Burgen, Schlösser und Ganoven

  • Wenig später bog Semir um die Ecke. Als er Sarah bei seinem Freund sah, überzog ein Lächeln sein Gesicht. „Na, wieder alles in Butter?“ fragte er, aber dann registrierte er Sarah´s ernsten Gesichtsausdruck und war mit zwei Schritten bei Ben. „Was ist los?“ fragte er und nun fiel ihm auch auf, dass Ben eine andere, viel dickere Magensonde hatte und unten am Bett ein Beutel hing, der mit mindestens einem Liter merkwürdig aussehender Flüssigkeit hing.Ben wandte den Kopf und ein leichtes Lächeln stahl sich in sein Gesicht. „Zu deiner ersten Frage: Ja wir haben uns ausgesprochen, bzw. Sarah hat mir bewiesen, dass sie mich immer noch mag und zu deiner zweiten Frage: Frag Sarah-ich kapier das auch nicht genau, was mit mir los ist-ich weiß nur, dass ich gekotzt habe, wie selten in meinem Leben und jetzt haben die mir diese neue Sonde in den Hals geschoben, was nicht angenehm war!“ beantwortete er Semir´s Fragen aus seiner Sicht.


    Da bog auch schon der Intensivarzt mit einem in einer Plastikfolie eingetüteten Schriftstück um die Ecke. „Gut dass sie gekommen sind, Herr Gerkan! Stellen sie sich vor, so ein windiger Anwalt hat sich Zutritt zu ihrem Kollegen verschafft und wollte ihn dieses Schriftstück hier unterschreiben lassen!“ sagte er und reichte das Papier Semir, der es verwundert musterte und versuchte, durch die Folie und die Verschmutzung hindurch zu lesen, was darauf stand. Vor Empörung fiel ihm dann schier die Kinnlade herunter-mit einem kurzen Blick vergewisserte er sich noch, dass da auch keine Unterschrift Ben´s darunter stand und als er dann aufsah und fragte: „Wo ist der Anwalt jetzt?“ denn er wusste genau, wer da bei Ben aufgetaucht war, antwortete sein Kollege: „Ich denke zuhause beim Umziehen!“ sagte Ben-„ich fand ihn nämlich zum Kotzen!“ Nun konnte sich auch Semir ein Grinsen nicht verkneifen. „Gut gemacht, ich denke, wir werden dem mal eine Anzeige wegen versuchter Nötigung aufbrummen, ich weiß nicht, was diesen Typen nur immer einfällt!“ sagte er. „die denken, sie können mit Geld alles kaufen!“ und alle Anwesenden nickten bestätigend.
    In dem Moment bog die Schwester, beladen mit allerlei Utensilien um die Ecke. „Dürfte ich den Besuch bitten, jetzt wieder zu gehen, ich hätte da noch so verschiedene Sachen mit Herrn Jäger zu erledigen!“ sagte sie und Semir verabschiedete sich schnell: „Tschüss und gute Besserung, bis morgen Früh, da komme ich wieder. Wir haben übrigens Hartmut in das Vergangenheitsforum eingeschleust-der hat heute Abend schon das erste Treffen!“ informierte er ihn noch kurz und machte sich dann auf den Weg nach draußen. Sarah blieb einfach bei Ben sitzen, aber ihre Kollegin sagte energisch zu ihr: „Du bist hier auch nur Besuch, Sarah, also erst mal raus hier, ich hole dich später wieder rein, wenn wir fertig sind!“ Völlig perplex erhob sich Sarah und folgte Semir nach draußen, der überrascht war, dass Ben´s Freundin ihm nun auf dem Fuße folgte. Sie blieben auf dem Intensivflur stehen und Semir wollte nun doch wissen: „Was hat denn Ben nun eigentlich und warum musste er so speien?“ Sarah blickte ernst und sagte dann: „Er hat eine Darmlähmung und das ist gar nicht so harmlos, außerdem stehen ihm nun ein paar Dinge bevor, die ihm gar nicht gefallen werden!“ erklärte sie und überlegte kurz wo sie nun hingehen sollte. Sie beschloss Semir noch nach draußen zu begleiten und sich dann im Stationszimmer einen Kaffee zu genehmigen. „Wenn was ist, ruf mich an und ich freu mich, dass ihr wieder zusammen seid!“ sagte Semir noch und brach dann auf, um zuerst nach Hause und später wieder in die PASt zu fahren.


    Andrea war hoch erfreut, ihn so früh zuhause zu sehen. „Mensch klasse, dann kann ich ja heute Abend um 19.00 Uhr doch zu der Tupperparty gehen, zu der ich eingeladen bin!“ sagte sie. Es war so ätzend, nie zu wissen, wann Semir Feierabend hatte, aber das passte ihr sehr gut heute, dass er schon so früh war, es war nämlich gerade 16.00 Uhr. Semir druckste ein wenig herum. „Andrea, es tut mir ja sehr leid, aber ich muss nachher nochmal dienstlich weg und kann auch nicht sagen, wann ich da wiederkomme. Ich wollte nur wenigstens mit dir und den Kindern zu Abend essen, bevor ich wieder fahren muss!“ erklärte er und Andrea drehte sich nun mit versteinerter Miene um und sagte kein Wort mehr. Semir spielte ein wenig mit seinen Kindern, deckte den Abendbrottisch, aber kaum hatten sie gegessen, erhob er sich und sagte: „Ich muss dann wieder!“ und ließ seine Familie alleine zurück. Andrea sah ihm mit trauriger Miene nach. So sehr sie ihn immer noch mochte, aber das hier war kein Zustand. Erst kam immer Semir´s Beruf, dann lange nichts und erst dann kamen seine Familie und andere Dinge, die im Leben eben auch wichtig waren. Vielleicht war es an der Zeit, da mal etwas grundlegend zu ändern!


    Als Semir bei der Krüger im Büro ankam war er ganz froh, seinen Gedanken entfliehen zu können. Andrea war gerade so merkwürdig! Im Urlaub war es so schön und harmonisch gewesen, aber seitdem war irgendwie der Wurm in ihrer Beziehung, dabei tat er doch auch nichts anderes als arbeiten und Geld verdienen! Natürlich hatte in der vergangenen Woche sein Augenmerk der Befreiung Ben´s und der Überführung der Täter gegolten, aber das würde doch wieder anders werden! Er nahm sich fest vor, nach Abschluss des Falls seine angesammelten Überstunden abzubauen und mal einen schönen Tag mit seiner Familie zu verbringen, sozusagen als Entschädigung!
    Hartmut saß schon bei der Chefin im Büro. Semir musste gestehen, dass er sich in dem Narrenkostüm völlig sicher und ungezwungen bewegte. Kurz erklärte er gerade der Chefin, welche Vita sie ersonnen hatten und die sah auch gleich im Internet nach, wie überzeugend Hartmuts Background gelungen war, aber da gab es nichts zu rütteln. Er hatte sogar daran gedacht, einen amerikanischen Pass so zu fälschen, so dass sein fiktiver Name darauf stand, dazu eine gefakte American Express-Karte. Er würde später zufällig seinen Geldbeutel verlieren, damit die Personalien für die Forenbetreiber erst mal klar waren. Als sie nach kurzer Lagebesprechung vor die PASt traten, entfuhr Semir ein anerkennendes Schnalzen, als er das Fahrzeug sah, das die Chefin aufgetrieben hatte. Ein relativ neuer Jaguar in dunkelgrün stand mit blitzenden Felgen vor der Station. Hartmut nahm beinahe andächtig den Schlüssel entgegen. „Fahren sie bloß vorsichtig, Herr Freund!“ warnte ihn die Chefin, aber Hartmut drehte sich mit strahlendem Lächeln um: „Ich heiße doch nicht Gerkan oder Jäger!“ sagte er frech und saß dann auch schon in der Luxuskarosse.


    Im Krankenhaus hatte die Schwester inzwischen die Dinge abgeladen, die sie mitgebracht hatte. Auf einem kleinen Tablett war ein Medikament in einer Spritze aufgezogen, das sie ihm gleich nach Händedesinfektion in den ZVK injizierte. „Das ist MCP, ein Mittel, das die Peristaltik anregt!“ erklärte sie dazu. Dann zog sie sich Handschuhe an, nahm in aller Ruhe die Schiene aus dem Bett und eine Einmalunterlage zur Hand. „Drehen sie sich bitte zur Seite, sie bekommen jetzt einen Einlauf!“ kündigte sie an und nun fiel Ben das Gesicht herunter. Oh nein, das durfte nicht wahr sein, aber trotzdem legte er sich mit schamrotem Kopf auf die Seite und starrte die Wand an.

  • Ben hatte die unangenehme Prozedur hinter sich. Leider war ihm auf dem Topf kein Erfolg beschieden gewesen und sein Bauch drückte und spannte nun fürchterlich. Der erste Magensondenbeutel war noch mit Magensaft und Sondenkostgemisch gefüllt gewesen. Man hatte ihn gegen einen frischen ausgetauscht und nun lief dort immer wieder im Schwall grünes, atonisches Magen-und Dünndarmsekret hinein. Das Schlechtsein vom vollen Magen war nun einer beständigen Übelkeit gewichen, die Ben schier in den Wahnsinn trieb. Der Arzt war noch gekommen und hatte auf den Bauch gehört, aber nach wie vor war dort nur ein müdes Plätschern zu hören. „Spätestens morgen müssen wir den Darm wieder zum Arbeiten bringen, sonst besteht die Gefahr einer Durchwanderungsperitonitis!“ erklärte er Sarah, die nach Ben´s vergeblichen Bemühungen von ihrer Kollegin wieder hereingeholt worden war. Sie war sehr unsicher gewesen, wie sie sich verhalten sollte, aber als sie eine andere Kollegin deshalb um Rat fragte, sagte die einfach: „Sarah, überleg doch mal. Wenn du in der Situation deines Freundes wärst-würdest du wollen, dass er dir beim Toilettengang zusieht?“ und Sarah musste den Kopf schütteln. Stimmt, auch wenn das bei der Arbeit mit ihren Patienten das tägliche Brot war, auch wenn es ihr persönlich nichts ausgemacht hätte, aber sie konnte nachvollziehen, dass es für Ben vielleicht so besser gewesen war. So holte sie einen feuchten Waschlappen, wusch ihm die fieberheiße Stirn ab und machte sich auf eine lange Nacht gefasst. In diesem Zustand würde sie Ben nicht alleine lassen. Die Nachtschwester hatte ein Einsehen und schob ihr einen Mobilisationsstuhl, den man flachstellen konnte, mit einer Zudecke herein. „Damit du dich auch ein wenig ausruhen kannst!“ bemerkte sie dazu und so legte sich Sarah ganz nah zu Ben, hielt seine Hand und hoffte mit ihm gemeinsam, dass er doch ein wenig schlafen könnte.


    Hartmut war inzwischen mit seiner Nobelkarosse vor der Flora und dem Zoo in Köln-Riehl angekommen. Untertags wurde das Parkverbot dort streng überwacht, aber jetzt standen da bereits etwa 10 Fahrzeuge der oberen Mittelklasse. Abends war der Zoo geschlossen und so wurde auch die Einhaltung der Vorschriften nicht so eng gesehen. Am Eingang zum botanischen Garten stand ein Mann in der Kleidung eines mittelalterlichen Dienstboten in Sackleinen. Er sprang zu Hartmuts Fahrzeug, öffnete die Fahrertür und bat mit einer tiefen Verbeugung den verkleideten Mann auszusteigen. Der hievte sich aus den tiefen Sitzen des Wagens, setzte seine Narrenkappe auf, damit Semir und die Chefin, die ihm im Abstand gefolgt waren und in einiger Entfernung mit dem BMW standen, auch etwas mitbekamen und wurde nun gefragt: „Was ist dein Begehr, werter Herr?“ und er antwortete huldvoll: „Ich bin Ron Weasley und habe eine Einladung für den heutigen Abend!“ Der andere Mann nickte: „Möge er mir bitte folgen, die Verhandlung wird bald beginnen!“ und damit ging er voraus zum Pförtnerhaus. Dort war ein Raum, der von jedermann für kulturelle Veranstaltungen im kleinen Rahmen gemietet werden konnte, in dem sich etwa 15 Personen in historischer Kleidung befanden. Man hatte ein paar Stühle aufgestellt und vorne einen kleinen Platz wie eine Art Bühne freigelassen. Hartmut sah, wie ihn viele Augen unverhohlen musterten, es waren Männer und Frauen. Für ihn war nicht erkennbar, wer Gäste und wer Veranstalter waren und nachdem der Mann, der ihn hereingeführt hatte sich anschickte, wieder zu gehen, stieß Hartmut wie zufällig sein nobles Portemonnaie, ein edles Stück, das ebenfalls die Chefin aufgetrieben hatte, aus seiner Tasche, das lautlos zu Boden fiel. Während er sich umwandte und sich scheinbar interessiert die Räumlichkeiten besah, konnte er aus den Augenwinkeln erkennen, dass sich der Mann flink bückte und die lederne Börse geschickt unter seiner Kleidung verbarg und den Raum verließ.


    Draußen waren sechs Polizeibeamte in Zivil unterwegs, darunter auch Jenni und Bonrath, die als Spaziergänger oder späte Heimkehrer aus der U-Bahnstation kamen. Sie waren untereinander mit Funk verbunden und observierten aus der Entfernung das Pförtnerhaus.
    Wenig später wurde das Licht gelöscht. Ein gutaussehender Mann, der sich zuvor unters Volk gemischt und belanglose Worte mit einigen anderen Gästen gewechselt hatte, trat vor und sagte: „Wir haben uns für den heutigen Abend eine kleine Gerichtsverhandlung ausgedacht. Unsere beiden Akteurinnen wurden am Markt beim Diebstahl von Kleidung ertappt, wir werden sie befragen und uns danach eine nette Strafe ausdenken!“ und damit begann auch schon die Vorstellung. Ein Mann in Richterrobe nahm Platz, ein anderer verlas die Anklageschrift und zwei hübsche junge Frauen in abgerissener, mittelalterlicher Kleidung waren die „Angeklagten“. Nachdem sie sich weigerten zu gestehen, kamen sie miteinander, einander gegenüber, in eine doppelte Schandgeige und warfen sich erst gegenseitig böse Worte an den Kopf, um zum Schluss ihre Übeltaten zu gestehen.
    Semir und die Chefin lauschten von draußen den Worten, die durchs Mikrophon klar und deutlich zu verstehen waren. Hartmut war sozusagen Gast bei einer kleinen Theatervorstellung, die passenden Bilder dazu konnte man sich denken, aber bisher war noch nichts Schlimmes geschehen.
    Als ein Aufschrei ertönte und ein Raune durch die Menge ging, war Semir schon auf dem Sprung, um notfalls mit gezogener Waffe ins Pförtnerhaus zu stürmen, aber Hartmut, der sich sowas schon gedacht hatte, wandte sich an seine Sitznachbarin: „Die spielen dieses mittelalterliche Stück super, nicht wahr?“ fragte er sie und die warf ihm einen fragenden Blick zu. Semir atmete erleichtert aus, damit hatte Hartmut klar gemacht, dass keine Gefahr bestand. Sie hatten ein paar Schlüsselworte ausgemacht, wenn Hartmut Hilfe brauchte, aber keines davon war gefallen.
    Die beiden Akteurinnen wurden nun dem Volk zur Bestrafung ausgeliefert, man band sie an zwei Pfähle, die aber, wie Hartmut feststellte, nur einfach so dastanden, den Frauen geschah in Wirklichkeit nichts. Man riss ihnen das Kleid vorne auf und nun kam Bewegung in die Zuschauermenge. Während das Licht grell auf die beiden jungen Frauen leuchtete, gingen Körbe mit weichen Tomaten und anderem Gemüse herum und die Gäste bewarfen nun voller Ernst die beiden Frauen mit dem Mist. Die fluchten und spuckten, schrien Schimpfworte in die Menge und veranstalteten einen Mordsradau. Es war aber nichts wirklich Hartes oder Gefährliches bei den Wurfgeschossen, von denen sie getroffen wurden. Ein paar Tomaten zerplatzen und sie waren sehr besudelt, aber sonst unverletzt. Hartmut überlegte, was er tun sollte. Er fühlte Blicke auf sich ruhen, aber wenn er jetzt nicht auffallen wollte, musste er sich beteiligen. Zögernd griff auch er zu einer Tomate und warf sie so leicht, dass der jungen Frau auf gar keinen Fall etwas passieren konnte. Verwundert merkte er, mit wie viel Aggressivität die anderen Gäste dort agierten. Es flogen Schimpfworte durch die Luft, so dass Hartmut inwendig errötete und die manikürten Fingernägel manschten in altem Gemüse herum, sauten die ganze Räumlichkeit ein und alle außer ihm hatten anscheinend einen Mordsspaß. Allerdings bemühte er sich, sich genauso zu benehmen, wie die anderen und als die Körbe leer waren, band man die beiden nun von oben bis unten versauten Damen los, die ihre Kleider zusammenrafften und aus dem Raum flohen.Drinnen ging das große Licht wieder an, einige Gäste begannen sich angeregt zu unterhalten und Hartmut gelang es leise einen kleinen Lagebericht und eine Beschreibung der beiden Frauen durchzugeben.
    Wenig später kam eine davon in Jeans und Pulli, eine Art Turban um den Kopf geschlungen heraus und ging eiligen Schrittes zur U-Bahnstation. Semir löste sich wie ein Schatten aus seinem Versteck, er hatte den BMW nämlich inzwischen verlassen und trat zu ihr: „Was haben sie denn da drinnen gemacht und geht es ihnen gut?“ fragte er besorgt, aber die junge Frau sah ihn verächtlich an: „Halt du dich da raus, Bulle- oder du bist doch einer? Das ist ein guter Job, ich krieg alle zwei Wochen 500 € dafür, dass ich meinen Text lerne und da eine kleine Theatervorstellung abliefere, mir passiert nichts und meinen Busen haben schon andere gesehen-mehr wird da nicht verlangt. Ich bin Schauspielerin, aber die gut bezahlten Rollen sind auch in Köln rar und irgendwie muss man über die Runden kommen, nur ne Dusche müssten sie da mal installieren!“ erklärte sie ihm und Semir ließ sie nachdenklich ziehen, wie auch die zweite junge Frau, die wenig später hinterherhuschte.Das Publikum drinnen unterhielt sich nach seiner interaktiven Theatervorstellung angeregt und auch Hartmut beteiligte sich am Gespräch, bis sich der Ansager aus der Menge löste und zu ihm trat. „Sie haben da was verloren, Mr. Kayser“, sagte er und überreichte ihm die Börse. „Wie hat es ihnen gefallen?“ fragte er dann. Hartmut nahm all seinen Mut zusammen und sagte: „Ganz nett, aber irgendwie war mir das zu soft, da ist ja gar kein Blut geflossen!“ und nun lächelte sein Gegenüber verschlagen. „Gut für diesen Zweck haben wir andere Etablissements und natürlich kostet sowas auch Geld-immerhin müssen wir die Opfer danach entschädigen!“ erklärte er schleimig. Hartmut sagte nun mit fester Stimme: „Geld spielt keine Rolle, kann ich da bei ihnen was vereinbaren?“ und der smarte Mann nickte. „Ich setze mich mit ihnen in Verbindung!“ sagte er und so endete der Abend.
    Die Zivilpolizisten hatten die Autokennzeichen notiert und abgecheckt-die Besitzer waren durchwegs gut situierte Kölner Geschäftsleute, aber so richtig Reiche waren da nicht dabei. Während nach und nach die Zuschauer nach Hause fuhren, verabredeten sich Semir, die Chefin und Hartmut noch an der PASt. „Der Köder ist ausgelegt, jetzt können wir nur noch abwarten!“ waren sie sich einig und alle machten sich auf den Weg nach Hause.

