Wellness ganz anders

  • Wellness ganz anders
    Es war März geworden. Hinter Ben und Sarah, seiner Freundin, lag eine aufregende Zeit. Ein halbes Jahr vorher war Ben entführt und gefoltert worden, aber inzwischen waren seine Verletzungen soweit ausgeheilt, dass er ab sofort wieder mit Semir auf die Autobahn durfte. Im Innendienst war er schon länger, weil ihm zuhause die Decke auf den Kopf fiel. Sarah war nämlich aus einem besonderen Grund ebenfalls nicht in der Arbeit-die beiden bekamen ein Baby!
    Als Intensivkrankenschwester war Sarah sofort nach Bekanntwerden der Schwangerschaft von der Arbeit freigestellt worden, weil an diesem Arbeitsplatz eine erhöhte Infektionsgefahr bestand und außerdem hatte sie sich drei Monate lang die Seele aus dem Leib gekotzt. Obwohl sie ja sowieso schlank war, hatte sie abgenommen und Ben hatte sich große Sorgen um sie und seinen Nachwuchs gemacht. Aber nachdem die verflixten ersten drei Monate vorbei waren, war es ihr von einem Tag auf den anderen wieder gut gegangen, sie konnte alles essen und drin behalten und ganz langsam begann man nun etwas zu sehen, von dem ersehnten Babybäuchlein.


    In der PASt herrschte auch große Erleichterung, dass Ben wieder in den Außendienst durfte, denn keiner hatte die hungrigen Blicke mehr ertragen können, mit denen er Semir bedachte, wenn der mit wechselnden anderen Partnern, meist Jenni oder Bonrath, auf Streife ging. Er hatte zwar brav seinen Schreibtischjob gemacht, dabei seinen Fuß, der nach einem Riss der Achillessehne anfangs in einem Spezialstiefel steckte, hochgelegt, aber man hatte gemerkt, das war nicht Seines! Seit acht Wochen durfte er mit Lauftraining beginnen und nun war es soweit-er war wieder komplett gesundgeschrieben! Er freute sich wie ein kleines Kind, als er zum ersten Mal hinter dem Steuer seines Mercedes saß und gleich beim ersten Einsatz lieferte er sich eine fernsehreife Verfolgungsjagd mit einem Verkehrssünder, der rechts überholt und gedrängelt hatte. Semir klammerte sich unmerklich an seinem Sitz fest, puh-einerseits hatte er es schmerzlich vermisst, mit seinem vertrauten Partner auf Streife zu gehen, aber der war nun dermaßen ausgehungert nach Action, dass es schon fast wieder gefährlich wurde.
    Nach der ersten Einsatzwoche beruhigte sich die Lage und der Alltag kehrte ein.


    Semir hatte eine kleine Ehekrise hinter sich und hatte beschlossen, dass er sich nun vermehrt um seine Andrea kümmern und nicht immer den Beruf in den Vordergrund stellen würde. „Weißt du Ben-so sehr wir unsere Arbeit lieben- aber die Familie und die Kinder, das ist doch das, was bleibt!“ erklärte er ihm und Ben pflichtete ihm mit einem glücklichen Grinsen bei. Am nächsten Morgen waren sie kaum losgefahren, da sagte Semir: „Ben, halt doch mal da vorne beim Reisebüro an, ich muss schnell ein paar Prospekte holen!“ bat er und Ben machte das verwundert. Als Semir mit einem Stapel Broschüren zurückkam, sagte er abfällig: „Wer bucht denn heute noch was im Reisebüro, wozu gibt’s Internet?“ und Semir sagte: „Das darfst du gerne machen, aber ich trau der Sache nicht so. Lieber zahl ich ein paar Euro mehr und dann klappt das auch mit dem Wellnessurlaub!“ Nun sah ihn Ben verwundert an und grinste: „Du willst mir doch nicht sagen, dass du mit Andrea auf Wellness fährst? Ich glaube du wirst langsam alt-da gehen doch eh nur Frauen hin-da wirst du der einzige Mann unter 100 Weibern sein!“ und Semir erwiderte frech: „Na das wäre dann ja gut, aber weißt du, Andrea wünscht sich das schon sehr lange so sehr, dass nur wir alleine ohne Kinder zusammen wegfahren und jetzt habe ich übernächste Woche Urlaub, meine Schwiegereltern ziehen bei uns ein und beaufsichtigen die Mädels und da gilt es. Andrea musste wegen mir schon auf so viel verzichten, jetzt machen wir das, was sie möchte und das ist eben ein Wellnessurlaub!“ und nun sagte Ben nichts mehr, denn Recht hatte Semir!


    Als Ben abends nach Hause kam, hatte Sarah etwas Schönes gekocht und während sie aßen, erzählte Ben von Semir´s Urlaubsplänen. Ein sehnsüchtiger Ausdruck erschien in Sarah´s Gesicht. „Mensch, so ein Wellnessurlaub würde mir auch gefallen. Mal ein paar Tage nur verwöhnt werden, das kann ich mir sehr erholsam vorstellen!“ träumte sie und so kam es, dass Ben am nächsten Morgen, kaum dass sie auf Streife unterwegs waren, ganz unschuldig fragte: „Äh, Semir, habt ihr euch eigentlich schon entschieden, wo ihr in Urlaub hinfahrt?“ und Semir erzählte, dass sie sich ein kleines Vier-Sterne-Hotel im Bayerischen Wald ausgesucht hatten. „Das liegt direkt am ehemaligen Eisernen Vorhang, die Broschüre sieht sehr ansprechend aus und die Bewertungen im Internet, die wir dann nachgeschaut haben, waren auch alle sehr gut!“ erklärte er. Und nun ließ Ben die Bombe platzen: „Würde es euch viel ausmachen, wenn Sarah und ich mitfahren?“ fragte er und nun war es an Semir, ihn verwundert anzuschauen. „Ich dachte, du hältst nichts von Wellness und das wäre nur was für Frauen?“ fragte er, aber Ben schlug die Augen zu Boden: „Du weißt doch, ich kann Sarah einfach keinen Wunsch abschlagen und sie möchte jetzt eben auch so gerne auf Wellness!“ sagte er und so kam es, dass Ben ebenfalls bei Frau Krüger vorsprach und um eine Woche Urlaub bat, die ihm auch genehmigt wurde.

  • Sarah hatte die Koffer gepackt und vorsichtshalber beim Gynäkologen angerufen, ob Sauna oder Massagen fürs Kind bedenklich wären, aber der hatte ihr versichert, dass Alles was ihr guttäte, auch nicht schädlich fürs Kind wäre. „Früher dachte man, dass Sauna nicht so gut wäre, aber wenn sie auf sich achtgeben, dann passt das auch fürs Baby!“ beruhigte er sie und so waren sie am kommenden Samstag schon alle miteinander auf der A3.


    Ben hatte ein neues Auto gekauft-einen dunkelgrauen großen BMW in Kombiausführung. „Weißt du Semir, da muss Sarah dann den Kinderwagen gar nicht zusammenklappen, sondern kann ihn, so wie er ist, in den Kofferraum stellen!“ hatte er erklärt und Semir hatte die Augen zum Himmel gewandt und gesagt: „Ich weiß gar nicht, wie wir unserer Kinder nur mit einem Kleinwagen großgekriegt haben!“ Sarah hatte allerdings gleich von Anfang an erklärt: „Ich weiß gar nicht, ob ich mir mit diesem Riesenschiff im Kölner Stadtverkehr überhaupt fahren traue!“ und so hatte der BMW sozusagen seine erste längere Ausfahrt bei der Anreise nach Bayern. „Wenn ihr wollt, können wir mit einem Auto fahren, Platz ist da genug drin!“ hatte Ben angeboten und so waren sie alle gemeinsam in dem luxuriösen Fahrzeug unterwegs. Mit mehreren Pausen bewältigten sie die knapp 700 km lange Anreise. Als sie kurz vor Passau in den Woid, wie die Einheimischen ihre Heimat nannten, einbogen, entdeckte Sarah ein Schild, das zu einer Westernstadt wies: „Da könnten wir auch mal einen Ausflug hinmachen!“ wies sie, aber Semir erklärte: „Ich habe nicht vor, das Hotel zu verlassen. Ich werde einen Bademantel anziehen und den nicht mehr ablegen, bis wir nächsten Samstag nach Hause fahren!“ erklärte er und nun musste Andrea grinsen-das war nämlich ihre Aussage gewesen.


    Während in Köln der Frühling schon begonnen hatte Einzug zu halten, lag in den höheren Lagen des Bayerwaldes noch Schnee. Mit jedem Kilometer, den sie sich ihrem Ziel näherten wurde es kälter und in der kleinen Stadt, in der sie das Hotel ausgesucht hatten, war es noch sehr winterlich. Ben stellte das Auto auf dem Parkplatz ab und schon in dem gemütlichen Eingangsbereich fühlten sie sich wohl. Ben hatte eine Suite gebucht, während sich Andrea und Semir mit einem schönen Doppelzimmer begnügt hatten. Sie bekamen noch eine Führung durch das eher kleine, verwinkelte Hotel mit unter hundert Betten, aber alles machte einen gepflegten Eindruck, das Personal war freundlich und der Wellnessbereich mit den verschiedenen Saunen, dem Schwimmbad, den Ruheräumen und den Anwendungszimmern war ansprechend und wunderschön.


    Kaum hatten sie ihre Koffer ausgepackt, gab es schon Abendessen und bei einem Buffet der Spitzenklasse schlug sich Ben den Bauch voll, dass Semir kopfschüttelnd erklärte: „Ben, wenn du so weitermachst, dann ist dein Bauch bei der Heimfahrt grösser als der Sarah´s!“ was seinem Freund aber nur ein müdes Grinsen abverlangte. „Phh, du weißt doch-es gibt sowas wie Co-schwanger und das bin ich schließlich!“ bemerkte er. Nach dem Essen gingen sie noch gemeinsam in die Bar. Die Männer tranken Bier, Andrea einen schönen Rotwein und Sarah einen alkoholfreien Cocktail. „Hier kann man´s aushalten!“ seufzte sie glücklich und lehnte sich in ihrem bequemen Stuhl zurück.


    Ben ging einmal zur Toilette und danach lief er ein wenig durch die Gänge, um sich die Beine zu vertreten und kam auch an der Küche vorbei. Dort stand die Tür einen Spalt offen und er hörte erregte Stimmen aus dem Halbdunkel darin. Erst sprachen sie deutsch, dann tschechisch, was Ben allerdings nicht verstand und irgendwas hielt ihn davon ab, einfach weiterzugehen. Er blieb um eine Ecke stehen und nach einer Weile huschte ein dunkel gekleideter Mann, der sich noch verstohlen umblickte, aus der Tür und verschwand durch den Lieferanteneingang. Ben war sich nicht sicher, ob er ihn gesehen hatte, ging dann aber einfach weiter, als wäre nichts geschehen. Als er in der Bar zurück war, bemerkte Sarah, dass er ein wenig abwesend wirkte: „Schatz, wo warst du denn so lange?“ wollte sie wissen, aber Ben wich aus: „Ich hab mich nur ein wenig umgesehen!“ behauptete er, aber auch Semir blickte ihn prüfend an. Da stimmte doch was nicht, aber nachdem Ben nicht näher darauf einging, unterhielten sie sich noch eine Weile, um dann gähnend, müde von der langen Anreise, ins Bett zu gehen. Sie verabredeten sich um neun zum Frühstück, denn im Anschluss daran hatte jeder eine andere Anwendung. Sie hatten schon von zuhause aus, da ein Paket gebucht und jeder hatte eine Art Stundenplan erhalten, wann er sich in welchem Behandlungsraum einzufinden hatte. „Das ist ja wie in der Schule!“ hatte Semir nach einem Blick darauf festgestellt. „Ja, aber nur viel schöner!“ hatte Andrea lächelnd gesagt und so gingen sie alle ins Bett, sahen zuvor noch ein wenig fern, um dann bald das Licht zu löschen. Nur Ben konnte erst nicht einschlafen-warum hatte er nur so ein ungutes Gefühl?

