Burgen, Schlösser und Ganoven

  • Die Herbstferien standen vor der Tür. Semir und Ben hatten sich ein paar Tage Urlaub genommen. Eigentlich war das zusammen immer ein wenig schwierig, aber angesichts ihrer hervorragenden Aufklärungsquote der letzten drei Monate, hatte Frau Krüger dann doch zugestimmt.


    Zwischen Ben und seiner Freundin Sarah hatte es ein wenig gekracht. Es war nicht richtig schlimm, aber eigentlich hatten sie die Woche Urlaub gemeinsam verbringen wollen, das war nun gecancelt. Ben hatte die Schnauze voll, dass er immer aufräumen und putzen sollte-er war ja schließlich nicht derjenige gewesen, der die Putzfrau abbestellt hatte. Wenn Sarah sich von der in irgendeiner Weise beeinträchtigt fühlte, sollte sie selber sauber machen-er war dafür nicht zuständig!
    Sarah war zornig und wütend zu ihrem Cousin nach Verden an der Aller gefahren, der dort eine Pferdepension betrieb. Sie war immer schon gerne mit diesen wunderbaren Tieren umgegangen und brauchte einfach ein wenig Abstand zu dieser Sache. Sie würde ausspannen, reiten gehen und dann überlegen, wie es mit Ben und ihr weitergehen sollte. Eigentlich liebte sie ihn noch wie am ersten Tag, aber seine Unordnung brachte sie manchmal zur Weißglut! Sie war doch nicht dazu geboren, den ganzen Tag hinter ihm herzuräumen! Trotzdem hatte sie sich von ihm in aller Ruhe verabschiedet und er hatte es akzeptiert, dass sie diesen Urlaub, anders wie geplant, jeder für sich verbringen würden.


    Auf der letzten Tour vor den Ferien erzählte Semir seinem Freund und Kollegen, was für die nächste Woche geplant war. „Stell dir vor! Andrea´s beste Freundin aus Kindertagen hat einen Hotelier geheiratet und der hat ein Vier- Sterne –Hotel im Allgäu. Die hat uns eingeladen, wir kriegen für diese Woche einen Super-Sonderpreis und so hoffen wir, dass wir mit den Kindern ein paar erholsame Tage in den Bergen verbringen können. Außerdem reißt mir Ayda fast die Haut runter-die nehmen in Heimat-und Sachkunde gerade König Ludwig den Zweiten und seine Königsschlösser durch. Ayda will die jetzt alle besichtigen-und das mit mir, wo ich doch da überhaupt kein Interesse habe!“ erklärte er Ben und der musste schmunzeln. „Du, ob du´s glaubst oder nicht, mir gefällt sowas auch-ich stelle mir dann immer vor, wie ich mich damals wohl als König oder Schlossherr gefühlt hätte, wie ich meinen Blick über meine Ländereien schweifen lasse und solche Sachen-da kann ich Ayda´s Interesse voll nachvollziehen!“ erklärte er und Semir stöhnte auf. „Na klar der Herr-unsereiner wäre als Kind froh gewesen, ein eigenes Kinderzimmer zu haben, das man nicht mit zwei Geschwistern teilen muss und der noble Herr lässt seinen Blick über seine Ländereien schweifen!“ stichelte er und nun hielt Ben die Klappe. Mann, er konnte doch auch nichts dafür, dass er mit dem goldenen Löffel im Mund geboren worden war. Dafür hatte er nach dem frühen Tod seiner Mutter nie richtige Liebe erfahren-immer ging es bei seinem Vater nur ums Geld und die Firma, eigentlich erstaunlich, dass sie sich trotzdem wieder einigermaßen gut verstanden-da hatte es schon andere Zeiten gegeben.


    Nun erzählte Ben seinerseits Semir von dem Zoff mit Sarah. „Weißt du, eigentlich liebe ich sie immer noch wie am ersten Tag, aber diese blöde Putzerei regt mich auf. Sie hat schließlich die Putzfrau abbestellt-ist das mein Problem? Ständig mosert sie, ich soll meine Klamotten nicht auf den Boden werfen, den Tisch abräumen, oder sogar das Waschbecken putzen, da habe ich aber null Lust zu!“ regte er sich auf. Semir war nun erst mal still. Bevor Sarah bei Ben eingezogen war, war es nur zweimal die Woche kurz sauber gewesen-wenn unmittelbar zuvor die Putzfrau dagewesen war, sogar ihn hatte dieses Chaos manchmal aufgeregt, obwohl es ihn eigentlich gar nichts anging. Ben hatte immer Personal gehabt, das hinter ihm herräumte-so ganz verkehrt war der Vergleich mit dem Schlossherrn gar nicht gewesen. Um vom Thema abzulenken fragte er dann: „Wolltet ihr nicht zusammen wegfahren?“ aber da sah Ben starr zum Fenster raus. Oh je, das war nicht gut! Spontan fiel Semir ein, wie er seinen Freund auf andere Gedanken bringen konnte. „Hör mal, wenn du jetzt nichts vorhast in dieser Woche-möchtest du nicht mit uns ein paar Tage ins Allgäu fahren und mich bei den Schlossbesichtigungen unterstützen?“ fragte er und sogleich war Ben wieder guter Laune. „Mensch, tolle Idee-ich war da zwar als Kind schon überall, aber die Königsschlösser würden mich schon mal wieder interessieren-mal sehen, ob Ayda und ich dich Banausen noch ein wenig auf den Kulturtrip bringen können!“ stichelte er und nun musste Semir grinsen. „Abgemacht-ich hoffe, du kriegst noch ein Zimmer, aber sonst freuen wir uns auf unseren gemeinsamen Urlaub!“ erklärte er und nachdem er genau in diesem Moment rechts überholt wurde, drückte er aufs Gaspedal und sie holten, sozusagen als letzte Tat vor dem Urlaub, noch den Verkehrssünder heraus, belehrten ihn und verpassten ihm einen Strafzettel.


    Nach Dienstschluss fuhr Ben gleich noch mit zu den Gerkans, bei denen sich das Urlaubsgepäck schon im Flur stapelte. „Ich habe keine Ahnung, wo wir das alles unterbringen sollen!“ stöhnte Andrea, denn privat besaßen sie ja nur einen Kleinwagen. „Kein Problem!“ erklärte Ben und nachdem sie mit einem kurzen Anruf geklärt hatten, dass es durchaus auch für Ben noch ein Zimmer gab-natürlich zum Regulärpreis- versprach er am nächsten Morgen gegen acht vorbeizukommen und einen Teil des Gepäcks und vor allem Ayda dann mit seinem Oldtimerporsche mitzunehmen. Die begann schon vor Freude und Aufregung von einem Fuß auf den anderen zu hüpfen und strahlte: „Au ja, Onkel Ben fährt mit uns in Urlaub-und ich darf vorne sitzen!“ und damit war die kommende Woche schon verplant.

  • Wie geplant fuhren sie am nächsten Morgen los. Ben und Ayda waren natürlich weit früher an der Autobahnraststätte, zu der sie sich zum Mittagessen verabredet hatten, aber am frühen Nachmittag waren sie dann alle schon in dem wunderschönen Hotel in Schwangau angekommen. Andrea und Semir hatten eine Suite, die sogar aus zwei Zimmern bestand, so dass sie sich auch im Wohnbereich aufhalten konnten, wenn die Kinder abends schliefen. Ben´s Zimmer war direkt daneben und wenn man aus dem Fenster sah, hatte man als Highlight aus etwa einem Kilometer Entfernung einen direkten Blick auf die beiden Königsschlösser Hohenschwangau und Neuschwanstein.


    Andrea´s Freundin hatte die Ankömmlinge freundlich begrüßt und nachdem sie nun so lange gesessen hatten, gingen sie erst mal ein wenig nach draußen, um sich die Füße zu vertreten. Da standen gleich neben dem Ort noch Kühe auf der Weide, eine besondere Rasse, nämlich Allgäuer Braunvieh, das robust, freundlich und genügsam war und nachdem die Kinder eine besonders neugierige Kuh zur Freundin erklärt hatten und sie durch den Zaun hindurch heftig gestreichelt hatten, war Andrea sehr froh, dass das Hotel auch einen kleinen Wellnessbereich mit großem Pool und einem separaten Whirlpool hatte, sonst hätte man die Kinder wohl nicht mehr von ihrer neuen Freundin weggebracht. So planschten sie dann allerdings noch vergnügt und kurz nach dem hervorragenden Abendessen fielen die Kinder todmüde ins Bett. Andrea, Semir und Ben ließen den Abend noch mit einem wunderbaren Glas Rotwein ausklingen und Ben wurde sich bewusst, dass er Sarah zwar vermisste, das aber die beste Entscheidung gewesen war, mit den Gerkans in Urlaub zu fahren.


    Am nächsten Morgen-alle hatten wunderbar geschlafen- gingen sie nach dem Frühstück los, um das erste Königsschloss in Angriff zu nehmen. Die Wanderung über den kurzen Kilometer bis zum Kartenverkauf, der für beide Schlösser im Tal stattfand, war auch für die kleine Lilly problemlos zu bewältigen und während Ben eine gefühlte Ewigkeit für die Eintrittskarten anstand, musterte er die Umstehenden. Irgendwie hatte er beinahe den Eindruck, dass sie hier die einzigen Deutschsprachigen waren. Die Luft schwirrte vor asiatischen Ausrufen, Unterhaltungen auf Englisch, Russisch und Holländisch füllten den Raum und im Gegensatz zu früher bekam man den Termin für die Führung fest mitgeteilt und so sollten sie zwei Stunden später auf dem ersten Schloss zu einer deutschsprachigen Führung sein.
    Nachdem sie ja noch Zeit übrig hatten, gingen sie an den Alpsee, der sich wundervoll zu Füßen der beiden Schlösser erstreckte und fütterten die Schwäne mit ein paar zerkrümelten Keksen, die Andrea in ihrer unerschöpflichen riesigen Handtasche gefunden hatte. „Sag mal-was hast du eigentlich nicht dabei?“ fragte Ben, der mit gerunzelter Stirn das Monstrum begutachtet hatte. „Ne Rolltreppe-sonst ist da Alles drin, was zum Überleben notwendig ist!“ antwortete Semir für Andrea, die ein wenig verkniffen kuckte, während die beiden Männer in fröhliches Gelächter ausbrachen. Die hatten doch keine Ahnung, was man als Frau und auch Mutter unterwegs so alles brauchte!


    Langsam wanderten sie später den bewaldeten Berg hinauf. Ayda war schon ganz aufgeregt, bald würde sie ihre erste Schlossführung bekommen. Lilly musste nach der Hälfte getragen werden, aber weil sie sich abwechselten, war das auch ganz gut zu bewältigen.
    „Wisst ihr was-morgen fahren wir aufs nächste Schloss mit der Pferdekutsche!“ kündigte Ben an, denn nach Neuschwanstein ging es schon wesentlich steiler und weiter hinauf, als aufs sommerliche Wohnschloss der bayerischen Königsfamilien. „Au ja!“ schrien die Kinder und nun konnte Lilly sogar das letzte Stück noch selber laufen. Oben besichtigten sie erst noch den kleinen Schlossgarten, bis es Zeit wurde für ihre Führung. Ben war ein wenig befremdet. Tatsächlich wurden da die Besuchergruppen straff durchorganisiert durchgeschleust, anders als er das letzte Mal dagewesen war, allerdings machte die Führerin eine kindgerechte Führung und ging insbesondere auf die Dinge ein, die Kindern gefielen. Hinter Tapetentüren waren Gänge für die Dienstboten zu finden, von wo die auch die Öfen heizen mussten. Überall war eine einzige Pracht und die Wände waren mit Bildern aus der deutschen Sagenwelt bemalt.
    Als man die Betten der Königsfamilie besichtigt hatte, war Ayda ganz beeindruckt, als man den gewellten Teppich im Schlafzimmer sah. „Da hat der König Ludwig der Zweite jeden Tag gebadet. Man stellte ihm immer eine Badewanne vors Bett und weil er so geplanscht hat, ist jetzt der Teppich wellig!“ erklärte sie ihrer kleinen Schwester, die sie mit großen Augen ansah, nochmal, was gerade die Führerin erzählt hatte. Nach 45 Minuten war die Führung beendet und sie strebten wieder dem Tal zu, wo sie mit den Kindern nach einem kleinen Imbiss noch auf einem Spielplatz waren, bis es Zeit zum Abendessen war.


    Wieder schliefen die Kinder hervorragend und auch die Erwachsenen begannen langsam einen Gang runterzuschalten und die Erholung wirken zu lassen. Die gute Luft, die umliegenden Berge, das hervorragende Essen und vor allem auch die nette Gesellschaft brachten unheimlich Erholung.
    Am nächsten Tag war Neuschwanstein dran und für Lilly war das Highlight die Fahrt mit der Pferdekutsche. Auch diese Schloss glänzte mit seiner Pracht, obwohl es ja nie fertiggestellt wurde, aber als sie nach einer längerdauernden Führung treppauf, treppab wieder draußen waren sagte Semir entschlossen: „Also für diesen Urlaub war das für mich Kultur genug!“ und so machte an den nächsten Tagen Ben mit Ayda alleine noch zwei Touren zu Schloss Linderhof mit der Venusgrotte und am nächsten Tag an den Chiemsee, wo auf einer Insel mitten im See das Schloss Herrenchiemsee als kleiner Nachbau von Versailles auf sie wartete. Semir und Andrea gingen derweil mit Lilly spazieren, besuchten Spielplätze und einmal fuhren sie noch alle miteinander gemeinsam mit der Bergbahn auf den Tegelberg. Ayda konnte gar nicht genug kriegen und hätte noch weitere Schlösser angeschaut, aber bis sie sich versahen, war die Woche Urlaub schon wieder vorbei. Nach der letzten Schlossbesichtigung machte Ayda ein trauriges Gesicht. „Was ist los, Ayda?“ wollte Ben wissen. „Ich habe gar keine Folterkammer gesehen, dabei hat uns unsere Lehrerin davon Bilder gezeigt!“ sagte sie enttäuscht. „Weißt du Ayda, wir waren jetzt in lauter Wohnschlössern, da wollten die Könige nichts mit Verbrechern zu tun haben, aber es gibt auch bei uns in der Nähe viele Burgen, wo die Gerichtsbarkeit ausgeübt wurde. Ich verspreche dir, wenn wir wieder zu Hause sind, suche ich da eine aus und fahre dann mit dir dorthin!“ versprach Ben und so war Ayda nun auch wieder glücklich.


    Am Abreisetag, dem Freitag, klingelte morgens Ben´s Telefon. Sein Vater war dran. „Ben, hättest du nicht Lust, mich auf ein spezielles Schlossdinner bei einem Geschäftsfreund heute Abend zu begleiten? Es wäre mir wichtig, denn das ist ein guter Kunde und Geschäftspartner und für den ist die richtige Anzahl an Gästen sehr wichtig. Julia würde nur mitkommen, wenn ihr Mann auch mitdarf, aber das geht nicht, weil die Plätze begrenzt sind!“ erklärte sein Vater wortreich. Ben überlegte kurz-warum eigentlich nicht, immerhin wollte er auch seinen Vater nicht vor den Kopf stoßen, sie kamen ja gerade ganz gut miteinander aus, was nicht immer so gewesen war. Anscheinend verfolgten ihn jetzt die Schlösser gerade, keine Ahnung, was das für ein Zeichen war. Wenn er zu Hause war, würde er am Wochenende auch mit Sarah sprechen, sie würden schon irgend eine Lösung für ihr Problem finden, da war er sich ganz sicher, er vermisste sie nämlich ganz schrecklich und hatte ihr das auch geschrieben. Aber sowas konnte man nicht am Telefon erledigen. Sarah würde auch erst am Sonntag, gut erholt, zurückkommen, wie sie ihm mitgeteilt hatte und so würde er mal seinem Vater zuliebe heute mit auf dieses spezielle Dinner gehen. „Sei bitte um 18.00 Uhr im Anzug bei mir!“ bat sein Vater noch und Ben versprach pünktlich zu sein.

  • Nach einer zügigen Heimfahrt mit Gott sei Dank wenigen Staus und fast gleichzeitiger Ankunft der beiden Autos, lud Ben Ayda zuhause ab und machte sich wieder auf den Weg zu seiner Wohnung. Er stellte sein Reisegepäck in den Flur, schmiss seine Jacke in die Ecke und ließ sich aufs Sofa fallen, um die Post der vergangenen Woche durchzusehen. Dann stand er allerdings auf, hängte seine Jacke ordentlich an den Haken und packte seine Tasche aus. Immerhin war er in dieser Woche zu dem Entschluss gekommen, dass Sarah vielleicht ein bisschen Recht hatte und seine Unordentlichkeit manchmal nervenaufreibend war. Gut, vielleicht hatten die Gespräche mit Semir und Andrea auch etwas dazu beigetragen. Nach kurzem Überlegen stellte er sogar eine Waschmaschine an-er hoffte, dass er die richtigen Sachen miteinander reingeworfen hatte, so genau kannte er sich da nicht aus, aber gut, er war, um Sarah zu behalten bereit, sich zu bessern. Ihm hatte gerade auch der Urlaub mit Familienanschluss so gut gefallen, irgendwann wollte er eine eigene Familie und vielleicht war ja Sarah wirklich die richtige Frau dazu.