  • Ben hatte eine schreckliche Nacht hinter sich. Vor lauter Übelkeit hatte er trotz großer Müdigkeit kein Auge zugemacht. Ein paar Mal war er zwar nahe daran gewesen, wegzunicken, aber dieses letzte Quentchen zum endgültigen Einschlafen fehlte immer. Sein Fieber war nochmals gestiegen, auf fast 40°C, sein Husten quälte ihn zusätzlich und als er dann eine Kurzinfusion mit Novalgin bekam, sank das Fieber unter starkem Schwitzen. Sarah neben ihm war zwischendurch immer wieder kurz weggewesen, aber sofort erwacht, wenn er sich bewegte. Er vermied es zu stöhnen, um seine Freundin nicht zu belasten, aber wenn er ehrlich war, würde er am liebsten laut jammernd über sein Elend im Bett liegen. Man bot ihm wieder eine Tavor an, da die ja über die Mundschleimhaut aufgenommen wurde, aber er lehnte kopfschüttelnd ab. Schon der Gedanke an irgendeinen blöden Geschmack im Mund ließ ihn würgen. Er versuchte sich abzulenken, indem er an etwas anderes dachte, aber auch das funktionierte nicht. Sarah probierte, ihm etwas zu erzählen, aber er konnte vor Fieber nicht richtig zuhören und so lag er dann einfach da und litt still vor sich hin, immer wieder frisch gemacht von Sarah und der Nachtschwester, bis endlich der Morgen da war. Beide-Sarah und Ben- waren hohläugig und grau im Gesicht, so dass die Nachtschwester bei der Übergabe im Stationszimmer ihren Kollegen schon ans Herz legte, sich besonders um die beiden zu kümmern, weil die sonst zusammenklappen würden.


    Nachdem ja heute Samstag war, waren die Visiten später und auch die Anzahl der Ärzte viel geringer. Nichtsdestotrotz war alles so durchorganisiert, dass die medizinische Versorgung der Patienten reibungslos funktionierte. Sarah hatte sich kurz die Zähne geputzt, dann geholfen Ben zu waschen, aber duschen und frühstücken würde sie erst, wenn Semir da war. Man hatte ihm am Vortag gesagt, dass es reichen würde, wenn er gegen 9.00 Uhr da wäre und kaum war der Zeiger der Uhr, die Ben voller Angst beobachtete, auf die volle Stunde gerückt, da stand sein Freund auch schon in der Tür, um ihm bei der Wundspülung beizustehen.


    Semir hatte gute Laune. Als er am Vortag leise die Tür aufgesperrt hatte, hatte er erwartet, dass Andrea schon im Bett wäre, aber zu seiner Überraschung saß die noch mit ihrem E-Book, das er ihr zum Geburtstag geschenkt hatte, im Wohnzimmer. Er hatte sich eine Flasche Bier geholt, ihr einen Wein nachgeschenkt-das leere Glas stand auf dem Tisch-und sie dann gefragt: „Andrea, war das jetzt sehr schlimm für dich, dass du nicht auf diese Tupperparty gehen konntest?“ aber sie schüttelte nach kurzem Nachdenken den Kopf. „Semir, es ging gar nicht um diese Tupperparty-wir haben eigentlich genug Plastikschüsseln-aber einfach ab und zu abends wegkönnen und mal was anderes unternehmen, als vor dem Fernseher, dem Computer zu sitzen, oder zu lesen, das ist es, was mir fehlt. Die anderen Frauen die ich kenne, haben Männer, die pünktlich um 17.00 Uhr von der Arbeit kommen, die können sich immer was vornehmen, weil die abends dann die Kinderbetreuung übernehmen. Die machen auch viel mehr zusammen, als du und ich, einfach weil die Männer geregelte Arbeitszeiten haben, keine Überstunden machen müssen und solche spontanen Nachteinsätze wie heute-das können die sich gar nicht vorstellen!“ erklärte seine Frau. Semir nickte. „Du hast ja Recht, Andrea, aber wie du weißt, ich habe es schon probiert mit diesem reinen Bürojob und wäre dabei beinahe eingegangen. Kannst du dich noch erinnern, wie du nach dem Vorfall am Deutschen Eck zu mir gesagt hast, ich dürfe wieder auf die Autobahn, weil ich da hingehöre?“ und Andrea nickte traurig. „Ja Semir, ich weiß, dass du den Beruf hast, der dir Spaß macht und damals hast du mir und vielen anderen auch das Leben gerettet, das werde ich dir nie vergessen-nur manchmal ist das für mich so schwer, das auszuhalten und deswegen zurückzustecken!“ sagte sie leise.„Andrea, ich werde versuchen, mich zu bessern. Wenn dieser Fall abgeschlossen ist und es Ben wieder besser geht, bitte ich die Chefin darum, meine Überstunden nehmen zu dürfen, kümmere mich dann ein paar Tage ganz um dich und die Kinder und sorge dafür, dass du abends auch mal weg kannst. Auch Sarah hat mir das schon angeboten, dass sie die Kinder gelegentlich hüten würde-ich glaube, dieses Angebot sollten wir annehmen und auch zusammen mal weggehen und was unternehmen!“ sagte er nachdenklich. Nun strahlte Andrea und erklärte glücklich: „Genau das ist es, was ich mir wünschen würde. Wie du weißt, nimmt meine Mutter die Kinder ja auch jederzeit, aber ich will die nicht so belasten, aber das mit Sarah ist eine gute Idee!“ sagte sie und nach diesem wichtigen Gespräch bekräftigten sie ihre Versöhnung noch im Schlafzimmer und Semir war sich danach wieder sicher, dass er seine persönliche Traumfrau an seiner Seite hatte.


    Als Semir auf der Intensivstation eingetroffen war, rief die Schwester gleich den diensthabenden Urologen zur Wundtoilette an. Sarah vergewisserte sich nochmals, dass ihre Anwesenheit im Augenblick nicht erwünscht war und verschwand in Richtung ihres Appartements, um zu duschen und sich frisch anzuziehen, so eine Nacht in den Klamotten war alles andere als erholsam gewesen.Der Arzt-diesmal ein anderer, denn Dr. Eckert hatte das Wochenende frei-las sich zuvor die Befunde durch. Er hatte eine gründliche Übergabe von seinem Kollegen bekommen, aber Ben war ihm persönlich noch unbekannt. „Können wir ihm bitte wieder gut Opiate geben?“ bat er die Schwester, aber die schüttelte bedauernd den Kopf. „Er hat seit gestern einen paralytischen Ileus, wir dürfen den Darm nicht noch zusätzlich lähmen!“ gab sie die Anordnungen des Stationsarztes weiter. Der Urologe nickte mit dem Kopf. Das war jetzt nicht schön für seinen Patienten, aber trotzdem musste das gemacht werden, wenn man eine Chance haben wollte, dass das abheilte. Man holte ein paar Helfer zum Festhalten dazu und nun musste Ben diese hochschmerzhafte Prozedur bei vollem Bewusstsein erleben. Er hatte zwar einen hohen Wirkspiegel an anderen Schmerzmitteln im Blut, aber trotzdem tat es ihm sehr weh.


    Als es endlich vorbei war und er nun fix und fertig in seinem Bett lag, Semir an seiner Seite, ohne den er das nicht durchgestanden hätte, kam der diensthabende chirurgische Oberarzt vorbei, hörte auf den Bauch und betastete denselben noch, um dann seine weiteren Anordnungen bezüglich der Ileusbehandlung zu geben: „Bitte einen Neostigminperfusor über sechs Stunden und ein Klistier!“ ordnete er an und die Schwester machte sich gleich daran, dieses starke Darmanregungsmittel nach Schema aufzuziehen.Als Sarah wenig später frisch gestylt und mit Kaffee und Brötchen gestärkt, wieder zu ihrem Freund zurückkam, verabschiedete sich Semir, um sich nun um seine Familie zu kümmern.

  • Sarah war geschockt, wie fertig Ben immer noch aussah. Bevor sie den Perfusor anhängte, hatte die Schwester Ben noch das Klistier verabreicht. Nach der vorausgegangenen Spülung allerdings fand Ben nicht mal das mehr schlimm. Er hatte das Gefühl, seine Würde verloren zu haben und das war fast schlimmer, als der körperliche Schmerz. Noch nie in seinem Leben hatte er sich dermaßen mies gefühlt und nicht einmal Sarah´s Anwesenheit konnte ihn davon ablenken.
    Heute vor einer Woche war er noch voll freudiger Erwartung auf seine Versöhnung mit Sarah gewesen, er hatte nach der Burgbesichtigung alles aufs Feinste vorbereiten und mit ihr ein rauschendes Versöhnungsfest feiern wollen. Was hatte er nur verbrochen, dass die Wahl Berghoffs gerade auf ihn gefallen war? Gut, der war tot, man konnte ihn nicht mehr fragen, aber was brachte Menschen dazu, andere so zu quälen?
    Allerdings-jetzt hatte er geradezu ein Dejá vu-im Folterkeller war er nach bester mittelalterlicher Tradition gequält worden, aber was war das hier? Gerade wollte er Sarah seine Gedanken zum Tag mitteilen, da begann sich in seinem Inneren etwas zu rühren. Er stöhnte auf und zog die Beine an den Bauch. Sarah, die ihn die ganze Zeit beobachtet hatte, war anscheinend gar nicht überrascht deswegen. Er bekam Schweissausbrüche und seine Herzfrequenz sank, obwohl er eigentlich das Gefühl hatte, ihm würde das Herz bis zum Hals schlagen.Wieder und wieder wurde ihm übel und jedesmal entleerte sich ein Schwall grünlicher Magensaft in den Ablaufbeutel. „Sarah, was geschieht gerade mit mir?“ stöhnte er. Die hatte sich mit einem Waschlappen aus dem Wäschewagen bewaffnet und wusch ihm mitleidig das Gesicht. „Ben, das ist das Medikament im Perfusor, das wirkt total stark und anscheinend springt dein Darm auch darauf an. Nur wissen deine Innereien anscheinend im Moment noch nicht genau, in welche Richtung sie den Inhalt befördern müssen!“ erklärte sie ihm. Ben hatte die Erklärung zwar verstanden, aber das half ihm leider auch nicht bei der Schmerzbewältigung. Wenig später gab seine betreuende Schwester noch ein krampflösendes Mittel in die Infusion und ein wenig leichter wurde es danach auch.
    Ben hätte sich nicht vorstellen können, dass sich seine ganzen Gedanken, ohne nur die leiseste Chance der Ablenkung um so Dinge wie Toilettengang, Übelkeit und Bauchschmerzen drehen konnten. Auch war er nur froh, dass er die dicke Magensonde hatte, denn das ganze Material, das da rauskam zu speien, das hätte er nicht überstanden! Ganze drei Stunden war er nun schon von den Medikamenten geplagt und war nur noch mit den Kräften am Ende. „Sarah, ich halte das nicht mehr aus!“ jammerte er, aber die sagte zwar mitleidig, aber bestimmt: „Doch Ben, du schaffst das!“ und mit einem Schmerzenslaut drehte er sich zur Seite.


    Plötzlich, nach etwa vier Stunden, hörten die nutzlosen Entleerungen in den Magensondenbeutel allmählich auf. In seinem Bauch rumorte es zwar, aber irgendwie fühlte sich das richtig an. Kurze Zeit später sagte Ben hektisch: „Sarah, ich glaube, ich brauche eine Bettpfanne-und bitte lass mich dann alleine!“ und Sarah setzte ihn mit einem Lächeln noch auf den Topf, bevor sie ins Schwesternzimmer verschwand, um sich einen Kaffee zu genehmigen. „Ich glaube, jetzt geht es aufwärts!“ sagte sie zu ihren Kollegen und die grinsten sie an: „Ja, das gute Neostigmin, hat es mal wieder geholfen?“ fragten sie und Sarah nickte.


    Hartmut hatte an seinem freien Samstag ausgiebig im Internet gesurft. Als er nach einiger Zeit mal wieder im Vergangenheitsforum vorbeisah, hatte er eine PN da stehen: „Treffpunkt Sonntag um 19.00 Uhr am bekannten Ort!“ stand da-und darunter: „Scheckbuch nicht vergessen!“ Er griff zum Telefon und informierte erst Semir und dann die Chefin. „Wir sind da und organisieren alles!“ kam die Antwort und Hartmut lächelte. Ja auf seine Kollegen konnte er sich verlassen!

  • Ben war im wahrsten Sinne des Wortes erleichtert. Als er fertig war, kam auf sein Läuten auch nicht Sarah, wie er befürchtet hatte, sondern zwei andere Pflegekräfte, machten ihn sauber und erneuerten die Verbände, soweit es nötig war. Er wurde auch noch kühl heruntergewaschen und sein Bettzeug erneuert. Sarah war kurz in die Krankenhauscafeteria gegangen und hatte sich ein Sandwich geholt, denn irgendwie hatte sie jetzt doch Hunger.Als sie frisch gestärkt wieder zurück war, war sie überrascht, denn Ben hatte Besuch von seinem Vater. Hatte Konrad es doch geschafft, sich ein halbes Stündchen für seinen Sohn freizunehmen! „Hallo Sarah!“ sagte Konrad erfreut. „Ich hoffe ja, du hast Ben bald wieder auf dem Damm!“ fügte er noch hinzu und dann unterhielten sie sich noch eine Weile über belanglose Sachen. Sarah war erstaunt-die beiden mieden ihr gemeinsames Schlossdinner mit den üblen Folgen und die darauffolgende Woche in ihren Gesprächen, sondern machten stattdessen Smalltalk. Einige Zeit später sah Konrad auf die Uhr. „Ich bin jetzt noch zum Tennis mit Tewett, dem Medienmogul verabredet, gute Besserung dir und Sarah-wie wärs bald mal mit Enkelkindern?“ fragte er, während er Ben, dem es die Sprache verschlagen hatte, die Hand schüttelte, Sarah zunickte und zügig verschwand.
    „Sarah! Das darf doch nicht wahr sein!“ stammelte Ben, dem die Erwähnung der Enkelkinder einen schrecklichen Stich versetzt hatte. „Dieser Tewett ist doch sicher mit diesem Hieronymus verwandt, vermutlich sein Vater, sonst hätten die mir nicht so einfach drei Millionen Bestechungsgeld bieten können, wer hat sonst so viel Geld? Kooperiert jetzt mein eigener Erzeuger mit dem Feind? Wahrscheinlich kommt er heute Abend nochmal vorbei und bittet mich, im Sinne seines Tennisfreundes auszusagen, weil er dann ein paar gute Bauaufträge kriegt. Ausserdem hat er jetzt so ziemlich meinen wundesten Punkt getroffen, mit der Erwähnung der Enkelkinder! Sarah, ich will ihn nicht mehr sehen!“ sagter er, drehte sich zur Seite und versuchte , sich ein wenig zu fassen. Eigentlich war er hundemüde, aber jetzt hatte er sich so aufgeregt, dass es ihm fast schon wieder schlecht deswegen war. Sarah streichelte seinen Rücken, soweit das ohne Schmerzen für ihn möglich war. „Ben, nimms nicht so tragisch, ich denke nicht, dass dein Vater dir absichtlich weh tut!“ versuchte sie ihn zu trösten, aber im Augenblick hatte sie keine Chance. Irgendwann nickte Ben doch ein wenig ein und Sarah ging im Krankenhaus spazieren, um sich die Beine zu vertreten.


    Nach einiger Zeit besuchte sie ihre Kollegen auf ihrer eigenen Station. Sie hatte zwar immer noch ein schlechtes Gewissen, wegen der Aktion in ihrem letzten Spätdienst. Ihre Kollegen hatten ja keine Ahnung, was sie ursprünglich vorgehabt hatte, wenn das der Fall gewesen wäre, wäre sie fristlos entlassen worden. So hatte sie nur bei einer Beinahe-Reanimation einfach nichts gemacht und so das Leben einer ihr anvertrauten Patientin gefährdet. „Wie geht es Melissa Eder?“ fragte sie schüchtern, aber ihre Kollegen beruhigten sie. „Der ging es gut, die hatte auch keine Herzrythmusstörungen mehr, aber stell dir vor-noch am Donnerstag Abend wurde die verhaftet und ist heute nachmittag ins Untersuchungsgefängnis verlegt worden! So lange sie hier war, haben sie zwei Polizisten rund um die Uhr bewacht und Besuch durfte sie auch keinen empfangen, die muss ganz schön was ausgefressen haben!“ erzählten sie aufgeregt. „Das glaube ich auch!“ sagte Sarah müde. „Hey-und wie geht´s deinem Freund?“ wollte mitfühlend eine Kollegin wissen. „Langsam ein wenig besser, aber er schreit auch bei jeder Komplikation hier!“ erklärte Sarah und ihre Kollegin sagte: „Gut, dass du jetzt krank geschrieben bist. In so einer Situation hätte niemand den Kopf frei zu arbeiten, wir waren eh nicht erfreut, als du am Donnerstag aufgekreuzt bist und das versucht hast!“ sagte sie einfach und nahm die fertige Sarah freundschaftlich in den Arm. „Aber ich weiss überhaupt nicht, ob ich nach dieser Aktion überhaupt noch fähig bin, meinen Beruf auszuüben!“ schluchzte Sarah nun, aber die ganzen Kollegen in der Schicht trösteten und beruhigten sie nun. „Hör mal, jeder von uns ist mal nicht voll fit, aber wir sind ein Team und gemeinsam haben wir ja auch diese Situation gemeistert! Du bleibst jetzt so lange zu Hause, bis du wieder den Kopf frei hast und dann machst du deine Arbeit genauso gut, wie die letzten Jahre. Jeder steht mal auf dem Schlauch und in deiner Lage versteht das doch jeder!“ sagten die Kollegen und wenig später hatte Sarah sich wieder gefangen, ihr verheultes Gesicht gewaschen und ging nun frischen Mutes zu Ben zurück.


    Konrad war inzwischen in der privaten Tennishalle von Tewett eingetroffen. Sie spielten gelegentlich in einer Alt-Herren-Liga über 55 gegeneinander und sein Gegenüber war ein geschätzter Matchpartner. „Hallo Konrad!“ begrüsste der ihn jovial, wo bleibst du denn so lange?“ fragte er. „Ich war noch kurz bei meinem Sohn im Krankenhaus!“ erzählte Konrad und nun erstarrte sein Gegenüber. „Weshalb liegt er denn da und in welcher Klinik?“ erkundigte sich Tewett nun mit gepresster Stimme. War das möglich, dass Ben Jäger, an den er seit einiger Zeit vergeblich versuchte, ranzukommen, der Sohn seines Geschäfts-und Tennisfreundes war? Aber der war doch Polizist und ein Sohn des Bauunternehmers Jäger würde doch wohl in der eigenen Firma arbeiten und nicht völlig unterbezahlt bei der Polizei! „Mein Sohn war ein Entführungsopfer und liegt nun schwer verletzt auf der Intensivstation der Uniklinik.“ erzählte Konrad ein wenig bedrückt. „Aber es scheint ihm schon besser zu gehen!“ sagte er dann und forderte nun seinen Tennispartner auf. „Komm, jetzt lass uns spielen, ich habe mich schon den ganzen Tag darauf gefreut!“ und griff nach seinem Schläger.

