch nicht die Spuren und die Schreie aus dem Moor, aber auch wenn einer ihrer Begleiter dort verunglückt sein sollte-lassen wir mal das Handysignal außen vor-dann fehlen immer noch ihr Mann, Frau Gerkan und die Lebensgefährtin des Vermissten. Ich würde vorschlagen, wir schauen uns die Felsformationen, um die es hier geht, einfach einmal aus der Nähe an! Wir können da leider nur von deutscher Seite ran, aber ich werde dann die tschechischen Kollegen, wenn nötig, um Amtshilfe bitten!“ sagte er ruhig.


    Nun explodierte der dicke bayerische Beamte. „Wenn´s da irgendwelche geheimen Wege gäbe, dann wüssten wir davon. Da ist nix!“ sagte er zornig und nun sah ihn der Kripobeamte merkwürdig an. „Wir haben hier wahnsinnig viele Probleme mit gepanschtem Alkohol, geschmuggelten Zigaretten und Drogen, so ein praktischer Geheimweg würde erklären, warum wir an den offiziellen Grenzübergängen so selten jemanden festnehmen können. Weder wir, noch der Zoll, haben da in letzter Zeit einen größeren Zugriff gehabt, obwohl wir alles versuchen. Ich schaue mir das jetzt genauer an!“ sagte er. Andrea fügte noch hinzu: „Unser Kriminaltechniker, der die Theorie mit dem Bergwerk aufgestellt hat, steht auch gerne für Rückfragen zur Verfügung!“ und Jantzer nickte. „Ich habe im Wagen ein Tablet, da sehe ich mir mal das Satellitenbild der fraglichen Gegend an und dann fahre ich so nah wie möglich ran. Wenn sie wollen, Frau Gerkan, können sie gerne mitkommen, wie ich sehe, sind sie ja warm angezogen!“ sagte er, denn Andrea hatte ihre festen Schuhe immer noch an und die warme Jacke nur über den Arm gehängt. Während Andrea dem Kripobeamten, der seine Kollegen der Grenzpolizei gekonnt ignorierte, eilig durch den Schneesturm zum Wagen folgte, konnte sie nur noch hören, wie der dicke Grenzpolizist halblaut zischte: „Saupreiß, verreckter!“ und dann mit seinem schweigsamen Jüngling ebenfalls widerstrebend zu seinem Fahrzeug ging. Dort griff er zu seinem altertümlichen Privathandy, neugierig gemustert von seinem jungen Kollegen und wählte eine Nummer, bekam aber anscheinend keine Verbindung zustande und legte es dann wieder weg.


    Im BMW angekommen holte der nette Kripobeamte sein Tablet hervor und rief die Satellitenkarte der Gegend auf. Andra rief Hartmut von ihrem Handy aus an, stellte das Gespräch auf laut und binnen kurzem hatten sie gemeinsam den Ort eingekreist, in dessen Nähe Sarah verschwunden war und wo sich ein eventueller Geheimzugang zum Bergwerk befinden könnte. Ohne seine einheimischen Kollegen in irgendeiner Weise zu informieren, startete Jantzer dann den Wagen und kroch langsam durch den Schneesturm in die angegebene Richtung. Als er in den Rückspiegel sah, folgte ihm der Streifenwagen und der Kripobeamte seufzte auf. „Als Nordlicht hat man es schwer hier in Bayern. Ich lebe und arbeite hier schon seit 15 Jahren, weil meine Frau aus der Nähe kommt und auf gar keinen Fall von ihrer Heimat wegwollte, aber ich habe keine Chance, irgendwie von den einheimischen Kollegen akzeptiert zu werden.“ bemerkte er und Andrea musterte ihn mitleidig. Wie anders war das bei ihnen in Köln. Da hatten sie ein nettes Team, auch mit vielen privaten Kontakten und obwohl sie selbst inzwischen ja was anderes beruflich machte, war das Verhältnis zu ihren ehemaligen Kollegen immer noch sehr herzlich.


    Obwohl die Straßenverhältnisse mehr als schlecht waren, kamen sie gut voran, denn der BMW hatte einen Allradantrieb und gute Winterreifen. Auch gehörten in dieser Gegend Schneewurfketten zum Alltag, aber die mussten sie gar nicht montieren. Der Weg in den sie einbogen war auch der Lieferantenweg zum Gestüt und war sogar vom Schneepflug schon freigeräumt worden. So standen sie wenige Minuten später-der Schneesturm war ein wenig schwächer geworden- an der Stelle, die Hartmut ihnen gewiesen hatte und der Kripobeamte holte seine warme Outdoorjacke, Handschuhe und eine Mütze hervor. „Bleiben sie ruhig im Wagen, ich sehe mich hier mal um!“ bot er Andrea an, aber die schüttelte den Kopf und folgte dem Beamten. Sie war froh, jetzt irgendetwas tun zu können, die Untätigkeit machte sie nämlich fast wahnsinnig. Der Streifenwagen hinter ihnen hatte ebenfalls angehalten und die beiden uniformierten Polizisten folgten ihnen schweigend in den Steig, den der Kripobeamte nach Hartmuts Weisung hatte entdecken können.


    Semir und Sarah kamen nun langsamer voran, weil sie das Licht immer nur kurz einschalteten. Ben hatte nochmals gekrampft und um Sarah´s Herz hatte sich eine kalte Hand geschlossen. Wenn Ben jetzt nicht bald intensivmedizinisch versorgt wurde, würde er das Ganze nicht überleben, oder vielleicht schwerst behindert, denn Fakt war, dass die Sauerstoffversorgung des Gehirns während jedes Anfalls schlecht war und möglicherweise dadurch Hirnzellen absterben konnten. Vor ihrem inneren Auge entstanden Horrorszenarien, Ben im Rollstuhl, der nicht einmal sein eigenes Kind erkannte und lauter solche Dinge. Gerade als sie kurz davor war aufzugeben, sahen sie in der Ferne etwas Helles schimmern. Semir lächelte sie an und sagte: „Ich glaube, wir haben den Ausgang gefunden!“

  • Der Chemiker war, nachdem er nach dem Felssturz bewusstlos geworden war, stöhnend erwacht. Seine Augen versuchten die Dunkelheit zu durchdringen und unendlich mühsam erhob er sich aus dem Geröllhaufen, der ihn begraben hatte. Verdammt, er hatte am ganzen Körper Schmerzen, allerdings konnte er alles bewegen, vermutlich war nichts gebrochen, nur geprellt. Das würden ihm diese Polizisten büßen! Er würde sich die Frau holen und das Kind bei vollem Bewusstsein aus ihrem Leib schneiden-und ihr Lebensgefährte würde zusehen-wenn er bis dahin noch lebte, denn vielleicht war die Rezeptur seines neuen Medikaments doch noch nicht perfekt! Und für den anderen würde er sich auch noch was einfallen lassen.


    Als er sich aufrichtete sagte eine Stimme neben ihm: „Chef, sind sie das?“ und er erkannte, dass das sein Helfershelfer war, der sich von dem Polizisten hatte entwaffnen lassen und dabei noch den Schuss abgegeben hatte. Auch der würde zu gegebener Zeit dafür büßen, aber jetzt musste er erst einmal die Lage peilen, vielleicht waren die anderen ja alle tot? „Warum hilfst du mir nicht!“ herrschte er seinen Komplizen an, aber der sagte mit dünner Stimme: „Weil ich auf den Tisch gefesselt bin!“ und nun hatte der Chemiker seine Taschenlampe, die er in der Höhle immer bei sich trug, herausgeholt und sie angemacht. Er sah seinen verschnürten Helfer und begann sofort damit, die Lederriemen zu lösen. Als er die Lampe danach orientierend kreisen ließ, sah er nur das tote Mitglied seiner Bande, sonst war niemand zu entdecken. „Wo sind die hin?“ herrschte er den anderen Mann an, der sich seine Gelenke rieb. „Anscheinend ist der Hauptgang verschüttet, denn die sind in diesem Stollen verschwunden!“ berichtete der Helfer und zeigte in eine Richtung und sofort machte sich der Chemiker, gefolgt von seinem Komplizen, etwas hinkend auf den Weg, die Verfolgung aufzunehmen. „Vielleicht schnappen wir sie ja noch, bevor sie den Ausgang erreichen und dann gnade ihnen Gott!“ drohte der Chemiker erbost und ohne etwas darauf zu antworten, folgte ihm sein Helfer. Der Chef war sauer-da sagte man besser gar nichts!


    In Köln hatte das Telefon bei der Chefin wieder geklingelt und der Polizeipräsident aus München war dran. „Leider muss ich ihnen mitteilen, dass wir in dieser Grenzregion, in der jetzt ihre Männer verschwunden sind, interne Probleme haben. Mir ist jetzt unangenehm, ihnen das mitteilen zu müssen, denn jeder möchte doch, dass sein Bundesland als das sicherste und am wenigsten korrupte dasteht, aber wir haben einen Maulwurf im System, der Razzien an eine groß aufgezogene tschechisch-deutsche Verbrecherbande verrät und auch sonst anscheinend Internas weitergibt. Wir sind nahe dran, aber ich hoffe nur, dass ihre Männer da jetzt nicht zwischen die Fronten geraten sind!“ eröffnete er ihr. Die Chefin bedankte sich. Warum hatte sie nur gerade das dumpfe Gefühl, dass genau das passiert war!


    Als der dicke Streifenbeamte nun unauffällig sein altmodisches Handy wieder zückte und auf Wahlwiederholung drückte, ging diesmal sein Gegenüber ran. „Es geht los, wir nähern uns der bewussten Höhle!“ sagte er leise und den Rest konnte sein junger Kollege nicht mehr verstehen, der jetzt völlig verunsichert war. Irgendetwas lief hier verkehrt, aber auf solche Dinge war er auf der Polizeischule nicht vorbereitet worden!