    Dann sah er auf die Uhr, sprang noch kurz unter die Dusche, um den Reisestaub von sich abzuwaschen und schlüpfte dann in seinen Anzug. Sein weißes Hemd hing frisch gebügelt daneben-als er noch alleine gelebt hatte, wäre da jetzt erst eine hektische Suchaktion von statten gegangen, aber irgendwie war das schon angenehm, wenn die Dinge an ihrem Platz waren. Sein Magen knurrte inzwischen vernehmlich, aber er widerstand dem Drang, beim nächsten Schnellimbiss anzuhalten, sondern fuhr zügig durch zum Haus seines Vaters in Düsseldorf. Immerhin erwartete ihn jetzt ein Schlossdinner, da musste er schon Hunger mitbringen!


    Nahezu pünktlich kam er bei seinem Vater an, stellte den Porsche in den Hof des hochherrschaftlichen Hauses, in dem er aufgewachsen war und erklomm mit wenigen Schritten die Freitreppe. Sein Vater, ebenfalls chic gestylt, erwartete ihn schon und wenig später waren sie schon im Jaguar seines Vaters unterwegs zum Schlösschen seines Geschäftsfreundes. Sein Vater erzählte Ben: „Weißt du, dieser Joachim Berghoff ist ein guter Kunde von mir. Er hat sich vor Jahren ein kleines, marodes Schlösschen am Rhein gekauft und da musste wahnsinnig viel renoviert und angebaut werden, was größtenteils unsere Firma erledigt hat-natürlich gemeinsam mit Restauratoren und dem Denkmalschutz. Das war ein Millionenprojekt, aber jetzt ist es fertig und das Schlösschen bietet alle Annehmlichkeiten eines modernen Lebens, von Bädern über Heizung, einem gedämmten Dach etc., sieht aber nach außen hin immer noch aus, wie vor 300 Jahren, als es gebaut wurde. Joachim ist ein Fanatiker, für das Geld, das er da reingesteckt hat, hätte er sich ein Anwesen bauen können, das seinesgleichen sucht, aber er wollte unbedingt diesen besonderen Touch.
    Nun hatte er die Idee, da immer mal wieder Dinner unter einem besonderen Motto zu veranstalten und heute hat er die Artussage aufgegriffen. Normalerweise wären das ja 12 Ritter, aber weil man doch die Frauen nicht vor den Kopf stoßen konnte, hat er kurzerhand die Zahl verdoppelt, so dass wir jetzt genau 24 Personen sind. Ich freue mich jetzt, dass du mit mir mitkommst, denn wie gesagt, Julia wollte nicht und ich hätte sonst nicht gewusst, wen ich mitnehmen sollte, damit die Zahl auch stimmt. Joachim ist in solchen Dingen etwas sonderbar!“ erklärte er und gegen 19.30 Uhr waren sie auch schon da.


    Sie wurden von echten Dienstboten empfangen, die ihnen unterwürfig den Mantel abnahmen. Ben fühlte sich nicht wohl, weil sich diese Menschen benahmen, wie wenn sie Personen zweiter Klasse wären, aber um seinen Vater nicht vor den Kopf zu stoßen, sagte er nichts, sondern lächelte die Angestellten, die für den Service sorgten, nur freundlich an.
    Berghoff kam mit ausgestreckten Armen und gewinnendem Lächeln auf sie zu, aber trotzdem war er Ben von der ersten Sekunde an unsympathisch. Er war Mitte fünfzig, trug einen merkwürdigen Spitzbart und war groß und schlank. Gekleidet war er in ein historisches Gewand. Trotzdem begrüßte auch er freundlich den Geschäftspartner seines Vaters und danach die anderen Gäste. Alle waren vornehm gekleidet und innerlich stöhnte Ben auf, denn die benahmen sich alle so gestelzt und unnatürlich. Man nahm dann um einen runden Tisch Platz, in dessen Mitte ein wenig erhöht ein wunderschöner Pokal stand. „Nachdem ich leider den Heiligen Gral nicht habe erwerben können, muss halt dieses Gefäß jetzt symbolisch dafür herhalten!“ erklärte Berghoff seinen Gästen, bevor er in die Hände klatschte und das sechsgängige Menü begann. Es wurden die wunderbarsten Köstlichkeiten aufgetragen, gekocht nach Originalrezepten aus dem Mittelalter. Fasan und Wildente, abwechselnd spezielle alte Salat-und Gemüsezüchtungen wie Erdbeerspinat etc. fanden in einem exquisiten Menü Verwendung. Die Gespräche bei Tisch drehten sich hauptsächlich um geschichtliche Themen und Ben dankte Gott, dass durch den Kulturlaub der letzten Woche seine Kenntnisse wieder so weit aufgefrischt waren, dass er sich nicht blamierte.


    Bevor das Dessert serviert wurde, trafen sich die Herren zu einem Glas Whiskey auf der Schlossterrasse und Ben genoss den Ausblick über den nächtlichen Rhein. Der Gastgeber gesellte sich zu ihm und höflichkeitshalber unterhielt sich Ben dann mit ihm. Irgendwie kamen sie dann darauf, dass die Tochter seines Freundes sehr enttäuscht gewesen war, dass die Königsschlösser keine Folterkammern aufzuweisen hatten, wie Ben erzählte. Mit blitzenden Augen erzählte dann sein Gastgeber: „Wenn sie da etwas ganz Besonderes sehen möchten-ich bin da gerade an einer weiteren Immobilie dran, da gibt es noch eine originale Folterkammer mit allen Geräten. Wenn sie möchten, mache ich ihnen eine Privatführung!“ erklärte er und Ben stimmte erstaunt zu, vor allem, weil Berghoff auch beteuerte, dass es nur eine Stunde Fahrtzeit von Köln wäre. Für den nächsten Nachmittag machten sie einen Termin aus. „Aber bringen sie das Kind noch nicht mit!“ bat der Schlossherr. „Machen sie sich erst mal selber ein Bild davon, ob dieser Anblick nicht zu belastend für so ein junges Ding ist!“ Ben wagte das zwar zu bezweifeln, denn Ayda hatte ihm voller Begeisterung auf ihren gemeinsamen Touren von den Folterungen und Hexenverbrennungen erzählt, die sie in der Schule durchgenommen hatten. Kinder waren da grausam und außerdem stellten sie da sicher keinen Bezug dazu her, dass an solchen Orten echten Menschen auch echte Schmerzen zugefügt worden waren. Für die war das wie ein Erlebnispark, der einem geisterbahnartig, angenehme Schauer über den Rücken rieseln ließ. Aber gut, er hatte morgen sowieso nichts vor, Sarah würde erst am Sonntag Abend zurückkommen und so konnte er gleich seine Kulturwoche noch mit einer Privatführung abrunden. Nach dem Dessert brachen die Gäste nacheinander auf und Ben war so müde und vollgegessen, dass er auf der Fahrt neben seinem Vater sogar einschlief. In Düsseldorf angekommen, verabschiedete er sich von seinem Erzeuger und machte sich gähnend auf den Weg nach Hause, wo er sofort todmüde ins Bett fiel.

  • Am nächsten Tag schlief Ben erst mal bis mittags. Danach ging er gemütlich duschen und weil im Kühlschrank so überhaupt nichts zu finden war, beschloss er auf dem Weg zu der alten, halb verfallenen Burg noch schnell bei einem Schnellimbiss vorbeizuschauen. Mann, am Rückweg musste er dringend einkaufen! Wenn Sarah morgen kam, wollte er wenigstens eine Kleinigkeit zum Abendbrot besorgt haben, dazu vielleicht eine schöne Flasche Wein, damit sie ihr Wiedersehen gebührend feiern konnten. Er schwelgte schon in Vorfreude auf ihr Wiedersehen. Ach ja und einen Strauß rote Rosen musste er auch noch kaufen! Er stellte sich vor, wie es morgen Abend ablaufen würde. Er würde die Wohnung picobello aufgeräumt haben, ein delikates Abendessen, bestehend aus lauter Leckereien, würde bereitstehen, ein paar Kerzen an, romantische Musik im Hintergrund-er würde Sarah schon wieder gnädig stimmen und auf die spätere Versöhnung im Bett freute er sich ganz besonders. Sie hatten sich die Woche zwar nicht gesprochen-das war ein Teil ihrer Abmachung gewesen- aber sie hatten kurze Mails ausgetauscht und in Sarah´s gestriger stand als Schlusssatz: „Vermiss dich!“ und das gab doch wirklich berechtigten Anlass zur Hoffnung, wie er fand. Mann, er könnte diesen Berghoff auch noch fragen, wo er ein paar dieser Spezialitäten herhatte, die bei dem gestrigen, exquisiten Menü aufgetragen worden waren. Besonders die geräucherte Gänsebrust war ein Knaller gewesen, sowas musste er unbedingt haben, da wäre Sarah sicher auch begeistert davon!
    Er füllte seinen Magen im nächsten Schnellimbiss mit weniger delikaten, aber nichtsdestotrotz sättigenden Sachen, trank mehrere Tassen Kaffee dazu und machte sich schließlich auf zu seiner Verabredung.
    Um 15.00 Uhr stand er dann pünktlich vor dem Eingang der halbverfallenen Burg, die ein wenig versteckt in einem Wäldchen vor sich hinverfiel. Ach ja, als er darüber nachgedacht hatte, war ihm eingefallen, dass um diese alte Burg, die in Privatbesitz gewesen war, ein großer Streit entbrannt war. Die Erhaltungskosten gingen in die Millionen und als der Vorbesitzer, ein alter Adliger, voriges Jahr verstorben war, hatte erst das Land Nordrhein-Westfalen geprüft, ob man die Immobilie nicht kaufen sollte und der Öffentlichkeit zugänglich machen. Aber nur die Absicherung der maroden Gemäuer wäre so teuer gekommen, dass man darauf verzichtet hatte. Außerdem war sie leider nicht im Originalzustand erhalten, da über die Jahrhunderte die verschiedenen Besitzer, die alle einem Adelsgeschlecht angehört hatten, in jeder Epoche daran rumgebaut und rumgeflickt hatten. Den Sommer über hatte sie auch für den letzten Grafen noch als Wohnung gedient-zumindest Teile eines neueren Anbaus. So stand sie also nun auf dem Immobilienmarkt für die vergleichsweise kleine Summe von einer Million Euro zum Verkauf, aber die ernsthaften Interessenten hielten sich eher in Grenzen. Man musste schon sehr vermögend und vor allem ein wenig verrückt sein, um sich sowas anzutun!


    Ben war aus dem Porsche ausgestiegen und hatte sich neugierig umgesehen. Vor dem Burgtor war tatsächlich noch ein alter, mit brackigem Wasser gefüllter Burggraben zu sehen, aber wie er da rüberkommen sollte, war ihm nicht ganz klar. Plötzlich begann sich ächzend eine Burgbrücke langsam nach unten zu senken und als sie ganz unten war, kam aus dem Torhaus lächelnd und schwer atmend sein Gastgeber. „Kommen sie rein, das ist doch genial, diese Konstruktion-und noch völlig original erhalten!“ rief er, während Ben zögernd die Holzbrücke betrat. Er begrüßte Ben freundlich und zeigte ihm gleich das gut geschmierte Räderwerk, das mit einer Handkurbel zu bedienen war und die Brücke hob und senkte. Berghof nahm nun einen großen Schlüsselbund zur Hand. Nun gut, der würde wohl in keiner Hosentasche Platz finden, denn die einzelnen Schlüssel waren teilweise um die 40 cm lang. Sein Führer sperrte die äußere Tür auf und schon begann Ben´s private Führung.

    Obwohl heute ein sonniger Herbsttag war, erschauerte Ben, als er die alten Gemäuer betrat. Ein modriger Geruch herrschte in dem ganzen Anwesen, teilweise konnte man am Mauerwerk den Schimmel sehen-na prost Mahlzeit, die Erhaltung so eines Anwesens war ja eine Lebensaufgabe. Es war klamm und kalt darin-klar, man hatte Ende Oktober und die ersten Nachtfröste waren ins Land gezogen, während draußen die Bäume sich noch in herbstlicher Pracht zeigten. Aber die Heizung so eines Bauwerks war fast unmöglich und deshalb hatte der alte Graf seine Winter immer in seinem Chalet in der Schweiz verbracht und nur im Sommer auf der Burg gewohnt, wie ihm Berghoff erzählte. Er war ein Sonderling gewesen und als Ben sich in der Eingangshalle umsah, standen dort zwar einige Rüstungen, an der Wand hingen Hellebarden, Piken und andere mittelalterliche Kleidungsstücke, aber daneben standen wieder Truhen und Möbelstücke, die eindeutig neueren Datums waren.
    Langsam schritt man gemeinsam in den nächsten Raum, der als gemütliches Wohnzimmer mit Fernseher massig DVDs, Sofa und einem Stilmix aus modernen Möbeln und alten Teilen möbliert war. Mit Erschauern konnte Ben sogar eine Kuckucksuhr ausmachen-ach du lebe Güte, hier passte ja gar nichts zusammen! An der Wand waren nachlässig Leitungen über Putz verlegt und wie Berghoff ihm erklärte, führten die zu einem großen Stromaggregat, das draußen in einem Anbau stand. Auch waren bei einem Blick aus dem Fenster ein paar Solarplatten auf einem Dach zu sehen-auf jede Bequemlichkeit hatte der Vorbesitzer wohl nicht verzichten wollen.
    „Das ist natürlich alles völlig unmöglich so! Mir blutet das Herz, wenn ich sehe, was dieser Banause und seine Vorfahren aus diesem wunderschönen, historischen Ensemble gemacht haben. Wenn das mit dem Kauf klappt, wird das natürlich mustergültig renoviert und wieder in den Originalzustand zurückversetzt!“ erklärte Berghoff und Ben dachte nur, welche immensen Kosten da wohl auf seinen Gastgeber zukommen würden
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    Die Küche und das Bad boten etwa denselben Zustand-nachlässig hergerichtet, irgendwie bewohnbar gemacht, Löcher in der Wand, wo das Mauerwerk Risse aufwies mit Ziegelsteinen und Mörtel provisorisch zugeschmiert-oh je! Danach warfen sie noch einen Blick in die Burgkapelle. Dort war alten Überlieferungen zufolge-wie Berghoff Ben mit geröteten Wangen erzählte-ein Graf bei seiner Hochzeit mit Pfeil und Bogen erschossen worden. Seine Braut hatte sich dann in einem Zimmer, das sie danach besichtigten, eingesperrt und war vor Kummer wahnsinnig geworden und letztendlich dort gestorben. „Diese Mechthild geht hier immer noch um-man kann sie nachts schreien und stöhnen hören-und das ist tatsächlich wahr, ich habe es selber gehört!“ erklärte Berghoff.
    Ben musterte ihn prüfend. Glaubte der wirklich an Spuk? Aber der Geschäftsmann seines Vaters wirkte völlig ernst. Gut, so eine Burg inklusive Gespenst ließ sich vermutlich ganz gut vermarkten, wenn sie erst mal wieder original hergerichtet war und das bestätigte auf seine Frage nun sein Gegenüber. „Ich werde nach der mustergültigen Restauration natürlich auch der Öffentlichkeit gelegentlich Zugang gewähren, wie ich es ja auch bei meinem Schlösschen tue. Diese Schlossdinner sind ein Renner und immer auf Wochen vorher ausverkauft!“ erklärte er. Ach so lief das-Berghoff ließ sich diese Events teuer bezahlen, aber er hatte ja Recht. Vielleicht brauchte die Welt solche Verrückte, um Denkmäler zu erhalten.


    Währenddessen waren sie über eine marode Wendeltreppe nach unten gestiegen. Ben überlegte noch, dass hier für seinen Vater mit seiner Baufirma extrem viel Geld zu verdienen war, er würde deshalb auf jeden Fall nett zu seinem Führer sein. Nach dem finanziellen Desaster vor ein paar Jahren hatte sein Vater klug gewirtschaftet und die Firma hatte sich gut erholt. Auch das Privatvermögen war wieder aufgefüllt, wie er Ben auf der gestrigen Fahrt zum Dinner erzählt hatte. Ben freute sich für seinen Vater, auch wenn ihm persönlich Geld nicht so besonders wichtig war, aber so ein Polster war trotzdem was wert. Einfach nicht von der Hand in den Mund leben müssen, war ein Segen. Er war allerdings glücklich mit seinem Job und konnte sich nichts Schöneres vorstellen, als mit Semir über die Autobahn zu düsen und sich so seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Aber hier winkte sozusagen der nächste Großauftrag für seinen Erzeuger, das wäre sicher gut.