  • Tewett und Konrad spielten mehrere Matches. Der Medienmogul war unkonzentriert und verlor ständig. Nach einer Weile erkundigte sich Konrad. „Hör mal, was ist los? Geht´s dir nicht gut, oder hast du was Besseres vor, als mit mir Tennis zu spielen?“ fragte er, denn es machte eigentlich gar keinen Spaß, gegen einen Gegner zu gewinnen, der eindeutig nicht bei der Sache war. Tewett wirkte verwirrt, lächelte dann aber. „Nein tut mir leid, aber weisst du, ich mache mir auch Sorgen um meinen Sohn!“ sagte Tewett. Nun erwiderte Konrad allerdings gar nichts, denn er hatte wohl diese ganzen Verurteilungen und Anklagen der letzten Jahre gegen den Sohn seines Geschäftspartners in der Presse verfolgt. Auch wenn man als Vater natürlich nur immer an das Gute im Menschen glaubte, aber dieses Früchtchen hatte es faustdick hinter den Ohren! Was der wohl schon wieder angestellt hatte? Auch wenn Konrad mit der Berufswahl seines Sohnes eigentlich nicht einverstanden war, aber besser einen Polizisten, als so einen gewalttätigen, drogensüchtigen Freak als Stammhalter! „Komm, denk mal einen Augenblick nicht dran-sondern lass uns Tennis spielen!“ bat Konrad und tatsächlich schwang Tewett nun mit Macht seinen Schläger. Es funktionierte hauptsächlich deswegen, weil sein Entschluss nun gefallen war. Auch wenn Konrad Jäger ein langjähriger Geschäftsfreund und Tennispartner war, trotzdem war Blut dicker als Wasser und er würde das für seine Zwecke ausnutzen!


    Semir war nach Ben´s Morgentortur zu seiner Familie zurückgekehrt. Andrea bedachte ihn mit einem Lächeln-auch sie hatte die Versöhnung gestern als wunderbar empfunden. „Wie wäre es, wenn wir mit den Mäusen in den Zoo gingen?“ fragte Semir und die beiden Mädchen, die das natürlich gehört hatten, antworteten mit begeistertem Indianergeheul. „Wie geht´s Ben eigentlich?“ fragte Andrea und Semir zuckte mit den Schultern. „Nicht sonderlich gut, aber er hat auch nichts davon, wenn wir nun deswegen zuhause sitzen und Trübsal blasen!“ sagte er und da konnte Andrea nur zustimmen. „Ausserdem sind Sarah und er wieder ein Herz und eine Seele und wo wäre er im Krankenhaus besser untergebracht, als bei seiner fachkundigen Herzensdame?“ fragte Semir nun mit einem Lächeln und Andrea küsste ihn leicht auf die Wange und sagte: „Da hast du vollkommen Recht!“ Sie packten die benötigten Dinge ein und wenig später stiegen sie aus der U-Bahn am Zoo. Semir warf noch einen kurzen Blick zum Pförtnerhaus des botanischen Gartens-erst durch diesen Einsatz war er auf die Idee gekommen, seine Familie mal wieder in den Zoo zu entführen und wie er erwartet hatte, wurde es ein schöner Samstagnachmittag. Sie kauften den Kindern Pommes und Popcorn, manche Tiere wie die Ziegen durften auch mit Futter aus den bereitstehenden Automaten gefüttert werden und als sie am Abend in ihr Haus zurückkehrten, steckten sie die Mädels in die Badewanne und nach dem zweiten Satz aus dem Vorlesebuch schliefen die beiden tief und fest. Semir, der zuvor nur kurz einen Blick aufs Display geworfen und Hartmuts Nachricht bestätigt hatte, sagte nun zu Andrea, die gerade eine Weinflasche und zwei Gläser geholt hatte: „Ich muss nur ganz kurz telefonieren, aber dann gehöre ich ganz dir!“ und sie quittierte seine Meldung mit einem Lächeln. Semir telefonierte erst kurz mit Hartmut und dann noch mit der Chefin. „Morgen, wenn Ben´s Behandlung fertig ist, schmieden wir einen Plan für den morgigen Abend, aber nachdem das beim letzten Mal schon so einfach war, werden wir bei dem Einsatz morgen sicher auch keine Probleme haben!“ beschlossen sie gemeinsam und dann gehörte Semir ganz seiner Frau und die beiden machten sich einen wundervollen Abend.


    Ben war erst nochmal aufgewacht. Er fühlte sich deutlich besser und auch nicht mehr so fiebrig. Die Schwester konnte das kreislaufstützende Medikament nun ganz ausschalten, was ein weiteres Zeichen dafür war, dass die Sepsis am Abklingen war. Die Schmerzen waren für Ben jetzt auch ohne Opiat erträglich und so liess er sich von Sarah noch seine Zahnputzsachen geben und machte den Mund frisch. „Bist du auch so müde?“ fragte er seine Freundin und die nickte. Das war ja auch kein Wunder, nach der vorigen Nacht und dem darauffolgenden Tag. Sarah schob ihren Mobilisationsstuhl mit der Decke wieder ganz nah zu Ben, machte am Monitor die Privatbildschirmeinstellung, was bedeutete, dass man die Alarme zwar draussen, aber nicht im Zimmer selber hören und sehen konnte und nachdem sie die Nachtschwester noch kurz begrüsst hatten, schliefen sie Hand in Hand tief und fest ein.


    Konrad ging nach dem Spiel erst einmal duschen. Als er erfrischt in die Umkleidekabine trat und sich anzog, überlegte er, wohin er jetzt zum Essen gehen sollte. Ob ihm Tewett noch Gesellschaft leisten würde? Er drückte auf die Klinke, die ins Freie führte, aber die klemmte. Konrad rüttelte daran, aber sie war nicht aufzukriegen. Er rief laut um Hilfe-Tewett musste ja noch irgendwo in der Nähe sein, aber nichts rührte sich. Erst schaute er, ob irgendwo ein Fenster oder Lichtschacht zu finden war, aber der Raum war halb unterirdisch und die Lüftungsschächte waren zu eng für einen erwachsenen Menschen. Seufzend suchte er nach seinem Handy-hoffentlich hatte er hier unten Empfang! Aber so sehr er auch suchte, das Handy war nicht da.

  • Tewett hatte kurz entschlossen Konrad´s Handy und den Autoschlüssel an sich genommen, als der unter der Dusche stand und die Umkleide von außen versperrt. Er würde irgendwie seinen Sohn gegen Konrad freipressen und dann mit dem gemeinsam nach Brasilien gehen, wo er eine riesige Hacienda besaß und auch schon viel Geld auf die Seite geschafft hatte. Seine Frau würde er in seinen Plan nicht einweihen, die konnte hierbleiben und sich scheiden lassen, oder auch nicht, das war ihm egal. Klar würde Florian nicht freigesprochen werden, sowas konnte man mit Gewalt nicht erreichen, aber wenn dieser Ben Jäger aussagte, dass die Folterspielchen einvernehmlich stattgefunden hatten, konnte sein Anwalt sicher eine Freilassung bis zur Verhandlung für Florian erwirken und dann würde er zusammen mit seinem Sohn verschwinden. Er hatte eine hochseetaugliche Jacht mit jederzeit verfügbarem Personal, die am Rhein ihre Liegestelle hatte. Damit würden sie übers Meer fliehen, es war ja schließlich egal, wenn sie ein paar Wochen brauchten, um in Brasilien anzukommen! Er telefonierte auch gleich mal mit dem Kapitän und bat ihn, Vorräte für eine längerdauernde Hochseefahrt mit einem Ziel, das er später erfahren würde, anzulegen. Der wunderte sich zwar, aber der Wunsch seines Chefs war Befehl, er wurde nicht dafür bezahlt, Spekulationen zu betreiben, sondern dieses Schiff zu führen. Obwohl Samstagabend war, orderte er Vorräte für mehrere Wochen-mit den entsprechenden Beziehungen ging das Alles!


    Tewett holte nun ganz hinten aus einem speziellen Getränkekühlschrank im Haus, eine unauffällige braune Flasche. Nur er wusste, was sie enthielt und die hatte ihm schon manchmal gute Dienste geleistet, wenn Sexsklavinnen, die er ab und an über das Vergangenheitsforum orderte, um seine perversen Gelüste zu befriedigen, nicht so willig waren, wie er sich das vorstellte. Die Tennisanlage war auf seinem weitläufigen Grundstück in Kölner Stadtrandlage angelegt, aber die wurde durch die Sicherheitsfirma ja observiert und versprach schlechte Möglichkeiten, Konrad zu verstecken, zumal seine Angestellten ja wussten, dass der zum Tennisspielen vor ein paar Stunden angekommen war. Tewett fuhr den luxuriösen Wagen Konrads also direkt vor den Eingang der Tennishalle und tränkte dann einen Lappen unauffällig mit Chloroform und steckte ihn in seine Jackentasche. Dann sperrte er leise die Umkleide auf, um danach mit einem Mordslärm: „Konrad, Konrad!“ zu rufen. Der meldete sich und Tewett tat nun so, als ob er ganz entsetzt wäre, dass der nicht aus der Umkleide gekommen war. „Mensch, Konrad, das tut mir aber leid-ich bin vorher kurz ins Haus, um ein paar wichtige Gespräche zu führen und habe mich jetzt gewundert, dass dein Auto immer noch da steht. Erst dann ist mir eingefallen, dass die Tür der Umkleide öfter mal klemmt und jetzt habe ich gleich nachgesehen!“ sagte er mitfühlend und ließ Konrad vor sich die Treppen hinaufgehen. Als der oben überrascht feststellte, dass sein Wagen direkt vor der Eingangstür stand und gerade etwas dazu bemerken wollte, drückte ihm Tewett von hinten den chloroformgetränkten Lappen aufs Gesicht und wenig später brach Konrad bewusstlos zusammen. Tewett öffnete die Beifahrertür, hievte Konrad hinein und schnallte ihn an. Als die Sicherheitsleute am Tor wenig später überrascht den Fahrer identifizierten, sagte er schnell: „Mein Gott, dass meine Gäste manchmal einfach nicht wissen, wann sie genug haben, ich bringe meinen Freund mal eben nach Hause!“ und die Wachen grinsten amüsiert-ja, ja, in den besseren Kreisen war das auch nicht anders, als bei Otto-Normalverbraucher!


    Tewett fuhr mit dem bewusstlosen Konrad in seine Jagdhütte, die, einsam im Wald gelegen, für kleine Spielereien wunderbar geeignet war, weil niemand die Schreie oder Hilferufe der Opfer hören konnte. Er zerrte Konrad, der gerade langsam wieder zu sich kam und dem furchtbar schwindlig und übel war, in den Raum und legte ihn auf dem Bett, das mit einem selbstgeschossenen Bärenfell bedeckt war, ab. Dann verschloss er sorgfältig die Hütte, versteckte Konrads Wagen hinter einem Holzstoß, deckte ein Tarnnetz darüber und machte sich dann zu Fuß, mithilfe einer Taschenlampe, zur Straße auf, was nicht sonderlich weit war. Dort wurde er wenig später von einem hilfsbereiten Autofahrer, dem er eine Story vom leeren Benzintank erzählte, zur nächsten Tankstelle mitgenommen. Von da rief er ein Taxi, fuhr mit dem zufrieden nach Hause, schmiss gleich seinen Anwalt telefonisch aus dem Bett und machte ihm ein interessantes Angebot.


    Schonungslos erzählte er ihm einen Teil der Wahrheit, denn ohne dessen Mithilfe hatte er keine Chance. „Wenn sie mir helfen, meinen Sohn aus dem Untersuchungsgefängnis zu bringen, bekommen sie von mir die drei Millionen, die für die Bestechung Jägers vorgesehen waren. Außerdem biete ich ihnen eine Lebensstellung in meinem Konzern als Rechtsberater, sie bräuchten also nie mehr als Anwalt zu arbeiten und bekommen ein fürstliches Jahresgehalt mit sicherlich weniger Stress, als sie jetzt haben!“ lockte er. Dass er vorhatte, sich mit seinem Sohn abzusetzen und dass er überhaupt nicht wusste, was danach mit seinem Konzern werden würde, verschwieg er wohlweislich-das würde der Anwalt zu gegebener Zeit dann schon erfahren, er konnte jetzt keine Rücksichten auf irgendwen mehr nehmen!
    Nach kurzer Überlegung stimmte der Rechtsberater zu. Seine Kanzlei war sehr arbeitsintensiv geworden und er verdiente zwar gut, aber der Stress war auch jeden Tag schlimmer. Er konnte sich ein geruhsameres Leben bei bester Bezahlung durchaus vorstellen und hatte schon öfter damit geliebäugelt, sich aus seiner Kanzlei zurückzuziehen, bzw., die an einen Partner weiterzugeben. Wenn die Anwaltskammer draufkam, dass er als Mitwisser an einer Entführung beteiligt war, würde er sowieso seine Zulassung verlieren und bräuchte einen Plan B, aber vielleicht schaffte er es, das so hinzudrehen, dass er mit einer weißen Weste zurückblieb? Jetzt wollte er erst einmal seinen unterbrochenen Nachtschlaf weiterführen- inzwischen war es bereits nach Mitternacht- und morgen würde er sich was einfallen lassen, er hatte da schon so eine Idee, wie er zu Jäger vordringen konnte! Er sagte also Tewett zu und wenig später lagen alle an diesem Fall Beteiligten, außer Konrad, dem kotzübel und schwindlig war, in den süßesten Träumen.

  • Am nächsten Morgen erwachte Semir, weil seine Mädels kichernd ins Elternbett krochen. Man kitzelte sich unter viel Gelächter eine Weile durch und dann stand die gesamte Familie Gerkan auf, um zusammen ein gemütliches Sonntagsfrühstück zu machen. Im Anschluss daran verabschiedete sich Semir: „Ich fahre jetzt erst zu Ben ins Krankenhaus und danach plane ich mit der Chefin und Hartmut kurz den Einsatz heute Abend, bis mittags bin ich auf jeden Fall wieder da!“ und Andrea nickte verständnisvoll. Immerhin hatte Semir´s gestriger Tag ganz der Familie gehört und den Nachmittag hätten sie dann auch noch zusammen, das ging in Ordnung!


    Ben erwachte erholt. Seine Schmerzen waren besser, das Fieber war gesunken und ihm war auch nicht mehr übel. Zärtlich sah er Sarah an, die mit hochroten Wangen neben ihm lag. Moment mal! Hochrote Wangen? Als er sich vorsichtig umdrehte und sie berührte, schlug sie die Augen auf, um gleich darauf schmerzvoll das Gesicht zu verziehen. Ein gequältes Husten entrang sich ihrer Brust und völlig ohne Stimme flüsterte sie; „Ben, ich glaube, ich werde krank!“ Der nickte und als Sarah sich nun aufrichtete und nach ihrem Hals griff, der vor Halsschmerzen brannte wie Feuer, überkam ihn großes Mitleid. „Wie geht´s dir, Schatz?“ fragte sie heiser und er antwortete: „Viel besser, Sarah, viel besser, aber nun werd erst du mal wieder gesund!“ Da kam auch schon die Frühdienstschwester um die Ecke, warf einen Blick auf Ben, dessen Werte die ganze Nacht stabil gewesen waren, wie die Nachtschwester berichtet hatte und hörte dann Sarah trocken husten. „Sarah, kriegst du eventuell gerade eine Erkältung? Dann schau bloß, dass du hier verschwindest und dich zuhause hinlegst. Dein Freund kann jetzt alles brauchen, nur keinen Infekt!“ sagte sie streng und Sarah, die sich fühlte, als hätte sie ein LKW überrollt, nickte. Wenn sie ehrlich war, konnte sie sich jetzt auch nichts Schöneres vorstellen, als eine Halsschmerztablette und ein kühles, ruhiges Bett. „Ben, tut mir leid, aber ich geh dann mal“ flüsterte sie tonlos und Ben winkte ihr mitleidig nach. Er war zwar traurig, dass er jetzt alleine bleiben musste, aber heute war Sonntag, ihn würde schon jemand besuchen kommen, Julia zum Beispiel. Semir würde nachher auch kommen und jetzt war wichtig, dass Sarah erstens wieder gesund wurde und ihn zweitens nicht ansteckte, wobei er fast den Verdacht hatte, dass sie diese Viren von ihm hatte, aber ihm ging es ja besser.


    Konrad hatte nach einer Nacht voller Übelkeit und Schwindel erahnen können, dass es Morgen wurde. Sein angeblicher Tennisfreund Tewett hatte ihn gelinkt und entführt, soviel war ihm inzwischen klar, aber der Grund dafür war ihm völlig schleierhaft. Er hatte sich, soweit das im spärlichen Licht der Energiesparlampe, deren Schalter er gefunden hatte, möglich war, umgesehen und festgestellt, dass er sich in einer netten, rustikal eingerichteten Blockhütte befand. Es gab einen großen Wohn-Schlafraum mit dem Bett auf dem er abgelegt worden war, daneben eine kleine Kochecke mit Wasser und Vorräten und ein Minibadezimmer. Ein Ofen mit Holz davor konnte für die Heizung sorgen, der Kochherd und die Warmwasserversorgung funktionierten augenscheinlich mit Gas und vermutlich war eine Solaranlage mit kleiner Batterie für die Beleuchtung etc. vorhanden. Die Fenster, die mit dicken Läden von außen verschlossen waren, waren augenscheinlich verriegelt und nur ein kleiner Lichtschein stahl sich durch die Ritzen. Die massive Tür war ebenfalls verschlossen und nachdem Konrad seinen unheimlich starken Durst mit Mineralwasser, das ausreichend vorhanden war, gestillt hatte, legte er sich aufseufzend wieder aufs Bett und nun begann eine nervenzehrende Wartezeit für ihn, während der er viel Zeit zum Nachdenken hatte.Semir war inzwischen bei Ben im Krankenhaus eingetroffen. Wie er gestern wieder mit den Schwestern ausgemacht hatte, würden die den Urologen für die Spülung erst rufen, wenn er da war, denn am Sonntag gingen die Uhren auch im Krankenhaus anders und so war es egal, dass er ein wenig später dran war. Ben war inzwischen gewaschen worden und hatte den ersten Fortschritt des Tages auch schon hinter sich, er war nämlich zum Zähneputzen zum ersten Mal aufrecht gesessen. Zwar auf dem Sitzring und auch nur am Bettrand und für fünf Minuten, aber es hatte funktioniert und er war sehr stolz auf sich. Endlich zeigte sich ein Lichtstrahl am Horizont und langsam konnte er wieder an seine Genesung glauben.
    Trotzdem hatte er eine Scheißangst vor der Spülung und während ihm Semir von seinem Familytag erzählte und einige lustige Bemerkungen Lilly´s im Zoo wiedergab, schielte Ben immer aufgeregter zur Tür, durch die nach einiger Zeit auch, wie befürchtet, wieder der Urologe kam. „Wie ich schon gehört habe, geht´s ihnen besser, Herr Jäger. Dann bringen wir den unangenehmen Teil jetzt hinter uns!“ sagte der, während er seine Hände schon desinfizierte und Schutzbrille, Kittel und sterile Handschuhe anzog. Ben nahm seinen ganzen Mut zusammen. „Können wir es ohne Festhalten probieren? Ich verspreche auch nicht zu treten!“ bat er und nach kurzem Zögern stimmte der Arzt zu. Ben hatte wieder ausreichend periphere Schmerzmittel, aber keine Opiate erhalten und so nahm die Spülung ihren Lauf. Ben lag mit gespreizten Beinen auf dem Rücken und biss sich auf die Unterlippe. Seine Fingerknöchel, mit denen er sich an Semir´s Hand festklammerte, traten weiß hervor, aber er gab keinen Laut von sich. Ein bisschen weniger weh, als am Vortag hatte es auch getan und als der Urologe endlich fertig war, seufzte Ben erleichtert auf. „Das sieht sehr gut aus, es kam fast kein Eiter mehr, ich denke, morgen können wir vielleicht schon zumindest einen Teil der Drainagen entfernen, dann können sie auch besser sitzen!“ machte der Urologe Ben Mut und der nickte erschöpft.
    Nachdem Semir sich liebevoll verabschiedet hatte-kurz hatte er auch noch den Einsatz am heutigen Abend erwähnt-und versprochen hatte, am nächsten Morgen wieder auf der Matte zu stehen, rollte sich Ben erleichtert zusammen und ruhte sich erst mal eine Weile aus.


