Betonkunst

  • „Gerkan, Jäger, in mein Büro!“ tönte die Stimme der Chefin durch die PASt. Ben, der noch gar nicht richtig wach war und gerade dabei war einen Kaffee für Semir und sich einzuschenken, verzog das Gesicht. „Mann, was hat denn die schon für eine Laune am frühen Morgen!“ moserte er und nahm noch schnell einen Schluck aus der Tasse, woraufhin er sich prompt den Mund verbrannte und beinahe den Kaffee wieder ausgespuckt hätte. Mit beleidigter Miene machte er sich gemeinsam mit Semir auf den Weg ins Büro und dort erwartete sie neben Kim ein Mann, der ihnen beiden unbekannt war.


    „Meine Herren, darf ich vorstellen-das ist der Kulturreferent der Stadt Köln, Herr Weidenhiller, der ein Hilfeersuchen an uns gerichtet hat“ erklärte Frau Krüger. Semir und Ben sahen den korrekt im Anzug gekleideten Mann fragend an und der räusperte sich und reichte den beiden dann nacheinander die Hand. Auch sie stellten sich mit Namen vor und dann begann er nach einem Seitenblick auf die Chefin zu erzählen.
    „Ich weiß ja nicht, wie kulturinteressiert sie sind und inwieweit sie die Kölner Tagespresse verfolgen, aber ein großer Mäzen der Stadt hat sich bereiterklärt, den Bürgern ein wunderbares Kunstwerk zu schenken, das am Neumarkt aufgestellt werden soll!“ erklärte er den beiden Autobahnpolizisten. Semir und Ben warfen sich einen Blick zu. Natürlich hatten sie davon gehört, denn seit Wochen schlugen deswegen die Wogen hoch und es hatten sich in Köln mehrere Gruppierungen gebildet, die erbittert pro und contra dieses Kunstwerk mobil machten.


    „In Anbetracht unserer modernen Welt hat unser großzügiger Spender sich für ein wundervolles, interaktives Kunstwerk aus einem Werkstoff entschieden, der ein Symbol für unsere Zeit ist, nämlich Beton!“ erklärte der Referent mit einem verklärten Lächeln. Semir und Ben warfen sich einen wissenden Blick zu. Der Typ hatte einen an der Klatsche, das war klar zu erkennen, wer konnte sich sonst in einer sowieso schon viel zu sehr zubetonierten Welt an einer Betonskulptur erfreuen? Als hätte die Chefin ihre Gedanken gelesen, sagte sie, bevor einer der beiden eine unpassende Bemerkung ablassen konnte, indem sie sie warnend ansah: „Gut, über Kunst kann man sowieso nicht streiten, aber konkret sollen die einzelnen Betonbauteile dieses Kunstwerks, das am nächsten Wochenende feierlich eingeweiht werden soll, mit Tiefladern über unsere Autobahnen von der Betonfabrik, in denen der Künstler sie gegossen hat, zum Neumarkt gebracht werden. Einige Gruppierungen, die schärfstens gegen dieses Vorhaben protestieren, haben bereits angekündigt, dass der Transport nicht ohne Zwischenfälle verlaufen wird. Daher bittet die Stadt Köln um Unterstützung und den Schutz des Kunstwerks, was ich selbstverständlich bereits zugesagt habe!“
    Na klasse, das war ja sozusagen schon entschieden!
    „Ach ja, damit der Straßenverkehr in der Innenstadt nur so wenig wie möglich gestört wird, findet der Transport morgen früh zwischen vier und sechs statt!“ erzählte die Chefin nun munter und Ben begann sofort zu protestieren. „Chefin, das können sie doch nicht verlangen, da drehe ich mich gerade zum zweiten Mal um, das ist ja vor Tau und Tag!“ maulte er, aber sie sah ihn mit einem stechenden Blick an. „Morgen früh um 4.00 stehen sie beide in ihrem Fahrzeug an der Betonfabrik-keine Widerrede!“ verwarf sie sofort Bens Einwand und der konnte nun nichts anderes tun, als gute Miene zum unfairen Spiel zu machen. Während sich der Kulturreferent verabschiedete und ihnen noch die genaue Adresse des Werks gab, drehte sich die Chefin triumphierend um. Na das hatte ja besser geklappt, als sie erwartet hätte! Sie schmunzelte in sich hinein und fragte dann: „Gibt’s eigentlich schon Kaffee?“ woraufhin sich die Miene der beiden Männer erhellte. „ Natürlich, Ben hat schon welchen gekocht!“ gab Semir bereitwillig Auskunft und Ben spürte plötzlich wieder seine verbrannte Zunge.


    Obwohl sie deswegen früher Feierabend hatten machen dürfen, meinte Ben nicht aus dem Bett zu kommen, als um kurz vor drei sein Wecker klingelte. Mühsam schleppte er sich unter die Dusche, kippte sich ein Glas Orangensaft hinter die Kiemen und schlüpfte gerade in seine Klamotten, als Semir schon unten läutete. Der saß munter hinter dem Steuer des BMW und grinste seinen Kollegen an. „Na, ausgeschlafen?“ fragte er und Ben warf ihm erst mal einen bösen Blick zu. Wie schaffte es Semir nur immer, dermaßen fit zu sein, egal um welche Tageszeit das war? Na egal, während Ben langsam wach wurde, fasste Semir für ihn nochmals den geplanten Ablauf des Einsatzes zusammen.
    „Wir eskortieren die sechs Tieflader, unterstützt von mehreren Polizeifahrzeugen der Uniformierten. Die fahren mit Blaulicht vorneweg und hinterdrein, allerdings werden die Autobahnen nicht gesperrt, sondern der Verkehr soll normal weiterlaufen. Wir sollen sozusagen zusätzlich die Augen offen halten und eingreifen, sobald uns ein Fahrzeug, oder etwas anderes, merkwürdig vorkommt!“ erklärte er. Ben nickte und bald hatten sie das 30 km außerhalb Kölns gelegene Betonwerk erreicht.

  • Die Tieflader waren schon geladen und Semir und Ben stiegen aus und suchten den Verantwortlichen für den Transport, der ihnen gleich ein Funkgerät in die Hand drückte. Ein etwas merkwürdig aussehender Mann um die 60 mit wallendem Haupthaar und sehr alternativ wirkender Kleidung wuselte gestikulierend zwischen den Tiefladern herum und sagte anscheinend allen Fahrern gerade die Meinung. Die unterschiedlichen Betonteile in verschiedenen Grautönen waren gut verzurrt und gegen Beschädigungen mit Polsterung und Folie gesichert. Trotzdem war dem Mann die Anspannung anzusehen. „Hey, das ist der große Künstler, der dieses monströse Ding-in mir sträubt sich alles, das als Kunstwerk zu bezeichnen-geschaffen hat und der nun den Transport und den Aufbau seines Babys überwachen wird!“ erklärte Ben seinem Freund, der ebenfalls interessiert diese auffällige Persönlichkeit musterte. Er hatte den frühen Feierabend genutzt und noch eine Weile im Internet recherchiert.


    Der Künstler war auch überregional sehr bekannt, aber überall wo er ausstellte, gab es verschiedene Meinungen zu seinen Werken. Viele Kunstliebhaber waren hingerissen und priesen seine innovativen Ideen, die außergewöhnlichen Materialien und die monumentale Umsetzung von Kunst der Gegenwart.
    Der Gegenpol dazu waren bodenständige Menschen, die seine Werke einfach hässlich fanden-ob innovativ, oder nicht und beanstandeten, dass noch irgendjemand bereit war, Geld für so eine Geschmacksverirrung zu bezahlen. Jetzt war der Neumarkt in Köln ja ein beliebter Platz ohne Bebauung, sogar mit einem kleinen Park dabei. Viele Leute nutzten ihn, um von der Straßenbahn in die verschiedenen U-Bahnen umzusteigen, also kamen fast alle Kölner, die in das Zentrum wollten, da immer mal vorbei-von den Touristen mal ganz abgesehen. Egal was dort aufgestellt wurde-es war faktisch unmöglich, das zu ignorieren. Zu zentral war der Platz, an dem der Aufbau verwirklicht werden sollte.
    Nun hatte sich ein bekannter Kölner Kunstmäzen, der Deutschrusse Waldemar Sharpov, für den Künstler interessiert und angekündigt, die Kosten für das Kunstwerk in Höhe von 500 000 € zu übernehmen. Allerdings mussten die Kosten für den Transport und das Aufstellen, sowie die spätere Pflege der begehbaren Anlage von der Stadt Köln getragen werden, was nochmals mit mindestens 200 000 € beziffert war. Genug, um den gemeinen Kölner Bürger wegen Verschwendung von Steuergeldern auf die Barrikaden zu bringen. Die Zeitungen überschlugen sich fast in ihrer Berichterstattung und ganz Köln war in zwei Lager gespalten. Die, die Kunst im Alltag für wichtig hielten und andere, die das nicht als Kunst anschauen wollten, sondern in den „ Kunstwerken“ eher eine Verschandelung von Kölner Plätzen befürchteten. Nichtsdestotrotz hatte der Stadtrat beschlossen, dass das Kunstwerk aufgestellt und am nächsten Wochenende mit einem Festakt eingeweiht werden sollte.

    Endlich war alles fertig, der sichtlich nervöse Künstler stieg zum Kulturreferenten, der ihnen kurz zugenickt hatte, ins Auto und der Konvoi setzte sich in Bewegung.
    Zwei Polizeifahrzeuge mit jeweils zwei uniformierten Beamten begleiteten die Fahrzeugkolonne mit Blaulicht. Einer vorne dabei und einer als Nachhut. Semir und Ben folgten dem Trupp in einiger Entfernung und beobachteten routiniert den fließenden Verkehr, der an den Fahrzeugen vorbeirauschte. Ben hatte im Rückspiegel immer wieder den Eindruck, dass ihnen ein Fahrzeug folgte, aber wenn er ein zweites Mal hinsah, war er sich nicht sicher. Semir, der sich nebenbei ja auch noch aufs Fahren konzentrieren musste, konnte nichts erkennen und schalt Ben schon fast wegen dessen Paranoia.
    Die Morgendämmerung war nicht mehr fern und plötzlich erschienen vor dem Konvoi die blinkenden Lichter einer Baustelle. Semir und Ben waren irritiert, denn eines der ersten Dinge, die sie am Vortag gemacht hatten, war die Strecke nach eventuellen Gefahrstellen abzuklopfen, aber eine Autobahnbaustelle und auch noch kurz vor dem Kölner Stadtbeginn war ihnen nicht gemeldet worden. Sowas hatten sie normalerweise im Computer, aber da war gestern mit Sicherheit nichts bekannt gewesen. „Semir pass auf!“ sagte Ben deswegen angespannt, „Da stimmt was nicht!“ und genau so war es auch.

    Das führende Polizeifahrzeug setzte den Blinker und scherte auf die linke Spur aus, gefolgt vom ersten Tieflader, da erschien wie aus dem Nichts mitten aus der Pseudobaustelle ein Transporter, der sich vor das Polizeifahrzeug setzte und es ausbremste. Als nun der ganze Konvoi zum Stehen kam, sprangen wie Schatten mehrere vermummte Gestalten mit Sprühdosen auf die Tieflader und begannen, die Betonteile mit verschiedenfarbigen Spraydosen anzusprühen.
    Die vier Polizisten, die Fahrer und Semir und Ben sprangen aus den Fahrzeugen und versuchten die Aktionisten, die auch noch Wurfzettel mit „Verschwendung von Steuergeldern für widerliche Bauteile!“ und andere Pamphlete dabei hatten, teilweise erfolgreich wegzuziehen. Der Künstler und auch der Kulturreferent sprangen ebenfalls heraus und versuchten die Attentäter in die Schranken zu weisen. Ben sah aus den Augenwinkeln noch, wie ein silbergrauer Geländewagen anhielt und auch aus dem ein paar Männer ausstiegen.


    Die Morgendämmerung hatte gerade begonnen und so war in dem ganzen Kuddelmuddel im ersten Licht des Tages zunächst nur eine heillose Verwirrung zu bemerken. Plötzlich fiel ein Schuss und einer der vermummten Aktionisten, der gerade eine Spraydose gezückt hatte, fiel zu Boden und seine Mitstreiter hörten sofort mit ihren Sprühattacken auf und blickten geschockt auf die Gestalt, die nun reglos am Boden lag. Noch bevor irgendjemand reagieren konnte, sprangen die Männer wieder in den Geländewagen und wendeten auf der Autobahn, um dann auf den Standstreifen zu fahren und mit Vollgas in Richtung der nicht weit entfernten Ausfahrt zu brausen. Semir rief Ben noch zu: „Kümmere dich um den Verletzten!“ und sprang dann seinerseits in seinen BMW, um in halsbrecherischem Tempo mit Blaulicht dem flüchtenden Fahrzeug hinterherzujagen.

  • Ben sah einen Augenblick bedauernd seinem Freund nach, der mit dem Fuß auf dem Gaspedal ebenfalls in Gegenrichtung auf dem Standstreifen Richtung Ausfahrt preschte. Dann widmete er seine Aufmerksamkeit allerdings auf den vermummten Maskierten, der am Boden lag. Er trat zu ihm und zog erst ein Mal die Gesichtsmaske, die nur Augen-und Mund freigelassen hatte, herunter. Geschockt sah er auf das Gesicht, das ihn ansah. Eine junge hübsche Frau lag da, die aber kein Lebenszeichen mehr von sich gab. Während ein uniformierter Polizist schon Verstärkung und einen Notarztwagen angefordert hatte, prüfte Ben die Vitalzeichen der jungen Frau, aber wie er schon erwartet hatte, konnte er keine erkennen. Aus einem kreisrunden Loch an der Stirn floss noch ein wenig Blut und sie sah mit weit geöffneten, gebrochenen Augen ins Nirgendwo.


    Dennoch begann Ben, wie es ihm im jährlich aufgefrischten, erweiterten Erste- Hilfe-Kurs beigebracht worden war, sofort mit der Herz-Lungen-Reanimation. Er drückte ein paarmal, aber bevor er die erste Atemspende gegeben hatte, hatte einer der Vermummten den Platz an ihrem Kopf eingenommen, riss sich die Maske vom Kopf und begann lehrbuchmäßig mit der Mund zu Nase-Beatmung. Ben begann zu zählen, drückte immer 30 Mal und dann gab der junge Mann, dem die Tränen nun ungehemmt herunter flossen, zweimal die Atemspende, woraufhin Ben wieder mit der Herzdruckmassage weitermachte. Nach wenigen Minuten waren die beiden schweißüberströmt und Ben wollte sich gerade nach Ablösung umschauen, da hörte man aus der Ferne die Sirenen des Rettungsdienstes.


    Kaum waren die Profis eingetroffen, übernahmen die den Platz für die Herzdruckmassage und einer der Sanitäter beatmete nun die Frau mit einem Ambubeutel. Ein dritter Sanitäter legte EKG-Elektroden an und einen Sättigungsfühler, schlang eine Blutdruckmanschette um den Oberarm und dann versuchte der Notarzt die aktuellen Werte zu ermitteln. Als die Herzdruckmassage pausiert wurde, kam keinerlei Herzaktion, der Blutdruck war nicht messbar und auch die Sättigung zeigte keine Kurve an. Nach einem prüfenden Blick auf die Einschusswunde drehte er den Kopf der jungen Frau und dann sah man erst das ganze Ausmaß der Verletzung. Ein Teil ihrer Schädeldecke fehlte hinten und das Gehirn war sichtlich zerstört. „Reanimationsmaßnahmen einstellen, Zeitpunkt des Todes 4.45 Uhr!“ stellte der Notarzt nach einem Blick auf die Uhr fest.