  • Am nächsten Morgen standen sie gegen 8.30 Uhr auf. Ben war irgendwann doch eingeschlafen und bei Tageslicht fragte er sich, warum er gestern nur so ein ungutes Gefühl gehabt hatte. Er hörte auch schon das Gras wachsen und nur weil in der Küche einer von den Angestellten einen Streit mit jemand hatte, musste er sich doch den Urlaub nicht vermiesen lassen! Als er, während Sarah im Bad war, die Terrassentür öffnete, kam ein Hauch wunderbar klarer Winterluft herein. Die Sonne schien, es hatte in der Nacht leicht geschneit und man konnte vom Hotel aus die unendlich scheinenden, immer noch schneebedeckten Hügel und Wälder des Bayerischen-und Böhmerwaldes sehen. Mit tiefen Zügen atmete er die frische Schneeluft ein und als wenig später Sarah neben ihm erschien, lächelte sie ihn an: „Das ist schon ein anderer Geruch, als der Stadtmief in Köln, nicht wahr?“ neckte sie ihn und er lächelte zurück. „Meinst du, wir sollten uns hier irgendein Ferienhaus kaufen, damit wir mit unserem Kind immer zum Frischlufttanken fahren können?“ sinnierte er, aber Sarah schüttelte nur den Kopf: „Also ehrlich gesagt 700 km wegen frischer Luft zu fahren, ist schon ein wenig weit. Erstens lässt sich da sicher im Kölner Umland auch was Idyllisches finden und zweitens habe ich erst einen Bericht gesehen, dass die Luft in Köln durch das viele Grün gar nicht so schlecht ist-na ja, außer zur Rush Hour in den vielen Tunnels natürlich!“ schränkte sie ein und nun ging Ben noch ins Bad und dann trafen sie sich Punkt neun zum Frühstück mit Andrea und Semir.
    „Guten Morgen ihr-wie habt ihr geschlafen?“ wollte Andrea wissen und beide beteuerten, dass sie wunderbar ausgeruht waren. Semir sah auf die Uhr: „Komisch Ben-zum Frühstücksbuffett kannst du pünktlich sein-warum klappt das in der Arbeit nur nicht so?“ neckte er seinen Kollegen und dann nahmen sie an dem Tisch Platz, den ihnen das Servicepersonal wies. Es gab, was das Herz begehrte, von Räucherlachs über sämtliche Wurst-und Käsesorten, Marmeladen, Müslis, Obst, Schinken, Rührei-es blieb kein Wunsch offen und nach einer knappen Stunde machten sie sich frisch gestärkt, bzw in Ben´s Fall leicht überfressen, auf zu ihren Zimmern, wo sie die wunderbar weichen Bademäntel anzogen, die dort für sie bereitgelegt waren. Sie gingen zu den angegebenen Treffpunkten und nun wurden die vier von ihren Therapeuten abgeholt und in verschiedenen Behandlungsräumen begannen die Wohlfühlanwendungen. Andrea und Semir hatten ein Rosenblütenbad mit Sekt zu zweit und wurden anschließend synchron von zwei Physiotherapeutinnen massiert. Sarah und Ben hatten eine Ganzkörper-Kleopatrapackung, das bedeutete, man rieb sie mit einer wohlriechenden, öligen Lotion am ganzen Körper ein, hüllte sie in Tücher und dann schwebten sie auf einem Hydrojetkissen in wohltuend warmem Wasser, hörten dabei Entspannungsmusik und Ben merkte, wie innerhalb kurzer Zeit alle Anspannung von ihm abfiel. Schon am Vortag hatte er die anderen Hotelgäste gemustert und festgestellt, dass das Publikum bunt gemischt war. Es waren in etwa gleich viele Männer wie Frauen da, der Altersschnitt lag zwischen zwanzig und siebzig, groben Schätzungen zufolge und es war völlig anders, als Ben sich das vorgestellt hatte. Innerlich beglückwünschte er sich zu der Entscheidung, mit Sarah hierherzufahren. So konnten sie nach den anstrengenden letzten Monaten Kraft tanken für ihre neue Rolle-dem Elternsein!


    Nach der etwa einstündigen Behandlung wurden sie noch ermahnt, jetzt viel zu ruhen und so fand sich Ben wenig später auf einer bequemen Liege im Ruheraum neben Sarah ein und während die in den ausliegenden Zeitschriften blätterte, schlief Ben ein halbes Stündchen ein. Als er erwachte, gingen sie duschen, dann in den Pool ein paar Runden schwimmen und bald fanden sie sich im badewannenwarmen Whirlpool neben Andrea und Semir wieder. „Und war´s bei euch auch so schön?“ wollten die wissen und sahen sich mit verliebten Blicken an und Sarah sagte aus vollem Herzen: „Einfach himmlisch!“ Sie unterhielten sich und tranken immer mal von den überall bereitstehenden Kräutertees, Edelsteinwasser und anderen Wellnessgetränken. Am Nachmittag gab es Kaffee, Tee, Kuchen und kleine Snacks-dazu musste man sich nicht einmal umziehen und langsam verstand Ben, was Andrea und Semir damit gemeint hatten, als sie gesagt hatten, sie würden den Bademantel eine Woche nicht ausziehen.


    Nach dem Kaffee hatte Sarah eine Kosmetikbehandlung, die mindestens eineinhalb Stunden dauern würde und auch Semir und Andrea hatten Termine, nur er hatte den Nachmittag sozusagen frei und so beschloss er, nun doch ein wenig rauszugehen. Die klare Luft und die wundervolle Gegend lockten und so zog er seine Laufsachen an, die er eingepackt hatte und machte sich daran, die Gegend ein wenig zu erkunden. Wenn er so weiterfutterte würde er sonst tatsächlich zunehmen und da musste er etwas dagegen unternehmen! Er lief los und bald hatte er seinen gleichmäßigen Rhythmus gefunden. Er folgte einer Straße, die den Wanderwegweisern zur Folge, direkt Richtung Tschechien führte. Es war da zwar kein Grenzübergang, aber nach dem Abbau des eisernen Vorhangs spielte das wohl auch keine so große Rolle mehr. Bald hatte er das kleine Städtchen hinter sich gelassen und die Straße verjüngte sich zu einem Sträßchen. Der Weg war teilweise schneebedeckt und nicht sonderlich gut geräumt. Ben beglückwünschte sich, dass er Laufschuhe mit einigermaßen vernünftigen Sohlen mitgenommen hatte, denn bald wurde der Weg steiler und führte in eine grandiose Landschaft. Knorrige, sicher uralte Bäume säumten seinen Weg und auf einer Seite begann das Gelände felsig zu werden. Ben erinnerte sich, dass er in den Broschüren, die er mit Semir studiert hatte, gelesen hatte, dass sich in dieser Gegend viele ehemalige, jetzt stillgelegte Eisenerzbergwerke befunden hatten. Heute baute man aber nur noch Halbedelsteine ab, die in den Felsen massenhaft vorkamen. In der Eingangshalle des Hotels waren große Vitrinenschränke mit Steinen aus der Gegend, die teilweise zu sehr ansprechendem Schmuck verarbeitet waren-da musste er dringend für Sarah etwas kaufen, der gefiel das sicher!


    Irgendwann sah er eine Spur im Schnee, die vom Weg in die Felsen abbog und aus einer Laune heraus, folgte er der. Leider musste er sein Lauftempo nun verringern, denn mit seinem Schuhwerk wurde der Steig-so konnte man den Weg nun fast bezeichnen-zu gefährlich und so beschloß er bedauernd, doch lieber umzukehren. Gerade als er sich umdrehte kam hinter ihm ein dick eingemummter Mann aus den Felsen heraus. Als der ihn überholte, dank besserem Schuhwerk war der viel schneller und sicherer unterwegs, konnte Ben erkennen, dass das der Mann gewesen war, den er gestern im Hotel schon beobachtet hatte. Ohne ein Wort zu sagen bog der auf das Sträßchen ein und ging Richtung Stadt. Ben sah auf die Uhr und nachdem noch keine halbe Stunde vorbei war, lief er noch eine Weile in die andere Richtung weiter. Etwa zwei Kilometer später kam er an ein Islandpferdegestüt, wo dick bepelzte Ponys, die mit ihren zotteligen Haaren aussahen wie Urviecher, auf einer Weide durch den Schnee tobten. Da musste er mit Sarah her-die liebte doch Pferde! Ein wenig lief er noch weiter, um dann umzudrehen und in gleichmässigem Tempo zurückzutraben. Inzwischen hatte es wieder leicht zu schneien begonnen und als er an dem Abzweig vorbeikam, dem er vorhin gefolgt war, konnte man schon nicht mehr erkennen, dass da überhaupt jemand gelaufen war.


    Wenig später langte er im Hotel an, duschte und suchte Sarah, die mit strahlenden Augen schon im Ruheraum auf ihn wartete. „Und was sagst du?“ fragte sie, aber ehrlich gesagt, konnte er keinen Unterschied nach der Schönheitsbehandlung erkennen. Seine Sarah war immer hübsch, ob mit frisch gezupften Augenbrauen oder anders. Allerdings kriegte er gerade noch die Kurve und lobte sie wegen ihres tollen Aussehens, jetzt nach der Behandlung und nachdem er von den Islandpferden erzählt hatte, gingen sie noch gemeinsam in die finnische Sauna mit Abkühlung im Schnee, um sich danach beim Themenbüffet zu stärken. Dort trafen sie auch wieder auf Andrea und Semir und verbrachten nun gemeinsam mit denen noch einen schönen Abend.

  • Am nächsten Morgen stand Ben am Fenster, das auf den Gästeparkplatz hinausging und sah zufällig hinunter. Sarah war augenblicklich im Bad und er hatte gerade die Balkontür öffnen wollen, als sein Blick auf einen Mann fiel, der sich verstohlen umsah. Ben verharrte hinter dem Vorhang und schaute, was der wohl vorhatte, weil er sich so auffällig benahm. Der Mann ging mit zwei Schritten an eines der geparkten Autos, bückte sich kurz und fasste mit der Hand vorne von unten in den Motorraum. Dann drehte er sich um und war blitzschnell verschwunden. Ben konnte nicht erkennen, was er gemacht hatte, aber merkwürdig war das schon. Wenn das sein Wagen war und er etwas kontrollieren wollte, warum hatte er sich dann so auffällig umgesehen? Ben beschloss, sich schnell zu waschen und anzuziehen, aber als er kurz darauf den Gästeparkplatz erreichte, war das Auto weg. Sarah kam verwundert nach-Ben hatte nur gerufen: „ Ich gehe kurz raus, wir treffen uns dann beim Frühstück!“ und war dann verschwunden. Als sie sich auf den Weg machte, stand er gerade an der Rezeption und erkundigte sich nach dem Mercedes mit dem Hannoveraner Kennzeichen. „Tut mir leid, aber die Gäste sind soeben abgereist, sie haben ja noch eine längere Fahrt vor sich!“ erklärte ihm die Frau dahinter bedauernd und nun ließ Ben es gut sein. Er musste endlich seine Paranoia ablegen, immerhin hatte er Urlaub und war nicht im Dienst! Vielleicht hatte der Fahrer nur kontrollieren wollen, ob die Standheizung an war?


    So ging er mit Sarah frühstücken und auch Andrea und Semir waren schon eingetroffen. „Was habt ihr heute für Anwendungen?“ fragten sie und sowohl Ben als auch Sarah hatten morgens eine Ayurvedamassage, die über zwei Stunden dauern sollte und nachmittags dafür frei. Semir und Andrea waren heute vormittags mit den Packungen dran und nachmittags würden sie noch eine Klangschalenbehandlung erleben. „Wir treffen uns sicher zwischendurch im Ruheraum, aber seht ihr-das artet ja schon fast in Stress aus hier!“ lächelte Semir und Andrea sagte darauf: „Aber positiver Stress-den könnte ich immer haben!“
    Ben hatte schon befürchtet, dass sie ständig aufeinanderhängen würden und sich so Andrea und Semir gar keine Zeit für sich nehmen könnten, was ja der Zweck dieses Urlaubs war, aber das Gegenteil war der Fall-jeder hatte seine individuelle Tagesgestaltung und die eher zufälligen Treffen zwischendurch waren schön, aber völlig unverkrampft.
    „Wenn das Wetter heute wieder so herrlich ist, möchte ich Sarah am Nachmittag die Ponys zeigen, die waren so putzig!“ teilte er seinen Freunden mit, die wünschten ihnen viel Vergnügen und schon mussten sie gut gesättigt los, um ihre Bademäntel anzuziehen. Die Ayurvedische Massage mit dem typischen Kopfguss mit warmem Öl war ein einziger Genuss. Ben hätte schnurren können, wie ein Kater, so erholsam war das. Danach ruhten er und Sarah erst eine gute Stunde, um anschließend zu duschen, eine Runde zu schwimmen und dann Kaffee, bzw in Sarah´s Fall Tee und ein paar Snacks einzunehmen. Frisch gestärkt zogen sie sich dann warm an, denn draußen war wieder wundervolles klares Winterwetter mit Sonnenschein, blauem Himmel und Schnee.


    Als Ben mit Sarah nach unten lief-es war zwar ein Fahrstuhl vorhanden, aber den benutzten sie nie-hörte er eine Stimme, die ihm bekannt vorkam. Das war doch die zweite Männerstimme, die er an seinem ersten Abend in der Küche gehört hatte! Als sie um die Ecke bogen, war gerade der Mann, der morgens an dem Mercedes gewesen war dabei, in der Eingangshalle etwas zu reparieren. Aha, der gehörte anscheinend zur Belegschaft des Hotels und war sowas wie ein Hausmeister! Merkwürdig! Was hatte der morgens an dem Fahrzeug zu suchen gehabt? Nun verdrängte Ben allerdings den Gedanken und startete mit Sarah Arm in Arm zu den Ponys. Sie liefen in normalem Tempo und auch Sarah war entzückt von der grandiosen Landschaft. Sie liefen an den Felsen vorbei, ohne dass Ben etwas von seiner Begegnung dort erwähnte und als sie nach einer guten Stunde an dem Islandpferdegestüt ankamen, war auch Sarah entzückt von den bepelzten Pferdchen, die wieder wie am Vortag vergnügt durch den Schnee tobten. Als sie näher kamen, sprach eine Frau sie an, die gerade ein Pferd wieder in die Gruppe brachte, das anscheinend ausgeritten worden war. „Kann ich ihnen helfen?“ fragte sie und Sarah erklärte, dass sie begeisterte Reiterin und Pferdenärrin war. „Sie können bei uns auch geführte Ausritte buchen, unsere Isländer sind sehr trittsicher und gerade auf Schnee, durch ihre Spezialgangart Tölt sehr bequem zu sitzen!“ pries sie an, aber Sarah schüttelte bedauernd den Kopf. „So gerne ich das machen würde, aber ich bin schwanger und möchte da wegen des Sturzrisikos nicht reiten!“ erklärte sie, sehr zu Ben´s Erleichterung. Aber da hatte die Frau eine andere Idee und so saßen Sarah und Ben wenig später warm eingepackt in eine kuschlige Decke auf einem Schlitten, der von zwei munteren, aber braven Isländern gezogen wurde und glitten durch den Schnee, dass es teilweise nur so staubte.