    Semir und Sarah hatten sich atemlos dem hellen Fleck am Ende des Stollens genähert. Durch einige Ritzen fiel ein unwirkliches Licht in den Gang und Semir erkannte, dass das die Tür war, durch die er hereingekommen war. Ihre Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt, denn falls ihre Verfolger irgendwo auf sie warten würden, dann hier, aber sie kamen unbehelligt bis zum Tor, das allerdings nun wieder verschlossen war, obwohl Semir es offengelassen hatte. Semir zermarterte sich den Kopf, wie er jetzt vorgehen sollte, um seine beiden Begleiter möglichst nicht zu gefährden. Gut, er war bewaffnet, aber die anderen vermutlich auch. „Sarah, wir müssen versuchen, Ben zum Wagen zu schaffen und damit zu fliehen. Die Rettung werden wir dann von unterwegs verständigen, denn ich habe Sorge, dass wir da draußen nicht gerade mit offenen Armen empfangen werden und viel Zeit haben!“ erklärte er ihr und Sarah nickte. „Ich werde alles tun, was du mir aufträgst, Semir, denn du weißt am besten, was jetzt zu tun ist!“ sagte sie ruhig und musterte dabei besorgt ihren todkranken Freund-er benötigte dringend medizinische Hilfe. Als sie die Hand auf ihren Bauch legte und an das kleine Wesen da drin dachte, das doch Mama und Papa brauchte, gab ihr das Kraft. Sie atmete tief durch und forderte Semir auf: „Erklär mir deinen Plan!“

  • Wenn die Situation anders gewesen wäre, hätte Semir sich nichts dabei gedacht, aber so hätte er am liebsten aufgeseufzt. Plan-ja nett, wenn er sowas hätte! In Anbetracht der Fakten war eigentlich alles, was er so im Kopf hatte, zum Scheitern verurteilt! Normalerweise hatte er Ben an seiner Seite, sie konnten, ohne das miteinander abzusprechen, ein Risiko eingehen. Jeder konnte sich auf den anderen verlassen, sie hatten ihre Polizeiausbildung und die Gewissheit, dass einfach jeder sein Bestes gab, gab ihnen gegenseitig Sicherheit. Nun war alles völlig anders. Nicht nur Ben kämpfte ums Überleben, sondern er, Semir, war zusätzlich für das Leben und die Sicherheit von dessen Familie zuständig! Nicht der Familie, in die Ben hineingeboren worden war und die zugegebenermaßen etwas merkwürdig war, sondern für die kleine Familie, die Ben für sich geschaffen hatte. Sarah, die seinen Weg gekreuzt hatte und für die er sich einfach entschieden hatte und dazu dieses kleine, hilflose Wesen, das unter deren Herz heranwuchs und dem Ben´s ganze Liebe und Sorge galt. Wenn Semir so an die Zeit von Andreas Schwangerschaften zurückdachte-auch er war gleichzeitig stolz und voller Sorge gewesen, dass dem Wichtigsten auf der Welt-seinem Kind, das in Andrea da heranwuchs, etwas zustoßen könnte! Wenn er jetzt irgendeinen Fehler machte und Sarah oder dem Baby etwas geschah, dann könnte er seinem Freund nie mehr unter die Augen treten!


    Normalerweise hätte er jetzt zu seinem Partner gesagt: „Gib mir Feuerschutz!“ und wäre dann im Zickzack zum Wagen gelaufen, während er sich darauf verlassen konnte, dass sein Partner die Verbrecher in Schach hielt.Wenn er jetzt Sarah zum Wagen schickte und die würde von einer Kugel getroffen werden, würde er seines Lebens nicht mehr froh werden. Rannte er allerdings selber, wild um sich schießend, zum Wagen, waren Sarah und Ben derweil eine leichte Beute für die Verbrecher, die sie in der Zwischenzeit schnappen konnten und dann wäre alles verloren.
    Kurz entschlossen sagte er zu Sarah: „Hast du schon mal geschossen?“ aber sie schüttelte schreckensbleich den Kopf. „Dann werde ich dir jetzt zeigen, wie das geht!“ sagte er und erklärte ihr die Handhabung des Revolvers. „Du wirst mir Feuerschutz geben, das heißt, wenn ich jetzt dann im Zickzack zum Wagen laufe und den rückwärts vors Tor rangiere, schießt du auf die Verbrecher, falls die uns da draußen erwarten, wovon ich stark ausgehe. Die wollten im Höhlensystem selber vermutlich kein Risiko eingehen, bei einem eventuellen neuen Einsturz, falls geschossen würde, verschüttet zu werden. Ich werde die Tür von innen mit meinem Dietrich wieder öffnen, das habe ich heute schließlich ja schon mal gemacht und du nimmst die dann als Feuerschutz, damit die deine Position nicht genau ausmachen können. Und erschrick nicht, die Waffe gibt einen Rückschlag, das heißt du kriegst wie eine Art Schlag gegen die Hand, wenn du feuerst, das ist aber normal-bitte wirf dann die Waffe nicht vor Schreck weg, sonst sind wir verloren!“ erklärte er in kurzen Zügen und entsicherte mit ihr gemeinsam den Revolver.

    Ben hatte inzwischen auf seinem Rollwagen wieder zu krampfen begonnen und Sarah musterte ihn voller Sorge-die Abstände wurden immer kürzer. Semir hatte nach dem Autoschlüssel getastet-gut, der war griffbereit, holte dann seinen Dietrich aus der Tasche und als Ben´s Krampfanfall vorbei war, öffnete er kurzentschlossen die massive Tür. In diesem Augenblick hörten sie ein Grollen und im ersten Augenblick befürchtete Semir, dass es einen erneuten Höhleneinsturz gegeben hätte, aber dann wurde ihm klar, dass draußen ein Wintergewitter tobte. Die Schneeflocken wurden durch den starken Wind herumgewirbelt, so dass schlechteste Sichtverhältnisse herrschten-das war vielleicht seine Chance, unbehelligt zum Wagen zu kommen.


    Ohne lange zu überlegen spurtete er los und schon schlug die erste Salve knapp neben ihm ein. Sarah hatte ausgemacht, wo die Gegner saßen-das war nicht weit vom Höhleneingang entfernt hinter einem Felsvorsprung- und schoss nun zum ersten Mal in ihrem Leben, während Semir im Zickzackkurs über den Parkplatz zu Ben´s Wagen rannte. Die Verbrecher gingen kurz in Deckung als die Schüsse in ihre Richtung gingen und Sarah hörte voller Entsetzen die Querschläger von den Felsen abprallen. Gut dass Semir sie auf die Sache mit dem Rückschlag vorbereitet hatte, denn sie hätte sonst tatsächlich im Reflex die Waffe weggeworfen, aber so schoss sie erneut, denn schon wieder ging die nächste Salve in Semir´s Richtung los. Der rollte sich einmal gekonnt im Schnee ab, um kein klares Ziel zu bieten und durch den Schneesturm war er auch fast nicht mehr auszumachen auf diese Entfernung. Wie durch ein Wunder erreichte er unversehrt den geparkten Wagen, betätigte den Türöffner und rutschte hinters Lenkrad.


    Soweit er ausmachen konnte, feuerten ihre Gegner nur aus einer Waffe, also hatten sie Hoffnung, dass wirklich nur die zwei Männer aus der Höhle da waren und keine Horde Helfershelfer, wie er schon befürchtet hatte. Semir startete den Wagen und fuhr in halsbrecherischer Geschwindigkeit rückwärts auf den Höhleneingang zu. Die Karosserie des Kombis wurde zwar von Schüssen getroffen, aber der Wagen war fahrbereit und auch die Reifen in Ordnung. Kurz vor der Tür hielt Semir an, kletterte aus dem Fahrersitz nach hinten und legte die Rückbank um, um eine große Liegefläche für Ben zu bieten. Immer noch erklangen Schüsse, aber dann war einen Moment Ruhe-vermutlich mussten ihre Angreifer das Magazin wechseln. Semir nutzte die Chance, hechtete aus dem Wagen, öffnete die hintere Klappe und sprang zurück in die Höhle. Während bereits wieder die ersten Schüsse ertönten, schleppte er mit dem Mute der Verzweiflung Ben in den Kofferraum, während ihm Sarah immer noch mit vereinzelten Schüssen Feuerschutz gab. Dann kletterte auch sie in den Fond des BMW, Semir krabbelte hinters Steuer und mit aufheulendem Motor verließen sie schleudernd den Parkplatz und fuhren in den Schneesturm.

  • Der Chemiker fluchte verhalten. Sie waren sich so sicher gewesen, dass die drei ihnen wie die Lämmer auf die Schlachtbank ins Messer laufen würden, aber stattdessen hatten ihre Gegner anscheinend ihre Aktion vorausgesehen und hatten nun fliehen können. Geplant war gewesen, diesen Gerkan, den türkischstämmigen Polizisten, zu erschießen und danach die Frau und Jäger wieder in ihre Gewalt zu bringen. Dann hätte der Chemiker sie zurück in die Höhle gebracht und seinen Plan umgesetzt, die Frau unter den Augen ihres Mannes zu quälen und das Kind bei vollem Bewusstsein aus ihr herauszuschneiden. Er war schon voller Vorfreude auf diese Tat gewesen und hatte sein Jagdmesser in seiner Tasche extra geschärft, während sie auf das Erscheinen der drei am Höhlenausgang gewartet hatten. Jäger hätte er mit einem speziellen Medikamentencocktail, der zwar schreckliche Nebenwirkungen hatte, aber das war ja schließlich völlig egal, wieder zu Bewusstsein gebracht, damit er gefesselt und zur Untätigkeit verdammt, mitleiden konnte und dabei wahnsinnig wurde, währen er als Augenzeuge dem qualvollen Tod seiner Frau und seines Kindes beiwohnte.