    Der junge Mann brach nun völlig zusammen und die Rettungskräfte mussten sich erst mal um ihn kümmern, während der Rest der Vermummten, die schweigend das schreckliche Schauspiel beobachtet hatten, nun nacheinander langsam ihre Masken vom Kopf zogen. „Das haben wir nicht gewollt!“ flüsterte einer der Aktionisten, ein älterer Mann, der Ben vage bekannt vorkam und konnte seine Tränen nicht zurückhalten.
    Nachdem niemand einen Fluchtversuch probierte und inzwischen noch weitere drei Polizeifahrzeuge, darunter ein VW-Bus eingetroffen war, bestimmte Ben als Einsatzleiter. „Bitte alle Aktionisten zum Verhör in die PASt bringen und Gerichtsmediziner und Spurensicherung verständigen!“ was einer der uniformierten Polizisten sofort erledigte.
    Nun sprang wie ein Derwisch der Künstler, der die Aktionisten mit hasserfüllten Blicken bedacht hatte, dazu und forderte, den Transport sofort weiterzuführen. Nachdem Ben alle Dinge abgewägt hatte und mit Entsetzen an den in Kürze einsetzenden morgendlichen Berufsverkehr dachte, willigte er in den Vorschlag ein und während Ben die Stellung hielt und mit Bangen auf eine Nachricht Semirs und das Eintreffen des Gerichtsmediziners wartete, bewegte sich der Konvoi, nun von mehreren Polizeifahrzeugen geschützt, Richtung Innenstadt, wo der Autokran schon darauf wartete, in Aktion zu treten und die Betonteile abzuladen.
    Die sichtlich geschockten Betonkunstgegner wurden ohne Gegenwehr in den VW-Bus und ein Polizeifahrzeug verfrachtet und zur PASt gebracht, während der junge Mann nun völlig zusammengebrochen war und mit einem schweren Schock vom Notarzt ins nächstgelegen Krankenhaus gebracht wurde.


    Semir war inzwischen mit Vollgas hinter dem flüchtenden Fahrzeug her geprescht. Als er mitten in der Auffahrt erkannte, dass mit einer Waffe auf ihn gezielt wurde, versuchte er das Lenkrad herumzureißen, aber er konnte einer der Kugeln nicht mehr ausweichen. Mit einem lauten Knall zerbarst sein Vorderreifen und das Auto schlingerte gefährlich durch die Kurve, während der Geländewagen an Fahrt gewann und bald am Horizont verschwunden war. Semir hatte das Nummernschild gesehen und bevor er nach dem Reifen sah, gab er es an die Zentrale weiter. Leider war das als gestohlen gemeldet und war zuvor an einem Ford Fiesta angebracht gewesen-verdammter Mist-falsche Spur!
    Als er diesmal ausstieg und seufzend den Reparaturschaum aus dem Kofferraum nahm, wusste er wenigstens, wie er ihn anzuwenden hatte-nach der letzten Blamage mit Ben hatte er das nämlich geübt und so war nach kurzer Zeit sein BMW wieder fahrbereit-na ja, wenn er nicht inmitten einer Fahrzeugschlange verkehrtrum in eine Autobahnauffahrt gestanden hätte! Gestikulierene, wütende Autofahrer bedachten ihn mit Schimpfworten, als er gemütlich wendete und sich auf den Weg zurück machte zu der Stelle, an der der Überfall stattgefunden hatte.

  • Ben war sehr erleichtert als Semir wohlbehalten zurück war. Alleine einen Trupp schwerbewaffneter, skrupelloser Mörder zu verfolgen, war sowieso ein Risiko, das ihnen jeder versucht hätte auszureden. „Und?“ fragte Semir als er ausstieg und auf die zugedeckte menschliche Gestalt wies, die am Boden lag. „Eine junge Frau, laut Ausweis den sie in der Tasche hatte, heißt sie Melanie Kröger, 25 Jahre alt, wohnhaft hier in Köln. Wir haben noch versucht, sie zu reanimieren, aber da war nichts zu wollen-eigentlich habe ich erst gesehen, dass das halbe Hirn fehlt, als der Notarzt den Kopf gedreht hat!“ erzählte Ben betroffen. „Bei der letzten Auffrischung zur Herz-Lungen-Belebung hat uns der Ausbilder extra eingetrichtert, wir sollten nicht selbst entscheiden, ob unser Tun einen Sinn hat, sondern das den Arzt machen lassen!“ erklärte er weiter seine Motivation und Semir nickte zustimmend. Auch er hatte diese Schulung, wie jedes Jahr, über sich ergehen lassen.


    „Und bei dir?“ wollte Ben nun von seinem Partner wissen. Semir zuckte mit den Schultern. „In der Auffahrt haben sie meinen Reifen erwischt und damit war Ende Gelände. Die Nummernschilder waren gefälscht, aber durch die getönten Scheiben habe ich auch die Insassen nicht erkennen können!“ erklärte Semir ein wenig angefressen. „Aber ich, zumindest ein bisschen!“ erklärte Ben und Semir sah seinen Freund sofort interessiert an.
    „Natürlich war meine Aufmerksamkeit primär nach vorne zu dem Überfall gerichtet, aber ich habe trotzdem aus dem Augenwinkel den Wagen gesehen, als der näherkam und die vier Leute, die dann ausgestiegen sind. Ich hätte ja nie gedacht, dass die sofort schießen, aber leider haben sie uns eines Besseren belehrt! Mann es geht doch hier um Kunst-was zwar ein Diskussionsthema erster Güte ist, aber deswegen muss man doch niemanden umbringen!“ lamentierte Ben unglücklich, dem die junge Frau immer noch nachging.


    Semir war inzwischen zu der verhüllten Gestalt getreten und hatte das Gesicht betrachtet und den Kopf geschüttelt. Während kurz darauf der Gerichtsmediziner und die Spurensicherung eintrafen, fragte er Ben, wo die Tieflader und der Rest der Truppe seien. „Die Aktionisten, die sich übrigens nach dem Unglück sofort demaskiert haben, sind in der PASt, außer einem jungen Mann, der das Opfer erst beatmet hat und dann, als der Arzt den Tod festgestellt hat, zusammengebrochen ist und vom Notarzt ins Krankenhaus gebracht wurde!“ erklärte Ben. „Die Tieflader habe ich weiterfahren lassen zum Neumarkt-natürlich begleitet von einem ganzen Schwung Kollegen-sonst wäre der Verkehr doch gleich völlig zusammengebrochen, wenn wir die hier festgehalten hätten. Außerdem hat dieser Künstler auch noch genervt und ehrlich gesagt hatte ich keine Lust, mich von dem jetzt den ganzen Vormittag peinigen zu lassen!“ erklärte er sein Tun. „Na hoffentlich sieht die Schrankmann das auch so!“ flüsterte Semir nun und wies mit einer minimalen Kopfbewegung zu dem Fahrzeug, aus dem ihre Lieblingsstaatsanwältin mit Leichenbittermiene gerade ausstieg.
    „Was gibt’s?“ fragte sie. Semir sah unauffällig auf die Uhr. Es war noch vor Tau und Tag, also war anzunehmen, dass sie extra wegen ihnen früher aus dem Bett gekrochen war und darauf ließ ihre Laune auch schließen.


    „Wir hatten den Auftrag einen Transport mit einem Betonkunstwerk in Einzelteilen vom Betonwerk bis zum Aufstellort, dem Neumarkt, zu begleiten, dabei wurde der Konvoi überfallen und eine Aktivistin, die wie die anderen mit Spraydosen das Kunstwerk „verschönert“ hat, wurde erschossen.“ fasste Ben die Lage kurz zusammen. „Und? Wo sind die Zeugen, die LKW´s und die Begleitfahrzeuge?“ drehte sich die Staatsanwältin anklagend um. Ben schluckte. „Die habe ich zum Zielort weiterfahren lassen, um den morgendlichen Berufsverkehr nicht zu stören. Die Aktivisten, die ja auch nicht geschossen hatten, haben sich sofort demaskiert und kooperiert und wurden zum Verhör in die PASt gebracht und wir, mindestens sechs Polizisten, sind Augenzeugen und können genau bezeugen, wo der silbergraue Geländewagen angehalten hat, von wo aus die junge Frau dann erschossen wurde. Ich habe es nicht für notwendig erachtet, alle Zeugenbefragungen vor Ort vorzunehmen, da es ja zur Klärung des Falles nicht notwendig ist.“ erklärte er seine Gedankengänge. „Das Denken überlassen sie in Zukunft mir!“ schnarrte die Schrankmann und drehte sich mit einem vernichtenden Blick um, um sich die Leiche anzusehen, die gerade vom Gerichtsmediziner und der Spurensicherung fotografiert und begutachtet wurde.


    Nachdem Semir und Ben der SpuSi genau beschrieben hatten, wo der Geländewagen gestanden hatte und die Schrankmann ihr Einverständnis erklärt hatte, fuhren die beiden Freunde nach einer Weile zum Neumarkt, um dort die Lage zu peilen. Unterwegs wurden sie schon von Frau Krüger angerufen, die inzwischen im Büro eingetroffen war und von dem Vorfall informiert worden war. Mit kurzen Worten schilderten Semir und Ben den Sachverhalt und Frau Krüger versprach, gleich mit den Verhören anzufangen. „Wir fahren gerade zum Neumarkt, um dort nach dem Rechten zu sehen und den Anwesenden einen Termin zur Zeugenaussage im Revier zu geben!“ teilte Ben mit und die Chefin erklärte ihr Einverständnis.


    Als sie am Neumarkt ankamen, war dort eine großflächige Polizeiabsperrung hinter der sich viele Schaulustige tummelten und inmitten darin stand der Autokran, der gerade dabei war, ein Betonteil nach dem anderen vorsichtig abzuladen. Der Künstler sprang wie wild dazwischen herum, raufte sich die eh schon wirren Haare und lamentierte, als er die Verschmutzungen durch die Spraydosen sah. Der Kulturreferent versuchte ihn zu beruhigen und als Semir und Ben nähertraten, hörten sie, wie der sagte: „Ich kenne da eine Spezialfirma, die reinigen das wieder, da ist nachher nichts mehr zu sehen-natürlich geht das auf Kosten der Attentäter, die ja jetzt polizeibekannt sind!“ und der Künstler blieb daraufhin kurz stehen. „Besser man hätte sie alle abgeknallt!“ sagte er böse und begann wieder zwischen den Teilen herumzuspringen, was dem Kranfahrer überhaupt nicht behagte.


    Semir und Ben wechselten einen kurzen Blick, packten ihn rechts und links, zogen ihn aus der Gefahrenzone und Ben konnte nicht anders, als ihn anzuherrschen. „Jetzt reicht´s aber-das hier sind Betonbrocken und das andere sind Menschenleben. Wegen sowas hat eine junge Frau ihr Leben gelassen und sie würden deswegen noch zehn weitere über die Klinge springen lassen. Wissen sie, wer geschossen hat, oder haben sie die sogar beauftragt?“ fragte er und sogar Semir sah ihn wegen dieser Unterstellung geschockt an. Nun begann der Künstler wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzukommen und schüttelte wortlos den Kopf. „Wir fahren mit ihnen jetzt zum Verhör aufs Revier!“ bestimmte Semir und Ben flüsterte er zu: „Und du hältst die Klappe, ich sehe den Ärger schon auf uns zukommen!“ woraufhin der stumm nickte.

  • Der Künstler wurde in den BMW verfrachtet und Ben hatte zuvor noch Vorladungen für den morgigen Vormittag an die LKW-Fahrer und den Kulturreferenten vergeben. Das war mehr Formsache, keiner erwartete sich von deren Aussagen größere Aufschlüsse. Gerade als sie losfahren wollten, rollte ein grauer Rolls Royce mit getönten Scheiben heran, hielt mitten am Platz und ein uniformierter Chauffeur wuselte eilfertig herum und hielt die Fondstüre auf. Heraus stiegen zwei Personen: der ihnen alle aus der Presse bekannte Kunstmäzen, Waldemar Sharpov und eine junge Dame, die alles sein konnte, von seiner Frau, über die Mätresse, oder sogar die Tochter. Sie war in Klamotten gekleidet, denen man schon aus der Ferne ansah, wie teuer die gewesen waren und auch Sharpov kam im maßgeschneiderten Anzug auf sie zu. Er streckte mit gewinnendem Lächeln die Hand aus und begrüßte erst einmal den Künstler, der immer noch im Fond des BMW auf die Abfahrt wartete. Ben und Semir bedachte er mit einem herablassenden Lächeln und fragte dann mit schneidender Stimme, die im scharfen Kontrast zu seinem Lächeln stand.


    „Was macht mein Freund, der formidable Künstler, in ihrem Polizeifahrzeug? Wenn sie etwas mit ihm zu besprechen haben, können sie das im Beisein meines Anwalts in meiner Villa erledigen!“ sagte er, woraufhin der Künstler mit Genugtuung in der Miene wieder aus dem Fahrzeug krabbelte und sich dem Deutschrussen mit dem ganz leichten slawischen Akzent anschloss.


    Ben ballte die Fäuste, aber Semir bedeutete ihm, ruhig zu bleiben. Wenn sie sich jetzt provozieren ließen, würde die Aufklärung des Falles vielleicht darunter leiden, oder die Chefin würde sie davon abziehen. Der Mäzen schritt, gefolgt vom Künstler und der bildhübschen jungen Frau, die im Vorbeigehen Ben ein strahlendes Lächeln schenkte, an den Betonteilen vorbei. Gestikulierend zeigte der Künstler auf die Verunreinigungen, aber Sharpov beruhigte ihn. Laut, damit es auch jeder hören konnte sagte er: „Damit das Kunstwerk fristgerecht aufgebaut werden kann, werde ich sofort meine eigenen Fachleute zur Reinigung des Betons schicken!“ Nach diesen Worten bedeutete er dem Künstler in seinen Rolls zu steigen, alle drei setzten sich und der uniformierte Chauffeur schloss dienstfertig die Türen, bevor sich die Limousine in Bewegung setzte.


    Kaum waren die um die Ecke verschwunden, legte Ben los. „Was stellt sich dieser A…. denn vor! Holt uns einen verdächtigen Zeugen aus dem Fahrzeug, redet einen Stuss daher und verschwindet dann einfach wieder!“ regte er sich auf. Semir wartete, bis sein Kollege verbal ein wenig Dampf abgelassen hatte, um dann seine Sicht der Dinge zu erklären. „Ben, wir wissen doch gar nicht, ob der Künstler im Entferntesten mit dem Mord etwas zu tun hat, also ist er im Augenblick ja nur Zeuge. Wir müssen sowieso mit der Chefin besprechen, ob wir den Typen jetzt vorladen, oder tatsächlich in Sharpovs Villa befragen sollen. Das bringt jetzt gar nichts, wenn du mit dem Kopf durch die Wand gehst. Ich fand seine Meldung auch zum Kotzen, aber da mischt die Politik mit, da ziehen wir den Kürzeren, wenn wir uns aufführen! Komm, lass uns erst mal zum Revier fahren und sehen, wie weit die Vernehmungen sind!“
    Ben überlegte eine Weile, setzte sich dann aber wieder neben Semir, der losfuhr, um in die PASt zu gelangen. „Hast du gesehen, wie mich die Tussi hungrig angeschaut hat?“ wollte er dann von Semir wissen. Der grinste. „Sei froh, dass Sarah da nicht dabei war-die hätte ihr auf der Stelle die Augen ausgekratzt!“ schmunzelte er und nun musste auch Ben grinsen.