    Als sie am frühen Abend ins Hotel zurückkehrten, strahlte Sarah immer noch und sagte: „Ich bin so froh, dass du auf die Idee mit dem Urlaub gekommen bist-so gut habe ich mich noch nie erholt!“ und Ben lächelte dazu. Ja auch er war überrascht, wie schön so ein Wellnessurlaub war! Während Sarah schon aufs Zimmer ging, um ihren Bademantel anzulegen-sie hatten vor, vor dem Abendessen noch ein wenig ins Caldarium zum Aufwärmen zu gehen- wollte er noch kurz eine Steinkette für sie als Überraschung an der Rezeption kaufen. Als er um die Ecke bog, sah er, dass der Hausmeister in den PC sah und gerade etwas abschrieb. Als der bemerkte, dass jemand kam, drückte er eilig auf eine Taste und verschwand grußlos um die Ecke.
    In diesem Augenblick kehrte die Hotelfachfrau, die anscheinend kurz zur Toilette gewesen war, zurück und Ben erklärte ihr sein Anliegen. Er suchte mit ihrer Hilfe eine wundervolle Kette aus Halbedelsteinen aus der Region mit passendem Armband aus, das die Frau auch gleich noch apart verpackte. Als Ben sich nun auf den Weg zu ihrer Suite machte, sah er am Boden einen Zettel liegen, den er neugierig aufhob. Als er darauf blickte, blieb er erschrocken stehen, denn darauf stand unter mehreren anderen, seine und Semir´s Adresse. Was hatte der Hausmeister an dem PC zu suchen gehabt und war es das, was er abgeschrieben hatte? Ben steckte den Zettel ein und ging langsam zu Sarah zurück. Die ganze Zeit überlegte er, ob er Semir um Rat fragen sollte, aber er wollte doch dem den Urlaub nicht vermiesen und es war ja eigentlich überhaupt nichts passiert! So beschloss er, erst einmal ein wenig abzuwarten-wenn sich nochmals etwas Merkwürdiges ereignete, dann würde er seinen Freund einweihen, aber so ging er nachdenklich zu Sarah und wenig später schwitzte er mit ihr im Caldarium, einer sehr milden Sauna, die den Kreislauf kaum belastete. Er sah sie mit bewundernden Blicken an-auch schwanger war sie mit ihren nun volleren Brüsten und dem leicht gewölbten Bäuchlein so wunderhübsch-er war der glücklichste Mann mit so einer Frau an seiner Seite!

  • Am nächsten Morgen hatten alle einen Kosmetiktermin-sogar Semir ließ sich eine Gesichtspackung mit Anti-Faltenkur machen- nur Ben hatte dankend darauf verzichtet. „Ich glaube nicht, dass mir das gefallen würde, wenn jemand an meinem Gesicht herum manipuliert!“ hatte er schon im heimatlichen Köln festgelegt und so keine Kosmetikbehandlung gebucht. Stattdessen zog er seine Laufsachen an, diesmal allerdings dazu festes Schuhwerk und machte sich daran, denselben Weg, wie die beiden letzten Tage einzuschlagen. Allerdings bog er oben am Berg wieder in den Steig ein, den er beim letzten Mal aus Sicherheitsgründen verlassen hatte. Er war einfach neugierig, wo der hinführte, denn wenn da sogar Einheimische herum kletterten, musste es ja wohl etwas Besonderes dort geben.


    In der Nacht hatte es wieder geschneit und so konnte man sehen, dass heute schon ein paar Leute entlanggegangen waren, allerdings führten die Spuren nur in eine Richtung. Ben kam sich vor wie ein Pfadfinder, als er den Abdrücken der schweren Stiefel folgte. Mehrmals hätte es in dem steilen, zerklüfteten Bergmassiv andere Abzweigungen gegeben, aber aus einer Laune heraus folgte er stur den Spuren und fand sich so, etwa 15 Minuten später, vor einem versteckten Spalt in den Felsen wieder, an dem er ohne die Spuren einfach vorbeigelaufen wäre. Kurz überlegte er, ob er dort jetzt reingehen sollte, denn er hatte weder eine Taschenlampe noch irgendeine andere höhlentaugliche Ausrüstung dabei, aber dann siegte seine Neugierde und er schwang sich ein wenig waghalsig um die zerklüftete Ecke.
    Wenn er sich die Lokalität so auf der Karte vorstellte, dann dürfte er sich hier im direkten Grenzgebiet befinden, er wusste nicht, war er noch in Deutschland, oder doch schon in Tschechien? Seinen Personalausweis hatte er wohlweislich einstecken, das war in Grenznähe immer empfehlenswert und so betrat er nun das Höhlensystem. Überrascht blieb er stehen. Er hatte eine dunkle Höhle erwartet, dabei führte ein bequemer Weg, der in regelmäßigen Abständen von an den roh behauenen Wänden angebrachten Lampen erhellt war, ins Innere des Berges. Langsam tastete er sich voran. War das vielleicht eines dieser Schaubergwerke, von denen die Broschüren erzählt hatten?- aber dagegen sprach der doch sehr unbequeme und versteckte Zugang. Er warf einen Blick auf sein Handy, aber das war fast klar gewesen, dass er in diesem Höhlensystem keinen Empfang hatte.
    Tastend folgte er um mehrere Abzweigungen dem Weg. Immer wieder konnte man an den Wänden in den Fels eingeschlossene Erze und Halbedelsteine entdecken, fast mit Sicherheit hatte zumindest früher das Bergwerk dem Abbau dieser Bodenschätze gedient, aber zu was war es jetzt notwendig? Als er nach einer Weile Stimmen hörte, die langsam näherkamen, drückte er sich instinktiv in eine düstere Ecke und nun liefen zwei Männer an ihm vorbei, in denen er die beiden Streithähne aus dem Hotel erkannte. Nun waren sie aber in größter Einigkeit und unterhielten sich leise und lachten sogar gelegentlich. Er konnte aus den Gesprächsfetzen heraushören, dass ein bestimmter Transport hervorragend geklappt hatte und die Ware bestimmungsgemäß an ihrem Zielort angelangt war. Obwohl er ja noch keine handfesten Beweise hatte, war er nun der festen Überzeugung, dass hier etwas Illegales abging! Vorsichtig tastete er sich weiter und als sich der Weg nach etwa einem Kilometer erweiterte und in einer großen, hell erleuchteten Höhle mündete, versuchte er vorsichtig Einblick zu erhalten, ohne selber gesehen zu werden.


    Er verbarg sich hinter einem Felsvorsprung und blickte atemlos auf das Szenario, das sich unter ihm abspielte.Mehrere Männer waren damit beschäftigt, vermutlich gefälschte deutsche Zollbanderolen an Zigarettenpackungen anzubringen. Nebeneinander standen viele Destillen, in denen Schnaps gebrannt wurde-daneben waren in Regalen einige Kanister mit anscheinend synthetischen Aromen gelagert und in mehreren Kartons waren diese typischen Steingutflaschen, die einen vermutlich gepanschten Aufguss einer recht teuren Schnapsspezialität enthielten, die er mit Semir erst im Hotel an der Bar probiert hatte. Es wurden angeblich noch reine Bergkräuter für diesen Spezialschnaps hier aus der Region verwendet und der war entsprechend teuer. Als Ben, dem nun sonnenklar war, dass er hier etwas Illegales entdeckt hatte, seinen Blick noch weiter schweifen ließ, konnte er ein wenig entfernt, hinter einer Glasscheibe, eine Art Labor entdecken und als er sich dem, vorsichtig durchs Halbdunkel schleichend, annäherte, war ein Chemiker gerade dabei, irgendwelche Drogen herzustellen. Ben tippte auf Metamphetamin, oder etwas Ähnliches. Er musste jetzt dringend zurück und sofort Semir und die örtliche Polizei verständigen, damit diese Schmugglerbande ausgehoben wurde und so wollte er sich gerade, leise wie er hergekommen war, zurückschleichen, da stockte ihm auf einmal der Atem.

  • Als er sich langsam umdrehte, weil er hinter sich ein Geräusch gehört hatte, standen die beiden Männer aus dem Hotel mit gezogenen Waffen hinter ihm. „Na wen haben wir denn da? Den Herrn Jäger aus Köln!“ sagte der eine spöttisch und hielt ihm die Waffe an den Kopf. Ben hob die Hände, verdammter Mist, sie hatten ihn entdeckt und jetzt war guter Rat teuer. „Ist er nicht sogar Polizist?“ sagte der eine seiner Bewacher zum anderen und der nickte. „Dann werden wir jetzt die Höhle mal zügig verlassen und uns dann um alles Weitere kümmern!“ sagte der Hausmeister und winkte mit der Waffe.


    Ben ging langsam Richtung Höhlenausgang, wie ihm seine beiden Bewacher bedeuteten. Ben war klar, dass er in höchster Gefahr schwebte und eigentlich wunderte er sich fast, dass die ihn nicht sofort abgeknallt hatten. Vielleicht hinderte sie die Höhle daran, denn erstens konnte ein eventueller Abpraller von den Felswänden auch Unbeteiligte treffen und Ben erinnerte sich, schon von Einstürzen gehört zu haben, die durch Schall zustande kamen-vielleicht wollten sie ihn deswegen raus haben-oder vielleicht hatten sie nur keine Lust, seine Leiche so weit durch unwegsames Gelände zu schleppen.


    Schritt für Schritt näherte er sich dem Höhlenausgang. Er würde, sobald er draußen war, versuchen zu fliehen, aber eigentlich war ihm jetzt schon klar, dass er gegen zwei Bewaffnete keine Chance haben würde. Als sie kurz vor dem Höhlenausgang waren, hielten seine Bewacher kurz inne. „Ich sage dir jetzt, was du tun wirst!“ empfahl ihm der Hausmeister drohend. „Du wirst jetzt so tun, als wärst du noch auf deinem Sporttrip unterwegs und ohne irgendeine Aufmerksamkeit zu erregen, durchs Städtchen laufen, allerdings wirst du nicht nach links ins Hotel abbiegen, sondern geradeaus weitergehen, immer am Todesstreifen entlang, über die kalte Moldau und dann am Wanderparkplatz auf uns warten-und solltest du irgendetwas tun, was unser Missfallen erregt, werden wir uns deine schwangere Freundin vornehmen und zwar so, dass du sie nicht wiedererkennen wirst!“


    Ben schluckte, ihm war augenblicklich ganz schlecht vor lauter Angst um Sarah. Egal was sie mit ihm vorhatten, er würde tun, was ihm befohlen war. Verdammt, warum hatte er nicht seinem Gefühl getraut und Semir eher Bescheid gesagt? Er war lange genug Polizist, um zu wissen, dass solche Ahnungen meistens schon etwas zu bedeuten hatten, aber nein, um den Urlaubsfrieden nicht zu gefährden, hatte er sich selber gedankenlos in Gefahr gebracht und wenn seiner Freundin und ihrem gemeinsamen Kind etwas passierte, würde er damit nie fertig werden! Also tat er, wie ihm seine Entdecker befohlen hatten und begann, sobald er auf dem Sträßchen war, wieder langsam Richtung Stadt zu joggen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie die Bewacher in ein neben der Straße geparktes Auto-einen Van mit getönten Scheiben und tschechischem Kennzeichen- stiegen und ihm in einiger Entfernung folgten. Er überlegte fieberhaft. Wenn er es schaffen würde, sein Handy in der Hosentasche anzumachen und irgendwie Semir´s Nummer auf der Kurzwahlfunktion zu bedienen, die ganz oben einprogrammiert war, noch vor Sarah´s, dann würde der vielleicht aufmerksam werden und ihm helfen. Er fasste wie beiläufig in die Tasche, während er weiterjoggte und startete einen Versuch, aber er konnte nicht nachkontrollieren, ob es funktioniert hatte. Da kam von hinten schon ein kurzes Aufblenden der Scheinwerfer und er nahm seine Hand wieder heraus.


    Im Hotel waren sie nach ihrer Ankunft gewarnt worden: „Wir befinden uns hier im unmittelbaren Grenzgebiet. Ein paar Meter neben der Stadtgrenze verlief bis vor wenigen Jahren der „Eiserne Vorhang“ hatte ihnen die Dame an der Rezeption erklärt. „Nach dem Schengener Abkommen sind zwar die Grenzverbauungen abgerissen worden, aber gerade in diesem unwegsamen Gelände war das teilweise schwierig und obwohl immer verneint, waren da doch Landminen versteckt, die eventuell nicht vollständig entfernt wurden-immerhin haben sie ja offiziell nicht existiert. Immer mal wieder wird ein Fuchs, oder eine streunende Katze dadurch getötet und wir warnen auch alle Hundebesitzer, ihre Lieblinge in diesem Gebiet nicht frei laufen zu lassen!“ hatte sie ihnen erzählt und Ben hatte sich eigentlich vorgenommen, diesen Streifen großräumig zu meiden. Ob sie ihn wohl zwingen würden, in dieses Gebiet zu laufen und von so einem Sprengsatz zerrissen zu werden? Er hatte keinerlei Vorstellung davon, was seine Entführer mit ihm vorhatten, sondern joggte gleichmäßig bergab und näherte sich immer mehr dem angewiesenen Wanderparkplatz über der Brücke.


    Sarah, Andrea und Semir hatten im Hotel inzwischen ihre Kosmetikbehandlungen hinter sich. Aktuell wurde noch eine Meditation angeboten und obwohl Semir innerlich über sich selber schmunzelte-hoffentlich würden seine Kollegen das nicht erfahren-nahm er mit den Frauen daran teil. Wehe wenn Ben nur ein Sterbenswörtchen davon erwähnte, was sie im Urlaub so getrieben hatten-er würde ihn eigenhändig umbringen, wenn der nur ein Wörtchen darüber verlauten ließ! Semir´s Handy bimmelte derweil im Zimmer vor sich hin, bis die Verbindung abgebrochen wurde

  • Ben wartete nun, wie angewiesen, am Wanderparkplatz im Tal. Der war vom Städtchen aus nicht einsehbar und um diese winterliche Jahreszeit verirrten sich nur selten Spaziergänger in diese wildromantische Gegend. Die beiden Verfolger stellten den Wagen ab und stiegen mit den Waffen im Anschlag aus. „Wir machen jetzt einen kleinen Spaziergang!“ erklärte der eine und ging voraus, während der andere ihm folgte. Ben konnte nichts anderes tun, als zwischen seinen beiden Entführern zu laufen. Nach wenigen Metern endete der normale Weg und sie betraten einen Steg aus Brettern, etwa 75cm breit, der in eine merkwürdige Gegend führte. Einige wenige kleine Birken wuchsen in dieser Ebene und kleine Wacholdersträucher, aber sonst war das Gelände völlig gerade. Nach wenigen Metern war Ben plötzlich klar, wohin sie gerade liefen-das war ein Hochmoor!