    Gerade als er seinen Komplizen losgeschickt hatte, schnellstmöglich den Oktavia zu holen, damit sie die Verfolgung aufnehmen konnten, denn noch war nichts verloren, bekam er eine Nachricht auf seinem Smartphone angezeigt. Ein siegessicheres Lächeln umspielte seine Lippen. Sein Kontaktmann hatte ein anderes Ass im Ärmel! Ein wenig unbeholfen stieg er auf den Beifahrersitz des großen Skoda, denn er hätte immer noch überall Schmerzen von den herabfallenden Gesteinsbrocken und dann nahmen sie die Verfolgung des Wagens durch den Schneesturm auf.

  • Auf dem Steig orientierte sich Andrea inzwischen nur noch an ihrem Vordermann. Verdammt-vielleicht war das doch keine so gute Idee gewesen, aus dem warmen Auto auszusteigen. Inzwischen hatte sie überhaupt keine Orientierung mehr, der Wind pfiff ihr um die Ohren und wehte den Schnee in ihr Gesicht. Sie hatte zwar eine warme Jacke, aber keine Mütze und keine Handschuhe dabei-ehrlich gesagt hatte sie sowas nicht mal im Schrank im Hotelzimmer, denn Semir und sie hatten nicht vorgehabt, das Wellnesshotel überhaupt in dieser Woche zu verlassen! Sie steckte ihre Hände in die Taschen und undeutlich bemerkte sie, wie ihr der dicke Polizist und sein Beifahrer in einiger Entfernung folgten. Durch den peitschenden Wind, der ihr schmerzhaft die Schneeflocken ins Gesicht trieb, hatte sie bald das Gefühl, sie wäre geschlagen worden, so weh taten ihre Augen und Wangen und langsam begann sie zu bezweifeln, dass dieser Ausflug irgendwie dazu beitragen könnte, Semir, Sarah und Ben zu finden. Ihr Schuhwerk war gut und der Steig war wirklich hervorragend ausgetreten und so wäre sie ihrem Vordermann fast aufgelaufen, als der abrupt plötzlich stehenblieb. „Ich glaube, da geht es irgendwie in eine Höhle rein!“ teilte ihr Jantzer im Flüsterton mit, obwohl Andrea davon keinen Schimmer entdecken konnte. Trotzdem folgte sie ihm und schwang sich ebenfalls-mit ein wenig Bauchschmerzen, denn so ganz schwindelfrei war sie eigentlich nicht-um den Felsvorsprung, um dann in einer völlig anderen Welt zu landen. Ein aus dem Fels behauener Weg führte in den Berg und sie war momentan nur froh, dass sie den Wetterunbilden nicht mehr ausgesetzt war.


    Der Kripobeamte zückte eine starke Taschenlampe, ein wenig runzelte er die Stirn, als er die elektrischen Lampen an der Wand sah, die aber dunkel waren. Er griff nach einem Lichtschalter-irgendwie hatte Andrea das dumpfe Gefühl, er wäre nicht zum ersten Mal hier-und legte ihn um, ohne dass irgendetwas passierte. Andrea erfasste plötzlich ein ganz ungutes Gefühl, irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht! Sie wollte gerade umdrehen und wieder aus der Höhle flüchten, als sie der Kripobeamte am Arm packte, ein wenig zurückzog und eine Mechanik bediente, woraufhin plötzlich mit lautem Geratter eine massives Metalltor aus der Decke kam und den Gang nach draußen hermetisch abriegelte. Erschrocken drehte Andrea sich um und fragte: „Was soll das?“ aber nun grinste sie der große Mann hämisch an. „Sie sollten nicht so vertrauensselig sein und glauben, dass jeder Polizist automatisch zu den Guten gehört!“ sagte er und nun starrte ihn Andrea entsetzt an.


    Semir hatte Gas gegeben, aber er musste vorsichtig fahren, denn die Straßenverhältnisse waren denkbar schlecht. Außerdem wusste er nur mehr ungefähr, wo die Straße überhaupt war, die Gefahr in einen Graben zu rutschen, war wahnsinnig hoch und nachdem ihre Angreifer ja auch motorisiert waren, mussten sie leider damit rechnen, verfolgt zu werden. Semir drehte trotzdem die Heizung auf Vollgas, damit Ben nicht weiter auskühlte und Sarah breitete eine Decke, die im Fond gelegen hatte, über ihn. Sie setzte sich so, dass sein Kopf auf ihrem Schoß lag und ab jetzt konnte sie nur Semir´s Fahrkünsten vertrauen, der den großen Wagen routiniert durch den Schneesturm lenkte. Semir kramte sein Handy hervor und gab es Sarah nach hinten: „Ruf die Rettung an und die Polizei, oder was weiß ich. Verdammt ich habe keine Ahnung wie die tschechischen Notrufnummern sind und die Sprache kann ich auch nicht! Weißt du was! Verständige Susanne, die wird alles nötige in die Wege leiten!“ fiel ihm dann ein und Sarah suchte mit zitternden Fingern die Nummer der PASt. Während sie wählte, sah sie durch die Heckscheibe ein Scheinwerferpaar erscheinen. Verdammter Mist-sie waren ihnen auf den Fersen!

  • Susanne sah auf ihren Monitor, als das Telefon läutete. „Semir, Gott sei Dank!“ rief sie, als sie die Rufnummernanzeige sah. Sarah meldete sich mit dünnem Stimmchen: „ Sarah am Apparat. Semir sitzt am Steuer, drum hab ich das Telefon. Susanne, du musst uns helfen! Wir fahren gerade in Tschechien durch den dicksten Schneesturm. Ben ist schwer verletzt und bewusstlos und wir werden von zwei Verbrechern verfolgt, die zu allem entschlossen sind!“ sagte sie und schrie wie zum Beweis dann erschrocken auf, denn Schüsse ertönten. „Und beschossen werden wir auch noch!“ rief Sarah aufgeregt und Susanne hielt vor Entsetzen am anderen Ende beinahe die Luft an.Semir begann nun mit vorsichtigen Lenkbewegungen ein wenig auszuweichen, um den Verbrechern kein festes und berechenbares Ziel zu geben, die wieder und wieder auf sie schossen. Sarah klammerte sich mit einer Hand an der Kopfstütze des Vordersitzes fest, da sah sie etwas, was ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Ben´s Decke färbte sich rot!


    Andrea war in der Höhle inzwischen von Jantzer mit vorgehaltener Waffe gezwungen worden weiter Richtung Berginneres zu gehen. Er leuchtete mit der Taschenlampe und sie folgte wie in Trance dem Lichtkegel. Wie hatte sie sich nur so täuschen können! Sie hatte dem Kripomann vertraut, denn der hatte sie ernst genommen, im Gegensatz zu den anderen Polizisten. Natürlich hatte er die Sache mit dem Bergwerk nicht dementiert, denn er hatte ja gewusst, dass es existierte und wo genau der Zugang war, aber was hatte er jetzt mit ihr vor? Und wo waren Sarah, Semir und Ben? Eigentlich müsste sie jetzt, wenn Hartmut Recht gehabt hatte, unterirdisch schon in Tschechien sein, vielleicht waren ihr Mann und ihre Freunde gar nicht weit weg von ihr?


    Als sie um eine Ecke bogen, fluchte Jantzer verhalten auf. Vor ihnen war eine undurchdringliche Wand aus Schutt und Geröll-es hatte einen Einsturz gegeben, der Weg in die Freiheit war versperrt! Jantzer hatte vorgehabt, Andrea als Geisel mitzunehmen, um seinen Abzug zu sichern. Er wusste, dass der Boss von tschechischer Seite aus in der Höhle war, um einen Zeugen zu „befragen“. Der Kripomann hatte sich schon vorstellen können, wie diese „Befragung“ ablaufen würde, denn die gewalttätige, sadistische Ader des Chefs war in der Bande bekannt und sorgte dafür, dass niemand aufmuckte, denn sonst wurde an dem ein Exempel statuiert und er selbst hatte einmal einer Szene beigewohnt, bei der ein Verräter vor aller Augen zu Tode gefoltert worden war. Mit dieser Schreckensherrschaft hielt der Chemiker die Bande zusammen, aber zusätzlich wurden die Mitarbeiter und die Mittelsmänner gut bezahlt. So florierte das Geschäft, er selbst hatte nur immer Informationen über geplante Razzien und Pläne der Polizei weitergeben müssen und hatte sich damit ein stattliches finanzielles Polster anlegen können. Wenn sie jetzt aufgeflogen waren, hätte er nur seinen Rückzug gesichert, die Polizistenfrau an den Boss übergeben, dem er vorhin unbemerkt eine Mail geschrieben hatte, sein Geld, das er sicher auf einem Schweizer Nummernkonto-ohne Wissen seiner Frau-deponiert hatte, geholt und hätte sich dann nach Thailand abgesetzt. Dort war er schon mehrfach in Urlaub gewesen und mit der Kohle, die er zur Seite geschafft hatte, konnte er sich dort ein wunderbares Leben gönnen-ohne Frau und Kinder, die sowieso nur noch ein Klotz am Bein waren, sie hatten sich schon lange nichts mehr zu sagen. Aber nun war vor ihnen diese undurchdringliche Wand aus Schutt-jetzt musste er erst mal überlegen, wie er nun weiter verfahren sollte.