    Wenig später kamen sie im Revier an. Die Chefin und Jenni hatten die Befragungen durchgeführt und es war nur noch der ältere Mann, der Ben bekannt vorgekommen war, übrig geblieben. Semir und Ben überflogen die Vernehmungsprotokolle, aber aus denen ging nicht hervor, warum es zu dem Mord gekommen sein könnte. Nach Absprache mit der Chefin übernahmen sie die letzte Vernehmung und als sie zu dem älteren Mann in den Vernehmungsraum gingen, lächelte der sie betrübt an. „Mein Gott, wenn ich nur im Entferntesten geahnt hätte, dass diese Aktion so ein schreckliches Ende findet, hätte ich doch nie im Leben diese aufsehenerregende Protestaktion gestartet!“ sagte er unglücklich. „Soll das bedeuten, sie übernehmen die Verantwortung für diesen Überfall?“ fragte Semir überrascht und der Mann, der auch ihm vage bekannt vorkam, nickte.
    Beginnen wir mal von vorne: „Wie heißen sie und wo wohnen sie?“ begann Semir die Personalien aufzunehmen. „Mein Name ist Peter Jantzen, geboren am 5.4.1950 in Köln, begann er und bei der Erwähnung des Namens klingelte es nun bei den beiden Polizisten. Bei den letzten Stadtratswahlen war der parteifreie Althippie, der in den Sechzigern eine der ersten Kölner Kommunen bewohnt hatte, erstaunlicherweise mit ziemlich vielen Stimmen für eine neugegründete Wählervereinigung in den Stadtrat eingezogen, obwohl das Establishment da sehr dagegen gewesen war, aber der Bürger hatte das entschieden. Er und sein Leben waren von der Presse gründlich durchleuchtet worden, aber gerade die jungen Kölner Bürger, die Punks und Andersdenkenden hatten ihm 2009 ihre Stimmen zukommen lassen und so war er nun hauptberuflich Politiker geworden, eine Tatsache, die er sich in seiner wilden Jugend selber nie hätte vorstellen können. Er machte aber durchaus auch im Anzug eine gute Figur und man hatte nach einer Weile respektvoll konstatiert, dass er für dieses Amt wirklich wie geschaffen war. Er war im Kulturausschuss der Stadt und noch in vielen anderen Gremien und nun erinnerten sich Semir und Ben gelesen zu haben, dass er sehr gegen das Betonkunstprojekt Stellung genommen hatte, aber letztendlich überstimmt worden war.


    „Oh, diese Aktion ist ihrem Job eher nicht so zuträglich, umso erstaunlicher, dass sie da dahinterstehen und nichts versuchen zu vertuschen und zu verheimlichen!“ wunderte sich nun Ben, aber der ältere Mann blickte ihn fest an und sagte: „Auch wenn ich jetzt Politiker bin, möchte ich mich noch morgens im Spiegel betrachten können. Ich werde alles tun, um Licht in die Sache zu bringen und Melanies Mörder zu überführen!“ Semir nickte beeindruckt und ermunterte ihn dann: „Also Herr Jantzen, dann erzählen sie mal!“

  • Jantzen lehnte sich in seinem Stuhl ein wenig zurück und begann zu berichten. „Als wir im Kulturausschuss des Stadtrats die Anfrage von Herrn Sharpov bekamen, wo man denn in der Kölner Innenstadt einen freien Platz hätte, an dem man ein von ihm gesponsertes, wunderbares Kunstwerk aufstellen könnte, das erstens sehr groß wäre und zweitens die Bürger zum Gebrauchen ihrer Sinne ermuntern würde, haben wir uns erst mal nichts gedacht. In mehreren Beratungen kamen wir dann auf den Neumarkt, denn da wäre Platz genug und eine Stadt kann ja nie genug Kunstwerke haben!“ sagte er mit einem Augenzwinkern.


    Als dann wenig später ein Modell des sogenannten „Kunstwerks“ vorgestellt wurde, waren sofort die Meinungen geteilt. Natürlich ist Kunst immer ein Empfinden des Einzelnen, wie eben Mode auch, aber was uns da vorgestellt wurde, war in meinen Augen der blanke Hohn. Eine Aneinanderreihung und Aufstapelung von Betonbrocken in unterschiedlichen Betonfarben-für mich und manchen anderen, die noch ihren gesunden Menschenverstand haben, sah das aus, als wenn jemand einen Bunker abgerissen hätte und dann vergessen aufzuräumen. Von Kunst kann ich bei diesem Machwerk nichts erkennen!
    Natürlich gab es zunächst im Kulturausschuss und dann im gesamten Stadtrat heiße Diskussionen, aber ohne die Meinung des Bürgers, vielleicht in einem Volksentscheid, einzuholen, wurden wir Gegner überstimmt. Die große Mehrheit, allen voran die Fraktion mit den meisten Sitzen, die regelmäßig von Sharpov eingeladen und finanziell unterstützt wird-er ist nicht nur ein Kunstmäzen, sondern auch einer, der die richtige Partei sponsert- war aber dafür, dass man dieses Kunstwerk am Neumarkt aufstellt.


    Ich habe, nachdem legale politische Möglichkeiten ausgeschöpft waren, Kontakt mit Gleichgesinnten aufgenommen-allen voran Jens Richter, ein Kunstdozent an der Hochschule- und der hat noch ein paar seiner Studierenden um sich geschart und gemeinsam haben wir den Plan für den Überfall erarbeitet. Wir haben uns bei der Straßenmeisterei ein paar Warnschilder, Absperrbaken und Blinklichter „ausgeliehen“ und nachdem mir ja der Weg und die Zeit des Transport bekannt waren, einen Aktionsplan erstellt.“ erzählte Jantzen.
    „Was wollten sie denn damit bezwecken, wenn sie den Konvoi aufhalten?“ fragte Semir interessiert. „Wir wollten die Betonteile mit Farbe besprühen und so unmöglich machen, dass der Terminplan zur Einweihung eingehalten wird. Einer unserer Mitstreiter wollte eine Film-und Fotodokumentation erstellen und das dann an das Regionalfernsehen und die Presse weitergeben, damit das Thema in der Öffentlichkeit nochmals aufgegriffen wird. Wir hatten erhofft mit Taten anstatt Worten die Bevölkerung aufzurütteln!“ erklärte der Stadtrat seine Motivation.


    Ben, dessen Magen nun laut zu knurren begann-immerhin war die Frühstückszeit schon lange überschritten- fragte nun, um endlich zum Ende zu kommen: „Sie wissen also nicht und haben auch keinen Verdacht, wer die junge Frau erschossen hat?“ und der Stadtrat schüttelte den Kopf.
    „Ich übernehme die volle Verantwortung für diese Aktion und bedaure zutiefst, dass die ein Menschenleben gekostet hat. Allerdings zermartere ich mir schon die ganze Zeit den Kopf, was dieser Mord für einen Sinn haben könnte. Melanie Kröger war zudem noch die Freundin von Jens Richter, dem Kunstdozenten, der ins Krankenhaus gebracht wurde. Wenn mir irgendetwas einfällt, was zur Klärung des Sachverhalts beitragen könnte, gebe ich ihnen sofort Bescheid!“ fügte Jantzen noch an und dann wollte Ben noch etwas wissen: „Haben sie einen der Insassen des Fahrzeugs, von dem aus geschossen wurde, erkennen können?“ aber der Stadtrat schüttelte den Kopf.
    Nun ergriff Semir wieder das Wort. „Ich bedanke mich für ihre Aussage, aber ihnen ist schon klar, dass jetzt einige Anzeigen gegen sie laufen. Angefangen vom gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, über Nötigung und so manch andere Anklage-ich wäre mir nicht so sicher, dass sie ihren Sitz im Stadtrat behalten können!“ erklärte er, aber Peter Jantzen hob stolz den Kopf. „Das ist mir vollkommen klar, aber ich habe in meinem Leben schon so manch andere Hürde überwunden und das Leben geht für mich auch ohne Stadtratsmandat weiter!“ sagte er und Semir und Ben glaubten ihm das aufs Wort.


    Während Semir die anderen Vernehmungsprotokolle überflog, aus denen aber ebenfalls nichts hervorging, was den Schuss auf die Studentin erklären konnte, fuhr Ben mal schnell in den nächsten Imbiss und holte ein ausreichendes zweites Frühstück. Nachdem sie sich mit der Chefin kurzgeschlossen und die knurrenden Mägen besänftigt hatten, starteten die beiden Polizisten nun in Bens Mercedes zur Befragung von Jens Richter und danach zu Sharpovs Villa, um den großen Künstler ebenfalls zu Wort kommen zu lassen.
    „Ach Bonny, übrigens wurde mir am BMW ein Reifen zerschossen und ich habe ihn notdürftig mit dem Reparaturschaum geflickt, könntest du dich als Fuhrparkleiter vielleicht darum kümmern?“ fragte Semir scheinheilig, dem aufgefallen war, dass sein BMW sich leicht nach vorne abgesenkt hatte und ein Plattfuß zu erkennen war, zu Dieter Bonrath, der sich daraufhin die wenigen verbliebenen Haare raufte. „Wann schafft ihr es mal euer Auto wenigstens eine Woche nicht zu beschädigen?“ fragte der empört, aber Semir und Ben zuckten nur die Schultern und fuhren davon. Mann wegen so einem Plattfuß so anstellen-da hatten sie schon Schlimmeres mit ihren Fahrzeugen angestellt!

  • Zuerst statteten sie Jens Richter einen Besuch ab. Susanne hatte mit der Leitstelle telefoniert, in welchem Krankenhaus er lag und als sie im Marien ankamen, lag der junge Mann in einem abgedunkelten Zimmer mit einer Infusion und schien zu schlafen. Gerade als Semir eine Schwester fragen wollte, ob etwas dagegen sprach, ihn zu wecken, sagte er mit hohler Stimme, die klang, als würde er nie mehr Emotionen empfinden können. „Ach sie sind´s-ich habe sie schon erwartet!“ und Semir drehte sich wieder um. Ben trat an das Bett und fragte mitleidig: „Wie geht´s?“ und sah betroffen, dass aus den Augen des Mannes einfach die Tränen flossen, ohne dass er eine Miene verzog. Ben suchte vergeblich in seinen Taschen nach einem Tempo, aber Semir hatte gleich eines parat und reichte es dem Mann.


    Wie soll´s einem schon gehen, wenn man am Morgen das Wichtigste verloren hat? Melanie und ich wollten in zwei Wochen heiraten und außerdem war sie schwanger-mit Zwillingen!“ erzählte er mit monotoner Stimme, die sicher von irgendwelchen Psychopharmaka so gedämpft klang. „Es tut uns sehr leid!“ sagte nun auch Semir betroffen. Aber könnten sie uns schnell, damit sie es hinter sich haben, eine Aussage machen, wie das Ganze zustande gekommen ist?“ und Jens nickte.


    Er erzählte das Gleiche wie Jantzen und erwähnte dann noch, dass er mit der Film-und Fotodokumentation beauftragt war. „Wo ist die Kamera?“ fragte Ben aufgeregt-vielleicht konnten sie da ja Hinweise auf die Täter finden. „Da müssen sie die Schwestern fragen, die haben mich ziemlich abgeschossen, ich habe gar nicht mitgekriegt, als die mich ausgezogen haben!“ erklärte er und Semir ging gleich auf den Flur, um kurz darauf mit der gewünschten Kamera wieder zurückzukommen, die mit weiteren Wertsachen im Safe der Station eingeschlossen gewesen war. Erst wollte die Schwester die nicht herausgeben, aber als Semir seinen Polizeiausweis hergezeigt hatte, bekam er sie doch gegen Unterschrift. „Wir nehmen die zur Auswertung mit, wenn sie einverstanden sind!“ erklärte Semir und der Dozent nickte müde. Als sie sich verabschiedeten, hielt er Ben´s Hand kurz fest. „Danke, dass sie es mit der Reanimation wenigstens versucht haben-vielleicht wäre ja noch was zu machen gewesen!“ sagte er, aber Ben schüttelte den Kopf. „Bei dieser Verletzung keine Chance, glauben sie mir!“ und Jens nickte traurig. Als sie hinausgingen hörten sie noch ein trockenes Schluchzen, das den beiden durch Mark und Bein ging. Die Schwester, die es auch gehört hatte, eilte zu ihrem Patienten ins Zimmer und Semir und Ben gingen gedankenverloren zu ihrem Fahrzeug, wo sie schweigend Platz nahmen.


    „Lass uns noch schnell den Film und die Bilder anschauen, bevor wir Hartmut die Kamera zur genauen Auswertung übergeben, vielleicht kann man ja was erkennen!“ schlug Ben vor und gemeinsam schauten sie den Speicher durch. Man sah zwar die Sprühaktion, manchen gelungenen Schwenk auf ein Plakat und die vermummten Gestalten mit den Sprühdosen auf den LKW´s, dann wie Melanie plötzlich zusammenbrach, aber damit war die Dokumentation zu Ende. Kein einziges Mal hatte die Kamera in Richtung des Schützen geschwenkt. „Vielleicht kann Hartmut noch was herausfinden!“ hoffte Semir und Ben, der nun noch einzelne Fotos durchschaute. Anscheinend waren kurz vor der Aktion noch ein paar private Aufnahmen gespeichert und man sah eine glückstrahlende Melanie, die ein Ultraschallbild hochhielt. Nun hörte Ben sofort auf zu klicken, das war jetzt sehr privat und er kam sich vor wie ein unberechtigter Schnüffler. Gerade als sie fahren wollten, sahen sie noch, wie Jantzen zur Patienteninformation ging und sich anscheinend zu Jens Richter durchfragte. „Na wenigstens ist er jetzt nicht mehr alleine!“ sagte Semir, aber Ben wiegte zweifelnd den Kopf hin-und her. „Ich bezweifle, dass er sich über diesen Besuch freut-wenn Jantzen die Aktion nicht gestartet hätte, würde Melanie vielleicht noch leben-gesetzt den Fall sie war ein Zufallsopfer!“ und da musste Semir ihm Recht geben. Aus Neugierde blieben sie noch eine Weile vor der Klinik stehen, aber tatsächlich kam nach ziemlich kurzer Zeit Jantzen mit bedrückter Miene wieder heraus und steuerte die nächste Straßenbahnhaltestelle an.


    „Also auf zu Sharpov!“ sagte Semir und Ben startete den Motor.

  • Wenig später waren sie an der luxuriösen Villa angekommen. Ein riesiges Grundstück mit hohem Baumbestand war von einem hohen Sicherheitszaun umgeben. Überall waren Überwachungskameras und auf ihr Läuten wurde ihnen von einem Schrank von Mann die Tür geöffnet, der sich vor lauter Muskeln fast nicht bewegen konnte. Er filzte die beiden Polizisten und bestand darauf, dass sie ihre Dienstwaffen ablegten. Semir und Ben warfen sich einen Seitenblick zu, aber dann willigten sie ein-sie würden sie ja jetzt hoffentlich nicht brauchen!


    Es war inzwischen Frühsommer geworden und bei den lauen Temperaturen hielten sich Sharpov und der Künstler, neben einem smarten jungen Mann im Anzug, auf der Gartenterrasse auf. Sharpov lächelte freundlich und begrüßte sie, aber das Lächeln war nur aufgesetzt und die weißen Haifischzähne in seinem Mund blitzten verdächtig. Der sichtlich nervöse Künstler rutschte fast auf seinem Stuhl hin- und her, während der junge Mann sich als Rechtsanwalt vorstellte. „In meiner Stellung muss man aufpassen, was man zu wem sagt-in meinen Kreisen wird einem da gerne das Wort im Mund verdreht!“ sagte Sharpov mit einem drohenden Unterton und Semir und Ben war sonnenklar, dass das eine Warnung darstellen sollte. „Wir werden sicher keine Wortverdrehungen vornehmen, keine Sorge!“ sagte Semir ein wenig spöttisch. „Außerdem haben wir auch gar nicht vor, uns mit ihnen zu unterhalten, wir wollen nur die Aussage des großen Maestro aufnehmen, dann sind wir auch gleich wieder weg!“ fügte er noch hinzu und Sharpov nickte zufrieden. Pahh, mit so ein paar kleinen Polizisten würde er mit links fertigwerden.