    Nun konnte er ahnen, was seine Entführer mit ihm vorhatten! Ein Moor war ein gefährlicher Ort und wenn man da vom Weg abkam, konnte man jederzeit darin versinken. Wenn seine Leiche gefunden wurde, würde kein Zweifel daran bestehen, dass es ein Unfall gewesen war, niemand würde auf den Gedanken kommen, dass er nicht freiwillig auf diesen Steg gegangen war, zumal ihn sicher einige Zeugen hatten durch die Stadt joggen sehen und so würden die polizeilichen Ermittlungen nach kurzer Zeit abgeschlossen sein. Er war auf seinem Fitnesstrip ins Moor gelaufen, da vom Weg abgekommen und durch einen bedauerlichen Unglücksfall ertrunken!


    Neben ihnen gluckste die braune Brühe, die Sonne schien und die klare, eiskalte Luft wäre wunderschön gewesen, wenn Ben nicht solche Angst gehabt hätte. Fieberhaft überlegte er, was er unternehmen konnte. Was wäre, wenn er dem Mann vor sich einen Schubs gab? Dann würde der straucheln und sein Kumpel würde ihm vielleicht zu helfen versuchen, so dass er derweil davonrennen konnte?
    Allerdings verwarf er nach kurzer Überlegung den Gedanken. Unter diesen Umständen würde er sich schneller eine Kugel einfangen, als er bis drei zählen konnte. Diese Männer wussten was sie taten und irgendwie konnte sich Ben des Gedankens nicht erwehren, dass sie das auch nicht zum ersten Mal auf diese Weise machten.
    Nach kurzer Zeit blieben sie stehen. „So, Herr Jäger, es tut uns leid, dass es so endet, aber sie werden nun für ihre Neugier bezahlen-ziehen sie die Jacke aus!“ befahl der eine und Ben erledigte das folgsam. Sein Bewacher sah in die Tasche. „Gut, da ist die Geldbörse mit dem Personalausweis drin, dann wissen die Rettungskräfte gleich, mit wem sie es zu tun haben!“ sagte er höhnisch und legte die Jacke achtlos auf den Steg. „Das kommt davon, wenn sich die Wanderer immer die fleischfressenden Pflanzen aus der Nähe anschauen wollen!“ sagte der Hausmeister und bedeutete Ben, nun in die braune Brühe zu steigen, die sich blubbernd neben dem gut befestigten Steg befand. Verzweifelt checkte Ben seine Chancen ab, aber außer dass ihm irgendjemand zu Hilfe kam, tendierten die gegen Null.
    Er würde nun tun müssen, was die Männer verlangten. Mein Gott, er hätte doch so gerne noch sein Kind gesehen! Voller Bedauern machte er seinen letzten Schritt. Wenigstens konnte er so Sarah und auch Andrea und Semir schützen. Niemand würde auf die Idee kommen, dass er ein Verbrechen aufgedeckt hatte, er hatte ja auch keinem von seinen Ahnungen und Beobachtungen erzählt! Er würde hier sterben und sein Tod als bedauerlicher Unglücksfall abgetan werden. Sarah würde zwar traurig sein, aber irgendwann darüber hinwegkommen. Wenigstens würde er in seinem Kind weiterleben, das war sein einziger Trost!


    Entschlossen machte er den Schritt und das eiskalte Wasser schloss sich um seine Fußknöchel. Momentan sank er nur bis zur Hüfte ein, aber langsam ging es tiefer. Er hatte in der Schule gelernt, dass es keinen Sinn machte, sich im Moor zu bewegen, er würde dadurch nur schneller untergehen, aber nun befahlen ihm seine Mörder: „Komm, rühr dich, dann dauert es nicht so lang!“ und mit einem Aufseufzen versuchte Ben Schwimmbewegungen zu machen. Schmatzend umhüllte ihn der zähe Schlamm und mit jeder Bewegung sank er tiefer und tiefer. Inzwischen hatte auch die Panik von ihm Besitz ergriffen-er wollte doch nicht sterben! Das Herz schlug ihm bis zum Hals und er schrie ein letztes Mal laut um Hilfe. Aber innerhalb weniger Minuten waren auch sein Mund und seine Nase untergegangen. Er hörte noch ein Handy läuten, aber dann schwanden ihm die Sinne.

  • Semir und Andrea waren nach der Meditation in ihr Zimmer zurückgekehrt, um sich etwas zu lesen zu holen. Beiläufig fiel Semir´s Blick auf sein Handy, das er auf dem Tisch abgelegt hatte. „Oh, Ben hat angerufen!“ sagte er verwundert. Komisch, der müsste doch so langsam zurücksein? Joggen war ja Recht, aber übertreiben musste er es nicht, das war ja auch nur ein Spaß gewesen mit dem Bäuchlein! Semir drückte auf die Antwortfunktion und hörte, dass die Verbindung hergestellt wurde, aber keiner ranging. „Was der wohl wollte?“ rätselte er, aber dann ging er mit Andrea in den Ruheraum, wo sie schon auf Sarah trafen, die vier Liegen nebeneinander reserviert hatte. „Ist Ben noch nicht zurück?“ fragte Semir, aber Sarah schüttelte den Kopf. Nach einem Blick auf die Uhr sagte sie allerdings lächelnd: „Wollen wir wetten, dass er innerhalb der nächsten halben Stunde eintrifft?“ da gab es nämlich dann Kuchen und Snacks und das würde er auf keinen Fall versäumen. So nahmen sie ihre Lesesachen zur Hand-Andrea ein Buch, Semir ne Autozeitung und Sarah die neueste Ausgabe der Klatsch-und Tratschgeschichten, die sie sonst höchstens beim Friseur, oder im Wartezimmer des Frauenarztes las. Es war so herrlich seinen Kopf nur mit Banalitäten zu belasten und nicht mit tiefschürfender Lektüre, das war für sie Entspannung pur!


    Einige Zeit später wandten alle Hotelgäste im Ruheraum den Kopf, denn zwei uniformierte Polizisten kamen mit der Dame von der Rezeption herein und traten an die Liegen Sarah´s und ihrer Begleiter: „Ist Herr Ben Jäger irgendwo bei ihnen?“ wollten sie wissen und nun richteten sich alle drei erschrocken auf. „Nein, aber warum wollen sie das wissen!“ fasste sich Semir als Erster. „Weil wir eine besorgniserregende Entdeckung gemacht haben!“ sagte einer der Polizisten in ernstem Tonfall. „Wir haben im Moor, unweit von hier, eine Jacke gefunden, in deren Tasche Geldbörse und Ausweispapiere waren. Leider müssen wir davon ausgehen, dass es einen schrecklichen Unglücksfall gegeben hat!“
    Sarah schlug beide Hände vor den Mund und schluchzte völlig entsetzt auf. Andrea war sofort aufgesprungen und hatte sie fest in die Arme genommen, woraufhin Sarah ihren Kopf an deren Brust verbarg und haltlos zu weinen begann. Sie legte ihre Hände schützend auf ihren Bauch und nun sah der Polizist erst, dass sie schwanger war. „Es tut uns sehr leid, ihnen das mitteilen zu müssen, aber würde jemand von ihnen bitte mitkommen, um vielleicht die Jacke zu identifizieren?“ fragte einer der Polizisten und Semir erhob sich sofort. „Ich bin Kollege, wie Herr Jäger auch!“ teilte er den Uniformierten mit und die beiden Polizisten nickten bestätigend. „Das hat uns die Dame von der Rezeption schon gesagt!“ erklärten sie und während Andrea langsam mit Sarah zu deren Suite ging, damit die sich anziehen konnte, eilte Semir auf sein Zimmer, um ebenfalls eilig in Jeans, Sweatshirt und Winterjacke zu schlüpfen.


    Wenig später war er in der Eingangshalle und die beiden Uniformierten baten ihn in den Streifenwagen, der nach höchstens fünfminütiger Fahrt am Wanderparkplatz anhielt, an dem schon ein Rettungswagen und ein Feuerwehrfahrzeug standen. Semir hatte unterwegs bang gefragt, denn die Kollegen hatten inzwischen noch mit der Zentrale gefunkt. „Aber sie haben bisher keine Leiche gefunden?“ und der Polizist schüttelte den Kopf. Hintereinander betraten sie den Steg und nach kurzer Zeit kamen sie an die Stelle, wo Sanitäter und Feuerwehrleute schon einen Menschenauflauf bildeten. Die Feuerwehrleute hatten lange Stäbe, wie Lawinensuchsonden dabei und stocherten damit in der Brühe herum. Semir´s Blick fiel auf die Jacke, die man wieder am Steg abgelegt hatte und eine eisige Klammer schloss sich um sein Herz. Das war eindeutig Ben´s Jacke!
    „Ein Bauer, der gerade mit Holzaufschichten beschäftigt war, hat vor etwa einer Stunde Hilferufe gehört. Erst hat er denen keine Bedeutung beigemessen, aber dann hat er uns doch vorsichtshalber angerufen und wir haben den Steg kontrolliert, da gab es nämlich schon öfter Unglücksfälle!“ teilte ihm der Polizist mit. „Wir haben dann die Personalien aus der Jacke abgefragt und das Hotel hatte die ordnungsgemäß gemeldet und so wussten wir, wo wir nach Angehörigen suchen mussten.“ erklärte der Polizist. „Ist die schwangere junge Frau die Lebenspartnerin?“ wollte er dann wissen und Semir nickte. „Das tut mir sehr leid, hoffentlich schadet der Schock dem Kind nicht!“ fügte der Polizist, der selbst mehrfacher Vater war, hinzu.


    Semir fragte hilflos, während er die Suche der Feuerwehrleute beobachtete: „Aber müsste man nicht schon längst etwas gefunden haben?“ fragte er, aber der Polizist schüttelte den Kopf. „Nicht unbedingt. Das Moor ist hier teilweise bis zu sieben Meter tief. Es gibt unterirdische Strömungen, also kann ein Körper auch mal an einer ganz anderen Stelle sein als dort, wo er versunken ist. Als wir als Erste zum Unglücksort kamen, konnte man sehen, dass an der Stelle, wo die Rettungskräfte gerade suchen, der Schlamm aufgeworfen war, es ist also sehr naheliegend, dass er an genau dieser Stelle hineingestürzt ist. Vielleicht ist ihm schwindlig geworden, oder er hat beim Ausziehen der Jacke das Gleichgewicht verloren?“ mutmaßte er.
    Semir konnte gerade in keinster Weise verstehen, was der Polizist sagte. Ben war nicht so ungeschickt! Er hätte aufgepasst! Nun fiel ihm etwas ein, was ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Vor etwa einer Stunde war es gewesen, als Ben versucht hatte, ihn anzurufen. Hatte er da in letzter Todesnot versucht, ihn zu Hilfe zu holen? Das Handy war nicht in der Jacke gewesen und Semir wusste, dass Ben das aus alter Gewohnheit immer in der Hosentasche trug. Außerdem hatte Ben, nachdem sie ja bei ihren Einsätzen häufig mal in die Nässe kamen, ein Handy gekauft, das nicht nur wasserdicht, sondern auch in einer schlagfesten Hülle war. „Ich glaube ich weiß, wie wir ihn vielleicht finden können!“ sagte er leise und griff nun seinerseits zu seinem Handy. Erst rief er Ben´s Nummer an, aber auch als auf seine Bitte hin, alle Rettungskräfte leise waren und lauschten, konnte man kein Läuten vernehmen. Nun wählte er schweren Herzens Susanne´s Nummer und erklärte der völlig entsetzt am anderen Ende der Leitung lauschenden Kollegin, was geschehen war. „Susanne, könntest du bitte versuchen, Ben´s Handy genau zu orten-vielleicht hilft uns das bei der Suche!“ bat er und wartete einen Moment. Dann allerdings ergriff ein erstaunter Gesichtsausdruck von ihm Besitz und in ihm begann wieder ein klein wenig Hoffnung zu keimen.

  • Als sein Handy geklingelt hatte, war der Hausmeister, nach einem Blick auf das Display, rangegangen. Es war der Chef ihrer Bande. „Wartet noch ein wenig mit eurer Aktion, ich möchte mich erst vergewissern, ob er niemandem Bescheid gesagt hat, denn sonst wird es für uns zu gefährlich!“ teilte er seinen beiden Handlangern mit. Fluchend griff der Mann nach Ben´s dunklem Haarschopf, der gerade noch aus dem Moor ragte. „Hilf mir mal, der Boss meint, er müsste unseren Polizisten erst noch ausquetschen, bevor er in sein nasses Grab darf!“ schimpfte er und zog kräftig an.Mit vereinten Kräften gelang es ihnen den bewusstlosen Ben aus dem Moor zu holen. Er gab momentan kein Lebenszeichen von sich. „Das kann sich der Boss aber abschminken, dass ich jetzt Wiederbelebungsmaßnahmen veranstalte, wenn er sich nicht bald rührt, werfe ich ihn sofort wieder zurück!“ maulte der Verbrecher, aber nachdem sie Ben auf den Bauch gedreht und ihm mehrmals kräftig auf den Rücken geschlagen hatten, sog er auf einmal mit einem tiefen Seufzer Luft ein und begann dann wie verrückt zu husten und das schlammige Wasser aus seinen Lungen zu befördern. Langsam begann er sich erst wieder zu orientieren. Er war wohl doch nicht tot, denn Tote mussten nicht husten, froren wie verrückt und lagen auf dem Bauch auf einem Holzsteg. Seine letzten Gedanken hatten Sarah gegolten und dem kleinen Wesen, dessen Ultraschallbild er in seiner Jacke bei sich trug.