    Als sich der Kripobeamte umdrehte, sah Andrea heimlich auf ihr Smartphone, aber wie sie schon befürchtet hatte, sie hatte keinen Empfang und so schaltete sie bedauernd das Gerät aus, denn es würde sich sonst ständig versuchen in ein Netz einzuwählen und der Akku wäre schneller leer, als ihr lieb war.Vor der Höhle sahen die beiden uniformierten Polizisten überrascht um einen Felsvorsprung. Die beiden anderen waren plötzlich verschwunden! Erst liefen sie den Weg durch den dichten Schneesturm weiter, aber nach kurzer Zeit drehten sie wieder um. „Da muss es irgendwo einen Zugang zum Bergwerk geben, den müssen wir finden!“ sagte der dicke Polizist ruhig zu seinem jungen Gehilfen, der ihn nun überrascht ansah. „Ich dachte, sie hätten dementiert, dass es sowas gibt-haben sie doch im Hotel zu der Polizistenfrau aus Köln gesagt!“ fragte er und der Bayer sagte: „Ja, weil ich gehofft hatte, ich könnte die Frau davon abhalten, mit dem Verräter mitzugehen!“ und nun sah ihn sein junger Kollege fassungslos an.

  • Nach einem kurzen Augenblick des Entsetzens riss Sarah die Decke von Ben und sah sofort, was geschehen war. Eine Kugel hatte ihn am Oberschenkel getroffen und einen großen Streifschuss verursacht. Seitlich hing die Verbandstasche in ihrer Halterung hinten im Wagen und während sie weiterhin beschossen wurden, nahm Sarah die zur Hand und presste ein Verbandpäckchen auf die stark blutende Wunde. Semir hatte derweil die Geschwindigkeit drosseln müssen, denn durch seine Ausweichmanöver war er ins Schlingern geraten und hatte nur durch seine Fahrroutine und die hochentwickelte Technologie des BMW das Fahrzeug überhaupt auf der Straße halten können. „Sarah was ist mit Ben?“ fragte er hektisch, denn er hatte nach einem Blick nach hinten den Grund für ihren entsetzten Aufschrei gesehen. „Ich denke, es ist halb so schlimm, wie es aussieht!“ beruhigte die ihn und Semir angelte nun mit einer Hand nach dem Handy, das Sarah achtlos hatte fallen lassen. Er stellte es auf Lautsprecher und steckte es vor sich in die Getränkehalterung.


    Susanne hatte, während sie voller Entsetzen den Geräuschen aus ihrem in ear-Kopfhörer lauschte, mit fliegenden Fingern eine Ortung von Semir´s Handy vorgenommen. Das Signal war fünf Kilometer vor dem Grenzübergang Philippsreuth. Sie überlegte eine Sekunde, ob es viel Sinn machen würde, die tschechische Rettung zu verständigen, aber ehrlich gesagt-bis sie vermutlich denen den Grund ihres Anrufs erklärt hatte, waren die anderen auf deutscher Seite. Zugleich hatte sie nämlich die nächstgelegenen Krankenhäuser auf den Schirm geholt und Freyung-Grafenau, das eine umfassende Basisversorgung bot, war sogar näher am Ort des Geschehens, als das nächste tschechische Krankenhaus. Sie setzte sich daher mit der deutschen Rettungsleitstelle, die den südlichen Bayerischen Wald versorgte, in Verbindung und während sie noch dem Einsatzleiter die Daten durchgab, meldete sich nun Semir. Sie merkte sofort an seiner hektischen Stimme, dass er gestresst war und im Hintergrund ertönten immer noch Schüsse.„Susanne, jetzt hab ich auf Lautsprecher gestellt. Ben wurde vermutlich von einer Kugel getroffen. Wir sind auf der Flucht vor zwei schiesswütigen Verbrechern und ich kann vor lauter Schnee kaum die Straße erkennen!“ sagte er und war froh, wieder beide Hände am Lenkrad zu haben. „Semir, ein Rettungswagen des Bayerischen Roten Kreuzes kommt euch auf deutscher Seite entgegen und wartet am Grenzübergang auf euch!“ erklärte ihm Susanne und damit war Semir stark einverstanden. Wenn sie es schaffen würden, nach Deutschland zu kommen, war das für die medizinische Versorgung Ben´s sicher besser. „Susanne ich habe völlig die Orientierung verloren, weil ich auf der Herfahrt nach Navi gefahren bin. Wie ist der Straßenverlauf und wie weit haben wir noch bis zur Grenze?“ fragte Semir hektisch und Susanne hatte derweil mit fliegenden Fingern die Satellitenkarte der Gegend aufgerufen. Die Krüger, die irgendwie gespürt hatte, dass es Neuigkeiten gab, hatte ihr Büro verlassen und stand nun gespannt hinter Susanne, die nun mit einer Tastenkombination ihren Kopfhörer ebenfalls auf Lautsprecher umstellte.„Semir, ihr seid jetzt viereinhalb Kilometer vor der Grenze. Jetzt kommt dann ein gerades Straßenstück, etwa 500 Meter lang, danach wird’s wieder kurvig!“ navigierte Susanne konzentriert.


    „Sarah gib mir die Waffe-schnell!“ sagte Semir kurzentschlossen und ließ auch schon sein Fenster herunter. Der Schnee und die kalte Luft drangen in das inzwischen leicht erwärmte Wageninnere und Sarah beeilte sich, Semir die Waffe nach vorne zu reichen. Dazu musste sie allerdings kurz den Druck auf Ben´s Wunde lösen, was die wieder verstärkt zum Bluten brachte. Auf der geraden Strecke wären sie ein sicheres Ziel für ihre schiesswütigen Verfolger, die anscheinend Munition bis zum Abwinken bei sich führten, was man nun von ihnen nicht behaupten konnten-und es war anzunehmen, dass ihre Verfolger das auch wohl wussten. Aufatmend registrierte Semir, dass dank Sarah´s guter Munitionseinteilung noch ein paar Schuss in der Waffe waren und während er den Tempomat einschaltete und das Lenkrad mit den Knien festhielt, lehnte er sich ein wenig aus dem Fahrerfenster und gab einen gezielten Schuss auf den Vorderreifen des verfolgenden Skoda ab. Trotz Schneefall war der so nah, dass er das fertigbrachte und als er nun wieder beide Hände ans Lenkrad nahm, sah er mit Befriedigung im Rückspiegel, wie der Skoda dank Reifenplatzers plötzlich nicht mehr auf Lenkbewegungen reagierte und nun mit voller Geschwindigkeit von der Straße abkam und gegen einen Baum prallte. Semir fuhr zügig weiter und wenig später erhellte ein Feuerball hinter ihnen die Nacht.


    In der Höhle waren Jantzer und Andrea inzwischen wieder zu dem Metalltor zurückgekehrt. Der Kripobeamte hatte beschlossen, dass er sich mithilfe Andrea´s den Weg in die Freiheit freipressen würde. Aber als er nach dem dicken Polizisten rief: „Hintersteiner, bist du da draußen?“ kam keine Antwort und nun wusste er momentan auch nicht, was er nun tun sollte.

  • Als Sarah sah, dass die Verfolgung vorbei war, brach sie vor Erleichterung in Tränen aus. Semir reduzierte die Geschwindigkeit, denn nun war es wichtig, seine kostbare Fracht sicher über die Grenze zu bringen, damit Ben bald in ärztliche Behandlung kam. Susanne, die Chefin und der Rest der PASt, die telefonisch sozusagen Ohrenzeuge der geglückten Flucht geworden waren, fielen sich freudestrahlend um den Hals, als Semir mit knappen Worten durchgab, was passiert war. Am Horizont war immer noch die Feuersäule und eine riesige Rauchwolke zu sehen und in diesem Augenblick hörte es auch zu schneien auf und das Wintergewitter war auf einen Schlag vorbei. Semir unterbrach nun die Verbindung. „Leute, ich habe nur noch wenig Saft, ich melde mich später wieder!“ teilte er seinen Kollegen im fernen Köln mit. „Aber erst mal danke!“


    Als Semir sich der Grenzstation näherte, machte sich gerade ein tschechisches Polizeifahrzeug auf, um nachzusehen, wo der Rauch und die Explosion herkam und die Männer in dem neutralen Fahrzeug, die Semir für Zivilfahnder hielt, hefteten sich unauffällig an seine Fersen. Kurz vor der Landesgrenze überholten sie ihn, denn sie hatten, obwohl es bereits dämmrig war, die Einschusslöcher an der Karosserie des BMW entdeckt und wollten nun doch nach dem Rechten sehen, bevor er die tschechische Republik verließ. Ein Leuchtband begann in ihrem Heckfenster zu laufen und Semir konnte zwar nicht lesen, was darauf stand, aber es war anzunehmen, dass er gestoppt werden sollte. Klar er als Polizist oder Zöllner hätte so ein verdächtiges Fahrzeug auch kontrolliert. Semir hielt also an und die beiden Männer im anderen Wagen stiegen mit gezückter Waffe aus und näherten sich vorsichtig dem BMW. Semir hatte das Fenster erneut heruntergefahren, obwohl es dadurch im Wagen wieder kälter wurde. Der eine der Männer sagte etwas auf Tschechisch, aber als Semir hilflos die Schultern zuckte, wechselte er sofort ins Deutsche. „Was ist passiert?“ fragte er, aber da sah er auch schon die verletzte Person im Fond liegen und die junge Frau, die mit blutigen Händen dabei war, Erste Hilfe zu leisten. Aus der Ferne ertönte von deutscher Seite ein Martinshorn und Semir sagte flehend: „Wir wurden beschossen, ich werde ihnen auch alles erklären, aber mein Freund hier muss jetzt erst mal dringend ins Krankenhaus!“ Da war der Rettungswagen mit rotierendem Blaulicht auch schon aufgetaucht und hielt unmittelbar hinter der Grenze auf deutscher Seite an. Die beiden Zivilfahnder wechselten einen Blick, eigentlich würden sie das Fahrzeug jetzt gerne erst einmal festhalten, aber dem Mann da hinten ging es sichtlich nicht gut und als Ben in diesem Augenblick einen erneuten Krampfanfall bekam, richteten sie sich auf und winkten Semir durch, damit er die wenigen Meter zum Rettungswagen fahren konnte, aus dem auch sofort zwei Sanitäter mit ihrer Notfalltasche und dem Monitor sprangen.