  • Nun waren sie unten an der Treppe angekommen. Eine massive Eichentür verschloss den Zugang zum Keller und Berghoff steckte nun den riesigen Schlüssel ins Schloss, der sich mühelos und ohne zu quietschen drehen ließ. „Hier ist nun das Kernstück der Anlage-sowas lässt sich hervorragend vermarkten!“ pries nun der Burgbesitzer in spe die Räumlichkeiten an. Schaudernd folgte Ben ihm in den Keller. Auch dort waren an der Wand entlang Drähte verlegt, die mit ein paar alten Glühbirnen an der Wand, die Räume in ein schmutziges Dämmerlicht tauchten. „Das muss natürlich alles weg-da gehören wieder originale Fackeln in die noch vorhandenen Halterungen!“ erklärte Berghoff. Klar, man konnte auch noch die rußgeschwärzten Abdrücke an der Wand sehen. Der Folterkeller bestand aus zwei Räumen. An den Wänden waren Eisenketten eingelassen mit Fußeisen daran. An den Wänden hingen Schandgeigen, verschiedene Zangen und Werkzeuge, von denen sich Ben lieber nicht vorstellen wollte, zu was man die gebraucht hatte. Der Keller war direkt in den Fels geschlagen und Ben, der ein Stück grösser war als sein Gastgeber konnte kaum aufrecht stehen. Als er den Fussboden musterte, konnte er einen bräunlichen Schimmer wahrnehmen, er hoffte jetzt, dass das nicht das war, für was er es hielt. Berghoff bemerkte seinen Blick und bestätigte Ben´s Vermutung mit einem diabolischen Grinsen. „Ja, da hat wohl zur Abschreckung nie jemand das Blut weggewischt!“ sagte er und Ben überkam ein großes Mitleid mit all den Menschen, die hier wohl schon sinnlos gepeinigt worden waren.
    „Die Streckbank funktioniert auch noch hervorragend!“ zeigte ihm Berghoff den Mechanismus, der tatsächlich mit einer Handkurbel problemlos zu bedienen war. Im nächsten Raum war ein großer viereckiger Kasten aus Eisen zu sehen. „Kennen sie den Ausdruck, jemanden in den Schwitzkasten nehmen?“ wollte sein Führer nun wissen und Ben nickte. „Nun, sie müssen sich das Patent mal von innen ansehen-dann wissen sie, woher der Ausdruck kommt!“ sagte Berghoff und wies auf den Eingang, in den man tatsächlich reinkriechen konnte. „ Wenn sie mit das nächste Mal mit ihrem interessierten Kind zur Besichtigung kommen, müssen sie die da reingehen lassen, was glauben sie, was die in der Schule dann zu erzählen hat!“ pries Berghoff und nun beschloss Ben, sich darin doch mal umzusehen, er würde mit Sicherheit Ayda da nicht als Erste vorschicken. Also schlängelte er sich hinein und konnte im hereinfallenden Dämmerlicht erkennen, dass dieser Kasten völlig leer und nur staubig war. Verdammt, was er gerade anhatte, würde er hinterher komplett waschen müssen! Gerade wollte er sich umdrehen und den Kasten wieder verlassen, da fiel hinter ihm die kleine Tür ins Schloss und Ben hörte, wie sie verriegelt wurde. Was fiel denn Berghoff ein? So realistisch wollte er diese Folterkammer doch gar nicht erfahren! Der hatte sich sicher einen kleinen Spaß erlaubt, aber als er sagte: „Berghoff, sie können wieder aufmachen, ich kann mir schon vorstellen, wie sich die Eingesperrten damals gefühlt haben!“ ertönte als Antwort nur ein irres Lachen. „Sie werden noch viel mehr fühlen, Ben, aber jetzt wird’s ihnen erst mal schön warm werden, sie frieren doch sicherlich!“ fügte Berghoff mit einem wohllüstigen Kichern hinzu und nun hörte Ben von außen Geräusche, wie wenn ein Ofen angeheizt würde. Ach du liebe Güte-wo war er denn da nur wieder hineingeraten!

  • Wie Ben schon erwartet hatte, wurde es bald warm in seinem Gefängnis. Ihn wunderte eigentlich, dass er zwar zunehmend schwitzte, aber trotzdem die Luft nicht schlecht war. Als seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte er einen kleinen Lichtschein erkennen. Im oberen Bereich des Schwitzkastens waren ein paar Löcher eingearbeitet, damit sich zwar die Wärme hielt, aber ein Ersticken wohl unmöglich war. Als er genau hinsah, konnte er außerhalb auch ein kleines rotes Licht erkennen. Hatte dieser Berghoff da etwa ne Kamera installiert? Er versuchte da irgendwie ranzukommen, aber es war unmöglich, die Löcher waren zu klein, als dass er durchfassen konnte und er hatte keinerlei Werkzeug dabei. Er kramte sein Handy aus der Tasche. Berghoff war anscheinend immer noch dabei, den zugehörigen Ofen nachzulegen, denn es rummste ab und an und das Knistern des Feuers drang laut in sein Ohr.


    Ben machte erst einmal die Taschenlampe seines Smartphones an und sah sich genauer in seinem Gefängnis um, aber außer dem Staub auf dem Boden des Metallkastens befand sich nichts darin. Mühsam, denn es war nicht sonderlich viel Platz in seinem Kasten, begann er sich aus seiner hellbraunen Lederjacke zu schälen, denn der Schweiß lief ihm inzwischen in Strömen vom Körper und durchnässte seine Kleidung. Leider hatte er überhaupt keinen Empfang mit seinem Handy-klar, die dicken Burgmauern und dazu noch der Metallkäfig! Fieberhaft überlegte er, ob er irgendjemandem einen Hinweis gegeben hatte, wo er heute beabsichtigte hinzugehen, aber leider hatte er ja im Wagen seines Vaters geschlafen und auch sonst hatte er sich mit niemandem darüber unterhalten. Es war in seinen Augen ja auch nicht wichtig gewesen.


    Langsam wurde es immer heißer in seinem Gefängnis. Er zog erst das weiße Langarmshirt und seine Schuhe aus, dann auch noch seine Jeans. In seiner Boxershort legte er sich nun flach auf den Boden, denn Wärme stieg ja bekanntlich nach oben. Seine Kleidung verteilte er als Isolierschicht unter sich und nun versuchte er mit keuchendem Atem zur Ruhe zu kommen, denn langsam begannen vor seinen Augen Sterne zu kreisen. Auch ein unbändiger Durst hatte von ihm Besitz ergriffen-klar, außer den drei Tassen Kaffee im Imbiss hatte er heute ja auch noch nichts getrunken.
    Er hörte seinen Entführer draußen herumkramen und rief: „Berghoff, was bezwecken sie denn mit ihrer Demonstration? Machen sie den Kasten auf und wir vergessen, was vorgefallen ist. Das war ein netter Scherz, aber jetzt ist es genug!“ aber er bekam keine Antwort. Berghoff war nämlich gerade dabei, die Kameras zu justieren und das Datenkabel, das durch die halbe Burg zu seinem Laptop führte, einzustecken. Der Mann mit dem unzeitgemäßen Spitzbart ging zu dem Büroraum im oberen Bereich der Burg, wo er mittels eines Sticks eine gute Internetverbindung hatte, in dem er seine Station eingerichtet hatte. Dort rief er eine der Webcams auf und betrachtete den jungen Mann, der sich in seinem Gefängnis flach auf den staubigen Boden gelegt hatte. Mann, was für ein Körper, der würde ihm noch viel Geld einbringen!


    Ben war inzwischen einer Ohnmacht nahe. Er konnte sich nicht erinnern, in seinem Leben jemals so geschwitzt zu haben. Er floss regelrecht davon. Seine Kleidung unter ihm war feucht und inzwischen hätte er seine Großmutter für ein Glas Wasser verkauft. Eine unerträgliche Hitze herrschte in dem Kasten, jede moderne Sauna war ein Pappenstiel dagegen. Dabei war er ja begeisterter Saunagänger und deshalb auch einiges gewohnt. Die Sterne, die vor seinen Augen kreisten wurden immer mehr-sollte das sein Ende sein? Er hatte schon gehört, dass man an Hitzeerschöpfung sterben konnte, aber was verdammt hatte Berghoff davon? War er ein Sadist, der sich an den Qualen anderer weidete, oder war er schlichtweg verrückt? Bis vorhin hätte er seinen Gastgeber so eingeschätzt, dass der zwar ne Meise hatte, wenn es um alte Gemäuer, Schlösser und Ähnliches ging, aber sonst ein rational denkender Geschäftsmann war. Inzwischen war ihm klar, dass er gerade gefilmt wurde, denn die Webcam und die Infrarotbeleuchtung in seinem Gefängnis waren deutlich auszumachen. Wollte Berghoff vielleicht von seinem Vater Geld erpressen? Immerhin hatte der ihm ja gestern erzählt, dass sich die Firma, nicht zuletzt wegen Berghoff´s Großauftrag, wieder gut erholt hatte, oder hatte er andere Motive?


    Berghoff war inzwischen wieder erschienen und war gerade dabei den Ofen noch einmal nachzulegen. Der Staub in seinem Gefängnis roch inzwischen angekokelt und wenn Ben die Isolierschicht in Form seiner Kleidung nicht gehabt hätte, wäre es direkt auf dem Metall fast nicht auszuhalten gewesen. Mit gepresster Stimme bat Ben: „Berghoff, lassen sie mich bitte raus!“ aber es kam keine Antwort. Ben´s keuchender Atem wurde immer schneller, er hörte, wie Berghoff den Raum wieder verließ, aber dann begann es in seinen Ohren zu rauschen, vor seinen Augen begannen glühende Sonnen zu kreisen und dann erschlaffte sein Körper, als er das Bewusstsein verlor.

  • Berghoff hatte an seinem Laptop die Kamera in Ben´s Gefängnis überwacht. Als er bemerkte, dass der Körper erschlafft war, eilte er geschwind in den Folterkeller. Er musste vorsichtig sein, damit seine wertvolle Ware nicht versehentlich vorzeitig zu Tode kam! Als er behutsam die Tür des Schwitzkastens öffnete, stockte ihm momentan der Atem, so eine Hitze schlug ihm daraus entgegen. Nachdem Ben ja tief bewusstlos war und er keinen Helfer hatte, musste er selbst teilweise hineinkriechen, mit dem Rautek-Griff um beide Unterarme, der ihm noch aus seinem Erste- Hilfe- Kurs geläufig war, den verschwitzten, hochroten Körper herausziehen und auf dem felsigen Boden davor, ächzend ablegen. Verdammt, jetzt lief ihm selber der Schweiß herunter, dass dieser Kasten eine dermassene Hitze abstrahlen würde, hätte er gar nicht erwartet!


    Geschwind holte er die altertümliche Hose, die er schon bereitgelegt hatte, hervor und zog Ben die Boxershorts aus und diese Hose dafür über. Dann schleppte er seinen immer noch bewusstlosen Gefangenen in den Nebenraum und kettete ihn, bevor er begann wach zu werden, an der Wand mit einer originalen Fußschelle an. Wenn jahrhundertelang diesen Folterkeller niemand lebend und unversehrt verlassen hatte, dann würde er einfach auf die Erfahrungen der Vorfahren vertrauen! Er kontrollierte noch die Einstellung der Webcam die diesen Bereich filmte und verließ dann flugs das Gefängnis, bevor Ben sich zu regen begann. Die Kleidung mit dem Smartphone, dem Geldbeutel und dem Autoschlüssel nahm er an sich und noch bevor Ben wieder zu sich kam, saß er schon in dessen Porsche und fuhr den viele Kilometer an einen größeren Autobahnrastplatz. Das Handy ließ er auf dem Beifahrersitz liegen, die Kleidung beförderte er in einen Mülleimer am Parkplatz und dann fragte er freundlich einen jungen Mann, der gerade ein Päuschen gemacht hatte, ob ihn der bis zur nächsten Ausfahrt mit Bushaltestelle mitnehmen könnte. Er erzählte ihm eine Lügengeschichte, dass sein Porsche leider einen technischen Defekt habe und in Kürze ein Bekannter mit dem Hänger kommen würde, um das Fahrzeug zu bergen, er aber zuvor eine wichtige Verabredung habe. Schulterzuckend wurde er mitgenommen und den Zehn-Euro-Schein, den er seinem Fahrer dann überreichte, nahm dieser kommentarlos entgegen. Berghoff stieg nun in den nächsten Bus und fuhr damit, mit mehrmaligem Umsteigen, zurück zur Burg. In dem kleinen Ort am Fuße des Burgbergs angekommen, grüßte er freundlich einige Dörfler, die ihn bereits als neuen Burgherrn wahrgenommen hatten und machte sich per Pedes auf den steinigen Weg auf zu seiner neuen Wunschimmobilie.


    Dort war Ben inzwischen zu sich gekommen. Obwohl ihm immer noch furchtbar heiß war und seine Haut eher aussah, wie die eines frisch gekochten Krebses, war er erst mal nur froh, aus seinem hitzigen Gefängnis entkommen zu sein. Als er sich anfangs aufrichtete, war ihm furchtbar schwindlig und übel, aber mit der Zeit ging es. Verdammt, er hätte einen ganzen See austrinken können, so durstig war er und als er an sich heruntersah, bemerkte er mit Verwunderung, das er nicht mehr seine Boxershorts anhatte, sondern eine mittelalterliche Kniehose aus grobem Leinen, die vorne mit einem Strick gegürtet war. Verdammt noch Mal-was sollte das Alles? Was hatte Berghoff vor und welche Motive hatten ihn zu dieser Tat getrieben? War er völlig verrückt, oder steckte irgendetwas anderes hinter diesem bösen Spiel?

  • Ben hatte inzwischen die Mechanik seiner Fußfessel begutachtet. Er hatte versucht herauszuschlüpfen, was aber nicht funktionierte. Ohne Werkzeug konnte er auch den Verschluss nicht öffnen und so lehnte er sich irgendwann frustriert an die grob verputze Wand. Verdammt-er musste nachdenken! Was hatte wohl seinen Gastgeber dazu getrieben, ihn zu überwältigen und dann anzuketten. Die Kette seiner Fußfessel langte gerade mal zwei Meter. Als er kreislaufmäßig wieder halbwegs auf dem Damm war, hatte er versucht, wie weit er gelangen konnte. Auch, ob es möglich war, einen Ankömmling zu überwältigen, hatte er geprüft. Leider war das Spiel der Kette nicht so ausreichend, dass er bis zur Tür kam und deshalb war er froh, dass er in dem Gewölbe wenigstens halbwegs stehen konnte. Nach kurzer Zeit hatte er auch die Webcam entdeckt und versuchte die Aufmerksamkeit von Berghoff, oder irgendeinem anderen Beobachter zu bekommen. „Ich heiße Ben Jäger und bin nicht freiwillig hier!“ versuchte er es, aber nichts geschah. Auch wenn er furchtbar durstig war und auch die Hitzeerschöpfung noch in seinen Gliedern spürte, war sein Kampfgeist wieder geweckt. Er würde sich da nicht einfach kampflos einsperren lassen, sollte Berghoff nur kommen!


    Der war inzwischen nach einem kurzen, belebenden Fußmarsch bergauf, wieder an der Burg angelangt. Der Verkauf lag in der Hand eines Immobilienmaklers, der schon ein Jahr versucht hatte, das Gemäuer gewinnbringend loszuschlagen und inzwischen beinahe frustriert aufgegeben hätte. Anscheinend gab es nur wenige potente Liebhaber solcher einzigartigen Kulturdenkmäler und als vor ein paar Wochen Berghoff auf ihn zugekommen war und sich nach einer Führung sehr interessiert an der Immobilie gezeigt hatte, hatte der Makler seinerseits Erkundigungen eingezogen. Wenn nicht der, wer sonst! Außer einem dermaßen fanatischen Vergangenheitsliebhaber, ohne Schwerpunkt auf einer Epoche, würde sich so leicht wohl keiner finden, der sich diesen Stress antat. Erst mal eine Menge Kosten und für was? Daher hatte er ihm den riesigen Schlüsselbund übergeben, war auch zu einem exquisiten Mittelalterdinner dafür eingeladen worden und nun hoffte er, dass der Geschäftsmann sich für den Kauf der Burg entscheiden würde. Sein Gefühl war gut dabei und die Erben des Grafen waren in aller Herren Länder verstreut und wollten nur Geld sehen, an der Immobilie an sich war auch keiner interessiert.
    Die Leute im Dorf am Fuße des Burgbergs waren erfreut gewesen, als Berghoff aufgetaucht war und zu jedem nett und freundlich war. So oft, wie der kam, waren die durchaus überzeugt, dass ihm die Burg, die ihrem Dorf auch den Namen gegeben hatte, schon längst gehörte und waren deswegen sehr zuvorkommend zu ihm-seit Generationen brachte man dem Burgherren Respekt entgegen.