    Hartmut, die Chefin und Semir hatten sich zusammentelefoniert und trafen sich zur Lagebesprechung in der PASt. „Wir machen es wie beim letzten Mal-ich besorge das Auto, sie ziehen das selbe Kostüm an, Herr Freund und wir postieren wieder einige Zivilbeamte rund um den Parkplatz und die U-Bahnstation. Unsere Verbindung halten wir über die Wanze in ihrer Kappe und dann hoffen wir, dass wir den Forenbetreibern heute Abend etwas Illegales nachweisen und sie festnehmen können. Treffpunkt gegen 18.00 Uhr hier und ich wünsche ihnen noch einen schönen Sonntag!“ sagte die Chefin und Semir war noch weit vor dem Mittagessen wieder zuhause. Er half Andrea beim Kochen, deckte den Tisch und heute machten sie sich einen chilligen Nachmittag zu Hause. Die Kinder spielten Zoo mit ihren Plüschtieren und bis sie sich versahen, war der Abend angebrochen.


    Der Anwalt hatte sich inzwischen einen Plan zurechtgelegt. Nach einer kurzen Rücksprache mit Tewett, druckte er die Erklärung Ben Jägers fürs Gericht erneut heraus und dachte voller Zorn an die Schmach, die der ihm bereitet hatte. Mit diesem stinkenden, verkotzten Anzug hatte er erst noch nach Hause fahren müssen, er hoffte nur, dass die in der Reinigung die Flecken auch wieder aus seinem Maßanzug herausbrachten. Er hatte also sozusagen auch ein kleines persönliches Motiv, sich an Ben zu rächen und so machte er sich am späten Vormittag erneut auf in die Uniklinik.

  • Diesmal wusste der Anwalt ja schon, wo Ben zu finden war, allerdings würde er ein zweites Mal im Anzug vermutlich nicht reinkommen, also sah er sich erst einmal unauffällig auf einer normalen Station um. Ein Raum stand halb offen und schon hatte er erspäht und genommen, wonach er gesucht hatte-nämlich einen weißen, langen Ärztekittel. Zufällig passte der auch noch perfekt und so öffnete er wieder einmal selbstbewusst mit dem Türöffner die Außentür der Intensiv und ging hocherhobenen Hauptes, ohne mit irgendjemandem zu sprechen, zielsicher zu Ben´s Intensivbox. Als er sah, dass der dort alleine war und ein wenig vor sich hinschlummerte, betrat er leise den Raum, schloss die Schiebetür hinter sich und sagte dann: „Einen wunderschönen Sonntag, Herr Jäger!“


    Ben riss verwundert die Augen auf. Zwar hatte er die Stimme ja schon mal gehört, aber er hätte sich nicht träumen lassen, dass dieser Rechtsverdreher nochmal die Frechheit besitzen würde, bei ihm aufzuschlagen. Was bildete der sich eigentlich ein? Er war nicht bestechlich, war es nie gewesen und er war selber so vermögend, dass man ihn mit Geld nicht locken konnte, obwohl das natürlich schon eine hohe Summe war. Da hatte der Anwalt wohl seine Hausaufgaben nicht gemacht, sonst hätte er leicht herausfinden können, dass er der Sohn des Bauunternehmers Jäger war und über ausreichende finanzielle Mittel verfügte.Bevor Ben etwas sagen konnte, fuhr der Anwalt fort: „Ob sie den Sonntag allerdings weiterhin so schön finden werden, wenn sie gehört haben, was ich ihnen zu unterbreiten habe, wage ich zu bezweifeln!“ Nun runzelte Ben die Stirn, was sollte das? Er räusperte sich: „Was wollen sie von mir? Sie werden nie von mir zu hören kriegen, dass ich bei den Folterspielchen einvernehmlich mitgemacht habe, was hätte ich auch für einen Grund dafür? Geld habe ich selber genug und glauben sie mir, es ist mir eine große Genugtuung, dass es meinen Kollegen gelungen ist, alle Folterer zu verhaften. Wenn ich wieder gesund bin, wird es mir eine Freude sein, vor Gericht detailliert gegen sie auszusagen, damit alle zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt werden können und im Knast darüber nachdenken, was sie einem anderen Menschen angetan haben!“ sagte Ben heftig.


    „Nun hören sie mir erst einmal zu und dann werden wir sehen, ob sie nicht bereit sind, ihre Meinung zu revidieren!“ erwiderte der Anwalt mit einem gefährlichen Unterton in der Stimme. „Erst einmal-ich bin hier nur als Vermittler tätig, ich bin an den Dingen, die meine Mandanten so treiben in keinster Weise beteiligt, allerdings kann ich sie davon auch nicht abhalten und wenn ich es nicht mache, kommt der nächste Übermittler von Informationen zu ihnen-nur falls sie mit dem Gedanken spielen sollten, mich aus dem Verkehr zu ziehen, indem sie ihre Kollegen alarmieren. Ich habe gestern Abend einen Anruf vom Vater meines Mandanten bekommen, der hatte ein nettes Tennismatch mit ihrem Vater, dem Bauunternehmer Konrad Jäger!“ erklärte er und Ben runzelte die Stirn. Wussten die also doch um seine familiären Beziehungen Bescheid! „Leider hatte Herr Tewett dann eine sagen wir-dumme Idee-und hat ihren Vater danach in seine Obhut genommen!“ sagte der Anwalt. Ben sah ihn verwirrt an, was wollte er damit ausdrücken. „Ich will damit sagen, dass ihr Vater sich an einem auch mir unbekannten Ort befindet und erst im Austausch gegen Florian wieder freigelassen wird!“ ließ der Anwalt nun die Bombe platzen.


    Ben war wie vom Donner gerührt. Nie im Leben hätte er so etwas erwartet. „Was soll mich daran hindern, den Polizeiapparat in Bewegung zu setzen, Tewett Senior verhaften zu lassen und meinen Vater zu befreien!“ begehrte Ben nun auf, dem es momentan erst mal den Boden unter den Füssen weggezogen hatte, der aber gerade dabei war, sich zu fangen. „Nun, ich würde mir das stark überlegen. Sie haben ja Bekanntschaft mit der Brutalität Florians gemacht und ich kann nur sagen: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Leider hat auch der geschätzte Herr Tewett Senior gewisse Neigungen, die er jederzeit bereit ist, an ihrem Vater auszuleben. Außerdem hat er im Rücken eine starke Organisation, die schon darüber informiert ist, wo ihr Vater sich-zugegebenermaßen unfreiwillig-aufhält. Erfolgt ein Zugriff und Tewett Senior sollte verhaftet werden, oder es besteht nur der leiseste Verdacht, dass sie sich nicht an unsere Abmachung halten und ihre Kollegen informieren, wird ihr Vater am eigenen Leib erfahren, was man unter Folter versteht-und sie können da ja inzwischen auch mitreden!“ sagte der Anwalt und ließ seine Blicke über die sichtbaren Wunden Ben´s schweifen. Der war blass geworden. „Das ist Erpressung!“ sagte er mühsam, denn gerade entstanden vor seinem inneren Auge unschöne Bilder seines Vaters, wie er gefoltert wurde. „Na, na so streng wollen wir das nicht ausdrücken! Bisher ist ja auch niemandem etwas passiert, alles Weitere haben sie in der Hand! Wenn sie kooperieren, wird ihr Vater in der Sekunde unversehrt freigelassen, in der Florian das Untersuchungsgefängnis verlässt. Sollten sie dagegen nicht in unserem Sinne agieren, könnten wir ihnen schon bald ein Video zuspielen, das sie nicht gerne ansehen werden!“ drohte der Anwalt.


    In Ben´s Kopf ratterte es. Auch wenn er mit seinem Vater so seine Probleme hatte, er wollte auf gar keinen Fall, dass dem etwas geschah. Anscheinend war dieser Tewett auch kein Einzeltäter, sondern hatte eine ganze Folterorganisation im Rücken. Wenn er keine Hilfe von außen bekommen und Semir und Hartmut ihn nicht befreit hätten, dann wäre er jetzt tot. Die hatten keine Skrupel! Wollte er am Tod oder der grausamen Verstümmelung seines Vaters schuld sein? Nach kurzer Überlegung sagte er tonlos: „Geben sie her, ich unterschreibe!“ und nun lächelte der Anwalt und holte das Schriftstück und einen Kugelschreiber aus seinem Aktenkoffer. „Ach übrigens-wenn der Richter sich persönlich bei ihnen überzeugen will, dass ihre Aussage auch hieb-und stichfest ist-ich kann ihnen nur raten, das Richtige zu sagen, wir werden es sonst erfahren und unsere Konsequenzen ziehen. Erklären sie dem Richter, dass sie die Aussage ohne Wissen ihrer Kollegen machen wollen, um ihre eigenen perversen Neigungen nicht offenzulegen.“ bläute er ihm noch ein und verschwand in der nächsten Minute auch schon. Die Schwester, die gerade das Zimmer betrat, sah ihn noch um die Ecke biegen. „Welcher Arzt war das?“ fragte sie verwundert, aber Ben zuckte nur mit den Schultern.


    Konrad hatte inzwischen schon lange vergeblich versucht, die Tür, oder die Fenster aufzuhebeln. Anhand des schwachen Lichtschimmers, der durch die Ritzen hereinfiel, wusste er, dass es Tag war, aber so sehr er sich auch bemühte, weder Tür noch Fenster waren aufzukriegen. Er rief immer wieder um Hilfe, aber es war nur eine geisterhafte Stille wahrzunehmen. Als die Übelkeit vom Chloroform abgeklungen war, was ihn in der Nacht handlungsunfähig gemacht hatte, holte er dann doch ein wenig Knäckebrot, Margarine und Marmelade aus dem Schrank, brühte sich einen Instantkaffee auf und nahm ein kärgliches Sonntagsfrühstück ein, um bei Kräften zu bleiben. Was hatte das wohl Alles zu bedeuten?

  • Inzwischen war es Sonntagabend geworden. Wie verabredet trafen sich Semir, Hartmut und die Chefin in der PASt. Für alle Fälle hatte sich Hartmut noch mit Schecks ausgerüstet, das dazu passende Konto war ein manipuliertes Polizeikonto, das eben für verdeckte Ermittlungen eingesetzt wurde und bei dem die Banken immer eine ausreichende Deckung signalisiert bekamen, wenn die Anfrage gestartet wurde. Der Namen des „Kontoeigentümers“ war variabel und so besaß Hartmut jetzt ein Scheckbuch auf den Namen Walter Kayser. Er hatte das überlegt, für den Fall dass die Forenbetreiber vielleicht eine Vorauskasse wollten, denn hinterher wären sie eh festgenommen.


    Wie beim vorigen Mal waren sechs Zivilbeamte schon länger wie zufällig am Platz vor dem Zoo und der Flora verteilt und die Chefin und Semir waren Hartmut im BMW gefolgt. Als Hartmut kurz vor 19.00 Uhr ankam, waren diesmal überhaupt keine anderen Fahrzeuge auf dem Parkplatz zu sehen, auch das Pförtnerhaus hüllte sich in Dunkelheit. Etwas verunsichert blieb er in seinem Jaguar sitzen, stellte den Motor ab und sah sich um. Er konnte ein „Liebespaar“ erkennen, das eng umschlungen langsam über den Vorplatz schlenderte, ah ja, das waren Kollegen aus der Dienststelle! Plötzlich hielt neben ihm ein dunkler Mercedes mit getönten Scheiben. Aus stieg der Mann in mittelalterlicher Kleidung, der beim letzten Mal ihre Verabredung getroffen hatte. Er öffnete die Tür zu Hartmut´s Luxuskarosse und bat den schleimig: „Werter Herr, darf ich sie bitten, mir zu folgen?“ und Hartmut stieg zögernd aus. Er griff noch nach seiner Kopfbedeckung auf dem Beifahrersitz und bis er sich versah, hatte ihn der andere Mann höflich gebeten, in den Mercedes einzusteigen. So ein Mist, was sollte er tun? Allerdings hatte er ja die Wanze in der Narrenkappe und Semir hatte ein Fahrzeug dabei, der würde ihnen schon folgen! Wenn er jetzt nicht mitfuhr, war der Fall geplatzt und die Verbrecher kamen ohne Strafe davon und das wollte er auf keinen Fall. Also versperrte er mit einem kurzen Knopfdruck den Jaguar und stieg in den Fond des Mercedes. „Wo geht es denn hin?“ fragte er harmlos, in der Hoffnung, er könnte den anderen so einen Tipp geben, aber der andere Mann lachte kurz. „Ein paar Geheimnisse müssen sie uns auch noch lassen-sie werden bekommen, was sie sich gewünscht haben-wir liefern die Ware, sie bezahlen, mehr müssen sie nicht wissen. Dann nahm der Mann ein weiches Tuch heraus und verband Hartmut damit vorsichtig die Augen. „Sehen sie, es ist doch viel schöner, wenn man eine Überraschung bekommt. Sie werden auch verstehen, dass es nur in ihrem Sinne ist, nicht zu viel zu wissen, immerhin ist das, was wir beide heute tun, illegal. Die Theatervorstellung im Pförtnerhaus war völlig in Ordnung und ist ein Geschäftszweig unseres Unternehmens, aber sie wollten ja etwas Besseres haben, Mister Kayser und das werden wir ihnen bieten. Haben sie ihr Scheckbuch auch dabei, denn natürlich gibt´s sowas nicht umsonst?“ fragte er und Hartmut bejahte, während sich der Mercedes in Bewegung setzte und in den fließenden Verkehr einreihte.


    Semir und die Chefin hatten entsetzt beobachtet, wie Hartmut in das andere Fahrzeug stieg. So ein Mist-damit hatten sie nicht gerechnet! Semir schlug zornig auf das Lenkrad und startete den Motor, während die Chefin hektisch über Funk die anderen Beamten bat, zu ihren weiter weg abgestellten Fahrzeugen zu laufen. Allerdings war ihnen allen klar, dass bis dahin die Verbrecher mit Hartmut bereits über alle Berge sein würden. Semir war die einzige Verbindung zu ihrem Kriminaltechniker. In der Kappe war allerdings auch ein Peilsender eingebaut und die Chefin bat nun in der Zentrale darum, das flüchtige Fahrzeug auf diesem Weg zu verfolgen.Auch Semir reihte sich in den Verkehr ein und versuchte, unauffällig dem Mercedes zu folgen. Weil Sonntagabend war, war der Verkehr nicht so dicht und es gelang momentan auch ganz gut. Nebenbei hörten sie eine kleine Unterhaltung Hartmut´s, der versuchte, ihnen auch auf diesem Weg Tipps zu geben „Wird die Fahrt lange dauern?“ fragte er. „Ich neige nämlich ein wenig zu Platzangst und mir wird auch leicht im Auto schlecht, wenn ich nichts sehen kann!“ Sein Chauffeur erwiderte. „Nein, wir sind nicht allzu lange unterwegs und genießen sie doch die Vorfreude, wir haben für sie alles aufs Feinste bereitet!“ und dann schwieg er.Der Mercedes bewegte sich auf der Inneren Kanalstraße Richtung Südwesten, allerdings kam dann von hinten ein Notarztwagen und um seine Tarnung nicht zu gefährden, musste Semir sich einreihen und plötzlich, nach etwa 5 Kilometern war der Mercedes verschwunden. „Zentrale, wo ist unser Zielfahrzeug?“ wollte Semir hektisch wissen. „Die sind gerade in Richtung Ehrenfeld abgebogen!“ sagte die Mitarbeiterin in der Zentrale nach kurzem Zögern. Mist! Semir packte das Lenkrad fester, gerade war er an der Abzweigung vorbeigerauscht. Sofort bog er in die nächstmögliche Straße ein und ließ sich von der Mitarbeiterin in der Zentrale durch die dunklen Gässchen Ehrenfelds leiten. Die Gegend wurde immer abgerissener. Industrieruinen säumten ihren Weg und plötzlich sahen sie in einiger Entfernung den Mercedes vor sich stehen. Allerdings hatten sie zuvor noch ein Gespräch belauscht, das ihnen ein wenig Sorge machte.


    „So wir sind da, Herr Kayser, würden sie bitte aussteigen!“ wurde Hartmut gebeten. Anscheinend wollte er seine Narrenkappe, die ihre einzige Verbindung darstellte, mitnehmen, wurde aber von seinem Fahrer daran gehindert. „Wir haben alles, was sie brauchen, vorrätig!“ sagte er und geleitete den immer noch blinden Hartmut um ein paar Ecken und dann ein paar Stufen hinauf. Oben wurde die Tür hinter ihnen geschlossen und als man Hartmut nun die Augenbinde abnahm, sah er, dass man einen Scanner für Wanzen auf ihn richtete. Die Männer tasteten ihn unter Entschuldigungen noch fachmännisch ab: „Sie müssen verstehen, Herr Kayser, um uns und unsere Firma zu schützen, müssen wir uns vorsehen!“ sagten sie und nun dankte Hartmut Gott, dass er die Narrenkappe im Auto gelassen hatte. Er wusste, er war momentan zwar auf sich alleine gestellt, aber irgendwo da draußen waren seine Kollegen und waren ihm gefolgt.
    Hartmut wurde nun durch mehrere, anscheinend alte Büroräume, in den Keller der Firmenruine geführt. Als man eine Tür, die mit mehreren Riegeln verschlossen war, aufsperrte und ihn hineinbat, wich eine junge Frau in der Kleidung einer mittelalterlichen Magd erschrocken ins helle Licht blinzelnd, zurück. Hartmut sah auf den ersten Blick, dass die ein Junkie war, die für den nächsten Schuss wohl alles tun würde. Mit geübtem Blick musterte er unauffällig den Kellerraum und sah auch gleich die dezent angebrachte Kameralinse. Aha, der Raum wurde also überwacht! Auf einem Tisch in der Ecke lagen mehrere Messer, Nadeln, Klammern, Peitschen und andere merkwürdige Gegenstände, bei denen sich Hartmut gar nicht vorstellen wollte, für was die dienen konnten. Eine Packung Einmalhandschuhe und Verbandszeug komplettierte die vorbereiteten Gegenstände, eine Matratze und Kondome waren ebenfalls bereit, man hatte wohl für alle Fälle vorgesorgt. Mit einem breiten Grinsen sagte der Forenbetreiber: „Bitte bedienen sie sich, sie gehört ihnen!“ und im Hinausgehen flüsterte er ihm noch ins Ohr: „Falls sie zu weit gehen-die Entsorgung einer Leiche kostet aber extra!“ und dann ließ er Hartmut mit der jungen Frau alleine.