    Semir hatte geistesgegenwärtig noch seine Waffe unter dem Beifahrersitz verschwinden lassen, denn er hätte nicht gewusst, was die Männer sonst getan hätten-er als Polizist hätte sich dann nämlich nicht weiterfahren lassen, aber nun atmete er auf, stieg aus und öffnete die Heckklappe und die hinteren Türen, damit die Helfer zu Sarah und seinem Freund kamen.
    Die beiden Sanitäter hatten Einmalhandschuhe an und baten nun Sarah, erst einmal von Ben wegzugehen, damit die während des Anfalls nicht verletzt wurde. Die stieg auch folgsam aus dem Wagen und Semir trat neben sie und legte beschützend den Arm um sie. Der eine Retter schob das Shirt hoch, klebte Monitorelektroden auf Ben´s Brustkorb und fragte besorgt: „Wie lange krampft er schon?“ Sarah sagte: „Das ist der vierte oder fünfte Krampfanfall, er hat aber gerade erst begonnen. Er wurde in einer Höhle elektrisch gefoltert, dann verschüttet und hat zusätzlich noch irgendeinen Mist gespritzt bekommen. Seitdem-das dürfte eine gute Stunde her sein, oder auch zwei- ist er tief bewusstlos, aber der Puls war immer kräftig, nur ist er die ganze Zeit tachykard. Die Pupillen waren bei jeder Kontrolle seitengleich und haben prompt reagiert, aber ich habe keine Ahnung, warum er krampft!“ erklärte sie und der Sanitäter sagte: „Aha, da ist also jemand vom Fach!“ Sarah bestätigte, dass sie Intensivkrankenschwester sei und während sich nun Ben´s Krampf langsam spontan zu lösen begann, hatte der zweite Retter schon einen Zugang vorbereitet, den er Ben dann auch gleich legte.


    „Die Leitstelle hat schon den Notarzt zugefordert, der kommt mit dem PKW nach!“ erklärte der eine Sanitäter, der nun gespannt auf den Monitor sah. Solange der Krampfanfall angedauert hatte, waren die Ableitungen völlig verwackelt gewesen, aber jetzt konnte man sehen, dass Ben´s Herz wirklich rasend schnell schlug und auch die Sauerstoffsättigung war momentan schlecht. Man drückte eine Sauerstoffmaske auf Ben´s Gesicht und maß noch den Blutdruck, der im Augenblick immens hoch war. Routiniert hatte der Retter Ben kurz durchuntersucht, gerade im Hinblick auf Rücken-oder Halswirbelsäulenverletzungen, nicht dass man ihm durch unsachgemäßen Transport jetzt noch mehr Schaden zufügte, aber er konnte auf Anhieb nichts entdecken. Der zweite Sanitäter hatte einen dicken, festen Druckverband auf Ben´s Verletzung am Oberschenkel gewickelt und momentan stand anscheinend die Blutung. Während aus der Ferne nun von allen Seiten Martinshörner zu hören waren-tschechische und deutsche, fuhr ein großer Mercedes mit der Aufschrift: „Notarzt“ heran und ein älterer Notfallmediziner sprang heraus. Auch er ließ sich nochmals kurz von Sarah schildern was passiert war und auch den von seinen Helfern beobachteten Krampfanfall nahm er besorgt zur Kenntnis. Nachdem auch er Ben nochmals systematisch durchuntersucht hatte, befahl er: „Wir legen ihn jetzt auf die Trage und bringen ihn in den RTW. Dort werde ich ihn erst einmal intubieren und dann bringen wir ihn ins Krankenhaus!“ erklärte er die weitere Vorgehensweise.


    Der eine Sanitäter holte die Trage und hatte auch eine Wolldecke für Sarah dabei, die er ihr nun fürsorglich um die Schultern legte, denn inzwischen hatte die ebenfalls zu zittern begonnen. „Wir bringen ihn nur schnell in den RTW und dann schauen wir uns noch an, was mit ihnen los ist!“ sagte er tröstend, denn er hatte inzwischen gesehen, dass die junge Frau schwanger war. Ihre Hände waren zwar blutig, sie, wie auch der Fahrer des Wagens, waren verschrammt und schmutzig, aber anscheinend nicht schwerer verletzt.
    Ben wurde nun geborgen und bevor der Notarzt sich eingehend um ihn kümmerte, was aber im warmen, hellen RTW viel leichter war, sah er Sarah kurz durch, die aber beteuerte, dass ihr nichts passiert war. Auch Semir wurde schnell angeschaut und erst jetzt wurde ihm bewusst, wie weh sein Rücken tat, wo er von dem Felsbrocken getroffen worden war. „Können sie noch selbst fahren?“ fragte der Notarzt besorgt, aber Semir beteuerte, dass das kein Problem sei. So wurde beschlossen, dass Sarah im RTW mitfahren würde und Semir im Auto nachkam. Als sich die Türen des Rettungswagens hinter den anderen geschlossen hatten, war inzwischen auch die deutsche Grenzpolizei erschienen und nun begann Semir erst einmal seine Erklärungen.

  • Der junge Partner des dicken bayerischen Polizisten sah den mit großen Augen an. „Sie wollen doch nicht hiermit sagen, dass Jantzer ein Maulwurf ist?“ fragte er, aber sein Vorgesetzter nickte mit dem Kopf. „Doch, ich bin ihm schon seit einiger Zeit auf der Spur. Leider musste das alles sehr geheim ablaufen, weil es vermutlich nicht nur bei der Kripo, sondern auch in unserer Dienststelle noch Mitarbeiter gibt, die auf der Gehaltsliste eines Verbrechersyndikats stehen. Dessen Umtriebe sind bekannt, aber es ist wahnsinnig schwierig, da die sauberen und die bestechlichen Beamten herauszufiltern. Eigentlich kann ich niemandem trauen, nicht einmal dir, aber weil du erst so kurz von der Polizeischule kommst, hoffe ich jetzt eben, dass du ehrlich und den Verlockungen des Geldes nicht erlegen bist!“ sagte er.
    „Ich bekomme meine Order direkt aus München, benutze für den Kontakt mit der Inneren Ermittlungsgruppe auch keinen Funk, sondern nur externe Festnetztelefone, oder verschiedene Wegwerfhandys, die ich extra in Tschechien auf dem Schwarzmarkt gekauft habe, damit die nicht zu mir zurückverfolgt werden können-zumindest nicht auf Anhieb, denn es wird jeder von uns vermutlich durch den korrupten Polizeiapparat überwacht. So sind uns die Verbrecher immer einen Schritt voraus und es war bis jetzt fast unmöglich, sie zu überführen.Nun hat Jantzer aber einen Fehler gemacht, indem er uns hergeführt hat, aber ich befürchte, wir müssen jetzt schnellstmöglich den deutschen Zugang zu dem Bergwerk finden, um diese Frau Gerkan zu befreien, ich weiß nämlich nicht, was er mit der vorhat. Erst als die Polizistenfrau im Hotel einen fraglichen Einstieg erwähnt hat, ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen. Wir wussten nicht, wie die die Schmuggelware so einfach nach Deutschland bringen und wie sie die Dinge, vor allem die Drogen, aus dem Bayerischen Wald befördern, aber vermutlich hat der als erster verschollene Kölner Polizist eine Entdeckung gemacht und ist deswegen gekidnapped worden. So eine unterirdische Verbindung zwischen Deutschland und Tschechien vereinfacht nämlich alles und irgendwo hier muss der Zugang sein!“ erklärte er seinem jungen Kollegen, während er aufmerksam das Gelände musterte. Durch den immer noch andauernden Schneesturm waren die Fußspuren leider sofort verweht worden und so brauchten sie eine Weile, bis ihnen die Felsformation, die den Eingang verdeckte, auffiel. Vorsichtig schwang sich als erster der junge Polizist um die Kante und rief dann leise: „Herr Hintersteiner, sie haben recht, hier ist ein Zugang!“ und kurz danach folgte ihm sein dicker Kollege, der sich geschmeidiger bewegen konnte, als er erwartet hätte, nach. Mit einem Blick sah der ältere Polizist auch die Halterungen im Fels, mit der man anscheinend eine Plattform anbauen konnte, um Waren da leicht und ungefährlich um die Kante befördern zu können und die passende Metallplattform stand auch unmittelbar hinter dem Höhleneingang an der Wand. Bevor sie in den Stollen gingen, zückte der dicke Bayer nochmals sein Handy und gab die Koordinaten und die Beschreibung an die Münchner Zentrale durch. „Die schicken uns eine mobile Einsatztruppe, aber es kann eine Weile dauern, erst mal sind wir auf uns alleine gestellt!“ informierte er seinen jungen Kollegen, während er seine Taschenlampe anknipste.“Und übrigens, ich bin der Josef!“ fügte er dann noch hinzu und bot dem Jungspund die Hand. Der schlug ein und sagte „Und ich der Franz!“ und damit verschwanden die beiden im Berg.