    Berghoff schloss wie selbstverständlich die Haupttür auf. Dann ging er erst mal nach oben in sein Büro in der Zinne und sah sich im Schnelldurchlauf an, was Ben in seiner Abwesenheit getrieben hatte. Als er sah, dass der in die Kamera sprach, schaltete er diese Aufzeichnung auf laut und hörte so Ben´s Ansprache. Gut-hiermit war klar-die Videoübertragung würde als Aufzeichnung laufen und bevor seine Kunden die Bilder zu sehen bekamen, würde er immer kurz drübersehen-nicht dass Ben ihm da in den Rücken fiel! Allerdings war er sich sicher, dass auch dessen Wille gebrochen werden konnte-das war seit Jahrhunderten geprobt, er würde sich nur auf die Kenntnisse seiner Vorfahren besinnen, das würde genügen! Allerdings-wenn er sich diesen sportlich durchtrainierten Mann da ansah, der angekettet in seinem Verließ saß-vielleicht war es vernünftiger, dem momentan nur bewaffnet entgegenzutreten, bis er ein wenig mürbe war! Aus der Schreibtischschublade holte er einen Taser hervor. Er hatte eigentlich nicht vor, so neumodisches Zeug zu benutzen, allerdings fuhr er ja auch nicht mehr mit der Pferdekutsche-ein wenig Moderne durfte schon sein!
    Berghoff holte einen irdenen Krug, der sicher schon viele hundert Jahre alt war und füllte ihn mit Wasser. Das musste vorerst genügen-sonst hatte sein Gefangener zu viel entgegenzusetzen. Mit dem Krug in der Hand stieg er die Treppe hinab und öffnete dann mit seinem Schlüssel das Verließ. Ben hatte schon lange gehört, dass da jemand die Treppe herunterkam. Er spannte alle Muskeln, um den Überraschungseffekt auszunutzen, versuchte dabei aber teilnahmslos zu wirken und müde am Boden zu sitzen. Berghoff trat ein und war momentan überrascht, dass sein Gefangener so ruhig auf dem Boden saß. Als er allerdings näher trat, um ihm den Krug in die Reichweite zu stellen, schoss Ben hoch und versuchte mit einem Hechtsprung den äußersten Freilauf der Kette ausnutzend, sich auf Berghoff zu stürzen. Leider klappte das nicht so ganz, wie er es sich vorgestellt hatte und Berghoff zückte in der Sekunde des Angriffs, den er anscheinend erwartet hatte, seinen Taser und nun bekam Ben gleichzeitig einen Stromschlag, der ihn fast bewusstlos werden ließ, dann spannte sich seine Fußkette und riss ihn unsanft zu Boden und in der gleichen Sekunde zerschellte auch der irdene Krug auf den Steinen.


    Berghoff zog sich nun vorsichtig zurück-sein Gefangener war noch viel zu widersetzlich, aber dem würde er schon Manieren beibringen. „Tut mir leid, aber das war das Wasser für heute!“ sagte er spöttisch und Ben, der gerade wieder voller Schmerzen zu sich kam, sah entsetzt und unglücklich auf die Scherben am Boden. „Wir sehen uns morgen-und wenn du bis dahin brav bist, können wir über eine neue Wasserration verhandeln. Wenn du allerdings noch einen einzigen Angriff startest, lasse ich dich hier unten angekettet verdursten, dass das klar ist!“ sagte er hämisch. Er schob noch einen alten Eimer mit Holzdeckel in Ben´s Nähe und dann verschwand er, um nach Hause zu seiner Frau zu fahren, die mit ihren Freundinnen einen netten Bridgenachmittag verlebt hatte. Die Diener in seinem Schlösschen versorgten ihn mustergültig und wenig später saß Berghoff, gemütlich eine Zigarre paffend, ihm Lehnstuhl vor dem offenen Kamin und wartete, was sein Koch ihm wohl heute für Köstlichkeiten auftragen würde.

  • Als Berghoff verschwunden war, flaute erst langsam das Adrenalin in Ben´s Körper ab und er bemerkte, dass er sich doch bei seinem Fall auf den felsigen Boden ganz schön wehgetan hatte. Er blieb also erst eine Weile schweratmend liegen, bis er sich dann zur Wand zurückzog, dort anlehnte und seine Wunden begutachtete. Gut, anscheinend war ihm nichts wirklich Schlimmes geschehen, aber er war überall verschrammt, ein paar Schürfwunden bluteten, aber am allermeisten tat es weh, wo Berghoff ihn mit dem Taser erwischt hatte. Das brannte wie Feuer, wie gerne hätte er die Stelle jetzt mit ein wenig Wasser gekühlt! Wasser-oh Gott, er hätte nicht daran denken sollen, denn nun war sein Durst plötzlich noch viel grösser.
    Sein Verließ war in eine Art Halbdämmer getaucht. Ben hatte zwar sein Zeitgefühl ein wenig verloren, weil er nicht wusste, wie lange er bewusstlos gewesen war, aber aus der Ferne war eine schmutzige Funzel auszumachen, die wenigstens ein bisschen Licht hereinließ zwischen Gitterstäben. Vermutlich war es auf jeden Fall Abend oder Nacht, aber die beiden Webcams die von zwei Seiten auf ihn gerichtet waren, ließen ihn nochmals grübeln, was Berghoff wohl mit ihm vorhatte. So sehr er auch seinen Kopf anstrengte, er kam einfach nicht drauf und eigentlich hatte es auch keine Konsequenz, denn auch wenn er Berghoffs Motiv herausfand, konnte er sich deswegen trotzdem nicht befreien.
    Er suchte sich auf dem harten Boden nun eine Position, in der er sich ein bisschen lang machen konnte. Es war wie eine Art Kuhle dort und mit Schaudern versuchte er zu verdrängen, dass hier wohl schon hunderte Gefangene vor ihm im Lauf der Jahrhunderte das Gestein abgeschliffen hatten. Als er zur Ruhe kam, wurde ihm auch noch kalt. Gut, dieses Verließ war so weit unterhalb der Bodenoberfläche-vermutlich hatte es dort Sommer wie Winter eine gleichbleibende Temperatur, aber mehr wie etwa 10°-12° C dürften es nicht sein. Fröstelnd zog Ben nun die Beine an den Körper und schlang seine Arme um sich herum. Er döste zwar immer mal wieder ein, aber Kälte, Durst und Schmerzen ließen ihn nicht richtig schlafen und so erwartete er gerädert und frierend, was der nächste Tag wohl bringen würde.


    Berghoff hatte inzwischen in seinem weichen Himmelbett eine hervorragende Nacht verbracht. Er war ganz euphorisch, denn ab morgen würde er seinem speziellen Kundenkreis einen besonderen Leckerbissen bieten können. Es gab einfach genügend Leute, die wie er, Spaß an der Vergangenheit hatten und das Leben damals ganz so auskosten wollten, wie es gewesen war. Dazu gehörte halt auch Bestrafung und Gerichtsbarkeit. Er hatte schon lange auf die Gelegenheit gewartet, da aktiv zu werden und in seinen Träumen die besten Bestrafungsszenarien durchlebt, er hatte nur noch auf die geeignete Gelegenheit gewartet. Nun war ihm diese Burg sozusagen in die Hände gefallen, die sich dafür hervorragend eignete. Er musste nur noch das Geld für den Kauf und die Renovierung erwirtschaften und als er Jägers Sohn gesehen hatte, der mit seinem fantastischen Aussehen seine Kunden sicherlich ansprechen würde-Frauen wie Männer, war ihm klar gewesen, dass er den schnappen musste. Gut, eine kleine Unwägbarkeit gab es noch. Wenn der Irgendjemandem erzählt hatte, wo er vorhatte hinzugehen, dann würde vielleicht bald die Polizei bei ihm auf der Matte stehen. Allerdings hoffte er, dann glaubhaft versichern zu können, dass Jäger zwar, wie verabredet, zur Besichtigung dagewesen, aber danach wieder gefahren war. Immerhin stand dessen Wagen am gut entfernten Autobahnrastplatz und er hatte sich bemüht, keine Fingerabdrücke zu hinterlassen. Das Handy hatte er abgewischt und ausgeschaltet, im Fahrzeug alles mit Handschuhen angefasst und zudem war es schwierig, eine Verbindung zur Burg herzustellen, da ihm die ja noch nicht gehörte. Mit diesen beruhigenden Gedanken war er selig eingeschlafen.


    Am nächsten Morgen erwachte Ben stöhnend. Irgendwie hatte sein geschundener Körper doch den Schlaf verlangt und er war ein wenig weggedämmert. Er fühlte sich wie gerädert, aber als ihm dann die Bedeutung dieses Wortspiels einfiel, liefen Ben kalte Schauer über den Rücken. Hoffentlich würde er hier bald freikommen und musste nicht am eigenen Leib erfahren, wie sich das in echt anfühlte. Die Folterinstrumente im Nebenraum hatten ihn schon voller Mitleid an die Generationen von Gequälten denken lassen, er wollte sich da mit Sicherheit nicht anschließen, aber er hatte keinen Plan, wie er aus seiner ausweglosen Lage entfliehen könnte. Ihm war schweinekalt und er verging beinahe vor Durst-trotzdem musste er den Eimer benutzen, weil sein Körper es verlangte. Er drehte sich dazu von den Kameras weg zur Wand-das war ja noch schöner, wenn ihm andere Leute zusahen, wie er seine Notdurft verrichtete. Danach versuchte er durch Bewegung auf der Stelle, seine Muskelaktivität ein wenig anzuheizen, damit ihm warm wurde.


    Berghoff hatte inzwischen nach einem hervorragenden Frühstück und einem prüfenden Blick von seinem Smartphone auf seine Webcam zu Ben, eine Mail an einen Kunden geschickt, der ihm für Ben´s erste Bestrafung passend erschien. Bei einem der Schlossdinner war er mit diesem schwerreichen Mann ins Gespräch gekommen und der hatte durchblicken lassen, an was er Interesse hätte. Sie hatten schon Rollenspiele hinter sich, in denen Prostituierte aus dem Osten erniedrigt wurden, aber mit den echten körperlichen Qualen hatten sie sich bisher zurückgehalten. Allerdings hatte er einschreiten müssen, denn dieser Mann war dermaßen übers Ziel hinausgeschossen, dass eine der jungen Frauen hinterher im Krankenhaus hatte versorgt werden müssen und mit einem großen Batzen Schweigegeld wieder zurück in den Osten geschickt worden war. Sie war von dem Kunden behandelt worden, wie eine Magd, oder vielmehr, wie der sich vorstellte, wie Mägde zu behandeln waren.


    Wenig später kam die Antwort auf die verschlüsselte Mail und es erfolgte eine telefonische Verabredung zu einem Geschäftskontakt am heutigen Spätnachmittag. Gut, bis dahin wäre Jäger sicher vor Durst und Kälte schon nicht mehr so wehrhaft und der Kunde war sehr kräftig-gemeinsam würden sie ihrem Opfer schon Herr werden. Während Berghoff nun einen geruhsamen Sonntag mit seiner Frau verbrachte, kribbelte es immer wieder vor Vorfreude in seinem Bauch. Bald würde er viel Geld verdienen und er musste gestehen-Spaß hatte er ja auch an solchen Dingen. Ach war das schön, das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden zu können!

  • Der Geschäftsmann kam gegen 17.00 Uhr zur Burg. Berghoff war schon eine Stunde eher eingetroffen und hatte alles für die Gerichtsverhandlung vorbereitet. Gut-ein wenig mehr verschwiegenes Personal wäre schon nicht schlecht, dann müsste er nicht alles selber machen, aber das war halt im Augenblick noch Zukunftsmusik. Berghoff war nun selber in ein mittelalterliches Gewand gekleidet. Er fand, dass es ihm recht gut stand und gerade auch sein Spitzbart und seine etwas längeren Haare passten hervorragend zu diesem Outfit. Er hatte, aus seinem bald unerschöpflichen Fundus mit altertümlicher Kleidung, eine Richterrobe hervorgesucht, dazu eine wallende Perücke und dazu eine Maske. Von der Gerichtsverhandlung würde es keine Videoaufnahmen geben, die kämen erst später, wenn man zur Vollstreckung des Urteils schritt. Mit wenigen Worten erklärte er seinem Gast, was er vorhatte und der leckte sich vor Erregung immer wieder die Unterlippe.

    Nachdem der untersetzte Geschäftsmann die Verkleidung angelegt hatte, schritten sie gemeinsam in den Keller, wo Ben sie, als sie ein helleres Licht einschalteten, mit zusammengekniffenen Augen betrachtete. Ja, genau so hatten die Gefangenen in früheren Zeiten wohl ausgesehen, ein wenig schmutzig, verschrammt, aber anfangs noch durchaus wehrhaft. „Angeklagter, wir bringen sie nun zur Gerichtsverhandlung!“ kündigte, der als Richter verkleidete Geschäftsmann, an. Berghoff hatte Ben, der meinte auf der Stelle verdursten zu müssen und voller Misstrauen die beiden merkwürdigen Gestalten gemustert hatte, heimlich seinen Taser gezeigt. Ok-ein zweites Mal hatte er keine Lust mit dem Ding Bekanntschaft zu machen-er musste einfach so tun, als wäre er folgsam und auf seine Gelegenheit zur Flucht warten. Berghoff holte nun eine Schandgeige aus dem Nebenraum. Das war ein einfaches hölzernes Gerät, in das der Kopf und beide Hände gelegt wurden und das dann am Hals geschlossen wurde. Ben hatte nun seine Hände vor sich, so dass er sie sehen konnte, aber er war dadurch völlig wehrlos. Berghoff schloss nun die Kette an der Wandseite auf-Ben´s Fußfessel blieb an ihm befestigt und gemeinsam zerrten sie den Gefangenen die steile Treppe hinauf. Weil er ja nicht sehen konnte, wo er hinlief und die schwere Kette ihn behinderte, strauchelte er mehrmals. Als er etwas sagen wollte, zeigte ihm Berghoff nochmals den Taser und so war Ben nun still.


    Die beiden führten ihn in den Rittersaal, in dem Berghoff eine Art Gerichtsraum aufgebaut hatte, er wurde in einen originalen hölzernen Käfig gesperrt und nun setzte sich der Geschäftsmann auf den Richterstuhl und verlas eine längere Anklage, die sogar aus einem originalen mittelalterlichen Gerichtsprotokoll entstammte. „Angeklagter, gesteht ihr, dass ihr ungehorsam gegen euren Herrn wart, ihn belogen und bestohlen und Unzucht mit seiner Frau getrieben habt?“ lautete dann die Kernfrage und Berghoff, der kurz weggewesen war, sah Ben gespannt an. „Ihr spinnt doch alle beide!“ schrie der beinahe. „Ich habe überhaupt nichts getan, sondern wurde entführt und seit gestern gefangen gehalten, jetzt kommt endlich zur Vernunft mit eurer Spinnerei!“ versuchte er die beiden Verrückten in die Realität zurückzuholen. Der Richter sah Ben kopfschüttelnd an. „Wenn ihr nicht gestehen wollt, werden wir euch eben peinlich befragen!“ verkündete er und Ben sah ihn verständnislos an. „Ich ordne schon gleich mal zwanzig Hiebe mit der neunschwänzigen Katze an, wegen Missachtung des Gerichts und dann werden wir weitersehen!“ wurde ihm mitgeteilt und nun begann Ben es richtig mit der Angst zu tun zu kriegen.


    Grob zerrte man ihn wieder aus dem Käfig und führte ihn in die Folterkammer, in der inzwischen stilecht ein paar lodernde Fackeln in den alten Wandhalterungen steckten- Berghoff war, während der Richter vorgelesen hatte, nicht untätig gewesen. Man holte Ben aus der Schandgeige, steckte seine beiden Hände in über Kopfhöhe, in der Mitte des Raums von der Decke herabhängende Eisenfesseln und nun gingen der Richter und Berghoff noch kurz aus dem Raum, um alles Weitere vorzubereiten. Verdammt, was sollte das? Ben kam sich vor, wie in einer schlechten Theaterinszenierung, allerdings hatte er einen richtigen Kloß im ausgetrockneten Hals stecken, die beiden Männer waren nicht ganz richtig im Kopf und er war völlig in ihrer Gewalt. Er hatte versucht, irgendeine Gelegenheit zur Flucht zu finden, aber er war chancenlos gewesen.