    Ben sah sich unauffällig im Garten ein wenig um und in einiger Entfernung sah er einen Mann rasch zu den Garagen gehen, der ihm vage bekannt vorkam. War das nicht einer der Typen in dem Geländewagen gewesen? Er war sich allerdings nicht ganz sicher und weil Semir schon mit der Zeugenbefragung begonnen hatte, konnte er ihn auch nicht darauf aufmerksam machen! Unauffällig erhob er sich und schlenderte ein wenig im Garten herum, mit stechendem Blick beobachtet von Sharpov und den Übrigen.


    Er bog um eine Ecke, aber der Mann war verschwunden, allerdings fuhr Ben nach ein paar Schritten zurück, denn in einem Liegestuhl sonnte sich, einen Cocktail neben sich stehend, ohne Bikinioberteil, die Begleiterin Sharpovs. Ben wollte sich gerade unauffällig aus dem Staub machen, aber sie hatte ihn schon gesehen. Sie lächelte ihn lasziv an, stand auf und zog dabei ihr Oberteil langsam wieder an. Auch wenn diese aufgestylten Tussis nun wirklich nicht Bens Kragenweite entsprachen, musste er anerkennen, dass die etwa 25-Jährige eine perfekte Figur hatte. Sie erhob sich auf ihre High Heels und war damit beinahe so groß wie Ben. „Nur keine Angst, du wirst schon nicht erblinden!“ sagte sie mit einem Lächeln und ebenfalls slawischem Akzent und trat ein paar Schritte auf ihn zu. Ben wich langsam zurück, aber er kam sich irgendwie blöd vor. Am liebsten hätte er sich umgedreht und wäre einfach abgehauen, die Situation war schließlich mehr als peinlich. Er kam sich vor, wie ein Spanner, aber dann atmete er tief durch, er war ja schließlich Polizist und hatte gerade einen dienstlichen Auftrag erfüllt. Als die junge Frau nun nochmals näher trat, beschloss er, sie einfach zu befragen.


    „Was wissen sie über den Überfall auf den LKW-Konvoi?“ fragte er sie in geschäftsmäßigem Ton, aber anstatt ihm zu antworten, trat die Schönheit näher und er konnte den Hauch eines teuren Parfums wahrnehmen. Bevor er sich versah, hatte sie ihm einen kleinen Kuss auf die Wange gegeben und schnurrte: „Ich wusste gar nicht, dass es in Deutschland so gutaussehende Polizisten gibt!“ Gerade als Ben wieder etwas sagen wollte, schnarrte hinter ihm die Stimme Sharpovs, aus der der unterdrückte Zorn deutlich zu hören war. „Na, habt ihr euch gut unterhalten?“ fragte er in schneidendem Ton und dann kam auch schon Semir, der ihn entsetzt anblickte, ebenfalls um die Ecke. „Ich denke, sie sollten jetzt gehen!“ sagte Sharpov und wie aus dem Nichts erschienen zwei Bodyguards und bauten sich vor ihnen auf. Widerstandslos-sie wussten schließlich, wann sie verloren hatten- befolgten Semir und Ben die Aufforderung und gingen hinter den beiden Schränken her. Sie hörten noch einen erregten Wortwechsel auf Russisch und dann ertönte ein Klatschen und die junge Frau schrie einmal kurz auf. Ben drehte sich um und wollte ihr gerade zu Hilfe eilen, da bohrte sich eine Waffe in seine Seite und der Bodyguard sagte in drohendem Ton. „Das würde ich nicht tun!“ Nachdem aber nun auch aus dem Garten nichts mehr zu hören war, gab Ben auf und marschierte hinter Semir her zu seinem Wagen. Ihre Waffen wurden ihnen ebenfalls noch ausgehändigt und bis sie sich versahen, waren sie auf dem Weg zurück zur PASt.


    „Was ist dir denn da eingefallen?“ fragte Semir wütend-„jetzt haben wir Sharpov zum Feind, da werden unsere Ermittlungen deutlich erschwert, außerdem hat der glaube ich die Macht, uns ganz schnell von dem Fall abziehen zu lassen, wenn das stimmt, was Jantzen erzählt hat!“ Ben sah nun Semir ebenfalls zornig an. „Was unterstellst du mir denn-ich habe gemeint, einen der Typen gesehen zu haben, der an dem Überfall beteiligt war, aber als ich ihm nachgegangen bin, war er plötzlich verschwunden und statt dessen macht sich diese russische Tussi an mich ran. Glaub mir, ich habe überhaupt nichts gemacht-ich habe meine Sarah und das genügt!“ erklärte er beleidigt. Nachdem beide eine Weile geschwiegen hatten, blickte Semir auf die Uhr. „Die Mittagessenszeit ist schon lange vorbei-wollen wir am nächsten Imbiss anhalten?“ fragte er und Ben nickte zustimmend.

  • Nachdem sie sich gestärkt hatten und beider Laune wieder besser geworden war, beschlossen sie noch kurz am Neumarkt vorbeizufahren, um zu sehen, wie da die Dinge standen. Ein Fahrzeug einer Spezialreinigungsfirma stand da und zwei Männer mit schwerem Atemschutz waren gerade dabei, mit Säure die beschmutzten Betonoberflächen zu reinigen. Ein slawisch aussehender, großer Mann wimmelte sie mit finsterer Miene ab. „Fahren sie weiter, es ist sehr gefährlich, wenn sie Säuredämpfe einatmen-auch für den Autolack ist das nicht gut!“ sagte er in strengem Ton mit russischem Akzent. Ben wollte erst den Anweisungen nicht folgen, aber dann überlegte er sich, wie er das denn der Krüger erklären sollte, wenn er dann am Mercedes einen Lackschaden hatte und drückte deswegen folgsam aufs Gaspedal. Aber er nahm sich fest vor, Hartmut zu fragen, ob sowas im Freien überhaupt möglich war. Allerdings war das Reinigen auch kein großes Schauspiel und der Aufpasser hielt die neugierigen Zuschauer schon auf Abstand-na wenigstens brauchten dann die Betonbrocken schon keinen Polizeischutz!


    Bevor sie zur KTU fuhren, sahen sie noch beim Gerichtsmediziner vorbei, der Melanie gleich morgens drangenommen hatte. „Und-gibt’s neue Erkenntnisse?“ wollte Semir wissen, aber der Pathologe schüttelte den Kopf. „Die Frau war sofort tot, im Moment des Einschusses kam es zum Herz-Kreislaufstillstand und Rettung war nicht möglich. Ich habe in der Gehirnmasse, die am Boden klebte“-Ben wandte sich bei der Erwähnung angewidert ab, er wollte da gar nicht daran denken, dass eventuell der Verlobte der jungen Frau da beim Kopfüberstrecken ja reingefasst hatte-„das Projektil gefunden. Ihr könnt es gleich zur KTU bringen, dann spare ich mir den Weg!“ sagte er und trat zu seinem Schrank, in dem sorgsam eingetütet, die kleine, verformte Kugel lag, beschriftet mit Aktenzeichen, Datum und Namen des Opfers.
    „Ach ja und im dritten Monat mit Zwillingen schwanger war die junge Frau auch!“ fügte der Arzt noch hinzu. „Das wissen wir bereits von ihrem Verlobten.“ erklärte Semir „ und außerdem denke ich nicht, dass es zur Aufklärung des Falles beitragen dürfte!“ woraufhin der Arzt nickte und sich wieder seiner weiteren Arbeit zuwandte. „Den Bericht schicke ich euch, sobald er fertig ist, aber ich konnte weiter nichts Verdächtiges feststellen. Der Schuss erfolgte mit einem Gewehr aus etwa 100m Entfernung, aber das wisst ihr ja bereits, ihr wart ja live dabei.“ Wieder nickten Semir und Ben und fuhren dann endgültig mit den Beweisstücken zu Hartmut.


    Der saß gerade im weißen Kittel am Schreibtisch und starrte angestrengt auf seinen Computerbildschirm. „Ich schaue mir gerade aus der Nähe an, was die Spusi mir heute Morgen vorbeigebracht hat!“ erklärte er. Ein merkwürdiges Objekt war auf dem Bildschirm. „Das ist ein kleines Stück Beton, das von dem Kunstwerk anscheinend abgebrochen ist. Das wurde mit weißem Spezialsand gefertigt und der Verzögerer im Zement weist darauf hin, dass es mindestens zwei Monate zum Trocknen gebraucht hat. Der Zement ist ein Hochwertzement, der normalerweise zum Deckenbau verwendet wird!“ erzählte er den beiden Polizisten. „Ich denke nicht, dass uns das in der Aufklärung des Falles weiterbringen wird!“ sagte Ben ein wenig spöttisch-Mann das war schließlich einfach ein kleines Stück Beton und sonst nichts!


    „Kümmere dich lieber um diese zwei Dinge, die wir dir hier bringen. Das eine ist das Projektil, mit der das Opfer getötet wurde und das andere die Kamera, mit der die Aktion gefilmt wurde!“ sagte auch Semir ungeduldig und überreichte Hartmut die Beweisstücke. Nach einem kurzen Blick auf die immer noch eingetütete Kugel sagte Hartmut: „Ah ja, eine russische Jagdwaffe!“ und Semir und Ben starrten ihn fassungslos an. Auf den ersten Blick hatte er das Projektil identifiziert und konnte gleich das Kaliber und die Marke der zugehörigen Waffe nennen. „Ich werde euch ballistische Beweise sichern, damit wir die Waffe identifizieren können, wenn ihr sie sicherstellen könnt!“ versprach er und zeigte ihnen am Computer gleich ein Bild des zugehörigen Modells. „Und dann werde ich mich den Filmaufnahmen widmen.“ Nach einem Blick auf die Uhr fügte er noch an: „Das wird eine lange Nacht werden!“
    Auch Semir und Ben sahen auf die Uhr. Der planmäßige Feierabend war schon lange angebrochen und auch die Chefin war schon nach Hause gegangen, konnten sie nach einem Blick auf den Parkplatz, wo sonst ihr Wagen stand, feststellen. Deshalb beschlossen auch sie den langen Arbeitstag zu beenden und nachdem Semirs BMW einen neuen Vorderreifen erhalten hatte, wie er zufrieden feststellte, machten sie sich mit getrennten Fahrzeugen auf den Heimweg.

  • Als Ben die Tür zu seiner Wohnung aufsperrte, stieg ihm ein verführerischer Duft in die Nase. Sarah, die seit einiger Zeit einen Schlüssel zu seiner Wohnung hatte, aber trotzdem ihr Appartement im Schwesternwohnheim nicht aufgeben wollte, hatte anscheinend beschlossen, ihre Kochkünste auszuprobieren. In bequemer Freizeitkleidung drehte sie sich von der Kochinsel weg und begrüßte ihn mit einem zärtlichen Kuss. „Schön, dass du da bist! Ich habe beim Einkaufen nach dem Frühdienst ein wunderbares Stück Fleisch entdeckt und wollte gleich mal ein Rezept ausprobieren, das ich in einer Zeitschrift gesehen habe!“ erklärte sie ihm. „Es dauert noch etwa eine halbe Stunde, bis alles fertig ist!“ fügte sie noch an und nachdem sie betonte, keine Hilfe in der Küche zu brauchen, holte er aus dem Schrank einen guten Rotwein und entkorkte routiniert die Flasche. Dann goss er ein wenig davon in den Dekantierer, damit sich die Aromen besser entfalteten und zog sich dann auch erst mal etwas Bequemes an.


    „Hmmm, das riecht ja lecker!“ stellte Ben fest, als er wieder im kombinierten Wohn-Kochbereich zurück war und drückte seine Freundin fest an sich. Diese russische Tussi war zwar bildschön, aber an Sarahs natürliche Attraktivität kam sie bei weitem nicht heran. Er war sehr froh, dass er sie gefunden hatte.
    Es war jetzt etwas über drei Monate her, seit er nach einem Verkehrsunfall schwerverletzt im Krankenhaus um sein Leben gerungen hatte. Sie hatte ihn auf der Intensivstation betreut und eigentlich musste er dem Schicksal dankbar sein, dass es sie zusammengeführt hatte. Ohne den Unfall und die ganzen Komplikationen, die er danach noch erlitten hatte, wäre er ihr vermutlich nie begegnet und so konnte er den Narben auf seinem Bauch doch etwas Gutes abgewinnen.
    Nach kurzer Zeit löste sich Sarah aus seiner Umarmung, um den Salat noch fertigzumachen und die Sauce abzuschmecken. Ben deckte inzwischen den Tisch und Sarah stellte mit einem Lächeln noch zwei Kerzen darauf und legte Stoffservietten nebenhin. „Wenn schon denn schon!“ bemerkte sie und auch Ben musste lächeln. Bei Sarah wurde ein ganz normaler Abend manchmal zum Festtag, gerade wenn sie etwas Neues zum Kochen ausprobierte. Ben hatte sich sonst schwerpunktmäßig mit Tiefkühlpizza und Fast Food durchgeschlagen, während Sarah üblicherweise in der Kantine des Krankenhauses aß, statt für sich alleine aufzukochen. Weil aber Ben so ein begeisterter und dankbarer Probierer war und ihm eigentlich bisher alles geschmeckt hatte, was sie gekocht hatte, beflügelte es sie regelrecht und sie hatte immer öfter Lust, sich am Herd zu verwirklichen. Obwohl sie beide sehr schlank waren, aßen sie für ihr Leben gern und so setzten sie sich auch heute gemeinsam an den Tisch und stießen erst mal mit einem guten Schluck Rotwein aus großen Gläsern auf den Abend und ihr köstliches Essen an.


    Später räumten sie erst mal gemeinsam die Spülmaschine ein, bevor sie sich bei guter Musik aufs Sofa legten und über ihren Tag sprachen. Ben musste dringend von seiner Begegnung mit der russischen Tussi erzählen. Er konnte zwar keine Namen nennen, aber das machte er genau wie Sarah auch, wenn sie ihm von der Arbeit berichtete. Er erzählte Fakten, ließ aber die Details so weit weg, dass keine wirkliche Indiskretion entstand. Außerdem war er sich völlig sicher, dass Sarah, wie er ja auch, nie einen Geheimnisverrat begehen würde, der ihnen schließlich beide den Job kosten konnte. Immerhin waren sie beide in ihrem Beruf zu Verschwiegenheit verpflichtet und hatten da auch einen Eid darauf abgelegt.


    „Ich war heute schon bei Ermittlungen zu einem laufenden Fall in der total luxuriösen Villa eines reichen russischen Geschäftsmanns. Als ich durch den Garten geschlendert bin, lag da seine-hmm, ich weiß nicht was-Tochter, Frau, Mätresse-keine Ahnung-auf jeden Fall oben ohne im Liegestuhl und hat sich gesonnt. Als ich den Rückzug antreten wollte, hat sie mich regelrecht verfolgt und mich sogar auf die Wange geküsst, obwohl ich ihr deutlich zu verstehen gegeben habe, dass ich kein Interesse an ihr habe. Semir hat inzwischen die Befragung , wegen der wir eigentlich dort waren, fertiggemacht und plötzlich kam der Hausherr um die Ecke und wir wurden mit einer Waffe in den Rippen gebeten zu gehen. Ich denke, der Typ war nicht sonderlich amused, denn kurz darauf hat sich die Frau vermutlich eine Ohrfeige eingefangen, so wie es geklatscht hat. Ich wollte ihr zu Hilfe kommen, aber der Lauf in meiner Seite hat mich dann eines Besseren belehrt!“ erklärte er.