    Ben hatte inzwischen einen sorgenvollen Sonntagnachmittag hinter sich. Körperlich ging es ihm besser, er hatte über die Magensonde schon wieder Wasser und Abführmittel gekriegt und sein Darm funktionierte weiterhin zufriedenstellend, aber er machte sich schreckliche Sorgen um seinen Vater. Eigentlich hätte es der zwar verdient gehabt, ein wenig zu schmoren, aber Ben wollte nicht, dass irgendjemandem so etwas geschah, wie ihm. Seinem Vater nicht und auch sonst niemand anderem! Gefoltert zu werden war entsetzlich und die Ängste und Schmerzen waren einfach menschenunwürdig! Als kein Besuch erschien, bat er um ein Telefon und tatsächlich brachte man ihm kurz das mobile Stationsgerät. Er rief die Nummer seines Vaters an, aber dessen Handy war tot und auf einen Anruf in der Düsseldorfer Villa auf dem Festnetz ging nur die Haushälterin ran, die besorgt bestätigte, dass Konrad seit gestern nicht mehr zuhause erschienen war. „Sie brauchen nichts zu unternehmen, ich kümmere mich schon darum!“ sagte er zur langjährigen Perle seines Vaters, die nun zufrieden war. Sie hatte schon die ganze Zeit überlegt, wen sie denn verständigen sollte, aber jetzt wusste die Familie und zugleich die Polizei Bescheid und damit hatte sie ihrer Pflicht Genüge getan.

  • Hartmut trat näher zu der jungen Frau, die ihn ängstlich musterte und zur Matratze zurückwich. Kurz überlegte er und zog dann sein gepolstertes Wams aus und warf es so geschickt zur Seite, dass es die Kameralinse verdeckte. Nachdem er nur dieses eine Auge entdeckt hatte, konnte er nun nur hoffen, dass sonst keines irgendwo angebracht war, das er übersehen hatte. Er trat näher und die Frau sah ihn an, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wurde. Hartmut konnte an ihren Armen verheilte Schnitte und die Narben ausgedrückter Zigaretten erkennen. Sie war mit Sicherheit schon öfters gequält worden und ob das wohl immer einvernehmlich gewesen war, wagte er zu bezweifeln. Allerdings sah man auch einige frische und alte Einstiche, also war seine Vermutung der Drogenabhängigkeit sicher richtig. Wenn er auch die visuelle Überwachungsmöglichkeit ausgeschaltet hatte, das Mikrofon funktionierte sicherlich und nun ging es darum, den Überwachern eine gute Vorstellung zu bieten, damit die keinen Verdacht schöpften.


    Die magere junge Frau sagte nun auch, wie man ihr eingebläut hatte: „Werter Herr, bitte bestraft mich nicht, ich war auch ganz artig!“ denn auf sowas standen diese merkwürdigen Typen, die sie von Zeit zu Zeit an sich ranließ, wenn sie kein Geld für den nächsten Schuss mehr hatte. Es war zwar immer mit Schmerzen verbunden, aber die nächste seligmachende Spritze, die draußen schon auf sie wartete, würde sie das schnell vergessen machen. Trotzdem hatte sie Angst vor dem, was kommen würde, denn jeder der Typen hatte andere Vorstellungen davon, wie man einen Menschen quälen und demütigen konnte. Die Leute, die sie schon vor längerer Zeit auf der Straße angesprochen hatten, hatten ihr versprochen, das Tun der Männer zu überwachen und einzugreifen, wenn die Typen zu brutal wurden, aber bisher war das noch nie notwendig gewesen.Hartmut herrschte nun laut die junge Frau an: „Natürlich hast du Strafe für deine Vergehen verdient!“ und zugleich flüsterte er ihr ins Ohr: „Spiel mit, ich werde dir nichts tun!“ Sie sah ihn verwundert an und nun schlug Hartmut sich selbst mit der Hand auf den Arm, dass es klatschte und flüsterte: „Schrei!“ und die Frau tat das. Hartmut holte nun vom Tisch eine Peitsche, ließ sie durch die Luft sausen und die beiden veranstalteten ein Hörspiel vom Feinsten, das jeden Theaterregisseur beeindruckt hätte. Zwischen dem Schreien und Stöhnen von beiden Seiten fragte Hartmut ganz leise: „Bist du freiwillig hier, oder wurdest du gekidnapped?“ aber wahrheitsgemäß antwortete die Frau, der die Vorstellung begann Spaß zu machen. „Freiwillig, ich brauche Geld!“ und nun verkniff sich Hartmut zu sagen, dass er von der Polizei war, die hatten Junkies üblicherweise nicht so gerne. Inzwischen wäre es ja bald mal an der Zeit gewesen, dass seine Nachhut erschien, aber von seinen Polizeikollegen kam niemand. Vielleicht war der Sender ausgefallen und sie waren abgehängt worden? Hartmut ging jetzt davon aus, dass er auf sich alleine gestellt war und darum würde er zum Selbstschutz seine Rolle jetzt einfach weiterspielen. Um die ganze Sache noch authentischer zu machen, griff er zu einer Rasierklinge, die ebenfalls auf dem Tisch bereitlag. Die Frau sah ihn ängstlich an-hatte sie sich getäuscht und jetzt ging die echte Folter los? Hartmut schloss kurz die Augen und mit einem raschen Schnitt fügte er sich selbst eine stark blutende Wunde am Unterarm zu. Dieses Blut verteilte er überall-auf sich und auf der jungen Frau. „Keine Angst, ich habe keine ansteckenden Krankheiten, ich war erst beim Arzt!“ flüsterte er der Frau zu und die lachte trocken. Das war etwas, an das durfte man als Junkie gar nicht denken. Nach einigem Mal Stöhnen von beiden Seiten, machte Hartmut sich selbst einen Druckverband über die Wunde und legte auch der Frau einen an, damit man denken konnte, er hätte sie verarztet. Dann zog er sein Wams drüber und als die Forenbetreiber von draußen am Überwachungsmonitor wieder ein Bild hatten, sahen sie die junge Frau blutig auf der Matratze kauern und einen selbstbewussten Hartmut, der ihr noch einige Schmähungen an den Kopf warf, um dann an die Tür zu klopfen.


    Die wurde auch gleich geöffnet und Hartmut schritt mit blitzenden Augen und auch leicht blutverschmiert hinaus. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss, aber es wurde kein Riegel vorgelegt, anscheinend hatten die Typen durchaus vor, das Opfer wieder laufen zu lassen, schloss Hartmut daraus. „Und haben wir ihre Erwartungen erfüllt, Mr. Kayser?“ fragte der Mann, der ihn hergebracht hatte, grinsend. Die drei Männer waren nun ganz entspannt-immerhin hatte ihr Kunde nun etwas Illegales getan und war deshalb ganz in ihrer Hand. Er hatte bewiesen, dass er echt und kein Polizeispitzel war, nun konnte man auf eine längerdauernde Einnahmequelle hoffen. „Es war wundervoll!“ schwindelte Hartmut und wurde nun zur Zahlung aufgefordert. „Dann kriegen wir jetzt von ihnen 50 000 € und wenn sie wieder Bedarf haben-wir bekommen ständig neue Ware rein, einfach Kontakt übers Forum, wir kümmern uns um Alles!“ sagte der Mann, der ihn hergebracht hatte und anscheinend der Anführer war. Hartmut zückte sein Scheckbuch und dankte Gott, dass er daran gedacht hatte. Sorgfältig stellte er den Scheck aus und dann wurden ihm wieder die Augen verbunden. „Sie werden verstehen, aber es ist zu unserem gegenseitigen Schutz!“ sagte der Forenbetreiber bedauernd und führte Hartmut dann vorsichtig wieder nach draußen und um mehrere Straßenecken zum Auto.


    Semir und die Chefin hatten die anderen Polizisten, die mit Zivilfahrzeugen nachgekommen waren, angewiesen, in einer Seitenstraße zu parken, damit hier nichts auffiel. Solange man nicht ganz genau wusste, wo sich Hartmut befand, würde man ihn sonst unnötig in Gefahr bringen. Die Chefin blieb im Auto und koordinierte von dort den Einsatz und Semir und wenig später seine sechs Kollegen und Kolleginnen, begannen lautlos, die dem Mercedes am nächsten stehenden Häuser zu durchsuchen. Nirgends war ein Lichtschein zu erkennen und in dieser Gegend reihte sich eine Industrieruine an die andere. Hartmut konnte überall sein. Semir und die anderen waren nun schon 20 Minuten am Suchen, ohne den geringsten Hinweis zu haben, in welchem Gebäude sich Hartmut und sein Fahrer befanden. Zum Schluss war es ja auch möglich, dass die einfach mit einem anderen Fahrzeug weitergefahren waren, Semir begann sich schon große Sorgen zu machen, da kam auf einmal Hartmut mit verbundenen Augen um die Ecke, vorsichtig geleitet von dem Mann, der ihn abgeholt hatte. Semir überlegte kurz, ob sie zugreifen sollten, aber zum Schluss hatte Hartmut noch gar keine Beweise sammeln können und da er anscheinend auf den ersten Blick unversehrt war und auch nicht den Eindruck machte, als geschähe ihm gerade etwas Schreckliches, drückte Semir sich tiefer in den Schatten einer Mauer und sah zu, was weiter geschah. Hartmut wurde zum Mercedes gebracht und Semir informierte, sobald die außer Hörweite waren, sofort die Chefin. Mist-es hatte auch von den anderen niemand gesehen, aus welchem der vielen Gebäude die beiden gekommen waren.
    Die Chefin entschied nach kurzer Überlegung: „Wir folgen wieder dem Mercedes!" und Semir spurtete, sobald der Wagen losgefahren war, zum BMW und folgte dem anderen Wagen wieder aus einiger Entfernung. Hartmut wurde einfach zu seinem geparkten Fahrzeug zurückgebracht und als der Mercedes wieder abgefahren war, rannte Semir zum Jaguar, auf dessen Fahrersitz Hartmut nun wieder saß und riss die Tür auf: „Hartmut, bist du ok?“ fragte er und sah dann ganz entsetzt, dass der voller Blut war. „Doch, doch, alles in Ordnung!“ wehrte er ab und so machten sie aus, dass sie sich alle miteinander zur Lagebesprechung in der PASt treffen würden. Dort erzählte Hartmut von seinem Abenteuer, aber auch er konnte nicht sagen, in welchem Gebäude er gewesen war, so sehr er auch auf das Google-Maps Satellitenbild der Straße blickte. Die Chefin bestand darauf, dass sich ein Arzt in der Notaufnahme noch die Schnittverletzung ansah, aber da musste man nichts machen und so brachte Semir dann Hartmut nach Hause und fuhr danach selber heim. Kurz nach Mitternacht lag er neben Andrea im Bett und war auch kurz darauf in einen seligen Schlaf gefallen. Sie würden die Forenbetreiber schon noch überführen und festnehmen, wenn es heute nicht geklappt hatte, dann ein andermal, immerhin waren sie an denen dran!

  • Ben hatte wieder einmal eine furchtbare Nacht. Nachdem er in der vorigen ausgeschlafen hatte, aber der Sonntag für ihn nichts Gutes bereitgehalten hatte, war er leider so ausgeruht, dass sich die Minuten wieder zu Stunden zogen. Wie gerne hätte er sich mit irgendjemandem über die Sache mit seinem Vater unterhalten, aber er hatte große Sorge, dass die Verbrecher davon Wind bekamen und sein Vater das büßen musste. Eigentlich sollte das klappen! Wenn Tewett´s Anwalt morgen die Erklärung bei Gericht vorlegte, würde wenig später der zuständige Richter bei ihm persönlich auftauchen. Wenn es ihm gelang, den zu überzeugen, würde dieser Florian bald auf freiem Fuß sein und sein Vater im Austausch freigelassen werden. Danach würde er Semir alles erzählen und der würde dann Florian, dessen Vater und am besten den Anwalt gleich noch dazu, festsetzen. Aber primär das Wichtigste war, dass Konrad frei kam!


    Ben drehte sich immer wieder ein wenig und stöhnte dabei. Auch wenn der allgemeine Schmerzpegel durchaus gesunken war, er fühlte sich immer noch wie gerädert und jede normale Bewegung tat weh. Dazu störte ihn die blöde Schiene, in der sein Fuß ruhte, die hinderte ihn am kompletten Umdrehen, genauso wie die ganzen Kabel, in die er sich ständig verwickelte, dabei schlief er sonst meistens auf dem Bauch. Sarah hatte auf der Station angerufen und ihm einen gute Nacht-Gruß ausrichten lassen. Sie hatte allerdings inzwischen noch höheres Fieber bekommen und lag komplett flach.Dann fiel ihm zu allem Überfluss noch ein, dass der Urologe morgen ja die Drainagen ziehen wollte, oh Himmel, das wenn er nur schon hinter sich hätte!


    Er dachte auch an Semir, Hartmut und die Aktion, die Semir ihm angedeutet hatte. Hoffentlich ging das auch alles gut, viel lieber als hier herumzuliegen, würde er mit Semir auf Verbrecherjagd gehen, da waren sie das perfekte Team! Berghoff, der Gott sei Dank tot war, hatte einer Organisation angehört. Solange sie die nicht ausgehoben hatten, schwebte jeder, der mit der in Kontakt kam, in realer Gefahr! Ob die Organisation die bei den Tewetts im Hintergrund war, wohl dieselbe war, die auch seine Entführung initiiert hatte? Oder war Berghoff ein Einzeltäter gewesen, der einfach seine Chance genutzt hatte? So viele Fragen warfen sich auf, Ben grübelte und grübelte, bis wieder einmal die Morgendämmerung das Zimmer in ein diffuses Licht tauchte.


    Semir stand zeitig auf, duschte und deckte schon mal den Frühstückstisch, bis Andrea die Mädchen im Badezimmer fertig hatte. „Und war eure Aktion gestern erfolgreich?“ fragte Andrea, aber Semir schüttelte den Kopf. „Leider ist es uns nicht gelungen, die Hintermänner auszuheben, da ist so einiges schief gelaufen!“ beichtete er seiner Frau, ohne auf Details einzugehen. „Man merkt halt, dass Ben fehlt!“ sagte die und da konnte ihr Semir nur zustimmen. Wenig später war er auf dem Weg zum Krankenhaus. Als er am Vorabend mit Hartmut in der Notaufnahme gewesen war, hatte er kurz überlegt, noch bei Ben vorbeizuschauen, aber er wollte dessen Schlaf nicht stören. Als er dann bei ihm im Zimmer stand, war Ben zwar froh ihn zu sehen, aber andererseits hatte er einen Mordsschiss vor der Drainagenentfernung.
    „Wie geht´s dir?“ fragte Semir seinen Freund, aber der zuckte nur mit den Schultern. Man merkte, dass ihn etwas bedrückte, aber Semir dachte, dass das die Angst vor der bevorstehenden Aktion war. Ben war zum Waschen heute schon wieder länger am Bettrand gesessen, allerdings störten gerade da die Drainagen trotz Sitzring gewaltig. Zu gerne hätte Ben seinem Freund von Konrads Entführung erzählt, aber er traute sich einfach nicht! Wenn ihm die Leute draufkamen, dann wurde sein Vater vielleicht umgebracht und dann war das alleine seine Schuld! Nein, das musste warten, bis Konrad frei war, basta!


    Da kam auch schon die Schwester um die Ecke: „Herr Jäger, ich bringe sie jetzt zur Drainagenentfernung in die Urologie!“ sagte sie, während sie einige Infusionen abstöpselte, den Transportmonitor in eine Halterung am Bett steckte und dann die Bremse löste. Ben bekam einen trockenen Mund vor Aufregung, als sich das Bett in Bewegung setzte. Wenig später waren sie in der Urologieabteilung angekommen. Semir hatte das Bett mit geschoben und als sie nun um die Ecke bogen und in ein Behandlungszimmer dort einbogen, starrte Ben nur entsetzt auf den Stuhl, wie ihn sonst nur Frauenärzte hatten: „Na dann wollen wir mal!“ sagte der Urologe, der schon bereit stand, zu ihm und wies einladend darauf.


    Konrad hatte den ganzen Sonntag wieder und wieder vergeblich versucht, auszubrechen. Im Licht der Funzel hatte er sich gründlich umgesehen und einige Dinge entdeckt, die in ihm Besorgnis auslösten. Der Holzplankenboden vor dem Bett, der mit einem Läufer bedeckt war, wies in den Ritzen Reste von getrocknetem Blut auf. Gut das hier war vermutlich eine Jagdhütte, aber würde man sein erlegtes Wild denn zum Ausweiden in den Innenraum bringen? Doch eher nicht, aber von wem war dann das Blut? Ohne eine Menschenseele zu sehen, verging der Sonntag und als von draußen nicht mehr der Hauch eines Lichtscheins hereinkam, legte sich Konrad , der sich eine Dose Ravioli warmgemacht hatte, um bei Kräften zu bleiben, obwohl er sowas sonst nie im Leben essen würde, wieder aufs Bett und erwartete, was weiter mit ihm geschah.

  • Ben hatte das schmerzhafte Drainagenziehen mit ein bisschen Opiat überstanden und lag nun wieder auf der Intensivstation in seinem Bett. Semir hatte sich verabschiedet, was er gar nicht mehr so recht mitbekommen hatte und nun schlief Ben, von den Medikamenten benebelt, erst mal ein wenig, denn die sorgenvoll durchwachte Nacht hatte ihren Preis. Er erwachte, als die Schwester neben seinem Bett stand und ihn am Arm berührte. „Herr Jäger, es tut mir leid, aber für sie ist ein Richter draußen, der sagt, es wäre sehr dringend. Normalerweise schotten wir ja unsere Patienten von der Außenwelt ab, aber ich bin jetzt ein wenig unsicher. Soll ich ihn rein lassen, oder sehen sie sich noch nicht in der Lage, mit ihm zu sprechen?“ fragte sie.


    Ben brauchte einen Moment, um sich zu fangen und in der Realität zurechtzufinden, aber dann sagte er: „Nein, schon in Ordnung, er soll reinkommen!“ und nun richtete er sich ein wenig auf und atmete tief durch. Jetzt war es wichtig, dass er überzeugend wirkte, damit er seinen Vater frei bekam.
    Der Richter, ein netter Mann um die vierzig, den Ben vom Sehen her kannte, denn sie mussten ja öfter mal vor Gericht aussagen, wenn sie eine Verhaftung vorgenommen hatten, begrüßte ihn freundlich: „Herr Jäger, wie geht es ihnen denn?“ Natürlich hatte er die Foltervideos zu sehen bekommen und sein Herz war voller Mitleid, was der wenig jüngere Polizist vor ihm, hatte mitmachen müssen. Da lag sicher ein Missverständnis vor, das sich schnell bereinigen ließ, aber er musste dem selbstverständlich nachgehen. Kaum hatte er nämlich am Morgen sein Büro betreten, war der zwar bekannte und sicher fähige, ihm persönlich aber unsympathische Anwalt der Tewett´s vor ihm gestanden und hatte ein Schriftstück vorgelegt, das ihn eigentlich dazu verpflichten würde, die Angeklagten in dieser Strafsache gegen Kaution bis zur Verhandlung frei zu lassen.
    Er holte nun eben dieses Schriftstück hervor und sagte zu Ben: „Mir wurde heute Morgen diese Erklärung vorgelegt, dass sie angeblich einvernehmlich an diesen Folterspielen beteiligt waren, was ich mir persönlich nicht vorstellen kann.“ Diese Qual Jäger´s war doch echt gewesen und derart schwere Verletzungen, dass man auf der Intensivstation landete und operiert werden musste, ließ sich doch keiner freiwillig zufügen! Ben antwortete leise: „Doch, die Aussage ist korrekt. Ich war damit einverstanden, dass mich die anderen quälen. Natürlich habe ich mir nicht vorstellen können, dass es dermaßen schlimme Folgen für mich hat, aber primär erfolgten die Spiele einvernehmlich!“


    Fassungslos sah der Richter ihn an-an alles hatte er gedacht, aber nicht, dass der Polizist selber in dieser Szene zuhause war. Gut, das war aber eine Sache, die er nicht zu beurteilen hatte, jeder durfte in seiner Freizeit tun und lassen, was ihm Spaß machte, er hatte es nur im Hinblick auf den Fall zu bewerten und damit waren die momentanen Haftbefehle hinfällig. Man würde auch den Anwälten der anderen Parteien eine Kautionshöhe mitteilen und dann würden die Angeklagten, zumindest bis zur Verhandlung, auf freien Fuß kommen. „Dann verabschiede ich mich jetzt wieder und wünsche ihnen trotzdem eine gute Besserung, wir sehen uns dann bei der Verhandlung!“ sagte der Richter, immer noch ein wenig fassungslos und reichte Ben die Hand.