    Als sich die hölzerne Tür quietschend wieder öffnete, starrte Ben entsetzt auf den Anblick, der sich ihm bot. Der Geschäftsmann war jetzt in die originale Kluft eines Folterknechts gekleidet. Eine Kopfbedeckung ließ nur zwei Augenschlitze frei. Eine Art Lederschürze umspannte den feisten Wanst und seine nackten Füße steckten in mittelalterlichen Sandalen.
    Berghoff baute eine moderne Videokamera mit Stativ in der Ecke des Raumes auf und der Geschäftsmann ging nun zur Wand und holte sich die neunschwänzige Katze herunter, die er fast liebevoll betrachtete. Es war eine Lederpeitsche mit neun geflochtenen Schnüren daran. Allerdings war am Schnurende jeweils ein kleiner Metalldorn eingeflochten, der schmerzhafte Verletzungen verursachen würde. Er stellte sich hinter Ben auf, der nicht richtig sehen konnte, was ihm bevorstand und als Berghoff die Videokamera richtig eingestellt hatte, begann er unvermittelt auszuholen und ließ das Folterwerkzeug auf Ben´s nackten Rücken sausen. Dem blieb erst einmal vor Schreck und Schmerz fast die Luft weg, aber als er wieder zu Atem gekommen war, begann er zu schreien, was seine Kehle hergab. Wieder und wieder holte der Kunde aus und zählte seelenruhig laut bis zwanzig. Bei jedem Schlag riss Ben´s Haut am Rücken auf, das Blut begann an ihm herunterzulaufen und so sehr er auch versuchte den Schlägen auszuweichen, er hatte keine Chance.
    Der Geschäftsmann war in vollster Rage und Verzückung. Dieses Gefühl der Macht, der Spaß am Quälen, der ihn zu Berghoff geführt hatte-hier konnte er sich an diesem wehrlosen Opfer voll ausleben. Als er die zwanzig Peitschenhiebe verabreicht hatte, hing Ben nur noch halb bewusstlos in den Ketten. Der Folterknecht nahm ihn ab und bis er sich versah, war er an Armen und Beinen auf der Streckbank festgemacht. Mittels einer Kurbel zog er Ben nun in die Länge und wenn der gedacht hatte, dass der Gipfel des Schmerzes schon erreicht war, dann hatte er sich getäuscht. Ben merkte, wie seine Gelenke auseinander gezogen wurden, seine Wirbelsäule streckte sich und er meinte eine reißende Sehne an seinem Fuß zu hören. Kurz bevor seine Schultern ausgekugelt wurden, fiel Berghoff seinem Kunden in den Arm. Man konnte das wahnsinnige Glitzern in dessen Augen sehen und wenn Berghoff ihn nicht daran gehindert hätte, hätte er im Blutrausch sein Opfer auf der Stelle getötet. So aber wurden die Seile wieder ein wenig gelockert und Ben, der kurz vor der Bewusstlosigkeit war, gefragt, ob er gestehen würde. „Ja, ja, ja!“ schrie er nur. Er würde alles sagen, nur damit seine Pein ein Ende hatte, wie das schon seit Hunderten von Jahren erfolgreich durchgeführt wurde.


    „Ihr habt gehört, der Angeklagte hat gestanden und damit ist euer Dienst vollbracht!“ versuchte Berghoff seinen Kunden runterzubringen, der erst eine Weile brauchte, um sich wieder zu sammeln. In Berghoff´s Kopf keimte zwar jetzt ein Gedanke, wie er das ultimative Geld verdienen konnte, aber im Augenblick musste dieser Kunde zufrieden sein, es gab schließlich noch andere Interessenten. Berghoff ließ Ben auf der Streckbank, allerdings mit gelockerten Seilen, liegen und brachte seinen Kunden, nachdem sich der umgezogen und die 300.000 € ihren Besitzer gewechselt hatten, zu seinem Wagen. „Wenn das Video fertig ist, bekommen sie natürlich eine Kopie davon!“ versprach er ihm und der Geschäftsmann fuhr mit verzücktem Gesichtsausdruck nach Hause zu seiner Familie, um mit der den Sonntagabend zu verbringen.

  • Nachdem Berghoff sich vergewissert hatte, dass sein Gast in seinem Jaguar den Burgberg hinunter gefahren war, ging er in das Gemäuer zurück. Aus einem Korb, den er mitgebracht hatte, holte er einen Topf mit Ringelblumensalbe hervor. Seit dem Mittelalter schrieb man dieser Blume eine heilende Wirkung zu. Nach kurzem Überlegen holte er noch einen Krug und einen Becher und füllte ihn mit Wasser. Er musste zusehen, dass er bis morgen sein Opfer wieder einigermaßen fit bekam, denn abends würde der nächste Kunde eintreffen. Ihm war klar, dass, sobald sich das in der verschwiegenen Szene, der er angehörte, herum sprach, dass er ein reales und noch dazu gut aussehendes Folteropfer hatte, die Nachfrage kontinuierlich steigen würde. Auch einen Strohsack hatte er vorbereitet. Ein Bauer aus dem Dorf hatte zwar merkwürdig geschaut, als er mit seinem Sack angerückt war und gegen Bezahlung natürlich, um eine Strohfüllung gebeten hatte, hatte aber dann seinen Wunsch kommentarlos erfüllt.


    Nun ging Berghoff zu Ben zurück, der zusammenzuckte, als sich die Tür öffnete. In seinen Augen waren Tränenspuren zu erkennen und er fragte seinen Entführer nur ein Wort: „Warum?“ Berghoff zuckte mit den Schultern, löste vorsichtig Ben´s Fesseln und ließ ihn sich aufsetzen, was diesem nur mit schmerzerfülltem Stöhnen gelang. Als Berghoff ihm nun den Becher mit Wasser füllte, trank er gierig-lange hätte er es nicht mehr ausgehalten. Er leerte den ganzen Krug, der etwa einen Liter Wasser enthalten hatte und war danach sogar immer noch durstig. „Umdrehen!“ befahl nun der Spitzbärtige und löste noch die Seile an Ben´s Füssen. Der Taser war in Reichweite, aber Ben war momentan nicht in der Verfassung, einen Angriff zu starten und drehte sich deshalb um. Er wusste zwar nicht, was kommen würde, aber er musste sich jetzt erst mal regenerieren und hoffte, dass Berghoff nun nicht die nächste Schandtat mit ihm vorhatte.


    Überrascht merkte er, wie Berghoff begann, seinen offenen, blutverschmierten Rücken vorsichtig abzuwaschen und anschließend eine kühlende Salbe flächig auftrug. Die Wundreinigung tat zwar weh, aber Ben biss sich auf die Lippen, um keinen Mucks von sich zu geben. Die Salbe war angenehm und als Berghoff danach noch ein sauberes Leintuch darüberlegte, sagte er: „Die Salbe ist nach einem Originalrezept von Hildegard von Bingen entstanden. Die hat etwa zu der Zeit gelebt, als hier in der Burg die Gerichtsbarkeit intensiv betrieben wurde. Ich denke, so mancher deiner Vorgänger hat dieselbe Behandlung erfahren!“ Ben dachte bei sich, dass ihn das nun nicht im Geringsten interessierte, aber trotzdem tat die Salbe ihm wohl. „Du musst nun schlafen und dich ausruhen, komm mit!“ sagte Berghoff dann und Ben erhob sich weisungsgemäß, auch wenn ihm alle Gelenke von der Überstreckung wehtaten. Auf den einen Fuß mit der Kette konnte er überhaupt nicht hinstehen, der war auch dick geschwollen-vermutlich war da wirklich eine Sehne gerissen. Berghoff stütze ihn und brachte ihn wieder in das Verließ und machte mit einem großen Schloss seine Fusskette erneut an der Wand fest. Er ging kurz hinaus, holte den Strohsack und eine schmutzige, staubige alte Decke, die er Ben hinwarf. Genauso verfuhr er mit einem trockenen Kanten Brot und dann ging er wortlos wieder hinaus und verschloss die stabile Holztür hinter sich. Ben hatte zwar eher noch Durst als Hunger, aber trotzdem aß er das alte Brot. Er kaute es langsam und gründlich-schließlich musste er wieder zu Kräften kommen und schauen, dass er hier irgendwie wegkam. Welche Motive die beiden Männer dazu getrieben hatten, ihn zu quälen und das auch noch zu filmen war ihm unklar. Vielleicht wollten sie wirklich seinen Vater erpressen, was ihnen mit diesen Bildern sicher gelingen würde. Sein Vater würde sich an Semir wenden, da war Ben sich sicher und der würde ihn hier rausholen. Ein wenig getröstet legte er sich auf den Strohsack, deckte sich mit dem alten Fetzen zu und war binnen kurzem vor Erschöpfung eingeschlafen.


    Sarah war inzwischen guter Dinge in Ben´s Wohnung angekommen. Sie hatte noch einen fantastischen Ausritt durch wundervolles Gelände hinter sich gebracht und beschlossen, dass sie sich hier in der Gegend um Köln dringend nach einer Reitgelegenheit umschauen müsste. Es hatte ihr so viel Entspannung geschenkt, sich auch einmal tragen zu lassen, so dass sie die kleinen Streitereien des Alltags nun mit mehr Gelassenheit ertragen konnte. Mein Gott, dann sollte Ben halt wieder eine Putzfrau bestellen, die einmal in der Woche die groben Putzarbeiten machte. Wenn die die Böden wischen, die Fenster putzen und das Bad machen würde, hätte sie doch mehr Freizeit, um dann reiten zu gehen. Das wäre ein Kompromiss und sie freute sich jetzt sehr darauf, ihren Schatz wiederzusehen. Sie hatte mit der Frau ihres Cousins lange Gespräche geführt und unter anderem auch die Sache mit der Putzfrau erwähnt. Die hatte ihre Hände auf den Küchentresen gestützt und Sarah angesehen. „Wenn mir irgendjemand ´ne Putzfrau spendieren würde, ich würde ihm die Füße küssen. Dann hätte ich auch mal wieder mehr Zeit, um Dinge zu tun, die mir wichtig wären-wenn du keine willst, kannst du die ja zu mir umleiten!“ hatte sie gesagt und nun dachte Sarah doch wieder anders über die Sache.
    Sie hatte Ben auch ein Geschenk mitgebracht-ein kleines Herz aus einem wunderschön geschliffenen Halbedelstein, das man in der Hosentasche tragen konnte. Das sollte ihn immer an sie erinnern und ihn bei seiner gefährlichen Arbeit schützen. Sie sperrte mit einem Lächeln im Gesicht die Wohnungstür auf und erstarrte erst einmal. Alles war dunkel und als sie das Licht anmachte, konnte sie noch Ben´s Reisetasche im Flur stehen sehen. Wie gewohnt war die Wohnung unaufgeräumt, dabei war er doch nur zwei Tage alleine darin gewesen! Sarah machte alle Lichter an. Das Bett war ungemacht, die Handtücher im Bad lagen auf dem Boden und der Kühlschrank war leer. Sogar in der blinkenden Waschmaschine war Kleidung von ihm, die sicher schon seit längerer Zeit darauf wartete, rausgenommen und in den Trockner gesteckt zu werden. Sarah presste die Lippen zusammen. So hatte sie sich ihr Wiedersehen nicht vorgestellt. Als sie nun noch versuchte, ihn auf dem Handy anzurufen, aber nur die Mailbox ranging, drehte sie sich kurzentschlossen um und verließ die Wohnung wieder. Sie würde in ihr Appartement fahren und darüber nachdenken, ob sie ihn wirklich noch liebte. Er hatte sie ja anscheinend überhaupt nicht vermisst und nicht einmal einen Zettel hingelegt, wo er sich rumtrieb. Anscheinend war sie ihm nicht wichtig und während sie den Motor startete, liefen ein paar trotzige Zornestränen ihre Wangen herunter.

  • Ben hatte sich auf dem Bauch liegend in seinen Strohsack vergraben und war tatsächlich erst einmal tief und fest vor Erschöpfung eingeschlafen. Irgendwann-er hatte keine Ahnung, wie spät es war- erwachte er, weil sein Fuß fürchterlich weh tat. Als er sich in dem matten Dämmerlicht stöhnend aufrichtete, meinte er mindestens 100 Jahre alt zu sein. Jedes einzelne Gelenk bereitete ihm Schmerzen, sein Rücken brannte und pochte, aber am Allerschlimmsten tobte sein Fuß, der in der Eisenfessel steckte. Als er ihn sich ansah, war ihm auch klar, warum. Er war dick angeschwollen und weil die Blutzufuhr durch die Eisenfessel beinahe unterbrochen war, war er blaurot verfärbt. Verzweifelt versuchte er durch Massieren und Reiben seine Extremität zum Abschwellen zu bringen, aber momentan hatte er keine Chance. Er sprach laut in die Kameras und bat um Hilfe, aber natürlich kam keine Reaktion. Schließlich überlegte er logisch, legte sich wieder flach auf den Boden in die Kuhle, wobei das kalte Gestein seinem Rücken sogar wohl tat, bettete den Fuß auf den Strohsack, damit der hoch lag und so vielleicht abschwellen konnte und fiel irgendwann wieder in einen unruhigen Dämmerschlaf.


    Sarah hatte noch einmal versucht, Ben zu erreichen, aber nur die Mailbox ging ran. Wütend und traurig fiel endlich auch sie in einen unruhigen Schlaf, bis sie der Wecker zum Frühdienst um fünf aus dem Bett riss. Sie duschte und machte sich dann, ohne Ben nochmals zu versuchen, anzurufen-er könnte sich schließlich auch mal melden- auf den Weg auf ihre Station zum Frühdienst.


    Berghoff hatte zuhause in seinem Arbeitszimmer noch das Video der Folterung bearbeitet. Sorgsam verschloss er zuvor die Tür, damit kein Bediensteter, oder seine Frau ihn dabei störte. Er passte den Ton an und er musste zugeben, beim nochmaligen Anblick der Folterung und dem Anhören Ben´s verzweifelter Schreie, liefen ihm wohllüstige Schauer den Rücken herunter. Er fertigte einige Kopien an, wovon er eine sogleich in einen Umschlag steckte, um sie an seinen Kunden zu schicken und stellte Ausschnitte davon als Appetithäppchen ins Internet. Diese geheimen Gruppe, die sich harmlos „Vergangenheitsforum“ nannte, der auch PC-Fachleute angehörten, hatte dermaßen starke Schutzmaßnahmen im Netz ergriffen, dass man schon sehr versiert sein musste, um an die Identität der User und überhaupt auf ihre Seite zu kommen. Ihre Kommunikation funktionierte aber wunderbar und kaum 30 Minuten nachdem die Ausschnitte online waren, hatte Berghoff bereits die nächsten verbindlichen Anmeldungen vorliegen, die erste schon nachmittags und von einer Frau.


    Semir hatte mit Andrea und den Kindern das Wochenende noch ausklingen lassen und machte sich nach dem Frühstück auf den Weg zu Ben. Punkt 7.30 Uhr stand er mit dem silbernen Dienst-BMW vor dessen Wohnung und drückte auf den Klingelknopf. Niemand öffnete. Semir versuchte es auf dem Handy, aber außer der Mailbox ging niemand ran. Semir läutete an einer anderen Wohnungstür, nachdem er sich als Polizist erkenntlich gegeben hatte, wurde ihm die Haustür geöffnet und nun versuchte er durch lautes Trommeln an die Wohnungstür, seinen Freund zu wecken. Als er allerdings auch damit keinen Erfolg hatte, ging er schulterzuckend zum Wagen und fuhr in die PASt. Vielleicht war Ben doch schon dort. Er hatte zwar einen Ersatzschlüssel zu Ben´s Wohnung, wie der auch einen von ihm, aber der lag bei ihm zu Hause, seitdem Ben mit Sarah zusammen war.
    Auch in der Autobahndienststelle war von Ben nichts zu sehen und auch keiner der Kollegen wusste etwas. Semir ging nun bedauernd zur Krüger-er hätte Ben diesen Anschiss gerne erspart, aber inzwischen war ihr Dienstbeginn bereits eine halbe Stunde überschritten und nach dem Urlaub musste man sich bei der Chefin zurückmelden. „Guten Morgen Herr Gerkan, wie war ihr Urlaub?“ fragte sie ihn-„und wo zum Teufel steckt Jäger?“ hängte sie dann noch an. „Der Urlaub war sehr erholsam, ich war mit meiner Familie und Ben bis Freitag im Allgäu, aber wo er steckt, weiß ich nicht!“ antwortete Semir wahrheitsgemäß. Er hatte schließlich alles versucht, das Unheil von Ben abzuwenden, aber der musste einfach lernen, pünktlich zu sein. „Wenn er kommt, schicken sie ihn bitte sofort zu mir, ich bin am Überlegen, ob ich ihm nicht eine Abmahnung erteilen soll, wegen chronischen Zuspätkommens!“ ordnete die Chefin wütend an und teilte Semir dann die wissenswerten dienstlichen Neuigkeiten und ihren Arbeitsplan für den heutigen Tag mit.
    Semir trank erst mal einen Kaffee, fuhr den Computer hoch und versuchte ständig Ben zu erreichen. Auch bei Sarah auf dem Handy probierte er es, aber auch da ging niemand ran. Die hatte ihr Telefon in ihrem Spind im Krankenhaus eingeschlossen, da auf der Intensivstation kein Empfang möglich und außerdem gar keine Zeit für Privatgespräche war. Als es 11.00 Uhr geworden war, ohne dass Semir ein Lebenszeichen von seinem Freund erhalten hatte, packte er seine Jacke, um alleine auf Streife zu fahren. Dabei fuhr er nochmals erfolglos an Ben´s Wohnung vorbei. Schließlich bat er Susanne, doch Ben´s Handy zu orten, was aber nicht gelang. Langsam begann Semir unruhig zu werden. Ben hatte ja lange Gespräche mit ihm und Andrea geführt und ihnen versichert, dass er wieder versuchen wollte, mit Sarah ins Reine zu kommen. Vielleicht hatten die einen Streit gehabt, oder sowas? Semir, der ja wusste, auf welcher Station sie arbeitete und auch, dass sie Frühdienst hatte, fuhr kurz vor ihrem Dienstschluss in der Uniklinik vorbei und besuchte sie an ihrer Arbeitsstelle. Als er sie fragte, wo Ben sei, zuckte sie die Schultern und sagte trotzig: „Das interessiert mich nicht!“ und erst, als sie näher miteinander sprachen, bekamen es sowohl Semir, als auch Sarah mit der Angst zu tun. Semir wartete Sarah´s Dienstschluss ab und gemeinsam fuhren sie dann zu Ben´s Wohnung. Mit geübtem Polizistenauge musterte Semir die Wohnung, gut, die sah aus, wie zu Ben´s Junggesellenzeiten, dann sahen sie in die Garage und stellten fest, dass Ben´s Porsche verschwunden war. Eine Nachbarin erzählte, dass er am Samstag am frühen Nachmittag weggefahren wäre und konnte auch beschreiben, was er angehabt hatte, was Sarah nach Durchsicht seiner Klamotten auch bestätigen konnte. Sie sah auch in die Waschmaschine, in der die feuchte Kleidung inzwischen schon zu müffeln begonnen hatte, aber Semir hinderte sie daran, die gleich nochmals durchzuwaschen.