    Sarah sah ihn erschrocken an. „Pass bloß auf dich auf, nicht dass du noch in ein Eifersuchtsdrama verwickelt wirst!“ sagte sie besorgt, aber Ben legte ihr den Finger auf die Lippen. „Da gehören schließlich immer zwei dazu und ich will dich-nur dich- und das mit Haut und Haaren!“ sagte er und begann sich langsam ihren Körper herunterzuküssen. Sarah schloss die Augen und vergaß, dass sie sich eigentlich Sorgen machen wollte. Wenig später verlegten sie ihre Aktivitäten ins Schlafzimmer und nun vergaß Sarah für die nächste Stunde alles, was nicht unmittelbar ihren Traummann betraf.
    Als sie nachts aufwachte, stand sie leise auf, um sich Wasser zu holen. Als sie wieder zurück ins Bett schlüpfte, betrachtete sie liebevoll den Mann, der neben ihr lag. Völlig entspannt schlief er und als sie langsam begann ganz zart die Narben auf seinem Bauch nachzuzeichnen, lächelte er im Schlaf und nahm sie dann im Unterbewusstsein fest in seinen Arm, wo sie beruhigt wieder einschlief.


    Auch Semir war von seiner Rasselbande mit Indianergeheul begrüßt worden. Sie hatten im Garten gespielt und Semir tobte mit seinen Mädels noch eine Weile, bis Andrea sie kopfschüttelnd zum Abendessen holte. Danach war noch Baden angesagt und als um 19.30 alle beide selig im Bett lagen und schliefen, setzte auch Semir sich mit zwei guten Gläsern Wein zu seiner Frau, um mit ihr den Tag ausklingen zu lassen. Sie unterhielten sich eine Weile und Andrea wollte dann unbedingt einen Film im Fernsehen anschauen, auf den sie sich schon den ganzen Tag gefreut hatte. Nachdem das nun so gar nicht Semir´s Geschmack war-er hasste Liebesschnulzen-, ging er derweil ins Arbeitszimmer und verlor sich in den Weiten des Internet. Er googelte auch Sharpov und erfuhr dadurch so einige Neuigkeiten, die ihn zum Nachdenken anregten.

    Um 22.15 war endlich der Film aus und Andrea kündigte gähnend an, jetzt ins Bett zu gehen. „Da komme ich doch mit!“ sagte Semir und folgte seiner Frau die Treppe hinauf. Nachdem sie sich im Bad bettfertig gemacht hatten, schmiegte sich Andrea in seine Arme und war in Kürze eingeschlafen. Aufseufzend drehte Semir sich auf die Seite-eigentlich hätte er noch was anderes vorgehabt, aber so war das nun mal, wenn man einen anstrengenden Tag mit kleinen Kindern hinter sich hatte. Aber am Wochenende würden die die Oma besuchen-mit Übernachtung, da würde er den ganzen Tag mit seiner Frau verbringen und abends würde die dann nicht zu müde sein, schwor er sich, bevor er selber einschlief.

  • Am nächsten Morgen erwachte Ben und Semir beinahe zeitgleich. Ihre Handys , die auf den Nachtkästchen lagen, hatten die Weckzeit schließlich einprogrammiert! Andrea war, unbemerkt von Semir, schon lange aufgestanden und hatte das Frühstück vorbereitet. Als Semir gähnend in die Dusche wankte und sich anschließend seiner Familie widmete, wurde er von Minute zu Minute munterer. Nach einem schönen Frühstück verabschiedete er sich von Andrea, die jetzt die Kinder wegbringen und anschließend ins Kinderheim arbeiten gehen würde, mit einem zärtlichen Kuss. „Am Wochenende nehmen wir uns Zeit für uns beide!“ flüsterte er ihr ins Ohr und sie erwiderte lächelnd die Zärtlichkeit. „Tut mir leid wegen gestern, aber ich war einfach nur müde!“ rechtfertigte sie sich, aber ihr Mann nickte nur verständnisvoll. Er würde wahnsinnig werden, wenn er jeden Tag die Kinder betreuen und auch noch halbtags arbeiten gehen müsste. So wie es war, war es für alle Seiten in Ordnung und auch die Kinder würden größer werden und ihnen irgendwann wieder die Zeit zum Atmen lassen! „Am Wochenende holen wir alles nach!“ prophezeite er ihr und Andrea stimmte ihm lächelnd zu, während sie schon nach ihrem Autoschlüssel griff und die Kinder zur Eile antrieb.


    Ben dagegen war wach geworden, weil sein Arm eingeschlafen war. Nach einem Blick auf die Uhr stellte er fest, dass in genau zehn Minuten sein Wecker losgehen würde. Er würde den selbstverständlich vorher ausschalten, damit Sarah nicht wach wurde, die ab heute Abend Nachtdienst hatte. Natürlich war dieser Schichtdienst blöd, aber andererseits hatte er noch nie einen genervten Kommentar von ihr gehört, wenn er länger geschafft hatte, oder am Wochenende arbeiten musste. Auch kurzfristige Einsätze waren kein Problem, denn auch wenn sie sich immer sehr auf ihre freien Tage freute, trotzdem war auch ihr Dienstplan nie sicher, denn Krankheiten oder anderweitige Ausfälle der Kollegen mussten vom übrigen Personal kompensiert werden und auch bei Sarah ging manchmal die Arbeit vor-wie bei ihm halt auch! Er hielt deswegen die Gefühllosigkeit in seinem Arm aus, bis die Weckzeit näherrückte und er langsam und vorsichtig seiner Traumfrau das provisorische Kopfkissen entzog.
    Leise duschte er sich, zog sich an und verließ die Wohnung. Er würde sich in der nächsten Bäckerei einen Kaffee to go gönnen und dazu ein paar süße Stückchen-wichtig war, dass Sarah ausschlief und abends zum Nachtdienst frisch war!


    Semir und Ben trafen fast zeitgleich an der PASt ein und musterten sich gegenseitig unverblümt. „Hey-dass du mal pünktlich bist!“ bemerkte Semir und Ben konnte eigentlich zu diesem Kommentar nur grinsen. Klar fand er eigentlich morgens fast nie komplikationslos aus dem Bett, aber seit er mit Sarah zusammen war, fand er, dass er sich gebessert hatte. „Und du-bist du mal wieder der präsenilen Bettflucht verfallen!“ konterte er routiniert und nun betraten beide mit einem albernen Grinsen im Gesicht die PASt.
    Semir fuhr seinen PC hoch und machte erst Mal Ben auf die Dinge im www aufmerksam, die er gestern gegoogelt hatte, woraufhin der fast ein wenig befriedigt nickte. Klar-das hatte er sich schon fast gedacht, aber trotzdem waren beide überrascht, als die Chefin sie beinahe freundlich in ihr Büro bat.


    Dort war zu beider Erstaunen nicht nur Frau Krüger, sondern auch die Staatsanwältin Frau Schrankmann anwesend. Gerade als Semir irgendeine spitze Bemerkung loslassen wollte, sagte die Schrankmann: „Meine Herren-ich weiß, dass wir nicht immer komplikationslos zusammenarbeiten können, aber gestern Abend hat der Oberbürgermeister der Stadt Köln bei mir angerufen und mich gebeten, ich solle sie beide vom Betonkunstfall abziehen-als ob ich das überhaupt könnte-und mich lieber um die Verbrechen im Umkreis kümmern, als um die hehre Kunst, von der ich eh nichts verstünde! Da hat er aber die Falsche erwischt!“ sagte sie erzürnt. „ Kunst ist Kunst und Verbrechen sind Verbrechen und wenn wir uns jetzt als Polizei und Staatsanwaltschaft von irgendwelchen Politikern beeinflussen ließen, dann wäre es sehr schnell vorbei mit unserem Rechtsstaat! Ich hoffe also, dass wir gemeinsam an einem Strang ziehen und der Gerechtigkeit dienen, ob uns das persönlich zum Vorteil gereicht, oder nicht!“ erklärte sie weiter und Semir und Ben konnten eigentlich nichts weiter, als einerseits fassungslos den Kopf zu schütteln und andererseits ihre volle Mitarbeit zu versichern.


    „Und wie stehen die Ermittlungen, haben sie gestern noch irgendwas herausgefunden?“ wollte die Chefin nun wissen und sie und Frau Schrankmann hörten gebannt zu, was Semir und Ben von ihrem gestrigen Tag zu erzählen hatten. „Dann werden wir doch gleich mal in der KTU vorbeischauen, ob Herr Freund schon was herausgefunden hat!“ beschloss die Chefin und alle vier machten sich auf den Weg dorthin. Als sie eintrafen ließen sie suchend ihre Blicke durch den Raum schweifen, ohne momentan etwas zu entdecken, bis Ben hinter dem Schreibtisch ein paar Beine hervorragen sah. Lang auf dem Fußboden ausgestreckt, unter sich provisorisch eine Wolldecke, schlief Hartmut den Schlaf der Gerechten!

  • „Hallo Einstein-guten Morgen!“ sagte Ben grinsend und stieß mit dem Fuß leicht an Hartmuts Beine, der daraufhin erschrocken hochfuhr und dann verdutzt auf die vier Personen sah, die auf ihn herunterblickten. „Ist es so spät geworden, dass sich die Heimfahrt nicht mehr rentiert hat?“ fragte er ihn und Hartmut erhob sich ächzend. „Verdammt ungemütlich so ein Fußboden!“ stellte er dann fest, räkelte sich und fuhr sich durch die verwuschelten Haare, so dass seine Frisur wirklich Einstein Konkurrenz machen konnte.


    „Ich habe bis drei den Film ausgewertet und dann war ich plötzlich so müde, dass ich es nicht mehr geschafft hätte, nach Hause zu fahren. Ich wollte mich ja eigentlich nur kurz regenerieren, aber anscheinend bin ich doch richtig eingeschlafen!“ stellte er nach einem Blick auf die Uhr fest. „Und hast du was entdeckt, was uns weiterbringt?“ fragte Semir nun gespannt und Hartmut nickte. Er ging zu seinem PC und fuhr den langsam hoch. Alle vier Zuseher traten sozusagen schon von einem Bein auf das andere, während Hartmut in aller Seelenruhe gähnte und dann bemerkte: „Ich brauch jetzt erst mal nen Kaffee!“ und sich schon auf den Weg in den kleinen Aufenthaltsraum der KTU machte, in dem eine Kaffeemaschine stand.


    „Bitte Hartmut, kannst du das nicht auf später verschieben, wir haben heute alle noch was vor!“ rief Ben und packte ihn am Ärmel. Also drehte Hartmut sich aufseufzend wieder um und begann nun von den Gesetzen der Optik, den Mechanismen, wie sich Licht in gewölbten Oberflächen brach und anderen Dingen zu referieren, bis ihn die Chefin genervt unterbrach. „Es ist ja sehr schön, Herr Freund, dass sie so gut über dieses Thema Bescheid wissen, aber was hat das jetzt mit den Erkenntnissen aus dem Film zu tun?“ fragte sie und Hartmut warf ihr einen ungläubigen Blick zu. Wie konnte sich nur jemand nicht für dieses hochinteressante Thema interessieren? Aber gut, wenn diese Banausen nicht wissen wollten, wie er zu den Beweisen gekommen war-ihm sollte es Recht sein.


    Er hatte inzwischen die Computerdatei hergesucht und gab nun den Anwesenden den Blick auf ein paar verschwommene Gestalten frei, die vor und neben einem silbergrauen Geländewagen standen, einer davon mit einem Gewehr im Anschlag-der die Tür zum Auflegen benutzte. Man konnte die vier nicht genau identifizieren, aber die Figur, die Kleidung und die groben Umrisse der Gesichter waren zu erkennen. „Hartmut, wo hast du das her? Das war definitiv nicht auf dem Film!“ fragte Ben verwirrt und Hartmut flog nun ein etwas überhebliches Lächeln übers Gesicht. „Wenn du mir vorher zugehört hättest, als ich es erklärt habe, Ben, dann müsstest du jetzt nicht so blöde Fragen stellen!“ sagte er hoheitsvoll. Als aber auch Semir ihn noch herausfordernd ansah, bequemte er sich zu erklären: „ Als der Schuss fiel, standen die LKW´s ja alle still. In einem davon haben sich die Täter in den Scheinwerfern gespiegelt und durch die Brechung des Scheinwerferglases sind da lauter kleine Einzelbilder entstanden, die ich jetzt am Computer zusammengeführt habe.
    Allerdings sind die Bilder nicht sehr scharf und als ich mal grob die Gesichtserkennung habe drüberlaufen lassen, wurde mir leider auch kein Treffer gemeldet!“ erklärte Hartmut und Semir sah nun Ben herausfordernd an. „Jetzt bist du dran! Du wirst dich nachher sofort mit unserem Zeichner an den PC setzen und Phantombilder erstellen, das wäre doch gelacht, wenn wir die Herren da nicht näher identifizieren könnten!“ sagte er zufrieden und schlug Hartmut auf die Schulter, dass der zusammenzuckte. „Bravo Hartmut, gut gemacht!“ sagte er und nun konnte der sich endlich den dringend benötigten Kaffee genehmigen.


    Ben saß dann mindestens zwei Stunden mit dem Zeichner, der inzwischen ja eigentlich keine Stifte mehr zur Hand nahm, sondern mittels eines Computerprogramms die Bilder zu vervollständigen suchte, aber so richtig konstruktiv waren die beiden nicht. Ben war viel zu abgelenkt gewesen, um auf Details zu achten, als er Zeuge des Mordes geworden war und konnte auch nur Bruchstücke aus seiner Erinnerung kramen. „Verdammt, ich denke, dass ich die Typen erkennen könnte, wenn ich ihnen gegenüberstehe, aber je mehr ich versuche, mich zu konzentrieren, desto eher verschwimmen die Bilder in meinem Kopf!“ erklärte er dem Zeichner, der verständnisvoll nickte. Trotzdem versuchten sie diese vier Phantombilder über die Bilderkennung laufen zu lassen, aber Treffer wurde keiner angezeigt.
    Als Ben gefrustet wieder zu Semir ins Büro stieß, der sich inzwischen mit Akten und Berichten herumgeschlagen hatte, beschlossen sie am Imbiss ein zweites Frühstück einzunehmen, um die Motivation wieder zu steigern!

  • Nachdem sie sich gestärkt hatten, fuhren sie eine Runde Streife, um wieder auf andere Gedanken zu kommen. Zu frustrierend waren die Ermittlungen, die gerade auf der Stelle traten. Ben hatte eine Hausdurchsuchung bei Sharpov vorgeschlagen und gehofft, Frau Schrankmann wäre dafür zu begeistern, aber die hatte ihm knallhart gesagt, dass sie dafür schon andere Beweise, als einen vagen Verdacht bräuchte, dass er einen der Schützen gemeint habe zu erkennen. „Wenn sie sich nicht einmal bei den Phantombildern sicher sind, wie soll ich das vor meinen Vorgesetzten rechtfertigen? Hier spielt die Politik und viel Geld mit, ich bin jederzeit dafür, dass wir da streng durchgreifen, aber auf diese mickrigen Beweise hin, zerreißt uns sein Anwalt in der Luft und wir haben einen Skandal erster Güte. Ermitteln sie weiter, sobald ich der Überzeugung bin, die Verdachtsgründe reichen aus, leite ich das gerne in die Wege, aber so nicht!“ hatte sie erklärt und insgeheim mussten Semir und Ben ihr ja zustimmen.