    Semir ging nun ein paar Schritte zurück, so dass er ziemlich genau auf der Grenze zu stehen kam. Die bayerischen und die tschechischen Polizisten traten nun hinzu und Semir begann, zu erzählen, was er wusste. „Mein Kollege, der jetzt schwer verletzt im Krankenwagen liegt, war heute Nachmittag plötzlich verschwunden. Man hat uns informiert, dass er im Moor ertrunken sei, aber ich konnte das nicht glauben und habe von meiner Kölner Dienststelle der Autobahnpolizei aus, sein Handy orten lassen. Ich bin dann an den Ort gefahren, an dem man das letzte Funksignal empfangen hatte und habe dort den Zugang zu einem stillgelegten Bergwerk gefunden, das auch von deutscher Seite aus erreichbar ist. Als ich eingedrungen bin, hörte ich ihn schon schreien und kam gerade noch dazu, wie er fürchterlich mit Strom gefoltert wurde. Auch seine Lebensgefährtin, die jetzt ebenfalls medizinisch versorgt wird, wurde Zeugin des Verbrechens und dann leider entdeckt. Einer der Verbrecher wollte sie ebenfalls mit Waffengewalt gefangen nehmen und da bin ich eingeschritten und habe ihn überwältigt-dabei hat er seinen einen Komplizen erschossen. Anscheinend durch den Lärm kam es zu einem Höhleneinsturz und ich dachte, ich hätte alle Verbrecher ausgeschaltet. Leider war das eine Fehlmeinung, denn es gab einen zweiten Überlebenden, einen kleinen Mann mit dicker Brille in einem weißen Mantel. Er und sein Komplize haben uns dann auf unserer Flucht aus dem Bergwerk verfolgt und uns einen heißen Empfang am Bergwerkseingang bereitet. Mit viel Glück gelang es uns, zu unserem Wagen zu kommen und Richtung Grenze zu fliehen, immer die schießwütigen Verfolger im Nacken-deshalb sieht auch der Wagen so aus!“ sagte er und wies auf die Einschusslöcher.
    „Mir ist es gelungen, einen Reifen unseres Verfolgerfahrzeugs zu treffen und der Wagen kam daraufhin bei schneeglatter Fahrbahn von der Straße ab und ist gegen einen Baum geprallt-das war die Explosion da vorne!“ sagte er und deutete in die Richtung, in der inzwischen ein Löschfahrzeug und mehrere andere Einsatzfahrzeuge verschwunden waren.


    Der tschechische Grenzbeamte hatte derweil mit einem Ohr dem Funk gelauscht, mit dem der Einsatz zwischen den Rettern auf einer Frequenz für Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst koordiniert wurde. Er fragte nach: „Von wie vielen Männern wurden sie nochmal verfolgt?“ und Semir antwortete mit fester Stimme: „Von zweien in einem hellblauen Skoda Oktavia mit tschechischem Kennzeichen!“ Der Grenzbeamte sagte langsam. „In dem ausgebrannten Fahrzeug wurde aber nur eine, bis zur Unkenntlichkeit verbrannte Leiche gefunden, der Fahrer!“ und nun starrte ihn Semir entsetzt an.

  • Der Chemiker hatte auf den flüchtenden BMW geschossen. Da sie hier auf den kurvigen Sträßchen ortskundig waren, hatten sie dessen Vorsprung schnell aufgeholt. Er konnte sich nicht anschnallen, weil er sich zum Schießen immer aus dem Fenster lehnen musste. Noch hatte das Fahrzeug vor ihnen eine Chance, denn durch die Kurven und das Geschick des Fahrers bot es nur ein ständig wechselndes Ziel, allerdings sah der Mann im weißen Kittel mit Befriedigung, wie immer wieder eine Salve das Blech des recht neuen Wagens durchschlug. Da vorne kam jetzt dann eine gerade Strecke, wo keine Ausweichmanöver möglich waren, da würden sie die drei schnappen und ein für alle Mal ausschalten-es würde keine Überlebenden geben, dazu hatten sie ihn, den erfolgreichen Boss einer mühsam aufgezogenen Bande, zu sehr geärgert!
    Gerade als sie um die letzte Kurve vor der Geraden kamen und der BMW schon begann, zu beschleunigen, musste der Chemiker das Magazin seiner Waffe wechseln. Er meinte seinen Augen nicht zu trauen, als sich-gerade als sein Komplize ebenfalls aus der Kurve heraus beschleunigen wollte-der Fahrer des BMW aus dem Fenster lehnte und mit einem einzigen gezielten Schuss einen Vorderreifen des Oktavia zum Platzen brachte. Verzweifelt versuchte sein Fahrer das Fahrzeug abzufangen, aber der Chemiker sah den Baum schon näherkommen, als er die Tür öffnete und sich ohne lang zu überlegen, einfach in den Schnee fallen ließ. Im Heck des Oktavia befanden sich nämlich mehrere ungesicherte Gasflaschen, die er für seine Drogenküche brauchte. Er hörte noch den entsetzten Schrei seines Fahrers und dann kam es auch schon zum Aufprall und wenig später zur Explosion. Ohne auch nur einen Blick zurückzuwerfen, verschwand der Chemiker, der durch den weißen Mantel im Schnee auch schwer zu erkennen war, hinkend zwischen den Bäumen. Er würde seine Rache schon noch bekommen!


    Im Rettungswagen hatte man Ben inzwischen zur Intubation vorbereitet. „Der Krampfanfall ist zwar vorbei, aber er hat keinerlei Schutzreflexe!“ erklärte der Notarzt und wollte Sarah überreden, vorne in der Führerkabine Platz zu nehmen, aber die schüttelte den Kopf. „Ich bin sehr froh, wenn sie ihn intubieren-ich hatte die ganze Zeit Angst, er könnte aspirieren!“ erklärte Sarah und der Notarzt zuckte nun mit den Schultern. Immer diese Intensivschwestern, das war schon ein hart gesottenes Völkchen, aber wo sie Recht hatte, hatte sie Recht und es war sicher nicht die erste Intubation, bei der sie zusah!
    Er hatte von den Sanitätern verschiedene Medikamente aufziehen lassen, auch wenn Ben tief bewusstlos war, er wollte auf Nummer sicher gehen, dass der auch wirklich nichts mitkriegte und so bekam Ben nacheinander einen Medikamentencocktail gespritzt. Dann beatmete man ihn so lange mit dem Ambubeutel und einer Maske, bis seine Eigenatmung völlig erloschen war. Nun überstreckte der Notarzt routiniert den Kopf seines Patienten und schob den Tubus problemlos durch den Mund in dessen Luftröhre. Als er den Kehlkopf passiert hatte, blockte der assistierende Rettungssanitäter den sogenannten Cuff, einen kleinen Ballon am Ende des Tubus und nachdem man durch Abhören noch die korrekte Lage des Beatmungsschlauchs festgestellt hatte, verklebte man ihn im Mundwinkel und hängte das transportable Beatmungsgerät an. Gleich saugte man Ben noch ab und der Notarzt musterte stirnrunzelnd das braune Sekret, das aus der Lunge kam. „Was ist denn das?“ wollte er wissen und Sarah sagte tonlos: „Ich befürchte, das ist Moorwasser!“
    Der Sanitäter, der sich inzwischen im hellen Licht des Rettungswagens Ben näher angesehen und nun auch dessen nasse Schuhe ausgezogen hatte, sagte: „Ja in den Hautumschlagfalten und zwischen den Zehen ist überall Moorschlamm. Er muss tatsächlich da dringelegen haben!“ Sarah nickte und erzählte: „Das war auch die erste Meldung, die wir von der Polizei erhalten haben-er sei im Moor verunglückt, dort auf dem Steg hat man auch seine Jacke mit allen Papieren gefunden. Erst als das Handy wo ganz anders geortet wurde, haben sein Freund und ich uns, unabhängig voneinander, nach ihm auf die Suche gemacht!“


    Der Notarzt hatte Ben auch nochmals genauer angesehen. „Er hat Strommarken an seinen Genitalien!“ sagte er betroffen und nun begann Sarah leise zu weinen: „Ja er wurde schrecklich gefoltert und ich habe zum Teil zugesehen und vor allem auch zugehört!“ erklärte sie dem medizinischen Personal. Der Notarzt breitete nun eine Decke über den friedlich schlafenden und überwachten Ben und sagte tröstend zu Sarah: „Wir fahren jetzt in die Klinik, wo man ihn versorgen kann und genauer feststellen, welche Verletzungen er davongetragen hat, die wir von außen nicht sehen können, aber denken sie immer daran, er merkt momentan nichts davon, wie schlecht es ihm geht und hat auch keine Schmerzen, alles Weitere wird sich ergeben!“Während der Fahrer des RTW nun nach vorne ins Führerhaus ging und den Motor startete, spritzte der Notarzt noch ein blutdrucksenkendes Medikament, denn trotz Sedierungsmittel war der Blutdruck immer noch immens hoch und Ben´s Herz jagte. Ans Krankenhaus ging eine Voranmeldung raus und nun setzte der Sanitäter den RTW in Bewegung. Der Notarztmercedes mit seinem Fahrer schloss sich an und schon ging die Fahrt mit Blaulicht ins gut 15 km entfernte Krankenhaus los.