    Nun fiel Semir ein, dass Ben ja am Freitagabend mit seinem Vater zu irgendeinem Schlossdinner unterwegs gewesen war und deshalb rief er Konrad Jäger an. Der bestätigte ihre Verabredung, gab auch an, dass sie gemeinsam bei Joachim Berghoff bei dem Dinner gewesen waren, aber dass Ben mit ihm am späten Abend zurückgefahren war und dann mit seinem Porsche nach Hause fahren wollte.
    Am Samstagnachmittag verlor sich Ben´s Spur und nun informierte Semir auch die Chefin. „Frau Krüger, auch wenn es nicht üblich ist, aber ich weiß ganz sicher, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist. Weder seine Freundin, noch sonst irgendjemand hat seit Samstag ein Lebenszeichen von Ben und das ist nicht seine Art!“ begründete er sein Bauchgefühl-und auf Semir´s Bauchgefühl konnte man sich verlassen. Susanne hatte die Krankenhäuser abtelefoniert, ohne dass ein Unfall mit einer bewusstlosen Person gemeldet worden war und nun ging die Fahndung nach Ben´s Porsche raus. Hartmut machte sich aus der KTU sofort auf den Weg zu Ben´s Wohnung, um dort vielleicht etwas herauszufinden und Sarah, die inzwischen nicht mehr wütend, sondern panisch war, machte sich die allergrößten Vorwürfe, dass sie nicht eher reagiert hatte.

  • Ben war morgens nach unruhigem Schlaf zitternd aufgewacht. Er hatte zwar die schmutzige Decke um seine Schultern gezogen, aber die Kälte von unten war trotzdem in seine Knochen gekrochen. Allerdings war der Fuß durch das Hochlagern doch soweit abgeschwollen, dass er wieder eine normale Farbe angenommen hatte. Trotzdem fühlte sich Ben sterbenselend, Hunger und Durst wüteten in seinem Bauch und nach wie vor war jede Bewegung für sich die reinste Folter. Trotzdem robbte er wieder auf seinen Strohsack und hoffte zähneklappernd, die Decke eng um sich gezogen, dass irgendeine Verbesserung seiner Situation einträte. Nach seinem Gefühl müsste es jetzt Montagmorgen sein, vermutlich suchten seine Freunde und Kollegen und vor allem Sarah schon fieberhaft nach ihm. Immerhin stand sein Auto noch vor der Burg und er war zuversichtlich, dass irgendjemandem der doch auffällige Oldtimerporsche auffallen würde. Obwohl-wie viele Menschen erklommen wohl den Burgberg, wenn das Gemäuer der Öffentlichkeit doch nicht zugänglich war? Frustriert, wegen der Untätigkeit und Hilflosigkeit, zu der er verurteilt war, schloss er die Augen und lauschte auf jedes noch so kleine Geräusch, das er zu hören bekam, aber außer dem Pochen seines eigenen Herzschlags war nichts zu hören.


    Berghoff hatte inzwischen seine Kundin für den frühen Nachmittag kontaktiert und ihre Kleidergröße-bei ihr waren es schlanke 36, dank Diät und privatem Fitnesstrainer, erfragt. Er hatte so schöne mittelalterliche Festgewänder-es war nur recht und billig, wenn die auch mal zur Geltung kamen und in einem Video wenigstens dem erlesenen Kreis seiner Kunden zugänglich gemacht wurden. „Ich muss aber bis spätestens 17.00 Uhr wieder zuhause sein!“ erklärte sie ihm. „ Mein Mann, der im In-und Export tätig ist, lässt mir alle finanziellen Freiheiten, aber wenn er heimkommt, herrscht für mich Anwesenheitspflicht!“ erklärte sie. Sie war 41, gut operiert mit straffen Brüsten und faltenlosem Gesicht. Kinder hatten sie keine, aber das hatte sie immer zu verhindern gewusst-was sollte sie sich ihre Figur mit so plärrenden Bälgern ruinieren! Wenn sie sich die Videoausschnitte von Ben´s Qualen ansah, was sie inzwischen schon hundertfach getan hatte, ergriff ein wunderbares Ziehen in ihrem Unterleib von ihr Besitz. Einmal wollte sie so einen gutaussehenden Mann zur freien Verfügung haben-Sex bedeutete ihr nichts, den forderte ihr Mann von ihr immer ein, was sie gelangweilt über sich ergehen ließ, aber sich an den Qualen anderer zu ergötzen, das war das, was ihr den nötigen Kick bereitete, ihren tristen Alltag, der sonst aus Tennis, Shoppen und gelegentlichen Präsentationen an der Seite ihres schwerreichen, dicklichen kleinen Mannes bestand, zu ertragen.
    „Ich würde vorschlagen, sie kommen bis 13.00 Uhr zur Burg, dann können wir im Detail besprechen, wie sie das Werkstück benutzen wollen!“ machte Berghoff mit ihr aus und mit einem strahlenden Lächeln ließ sich die reiche, aber skrupellose Frau in ihre Kissen zurückfallen. Nur noch wenige Stunden, dann würde sie die Macht über einen Klassemann haben-wie sie sich freute!

  • Hartmut hatte inzwischen Ben´s Wohnung unter die Lupe genommen, allerdings keinen Hinweis gefunden, wo der sich aufhalten könnte. Der Anzug hing auf einem Bügel zum Lüften außen am Schrank, nur Ben´s weißes Hemd lag achtlos auf dem Boden Er sah sich sogar am Laptop die zuletzt aufgerufenen Seiten an, aber da waren nur ein paar Burgen den Rhein entlang zu sehen. Semir sagte zerstreut: „Das ist erklärbar-wir haben letzte Woche so viele Schlösser angekuckt, aber da war zu Ayda´s Enttäuschung kein einziges mit Folterkammer dabei. Er hat ihr versprochen, dass er demnächst mit ihr auf eine echte alte Burg fährt und so ein Foltermuseum anschaut!“ und Hartmut nickte zu der Erklärung. „Die Wäsche dürfte seit etwa Freitagabend in der Maschine sein, falls dir das weiterhilft!“ informierte ihn der rothaarige Kriminaltechniker noch, aber es waren auch keine fremden Fingerabdrücke in der Wohnung. Die befragten Nachbarn hatten von Ben überhaupt nichts gesehen, bis auf die eine, die ihre Beobachtung Semir ja schon mitgeteilt hatte.
    Während Sarah für alle Fälle ihren Freundeskreis abtelefonierte, schaute Semir vorsichtshalber noch in dem Fitnessstudio vorbei, in dem Ben immer trainieren ging, aber auch die hatten seit über einer Woche von ihm nichts mehr gesehen. Nun würde Semir sich also auf den Weg machen und Ben´s Abend mit dem Dinner rekonstruieren. Sarah bat ihn, sie auf dem Laufenden zu halten und ging in ihr Appartement. Sie hätte es jetzt nicht fertig gebracht, in Ben´s Wohnung zu bleiben, wo sie alles an ihn erinnerte und damit ihr schlechtes Gewissen ihr noch mehr zusetzte.


    Es waren schon wieder viele Stunden vergangen, da hörte Ben plötzlich Stimmen. Eine Männer-und eine Frauenstimme waren zu hören. Ben war fast ein wenig erleichtert-eine Frau würde sicher keinen Anlass haben, ihn zu quälen, sowas taten Frauen nicht. Ihre Stärke war oft mehr der Psychoterror mit ermüdenden Gesprächen. Vielleicht hatte Berghoff endlich ein Einsehen, oder es war jemand ganz anderes auf der Burg, der die besichtigen wollte. Er würde versuchen, auf sich aufmerksam zu machen, vielleicht hatte seine Gefangenschaft bald ein Ende, hoffte er.
    Wie am Vortag brachte Berghoff ihm erst einmal einen Krug Wasser, den Ben mit zitternden Händen komplett austrank. „Später gibt’s noch Wassersuppe zu essen!“ informierte ihn sein Gefängniswärter und nun schob sich eine Frau in einem wundervollen, mittelalterlichen Prunkgewand in sein Blickfeld. Die perfekte Figur steckte in einem hellgrünen Kleid, das im Taillenbereich eng anlag und nach unten in einem langen Rock aufsprang. Die Ärmel waren unten eng und an den Oberarmen aufgebauscht. An den Füssen der feinen Dame steckten originale Schnabelschuhe und auf dem Kopf war die Andeutung einer Haube mit einem dekorativen Schleier zu sehen, der ihre Mundpartie fein umhüllte. Die Augen waren von einer Maske, wie im venezianischen Karneval verdeckt-verziert mit Federn und Stickereien. Wenn die Situation nicht so sonderbar gewesen wäre, hätte Ben diese perfekte Kostümierung auch toll gefunden, aber so war er doch irritiert, was die Frau wohl wollte. Schnell, bevor Berghoff ihm den Mund verbieten konnte, sagte er: „Bitte helfen sie mir, ich wurde entführt und bin nicht freiwillig hier!“ und die feine Dame antwortete mit der Andeutung eines Lächelns unter ihrem Schleier: „Ich weiß!“


    Nun war es an Ben, sie fassungslos anzustarren, aber bevor er noch etwas sagen konnte, hatte ihn die Frau von oben bis unten gemustert: „Wasche er sich, er ist schmutzig, das beleidigt mein Auge!“ befahl sie und Berghoff nickte zustimmend. Grob zerrte er Ben auf die Beine, der mit einem Schmerzenslaut wieder einknickte, als er versuchte den geschwollenen Fuß mit der gerissenen Sehne zu belasten. „Stell er sich nicht so an!“ sagte die Dame huldvoll und während Berghoff das große stabile Schloss öffnete, mit der die Kette an der Wand befestigt war, versuchte Ben nochmals das schmerzende Bein zu belasten und irgendwie ging es auch. Grob zerrte ihn Berghoff an der Kette hinter sich her aus dem Keller. Ben ging mit, denn er hoffte, vielleicht irgendeine Gelegenheit zu finden, seinen Entführer niederzuschlagen. Mit der Frau würde er dann schon fertig werden, das war kein Problem, auch in seinem geschwächten Zustand.

    Als sie im Burghof angekommen waren, stand in dessen Mitte ein originaler alter Brunnen mit einem Schöpfeimer und einem Seil auf einer Kurbel. „Hol er sich Wasser!“ befahl die Frau und Ben, dem es nur Recht war, sich zu waschen, denn wenn er an sich heruntersah, war er wirklich von Blut, Schweiß und Schmutz völlig verklebt, begann folgsam die Kurbel zu bedienen. Neben dem Brunnen lag ein leinenes, grobes Handtuch, ein grober Fetzen, der wohl als Waschlappen dienen sollte und ein Stück Schafsmilchseife bereit. Auf Mittelalterfesten gab es sowas zu kaufen, daher kannte das Ben, denn er war mit Sarah erst vor wenigen Wochen auf so einem Event gewesen.
    Als er das Wasser mühsam hochgekurbelt hatte-es war sogar relativ sauber und der Holzeimer schien auch noch original zu sein, befahl die Dame: „Entkleide er sich!“ Ben sah an sich herunter. Außer der mittelalterlichen Leinenhose hatte er nichts an. Er würde einen Teufel tun und die ausziehen und das sagte er auch gleich. Als er gerade seiner Ablehnung Ausdruck zu verleihen begann, sah er aus dem Augenwinkel, wie Berghoff den Taser zückte und wie ein Baum, den man fällt, holte es ihn augenblicklich von den Füssen und er war kurz bewusstlos, als er am Boden aufschlug. Als er stöhnend wieder zu sich kam, war er nackt und Berghoff hatte die schmutzige Hose außerhalb seiner Reichweite abgelegt. Ben bedeckte seine Scham mit den Händen, aber die Frau lachte bloß spöttisch. Als Berghoff ihn nochmals mit dem Taser bedrohte, rappelte Ben sich dann doch auf und begann sich, begafft von hungrigen Augen, von oben bis unten zu waschen. Er kam sich so ausgeliefert und beschämt vor, auch wenn er sonst ein gutes Körpergefühl hatte und auch gerne in die Sauna ging, aber da waren alle unbekleidet und das freiwillig. Das hier war furchtbar für ihn und jedes Mal, wenn er versuchte, sich genant wegzudrehen, bedeutete die Dame Berghoff mit einem kurzen Wink, ihn wieder ihren Blicken auszuliefern. Oh mein Gott, was hatten die bloß noch mit ihm vor?

  • Nach einer Weile war Ben wirklich sauber, das Wasser war zwar kalt, aber er hatte nochmals einen Eimer hochgekurbelt und sogar seine Haare gewaschen, da waren jetzt zwar sicher noch Seifenreste zu sehen, aber egal, er war schließlich nicht auf Brautschau! Anfangs hatte er sich fürchterlich geniert aber jetzt hatte der Trotz von ihm Besitz ergriffen-die Tussi würde ihm schon nichts wegschauen. Er straffte unmerklich seinen schmerzenden Rücken. Er war momentan auch nicht mehr durstig, denn die ersten Schlucke Wasser aus dem frischen Eimer hatte er genossen. Er hatte die Frau sogar herausfordernd angesehen-pah, wegen so ein bisschen Nacktheit würde er sich nicht ins Bockshorn jagen lassen! Er hatte schließlich seinen Stolz nicht verloren-die sollte nur gaffen!


    Auch die Frau hatte die Wandlung Ben´s vom angstvollen Opfer zum selbstbewussten Mann, der sie nun herausfordernd ansah, bemerkt. Na warte-dem würde sie noch Manieren beibringen-er wusste nicht, mit wem er gerade dabei war, sich anzulegen!
    „Bringe er ihn zurück zur Spezialbehandlung!“ befahl sie nun Berghoff. Gerade als der nach der Kette greifen wollte, nutzte Ben seine Chance und den Überraschungseffekt. Er packte selber die Kette, legte sie Berghoff um den Hals und zog mit aller Kraft zu. Berghoff japste nach Luft und gab sofort jegliche Gegenwehr auf. Ben rang ihn zu Boden und wollte ihn gerade vollends ausschalten, als plötzlich irgendetwas mit Wucht auf seinen Hinterkopf geschlagen wurde. Einen kurzen Moment konnte er sein Bewusstsein noch aufrechterhalten, aber dann erschlaffte er.