    Was sollte die Ermordung dieser Aktivistin Sharpov denn auch persönlich bringen? Wenn man da keine Verbindung nachweisen konnte, dass er in irgendeinem Kontakt mit ihr gestanden hatte, dann fiel das Motiv weg und dass dieser Russe so an dem von ihm gesponserten Kunstwerk hing, dass er dafür einen Mord in Auftrag geben würde, wagten nun alle zu bezweifeln. Es blieb also völlig nebulös, wie das Alles zusammenhing! Ben war sich nun plötzlich auch nicht mehr ganz so sicher, ob er wirklich einen der Täter auf Sharpovs Grundstück gesehen hatte, oder ob das bloß so ein ähnlicher Typ gewesen war.


    Irgendwie traten sie also alle auf der Stelle und nachdem sie den restlichen Tag noch einige Routinearbeiten und Streifenfahrten erledigt hatten, gingen sie, ein wenig frustriert, nach Hause. Zuvor genehmigten Semir und Ben sich noch ein kleines Feierabendkölsch und beschlossen, am nächsten Tag mit frischer Kraft weiterzuermitteln!
    Am nächsten Morgen befragten die beiden Polizisten einige Mitstudentinnen Melanies, aber auch das brachte ihnen keine neuen Erkenntnisse. Übereinstimmend erklärten die, dass Melanie mit dem Dozenten in einer stabilen Beziehung gelebt hatte und sich wahnsinnig gefreut hatte, als sie von der Schwangerschaft erfahren hatte. Also brachte auch das die beiden nicht weiter! Auch von ihrer Protestaktion hatten die keine Ahnung und so blieben Semir und Ben einigermaßen ratlos zurück.


    Als sie von der Uni zur PASt zurückfuhren, machten sie einen kleinen Umweg über den Neumarkt und tatsächlich-gerade wurde das Kunstwerk mit dem Kran aufgestellt. Eine Betonmaschine lief und zwei kräftige Bauarbeiter machten Beton an, um die Teile beim Aufstellen zu stabilisieren und an ihrem Platz zu halten. Ein aufgeregter Künstler rannte gestikulierend durch die Baustelle und als wenig später Sharpov mit der jungen Frau an seiner Seite mit der Limousine angefahren kam und durch die heruntergelassenen Scheiben einen Blick auf das Schauspiel warf, bedachte er Ben mit einem vernichtenden Blick. Die Frau war gut geschminkt, aber man erkannte das blaue Auge trotzdem und eine Gesichtshälfte wirkte deutlich dicker, wie die andere. Ben sprang erbost aus dem Wagen, noch bevor Semir ihn davon abhalten konnte, und überreichte der jungen Frau durch die geöffnete Scheibe seine Karte. „Wenn sie mal Hilfe brauchen!“ sagte er anzüglich und durchbohrte nun seinerseits Sharpov geradezu mit seinem Blick, bis der die Scheiben hochfuhr und seinen Chauffeur anwies, aufs Gas zu gehen.


    „Mann, das kann ich fast nicht aushalten, wenn so reiche Säcke Frauen schlagen!“ meckerte Ben an Semir hin. Sie machten dann pünktlich Feierabend und nachdem Sarah ja eh im Nachtdienst war, hatte es Ben noch gar nicht so eilig, nach Hause zu gehen. Auch für ihn wäre da eine spezielle kleine Nachtschicht sicher nicht schädlich! Mal sehen!

  • Immerhin wusste er jetzt den Namen der jungen Frau-Google machte es möglich. Irina Bukow hieß das russische Model und war 24 Jahre alt. Sharpov war zwar verheiratet, aber seine Frau und die beinahe erwachsenen Kinder lebten laut den Internetaussagen in Alma Ata, während Sharpov vor 15 Jahren nach Köln gekommen war und dort mit mehreren Handelsunternehmen anscheinend sein Glück gemacht hatte. Das würde Ben sich jetzt mal aus der Nähe ansehen!


    Zuerst ging er zu Burger King und versorgte sich mit dem Nötigsten und anschließend fuhr er gemächlich in die Nähe von Sharpov´s Villa. Die nächsten Stunden verbrachte er beim Dartspielen in einer Kneipe, die ein paar Querstraßen entfernt von Sharpov´s luxuriösem Domizil lag. Unauffällig fragte er nach dem Kunstliebhaber und dessen Haushalt, erntete aber nur ein Schulterzucken. „Da drüben wohnen die Bonzen, die würden sich mit so normalen Leuten wie wir es sind, die gewöhnlichen Berufen nachgehen und sich nach Arbeitsende noch kurz auf ein Feierabendbier treffen, nie abgeben!“ erklärte ihm sein Dartpartner. „Und das Personal? Haben die nicht auch mal frei und wollen sich ein wenig entspannen?“ fragte Ben unschuldig, erntete aber nur ein energisches Kopfschütteln. „Das sind viele Russen, die bleiben meistens unter sich, obwohl wir hier wirklich jeden mit offenen Armen empfangen würden, der sich nicht völlig danebenbenimmt!“ erklärte der Wirt, der natürlich in erster Linie seinen Umsatz im Auge hatte. Die anderen Gäste sagten auch nichts dazu und als die Dämmerung zu fallen begann, zahlte Ben und begab sich auf seine selbsternannte Mission.


    Sein Dienstmercedes, der ja erkannt werden würde, stand in der Tiefgarage seiner Wohnung und dafür war er mit dem Oldtimerporsche, der sein einziger Luxus war, in die noble Wohngegend, in der Sharpov lebte, gefahren. Er hatte ihn ein paar Querstraßen weiter geparkt, denn dort fielen solche Nobelkarossen in keinster Weise auf. Ben war erst mal unauffällig an Sharpov´s Villa vorbeigeschlendert-eine dicke Sonnenbrille auf der Nase- und war letztendlich in der Dartkneipe gelandet. Dort hatte er ehrlich gesagt ja nicht wirklich viel erfahren und nun begann er die Villa des Mäzen nach allen Regeln der Kunst zu observieren.
    Er umrundete das Bauwerk-natürlich nur auf den öffentlichen Straßen-warf dabei unauffällige Blicke in den Garten und versuchte den einen oder anderen Blick auf die dort anwesenden Personen zu erhaschen. Es wurde herumgelaufen, aber nachdem er ja, wenigstens im Moment, noch nicht stehenbleiben durfte, konnte er niemanden so richtig identifizieren. Der eine oder andere Bodyguard, oder wie auch immer Sharpov diese Angestellten bezeichnen würde, kam ihm bekannt vor, aber mehr konnte er beim besten Willen nicht sehen.
    Ein wenig frustriert wartete er, bis es so richtig finster war. Nun konnte er verschiedene Aktivitäten auf dem Grundstück beobachten. Nachdem die riesigen Fensterfronten momentan weder durch Vorhänge noch durch Jalousien verdeckt waren, konnte er deutlich erkennen, wie Sharpov und auch Irina sich dort aufhielten und ein wenig angespannt unterhielten. Zu gerne hätte er jetzt dort ein Mikrophon versteckt gehabt. Sie diskutierten wohl erst, aber dann begann ein deutlich sichtbarer Streit.
    Irina stand auf und begann herumzulaufen, wegen ihrer heftigen Gestik konnte man erkennen, dass sie sehr erregt war. Sie schmiss das Glas mit der farblosen Flüssigkeit und Eis, das sie in der Hand gehalten hatte, voller Zorn auf den Boden, dass es in tausend Scherben zersprang. Nun sprang Sharpov ebenfalls auf, packte Irina grob am Oberarm und schrie sie anscheinend an. Ben verfolgte gespannt, was weiter vor sich ging, als er plötzlich von hinten gepackt wurde. Erschrocken versuchte er sich loszureißen, aber gegen den Schrank von Mann hatte er keine Chance. Ein zweiter kam dazu, streifte sich seelenruhig einen Schlagring über und dann landete auch schon der erste Schwinger in Ben´s Magengegend, dass ihm auf der Stelle die Luft wegblieb. Ben zappelte zwar und versuchte sich zu wehren, was aber gegen diese beiden durchtrainierten Profis ein vergebliches Unterfangen war. Er wurde nach allen Regeln der Kunst verprügelt, allerdings merkte er, dass die ihn nicht umbringen wollten, sondern ihm nur eine Abreibung verpassten, die er in seinem Leben nicht vergessen würde. Sie schlugen dorthin, wo es zwar wehtat, man aber von außen nichts erkennen konnte. Irgendwann-Ben kam es wie Stunden vor, dabei hatte die Aktion höchstens wenige Minuten gedauert- ließen sie von ihm ab und Ben sackte schwer atmend zu Boden. „Einen schönen Gruß von Waldemar-diesmal war er noch gnädig, aber wenn du noch einmal deine Nase in seine Angelegenheiten steckst, schaust du nicht mehr so gut aus!“ flüsterte ihm der eine der Männer noch zu und dann verschwanden die beiden in der Dunkelheit.


    Während Ben versuchte mit den Schmerzen fertig zu werden und sich schließlich hochrappelte, um zu seinem Porsche zu wanken, warf er noch einen letzten Blick zur Villa. Alle Fensterfronten waren verdunkelt und er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass da ein Schauspiel extra für ihn abgezogen worden war, um ihn dadurch von seiner Umgebung abzulenken.


    Stöhnend faltete er sich in sein Fahrzeug und fuhr nach Hause. Einerseits war er wütend auf sich, andererseits war nun sein Hass gegen Sharpov erst recht geschürt! Er ließ den Porsche im Halteverbot direkt vor seinem Haus stehen, aber er hätte jetzt keinen Meter weiter mehr laufen können und schleppte sich die Treppe zu seiner Wohnung hoch, wo er in voller Montur auf sein Bett fiel, sich zusammenrollte und zu schlafen versuchte. Erstaunlicherweise klappte das sogar und Ben erwachte erst, als Sarah am Morgen fassungslos vor ihm stand und fragte: „Was ist denn mit dir passiert?“

  • Ben fuhr erschrocken hoch, nur um mit einem Schmerzenslaut wieder zurückzusinken. Sarah war sich zuerst nicht schlüssig gewesen, aus welchem Grund Ben angezogen im Bett lag. Zuerst hatte sie den Verdacht gehabt, dass er am Abend einen draufgemacht hatte, aber es roch überhaupt nicht nach Alkohol, deshalb hatte sie diese Theorie dann schnell verworfen. Sie hatte ihn kurz beobachtet, aber als er beim Umdrehen im Schlaf das Gesicht verzog und sich auch schwerfällig bewegte, war sie sich ganz sicher, dass er nicht fit war. Als er von ihrer Meldung so schmerzhaft geweckt wurde, tat er ihr sofort leid und sie ließ sich vorsichtig neben ihm nieder. „Was fehlt dir, Schatz? Warum hast du dich nicht ausgezogen?“ fragte sie und Ben überlegte kurz, was er ihr erzählen konnte. Er hatte eigentlich keine Lust auf eine Standpauke, aber Sarah hatte schließlich schon gesehen, dass er Schmerzen hatte. Allerdings war er sich sicher, dass ihm nichts Schlimmes fehlte, die beiden Russen hatten ihren Job sehr sorgfältig erledigt und ihr Ziel war definitiv nicht gewesen, ihn totzuschlagen, sonst würde er jetzt nicht hier sitzen und nachdenken.


    „Ich hatte gestern Abend eine Observierung und wurde von zwei Männern dabei ertappt, die das nicht komisch fanden, dass ich nachts durch ihr Wohnzimmerfenster gekuckt habe!“ umschrieb er seine gestrige Mission. Sarah schüttelte den Kopf und sah ihn besorgt an. „Kannst du aufstehen, oder soll ich einen Krankenwagen rufen?“ fragte sie ihn, woraufhin Ben sich sofort empört erhob-Krankenwagen, das wäre ja noch schöner! Das war nicht die erste Tracht Prügel seines Lebens, er würde das wegstecken wie ein Mann, ne Schmerztablette einwerfen und dann zur Arbeit fahren! Kaum hatte er die Knie durchgedrückt, lag er schon wieder auf seinem Bett. So ganz spielte sein Kreislauf wirklich noch nicht mit! Beim zweiten Anlauf, bei dem er auch streng vermied, auch nur im Geringsten zu jammern, klappte es dann mit dem Aufstehen und nachdem er jetzt wirklich mal dringend ins Bad musste, widersprach er gar nicht, als Sarah ihn mit geübtem Griff unterfasste und hinausführte. Er schaffte es kaum, den Oberkörper geradezuhalten, so weh tat sein Bauch, allerdings nur oberflächlich!


    Sarah wartete höflich vor der Tür, bis er auf der Toilette fertig war, aber danach kam sie rein und half ihm wortlos beim Ausziehen. Er schwitzte vor Schmerzen, als er endlich seiner Kleidung entledigt war und Sarah betrachtete ihn von oben bis unten mit geübtem Blick. Sein ganzer Bauch war gerötet, mit einem bereits teilweisen Übergang ins Bläuliche, man sah, dass er mit einem Gegenstand verprügelt worden war. Im Gesicht und überall wo normalerweise keine Kleidung war, war er unversehrt, aber gerade der Bauch machte ihr doch große Sorgen. Immerhin war seine Milzverletzung noch gar nicht lange her und sie würde darauf bestehen, dass er sich im Krankenhaus durchchecken ließ!


    „Ich würde gerne duschen, meinst du, du könntest mir ein wenig helfen?“ bat Ben kleinlaut, der schon merkte, dass es ihm nicht so wahnsinnig gut ging und er das wohl alleine nicht schaffen würde. Sarah nickte und holte wortlos aus der Abstellkammer einen Plastikhocker, den sie in die Dusche stellte. Darauf platzierte sie ihren Freund und half ihm beim Duschen und Haare waschen. Ben kam sich vor wie ein kleiner Junge-normalerweise fielen ihm beim gemeinsamen Duschen mit Sarah andere Dinge ein, aber jetzt war er froh, dass er dabei nicht umkippte. Als er sorgfältig abgetrocknet war, holte Sarah frische Unterwäsche, ein Shirt und eine Jogginghose und zog sie ihm an. „Ich möchte, dass du jetzt mit mir ins Krankenhaus fährst und dich kurz untersuchen lässt. Wenn alles in Ordnung ist, verspreche ich dir, danach zu dem Thema nichts mehr zu sagen, aber ich könnte sonst vor lauter Sorge um dich kein Auge zutun und du möchtest doch nicht, dass ich heute Abend unausgeschlafen in den Nachtdienst gehe?“ fragte sie ihn und Ben, der eigentlich vorgehabt hatte, lauthals zu protestieren, nickte stumm. Verdammt, diese Frau wusste genau, was sie zu sagen hatte, damit er machte, was sie wollte.


    Ben sah auf die Uhr. Er hatte noch eine Stunde bis Dienstbeginn, vielleicht würde er das sogar noch schaffen? Als Sarah seinen Blick bemerkte, sagte sie streng: „Und so gehst du mir heute auf gar keinen Fall zur Arbeit, ruf am besten gleich im Revier an und melde dich krank!“ Nun protestierte Ben allerdings energisch, das war immer noch seine Entscheidung, ob und wann er zur Arbeit ging. Immerhin griff er zum Telefon und sagte Semir Bescheid, dass er vermutlich ein wenig später kommen würde. „Ich muss noch kurz mit Sarah in die Klinik!“ teilte er Semir mit, der sich nach dieser Meldung nachdenklich am Kopf kratzte. Was hatte das denn jetzt zu bedeuten, aber dann frühstückte er weiter mit Andrea und den Kindern und beschloss, seinen Partner später deswegen auszufragen.