    Kaum war der Richter verschwunden, drehte sich Ben zur Seite, verkroch sich unter seiner dünnen Decke und ließ seinen Tränen der Verzweiflung freien Lauf. Ob das jetzt so richtig gewesen war, was er gerade getan hatte? Vielleicht hätte er doch eher Semir informieren sollen, damit der Konrad suchte und befreite? Allerdings war es jetzt eben geschehen, er fühlte sich leer und ausgehöhlt und konnte jetzt nur hoffen, dass sich Tewett auch an die Abmachung hielt und sein Vater heute noch frei kommen würde. Er wagte gar nicht daran zu denken, was Semir und die anderen Kollegen nun von ihm halten würden. Die hatten sich im wahrsten Sinne des Wortes den Arsch aufgerissen, um ihn zu finden, zu befreien und die Täter zu verhaften und er unterlief jetzt durch seine Falschaussage deren ganze mühevolle Arbeit. Semir wäre zudem noch sauer, weil er ihm nicht vertraut hatte, aber er war es doch seinem Vater schuldig, dass er sich für ihn einsetzte. Obwohl-Konrad war ihm gegenüber unsensibel und desinteressiert gewesen, Vater hin oder her. Der Spruch mit den Enkelkindern tat ihm heute noch weh-hatte sich der nicht vorher erkundigen können, was ihm überhaupt fehlte? Ben begann gerade zu befürchten, dass er die Freundschaft zu Semir und die Glaubwürdigkeit bei seinen Kollegen für etwas aufs Spiel gesetzt hatte, was es nicht wert war. Ob er sich allerdings noch selber im Spiegel anschauen könnte, wenn er die Aussage nicht unterschrieben hätte und man dann irgendwann die schrecklich zugerichtete Leiche seines Vaters fand? Nein auch das wäre undenkbar, er hatte schon das Richtige getan und nun musste er warten, bis er ein Lebenszeichen von Konrad erhielt. Nach kurzer Überlegung bat er die Schwester, die erneut hereingekommen und besorgt neben seinem Bett stehen geblieben war und seinen Kummerausbruch verfolgt hatte, noch um das Telefon und rief die Haushälterin seines Vaters an: „Frieda, würden sie bitte meinem Vater, sobald er nach Hause kommt, bitten, sich sofort bei mir im Krankenhaus zu melden? Er müsste heute im Laufe des Tages auftauchen!“ erklärte er und die Frau versprach ihm, das auszurichten, sobald Konrad heimkam. Ben gab das Telefon zurück und die Schwester, die eigentlich vorgehabt hatte, Ben in den Stuhl zu mobilisieren, ließ ihn doch noch eine Weile liegen, so fertig, wie der gerade aussah.


    Kaum hatte der Richter die Anwälte der Beschuldigten von der Kautionshöhe von 50 000 € für jeden Haupttäter und 5000 € für die Mitläufer, verständigt, standen schon Tewett´s Anwalt und der von Kaul auf der Matte und hatten beide das Geld angewiesen, oder in bar dabei. Melissa Eder wurde zwar von ihrem Mann nicht unterstützt und hatte auch bloß einen Pflichtverteidiger, aber der nahm Kontakt mit Maria auf und die kratzte ihre ganzen Ersparnisse zusammen und noch vor dem Mittagessen waren die drei Haupttäter auf freiem Fuß. Lediglich die Freunde Florian´s hatten niemanden, der fähig und bereit gewesen wäre, 5000€ für sie zu berappen und so blieben sie vorerst noch im Gefängnis.


    Semir hatte einen Bericht über den gestrigen Einsatz geschrieben, Hartmut hatte das Kostüm zur Reinigung gebracht, damit die Blutreste entfernt wurden und auch die Chefin ging ihrer Routinearbeit nach, bis ein Anruf der ebenfalls geschockten Schrankmann, ihr den Mund offenstehen ließ. Sie holte Semir und Hartmut in ihr Büro und sagte dann tonlos: „Stellen sie sich vor, alle drei Haupttäter in unserem Folterfall sind gegen Kaution auf freiem Fuß! Herr Jäger hat vor dem Richter zugegeben, dass die Folterungen einvernehmlich stattgefunden hätten und dem blieb nun nichts anderes übrig, als die Verhafteten bis zur Verhandlung freizulassen!“ ließ sie die Bombe platzen. Hartmut wurde ganz blass und Semir, der erst gedacht hatte, seinen Ohren nicht zu trauen, sprang aufgeregt auf und schrie beinahe: „Das kann doch gar nicht wahr sein, da muss irgendjemandem eine Riesenfehler unterlaufen sein, ich fahre sofort zu Ben und finde heraus, was da dahintersteckt!“ und während er schon nach seiner Jeansjacke griff, sagte die Krüger tonlos: „Tun sie das Gerkan, tun sie das!“

  • Kaul´s Anwalt war sehr erstaunt gewesen, als er den Anruf des Gerichts erhalten hatte. Er kontaktierte aber sofort dessen Frau, die mit den Nerven seit der Verhaftung ihres Mannes am Ende war. Die tätigte einen kurzen Anruf bei der Bank und wenig später war das Geld beim Gericht angewiesen und der Anwalt holte seinen Mandanten aus dem Untersuchungsgefängnis ab. Kaul´s Frau wusste von den Vorwürfen, aber den Kindern hatte man nichts davon gesagt und die begrüßten freudig ihren Vater, der gerade rechtzeitig zum Mittagessen erschienen war. Sie hatten angenommen, der Papa wäre, wie schon so oft, auf Geschäftsreise gewesen. Kaul genoss aus vollen Zügen das leckere Essen, das die Haushälterin zubereitet hatte-was für ein Unterschied zum Gefängnisfraß-und dann bat er seine Frau um ein Gespräch. „Schatz, ich habe wegen meiner sadistischen Neigungen wirklich üble Sachen getan, das hat aber mit dir und den Kindern nichts zu tun. Ich verspreche dir, mich therapieren zu lassen, kannst du mir dann noch einmal verzeihen?“ bat er sie und nach einer Weile willigte sie ein und während Kaul unter die Dusche sprang, um sich den Gefängnisduft abzuwaschen, schwelgte sie schon in Vorfreude auf das Schmuckstück, das er ihr als Entschädigung versprochen hatte.


    Melissa wurde von ihrem Pflichtverteidiger abgeholt und dann vor der Villa Eder abgesetzt. Maria stürzte glücklich aus dem Pförtnerhaus. Sie wollte Melissa in die Arme schließen, aber die versteifte sich. „Melissa, wie geht es dir?“ fragte Maria, aber die zuckte nur mit den Schultern. Auch sie freute sich auf ein Bad in ihrer luxuriösen Wanne, dazu ein Gläschen gutem Wein und danach ein exquisites Mahl. „Maria, das erzähle ich dir später, wie´s mir geht, sperr mir bitte das Haus auf, ich hatte ja keinen Schlüssel dabei!“ sagte sie. Auch an sich selber sah sie angeekelt herunter, nachdem sie bei ihrer Einlieferung im Gefängnis nur ein Krankenhausflatterhemdchen getragen hatte, hatte sie noch Gefängniskleidung an und hatte sogar unterschreiben müssen, die gewaschen und gebügelt zurückzubringen.
    „Melissa, ich habe keinen Schlüssel mehr zum Haus! Netterweise hat mir dein Mann erlaubt, noch so lange hier wohnen zu bleiben, bis ich eine andere Wohnung gefunden habe, aber ich habe, wie du auch, im Haus nichts mehr zu suchen!“ sagte Maria traurig. „Und meine ganzen Klamotten, mein Schmuck, meine persönlichen Sachen, wo sind die?“ brauste Melissa auf. „Was dein Mann damit getan hat, weiß ich nicht, aber am Freitag war eine Hilfsorganisation da, die haben einige Taschen und Kartons aus dem Haus getragen, ich befürchte, der hat deine Sachen verschenkt!“ beichtete Maria. „Und mein Koffer, den du an den Flughafen gebracht hast?“ fragte Melissa, der Gott sei Dank der noch eingefallen war-da waren ja die wichtigsten Dinge drin, um einige Zeit zu überleben, aber Maria sagte kleinlaut: „Den habe ich gleich am nächsten Tag geholt und auch deinem Mann übergeben, was glaubst du, was am Flughafen so eine Gepäckaufbewahrung kostet?“ fragte sie, um dann hinzuzufügen: „Aber fürs Erste kannst du ja mal was von mir anziehen und später gehen wir dann zu einem günstigen Discounter und kaufen dir was, allerdings müssen wir jetzt sehr sparen, denn ich habe für die Kaution mein ganzes Geld aufgebraucht und sogar mein Girokonto überzogen!“ erklärte sie und Melissa starrte sie fassungslos an. Anstatt sich bei ihrer Vertrauten zu bedanken, sagte sie mit gefährlich ruhiger Stimme: „Du glaubst doch nicht, dass ich Klamotten von dir, oder von einem Discounter anziehen würde!“ und dann bekam sie einen Tobsuchtsanfall und wütete durchs Pförtnerhaus, bis Maria nichts mehr anderes übrig blieb, als die Notrufnummer zu wählen. Wenig später kamen der Notarzt und zwei Sanitäter, die Melissa bändigten, ihr Beruhigungsmittel spritzten und sie dann mitnahmen in die Psychiatrie.


    Tewett´s Anwalt hatte die 50 000€ in bar mitgebracht und Florian abgeholt, der sich gleich in den Wagen des Anwalts flegelte. „Wurde ja auch Zeit!“ nörgelte er und der Anwalt warf ihm einen hasserfüllten Blick zu. Was fiel denn diesem Bürschchen ein? Er atmete aber tief durch und beruhigte sich mit dem Gedanken, dass da drei Millionen auf seinem Beifahrersitz saßen und so konnte er sich dann doch zurückhalten. Papa Tewett hatte schon seine Sachen gepackt und nachdem er seinen missmutigen Sohn in die Arme geschlossen hatte, was dem überhaupt nicht taugte, weihte er ihn in seine Pläne ein. Florian war zwar nicht begeistert davon, sich nach Südamerika abzusetzen, aber wenn er als Alternative einen längerdauernden Knastaufenthalt in Betracht zog, dann war das vielleicht doch gar nicht so blöd. „Und Florian-in Südamerika ist ein Menschenleben nicht viel wert, ich denke, wir beide können uns da ab und zu schon was gönnen!“ lockte Tewett senior und mit der Vorfreude darauf, war Florian zu überreden, seine Koffer zu packen und sich bereit zu machen.Der Anwalt bekam seine drei Millionen und Tewett versprach ihm, sich aus dem Ausland wieder zu melden, wegen dem Posten im Konzern. Ob er das allerdings tun würde, wusste er noch nicht, erst mal musste er mit Florian verschwinden.
    Seine Frau war glücklicherweise heute auf einer ganztägigen Charityveranstaltung und so musste er der schon nichts vorspielen. Auch Florian fragte mit keiner Silbe nach seiner Mutter, er protestierte nur, dass er sein Handy da lassen musste.Tewett tätigte noch einen kurzen Anruf und teilte den Forenbetreibern mit, die ihn und Florian immer mit frischer Ware versorgt hatten, dass diesmal er in der Jagdhütte, die sie zu Übergabezwecken und auch für manche Spielchen nutzten, etwas Feines deponiert hatte. „Ich schenke euch zum Dank für treue Dienste die Ware, aber bitte sorgt dafür, dass die so verschwindet, dass keine Spuren zurückbleiben-und seid vorsichtig, es ist ein kräftiger Mann!“ wies er sie noch an, um dann mit Bedauern sein eigenes Handy zu zerstören, wie er es auch mit Florian´s machte. Er lud dann ihre Koffer und Taschen ins Auto und machte sich eilig mit seinem Sohn auf den Weg zum Rheinhafen.


    Ben wartete inzwischen ungeduldig auf den erlösenden Anruf seines Vaters. Die Opiatwirkung hatte nachgelassen und es ziepte nun ganz ordentlich in seinem Tiefparterre. Trotzdem zog die Schwester ihren Plan durch und sie und eine Kollegin mobilisierten ihren Patienten heraus in einen bequemen Stuhl. Man gestand Ben zwar noch den Sitzring zu, aber nun wurde es Zeit, dass er wieder auf die Beine kam! Ben wurde immer unruhiger und als plötzlich Semir vor ihm stand, erblasste er.

  • Semir hielt sich nicht lange mit Vorreden auf, sondern fragte gerade heraus: „Ben, jetzt sag mir bitte was in dich gefahren ist, dass du behauptest, du hättest bei diesen Folterungen einvernehmlich mitgemacht? Wir haben uns den Arsch aufgerissen, deine Peiniger ausfindig zu machen und zu verhaften und du sagst nun, du hättest das selbst gewollt, was hast du dir dabei gedacht?“ fragte er wütend. Den ganzen Herweg war er von Minute zu Minute zorniger geworden. Hatte Ben doch dem Lockruf des Geldes nicht widerstehen können? Drei Millionen waren eine Menge Kohle, Semir wusste auch nicht, wie viel Geld Ben eigentlich besaß, vielleicht waren das gar keine so großen Summen, oder er hatte es schlecht angelegt und dann ziemlich viel verloren? Semir wusste es nicht! Er wusste aber auch, dass er mit jemandem, der bestechlich war, nicht weiter befreundet sein konnte und der war auch als Polizist nicht mehr tragbar! Und weil er das Herz auf der Zunge trug, sagte er genau das zu Ben, der in seinem Stuhl förmlich in sich zusammenkroch.
    „Durch deine Aussage sind nun alle Haupttäter auf freiem Fuß und können die nächsten Opfer quälen. Du alleine bist dafür verantwortlich, wenn andere Menschen nun zu Tode kommen, oder zumindest schwer verletzt werden!“ warf er ihm noch an den Kopf, ohne erst mal auf eine Antwort seines Freundes zu warten.


    Der öffnete den Mund, um irgendwas zu sagen, aber dann merkte er schon, wie ihm schummrig wurde. Jetzt wurde ihm alles zu viel und die ganze Aufregung, der Schmerz, der Schlafmangel und der Kummer, dass Semir ihm zutraute, bestechlich zu sein, forderten ihren Preis. Das Blut wich ihm aus dem Kopf, er begann kalt zu schwitzen und bevor Semir irgendwie reagieren konnte, war er zusammengesackt und glitt nun einfach zu Boden. Semir griff nun doch zu, um Ben noch zu stützen, aber es war vergeblich. Der Monitor schlug Alarm, mit einem kleinen Ruck war der arterielle Zugang aus dem Arm gerutscht und blutete und der ZVK spannte sich bis zum Äußersten. Die Schwester, die hereingestürzt war griff nur kurz nach dem Cavakatheter, um den noch zu retten und rief dann ihre Kollegen laut zu Hilfe. Semir wurde rausgeschickt und nun kümmerten sich erst mal zwei Pflegekräfte und der Stationsarzt um Ben.


    Der war momentan komplett weg und merkte gar nicht, wie er wieder ins Bett gehoben wurde. Alle Helfer hatten Handschuhe an und während man das Bett schon in Kopftieflage brachte, drückte eine der Schwestern einen Stapel Kompressen auf die blutende Arterieneinstichstelle an seinem Arm. Eine andere löste das Pflaster an seinem Hals, aber anhand der Markierung konnte man feststellen, dass der ZVK noch an Ort und Stelle saß. Der Stationsarzt ordnete einen zusätzlichen Liter Infusion im Schuss an, um den Kreislauf zu stabilisieren und weil man nun ja keine kontinuierliche Blutdruckmessung mehr hatte, schlang man eine Blutdruckmanschette um seinen Oberarm und drückte auf den Startknopf am Monitor. Langsam begann sich Ben wieder zu regen und als ihn der Arzt laut ansprach und seine Wangen tätschelte, schlug er die Augen auf. Nach einem Blick auf den Monitor war der Arzt zufrieden und ging wieder seiner Routinearbeit nach. Die beiden Schwestern begannen Ben nun auszuziehen und das Blut von ihm abzuwaschen.


    Semir hatte derweil erschrocken auf dem Flur begonnen hin-und herzulaufen. Warum war Ben denn nur ohnmächtig geworden? Hatte er ihm doch zu sehr zugesetzt, oder war es das schlechte Gewissen? Als nach kurzer Zeit der Arzt aus dem Zimmer kam, sagte der beruhigend zu ihm: „Nur ein kleiner Kreislaufkollaps, er wird jetzt noch sauber gemacht und dann dürfen sie wieder rein!“ bemerkte er und verschwand dann um die Ecke.
    Obwohl der Blutverlust sich in Grenzen hielt, hatte Ben es geschafft, sich selber, das Bett und die Bettumgebung mit Blut einzusauen und so waren die beiden Schwestern eine ganze Weile mit Wasch-und Reinigungsarbeiten beschäftigt. Ben war inzwischen wieder ganz bei sich, aber tief geschockt, dass Semir ihm Bestechlichkeit vorwarf. Als er endlich sauber und frisch im Bett lag, sagte die Schwester: „Ich lasse dann ihren Freund wieder herein!“, aber Ben schüttelte den Kopf. „Ich will ihn nicht mehr sehen!“ sagte er mit zitternder Stimme und mit einem Schulterzucken richtete die Schwester das aus.
    Semir, der inzwischen unruhig darauf gewartet hatte, das Gespräch weiterzuführen, wollte trotzdem ins Zimmer witschen und Ben fragen, was das solle, aber nun stellte sich die Schwester breit davor, schloss die Schiebetür und sagte: „Der Wunsch unserer Patienten wird respektiert, entweder sie gehen jetzt freiwillig, oder ich rufe den Sicherheitsdienst!“ und so blieb Semir nun nichts anderes übrig, als sich zurückzuziehen.


    Während er langsam zum Auto ging, flaute seine Wut allmählich ab und machte einer tiefen Nachdenklichkeit Platz. Eigentlich hatte er Ben gar nicht zu Wort kommen lassen, sondern ihm lauter Dinge an den Kopf geworfen, die ihm in der ersten Empörung so in den Sinn gekommen waren. Und wenn nun alles ganz anders war? Er musste nachdenken, aber als er am Auto angelangt war, hatte er plötzlich einen Geistesblitz. Er stieg wieder aus und machte sich sorgenvoll auf den Weg. Hoffentlich hatte er Unrecht, denn sonst würde Ben nie mehr mit ihm reden und außerdem schwebte dann noch jemand anders in großer Gefahr!