    Berghoff kam japsend wieder auf die Beine und sah dankbar die Frau an, die Ben mit dem Holzeimer niedergeschlagen hatte. „Ich hätte nicht gedacht, dass er noch die Kraft hat, sich zu wehren!“ entschuldigte er sich und rieb sich den schmerzenden Hals. „Das ist gut, das ist sogar sehr gut, dann haben wir einen triftigen Grund ihn zu bestrafen!“ sagte die Frau mit süffisantem Lächeln. Ben kam gerade langsam wieder zu Bewusstsein, aber als er sich aufstöhnend ein wenig erhob, sah er Berghoffs Gesicht ganz nahe vor sich, der ihm den Taser zeigte. „Jetzt bin ich selber sauer, das war keine gute Idee!“ sagte er drohend und Ben rappelte sich nun wortlos auf, packte seine Kette, deren Ende Berghoff in der Hand hielt und machte sich auf den Weg zurück ins Verließ. Diesmal hatte es nicht geklappt, aber es würde sich eine neue Gelegenheit bieten, er war sich sicher. An der Treppe zog Berghoff gemeinerweise an der Kette an, so dass Ben die drei letzten Stufen hinunterstürzte und nun stöhnend am Fuße der Treppe lag. Bis er sich aber ein wenig gefangen hatte, hatten Berghoff und die Frau gemeinsam ein merkwürdiges Gerät in die Mitte des Raumes gezogen. Es war ein Holzbock, auf dem ein nach oben spitz zulaufender Sattel aus Metall angebracht war. Bedroht mit dem Taser stieg Ben nun rittlings hinauf und merkte verzweifelt, dass er darauf wegen der scharfen Kante gar nicht richtig sitzen konnte. Das schmale Metall bohrte sich schmerzhaft in seine Weichteile, egal, wie er versuchte seine Lage einzunehmen. Er probierte sich mit den Knien seitlich am Holzbock festzuklammern, um den Druck auf seinen Unterkörper zu mindern, aber da kam auch schon die Frau heran und befestigte an jedem Fuß mit einer Eisenfessel Gewichte. Ben stöhnte schon auf, als sie nur an die verletzte Extremität herankam, aber als er nun gnadenlos mit vollem Druck nach unten gezogen wurde, konnte er nicht anders, sondern begann laut zu schreien. Berghoff hatte seine Videoausrüstung wieder in Betrieb genommen und zoomte zwischen seine Beine. Als Ben versuchte, sich mit den Händen abzustützen wurden auch die ihm noch auf den Rücken gefesselt. Ben meinte, dass er jetzt in zwei Teile gespalten würde, das warme Blut rann an seinen Schenkeln herunter und irgendwann konnte er nicht mehr schreien, sondern nur noch verzweifelt schluchzen.
    Nach einem Blick auf die Uhr sagte Berghoff: „Gnädigste, ich denke, wir müssen zum Ende kommen, damit der Herr Gemahl nicht ungeduldig wird und sie nickte huldvoll. Berghoff entfernte die Gewichte von Ben´s Füssen und sagte hämisch: „Na das war doch ein schöner Ritt auf dem spanischen Reiter, aber Ben konnte nicht mehr antworten, sondern brach vor Schmerzen bewusstlos zusammen.

    Berghoff zog ihn vollends herunter, schleppte ihn in sein Verließ und kettete ihn dort wieder an. Die Handfesseln löste er noch, aber dann machte er sich mit seinem Gast auf den Weg nach draußen. Bis zum Abendtermin würde er noch nach Hause zum Essen fahren. Er ließ die Zugbrücke, die er als Abwehr gegen ungewollte Störungen immer hochzog, sobald die Kundschaft da war, herunter, während seine Kundin sich noch in der Burg umzog und nachdem die nächsten 300 000 € ihren Besitzer gewechselt hatten, fuhren der Schlossherr und die frustrierte Hausfrau mit den niederen Trieben hintereinander den Berg hinunter.

  • Semir hatte sich nach dem Telefongespräch mit Konrad Jäger nun alleine auf den Weg zur genannten Schlossdinneradresse gemacht. Vielleicht konnte er da neue Erkenntnisse gewinnen, oder Ben hatte irgendjemandem erzählt, wo er am Samstag hinwollte. Semir würde sich vom Gastgeber, diesem Berghoff, auf jeden Fall eine Gästeliste geben lassen!
    Als er an der Tür geläutet hatte, wurde er als Erstes von einem Diener empfangen, der, wie in alten Zeiten, eine Livree trug. Der brachte ihn dann zur Herrin des Hauses, die gerade ein erfrischendes Bad in dem Schwimmbad im Keller genommen hatte und so für ihre Fitness gesorgt hatte. Im weißen Bademantel empfing sie den Polizisten in der Eingangshalle und gab freundlich und bereitwillig Auskunft. „Wir veranstalten in regelmäßigen Abständen Themendinner bei uns im Schloss. Wissen sie, die Räumlichkeiten, das Geschirr und das Personal sind vorhanden und der Unterhalt eines solchen Schlösschens ist teuer. Deshalb haben wir das eingeführt. Die meisten Leute bezahlen dafür und das nicht wenig-aber an erlesene Gäste, wie Konrad Jäger-verschicken wir die Einladungen auch unentgeltlich. Mein Mann macht sich da immer eine wahnsinnige Mühe das Ganze originalgetreu umzusetzen-er sammelt auch Kleidung und Gegenstände aus vielen Epochen, recherchiert originale Rezepte und liefert dann auch noch schöne Erklärungen für diese Dinge!“ erklärte sie und sah dann überrascht auf, als ihr Mann genau in diesem Augenblick hereinplatzte.


    Er hatte immer noch das mittelalterliche Gewand mit eng anliegenden Kniehosen, die oben pludrig aufsprangen und einem eng anliegendem Oberteil an, an dessen Ärmel eine Blutspur zu entdecken war. Als er überrascht hinzutrat-er hatte schon den silbernen BMW in der Einfahrt stehen sehen-stellte seine Frau die beiden sofort vor: „Joachim, das ist Herr Gerkan von der Polizei, Herr Gerkan, mein Mann!“ sagte sie. „Herr Gerkan hat ein paar Fragen bezüglich unseres Schlossdinners am vergangenen Freitag!“ sagte sie und Berghoff bat mit breitem Lächeln:“Fragen sie nur, fragen sie!“ und sah Semir aufmerksam an. Der überlegte, inwieweit er die beiden einweihen wollte, aber nachdem sie vermutlich sowieso bald mit einer Meldung an die Presse nach Ben suchen würden, entschied er sich für die Wahrheit.


    „Mein Kollege, Herr Jäger, er ist der Sohn des Bauunternehmers, war am vergangenen Freitag bei ihnen zum Dinner. Er ist jetzt seit Samstag verschwunden und ich wollte sie fragen, ob sie, oder einer ihrer Gäste, sich erinnern können, ob er erwähnt hatte, wo er am Samstag hinwollte!“ fasste Semir kurz zusammen. Die Schlossherrin überlegte kurz. „Ich muss gestehen, ich habe mit ihm keine drei Worte gewechselt-ich habe mich eher um die Damen gekümmert. Aber Joachim, du hast doch länger mit ihm gesprochen, soweit ich mich erinnern kann!“ sagte sie. Berghoff überlegte fieberhaft, ob irgendwer in der Nähe gewesen war und vom Inhalt ihres Gesprächs etwas mitbekommen hatte, kam aber dann zu dem Schluss, dass das niemand belauscht haben konnte. „Leider kann ich ihnen nicht weiterhelfen. Wir haben uns über Belanglosigkeiten und kulinarische Spezialitäten aus dem Mittelalter unterhalten!“ gab er deshalb an. „Wie sie sehen können, ist das ein kleiner Spleen von mir!“ sagte er noch und wies lächelnd auf sein Kostüm. Ihm war natürlich auch bewusst, dass die Blutspur, die von Ben stammte, den scharfen Augen des Polizisten vermutlich nicht entgangen war. „Schatz, sieh mal, ich hoffe unsere Reinigung bekommt das Blut wieder raus-ich habe heute urplötzlich Nasenbluten bekommen und bis ich es bemerkt habe, hatte ich schon den Ärmel beschmutzt!“ lenkte er ab und atmete innerlich auf, dass Semir der Sache anscheinend kein Gewicht beimaß.
    „Tut mir leid, dass ich ihnen nicht weiterhelfen konnte, aber ich habe später noch einen Geschäftstermin und möchte zuvor noch etwas essen und mich umziehen!“ verabschiedete er sich dann von Semir. „Meine Frau wird ihnen die Gästeliste geben!“ und damit drehte er sich um und verschwand in seinem Ankleidezimmer. Semir nahm die Gästeliste entgegen und war ein wenig nachdenklich. So freundlich der Typ gewesen war, aber ein wenig komisch war der schon. Außerdem hatte er an seinem Hals eine Art Strangulationsmal entdeckt-ob das mit dem Nasenbluten so wahr gewesen war? Dann machte er sich allerdings auf den Weg zu seinem Wagen, um in der Zentrale die Adressen der anderen Gäste heraussuchen zu lassen und denen einen abendlichen Besuch abzustatten.


    Ben war inzwischen wieder zu sich gekommen. Der allumfassende Schmerz, der ihm das Bewusstsein geraubt hatte, war einem dauernden Brennen gewichen. Als er ganz wach war, zog er als erstes die schmutzige Decke um seinen nackten, geschundenen Körper und robbte auf den Strohsack. Erst nach einer Weile, in der er sich gefasst hatte, konnte er vorsichtig zwischen seine Beine blicken und im Dämmerlicht anschauen, was der scharfkantige Sattel bei ihm angerichtet hatte. Allerdings war dort alles blutig und verschwollen und so blieb er einfach auf seinem Strohsack liegen. Sein Fuß war nach der Tortur auch wieder zu monströser Größe angeschwollen. Stöhnend wuchtete er ihn mit beiden Beinen hoch und stützte ihn an der Wand ab. Du lieber Himmel, wenn Semir ihn nicht bald fand, würde er hier als Hackfleisch rauskommen. „Semir, bitte suche und finde mich!“ bat er inständig und dachte ganz fest an seinen Freund.
    Der stand derweil an einer roten Ampel und musste in diesem Augenblick plötzlich an Ben denken. Er warf einen Blick auf den leeren Beifahrersitz. „ Wo steckte Ben-und wie konnte er ihn finden?“

  • Semir machte sich nacheinander auf den Weg von einem Dinnergästepaar zum nächsten, die alle im Raum Düsseldorf und Köln lebten. Die ganze Zeit war er unkonzentriert. Seit heute Mittag wusste er, dass Ben verschwunden war, aber er machte sich Vorwürfe, ihn nicht früher kontaktiert zu haben. So hatten sie wertvolle Zeit verloren!
    Irgendwann musste er mal zur Toilette und steuerte den nächsten Rastplatz an. Der Parkplatz war um diese Zeit, es war kurz nach 21.00 Uhr noch halbvoll, aber als er eher routinemäßig seinen Blick schweifen ließ, stockte ihm fast der Atem. Das war doch Ben´s Porsche! Er drückte nochmals aufs Gas und brachte mit quietschenden Bremsen seinen BMW davor zu stehen. Er sprang aus dem Fahrzeug, spähte ins Innere des Wagens, konnte aber nur undeutlich ein Handy auf dem Beifahrersitz erkennen. Aufgeregt griff er zum Telefon und wählte Hartmut´s Privatnummer. Der ging auch kurze Zeit später mit schon ein wenig schlaftrunkener Stimme hin. „Semir, was gibt´s?“ fragte er und der fiel ihm auch schon ins Wort. „Hartmut, ich habe Ben´s Wagen gefunden. Er steht auf einer Autobahnraststätte nur ein wenig außerhalb Kölns. Kannst du bitte sofort kommen?“ rief er aufgeregt ins Telefon und nannte die entsprechende Adresse. Hartmut war sofort hellwach. „Na klar, ich bin in Kürze da-weiß die Chefin schon Bescheid?“ fragte er, aber da musste Semir verneinen. „Rühr bloß nichts an und verständige die Zentrale!“ befahl Hartmut und Semir tat, was sein Kollege ihm befohlen hatte.


    Es dauerte nicht lange und dann kam Hartmut mit seinem Privat-Pkw und einem Spurensicherungskoffer, den er immer zuhause aufbewahrte. Er schlüpfte in den weißen Schutzanzug und Handschuhe und versuchte zunächst Fingerabdrücke von den beiden Türen zu gewinnen, wo aber keine zu finden waren. Dann knackte er professionell das Schloss, was allerdings sofort die Alarmanlage zum Anspringen brachte. Während Hartmut in aller Seelenruhe erst versuchte Abdrücke zu sichern und dann die Motorhaube öffnete, um die Hupe abzuklemmen, kam ein etwa 70-jähriger Mann neugierig nähergelaufen. Semir stockte beinahe der Atem, denn er trug eindeutig Ben´s Lederjacke und eines seiner Shirts. Semir sprang auf ihn zu und packte ihn mit eisenhartem Griff am Arm: „Wo ist mein Kollege?“ herrschte er ihn an und der Mann sah ihn verwundert an. „Woher soll ich das wissen?“ fragte er und Semir sagte: „Sie tragen schließlich seine Klamotten und er wird vermisst!“ und da wurde der Gesichtsausdruck des Mannes ängstlich. „Ich halte hier auf dem Rastplatz Ordnung, seitdem ich berentet bin, kehre zusammen und leere die Mülleimer. Das Bündel hervorragend erhaltener Kleidung war vorgestern in dem Mülleimer da vorne. Ich habe es rausgeholt, meine Frau hats gewaschen und weil es meine Größe ist, trage ich es auch. Wenn sie sehen könnten, was die Leute noch so alles wegschmeißen! Aber es ist schließlich nicht verboten, sich Kleidung, die andere wegwerfen, zu nehmen!“ erklärte er.


    Hartmut hatte währenddessen den winzigen Kofferraum geöffnet, aber auch da war nichts zu finden. Auch das ausgeschaltete Handy würde er sich später näher im Labor ansehen.
    Inzwischen war der von Hartmut angeforderte Abschleppwagen eingetroffen, um den Porsche in die KTU zu bringen und Semir befragte den Rentner weiter. „Seit wann steht der Porsche da? „ und nach kurzer Überlegung sagte er: „Er dürfte seit Samstagabend oder Sonntagmorgen da stehen. Ich bin am Samstag um 17.00 Uhr heimgegangen, da war er noch nicht da. Am Sonntagmorgen um 7.00 Uhr stand er schon da und an dem Vormittag habe ich auch die Kleidung gefunden. „Was für Kleidungsstücke, außer denen, die sie anhaben, waren da noch im Müll?“ fragte Semir und der Mann sagte nach kurzer Überlegung: „Na noch ne Jeans, die mir allerdings zu lang ist und ne Boxershort, die habe ich aber weggeschmissen-fremde getragene Unterwäsche mag ich nicht.“ erklärte er und nun wurde es Semir irgendwie schummrig. Wo war Ben und was war mit ihm passiert?


    Der hatte inzwischen in seinem Kerker verzweifelt versucht, irgendeine Lage zu finden, in der die Schmerzen erträglich waren. Nicht nur die Folterungen, auch der Sturz und die Taserwunden setzten ihm zu. Ihm war kalt, immer wieder überliefen ihn Schauer und auch sein Rücken hatte sich anscheinend durch das Liegen auf dem schmutzigen Boden entzündet. Der fühlte sich nämlich feuerheiß an, während der Rest seines Körpers vor Kälte zitterte. Lange würde er das nicht mehr aushalten! Vielleicht würde er seine letzten Stunden angekettet hier im Verließ verbringen, niemand würde ihn finden und irgendwann würde sein Körper verfaulen und nur das Skelett übriglassen. Mann, er hatte zu viele Gruselfilme gesehen, aber der Kloß in seinem Magen blieb. So ganz auszuschließen war das nämlich nicht. Berghoff hatte sich nicht verkleidet, ihm musste klar sein, dass Ben und Semir ihn jagen würden bis ans Ende der Welt, wenn Ben jemals freikam. Vermutlich war das nicht sein Plan und nun fühlte sich Ben gleich noch eine ganze Ecke schlechter als vorher.

  • Berghoff hatte nervös seine mittelalterliche Kluft abgelegt und der Haushälterin anvertraut, die sie zur Spezialreinigung bringen sollte. Gut, dass er da Auswahl hatte! Nach kurzem Überlegen nahm er ein anderes mittelalterliches Outfit aus dem Schrank in seinem Ankleidezimmer, das durch einen plissierten Kragen die Strangulationsmale überdeckte. Er zog aber momentan eine Anzughose und einen Pullover mit Seidenschal an, nicht dass seine Frau auch noch wissen wollte, was er da am Hals hatte! Mann, er hatte auch nicht gewusst, dass sein Opfer Polizist war. Jäger hatte ihm nur erzählt, dass sein Sohn unverheiratet war, aber natürlich war er davon ausgegangen, dass der irgendeinen Posten in der Baufirma hatte. Auch war ihm dieser kleine Polizist unheimlich gewesen, kleine Männer waren oft sehr verbissen, wenn sie ein Ziel hatten. Wenn der ihn irgendwie in Verdacht haben würde, dass er mit Ben´s Verschwinden etwas zu tun hatte, dann würde er nicht locker lassen-Berghoff kannte solche Typen!


    Zunächst genoss er aber ein wundervolles Abendessen mit seiner Frau. Danach sah er in der Küche vorbei und erklärte der Köchin mit breitem Lächeln: „Heute haben sie sich mal wieder selber übertroffen-genau diese Speisenfolge nehmen wir beim nächsten Schlossdinner!“ und zauberte ihr damit ein Lächeln aufs Gesicht.
    Während seine Frau sich vor dem Fernseher flachlegte, verschwand er in seinem Arbeitszimmer und ging an den PC. Der Besuch des Polizisten hatte ihn unruhig gemacht-es wäre fatal, wenn der eine Hausdurchsuchung machen würde, dann könnten sie ihn überführen!
    Er schaltete deshalb den Livestream auf die Webcams in der Burg ab, löschte das Programm und kontrollierte, dass er auch seine Kontaktadressen nur fest auf seinem Smartphone, nicht auf dem PC hatte. Nun führte keine Spur mehr zu ihm und dann legte er wieder sein mittelalterliches Gewand an und rief seiner Frau, die vor dem Fernseher schon am Eindösen war zu: „Schatz, ich muss nochmal kurz weg-bis später!“ und sie murmelte im Halbschlaf einen Abschiedsgruß.