    Er war immer noch zutiefst geschockt und als ihn einer seiner Peiniger nun am Kragen packte, auf die Beine zog und mit der Waffe im Anschlag zwang, zum Auto zurückzulaufen, kam er nur stolpernd voran und wäre mehrmals beinahe ausgeglitten und wieder ins Moor gefallen, so zitterten seine Beine. Aber irgendwann hatte er es doch geschafft und der Hausmeister holte nun, während sein Kollege Ben weiter mit der Waffe bedrohte, Kabelbinder heraus und verschnürte erst Ben´s Hände hinter seinem Rücken und dann legte er noch eine Fessel um seine Fußknöchel. „Nur damit du nicht auf dumme Gedanken kommst!“ sagte er, öffnete dann den Kofferraum und gab Ben einen Schubs, dass er hinten im Van zu liegen kam. Er deckte noch einen alten Sack über ihn und schimpfte dann weiter: „Mann, was für eine Sauerei und ich darf hinterher den Wagen wieder saubermachen und selber sind wir auch zum Teil voller Moorschlamm!“ aber sein Kollege, der neben ihm am Steuer Platz genommen hatte, fuhr ihn jetzt an: „Jetzt reg dich nicht so auf, da hast du schon schmutzigere Sachen transportiert! Außerdem liegt ja eine Decke drunter!“ und so gab sein Compagnon dann endlich Ruhe.


    Der Wagen setzte sich nun in Bewegung und sie waren kaum unterwegs, da spürte Ben sein Handy, das er in der Hosentasche trug, vibrieren. Er hatte es auf lautlos gestellt und wäre zu gern rangegangen, um auf seine missliche Lage aufmerksam zu machen, aber durch die Fesselung kam er nicht an seine Tasche. Obwohl die Heizung lief, fror Ben wie ein Hund, seine Zähne begannen zu klappern, denn die nassen Sachen waren voller eiskaltem Schlamm und immer noch musste er von Zeit zu Zeit husten. Der Van fuhr mit vollem Tempo über die kurvigen Straßen und Ben zermarterte sich den Kopf, wo die Fahrt wohl hinführte, während er schmerzhaft umeinandergeworfen wurde. Mehrmals hielt das Fahrzeug an, setzte einen Blinker und bog ab, es holperte über unebene Wege, bis es nach etwa einer dreiviertel Stunde, wenn ihn sein Zeitgefühl nicht täuschte, endlich zum Stehen kam.


    Der Kofferraum wurde geöffnet und die beiden düsteren Gesellen zogen ihn mit missmutigem Gesichtsausdruck auf die Beine und lösten die Fußfessel. Ben sah sich um. Er stand auf einem großen Parkplatz, der sich in einem dichten Wald befand. Auf einer Seite erstreckte sich ein großes Bergmassiv, das ihm irgendwie bekannt vorkam. Auf einer Tafel war etwas auf Tschechisch geschrieben und Wegweiser führten zu einem Höhleneingang, der mit einem Tor gesichert war. Der eine der Männer zog einen Schlüssel aus der Tasche und schloss das Tor auf. „Willkommen in der Hölle!“ sagte er mit einem teuflischen Grinsen und bat mit einer einladenden Bewegung Ben, voranzugehen

  • Auf Semir´s Bitte hin, hatte Susanne das Handy geortet und erstaunt festgestellt, dass das Telefon in Bewegung war. Sein Standort wechselte, aber was man erkennen konnte war, dass es sich auf tschechischem Staatsgrund befand. Susanne hatte auch Semir auf ihrem Schirm und konnte nun anhand der Satellitenkarte feststellen, dass der Standort der beiden Handys gar nicht so sonderlich weit voneinander entfernt war-nur war eben der ehemalige Eiserne Vorhang dazwischen. „Semir, so wie es aussieht, befindet sich Ben´s Handy in einem fahrenden Wagen, der in vielleicht vier Kilometern Luftlinie von euch, aber auf tschechischem Staatsgrund, gerade angehalten hat!“ teilte sie ihm aufgeregt mit. Semir erklärte das den Polizisten, die mit ihm auf dem Steg standen und weiter die Suche der Rettungskräfte beobachteten. Der eine allerdings sagte nun: „Machen sie sich nur nicht allzu große Hoffnungen-leider gibt es hier sehr viele überaus geschickte Taschendiebe, es ist auch nicht ausgeschlossen, dass das Handy entwendet wurde und sich der Dieb jetzt in sein Heimatland abgesetzt hat!“ aber Semir sagte entschlossen : „Ich weiß es, Ben lebt-und ich werde ihn finden!“ und damit machte er auf dem Absatz kehrt. Susanne, die immer noch am anderen Ende der Leitung ausgeharrt hatte, machte ihm nun noch die Mitteilung: „Jetzt ist das Signal weg, aber ich schicke dir die letzten Ortungsdaten auf dein Smartphone, die dürften etwa auf einen halben Kilometer genau sein!“ und Semir bedankte sich und versprach, sich wieder zu melden.


    Trotzdem wurde die Suche weitergeführt und auch eine Wärmebildkamera, von der man sich Aufschlüsse erhoffte, kam zum Einsatz, allerdings ohne dass etwas gefunden wurde. Semir war inzwischen zum Polizeifahrzeug zurückgelaufen, gefolgt von einem der beiden Polizisten. „Natürlich ist es schwer für sie, aber können sie mir dann erklären, was die Hilferufe, der aufgewühlte Schlamm und die Jacke mit allen Papieren zu bedeuten haben? Niemand lässt doch bei diesen Temperaturen freiwillig seine Jacke, seine Ausweispapiere und die Geldbörse mit allen Scheckkarten und Bargeld zurück?“ fragte er und nun sagte Semir langsam: „Ich bezweifle auch, dass das freiwillig war!“ und jetzt sah ihn der Polizist überrascht an. „Wenn ich so darüber nachdenke- mein Kollege hat seit unserer Ankunft ein paarmal ein merkwürdiges Verhalten an den Tag gelegt- ich denke, dass der irgendwas entdeckt hat und jetzt in einem riesigen Schlamassel sitzt!“ vermutete er und dagegen fiel dem Polizisten kein Argument ein.


    Zögernd sagte der: „Wir haben hier jetzt ein Problem. Bisher gibt es überhaupt keine Beweise, dass ein Verbrechen vorliegt, sondern wir gehen von einem tragischen Unglücksfall aus, ich denke also nicht, dass unser Chef uns erlaubt, mit ihnen zu suchen, das wäre wenn, dann ja sowieso eher die Aufgabe der Kripo. Außerdem ist das in diesem Fall ein länderübergreifendes Problem und wir hier im Grenzgebiet sind sehr vom Wohlwollen unserer benachbarten Kollegen abhängig. Wir können natürlich um Amtshilfe ersuchen, aber bis die tschechischen Polizeibehörden da reagieren, vergehen Tage, das kann ich ihnen aus leidvoller Erfahrung sagen. Was sollen wir also tun?“ fragte er und Semir sagte entschlossen: „Gar nichts, denn ich werde alleine ermitteln, wie ich das schon so oft in meinem Leben getan habe und da brauchen die tschechischen Behörden gar nichts davon zu erfahren-ich werde mich jetzt als Privatmann nach Tschechien begeben und dort versuchen, meinen Freund zu finden!“ beschloss er und der Polizist sagte mit einem Blick zurück zum Steg leise: „Wenn wir es nicht eher tun!“

  • Auf Semir´s Bitten hin wurde er zum Hotel zurückgebracht, wo ihn Andrea und Sarah völlig aufgelöst in der Eingangshalle erwarteten. Sarah wäre am liebsten sofort losgerannt und ebenfalls zur Unglücksstelle geeilt, deren Lage sie inzwischen von der Rezeptionsdame erfahren hatte, aber Andrea hatte sie in letzter Minute davon abhalten können. „Sarah-du weißt nicht, welcher Anblick dich da erwartet-bitte denk an euer Kind!“ sagte sie und so gab Sarah sich geschlagen und wanderte aufgelöst in dem heimeligen Raum herum, der sogar einen offenen Kamin aufwies, in dem ein Feuer gemütlich vor sich hin flackerte. Überall lagen Bücher und Zeitschriften, mehrere Sofas und bequeme Sessel luden zum Verweilen ein, aber Sarah hatte keinen Blick dafür, sondern hypnotisierte abwechselnd die Eingangstür und sah auf ihr Handy, in der Hoffnung auf gute Nachrichten. Eine Angestellte des Hotels kam mit einer Kanne Tee und ein paar Keksen-wie ein Lauffeuer hatte sich herumgesprochen, dass einer der Hotelgäste vielleicht verunglückt war und das Mitleid der gesamten Belegschaft galt der jungen Frau, die vermutlich gerade ihren Partner verloren hatten. Die Einheimischen hier wussten über die Gefahren des Moores, denn sie waren damit aufgewachsen, aber diese wilde, trügerische Schönheit hatte schon manchen unbedarften Feriengast in Gefahr gebracht.


    Als nach unendlich lang scheinender Zeit endlich das Polizeiauto vorgefahren war und Semir hatte aussteigen lassen, eilten ihm Sarah und Andrea mit bangem Gesichtsausdruck entgegen. „Und?“ lautete Sarah´s Frage und in diesem kleinen Wort lag so viel Kummer und Sorge, dass Semir´s Gesichtsausdruck sich verdüsterte. Nein, es konnte nicht sein, was nicht sein durfte, aber er konnte weder Entwarnung geben, noch eine eindeutige Aussage treffen, also entschied sich Semir, den beiden Frauen einfach die Wahrheit zu sagen: „Die Jacke mit den Ausweispapieren gehört tatsächlich Ben und lag einfach an diesem Steg, der ins Moor führt. Ein Anwohner hatte Hilferufe gehört und deshalb die Polizei verständigt-soweit die Fakten. Die Feuerwehr und die Rettungskräfte suchen im Moor nach ihm, aber als ich Susanne gebeten habe, sein Handy zu orten“ -nun schluckte Sarah, denn ihr war klar, zu welchem Zweck er das getan hatte- „war es nicht im Moor, sondern vermutlich in einem Fahrzeug unterwegs in Tschechien“ sagte er und nun erhellte sich Sarah´s Gesichtsausdruck. Ben konnte und durfte nicht tot sein! Sie bekamen ein Kind-und ein Kind braucht seinen Vater. Ben hatte sicher fliehen können, oder verfolgte jemanden und aus irgendwelchen Gründen, die sich ihnen eben noch nicht erschlossen hatten, war er dorthin gegangen.


    „Wir müssen ihn suchen!“ sagte Sarah und Semir nickte. „Genau das habe ich vor!“ fügte er an. „Aber du und Andrea, ihr werdet bitte hierbleiben und die Stellung halten, ich nehme den Wagen und fahre dorthin, wo Susanne Ben´s Handysignal zuletzt geortet hat. Das ist zwar Luftlinie nur vier Kilometer von hier, aber man muss dazu erst einmal zum nächsten Grenzübergang nach Tschechien, der von hier etwa 20 Fahrminuten entfernt ist und dort dann sozusagen auf der drüberen Seite den Weg zurück. Hast du den Wagenschlüssel?“ fragte er Sarah und die nickte und war schon unterwegs zur Suite, wo sie ihre Papiere und den Autoschlüssel nebst Schmuck im Zimmersafe aufbewahrten. Sie öffnete den Safe und gab Semir den Schlüssel. Der drückte sie kurz und sagte mit Zuversicht in der Stimme, von der er nicht wusste, ob die so gerechtfertigt war, aber Sarah brauchte das jetzt: „Ich bring ihn dir wieder, deinen Ben!“ und Sarah nickte. Semir ging nun zügig zum Wagen, stellte den Fahrersitz nach vorne, programmierte ins moderne, fest eingebaute Navi die Koordinaten, die ihm Susanne geschickt hatte und brauste los zum nahen Grenzübergang.


    Ben war inzwischen von seinen Peinigern vorwärts gestoßen worden. Hinter dem Tor befand sich ein weiter Höhlengang, den man sogar mit Fahrzeugen befahren konnte. Überall waren Lichter angebracht und so lief er auf dem unterirdischen Weg mühsam voran, von hinten bedroht mit der Waffe. Einmal stolperte er und fiel zu Boden, dabei tat er sich ziemlich weh, weil er sich ja nicht mit den Händen abfangen konnte, die immer noch auf den Rücken gebunden waren. Grob wurde er wieder auf die Beine gezogen und dann ging es weiter. Überall waren Tafeln an den Wänden, die anscheinend den Abbau der Bodenschätze zeigten und wo auf Tschechisch etwas geschrieben stand, was er nicht verstand. Er vermutete fast, dass er sich in einem Besucherbergwerk befand, das aber noch eine weitere Funktion hatte und leider befürchtete er, dass er schon sehr bald erfahren würde, warum er hierhergebracht worden war.

  • Als Semir gegangen war, starrte ihm Sarah noch eine ganze Weile nach. „Magst du dich nicht ein wenig hinlegen?“ fragte Andrea mitleidig, die sah, wie fertig ihre Freundin aussah. „Das ist vielleicht eine gute Idee!“ sagte Sarah langsam und verabschiedete Andrea mit einem Lächeln. Kaum hatte Andrea die Suite verlassen, in die sie und Semir ihr gefolgt waren, ging Sarah zum Schrank und holte ihre warme Jacke heraus. Sie konnte jetzt nicht untätig bleiben und gerade war ihr etwas aufgefallen, was sie dringend nachkontrollieren musste.


    Nachdem sie eine ziemliche Strecke untertage zurückgelegt hatten-immer wieder waren Abzweige weggegangen- aber die Männer zwangen Ben, stetig auf dem breiten Hauptweg zu bleiben, kamen sie an der großen Höhle an. Ben erkannte sie sofort wieder! Das war der Ort, an dem er heute schon einmal gewesen war und den er da von oben gesehen hatte, nur schaute der jetzt völlig anders aus. Die ganzen Destillen, die Schnapsflaschen, die Zigaretten, alles war verschwunden und vom ehemaligen Labor war auch nur noch der große Tisch übrig-die meisten Apparate und Reagenzien waren ebenfalls weg. Nur ein einziges, elektrisches Gerät stand neben dem Tisch und Ben zermarterte sich den Kopf, wo er sowas schon mal gesehen hatte.