  • Als Semir vor Sarah´s Appartementtür stand und auf den Klingelknopf drückte, erwartete er eigentlich schon nicht mehr, dass jemand öffnete. Na klar, das war die Lösung! Jemand hatte Sarah gekidnapped und nun wurde Ben erpresst! Umso grösser war Semir´s Überraschung, als ihm Sarah, zwar in Leggins und dickem Sweatshirt, blass und krank aussehend, aber trotzdem unversehrt, die Tür öffnete. „Semir, was willst du denn hier-pass bloß auf, dass du dich nicht ansteckst!“ krächzte sie und bat ihn dennoch herein. Semir hielt zwar Abstand, aber trotzdem folgte er Sarah zur Couch. „Ist was mit Ben?“ wollte Sarah auch gleich wissen. Klar, ihre Kollegen würden sie auf jeden Fall anrufen, wenn sich sein gesundheitlicher Zustand besorgniserregend verschlechterte, aber Semir als sein bester Freund würde vielleicht noch andere Dinge mitzuteilen haben.


    „Sarah, wenn ich ehrlich bin, habe ich mich gerade mit Ben gezofft!“ gab Semir zu. Sarah sah ihn daraufhin prüfend an. „Weswegen habt ihr gestritten?“ fragte sie mitfühlend. Doch, sie wusste, dass es manchmal leicht war, mit Ben hintereinander zu kommen, sie hatte es am eigenen Leib erfahren! „ Er hat vor dem Richter behauptet, die Folterungen hätten einvernehmlich stattgefunden und jetzt sind die Haupttäter alle wieder auf freiem Fuß!“ erzählte Semir Sarah schonungslos die Wahrheit. Der blieb vor Erstaunen der Mund offenstehen. „Wie kommt er denn darauf, so einen Bullshit zu erzählen!“ regte sich Sarah nun auf. „ Wenn der Spaß an solchen Dingen hätte, würde ich das schon lange wissen, aber wir haben ein völlig normales Sexleben, ohne Ausflüge in die Sado-Maso-Szene! Wir sind nun doch schon eine ganze Weile zusammen, ich hätte das bemerkt, wenn er solche Neigungen hätte!“ erklärte sie Semir und bekam gleichzeitig einen roten Kopf. Eigentlich gingen die Dinge, die sich in ihrem Schlafzimmer abspielten, niemanden was an und es war nur Semir´s besonderem Vertrauensverhältnis zu verdanken, dass sie mit solchen Äußerungen überhaupt rausrückte!


    „Ich habe ihm auf jeden Fall Vorhaltungen gemacht, was mir inzwischen leid tut und daraufhin ist er kollabiert und aus dem Stuhl gerutscht, hat sich aber anscheinend nichts dabei getan!“ verteidigte sich Semir. „Sarah, ich glaube ja auch, dass Ben völlig normal gestrickt ist, aber was hat das dann zu bedeuten, wenn er vor dem Richter die Unwahrheit sagt? Die haben ihm ja drei Millionen geboten, das ist ein Haufen Schotter, ich habe auch in Erwägung gezogen, dass er es wegen des Geldes getan hat!“ teilte Semir noch seine Vermutung mit. Sarah schüttelte den Kopf: „Semir, Ben ist nicht bestechlich, ich weiß nicht, wie viel er an Vermögen hat, aber er hat mir immer gesagt, wegen der Finanzen bräuchten wir uns keine Sorgen machen!“ erklärte Sarah und Semir nickte wieder nachdenklich. „ Davon bin ich ja auch ausgegangen,“ sagte er, „ aber was hat er dann für ein Motiv, den Richter anzulügen?“ fragte Semir und Sarah konnte auf diese Frage nur hilflos den Kopf schütteln. Semir, der sah, wie angegriffen die junge Frau wirkte, erhob sich. „Sarah, ich geh jetzt wieder zur Arbeit. Wenn dir noch irgendwas einfällt, was uns weiterhelfen könnte, ruf mich an, zu jeder Tages-und Nachtzeit!“ bat er sie und Sarah, die genau merkte, wie ihr Fieber gerade wieder stieg, nickte. „Mach ich Semir!“ bestätigte sie ihm und nun ging Semir zum Wagen zurück und Sarah legte sich wieder flach.


    In der PASt angekommen erwarteten ihn Hartmut und die Chefin schon. „Es ist für heute Abend wieder ein Angebot des Vergangenheitsforums gekommen!“ teilte Hartmut mit. „ Wir haben jetzt einen Riesenärger mit der Obrigkeit, weil die Forenbetreiber natürlich das Geld vom Polizeikonto geholt haben. Wir mussten dem Polizeipräsidenten versprechen, dass wir beim nächsten Kontakt die Verbrecher festnehmen und auch das Geld zurückbringen, jetzt erzähl-was hat Ben zu seiner Aktion ausgesagt?“ wollte er dann wissen und die Chefin beugte sich ebenfalls gespannt nach vorne. Semir zuckte mit den Schultern. „Er hat gar nichts gesagt, weil ich ihn blöderweise nicht habe zu Wort kommen lassen! Dann wurde ihm schwindlig und danach hat er mich rausgeschmissen!“ beichtete er. „Ich war dann noch bei seiner Freundin, weil ich dachte, die hätten die gekidnapped und würden ihn damit unter Druck setzen, aber die ist in ihrer Wohnung und weiß von nichts, wir sind also so schlau wie vorher!“ berichtete er.


    „So ein Mist!“ stellte Hartmut fest, „aber wir müssen jetzt trotzdem einen Einsatzplan für später machen, da darf nichts schief gehen, sonst laufen wir alle miteinander bis zur Pensionierung Streife-hat uns der Polizeipräsident angedroht!“ Gemeinsam machten sie einen Plan, die Chefin teilte ein Überwacherteam mit mehreren Fahrzeugen ein, Hartmut holte das Gewand aus der Reinigung, die das auf Antrag im Schnellverfahren gereinigt hatten und nachdem Semir noch Andrea Bescheid gesagt hatte, dass es heute wieder später werden würde, bestellten sie sich alle eine Pizza und flugs war es 18.30 Uhr und der kostümierte Hartmut machte sich mal wieder in dem schicken Jaguar auf zum Zooparkplatz.

  • Konrad hatte unruhig geschlafen. Dass er so gar nichts wusste, kein Tewett oder sonst jemand erschien, zerrte an seinen Nerven. Auch grübelte er die ganze Zeit, was mit seiner Entführung wohl bezweckt werden sollte. Gerade Tewett schwamm doch in Geld, also da konnte das Motiv schon nicht liegen. Er zermarterte seinen Kopf, um was es gehen könnte und mehr und mehr kristallisierte sich heraus, dass es irgendwas mit Tewett´s Sohn zu tun haben musste. Sie hatten über Ben gesprochen und dass er ihn vor dem Tennismatch im Krankenhaus besucht hatte. Irgendwie hatte Tewett dann erwähnt, dass er auch gerade Kummer wegen seines Sohnes hatte, was Konrad aber nicht hinterfragt hatte. Aber vielleicht hatte seine Gefangensetzung doch völlig andere Hintergründe? Ehrlich gesagt machte Konrad das Blut auf dem Boden ebenfalls Sorgen. Das Bettgestell war aus Metall und irgendwie konnte man an den Ecken Spuren erkennen, als ob da Handschellen oder Ähnliches befestigt gewesen wären. Er würde jedenfalls auf der Hut sein und sobald jemand kam, zu fliehen versuchen!Die drei Forenbetreiber hatten die abendliche Session vorbereitet. Kayser war gerade ihr finanzstärkster Kunde. Indem er den Junkie bis aufs Blut gequält hatte, hatte er bewiesen, dass er fähig war, grausam zu sein und auch keine Skrupel hatte. Dass er die Kamera verdeckt hatte, war zwar ärgerlich, weil gewisse Nebeneinkünfte, die durch den Verkauf der Foltervideos im Internet entstanden, so wegfielen, aber manche Folterer wollten bei ihren Taten eben nicht beobachtet und gefilmt werden, während das anderen genau diesen gewissen Kick bereitete. Sie mussten nun aber in der Jagdhütte, an die sie schon öfter Ware für Tewett geliefert hatten und zu der sie einen Schlüssel besaßen, doch mehrere Kameras installieren, damit ihnen das nicht entging. Da würden sie ein Snuff-Video drehen, das hinterher noch viel Geld einbringen würde, ob das Kayser gefiel, oder nicht. Immerhin waren sie aber technisch versierte Computerexperten und würden da schon die eine oder andere Versteckmöglichkeit, die Kayser nicht auffiel, finden. Auch hatte Tewett sie noch gebeten, den teuren Wagen, der versteckt hinter der Hütte stand, ebenfalls spurlos zu beseitigen-den würden sie in einer Hinterhofwerkstatt zerlegen lassen und die Einzelteile verkaufen, das war viel sicherer und lukrativer, als den Wagen in irgendeinem See zu versenken, oder ihn zu versuchen ins Ausland zu schaffen. Ron Weasley hatte zugesagt und so machten sich die Forenbetreiber nun auf-es war inzwischen Nachmittag-um ihr Opfer und die Lokalitäten für den Abend vorzubereiten.


    Konrad hörte draußen etwas. Er erhob sich vom Stuhl, auf dem er gesessen hatte und postierte sich hinter der Tür. Eine richtige Waffe war nicht zu finden, aber der Schürhaken des Ofens bot doch eine gewisse Sicherheit. Er hörte angespannt, den Metallstab erhoben, auf die Geräusche. Erst fuhr ein Wagen vor, dem Ton nach ein großer Geländewagen, dann stiegen mehrere Männer aus, die sich leise unterhielten. Konrad überlegte noch kurz, ob er um Hilfe rufen sollte, aber irgendetwas hielt ihn davon ab. Endlich war Bewegung an der Tür, ein Riegel wurde zurückgeschoben, dann drehte sich ein Schlüssel im Schloss. Angespannt wie eine Katze stand Konrad sprungbereit da, als sich die Tür einen kleinen Spalt öffnete und dann gleich wieder geschlossen wurde. Konrad war nach vorne gestürzt, aber die Tür war schon wieder zu, als er sie anfasste. Konrad blickte verwirrt um sich und entdeckte dann, was der Grund dafür gewesen war. Am Boden lag ein unscheinbarer Zylinder und dann roch er auch schon den Geruch des Betäubungsgases. Verzweifelt versuchte er den Zylinder wegzukicken, aber nach wenigen Sekunden lag er bewusstlos neben dem Ding am Boden. Nach kurzer Zeit öffnete sich die Tür wieder und ein Mann mit Gasmaske betrat seelenruhig den Raum. Er brachte den Zylinder nach draußen und warf ihn in den Wald, dann öffnete er die Fenster weit, von denen seine Kumpels inzwischen die außenliegenden Holzriegel und Läden entfernt hatten. Im Nebenraum wurde ein Dieselaggregat angeworfen und wenig später erstrahlte die Hütte in hellem Licht. Die drei Männer zogen Konrad aus, legten ihm eine leinene mittelalterliche kurze Kniehose an und fesselten ihn dann mit Stricken ausgestreckt ans Bett. Handschellen wären zwar praktischer, aber das war eine Erfindung späterer Zeiten und immerhin waren sie ein Vergangenheitsforum. Foltergerätschaften aus einem Folterkeller wurden hereingetragen und auf dem Tisch ausgelegt und einer der Männer begann fachgerecht mehrere Webcams zu installieren, die man auch noch von außerhalb steuern konnte. Eine davon war sehr offensichtlich, aber die anderen gut verborgen, eine davon sogar im offenstehenden Maul einer Wildschweintrophäe, die an der Wand hing.Draußen war es kalt und da die Fenster immer noch weit offenstanden, kühlte Konrad sehr schnell aus, was aber beabsichtigt war, um seinen Willen zu brechen. Konrad wurde nun noch fachgerecht geknebelt, damit er nicht mit Worten seinen Folterer irgendwie beeinflussen konnte, dann schloss man die Fenster wieder und die Forenbetreiber verschwanden. Zwei postierten sich im Nebenraum, um an verschiedenen Bildschirmen das Treiben in der Hütte zu beobachten und zu filmen und der Dritte fuhr los zum Zooparkplatz, um den Kunden abzuholen.


    Diesmal standen mehrere Fahrzeuge bereit, um Hartmut zu verfolgen. Man hatte auch in Ehrenfeld, rund um den gestrigen Folterkeller, dessen genaue Lage ja noch unbekannt war, mehrere Zivilpolizisten postiert und hoffte, das Ziel würde wieder dasselbe wie am Vortag sein. Punkt 19.00 Uhr traf das Fahrzeug-diesmal ein großer Geländewagen-am Zooparkplatz ein. Wie am Sonntag wurde Hartmut hineingebeten, seine Augen verbunden und schon ging die Fahrt los. Unauffällig folgten im Wechsel drei Fahrzeuge und bald stand fest, dass das Ziel diesmal in einer anderen Richtung war, als gestern. Hartmut versuchte seinen Fahrer in ein Gespräch zu verwickeln, um irgendwelche Hinweise zu erhalten, aber der hatte ihm selber was zu sagen: „Herr Kayser, gegen entsprechende Bezahlung-wir dachten da so an den Bruchteil der Summe, die ein Appartement im Kranhaus kostet, aber doch eine gewisse Höhe darstellt- nämlich eine Million Euro, stellen wir ihnen das heutige Opfer zur völligen Verfügung. Wir werden die Leiche später fachgerecht entsorgen, niemand wird etwas davon erfahren und sie haben die einmalige Möglichkeit die völlige Macht über Leben und Tod zu haben.“ pries er an und Hartmut erstarrte innerlich. Sie hatten Recht gehabt, diese Forenbetreiber waren völlig skrupellos, aber um sie zu überführen, musste er jetzt wohl oder übel mitspielen. „Das hört sich gut an!“ sagte er deshalb und sein Chauffeur, der inzwischen schon ein gutes Stück aus Köln herausgefahren war, nickte lächelnd, obwohl sein Fahrgast das ja nicht sehen konnte.


    Die Tewetts waren am frühen Nachmittag auf ihr Boot gegangen und das hatte sich auf die über 300 Flusskilometer lange Fahrt Richtung Rotterdam begeben, wo sie nochmals tanken wollten, um dann die lange Fahrt nach Übersee anzutreten.


    Ben lag immer noch wie erstarrt in seinem Bett. Die Schmerzen hielten sich zwar in Grenzen, auch sein Kreislauf war wieder auf der Höhe, aber er war voller Selbstzweifel, ob er das Richtige getan hatte. Mehrmals war er kurz davor, um das Telefon zu bitten, um Semir anzurufen und ihm die Wahrheit zu beichten, aber dann wartete er doch wieder, bis sein Vater sich meldete. Stunde um Stunde verging, aber kein erlösender Anruf kam. Nach einer Weile trat der Stationsarzt ins Zimmer: „Herr Jäger, wie fühlen sie sich?“ fragte er und Ben zuckte mit den Schultern. „Ganz gut!“ sagte er einsilbig-er hatte gerade überhaupt keinen Kopf für sein körperliches Befinden. „Dann würden wir sie jetzt auf die Normalstation verlegen, da wir das Bett brauchen und sie nicht mehr intensivpflichtig sind!“ sagte er und Ben nickte teilnahmslos. War ja auch egal, wo sein Bett stand und ohne die ganzen Kabel war es sowieso viel besser. Die Intensivschwestern machten ihn noch ein letztes Mal frisch und dann wurde er schon von den Schwestern der Normalstation abgeholt. Die bekamen noch eine ausführliche Übergabe und begrüßten ihn freundlich. Wenig später lag er in einem gemütlichen Zweibettzimmer, in dem aber nur ein Bett belegt war. Man stellte ihm das Telefon und die Bedieneinheit des Fernsehers bereit und nun tätigte Ben doch einen Anruf.

  • Die Chefin und Semir, die dem Fahrzeug der Forenbetreiber nach bester Polizeimanier wie aus dem Lehrbuch, im Wechsel mit den anderen Fahrzeugen folgten, sahen sich an, als aus dem Lautsprecher das Angebot an Hartmut, wegen der finalen Folterung kam: „Jetzt haben wir sie!“ sagte die Chefin befriedigt. Der Funkverkehr wurde auch aufgezeichnet und mit der Aussage Hartmuts im Gepäck konnte man dieser Truppe das Handwerk legen. Susanne, die in der PASt den Spätdienst hatte, beobachtete am PC auch noch gespannt ihren Punkt auf dem Bildschirm, wo das Fahrzeug mit Hartmut darin, hinfuhr. Als sie aus Köln heraus waren, wurde es etwas schwieriger, da die Gegend hier ja einsamer war und nicht mehr so viele Fahrzeuge unterwegs waren. Aber sogar, als der Fahrer des Geländewagens in eine Parkbucht fuhr, um zu beobachten, ob er nicht verfolgt wurde, schafften sie es ihn in Sicherheit zu wiegen, weil zwei der Verfolgerfahrzeuge einfach vorbeituckerten und in einiger Entfernung, navigiert von Susanne in Seitensträsschen einbogen und das Fahrzeug mit Semir und der Chefin in einigem Abstand dahinter mit ausgeschalteten Scheinwerfern am Straßenrand anhielt. Dank Peilsender war das kein Problem und als der Fahrer beruhigt weiterfuhr, hatten sie ihn sofort wieder eingekesselt, ohne dass er es bemerkte.


    Schon beim ersten Halt hatte Susanne das Gelände mit einem Satellitenbild verglichen und versucht, zu erkennen, was wohl das Ziel der Forenbetreiber war, aber nichts herausgefunden. Nun näherten sie sich einem großen Waldstück und bis sie sich versahen, war der dunkle Geländewagen in dem Wäldchen auf einen gut geschotterten Weg eingebogen und verschwunden. Nun war guter Rat teuer! Wenn das wieder ein Test war, ob der Wagen Verfolger hatte, lieferten sie sich so ans Messer und einfach mitten durch den unbekannten Wald ohne Scheinwerfer nachzufahren, war sehr riskant. Susanne besah sich ihren Bildschirm und plötzlich sagte sie: „Das Fahrzeug hat angehalten! Ich sehe gerade auf meinem Satellitenschirm, dass da eine Jagdhütte ist, ich denke, das dürfte das Ziel sein!“ „Wie weit weg ist die von uns?“ fragte Semir und Susanne sagte: „Genau einen Kilometer! Und der Weg dahin ist gut ausgebaut!“„Wir gehen da zu Fuß rein, nicht dass sie uns bemerken und dann sowohl Hartmut, als auch das Opfer in Gefahr sind!“ beschloss Semir und die Chefin widersprach ihm nicht. Sie stellten ihre Fahrzeuge ab und zwar so, dass der Weg nun abgesperrt war und kein Auto mehr an ihnen vorbeikam. Dann stiegen alle Polizisten aus, legten ihre kugelsicheren Westen an und begannen gemeinsam im Laufschritt Richtung Waldhütte vorzugehen. Einzig die Chefin blieb im Wagen und koordinierte von da aus den Einsatz. Sie waren zehn dunkel gekleidete, durchtrainierte Polizisten und in wenigen Minuten hatten sie die Waldhütte erreicht. Gerade schlichen sie sich langsam durch die Dunkelheit an das Gebäude an, da vibrierte Semir´s Handy, das er auf lautlos gestellt hatte. Er warf einen kurzen Blick darauf-eine unbekannte Kölner Festnetznummer- und drückte das Gespräch weg.