    Berghoff beeilte sich zur Burg zu kommen. Punkt 22.00 Uhr hatte er den nächsten Kunden bestellt. Na ja, eigentlich war das ja der Sohn eines anderen Kunden, dem er schon mehrfach entgegengekommen war. Sein Vater war ein schwerreicher Medienmogul, der selber eher gemäßigte Wünsche hatte, die mit Rollenspielen und einer versierten Domina zu befriedigen waren, aber seine sadistischen Neigungen anscheinend direkt an seinen Sohn weitergegeben hatte, der dabei aber keine Grenzen kannte. Sehr zum Leidwesen seines Vaters war er in der Gothic-Szene zuhause und war dabei schon mehrfach mit der Polizei in Berührung gekommen. Bisher hatte der Vater eine Verurteilung immer mit knapper Not und viel Einfluss verhindern können, aber jetzt hatte er vorgesorgt und wandte sich immer an vertrauenswürdige, verschwiegene Kontaktleute wie Berghoff, die ihm immer Mal eine Befriedigung seiner Triebe verschafften, ohne dass die Polizei davon Wind bekam. Er war dazu auch schon ins Ausland geflogen worden, in Südostasien fiel es nicht so auf, wenn einmal ein Opfer bleibende Schäden davontrug, mit ein wenig Geld ließen sich die Menschen dort sehr schnell ruhig stellen. Berghoff hatte schon viel Geld mit dem jungen Mann verdient, obwohl er sagen musste, dass sogar ihn das Grauen überkam, wenn er den Millionärssohn in Aktion sah.


    Als er um die Ecke in den Burghof einbog, stand das Auto schon da. Es war ein freakiger kleiner schwarzer Mini, der mit Totenschädeln und gekreuzten Knochen verziert war. Hoffentlich hatte den kein Dorfbewohner gesehen, der Wagen wäre sofort zu identifizieren!
    Berghoff stieg aus, ließ aber seine Scheinwerfer noch brennen, weil der Burghof ja stockfinster war. Eine Eule rief und momentan konnte er gar nichts erkennen. Gerade als er nach dem nächtlichen Kunden rufen wollte, löste sich eine dunkle Gestalt in einem langen Umhang aus dem Schatten. Berghoff lief es kalt den Rücken herunter. Der Schädel des hageren jungen Mannes war oben kahlrasiert, unten fielen ihm lange weißblonde Haare bis zur Hüfte. Er war geisterhaft weiß geschminkt, hatte lange schwarze Kunstfingernägel, die an Klauen erinnerten und fragte mit flüsternder Stimme: „Wo ist er-ich habe die Bilder, die sie uns geschickt haben, angeschaut, er gefällt mir gut-sogar sehr gut!“
    Berghoff räusperte sich und straffte seinen Rücken. „Kommen sie mit-ich muss allerdings noch etwas vorbereiten, sie müssen sich noch einen Moment gedulden!“ erklärte er. Der junge Mann zeigte die Andeutung eines Lächelns: „Ich habe mir schon den ganzen Tag ausgemalt, was ich heute tun möchte. Ich werde inzwischen Feuer machen!“ sagte er und nun musste sogar Berghoff schlucken.


    Ben´s Wagen war derweil in die KTU gebracht worden. Semir war mit dem alten Mann inzwischen sogar noch zu ihm nach Hause gefahren, aber die Frau hatte tatsächlich alles gewaschen, war dabei die Jeans zu kürzen und die Boxershorts waren mit der Müllabfuhr, die ausgerechnet heute dagewesen war, abgeholt worden.
    Eine Polizeieinheit suchte mit Spürhunden und Taschenlampen die Gegend rund um den Autobahnrastplatz ab, sogar ein Hubschrauber mit einer Wärmebildkamera untersuchte die Gegend, ohne aber mehr als einige Katzen und Marder aufzuscheuchen. Auch die Krüger war von zuhause an den Rastplatz geeilt und hatte sich über die neuesten Erkenntnisse informieren lassen, aber Ben blieb verschwunden.


    Semir dachte, als er in der KTU ankam, inzwischen war es 23.00 Uhr geworden, endlich daran, Sarah zu informieren. Die war nach dem ersten Läuten sofort am Telefon. Sie war völlig mit den Nerven runter und würde morgen nicht zum Dienst gehen, wie sie ihrer Stationsleitung schon mitgeteilt hatte. Die war erst ein wenig sauer gewesen, als sie aber den Grund für den Ausfall hörte, war sie still. Oh je-Sarah und ihr Polizistenfreund. Irgendwas war doch immer mit dem, aber klar konnte Sarah da nicht arbeiten, wenn sie die Gedanken nicht bei der Sache hatte.
    Sarah sprang in ihren Wagen und raste, als ob es irgendetwas bringen würde, ebenfalls zur KTU. Semir erwartete sie dort und erzählte ihr kurz, wie und unter welchen Umständen er Ben´s Wagen mit dem Handy entdeckt hatte. Als er erwähnte, dass alle Kleidung, die Ben angehabt hatte, gefunden worden war, musste sie sich an der Wand abstützen, so übel war ihr momentan. Was um Himmels Willen war mit ihrem Freund geschehen?

  • Berghoff ging nun mit seinem unheimlichen Kunden über die Zugbrücke. Er schloss die Tür auf und machte die Außenbeleuchtung an, um anschließend die Zugbrücke hochzukurbeln. Als er sich umdrehte, war sein Kunde verschwunden. Fluchend machte Berghoff sich auf die Suche und fand ihn schließlich im Turmzimmer, wo er vor dem Laptop stand und sich mit hungrigem Grinsen sein zukünftiges Opfer besah, das sichtlich angeschlagen, das eine Bein an der Wand abgestützt, auf dem Strohsack lag und sich zitternd in den alten Fetzen gehüllt hatte.


    Nachdem ein Mann wohl nicht so viel Vergnügen daran finden würde, ein nacktes Opfer zu quälen, beschloss Berghoff noch kurz auf den Schlosshof zu gehen und Ben´s Hose zu holen. Wie ein Schatten folgte ihm der unheimliche junge Mann. Berghoff war es extrem unangenehm, den in seinem Rücken zu haben. Beim Licht der Innenbeleuchtung hatte er noch zwei Details wahrgenommen, die ihm nochmals Schauer über den Rücken jagten. Der Gothic-Fan hatte bernsteinfarbene Kontaktlinsen eingesetzt, die seine Augen wie Katzenaugen mit schmalen Schlitzen erscheinen ließen und zudem waren seine Eckzähne angefeilt.


    Während sie die Treppe hinuntergingen, erklärte Hieronymus, wie der Künstlername aus der Szene, des jungen Mannes lautete, was er sich für Phantasien ausgemalt hatte.
    „Ich hoffe, es gibt eine Möglichkeit, Eisen zum Glühen zu bringen. Immer stelle ich mir schon vor, wie es sein würde, einen Übeltäter zu brandmarken!“ erzählte er frei seine perversen Phantasien. „Ich hoffe, sie haben die Möglichkeiten dazu, sonst müsste ich nochmals kurz verschwinden, um das Zubehör zu besorgen!“ aber Berghoff schüttelte den Kopf. „Das brauchen sie nicht. Die Folterkammer ist original erhalten, da findet sich alles, was man dazu früher gebraucht hat!“ sagte er widerstrebend. Irgendwie war ihm das Ganze langsam too much, allerdings konnte er jetzt nicht mehr aus. Der junge Mann wäre ihm körperlich überlegen und wenn er ihm die Erfüllung seiner Wünsche untersagte, würde er ganz schnell selber in den Fokus rücken und da hatte er nun überhaupt keine Lust zu. Nun fiel ihm auch ein, dass er vorhin in seinem Zorn ganz vergessen hatte, Ben die Wassersuppe zu geben, damit der bei Kräften blieb. Seine Köchin hatte nach einem originalen Mittelalterrezept sowas gekocht, aber die schmeckte nach kaum was und hatte sicher auch wenig Kalorien, aber immerhin war sie nach überlieferten Rezepten. Irgendwo musste die kleine Schale noch stehen. Transportiert hatte er sie in einer Tupperdose, aber das war ja wohl fürs Mittelalter völlig daneben, deshalb hatte er sie nach seiner Ankunft am Nachmittag schnell umgeleert. Allerdings hatte er das wegen der Frau dann völlig vergessen und als er gefahren war, war Ben ja schließlich noch bewusstlos gewesen.
    Im Licht seiner Taschenlampe aus dem Handy fand Berghoff schließlich Ben´s Hose. Sie war feucht vom Tau und schmutzig, aber eine andere hatte er nicht. Außerdem wagte er zu prophezeien, dass Ben der Zustand der Hose völlig egal sein würde, wenn Hieronymus mit ihm fertig war.


    Hartmut hatte inzwischen das Fahrzeug genauestens unter die Lupe genommen. „Auf den ersten Blick habe ich leider überhaupt nichts gefunden, auch nicht Ben´s Fingerabdrücke an Tür oder Lenkrad. Die wurden sauber abgewischt, wer das Auto dort abgestellt hat, wusste, was er tat!“ erklärte er Semir und Sarah, die gebannt auf irgendwelche Ergebnisse warteten. Als er sich den Reifen widmete, fand er da durchaus neben normalem Straßenschmutz in den tiefen Profilrillen der Winterreifen lehmige Anteile, aber er würde die erst gründlich analysieren müssen, bevor er eine Aussage dazu treffen konnte.
    Er saugte vorsichtshalber den Fahrzeuginnenraum mit einem frischen Beutel noch gründlich heraus. Manchmal fand man später noch irgendwelche Fasern im Staubsaugerbeutel, die sich dem bloßen Auge momentan entzogen hatten.


    „Tut mir leid, ich muss jetzt die Feinanalysen im Labor und unterm Elektronenmikroskop vornehmen, das kann aber leicht die restliche Nacht dauern. Fahrt nach Hause-Semir, ich rufe dich sofort an, auch notfalls morgens um drei, wenn ich irgendwas herausgefunden habe!“ schickte Hartmut die beiden Wartenden weg. Es genügte schließlich, wenn sich einer die Nacht um die Ohren schlug. Semir, der sah, wie fertig Sarah war und dass man die jetzt nicht alleine lassen konnte, sagte zu ihr: „Komm Sarah, du fährst jetzt mit zu uns nach Hause und schläfst in unserem Gästezimmer. Wenn Hartmut etwas herausfindet, erfahren wir es sofort, aber Ben hat jetzt nichts davon, wenn wir hier die ganze Nacht in der KTU herumstehen!“ und Sarah nickte folgsam. Sie war irgendwie froh, dass jetzt jemand für sie die Initiative ergriff und stieg ohne Widerrede in Semir´s BMW ein. Andrea war noch wach-sie war von Semir auf dem Laufenden gehalten worden und hatte das Bett im Gästezimmer schon für Sarah hergerichtet. Sie zwang Semir und Sarah noch jeder einen Teller heiße Suppe zu essen, gab Sarah einen Schlafanzug von sich und eine frische Zahnbürste und wider Erwarten war Sarah auch bald eingeschlafen.
    Semir dagegen wälzte sich ruhelos von einer Seite zur anderen. Er fühlte genau, Ben war noch am Leben, aber es ging ihm nicht gut und er brauchte dringend seine Hilfe. Irgendwann fiel er doch in einen unruhigen Schlaf, aber im Traum hörte er Ben verzweifelt schreien und seinen Namen rufen und noch bevor der Morgen graute, schreckte Semir wieder wie gerädert hoch.

  • Auch Sarah war zwar momentan vor Erschöpfung eingeschlafen, immerhin war sie schon eine Weile wach gewesen und hatte auch einen anstrengenden Frühdienst hinter sich, aber nach wenigen Stunden erwachte sie und verging fast vor Sorge um Ben. Was hatte das zu bedeuten, dass man das Auto und die Kleidung gefunden hatte. Brauchte Ben, da wo er war, nichts zum Anziehen. Oh Gott, wenn er tot war und man irgendwann seine nackte Leiche finden würde, sie würde nicht darüber hinwegkommen. Immerhin hatten sie zuvor wegen einer Banalität gestritten und das war irgendwie noch nicht ausgeräumt. Sie war zu einem Kompromiss bereit gewesen, aber Ben konnte das ja nicht wissen. Sie griff nach ihrem Handy und las die Nachrichten, die sie die vergangene Woche ausgetauscht hatten. Das klang eigentlich schon so, als ob er noch Interesse an ihr hätte, aber vielleicht war er auch einfach abgehauen und hatte seine Zelte hinter sich abgebrochen, um ihr nicht mehr gegenübertreten zu müssen. Obwohl-dann hätte er doch vermutlich wenigstens Semir, seinem Freund und Kollegen Bescheid gesagt, oder eher doch nicht? Verzweifelt stand sie auf, um sich in der Küche was zu trinken zu suchen. Als sie auf die Uhr sah, war es kurz nach fünf. Sie setzte sich mit einem Glas Wasser ins Wohnzimmer auf die Couch, hing ihren Gedanken nach und beobachtete, wie es nach einiger Zeit draußen hell wurde. Auf einmal hörte sie was und wenig später nahm Semir, der irgendwie furchtbar aussah, so verhärmt und voller Sorge, neben ihr Platz. „Sitzt du schon lange hier?“ fragte er und Sarah nickte. Während Semir nun aufstand und fragte „Kaffee?“, was Sarah mit einem erneuten Nicken beantwortete, drehte er sich plötzlich zu ihr um: „Ich weiß dass er noch lebt, er hat mich nämlich gerufen-und ich werde ihn finden!“ und nun fühlte sich Sarah irgendwie ein klein wenig besser.


    Ben war aus seinem schmerzvollen Dämmerzustand wieder erwacht. Langsam begann die Verzweiflung von ihm Besitz zu ergreifen. Als er husten musste, tat das auch noch furchtbar in seiner Brust weh und sein Hals schmerzte, na klasse, eine Erkältung bekam er also auch noch dazu, allerdings wäre es verwunderlich gewesen, wenn nicht. Verdammt, er musste nachdenken, irgendeinen Plan schmieden, wie er Berghoff überrumpeln und sich befreien konnte, so lange er noch ein Quentchen Kraft dazu hatte. Er hatte zwar das Zeitgefühl ein wenig verloren, weil er ja nicht wusste, wie lange er bewusstlos gewesen war, aber er schätzte, dass es jetzt Montagabend sein dürfte. Inzwischen war Sarah zurückgekehrt, hatte sich vermutlich über die unaufgeräumte Wohnung aufgeregt und in der Arbeit wurde er jetzt sicher auch schon vermisst. Er war sich sicher, dass Semir und die Kollegen fieberhaft nach ihm suchten, aber war da irgendeine Spur zu Berghoff zu finden? Als er nachdachte musste er allerdings zugeben, dass ihr Gespräch nach dem Dinner vermutlich niemand gehört hatte und von ihrer Verabredung auf der Burg hatte er leider auch niemandem erzählt. Vielleicht konnte aber Hartmut sein Handy orten, das da ja noch irgendwo liegen musste und der auffällige Wagen würde auch irgendwann jemandem ins Auge stechen. Obwohl-war Berghoff so blöd, dass er den im Burghof würde stehenlassen? Wohl eher nicht! Vermutlich wäre er nur durch einen Zufall zu finden, oder wenn Berghoff sich irgendwie verdächtig machte. „Semir, bitte schau dich um-dir wird etwas auffallen!“ flehte er innerlich, aber dann fiel er wieder zurück in seinen Dämmerzustand.


    Stunden später schreckte er hoch. Hatte er gerade etwas gehört, oder spielten ihm seine überreizten Nerven nun einen Streich? Er hatte Hunger und Durst, also hoffte er gleichermaßen, dass jetzt jemand kommen würde, wie er es fürchtete. Er war völlig abhängig von seinem Entführer, wenn der einfach nichts machte, wäre es in drei Tagen vorbei für ihn. Länger würde er es, ohne zu trinken, nicht aushalten, allerdings hatte er auch Angst vor neuen Folterungen und Schmerzen, denn obwohl er eigentlich nicht so empfindlich war, ging das hier über seine Kräfte. Er wollte gar nicht mehr zwischen seine Beine schauen, vielleicht wäre das Thema Kinder, über das er ja im Urlaub gerade begonnen hatte, intensiv nachzudenken, sowieso ein für alle Mal erledigt!
    Was Sarah wohl gerade machte? Ob sie ihn vermisste, oder vielleicht eher sauer war, weil er nicht aufgeräumt hatte. Dabei hatte er so gute Vorsätze gehabt, aber vielleicht würde sie das jetzt nie erfahren!
    Als sich die Tür zu seinem Verließ langsam öffnete, gefror ihm allerdings bei dem Anblick beinahe das Blut in seinen Adern!

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