  • Als Jantzer vergeblich nach seinen uniformierten Kollegen der Grenzpolizei gerufen hatte, zwang er Andrea wieder mit vorgehaltener Waffe von der Eisentür zurückzugehen. Ein wenig entfernt davon ließ er sich auf dem Boden nieder, forderte Andrea mit einer Geste auf, dasselbe zu tun und sagte: „Na dann werden wir einmal abwarten, bis meine Leute mich suchen kommen, ich habe sie nämlich vorher von unserer Ankunft verständigt!“ Andrea sah ihn wütend an. „Wie können sie nur ihre Polizistenkollegen dermaßen verraten? Die bemühen sich jeden Tag für Recht und Ordnung einzutreten und das Ganze noch bei schlechter Bezahlung und sie unterlaufen deren Bemühungen und stecken mit Verbrechern unter einer Decke!“-denn das war ja die logische Schlussfolgerung, die sie ziehen konnte. Jantzer grinste sie frech an. „Na ja, das mit der schlechten Bezahlung habe ich mir eben auch gedacht und wenn dann das entsprechende Angebot kommt, dann kann man das manchmal einfach nicht ausschlagen!“ sinnierte er und lehnte sich bequem zurück. Andrea überlegte fieberhaft. Sie musste versuchen, einen Überraschungseffekt auszunutzen. Vielleicht würde es ihr gelingen, diesen Norddeutschen mit einem Geröllbrocken niederzuschlagen, wenn er einen Moment unaufmerksam war, denn damit rechnete er sicher keinesfalls. Danach konnte sie die Falltür hochdrehen und nach draußen flüchten, bis er wieder zu sich kam! Sie fasste hinter sich und griff nach einem scharfkantigen Felsstück, das dort am Boden lag und schloss ihre Hand fest darum. Dann begann sie Jantzer weiter in ein Gespräch zu verwickeln. „Aber sie haben doch Familie, wie sie mir vorher erzählt haben?“ fragte sie und ihre Gedanken ratterten nebenbei in ihrem Kopf. Gerade war ihr nämlich eingefallen, dass, nachdem Sarah hier nirgends zu finden war, vielleicht der Felssturz erst passiert war, nachdem die die Höhle betreten hatte. Und nachdem sie den Gedanken zu Ende gedacht hatte, stockte ihr fast der Atem. Vielleicht waren Semir, Ben und ihre Freundin dort irgendwo verschüttet und vielleicht schon nicht mehr am Leben? Während sie weiter mit dem Kripobeamten plauderte, begann die Verzweiflung mit kalter Hand nach ihrem Herzen zu greifen. Vielleicht machte das Ganze hier überhaupt keinen Sinn, aber dann atmete sie tief durch. Sie hatte Kinder und deshalb musste sie sobald als möglich versuchen, hier rauszukommen!


    Semir sagte nun tonlos zu den Beamten, die ihm den Fund nur eines Opfers mitgeteilt hatten. „Auf dem Beifahrersitz saß der Chef der Bande. Er ist klein, hatte eine dicke Brille und einen weißen Laborkittel an. Sie müssen sofort die Suche nach ihm aufnehmen, denn der darf nicht entkommen!“ bat er und sowohl der Tscheche, als auch der deutsche Grenzpolizist griffen zu ihren Funkgeräten und veranlassten das.


    Der Chemiker hatte sich inzwischen des Laborkittels entledigt, die Brille in die Tasche gesteckt und war seitlich zu den Löschfahrzeugen gelaufen, die aus den ganzen umliegenden Dörfern zusammengekommen waren. Er schnappte sich eine Feuerwehrjacke, die auf dem Rücksitz eines Einsatzfahrzeugs lag, setzte den zugehörigen Helm auf und lief geschäftig zwischen den Rettern herum. Als der Einsatz nach einiger Zeit, es war schon stockdunkel draußen, zu Ende war, bat er die Besatzung eines Löschfahrzeugs harmlos: „Kann ich bei euch mitfahren, denn mein Trupp ist schon voraus, die haben mich in der Hektik einfach zurückgelassen!“ Daraufhin wurde er natürlich sofort eingeladen und während die freiwilligen Feuerwehrmänner in ihrem Heimatdorf wenige Kilometer entfernt, die Schlauchleitungen in den Trockenturm hängten, verschwand der Chemiker in der Nacht. Er hatte am Unfallort gerade die Spürhunde und den Suchtrupp ankommen sehen, das war knapp gewesen, aber heute hatte er das Glück auf seiner Seite!

  • Inzwischen war der RTW im Krankenhaus angekommen. Obwohl Ben ja das Sedierungsmittel in seinen Adern hatte, hatte er nochmals zu krampfen begonnen und man hatte den Anfall auch mit hohen Dosen Diazepam kaum lösen können. Der Blutdruck war nicht runterzubringen und das Herz schlug immer noch wahnsinnig schnell. Man brachte die Trage mit Ben in die Notaufnahme und Sarah bestand darauf, dem übernehmenden Arzt nochmals den Hergang der letzten Stunden zu schildern. Die Pflegekräfte und Sanitäter lagerten Ben derweil in ein Krankenhausbett um und hängten ihn im Schockraum an die krankenhauseigenen Geräte, woraufhin sich der Notarzt und sein Team verabschiedeten. Man schnitt Semir´s Sweatshirt noch auf, damit man von überall gut an den Patienten rankam und nun wurde Ben vom aufnehmenden Arzt durchuntersucht, der sich dann sofort ein Ultraschallgerät bringen ließ. Man verdunkelte das Zimmer und alle sahen gespannt auf den Bildschirm. Nach einer Weile, in der der Arzt Ben´s Bauch von allen Richtungen geschallt hatte, sagte er: „Also im Bauch kann ich momentan keine freie Flüssigkeit und auch weiter nichts besonders Auffälliges sehen, ich denke, wir können uns auf die Kopfverletzung konzentrieren!“ und er meldete gleich ein Computertomogramm des Schädels an.


    Ein Anästhesist war von der Intensivstation geeilt und hatte in Windeseile einen arteriellen Zugang gelegt und gleich mehrere Blutröhrchen abgenommen. Sarah hatte auch ihm von der Spritze erzählt, die Ben vor dem Höhleneinsturz bekommen hatte, aber als sie in ihre Jackentasche griff, um dem Arzt diese zu geben, damit man sie im Labor untersuchen lassen konnte, war ihre Tasche leer. Mist, sie musste irgendwann herausgefallen sein-vermutlich in der Höhle, als sie Ben mit ihrer Jacke zugedeckt hatte. „Keine Sorge, wir machen ein Drogenscreening aus Blut und Urin!“ beruhigte sie der Arzt und nickte auch gleich einer Schwester der Notaufnahme zu, die Ben gleich noch einen Blasenkatheter legte und zwei Röhrchen Urin abnahm.
    Stirnrunzelnd betrachtete der Aufnahmearzt die Kopfplatzwunde, die Ben von den herabfallenden Steinen erlitten hatte. Sein dunkles Haar war blutdurchtränkt und der Arzt war eigentlich überzeugt davon, dass auch ohne Auffälligkeit der Pupillenreaktion die Krampfanfälle und die Bewusstlosigkeit seines Patienten von einer schweren Schädelverletzung, vermutlich einer Hirnblutung kamen-da würde wahrscheinlich noch eine nächtliche Verlegung nach Passau anstehen, denn das kleine Krankenhaus hatte keine Neurochirurgie. Man hatte auch den Verband am Bein abgewickelt und die Schusswunde begutachtet, die sofort wieder zu bluten begann, als der Druck weg war. „Das versorgen wir alles nach dem CCT!“ beschloss der Aufnahmearzt, erneuerte den Druckverband und hörte auch noch Ben´s Brustkorb ab. „Er hat auf jeden Fall aspiriert-wir machen auch gleich noch eine Röntgenaufnahme der Lunge!“ beschloss der Arzt und nun wurde Ben zugedeckt und in die Röntgenabteilung geschoben.


    „Inzwischen schauen wir mal, ob es ihnen und dem Baby gut geht!“ sagte eine freundliche Frauenärztin, die man zu Sarah geholt hatte und nahm diese mit in die Gynäkologie. Als Ben´s Bett hinausgefahren wurde, wäre Sarah am liebsten hinterhergerannt. Sie wollte ihn nicht alleine lassen, aber es war klar, dass Röntgenstrahlen dem Ungeborenen schaden würden und so ging sie aufseufzend mit der Ärztin mit, die ihr erst den Blutdruck maß, dann einen Zugang legte und Blut abnahm und sie dann bat, auf einer Liege Platz zu nehmen, damit sie die Ultraschalluntersuchung des Babys machen konnte. „Na da ist aber jemand munter!“ sagte die Ärztin, als sie die gründliche Sonographie abgeschlossen hatte. „Ich würde sagen dem Kind geht es gut und ich hänge sie jetzt noch für eine halbe Stunde zur Sicherheit an den Wehenschreiber, damit wir auch nichts übersehen. Sie haben auch keine Schmerzen oder Krämpfe?“ fragte sie freundlich, aber Sarah schüttelte den Kopf. Natürlich würde sie das noch machen lassen, aber dann musste sie wieder zu Ben!


    Semir hatte inzwischen seine Erzählung beendet, die tschechischen Polizisten hatten ihm versichert, dass schon ein Suchtrupp mit Hunden in den umliegenden Wäldern unterwegs wäre, um den flüchtigen Verbrecher aufzuspüren und nun griff Semir, während die Polizisten alle wieder zu ihren Fahrzeugen gingen, nach seinem Handy. Er musste jetzt zuerst Andrea verständigen, bevor er ins Krankenhaus fuhr, wenn Susanne das nicht schon erledigt hatte. Er wollte die Verbindung herstellen, aber stirnrunzelnd konstatierte er, dass das Handy seiner Frau ausgeschaltet war. Kurzentschlossen wählte er die Nummer der PASt. „Susanne, ich kann Andrea nicht erreichen, hast du ihr hoffentlich schon Bescheid gesagt, dass wir alle leben, damit sie sich nicht allzu große Sorgen macht!“ sprudelte er heraus, aber dann wurde sein Gesicht lang und länger, als er die Informationen vom anderen Ende der Leitung erhielt.