    Hartmut hatte schweigend im Fond des Geländewagens gesessen. Einmal hatte er versucht, Übelkeit vorzutäuschen, um seine Augenbinde loszuwerden, aber sein Fahrer hatte nur zuckersüß bemerkt: „Glauben sie mir, Herr Kayser, je weniger sie wissen, desto besser ist es für sie. Ich verspreche ihnen, sie hinterher, wenn sie ihr Vergnügen gehabt haben, wieder zurückzubringen und hoffe, sie sind mit unseren Diensten zufrieden!“ und außerdem reichte er ihm vorsichtshalber eine Kotztüte, daraufhin fügte sich Hartmut in die Dunkelheit. Als das Auto zum ersten Mal anhielt, hatte er schon gedacht, sie hätten ihr Ziel erreicht, aber wenig später setzte es sich wieder in Bewegung. Hartmut ließ erleichtert den angehaltenen Atem fließen. Wenn die Verfolgung jetzt aufgefallen wäre, würden sowohl er, als auch das Opfer in grösster Gefahr schweben, aber anscheinend war nochmals alles gut gegangen und seine Kollegen hatten gute Arbeit geleistet. Das Fahrzeug wurde langsamer und bog anscheinend auf einen unbefestigten Weg ab. Drei Minuten später hielt es an und der Fahrer sagte: „Wir sind da, Herr Kayser und nun nehme ich ihnen auch ihre Augenbinde ab!“ und ließ den Worten Taten folgen. Hartmut ließ wieder seine Narrenkappe im Auto zurück. Hier bestand für seine Kollegen wohl kein Zweifel, wo er steckte. Der Eingangsbereich der Hütte war hell erleuchtet, aber der darumliegende Wald war in tiefster Dunkelheit. Man hörte ein wenig entfernt ein Dieselaggregat laufen, aber sonst herrschte Totenstille, nur von den Geräuschen des nächtlichen Waldes untermalt. Zögernd betrat Hartmut die Hütte und hätte sich nie träumen lassen, was nun geschah.
    Als die Schüsse fielen, begannen Semir und seine Kollegen mit entsicherten Waffen auf die Hütte zuzurennen. Verdammt, anscheinend war Hartmut aufgeflogen! Hoffentlich kamen sie noch nicht zu spät!


    Ben ließ das Telefon einige Male klingeln, aber Semir ging nicht ran. Gerade hatte er beschlossen, dass er seinen Kollegen einweihen würde und jetzt wollte er ihn auch sehr dringend möglichst bald sprechen, damit sie sich gemeinsam überlegen konnten, wie man den Aufenthaltsort seines Vaters herausfinden konnte. Klar würde Semir sauer sein und das mit gutem Grund, aber das würden sie später besprechen, jetzt war erst mal wichtig, dass Konrad befreit wurde! Frustriert legte Ben das Telefon wieder ab und überlegte, wen er als Nächstes anrufen sollte.

  • Konrad war langsam wieder zu sich gekommen. Ihm war übel und voller Panik merkte er, dass er an allen vier Extremitäten gefesselt, ausgestreckt auf dem Bett lag. Hatten ihn die Beschädigungen am Bettgestell doch auf die richtige Spur geführt. Er fror und als er entsetzt an sich herunter sah, bemerkte er, dass er nur mit einer mittelalterlichen Kniehose bekleidet war. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und vor Angst war er innerhalb kürzester Zeit von einem dünnen Schweissfilm bedeckt, obwohl ihm eigentlich kalt war. Er bemerkte auch, dass das Zimmer hell erleuchtet war, im Gegensatz zu vorhin, wo eine schwache Funzel die einzige Lichtquelle gewesen war. Die Übelkeit wurde immer stärker und er versuchte verzweifelt den Knebel auszuspucken. Er würgte panisch. Wenn er jetzt erbrach, würde er jämmerlich ersticken, aber es ließ sich nicht mehr aufhalten!


    „Verdammt!“ rief einer der Forenbetreiber im Nebenzimmer, der Konrad´s Erwachen am Bildschirm beobachtet hatte und sprang auf. Wenn ihr Opfer jetzt kotzte, würde es vermutlich ersticken, bevor sie damit die grosse Kohle gemacht hatten, das konnten sie nicht riskieren. Mit zwei Schritten war er an der Tür, riss sie auf und trat an Konrad´s Lager. Dort entfernte er den Knebel und nun bekam Konrad schon ein wenig mehr Luft. „Mir ist so schlecht, ich muss brechen!“ stöhnte er und nach kurzer Überlegung band der eine der Männer ihn los, damit er zur Toilette konnte. Es genügte schon, wenn sie hinterher Konrads Überreste entsorgen mussten, das würde sowieso eine Mordssauerei werden, ihm graute schon davor. Aber es machte sicher auf ihren Kunden auch keinen guten Eindruck, wenn der sein Opfer, in Erbrochenem schwimmend, bereits halbtot, vorfand. Der zweite Mann hatte seine Waffe, die er für alle Fälle eingesteckt hatte, aus dem Holster gezogen und zeigte sie nun Konrad. „Eine falsche Bewegung und du bist tot!“ drohte er ihm und eingeschüchtert erhob sich der losgebundene Mann und wankte zur Toilette, wo er sich übergab. Als alles draussen war, reinigte er sich und ging ohne Widerstand, denn die Waffe im Anschlag belehrte ihn eines Besseren, wieder zum Bett und ließ sich fesseln, wie ihm die Männer bedeuteten. Als der eine Entführer ihm wieder den Knebel in den Mund stecken wollte, sah Konrad ihn mit weit aufgerissenen Augen an. „Bitte nicht, ich kriege da keine Luft drunter!“ bat er und nach kurzer Überlegung legte der Forenbetreiber den Knebel beiseite. Eigentlich war es ja egal, wenn Konrad schrie. Hier draussen konnte ihn sowieso keiner hören und vielleicht gefiel es Kayser ja auch besser, wenn sein Opfer Laute von sich gab-ansonsten konnte man ihn ja jederzeit wieder knebeln, wenn es zur Sache ging, aber erst einmal mussten sie die Wartezeit überbrücken, bis ihr Kollege mit Kayser eintraf.


    Konrad hatte , als er vom Bad zurückkam, auf dem Tisch die ausgebreiteten Folterwerkzeuge gesehen und die blanke Panik hatte von ihm Besitz ergriffen. Nun ahnte er, was die Männer mit ihm vorhatten! Oh mein Gott, nie hätte er sich träumen lassen, dass er in seinem Leben in so eine Situation kommen würde! Was ihn ebenfalls beunruhigte war, dass die keine Masken getragen hatten. Er würde sie jederzeit identifizieren können, aber so ließ diese Tatsache wohl darauf schliessen, dass sie nicht vorhatten, ihn lebend entkommen zu lassen. Na klar, sonst wäre ja auch Tewett geliefert und das würde der nie zulassen! Sein sowieso nicht völlig gesundes Herz schlug ihm vor Aufregung bis zum Hals und er begann sich nun mit dem Gedanken an seinen baldigen Tod auseinanderzusetzen.


    Auch Ben war ja gefoltert worden, allerdings hatte er von dem gar nicht so genau wissen wollen, was er durchgemacht und welche Verletzungen er überhaupt davongetragen hatte. Manche Dinge waren augensichtlich gewesen, andere wahrscheinlich nicht, aber er war völlig überzeugt davon gewesen, dass der im Krankenhaus in besten Händen war und nachdem auch Sarah an seiner Seite gewesen war, hatte er sich bald verabschiedet, um zu seinem Tennismatch zu kommen. Nun sah er, was er davon hatte! Hätte er sich mal lieber mehr mit seinem Sohn beschäftigt, dann würde er jetzt nicht hierliegen. Vielleicht war es das letzte Mal gewesen, dass sie sich gesehen hatten! Er überlegte voller Kummer, mit welchen Allgemeinplätzen sie sich begnügt hatten. Er hatte ihm überhaupt nicht gesagt, wie viel er ihm bedeutete und wie froh er war, dass er die Entführung und Folterung überlebt hatte. Irgendwie hatte er sich nämlich ein wenig schuldig gefühlt, dass er Ben erst mit Berghoff zusammengebracht hatte. Aber er hatte doch auch nicht ahnen können, was aus diesem mittelalterlichen Dinner entstehen würde! Und nun war er selber das Opfer. Wie das Ganze zusammenhing, wusste er zwar nicht, aber es war naheliegend, dass das kein Zufall war.


    Noch während Konrad seinen trüben Gedanken nachhing und versuchte, sich mental gegen die kommenden Schmerzen zu wappnen, vernahm er, wie ein Auto vorfuhr. Man hörte Stimmen von draußen und wenig später öffnete sich die Eingangstür. Die beiden Männer, die ihn zur Toilette gelassen hatten, hatten sich wieder zurückgezogen und die Tür hinter sich geschlossen. Konrad hatte aber die ganzen Webcams schon entdeckt, die auf das Bett gerichtet waren und konnte sich vorstellen, welchem Zweck die dienten. Der Schweiß brach ihm aus und ein völliges Gefühl der Hilflosigkeit hatte von ihm Besitz ergriffen. In wenigen Sekunden würde er seinem Henker gegenüberstehen.


    Ben hatte wieder zum Telefon gegriffen. Semir´s Handynummer hatte er ja noch auswendig gewusst, aber dann wurde es schon schwierig! Er hätte gern Julia verständigt, denn nicht nur, dass auch sie ein Recht darauf hatte, zu erfahren, dass ihr Vater gekidnapped war, sondern er brauchte auch private Sachen aus seiner Wohnung. Auf Normalstation war so ein Flügelhemdchen wohl nicht die richtige Bekleidung und langsam waren ja auch seine Wunden wieder soweit verheilt, dass er ein Shirt und eine kurze Sporthose tragen konnte-nur hatte er da überhaupt nichts dabei! Leider wusste er Julia´s Handynummer nicht auswendig und beim Festnetzanschluss hatten sie und ihr Mann eine Geheimnummer. Gut, Susanne würde auch diese Nummern alle rausfinden können, aber eigentlich hatte ja auch nur Semir einen Schlüssel zu seiner Wohnung-und natürlich Sarah, aber die wollte er nicht belästigen, denn die war instande und setzte sich mit Fieber ins Auto, um ihm seine Sachen zu holen und das wollte er nicht.
    Also wählte er nach kurzer Überlegung Semir´s Festnetznummer. Entweder war der daheim, oder Andrea konnte ihm zumindest weiterhelfen. Normalerweise hatte Semir sein Handy auch immer dabei und würde auch hingehen, wenn er anrief, aber entweder war der immer noch sauer, weil sie gestritten hatten, oder was noch viel wahrscheinlicher war-er war nicht rangegangen, weil ihm die anrufende Nummer ja nicht bekannt war! Also wählte Ben und lauschte dann dem Tuten im Hörer, bis eine Frauenstimme sich mit „Gerkan!“ meldete. „Andrea, ich bin´s Ben-ist Semir da?“ fragte Ben aufgeregt. „Nein, der hat einen Einsatz und kommt erst spät nach Hause, wie er mir gesagt hat!“ erklärte Andrea. „Wie geht´s dir denn?“ fragte sie und Ben wiegelte ab: „Schon wieder ganz gut, allerdings würde ich ein paar Sachen aus meiner Wohnung brauchen und Sarah liegt mit Grippe flach, die kann ich da nicht schicken. Könntest du Semir bitten, mich sofort zurückzurufen, auch mitten in der Nacht, wenn er nach Hause kommt? Ich probiers schon nochmal auf seinem Handy, aber da ist er gerade nicht rangegangen!“ erklärte er. „Ist gut, ich richte es ihm aus, oder lege ihm einen Zettel hin!“ versprach Andrea und notierte sich noch die Telefonnummer. „Gute Besserung Ben-ich würde ja selber deine Sachen für dich holen, aber die Kinder sind gerade ins Bett gegangen, die kann ich nicht alleine lassen!“ erklärte sie ihm noch. „Bis morgen komme ich schon noch durch!“ sagte Ben und legte auf.
    Sollte er nun doch in der PASt anrufen, damit eine Fahndung nach seinem Vater herausgegeben wurde? Jedem anderen Menschen hätte er eingebläut, sich im Entführungsfall immer vertrauensvoll an die Polizei zu wenden und nun hatte er selber einen Riesenfehler gemacht! Wenn sein Vater den mit dem Leben bezahlen musste, würde er nie mehr froh werden! Entschlossen nahm er wieder den Hörer zur Hand und wählte die Nummer der PASt.

  • Hartmut betrat die hell erleuchtete Hütte. Sein Blick fiel auf das gefesselt auf dem Bett liegende Opfer. Und nun traf ihn fast der Schlag. Wer da lag, war niemand anderes als Ben´s Vater, Konrad Jäger. Auch der hatte völlig überrascht auf seinen vermeintlichen Peiniger geblickt, ihn aber ebenfalls sofort erkannt. Die roten Haare von Ben´s Kollegen, den er schon gelegentlich mal getroffen hatte, hatten sich ihm eingeprägt. Ohne zu überlegen, rief er verdattert aus: „Herr Freund, was tun sie denn hier?“ und nun passierten mehrere Dinge gleichzeitig.


    Hartmuts Begleiter hatte sofort kapiert, dass das eine Falle war und dachte in diesem Augenblick nur an eines: Flucht ! Er drehte sich auf dem Absatz um und rannte, vorbei an mehreren schwarz gekleideten Polizisten, die zu spät reagierten, zum bereitstehenden Geländewagen, den er startete und mit halsbrecherischer Geschwindigkeit Richtung Waldrand und damit in die Freiheit lenkte.
    Konrad war die letzte halbe Stunde auch nicht untätig gewesen. Unbemerkt von seinen Bewachern, hatte er die beiden Stricke gelockert, mit denen seine Hände gefesselt waren. Er würde sich nicht abschlachten lassen, wie ein Opferlamm, sondern mit aller Macht um sein Leben kämpfen, hatte er beschlossen. Er schlüpfte deshalb aus den Stricken, fuhr hoch, um die beiden Fußfesseln ebenfalls zu entfernen und dann mit Hartmut zu fliehen. Die beiden Bewacher im Nebenzimmer waren entsetzt aufgesprungen und ins Hauptzimmer der Hütte gestürzt. Sie sahen Konrad hochfahren und nun zog der eine Forenbetreiber, der gerade dabei war, die Nerven zu verlieren, seine Waffe. Hartmut bemerkte das aus dem Augenwinkel und als der erste Schuss fiel, sprang er nach vorne, um Konrad mit seinem Körper zu schützen. Eigentlich hatte der Forenbetreiber nur einen Warnschuss abgeben wollen, um die Polizei, die sicher draußen war, auf Abstand zu halten, dann Konrad die Waffe an den Kopf zu halten und sich so die Freiheit zu erpressen, denn ihr Mitwisser hatte sich ja mit dem Wagen aus dem Staub gemacht. Leider sprang ihm der rothaarige Mann, von dem er so sicher gewesen war, dass der Kayser hieß-er hatte doch so gründlich recherchiert-genau ins Schussfeld und stürzte nun mit einem Aufschrei zu Boden. Im Reflex drückte er ein zweites Mal ab, aber dieser Schuss bohrte sich nur in die Holzwand.
    Plötzlich hörte man von draussen den Ruf: „Zugriff!“ und nun war der Raum auf einmal voller schwarz gekleideter Polizisten. Bis sie sich versahen waren die beiden Männer überwältigt und lagen gefesselt, Gesicht nach unten auf dem Boden. Konrad saß wie erstarrt auf dem Bett und blickte auf Hartmut, der sich stöhnend den Oberschenkel hielt, wo ihn die Kugel getroffen hatte. Semir war mit zwei Schritten bei ihm, besah sich die Wunde und stellte fest, dass die Kugel noch drinsteckte und es zwar blutete, aber im Moment wohl keine akute Lebensgefahr bestand. Einer der anderen Polizisten hatte schon Einmalhandschuhe angezogen und drückte nun ein Verbandpäckchen, das er in der Weste getragen hatte, auf die Verletzung. Auch Semir war völlig verdattert, als er Konrad erkannte, allerdings war ihm nun auch klar, was Ben bewogen hatte, die Erklärung zu unterschreiben.


    In diesem Augenblick hörte man draussen, noch etwas entfernt, zwei Motoren aufheulen. Der flüchtige Forenbetreiber war am Waldrand angekommen, hatte festgestellt, dass die Ausfahrt von mehreren Fahrzeugen blockiert war und hatte gewendet, um nun zurückzufahren und einen anderen Weg aus dem Wald heraus zu suchen. Die Chefin, die gewartet hatte und per Funk über die neuesten Entwicklungen auf dem Laufenden war, rutschte auf den Fahrersitz von Semir´s BMW und startete den. Mit halsbrecherischer Geschwindigkeit folgte sie dem Flüchtigen in den Wald. Der einzige Weg führte wieder an der Hütte vorbei und Semir hatte sich umgedreht und war nach draußen gelaufen. Beinahe hätte ihn der Mann am Steuer des Mercedes überfahren, aber Semir rettete sich mit einem beherzten Sprung zur Seite. Die Krüger hielt neben ihm an und Semir riss die Fahrertür auf: „Chefin, rutschen sie rüber!“ sagte er nur und nahm nun selbst hinter dem Steuer Platz. Einen kleinen Vorsprung hatte der Geländewagen, aber weil der Fahrer sich ja im Wald auch nicht auskannte, musste er den Weg suchen und Semir hatte den Vorteil, dass er nur den Schlusslichtern folgen musste und so ein höheres Tempo einschlagen konnte. „Anschnallen, Chefin!“ befahl Semir nur und mit zitternden Fingern befestigte die Krüger den Gurt. Der BMW, der ja nun wirklich nicht für so ein Gelände gebaut war, raste über den unebenen Waldweg, der von den Holzfahrzeugen aufgewühlt und beschädigt war. Fahrer und Beifahrerin wurden hin und hergeworfen, aber bald waren sie unmittelbar hinter dem Mercedes. Semir nahm Kontakt zur PASt auf: „ Hier Cobra 11 für Zentrale: Susanne, wir verfolgen einen Flüchtigen durch den Wald. Sag uns, wo wir hinfahren!“ rief er ins Funkgerät und wenig später kam von Susanne, die sich die Karte und die Ortung des BMW angesehen hatte, die Auskunft. „Wenn der Fahrer auf diesem Weg weiterfährt, kommt er in zwei Kilometern an eine Strasse. Allerdings kommt ihr da nicht durch, er mit dem Geländewagen schon!“ und wie zum Beweis holperte ihr Fahrzeug mehr und mehr. Ein Frontspoiler flog weg, Äste schrammten über den glänzenden Lack des BMW und einmal saßen sie auf, aber Semir hatte den Wagen in kürzester Zeit wieder flott. „Chefin, sie müssen auf die Reifen zielen, ich halte den BMW gerade dahinter, sonst ist er weg und bis wir da eine Fahndung rausgegeben haben, ist der Typ über alle Berge!“ schrie Semir und die Chefin nickte, entsicherte ihre Waffe und ließ das Fenster herunter. Sie brauchte drei Schüsse, aber dann war es geschafft. Der Mercedes ließ sich mit seinem geplatzten Reifen nicht mehr in der Spur halten und raste mit hoher Geschwindigkeit direkt in den Wald. Ein Baum brachte ihn zum Stehen und es war nur den Airbags und dem stabilen Wagen zu verdanken, dass der Fahrer da mit dem Leben davonkam. Bis sich der Rauch aus den Airbags verzogen hatte, stand Semir neben dem Geländewagen, riss die Tür auf, die etwas klemmte und zog den verdatterten, noch geschockten Fahrer, heraus. Er wurde mit Handschellen gefesselt und im Fond des BMW plaziert. Zu dritt tuckerten sie nun langsam zur Waldhütte zurück, in der jetzt hektisches Treiben herrschte.

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