    Noch etwas fiel ihm auf. An dem massiven Tisch waren vier Lederfesseln angebracht, die aussahen, als wären sie schon viel in Gebrauch gewesen. Nun kam aus einer Felsnische der Mann gebogen, der vormittags die Chemikalien angemischt hatte, Ben nannte ihn deshalb im Geiste den Chemiker. Er hatte immer noch einen weißen Laborantenkittel an, eine dicke Brille zierte seine Nase, aber insgesamt wirkte er recht klein und unscheinbar. Das änderte sich aber, als er in autoritärem Tonfall zu seinen beiden Entführern etwas auf Tschechisch sagte. Der Tonfall war dermaßen dominant und die beiden wesentlich kräftigeren Männer zogen daraufhin die Köpfe ein, so dass nur alleine aus der Körpersprache der Drei zu erkennen war, wer hier der Boss war.
    Ben musste wieder heftig husten und obwohl er aufgeregt war und jetzt gelaufen war, klebte seine feuchte, schlammige Kleidung kalt und klamm an ihm. Wenn er die nicht bald auszog, würde er sich eine heftige Erkältung einfangen und seine Brust schmerzte jetzt schon bei jedem Hustenstoß. In seinen halbhohen festen Schuhen schwappte immer noch das Wasser und außerdem war er verwirrt, warum seine Peiniger ihn wohl wieder aus dem Moor gezogen hatten, wo es mit ihm doch schon beinahe vorbei gewesen war. Außerdem schmerzten die Schürfungen und Prellungen von seinem Sturz vorhin.
    Er dachte an seine Freunde. Ob er wohl schon vermisst wurde? Vermutlich schon und er war sich fast sicher, wenn er jetzt auf sein Handydisplay schauen könnte, würde der entgangene Anruf entweder von Sarah oder von Semir stammen. Nun musste er seine Überlegungen allerdings unterbrechen, denn der Mann im weißen Kittel richtete nun sein Wort an ihn. In perfektem Deutsch, obwohl das sicher nicht seine Muttersprache war, sagte er mit einem breiten Grinsen: „Willkommen in meinem Reich, Herr Jäger, wie geht´s ihnen denn?“ und als Ben ihn zwar ansah, aber keinen Ton zurückgab, sondern seinen Rücken straffte und ihn direkt anblickte, fuhr er fort: „Na da hat einer aber gar kein Benehmen, aber das werde ich ihnen schon noch beibringen, auf meine Worte zu reagieren und meine Fragen zu beantworten, keine Sorge!“ und mit einer Kopfbewegung forderte er seine Männer auf, sich nun Ben zu widmen.


    Semir war inzwischen mit dem großen Wagen zügig Richtung Landesgrenze gefahren. Einzig eine Zollstation für LKW abseits der Straße ließ noch darauf schließen, dass hier eine Grenze verlief. Sonst zeigten nur die Schilder an, dass er sich nun bereits auf tschechischem Hoheitsgebiet befand. Eine Tankstelle mit Shop stand direkt im Grenzgebiet und die Preise waren in tschechischer Währung angegeben, ansonsten waren keine Unterschiede erkennbar. Mit geübtem Blick konnte Semir allerdings auf dem Tankstellenparkplatz ein neutrales Fahrzeug erkennen, in dem zwei Männer saßen, die den fließenden Verkehr musterten. Semir war sich sicher, dass das entweder tschechische Zollfahnder oder Polizisten waren, die sich an die Fersen verdächtiger Fahrzeuge heften würden, wenn sie es für notwendig hielten. Semir war aber anscheinend nicht auffällig und so konnte er unbehelligt der Anzeige des Navis folgen, das ihn nun über verwinkelte, kurvige Sträßchen in dieselbe Himmelsrichtung zurückschickte, aus der er gekommen war.

  • Als sie den Auftrag von ihrem Chef bekommen hatten, schnitt einer der beiden Männer Ben´s Handfesseln auf. Das Blut konnte nun wieder durch seine schmerzenden Hände zirkulieren, die eiskalt und deswegen schon beinahe abgestorben waren. Ben begann die aneinander zu reiben, damit sie wieder warm wurden, konnte aber auch an den Handgelenken keine Spuren der Kabelbinder entdecken-das waren Profis, die da am Werk waren. Während der eine ihn mit der Waffe in Schach hielt, befahl der andere Mann ihm: „Ausziehen!“ und Ben befolgte die Aufforderung. Er war eigentlich heilfroh, das nasse kalte Zeug endlich loszuwerden und entblätterte sich deshalb widerspruchslos bis auf die Boxershorts. Als er aus den nassen Schuhen schlüpfte, entwich sogar ein Seufzer der Erleichterung seinen Lippen. „Ich hab gesagt ausziehen!“ wiederholte der Hausmeister als Ben nun aufhörte. „Nein!“ beharrte Ben, der seine Unterhose zwingend anbehalten wollte, aber bis er sich versah, wurde er von starken Händen gepackt und obwohl er versuchte um sich zu treten, drückte man ihn auf den Tisch, machte seine Hände mit den Lederfesseln fest und als er nun die Waffe an der Schläfe hatte, leistete er auch keine Gegenwehr mehr, als ihm grob die Shorts vom Leib gerissen wurden und seine Beine nun gespreizt ebenfalls mit Lederfesseln angebunden wurden.


    Sarah war langsam los gelaufen. Auf ihrem Smartphone kontrollierte sie die Entfernung. Als sie den Schrank geöffnet hatte, um den Autoschlüssel zu holen, war ihr aufgefallen, dass Ben nicht mit seinen Laufschuhen , wie erwartet, losgelaufen war, sondern seine stabilen, hochwertigen Treckingboots angezogen hatte. Mit denen konnte er zwar auch laufen, aber das machte nur Sinn, wenn er vorhatte, in unwegsames Gelände zu gehen. Obwohl er auf ihrem Weg zu den Islandpferden versucht hatte, seine neugierigen Blicke zu verbergen, hatte sie ihn doch am Hin-wie auch Rückweg auf einen bestimmten Steig schauen sehen, der mitten im Wald in die Felsen führte. Ob er dort wohl irgendeine Beobachtung gemacht hatte, die mit seinem Verschwinden zu tun hatte? Hatten er, oder jemand anderes mit der Jacke im Moor nur eine falsche Fährte legen wollen, um vom wahren Geschehen abzulenken? Sein Verhalten war seit ihrer Ankunft ein paarmal merkwürdig gewesen, aber sie hatte einfach warten wollen, bis er ihr von selber erzählte, was los war. Außerdem war ihr gestriger Tag dermaßen perfekt gewesen, dass sie sich eigentlich keine Steigerung mehr vorstellen konnte. Aber der Abzweig war genau drei Kilometer entfernt und irgendwie hatte Sarah das Gefühl, sie müsse sich jetzt persönlich davon überzeugen, dass da nichts war!

  • Als Semir dem Ort näherkam, den ihm das Navi wies, fuhr er langsam und konzentriert. Hier war eine gottverlassene Gegend. Die dichten Wälder des Böhmerwalds umfingen ihn, zur Holzgewinnung zweigten immer wieder Waldwege ab, aber kein Fahrzeug begegnete ihm. Die Straße war freigesalzen, aber die Waldwege waren alle von einer dünnen Schneeschicht bedeckt. An manchen konnte man sehen, dass dort Traktoren gefahren waren, aber mit so einer Familienkutsche würde Semir auch nicht in so einen Weg einbiegen brauchen-er würde nicht weit kommen. Da brauchte man schon einen Geländewagen. Mann, wenn er nur den Hauch einer Ahnung hätte, nach was er Ausschau halten sollte! Er hatte gehofft, einen Wagen zu sehen, ein Haus-irgendwas, was seine Aufmerksamkeit weckte, aber um ihn herum waren nur Bäume. Ein wenig abseits sah er ein großes Felsmassiv immer wieder durch den Wald blitzen, aber nachdem er der Straße über einen Kilometer gefolgt war, ohne dass ihm etwas aufgefallen war, wendete er, um die Strecke wieder zurückzufahren. Dann hielt er an, um Susanne nochmals zu kontaktieren-vielleicht hatte die Neuigkeiten für ihn. Sie war auch gleich dran: „Susanne, gibt’s was Neues?“ wollte er wissen, aber die konnte ihm nur sagen, dass sie Ben´s letztes Handysignal irgendwo da, wo sie jetzt auch ihn orten konnte, empfangen hatte. „Wenn er-oder irgendjemand anderes dann den Akku rausgenommen hat, wäre das auch eine Möglichkeit!“ mutmaßte sie, aber davon wollte Semir nichts hören, denn dann hätte er jegliche Spur verloren. Er bedankte sich und fuhr gedankenverloren langsam die Teerstraße nochmals ab. Wo steckte Ben?
    Inzwischen hatte es leicht zu schneien begonnen und Semir überlegte. Wo verschwand ein Handysignal, wenn man den Akku nicht rausnahm? Große Gebäude mit Stahlwänden waren hier nicht in der Nähe. Dann fiel sein Blick wieder auf das Felsmassiv, das sich in drohender Schönheit über dem Wald erhob. Und wenn da irgendwo eine Höhle war?


    Sarah hatte sich inzwischen auf den Weg bergauf gemacht. Wie unbeschwert waren sie und Ben da gestern hinaufgelaufen, hatten herumgealbert und sich nebenbei Gedanken um den Namen des Kindes gemacht. Ben war genauso fest davon überzeugt, dass es ein Junge werden würde, wie sie behauptete, dass es ein Mädchen war, das da in ihr heranwuchs. Falls man es nicht zufällig beim Ultraschall sehen würde, waren sie überein gekommen, das Geschlecht vorher nicht wissen zu wollen-eine kleine Überraschung wollten sie sich aufheben. Es war ja auch egal, was es wurde, Hauptsache gesund, hatten sie gehofft. Und dann hatte Ben ernst gesagt: „Und wenn es nicht ganz gesund ist, werden wir es trotzdem lieben“, hatte dann seine Hand durch die dicken Klamotten auf ihren Bauch gelegt und gesagt: „Hey ich bin dein Papa, hast du gehört, ich liebe dich!“ und dann waren sie schweigend weitergelaufen.
    Inzwischen war Sarah eine knappe dreiviertel Stunde unterwegs. Jetzt musste doch langsam die Abzweigung kommen! Gerade hatte es wieder leicht zu schneien begonnen, während den ganzen Tag die Sonne geschienen hatte. Plötzlich sah Sarah den Steig und als sie ein Stück hineinlief und den Boden musterte, konnte sie erkennen, dass da Stiefelspuren in beide Richtungen waren, aber durch den nun leise fallenden Schnee war nicht genau erkennbar, wie viele Menschen und in welche Richtung die gegangen waren. Sarah, die im Gebirge völlig sicher und schwindelfrei war, gutes Schuhwerk anhatte und außerdem über viel Mut verfügte, legte nun kurz ihre Hand auf ihren Bauch und sagte: „Baby, wir werden den Papa finden!“ und folgte dann konzentriert dem Steig.


    Der Chemiker, wie Ben ihn nun im Stillen nannte hatte sich derweil vor ihn gestellt und ihn unverhohlen von oben bis unten gemustert. Ben war das verdammt unangenehm, wie er so taxiert wurde. Die Narben seiner letzten Folterung ein halbes Jahr vorher, als er von einigen Sadisten in einer alten Burg gequält worden war, waren verheilt, aber zum Teil schon noch zu sehen. Der Chemiker schüttelte tadelnd den Kopf: „Welche Stümper waren denn da am Werk?“ fragte er tadelnd und nahm dann mit diabolischem Grinsen die Elektroden des elektrischen Gerätes zur Hand.

  • Der Hausmeister beeilte sich zu erklären: „ Unser verehrter Chef will ihnen damit sagen, dass er sich mit dem Erfassen von Geständnissen bestens auskennt. Er war nämlich genau in dieser Funktion bei der tschechischen Armee, die früher ihre Schulungen in Russland bekommen hat. Leider wurde er nach dem Fall des Eisernen Vorhangs dann unehrenhaft entlassen, weil er seine Methoden nicht so umstellen konnte, dass die Menschenrechtskommission damit einverstanden war. Glauben sie mir-er kann den Willen eines Mannes brechen, dass ihm der winselnd zu Füßen liegt und seine eigenen Exkremente isst. Und das ganze so, dass niemand hinterher da auch nur eine Spur davon sieht!“ erzählte er mit einem Anflug von Stolz in der Stimme und Ben lief es daraufhin kalt den Rücken herunter. Gegen die russischen Foltermethoden war Guantamo ein Kindergarten.Nun fiel ihm auch wieder ein, wo er so ein elektrisches Gerät schon mal gesehen hatte. Es war im Rahmen seiner Ausbildung gewesen, als sie in einem Kriminalmuseum gewesen waren. Dort waren Folterwerkzeuge aus allen Jahrhunderten zu bestaunen gewesen, unter anderem auch so ein Apparat. Verdammt-er hatte erst im vergangenen Jahr die mittelalterlichen Foltermethoden ausprobieren dürfen und das Ganze nur knapp überlebt, er hatte keinerlei Interesse daran, die Methoden der Neuzeit auch noch zu testen!