  • Andrea hatte den spitzen Stein in ihrer Hand noch ein wenig fester gepackt. Plötzlich sprang sie auf und zog ihn mit aller Kraft über Jantzer´s Kopf. Sie traf ihn zwar, aber als er die Bewegung kommen sah, warf er sich zur Seite, so dass sie ihn nur leicht an der Schläfe erwischte und er nicht bewusstlos wurde. Dafür schlossen sich nun seine Hände wie zwei Schraubstöcke um ihre Handknöchel und mit einem Schmerzenslaut musste sie ihre provisorische Waffe fallen lassen. „Das muss ich ihnen lassen-Mut haben sie!“ sagte Jantzer, während er sie niederrang, grob auf den Bauch drehte und nun mit seinen Handschellen ihre Hände auf ihren Rücken fixierte, seinen Gürtel herauszog und mit dem noch ihre Fußknöchel zusammenband. Andrea funkelte ihn wütend über ihre Schulter an, während er nun ein Taschentuch aus seiner Jacke zog und es auf die stark blutende Kopfplatzwunde an seiner Schläfe presste. Als sie sich ein wenig zur Seite rollte, hörten sie plötzlich Stimmen und wie sich jemand versuchte, an der metallenen Falltür zu schaffen zu machen. „Hintersteiner, bist du endlich da!“ rief Jantzer nun und da ertönte auch schon die Stimme des dicken Polizisten von draußen: „Jantzer, komm raus und ergib dich-ich weiß über deine Machenschaften Bescheid und Verstärkung aus München ist auch schon auf dem Weg!“ sagte er, aber nun lächelte Jantzer kalt. „So leicht mach ichs dir nicht. Ich habe hier eine Geisel-handlich zum Paket verschnürt, übrigens. Ihr werdet mir freies Geleit zusichern, sonst fließt hier noch mehr Blut, als bisher, hörst du!“ zischte er und nun ertönte ein markerschütternder Schrei von Andrea.


    Als Semir nun von Susanne gehört hatte, dass seine Frau sich mit einem Kripomann und zwei Grenzpolizisten im Hotel getroffen hatte, die zusammen mit Hartmut die Lage der Höhle eruiert hatten und jetzt seit einiger Zeit das Handysignal nicht mehr zu empfangen war-letzter Standort wie der von Sarah-stöhnte er innerlich auf. Warum nahmen die Polizisten Andrea mit in die Höhle? Wie er wohl wusste, war die einsturzgefährdet und der Gang von Deutschland Richtung Tschechien war verschüttet, aber wo steckte sie dann? Klar war, dass er jetzt nicht ins Krankenhaus fahren konnte, wie er vorgehabt hatte, sondern zum deutschen Eingang der Höhle rasen würde, um dort nach dem Rechten zu sehen. „Susanne, du musst mir genau sagen, wo ich hinmuss, wenn ich nahe an dem Bergwerkszugang bin, aber mein Handyakku macht bald schlapp, ich muss es jetzt wieder ausschalten!“ informierte er sie und nun mischte sich von hinten noch die Stimme der Chefin ein: „Herr Gerkan, seien sie vorsichtig, einer der Polizisten ist korrupt, wie mir der Münchner Polizeipräsident mitgeteilt hat!“ und nun sprang Semir ins Auto und gab Gas, dass die Reifen des BMW beinahe durchdrehten.


    Das CCT und die Röntgenuntersuchung bei Ben waren abgeschlossen und er war inzwischen auf die Intensivstation gebracht worden. Sarah hatte die halbe Stunde ungeduldig am Wehenschreiber ausgeharrt, aber der zeigte gute Herztöne des Kindes und keine Wehen an. Die Ärztin befreite sie, zog ihr auch gleich noch den Zugang, den sie vorher vorsichtshalber hatte liegen lassen, heraus und sagte: „Von meiner Seite aus können sie nach Hause gehen!“ und Sarah bedankte sich: „Wie sie wohl verstehen werden, muss ich jetzt schnellstmöglich wieder zu meinem Lebensgefährten!“ sagte sie und als die Ärztin telefonisch nachfragte, erfuhren sie, dass er nun auf Intensiv war und die Medizinerin zeigte ihr noch den Weg dahin.Sarah läutete draußen und wie sie schon erwartet hatte-sie machte es ja auch nicht anders an ihrem Arbeitsplatz-ertönte eine Stimme aus der Rufanlage: „Ihr Angehöriger wird gerade versorgt, bitte nehmen sie Platz, wir holen sie herein, sobald es möglich ist!“ Gerade wollte sie ihre besondere Situation erklären, da war die Verbindung unterbrochen. Sarah atmete einmal tief durch und drückte dann einfach auf den Türöffner-sie würde sich mit Sicherheit nicht abwimmeln lassen!

  • Sarah betrat die ihr fremde Intensivstation. Dennoch war es leicht, sich zu orientieren, denn irgendwie waren die meist nach demselben Prinzip aufgebaut und schon stand sie wenig später vor einem hell erleuchteten Patientenzimmer, in dem Ben gerade von einem grün vermummten Arzt, assistiert von einer Schwester, einen zentralen Venenkatheter bekam. Die beiden sahen überrascht auf, als plötzlich die schwangere junge Frau vor ihnen stand. „Was wollen sie hier?“ fragte die Schwester unfreundlich. „Haben wir ihnen nicht gesagt, sie sollen draußen warten, bis wir sie reinholen-oder sie sind doch eine Angehörige von Herrn Jäger?“ fragte sie und Sarah nickte. „Ich bin auch Intensivschwester auf der Kardiologie in der Kölner Uniklinik!“ erklärte sie, aber die bayerische Intensivpflegekraft schüttelte den Kopf. „Und wenn sie die Bundeskanzlerin höchstpersönlich wären-wir werden sie hereinholen, sobald wir es für richtig halten und sonst sind sie hier in einer Eigenschaft als Angehörige und haben in diesem Zimmer im Augenblick nichts zu suchen!“ erklärte sie bestimmt. „Aber ich muss einfach wissen, wie es meinem Lebensgefährten geht!“ sagte Sarah unglücklich „Und was beim Schädel-CT rausgekommen ist! Ich werde mich auch ganz still in die Ecke setzen und sie nicht weiter stören, nur bitte lassen sie mich dableiben“ bat sie, aber die Schwester schüttelte erneut den Kopf und nun kam auch schon ein Pfleger herein, der durch die fremde Stimme aufmerksam geworden war. „Kommen sie und setzen sich wieder draußen hin, wir holen sie dann!“ sagte er freundlich und schweren Herzens folgte sie ihm. Gerade als sie einige Schritte aus dem Zimmer war, hörte sie den Arzt rufen: „Verdammt, er krampft-schnell 10mg Diazepam, jetzt bin ich wieder aus dem Gefäß gerutscht!“ und am liebsten hätte sie auf dem Absatz kehrt gemacht, um wieder zu Ben zu eilen. Aber der Pfleger fasste sie fest am Arm und zog sie mit nach draußen, während eine andere Intensivpflegekraft schon mit einer aufgezogenen Spritze an ihnen vorbei ins Zimmer stürzte. Wenig später saß Sarah voller Sorge wieder in der Sitzecke vor der Intensivstation und kämpfte mit den Tränen. Wenn nur Semir bald käme-sie könnte gerade dringend jemanden brauchen, der sie in den Arm nahm und ein wenig tröstete!


    Der war derweil in Windeseile zurück zu ihrem Urlaubsort gerauscht. Gut dass um diese Abendzeit nur noch wenig Verkehr war, dafür musste er ein paarmal einem Reh oder einem Hasen ausweichen, die einfach so über die Straße hoppelten. So idyllisch das war, aber irgendwie hatte er ein verdammt ungutes Gefühl, instinktiv wusste er: Andrea war in großer Gefahr! Kurz hinter dem Hotel nahm er wieder Kontakt mit Susanne auf. „Wo genau muss ich hin?“ fragte er und seine Kollegin lotste ihn aus der Ferne zu der Stelle, an der Andrea´s Handysignal zuletzt geortet worden war. Semir sah auch schon von weitem die beiden Fahrzeuge am Wegesrand stehen, aber als er sich suchend umsah, konnte er niemanden entdecken. „Semir, da muss irgendwo in östlicher Richtung von dir ein Zugang zum Bergwerk sein, da musst du suchen!“ sagte Susanne und Semir schaltete nun das Handy wieder aus, um die verbliebenen Minuten der Akkuladung zu schonen und begann sich umzusehen.
    Blöderweise war auch im Auto keine Taschenlampe gelegen-na klar, zu Zeiten der Taschenlampenhandyapps war sowas heutzutage nicht mehr notwendig, aber in Semir´s Wagen hätte man sowas trotzdem gefunden-er vertraute der neuen Technik nur bedingt!


    Allerdings schien der Mond fast taghell und Semir fiel auf, dass heute Vollmond war. So sehr zuvor der Schneesturm getobt hatte, jetzt lag die traumhafte, wildromantische Landschaft mit dem Felsmassiv, wie in einen weißen Mantel gehüllt, still vor ihm und nur ein Käuzchen schrie gelegentlich. Den Blick auf den Boden geheftet folgte Semir einigen halb verwehten Fußspuren. Auch er trug gute Schuhe und als die Spuren plötzlich abbrachen, bemerkte er, dass die von zwei Männern waren, die anscheinend hier umgekehrt waren und nun wieder zurückführten. Mann-er war doch kein Pfadfinder und Spurenlesen gehörte definitiv nicht zu seinen Lieblingsbeschäftigungen! Er drehte ebenfalls um und wirklich, vorhin hatte er da gar nicht so aufgepasst, aber da führten die Spuren sozusagen ins Nirgendwo. Semir hielt sich mit der Hand an einem Felsvorsprung fest und schwang sich vorsichtig um die Kante und tatsächlich: Vor ihm lag der Höhleneingang!

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