    Ben biss die Zähne zusammen, als er unter den besorgten Blicken Sarah´s die Treppe runterging und dann fiel ihm sein Porsche ein, der ja immer noch vor der Haustür stand. „Ich fahre!“ sagte er, aber Sarah schüttelte den Kopf und schwenkte ihren Autoschlüssel. „Bis klar ist, dass nichts kaputt ist bei dir, setzt du dich nicht ans Steuer!“ teilte sie ihm mit. Auch Frühstück hatte sie ihm keines erlaubt. Also stieg Ben seufzend in Sarahs Polo ein und ließ sich zum Krankenhaus fahren. In der Notaufnahme verschwand Sarah kurz hinter der Tür und eine Minute später wurde er an mindestens 20 Wartenden vorbei in den Behandlungsraum geholt, was ihm mehr als einen bösen Blick einbrachte.
    Der diensthabende Arzt wollte nun wissen, was genau passiert war und Ben schilderte nun doch genauer, wie ihn die beiden Männer malträtiert hatten. Er wurde abgetastet, der Arzt sah mit dem Ultraschallgerät auf seinen Bauch, nahm ihm Blut ab und eine Urinprobe musste er auch noch abgeben. Nachdem sie etwa 10 Minuten auf die Ergebnisse gewartet hatten, kam der Doktor und gab Entwarnung. „Sie haben zwar massive Bauchdeckenhämatome, aber es ist nichts Ernsthaftes! Es tut zwar weh, aber sie werden das in einigen Tagen vergessen haben, Glück gehabt!“ sagte er und sowohl Ben als auch Sarah atmeten erleichtert auf. Er bekam noch ein paar Schmerztabletten mit nach Hause und kaum waren sie unterwegs, rief Ben schon Semir an. „Ich bin in einer Stunde in der PASt!“ teilte er ihm mit und Sarah sah starr auf die Straße. Gut, sie hatte versprochen, nichts mehr zu sagen, wenn er sich untersuchen ließ und sie würde ihr Wort halten.


    Ben zog sich zuhause eine Jeans an, nahm eine Schmerztablette und frühstückte noch eine Kleinigkeit zusammen mit seiner Freundin, der dabei schier schon die Augen zufielen. Auch für sie war das eine lange Nacht gewesen. Es wurde langsam besser bei Ben mit den Schmerzen, als die Tablette zu wirken begann und als er sich mit einem Kuss von Sarah verabschiedete, flüsterte er ihr ins Ohr: „Danke, dass du dich so um mich sorgst, schlaf gut!“ und sie erwiderte zärtlich seine Liebkosung.


    Ben fuhr seinen Porsche, an dem inzwischen zu seiner Verärgerung ein Strafzettel der Parküberwachung prangte, in die Tiefgarage und startete dann mit dem Mercedes zum Dienst. Als er in der PASt ankam, atmete er erst mal tief durch, bevor er ausstieg und betrat dann die Station, wo er als Erstes Frau Krüger über den Weg lief. „Und, endlich ausgeschlafen?“ fragte sie eisig nach einem Blick auf die Uhr, aber da bog schon Semir um die Ecke, der die Chefin heute noch nicht gesehen hatte. „Er war entschuldigt, Frau Krüger, ich wusste das von seiner Verspätung, habe es aber bisher versäumt, ihnen Bescheid zu sagen!“ erklärte er und Ben warf ihm einen dankbaren Blick zu. „Na dann ist ja gut!“ lenkte die Chefin ein. „In zehn Minuten in meinem Büro!“ schaffte sie dann noch an und verschwand um die nächste Ecke. „Na prima, die hat schon wieder eine Laune heute!“ moserte Ben und holte sich einen Kaffee, der dampfend in der Kanne darauf wartete. Semir beobachtete ihn mit scharfem Blick, irgendwas stimmte nicht mit Ben, aber was, das würde er schon noch herausfinden!

  • Als die beiden wenig später bei der Chefin im Büro saßen, fragte die erst mal, was für neue Erkenntnisse sie gestern gewonnen hätten. Sie berichteten von ihrer eigentlich erfolglosen Mission an der Uni und dann ihren Beobachtungen beim Aufstellen des Kunstwerks.
    „Gegen sie, Jäger, liegt schon wieder eine Beschwerde vor. Sie würden sich über Gebühr um die Lebensgefährtin des Mäzens kümmern und er unterstellt ihnen persönliche Interessen!“ teilte sie ihrem Polizisten mit und war ganz überrascht, dass Ben gar nicht lauthals protestierte.


    „Sie werden jetzt ihrer anderen Arbeit nachgehen und sich nicht mehr ausschließlich nur mit diesem Fall beschäftigen. Nach Absprache mit Frau Schrankmann werden sie aber auch nicht abgezogen, denn der ist es wichtig, dass Leute mit eigener Meinung und unbestechlich, an dieser delikaten Sache arbeiten. Gerade bei ihnen, Jäger, kann sich niemand vorstellen, dass sie aus finanziellen Interessen ein Auge zudrücken würden und deshalb bleiben sie an dem Fall-beide natürlich!“ fügte sie hinzu, als Semir sie empört anblickte. „Auch bei ihnen Gerkan wurde noch nie eine Vorteilsnahme im Amt auch nur in Erwägung gezogen und deshalb sind sie die richtigen Männer dafür!“ erklärte die Chefin nun schon ein wenig freundlicher. „ Allerdings müssen wir den Ball tief halten und eher im Hintergrund ermitteln. Ich hoffe ja, dass wir gemeinsam in Kürze den Fall aufklären können, aber bis dahin verhalten sie sich bitte unauffällig!“ sagte sie und Semir und Ben nickten. Ben dachte insgeheim allerdings bei sich: „Wenn die wüsste, was gestern Abend vorgefallen ist, würde sie mich vermutlich sofort abziehen, aber so ist mir das schon lieber!“


    Während die beiden aufstanden-Ben wesentlich langsamer und schwerfälliger als sonst-fügte sie noch hinzu: „Ach ja und wenn sich bis dahin noch nichts ergeben hat-nehmen sie sich mal für den Sonntag Mittag nichts vor. Da soll das Kunstwerk feierlich eingeweiht werden und Frau Schrankmann und ich erwarten, dass sie da auch da sind, die Sache beobachten und die Augen offen halten, ob ihnen vielleicht etwas oder jemand Verdächtiges auffällt!“ erklärte sie ihnen und Semir stöhnte innerlich auf. Jetzt hatte er sich so gefreut, dass die Kinder mal weg waren und er sich völlig seiner Andrea widmen konnte und jetzt so was! Allerdings würde das ja hoffentlich nicht den ganzen Tag dauern, vielleicht wurde es ja gar nicht so schlimm.


    Ben und er verließen das Büro der Chefin und Semir, der hinter seinem Kollegen lief, merkte nun, dass der sich vorsichtig bewegte. Als sie in ihrem Büro angekommen waren, schloss Semir die Tür hinter sich und sagte: „Was fehlt dir Ben, raus mit der Sprache!“ und sah seinen Freund dabei prüfend an. Ben hatte so gehofft, dass seine schauspielerischen Leistungen von Erfolg gekrönt sein würden und niemand etwas bemerken würde, aber Semir konnte er nicht täuschen. Zu gut kannte ihn der und so setzte er sich erst mal auf seinen Stuhl und zog dann sein Shirt hoch. Entsetzt starrte Semir auf den Bauch, der neben den abblassenden Operationsnarben langsam begann in allen Regenbogenfarben zu schillern. „Wer war das, was ist passiert?“ fragte er geschockt und Ben erzählte in Kurzfassung seine misslungene Aktion des gestrigen Abends. Semir schüttelte nur den Kopf.
    „Ben, wie konntest du nur so einen Alleingang starten, du könntest tot sein! Dir musste doch spätestens nach unserem Rausschmiss unter Waffengewalt klar sein, dass Sharpov und seine Männer völlig skrupellos sind. Warum hast du mich nicht gefragt? Ich wäre doch mitgegangen und zu zweit hätten wir vielleicht wenigstens eine Chance gehabt, da ungeschoren rauszukommen! Aber so bringst du dich in Lebensgefahr und nebenbei ist jetzt klar, dass Sharpov Bescheid weiß, dass du ihn observieren wolltest, der wird sich keine Blöße geben, wenn du in der Nähe bist, das war eine ganz große Blödheit!“ regte er sich auf, nur um dann zu seinem Freund zu gehen und ihn anzufassen.


    „Nein, Fieber hast du keines, hat das schon ein Arzt gesehen, oder muss ich dich sofort ins Krankenhaus bringen?“ wollte er dann wissen, aber Ben erzählte nun von seinem und Sarahs morgendlichem Ausflug und Semir atmete auf. „Nachdem ich nicht denke, dass Sarah dich hätte gehen lassen, wenn etwas Schlimmeres wäre, bin ich jetzt wenigstens fürs Erste beruhigt. Du wirst dich heute schonen, oder möchtest du lieber heimgehen und dich hinlegen?“ fragte er besorgt, aber Ben schüttelte energisch den Kopf. „Gut, dann lassen wir es langsam angehen!“ beschloss Semir, dem nun klar war, was der morgendliche Anruf Bens zu bedeuten gehabt hatte. Er hatte eigentlich gedacht, dass Ben irgendwie Sarah abholen musste, deren Auto nicht angesprungen war, oder sowas, aber an solche Verwicklungen hätte er nicht im Traum gedacht. Aber warte, Sharpov würde das büßen, so wahr er Semir Gerkan hieß!“

  • Der Tag verging mit Routinearbeiten. Semir achtete sehr darauf, dass Ben sich körperlich nicht übernahm und war sehr besorgt, als der mittags nochmal eine Schmerztablette einwarf. Ben hatte gedacht, das heimlich getan zu haben, aber Semir beobachtet ihn mit Argusaugen! „Die haben mir die vom Krankenhaus extra mitgegeben!“ verteidigte er sich und Semir ließ es dann auch gut sein.
    Sie bearbeiteten einige alte Akten, machten eine Streifenfahrt, kehrten im Imbiss ein, aber sogar da war Bens Appetit nicht so besonders und als sie noch bei Hartmut vorbeischauten, hatte der nichts, was in ihren Augen zur Lösung des Falls beitrug.


    „Wusstet ihr schon, dass die Farbe des Betons in erster Linie von der Färbung des verarbeiteten Sandes abhängt?“ fragte er die beiden begeistert. Semir sagte gleichgültig: „ Beton ist Beton und der ist immer grau!“ aber nach dieser Aussage wäre Hartmut beinahe aufgesprungen. „Aber das stimmt doch gar nicht! Es gibt mehrere tausend Betonsorten und nachdem jede Gegend der Welt ja auch ihre eigenen Sande hat, gibt es total viele Rezepte, die lesen sich wie Kuchenteigrezepte. Auch die Wasserzugabe, die Länge des Mischvorgangs und die Zugabe der Zementart verändern das Endprodukt. Außerdem ist eigentlich Beton ein Naturprodukt, denn außer Sand oder Kies und Wasser kommt da noch Zement rein, der auch aus Steinen vermahlen und bei sehr hohen Temperaturen gebrannt wird. Kalkstein, Ton, Sand und Eisenerz sind dessen Bestandteile und die Vermischung mit Gips, wenn er abgekühlt ist, macht ihn nach dem Mahlen fertig zum Abbinden!“ erklärte er beinahe ein wenig aufgeregt.
    Gerade wollte Hartmut weiter über seinen neuen Lieblingsbaustoff Beton referieren, da fuhr im Semir regelrecht über den Mund: „Hartmut, wen interessiert das und hat das irgendwas mit unserem Fall zu tun, oder hast du was rausgefunden, womit wir was anfangen können?“ wollte er wissen, aber Hartmut schüttelte ein wenig beleidigt den Kopf. Ben erhob sich schwerfällig und während die beiden zum Auto gingen, sah Hartmut ihm mit gerunzelter Stirn nach. Was fehlte denn dem-also so ganz fit wirkte der nicht!


    Als es nachmittags gegen drei war, fuhr Semir, der seinem Partner immer wieder besorgte Blicke zuwarf, schnurstracks zu Bens Wohnung. „So, du legst dich jetzt ins Bett und erholst dich, das hat so keinen Wert! Du musst dich einfach hinlegen!“ bestimmte er und Ben protestierte gar nicht allzu heftig, denn ehrlich gesagt reichte es ihm. Während Ben seine Klamotten von sich schmiss und erleichtert zu Sarah ins Bettchen kroch, die immer noch tief und fest schlief, um Kräfte für ihren nächsten Nachtdienst zu tanken, fuhr Semir nochmal alleine zur Betonkunstbaustelle am Neumarkt.


    Auch heute wurde noch betoniert, nach Angaben des großen Künstlers rückte der Kran das eine Teil mehr nach links, das andere nach rechts, was in Semir´s Augen überhaupt keinen Unterschied machte. Gut, wenn er genau hinschaute, waren tatsächlich alle Betonteile von unterschiedlicher Konsistenz und Färbung. Von schmutzigweiß bis dunkelgrau, fast schwarz, reichten die Farben, allerdings fand Semir nach wie vor das ganze Projekt hässlich, aber das sollte ihm egal sein. Nur dass wegen sowas ein Mensch, nein eigentlich drei Menschen sterben mussten, war eine schreckliche Sache!
    Es waren natürlich immer noch viele Schaulustige um die Baustelle herum, aber ein mobiler Bauzaun war zu Abschirmungszwecken weiträumig ums Gelände gezogen worden und ein paar finster dreinblickende Männer passten auf, dass niemand die Absperrung durchbrach. Sonst war aber alles friedlich und ehrlich gesagt, brachte es Semir auch nicht weiter. Aufseufzend fuhr er erst in die PASt und bat Susanne nochmals, Sharpov und seinen Hintergrund zu durchleuchten, was die aber schon lange gemacht hatte, ohne mehr herauszufinden, als er selber bei seinen Internetrecherchen. Irina war so etwa ein halbes Jahr an seiner Seite, aber aus früheren Zeiten gab es Bilder von wechselnden Begleiterinnen, alle jung und hübsch und wesentlich jünger als der Mittvierziger. Na ja, Geld macht attraktiv-dachte sich Semir und machte dann ebenfalls Feierabend.