    Mit einem Elektrotaser war er auch schon einmal gequält worden und er konnte sich noch an die unmenschlichen Schmerzen erinnern, die ihm damals zugefügt worden waren. Aber dies hier war ein Gerät, das wieder anders funktionierte und er versuchte gerade aus seinem Gedächtnis zu verbannen, was er dazu gehört hatte.Wieder suchte ihn ein Husten heim und mit trockenem Mund versuchte er zu fragen: „Was wollen sie denn von mir wissen? Können wir nicht wie zivilisierte Menschen miteinander reden?“ aber der Chemiker lächelte nur versonnen. „Wissen sie, Herr Jäger, ich leide da ein wenig unter Entzugserscheinungen!“ sagte er. „Ich habe meinen Beruf immer gerne und gewissenhaft ausgeübt und fand es sehr befremdlich, dass ich nur wegen einer kleinen politischen Umorientierung in Europa so einfach meinen Job los bin. Ich möchte aber nicht ganz aus der Übung kommen, man weiß ja nicht, was die Zukunft so bringt-vielleicht bin ich in ein paar Jahren auf dem Markt wieder ein gefragter Mann! Außerdem denke ich, dass sie nicht vorhaben, mir freiwillig die Wahrheit zu sagen, das möchte ich schon ganz sicher wissen!“ erklärte er und begann nun die beiden Elektroden an Ben´s Genitalien zu befestigen.
    Dem brach der kalte Schweiß aus. Ihnen war in der Ausbildung erzählt worden, dass beim Erpressen von Geständnissen, gerade in den Ostblockstaaten, die Erniedrigung des Opfers mit einbezogen wurde. Schon so ausgeliefert dazuliegen und nicht verhindern zu können, dass einen jemand anfasste, war unangenehm und peinlich genug, dazu noch der Schmerz-die meisten Menschen würden einfach Alles verraten, was der Folterer hören wollte und er war da sicher keine Ausnahme.


    Semir hatte sich inzwischen umgesehen, wo wohl der Weg zu dem Felsmassiv führte. Er war nochmals einen Kilometer auf der Straße zurückgefahren, denn irgendwie war es ihm so vorgekommen, als hätte er da eine Abzweigung in Erinnerung, die in diese Richtung führte und tatsächlich-dort wies ein verwittertes Schild, das sogar zweisprachig war zu einem Besucherbergwerk, allerdings war darunter ein weiteres Schild angebracht: „Wegen Einsturzgefahr geschlossen!“
    Semir folgte dem Weg, der breit und asphaltiert war. Er mündete auf einem großen geschotterten Parkplatz, auf dem zwei Fahrzeuge standen. Ein älterer Van mit getönten Scheiben und ein relativ neuer Skoda Oktavia mit tschechischen Kennzeichen. Man konnte an den Spuren sehen, dass dort vor kurzem mehrere Fahrzeuge, den Reifenspuren nach sogar ein kleiner LKW, gefahren waren. Ein dumpfes Dröhnen lag in der Luft und als Semir sein Fahrzeug ein wenig abseits abstellte und dem Geräusch nachging, war in einem kleinen verwitterten Verschlag ein Dieselaggregat zur Stromerzeugung untergebracht und lief so vor sich hin. Die Leitungen führten zum Bergwerkseingang, der aber mit einem Tor verschlossen war. Semir sah sich um und rüttelte an der Klinke. Kein anderer Eingang war zu entdecken und deshalb holte er sein Einbruchswerkzeug aus der Hosentasche und öffnete schnell und geschickt mit einem Dietrich das Schloss. Verstohlen sah er sich um, aber da weiter nichts Ungewöhnliches zu entdecken war, schlüpfte er in den Gang und tastete sich langsam in das Bergwerk hinein.


    Sarah war inzwischen auch auf dem Steig vorangekommen. Obwohl immer noch der Schnee leise rieselte, konnte sie immer wieder Fußspuren entdecken. Wie Ben am Mittag bemerkte auch sie, dass die urplötzlich abbrachen und als sie sich weiter umsah, konnte sie verborgen hinter einem Vorsprung, den Eingang in den Berg entdecken. Ihr war klar-wenn Ben hier gewesen war, dann war er da auch hineingegangen-seine Neugierde hatte ihn sicher dazu gezwungen-und so folgte sie einfach ihrem Instinkt, schwang sich um die Kante und verschwand ebenfalls im Berg.

  • Der Chemiker war nun näher zu Ben getreten. Man sah ihm seine Erregung deutlich an. Er leckte sich unbewusst die Lippen und schwelgte in der Vorfreude auf das Kommende. Ein glückliches Lächeln überzog sein Gesicht. Gleich würde er auf seine Kosten kommen!
    Nach seiner Entlassung aus der Armee hatte er eine Weile gebraucht, um sich umzuorientieren, aber dann hatte er-aus dem Grenzgebiet stammend und mit vielen zweifelhaften Kontakten ausgerüstet- beschlossen, nun das große Geld zu machen. Schon immer war hier geschmuggelt worden-auch zu Zeiten des Eisernen Vorhangs war der nie ganz dicht gewesen. Nur hatte man früher eher Dinge vom Westen in den Osten gebracht, während das heute umgekehrt war. Er hatte sich breit aufgestellt und mit gepanschtem Alkohol und Zigaretten begonnen. Nur war damit nicht das ganz große Geld zu verdienen gewesen, denn auf diesem Markt gab es viele Konkurrenten. Allerdings hatte er einmal ein Chemiestudium begonnen, das er zwar nie völlig abgeschlossen hatte, das ihm aber jetzt zu Gute kam. In Tschechien waren die Grundsubstanzen für Modedrogen leicht zu beschaffen-weder im Großhandel, noch in der Apotheke fragte einer nach, wie in Deutschland, für was man irgendwelche Chemikalien brauchte. Er hatte begonnen, wie so viele andere auch, Metamphetamin, also Crystal Meth zu kochen. Bald allerdings hatte er andere Mischungen ausprobiert, kleine Veränderungen gemacht und die neu entstandenen Substanzen unter neuem Namen mit großem Erfolg in der deutschen Drogenszene vertickt.


    Das Problem an der Sache war allerdings, die Drogen aus dem Grenzgebiet herauszuschmuggeln. Der deutschen Polizei und den Zollfahndern waren die einschlägigen Fahrzeuge nur zu bekannt und nachdem einige Helfershelfer festgenommen worden waren, hatte er nach Lösungen gesucht, wie man die Drogen unbemerkt ins deutsche Inland bringen konnte.
    Nun war ihm durch einen Zufall ein genialer Schachzug eingefallen. Ein Mitglied seiner Bande, der handwerklich sehr geschickt war und deshalb in einem deutschen Wellnesshotel in Grenznähe als Hausmeister arbeitete, hatte zufällig bei Reparaturarbeiten an der Rezeption einige Passwörter und Zugangsdaten zum Hotel-PC, die auf einem Zettel aufgeschrieben in einer Schublade lagen, ergattern können. So konnte er jederzeit herausfinden, welche Hotelgäste wo wohnten und wie lange sie blieben und nachdem deren Wagen ja unbewacht über Nacht auf dem Hotelparkplatz standen, hatten sie damit begonnen, die Tabletten und Pülverchen unbemerkt mit starken Magneten oder Kleber an der Karosserie der Fahrzeuge zu verstecken, bevor die Leute abreisten. Zusätzlich hatte man an den Autos noch Peilsender angebracht und je nachdem, wohin die Reise ging, hatte man ganz bequem an den Zielorten die Drogen wieder ausgebaut, oder eben schon unterwegs, wenn die Leute an Rastplätzen hielten. Eines ihrer Fahrzeuge verfolgte die unfreiwilligen Drogenkuriere und die Zöllner, die ja Profis in der Schleierfahndung waren, hatten die schon so oft kontrolliert, aber noch nie auch nur ein Gramm der gefährlichen Substanzen entdecken können. Die wussten durchaus, dass da Drogen geschmuggelt wurden, aber die Vertriebswege waren ihnen eben ein Geheimnis. Beliefert mit den Grundsubstanzen wurden sie von tschechischer Seite, aber dann brachte man die Schmuggelware über das seit Urzeiten als Schmugglerweg benutzte Felsmassiv, unbemerkt, mit als Wanderern getarnten Boten, auf die deutsche Seite.


    Als der Hausmeister herausgefunden hatte, dass zwei Polizisten unter den Hotelgästen waren, war er schon unruhig geworden. Irgendwie hatten er und sein Helfershelfer das Gefühl gehabt, dass sie beobachtet wurden, aber nur der jüngere der beiden Polizisten, der jetzt vor ihnen lag, hatte sich auffällig verhalten. Als sie ihn in der Höhle entdeckt hatten, wollten sie ihn zuerst nur schnell im Moor verschwinden lassen, aber dann hatte der Chemiker, als er die belastenden Materialien in Windeseile hatte in Sicherheit bringen lassen, beschlossen, dass er ihn zuvor doch noch ausquetschen wollte, wem er schon von seinen Beobachtungen erzählt hatte. Wenn das schon eine offizielle Sache gewesen wäre, dann hätten die Zollfahnder sie schon längst hops genommen, also bestand durchaus Hoffnung, dass der Kreis der Mitwisser noch klein war, oder dieser Ben Jäger eben als Einzelner ermittelt hatte.


    Außerdem bereitete es dem Chemiker ein persönliches Vergnügen, zuzusehen, wie andere Leute Schmerzen hatten. In seiner langjährigen Tätigkeit beim Militär hatte er seiner sadistischen Ader immer gerecht werden dürfen und war dafür sogar noch gut bezahlt worden-das fehlte ihm jetzt und so wollte er die Gelegenheit ausnutzen und sich an den Qualen seines Opfers ergötzen. Wenn er erfahren hatte, was er wissen wollte, würde man diesen Jäger wieder ins Moor bringen und noch heute Nacht würde er erneut in den Fluten versinken. Irgendwann fand man dann seine Leiche, vielleicht auch an einer anderen Stelle, aber die unterirdischen Strömungen im Moor konnten sowas schon bewerkstelligen! Er würde ihn so quälen, dass von außen nichts sichtbar war und die Todesursache wäre dann eindeutig Ertrinken, dann würde die Polizei die Sache als Unglücksfall abhaken und sie konnten alle weitermachen, wie bisher. Gab es allerdings Mitwisser, dann mussten sie alle miteinander schnell untertauchen und deshalb griff der Chemiker nun nach dem Knopf, der sein elektrisches Gerät einschaltete.

  • Ben hatte den Chemiker die ganze Zeit beobachtet. Er sah dessen Erregung und als der nun nach einer Zeit des Nachdenkens nach dem elektrischen Gerät griff, versuchte er sich innerlich auf den nun folgenden Schmerz vorzubereiten. Der Chemiker lächelte ihn an und fragte: „Wem hast du noch von dieser ganzen Sache erzählt?“ und bevor Ben auch nur antworten konnte, begann der Strom über die Elektroden durch seinen Körper zu fließen. Erst fühlte er nur ein leises Kribbeln und als Ben gerade ansetzen wollte, zu beteuern, dass er niemandem von seinen Beobachtungen berichtet hatte, drehte der weißbekittelte Mann den Regler auf Halblast. Ben blieb momentan die Luft weg, so schmerzte das, aber dann heulte er laut und gequält auf. Er zerrte verzweifelt an seinen Fesseln, um sich die Elektroden abzureißen, aber die stabilen Lederbänder hielten. Erst wand er sich, wie ein Aal, aber als der Chemiker mit sadistischem Grinsen den Regler noch ein wenig höher drehte, hörte Ben zu schreien auf, denn nun verkrampfte sich sein Körper, ohne dass er Einfluss darauf nehmen konnte. Sein Rücken bog sich nach oben durch, aber die Qual nahm immer noch kein Ende. Verzweifelt betete Ben dafür, endlich ohnmächtig werden zu dürfen, aber dieser Wunsch wurde ihm nicht gewährt, denn gerade als er begann die Augen zu verdrehen, fuhr der Chemiker, der vor Erregung und Vergnügen rote Bäckchen bekommen hatte, den Regler völlig herunter.


    Ben blieb schwer atmend liegen, er hätte es keine Sekunde länger ausgehalten und nun war ihm schwindlig und schlecht. „Ich will eine Antwort hören!“ herrschte ihn der Mann an und Ben beteuerte: „Ich habe wirklich niemandem davon erzählt-sie müssen mir glauben!“ sagte er, aber der Chemiker griff erneut zum Regler. Diesmal drehte er nicht so hoch, sondern ließ den Strom in Wellen durch Ben´s Körper laufen, der nun die ganze Zeit schrie, bis nur noch ein mattes Gurgeln aus seinem Mund kam. „Ich will die Wahrheit wissen!“ herrschte er ihn an, aber Ben versicherte keuchend: „Ich habe keinen informiert!“ Er konnte keine Gnade in den Augen seines Gegenübers entdecken und aus den Augenwinkeln sah er, dass seine beiden Entführer die Szenerie ebenfalls mit Genuss betrachteten. Wenn er die Sache realistisch betrachtete, war er so gut wie tot. Die würden ihn nicht mehr laufen lassen-er hatte zu viel gesehen. Das einzige, was er tun konnte, war bei der Wahrheit zu bleiben und er war innerlich sogar froh darüber, dass er weder Semir, noch sonst einem anderen etwas erzählt hatte. So waren die nicht in Gefahr und er konnte ein zweites Mal abtreten.
    Er hatte gedacht, er hätte es hinter sich, als er im Moor versank, aber gerade als diese Gedanken durch seinen Kopf schossen, wurde der Strom wieder eingeschaltet. In kurzen Abständen folgten Stromstöße und die Fragen prasselten auf ihn herein, aber Ben blieb standhaft bei der Wahrheit. Soviel wusste er mit seinem Rest an Bewusstsein, der die Pein überlagerte: Wenn er auch irgendetwas erfand, es würde ihn nicht retten-er würde nur Sarah, sein ungeborenes Kind und seine Freunde in Gefahr bringen.
    Eigentlich hatte er auch schon resigniert. Niemand hatte auch nur den Hauch einer Ahnung, wo er steckte, man hatte vielleicht im Moor seine Jacke mit den Ausweispapieren gefunden und daraus geschlossen, dass er ertrunken war, was ja eigentlich beinahe der Wahrheit entsprochen hatte, aber eine Hoffnung auf Rettung von außen konnte er verwerfen.Wieder heulte er laut und während in niedriger Stärke der Strom, mit dem einzigen Grund, ihn zu quälen, durch seinen Körper floss, bereitete der Chemiker eine Spritze mit einer farblosen Flüssigkeit vor. „Jetzt werden wir gleich sehen, ob du mir die Wahrheit gesagt hast!“ prophezeite er Ben und schaltete nun den Strom aus, was Ben schwer atmend verstummen ließ.Gerade befestigte der Chemiker einen Stauschlauch um Ben´s Oberarm, da sah der aus den Augenwinkeln voller Entsetzen etwas Unglaubliches.

  • Über ihm stand auf der Galerie Sarah und blickte mit weit aufgerissenen Augen auf die schreckliche Folterszene, deren Hauptdarsteller er war. Um Himmels willen, wo kam die her und war sie sich bewusst, dass sie und das Kind gerade in höchster Gefahr schwebten? Er zermarterte sich den Kopf, wie er verhindern konnte, dass einer der Männer sie entdeckte. Er war ja am Vormittag an genau derselben Stelle gestanden und nicht gesehen worden-erst später, vermutlich anhand seiner Spuren im Schnee, waren seine Entführer zurückgekommen und das Schicksal hatte seinen Lauf genommen. Am liebsten hätte er ihr zugerufen: „Verschwinde, schnell!“ aber er wollte niemanden darauf aufmerksam machen.


    Der Chemiker hatte derweil eine Vene Ben´s gesucht. Er würde ihm ein, von ihm höchstpersönlich neu entwickeltes Wahrheitsserum injizieren, das allerdings noch in der Erprobungsphase stand. Wenn das erfolgreich war, hatte er ein völlig neues, bisher nicht nachweisbares Mittel entwickelt, das Tatsachen bei einem Verhör herausbringen würde, an die sonst nicht zu denken war. Bisher waren diese Medikamente alle nicht so zuverlässig-manche Verhörten hatten trotzdem irgendetwas erzählt, was nicht stimmte. Darum gab es in totalitären Staaten einen riesigen Markt dafür-er wäre ein gemachter Mann, wenn er da Erfolge vorweisen könnte.
    Allerdings hatten einige Probanden-unter anderem rumänische Sinti, die nirgendwo gemeldet waren und die sie entführt und zu Studienzwecken verwendet hatten- sehr bedenkliche Reaktionen gezeigt. Sie hatten gekrampft, waren ins Koma gefallen und waren nicht mehr zu sich gekommen, so dass sie das Moor wieder mit neuen Opfern befüllen mussten. Allerdings waren die Toten, wenn sie überhaupt gefunden wurden, immer als Unfallopfer durchgegangen, da sie außer einer kleinen Einstichstelle keinerlei Verletzungen aufwiesen. Um die Injektionsstelle zu maskieren hatte man noch kurz einen Dornenzweig darüber gezogen, dann fiel die nicht mehr auf und auch das gängige Drogenscreening in der Gerichtsmedizin hatte das Mittel nicht nachweisen konnte. Auch waren sie nie so dumm gewesen, die Opfer erst zu versenken, wenn sie völlig tot waren, sondern hatten das immer noch geschafft, solange die noch atmeten, so dass man in der Lunge Moorwasser feststellen konnte.


    Der Chemiker hatte noch kleine Veränderungen an der Zusammensetzung des Wahrheitsserums vorgenommen, aber er war fast sicher, dass er jetzt das optimale Medikament kreiert hatte! Vermutlich würde es auch in anderen Ländern reißenden Absatz finden, denn jeder wollte doch sicher sein, dass er beim Verhör nicht vom Verhörten angelogen wurde. Er würde vielleicht bald reich und berühmt sein und das alles völlig legal! Aber jetzt musste er mal wieder zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen-erstens diesen Polizisten befragen, ob der auch die Wahrheit gesagt hatte-und zweitens ausprobieren, ob die Formel jetzt perfekt war.


    Sarah hatte sich langsam im Berg vorgetastet. Durch die elektrische Beleuchtung war es auch nicht gefährlich durch die Stollen zu laufen und wenn sie sich nicht solche Sorgen um Ben machen müsste, wäre es dort unten sehr interessant gewesen. Immer wieder waren Halbedelsteine in den Fels eingeschlossen, die man da vermutlich abbaute, oder zumindest abgebaut hatte. Es wirkte dort fast wie in einem Besucherbergwerk. Sie hatte schon mal ein Salzbergwerk in Österreich besichtigt und natürlich war sie auch im Ruhrgebiet, sozusagen vor ihrer Haustür, schon in einen Schaustollen eingefahren, so ähnlich kam es ihr auch hier vor. Als sie einige Meter zurückgelegt hatte, hörte sie auf einmal einen schrecklichen Schrei, der nach einiger Zeit verstummte. Sie erstarrte beinahe zu Eis. Ihre Ahnung hatte sie nicht getrogen-das war eindeutig Ben´s Stimme gewesen. Er war hier und brauchte ihre Hilfe! Sie sah auf ihr Handy, aber wie zu erwarten war, hatte sie hier unten keinen Empfang. Eigentlich war ihr klar, dass es jetzt vernünftig gewesen wäre umzudrehen und sofort Hilfe von außen zu holen, aber da begann Ben wieder zu schreien und zu winseln. Er musste schreckliche Schmerzen haben! Was wäre, wenn er irgendwo eingeklemmt war und sie versäumte wertvolle Zeit, indem sie wieder zurücklief? Sie würde es sich nie verzeihen, wenn er durch ihr Versäumnis zu Schaden kam und deshalb musste sie, angetrieben von den Schmerzensschreien ihrer großen Liebe, jetzt nach dem Rechten sehen, bevor sie die Rettung und Semir verständigte!

  • Semir hatte sich langsam vorgetastet. Er vermisste schmerzlich seine Waffe, aber wer hätte auch gedacht, dass man die im Wellnessurlaub brauchen würde! Kaum war er einige Meter weit gekommen und überlegte an der ersten Abzweigung gerade, welchem Weg er folgen sollte, da hörte er auf einmal einen markerschütternden Schrei. Um Himmels Willen-das war eindeutig Ben´s Stimme! Einerseits war er ja froh, dass ihn sein Bauchgefühl nicht getrogen hatte und er ihn aufgespürt hatte, aber andererseits hatte der augenscheinlich gerade fürchterlich was auszuhalten. Semir musste an sich halten, um nicht gleich loszurennen, aber dann verstummte Ben wieder. Semir zögerte, in welchen Stollen er gehen sollte. Wo genau waren die Schreie hergekommen? Gerade wollte er in einen der Wege einbiegen, da begann Ben wieder loszubrüllen und nun drehte er um und folgte mit aufgestellten Haaren-wie diese Urreaktionen doch im Menschen noch da waren-den schrecklichen Lauten. Immer wieder brach Ben ab, man hörte ihn schluchzen und Stimmen, ohne zu verstehen, was die sprachen und dann schrie er wieder. Wenn Semir denjenigen erwischte, der seinen Freund gerade dermaßen quälte, den würde er aber ordentlich zur Rechenschaft ziehen, aber erst erst musste er Ben irgendwie befreien und dann würde man weitersehen.


    Je näher Semir dem Ort des Geschehens kam, desto vorsichtiger bewegte er sich vorwärts. Er lauschte, ob er irgendwelche anderen verdächtigen Geräusche, wie Schritte oder ein Rascheln hören konnte, die einen Verfolger oder Beobachter verrieten, aber er konnte nichts vernehmen. Dann verstummte Ben endgültig und Semir, der instinktiv wusste, dass er nun ganz in seiner Nähe war, lugte vorsichtig um die Ecke.Was er sah, verschlug ihm beinahe die Sprache. Nur wenige Meter von ihm entfernt lag Ben nackt auf einen Tisch gefesselt. Mit Elektroden an seinen edelsten Teilen war er mit einem elektrischen Gerät verbunden, das ihm scheinbar diese furchtbaren Schreie entlockt hatte. Man konnte keine äußeren Verletzungen erkennen, aber das war wohl bei der Elektrofolter so. Auch Semir hatte darüber in seiner schon weit zurückliegenden Ausbildung etwas gehört und im Kriminalmuseum solche Geräte gesehen.


    Drei Männer standen um seinen Freund herum. Den einen davon, der ihm sozusagen schräg gegenüber war, hatte Semir im Hotel schon gesehen, der hatte Hausmeistertätigkeiten ausgeführt, es war also anzunehmen, dass Ben so durch seine Neugier in irgendetwas hineingeraten war. Ein weißbekittelter kleiner Mann-sicher nicht größer als er selber-mit einer dicken Brille hatte einen Stauschlauch an Ben´s Arm befestigt und entfernte gerade die Luft aus einer vorbereiteten Spritze. Er hatte anscheinend vor, Ben irgendetwas zu injizieren, das musste er unbedingt verhindern. Allerdings lag Ben zu seinem Erstaunen völlig ruhig und versuchte nicht, sich zu wehren. Der zweite Mann, der etwa drei Meter von ihm entfernt, mit dem Rücken zu ihm stand, hatte eine Waffe in der Hand, die er allerdings entspannt herunterhängen ließ. Na klar-von Ben ging augenblicklich ja keine Gefahr aus! Semir kannte seinen Freund in-und auswendig und nun bemerkte er, dass der vorsichtig nach oben lugte, wo das Höhlensystem sich in einer Art Galerie fortsetzte und dann sofort wieder wegsah. Als Semir nun dieser Blickrichtung folgte, traf ihn schier der Schlag. Dort oben stand Sarah und beobachtete ebenfalls voller Entsetzen das Schauspiel. Wie um Himmels Willen kam die dahin? Es musste also irgendeinen Zugang zu diesem Bergwerk von deutscher Seite aus geben, aber das war im Augenblick sowas von egal, denn gerade, als Semir fieberhaft überlegte, was er nun machen sollte, überschlugen sich die Ereignisse.

  • War es durch einen Zufall, oder hatte Ben doch etwas zu auffällig in ihre Richtung geschaut-Semir konnte es hinterher nicht mehr sagen. Fakt war, dass der Bewaffnete, der mit dem Rücken zu Semir stand, instinktiv nach oben auf die Galerie sah und dort Sarah erblickte. Mit einem breiten Grinsen sagte er: „Na wen haben wir denn da!“ und hob die Waffe. Auch alle anderen sahen hinauf und Ben entwich ein Entsetzenslaut, als der Mann die Waffe entsicherte. In diesem Augenblick nutzte Semir den Moment, als alle abgelenkt waren und stürzte sich von hinten auf den Bewaffneten, um ihm den Revolver zu entwinden und so vielleicht durch den Überraschungseffekt die Kontrolle über die Situation zu bekommen. Der Finger des Mannes hatte sich anscheinend gerade um den Abzug gekrümmt und durch die Wucht des Aufpralls fiel er nach vorne und löste dabei den Schuss aus. Laut dröhnte der durch das Bergwerk und als Semir, der durch den Überraschungseffekt tatsächlich sofort den Angegriffenen überwältigt und den Revolver an sich gebracht hatte, hochsah, fiel der Hausmeister gerade mit einem überraschten Gesichtsausdruck um und das Blut färbte seine Jacke rot-sein eigener Kumpane hatte ihn direkt in die Brust geschossen!


    Während Semir den Mann am Boden festhielt, sah er voller Panik, dass sich der weißbekittelte Mann nun erst recht nicht davon abhalten ließ und die Nadel der Spritze in Ben´s Arm versenkte, während Ben laut und angstvoll: „Sarah!“ rief. Der Lärm des Schusses hätte schon längst verhallt sein müssen, aber immer noch hing ein dumpfes Grollen in der Luft und nun hatte Semir das Gefühl, die Erde begänne zu beben. Gesteinsbrocken lösten sich aus der Decke und den Wänden und begannen auf die Menschen dort herunterzufallen, auch Semir wurde am Rücken von einem getroffen und dann war um sie herum nur noch ein einziges lautes Inferno. Semir meinte, sein letztes Stündlein hätte geschlagen, das Szenario ähnelte dem am Deutschen Eck, als er zusammen mit Ben, beim Versuch Andrea und die Frau des Bundespräsidenten vor einem Attentat zu schützen, verschüttet worden war. Staubwolken hüllten alles ein und dann wurde es dunkel.


    Irgendwann wurde es leise, furchtbar leise und Semir versuchte verzweifelt die Dunkelheit mit seinen Augen zu durchdringen. Der Mann unter ihm, der zuerst auch vor Schreck erstarrt gewesen war, begann sich zu regen, aber Semir konnte nun keine Rücksicht auf ihn nehmen und schlug ihn mit dem Knauf des Revolvers bewusstlos. Dann hörte er ein Scharren, also hatte außer ihm und dem Todesschützen noch jemand den Einsturz überlebt und dann ertönte auch schon ein dünnes Stimmchen, das rief: „Ben? Semir?“ und voller Erleichterung registrierte Semir, dass Sarah anscheinend am Leben war. Von Ben allerdings kam keine Antwort.


    Nachdem sie Sarah zwei Stunden Zeit gegeben hatte, sich auszuruhen, schrieb ihr Andrea eine What´s App. „Wie geht´s dir? Wollen wir zusammen einen Tee trinken?“ schrieb sie, aber sie hatte keinen Empfang. Mit gerunzelter Stirn sah Andrea auf ihr Smartphone. Das war merkwürdig, denn normalerweise hatte Sarah das immer bei sich und auch an, außer der Akku war mal versehentlich leer. Sie machte sich nun auf den Weg zur Suite und klopfte von außen an die Tür: „Sarah, ich bin´s, Andrea-lass uns was trinken gehen!“ bat sie, aber es kam keine Antwort. Ein komisches Gefühl machte sich in Andrea breit-sie sah schon Schreckensszenarien vor sich, dass Sarah vor Aufregung eine Fehlgeburt erlitten hatte und nun im Hotelzimmer bewusstlos in ihrem Blut lag, oder ausgeglitten und hingefallen war und so eilte sie an die Rezeption und bat außer Atem: „Sie müssen sofort die Suite von Familie Jäger öffnen, meine Freundin meldet sich nicht, ich befürchte, dass es ihr nicht gut geht!“ aber da sah sie die Rezeptionistin erstaunt an. „Sie ist nicht im Haus!“ sagte sie. „ Ich war die letzten zwei Stunden, seitdem sie gegangen ist hier, sie ist nicht zurückgekommen!“ und nun starrte Andrea die Frau fassungslos an.

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