  • Als Sarah drei Stunden später noch vor ihrem Wecker aufwachte, bemerkte sie erst, dass Ben neben ihr lag. Sie betrachtete ihn liebevoll. Er hatte sich zusammengerollt und schlief friedlich. Sein Bauch hatte sich zwar inzwischen ins Bläuliche verfärbt, aber anscheinend war es von den Schmerzen her auszuhalten, sonst würde er nicht so ruhig atmen und fest schlafen. Leise stand sie auf, trank Kaffee, aß ein Müsli, surfte im Internet und ließ sich Zeit, ein wenig wach zu werden. Nachdem sie geduscht hatte, beschloss sie vor dem Nachtdienst noch ein wenig am Rhein entlang spazieren zu gehen und verließ so still wie möglich die Wohnung, um Ben nicht zu stören. Ohne ein einziges Mal aufzuwachen schlief er durch bis zum nächsten Morgen und war ganz überrascht, als Sarah nach vollbrachtem Nachtdienst plötzlich wieder zu ihm ins Bett schlüpfte. Nach einem kurzen Abstecher seinerseits zur Toilette lagen sie sich in den Armen und bis es auch für Ben Zeit zum Aufstehen wurde, testete er, wie weit er seinen Bauch schon wieder belasten konnte.
    Er hatte kaum noch Schmerzen, nur bestimmte Bewegungen waren unangenehm, aber als er Semir eine SMS schrieb, ob der ihn abholen könne, weil sein Mercedes ja in der PASt stand, sah der ganz irritiert auf die Uhr, weil das früher war, als sonst. Als Semir kam, um seinen Kollegen abzuholen, stand der schon energiesprühend vor dem Haus und wartete auf Semir´s Erscheinen. „Und, wie geht´s dir?“ wollte er wissen und Ben grinste nur. „Ich habe mich gesund geschlafen und jetzt schnappen wir uns Sharpov!“


    Voller Elan fuhren sie zur Arbeit, aber obwohl sie von allen Seiten versuchten an den reichen Russen ranzukommen, ergab sich an diesen und auch an den folgenden Tagen nicht der kleinste Hinweis, wer Melanie ermordet hatte, auch sonst geschah nichts und bis sie sich versahen war das Wochenende da.
    Semir hatte am Samstag mit Andrea die Kinder zu den Großeltern gebracht und trotzdem mit ihr einen schönen Abend verbracht. Oma und Opa würden die Kinder am Sonntag Abend bringen und so beschloss Andrea, einfach der Denkmaleinweihung als Zuschauer beizuwohnen, das würde ja vermutlich nicht den ganzen Tag dauern und dann konnten sie später noch was essen gehen, bevor der kinderfreie Sonntag vorbei war. Auch Sarah und Ben, die den Samstag geruhsam miteinander verbracht hatten, kamen zu einem gleichlautenden Ergebnis ihrer Sonntagsplanung und so trafen sich alle vier am Sonntag um 10.30 am Neumarkt.
    Der Beginn des Festakts war für 11.00 angesetzt und auch die Chefin, die sich mit Frau Schrankmann getroffen hatte, trat zu ihnen und begrüßte sie. „Also meine Herren, Augen offen halten!“ befahl sie augenzwinkernd und mischte sich dann mit ihrer Begleiterin wieder unter die Menge.


    Der Stadtrat war zu dem feierlichen Ereignis in hoher Kopfzahl vertreten, allerdings war von Jantzen keine Spur zu sehen. Als Erster hielt der Oberbürgermeister eine Rede und bedankte sich im Namen der Kölner Bürger bei Sharpov für die großzügige Spende eines wundervollen modernen Kunstwerks. „Was da dran wundervoll sein soll, möchte ich auch wissen!“ flüsterte Ben Semir ein wenig laut ins Ohr, was ihm einen entrüsteten Blick einer neben ihnen stehenden, eleganten Dame einbrachte, die nur leise: „Banause!“ zischte.
    Sarah und Andrea standen ganz nah bei ihren Partnern und während nun Sharpov sprach, bevor später der Künstler den Sinn seines Kunstwerks erklären sollte, bemerkte Ben, wie Irina die ganze Zeit zu ihnen herübersah. Sie war traumhaft und sichtlich teuer angezogen, aber mit seinem geschulten Blick erkannte Ben, dass sie sich ein wenig schwankend bewegte, als ob sie betrunken wäre. Auch war sie wieder stark geschminkt, was vermuten ließ, dass ihr Gesicht noch nicht so völlig in Ordnung war. Auch Semir hatte es bemerkt und nun beschlossen sie, sich unauffällig unter die Menge zu mischen und das Publikum so zu mustern.


    Sarah und Andrea blieben zusammen und holten sich an einem der Cateringstände, die extra für dieses Event aufgebaut worden waren, natürlich gegen Bezahlung, etwas zu trinken, während sie noch weiteren Ansprachen, unter anderem des Kunstreferenten Weidenhiller, lauschten. „Wie findest du das Kunstwerk?“ fragte Andrea Sarah. „Hässlich!“ war deren eindeutige Meinung und Andrea war nun froh, dass nicht nur sie das so empfand.
    Nun begann der große Künstler zu erklären, dass er mit diesem Werk in monatelanger kreativer Arbeit, ein Stück Kunst zum Anfassen geschaffen hatte. „Jedes einzelne Betonteil ist ein Unikat, ist aus anderem Sand und unterschiedlichen Zementarten und Farben geschaffen. Die Oberflächen sind von völlig glatt, bis rauh und höckrig verarbeitet. Ich möchte sie einladen, da ihre Sinne einzusetzen, die unterschiedlichen Grautöne zu genießen, die verschiedenen Oberflächen zu betasten und auch innen ins Kunstwerk hineinzugehen!“ forderte er euphorisch das Publikum auf.
    Erst jetzt sahen Semir und Ben, dass durch das Aufeinanderstapeln der Teile, was eigentlich wie willkürlich aussah, ein Hohlraum entstanden war, der von außen nicht komplett einsehbar war. „Na prima, das wird vermutlich im Winter ein beliebter Unterschlupf für Penner werden!“ stöhnte Semir auf und fand es hirnrissig, dass so etwas genehmigt wurde. Aber nachdem der große Meister noch eine Weile hochtrabende Reden, die vor Selbstbeweihräucherung nur so trieften, gehalten hatte, wurde endlich das Band, das symbolisch den Zugang zum Kunstwerk abgeschlossen hatte, durchschnitten und die ersten Kunstliebhaber strömten herbei, um ihre Sinne einzusetzen.


    Semir und Ben ließen sich durch die Menge treiben, sahen hin und wieder ein bekanntes Gesicht und Ben stand irgendwann an der Absperrung, die die Ehrengäste vom Rest des Volkes trennte. Mit zwei Schritten war Irina, die ein Sektglas in der Hand hielt, zu ihm getreten, begrüßte ihn und sah ihn mit hungrigen Augen an. Ben roch keine Alkoholfahne, trotz des Sektglases, aber ihm fiel auf, dass ihre Pupillen erweitert waren. Er hätte auf Koks getippt, aber letztendlich war das ja egal, auf jeden Fall stand die junge Frau unter Drogeneinfluss. Bevor sie viel sagen konnte, war Sharpov an ihrer Seite, zeigte sein Haifischlächeln und sagte: „Na, wie geht’s, Herr Jäger?“ und blickte dabei nicht auf Ben´s Gesicht, sondern auf dessen Bauch. Ben hätte am liebsten ausgeholt und ihm eine verpasst, aber da zog ihn Semir, der unbemerkt von hinten dazu getreten war, ein wenig zur Seite und sagte ebenfalls lächelnd zu Sharpov: „Mein Kollege steht unter meinem persönlichen Schutz, ich würde es mir in Zukunft überlegen, mit ihm in Kontakt zu treten!“ und während hinter Sharpov zwei unscheinbar aussehende Leibwächter in dunklen Anzügen drohend näherkamen, zog Semir Ben mit sich und sie verschwanden in der Menge.

  • Ben brauchte eine ganze Weile um runterzukommen. Er ballte seine Hände in den Hosentaschen zu Fäusten und konnte einen Augenblick gar nichts sagen, so wütend war er. „Verdammt, der lässt mich zusammenschlagen und nichts passiert ihm, obwohl er das sozusagen öffentlich zugibt!“ presste er zwischen zusammengepressten Lippen heraus. „Ich hätte dem jetzt liebend gerne eine verpasst aber klar hast du Recht, das bringt uns der Aufklärung des Falles nicht näher!“ beruhigte er sich dann langsam. „Natürlich kannst du ihn anzeigen Ben, dann kriegt er vielleicht eine kleine Geldstrafe, wenn es überhaupt möglich ist, ihm das nachzuweisen, aber wir wollen ihn doch so richtig schnappen, denn der hat Dreck am Stecken, so wahr ich Semir Gerkan heiße!“ beschwor ihn Semir und langsam kamen sie beide wieder runter und musterten aufmerksam das Publikum.


    Während viele Schaulustige und Kunstliebhaber nun das Denkmal auch von innen betraten und die Betonteile fast ehrfürchtig anfassten, waren überall Sicherheitsleute mit Handys zu sehen, die deutlich Stärke und Anwesenheit demonstrierten. Als Semir in der Menge zwei der Aktivisten entdecken konnte, die bei dem Überfall dabei gewesen waren, trat er zu ihnen und fragte: „Ich hoffe, sie haben heute keinen Blödsinn vor?“ aber die beiden schüttelten den Kopf. „So schwer es uns fällt, unseren guten Geschmack und unsere Liebe zu dieser historischen Stadt beim Anblick dieser Geschmacksverirrung zu behalten, aber es genügt, dass Melanie diese Aktion mit dem Leben bezahlt hat. Wir waren vorgestern auf der Beisetzung und das war so ungefähr das Schrecklichste, was wir seit langem miterlebt haben. Wir werden mit Sicherheit keinerlei Aktionen mehr starten und verfluchen uns jeden Tag, dass wir da überhaupt mitgemacht haben!“ erklärten die beiden tief bewegt und Semir und Ben glaubten ihnen aufs Wort, so überzeugend kamen sie rüber.


    Nach einer Weile beobachteten sie aus der Entfernung, wie Irina mit unsicheren Schritten zum Toilettenwagen wankte und wenige Minuten später mit energischen, kraftvollen Schritten, hocherhobenen Kopfes wieder herauskam. „Die hat sich doch gerade was reingepfiffen!“ vermutete Ben und Semir musste ihm Recht geben. Während sie noch überlegten, ob es was bringen würde, wenn sie sie hopsnehmen würden, kamen Frau Krüger und die Schrankmann näher und fragten: „Und, schon irgendwelche Entdeckungen gemacht?“ aber die beiden Polizisten schüttelten nur den Kopf. Nachdem sich der Event nun langsam auflöste, gab Frau Krüger ihnen ab sofort frei und Semir und Ben kehrten zu ihren Frauen zurück und gingen mit ihnen noch an die Rheinterrassen zum Essen.


    „Es ist wie verhext, aber wir kommen mit diesem Fall einfach nicht voran!“ moserte Ben, aber als Sarah den Kopf schief legte und fragte, um was es eigentlich ginge, schüttelten Ben und Semir sofort den Kopf. „Das weißt du besser nicht!“ erklärten sie ihr unisono und Andrea lächelte ihr zu: „Daran musst du dich gewöhnen, wenn du mit einem Polizisten zusammen bist. Erst kommt der Beruf und dann lange nichts-und sie hüllen sich gerne in Schweigen, die Jungs!“ woraufhin Semir protestierte, das würde überhaupt nicht stimmen, aber insgeheim musste er seiner Frau Recht geben. Nach einem doch noch vergnüglichen Restnachmittag fuhren Semir und Andrea dann nach Hause, um ihre Kinder in Empfang zu nehmen und Sarah und Ben beschlossen noch ins Kino zu gehen und so den Abend ausklingen zu lassen.
    Am Nachhauseweg trieb es Ben nochmals an den Neumarkt und er besah sich mit Sarah das Kunstwerk nochmal aus der Nähe, ohne irgendwelche weiteren Erkenntnisse zu gewinnen. Ein wenig frustriert machten sie sich auf den restlichen Heimweg und bedauerten, dass das dienstlich verkürzte Wochenende schon wieder dem Ende zuging.

  • In den nächsten Tagen fuhren Semir und Ben immer mal wieder, wenn sie auf Streifenfahrt waren, am Neumarkt vorbei. Es war erstaunlich, wie viele Kunstliebhaber sich auch nach Tagen immer noch brennend für das neue Denkmal inmitten der Stadt interessierten. Staunend registrierten die beiden Polizisten, wie viele hervorragend gekleidete Menschen immer die Wände befühlten, fast streichelten und als besonderen Kick dann anscheinend im Inneren verschwanden. Auch Semir und Ben waren mal in den halbdunklen Kern der Anlage gegangen und es roch dort erstaunlicherweise noch ganz normal, obwohl so ein abgeschirmtes Örtchen mitten in der Stadt sicher auch ein dringendes Bedürfnis abdecken konnte. Aber anscheinend war die Ehrfurcht vor der Kunst doch so groß, dass sich da bisher niemand vergessen hatte.


    Fast hatten sie die Hoffnung aufgegeben, jemals in diesem Fall weiterzukommen und arbeiteten inzwischen an anderen Fällen, da wurde ein schwerverletzter Graffitisprüher in der Nähe des Neumarkts aufgefunden, der tagelang zwischen Leben und Tod schwebte. Er war brutal niedergeschlagen worden und hatte unter anderem schwerste Schädelverletzungen erlitten, allerdings wurden die sofort professionell versorgt und so überlebte er die Sache ohne Hirnschäden.
    Als er soweit vernehmungsfähig war, befragten Semir und Ben ihn und er sagte aus, dass er vorgehabt hatte, das neue Kunstwerk, das ihm ein wenig fade erschien, nächtens zu „verzieren“. Er hatte gerade seine Spraydose gezückt, da hatten sich vier Russen, was er aus ihren Gesprächen schloss, auf ihn gestürzt. Als er sie beschrieb wurde Ben hellhörig. Die Beschreibung des jungen Mannes deckte sich in etwa mit dem Aussehen von Melanies Mördern. Aufgeregt ließ er von einem Zeichner die vorläufigen Phantombilder ins Krankenhaus mitbringen und siehe da, der Mann sagte überzeugt: „Ja, das waren sie.“ Er konnte so manches Bild noch detailgenauer mit dem Zeichner ausarbeiten und als das Werk beendet war, meinte Ben, die Vier fast fotografisch vor sich zu sehen. Die Bilder wurden an die Streifen ausgegeben und nochmals ergebnislos durch den Fahndungscomputer gejagt. Einer der Russen hatte dem jungen Mann die Spraydose abgenommen und Hartmut konnte darauf Fingerabdrücke sicherstellen, die eventuell dem Täter gehören könnten, wenn man die von Hartmut rekonstruierten Tatortfotos verglich.


    „Immerhin wissen wir jetzt, dass die Täter noch in Köln sind und dass die Tat mit dem Kunstwerk in Verbindung steht und nicht Melanie persönlich galt!“ sagte Ben und war zuversichtlich, dass sich weitere Hinweise ergeben würden, die sie in dem Fall vorwärtsbrachten. Inzwischen war es bei ihm fast zur Manie geworden, immer wieder, auch mit dem Fahrrad oder beim Einkaufen einen Abstecher zum Neumarkt zu machen und dort die Augen offenzuhalten. Die Menge gutsituierter Kunstliebhaber, die aus der U-Bahn oder einer der Straßenbahnen ausstiegen und sich anscheinend in diesem Kunstwerk entspannen konnten, oder es so entzückend fanden, dass sie es wieder und wieder anfassen mussten, war erstaunlich. Ben hätte nie erwartet, dass das so großen Anklang finden würde, manchmal begann er schon seinen eigenen Geschmack in Frage zu stellen, aber wenn er dann normale Leute nach ihrer Meinung zu dem Bauwerk fragte, verdrehten die meist die Augen und erklärten frank und frei, es einfach nur potthässlich zu finden.
    Einmal begegnete er dort auch dem Kunstreferenten Weidenhiller, der beinahe verlegen errötete, als er sah, dass Ben ihn erkannt hatte. Aber nach ein wenig Smalltalk stieg der wieder in die Straßenbahn und fuhr Richtung Lindental davon, wo er wohnte. Als Ben Semir von seinen privaten Beobachtungen erzählte, sah ihn der prüfend an und fragte, ob er nicht fände, da zu übertreiben. „Gut, du bist zusammengeschlagen worden, aber das sieht mir ja fast wie ein Rachefeldzug aus, was du da vorhast. Jetzt komm mal wieder auf den Boden zurück, das ist ja nicht ganz normal, was du da abziehst!“ wusch er ihm den Kopf und Ben nickte ein wenig schuldbewusst.


    Am nächsten Tag, Ben war in der Arbeit und Sarah hatte Spätdienst und war gerade dabei, die Wohnung aufzuräumen, läutete es. Als Sarah, verwundert darüber, wer mitten am Vormittag zu ihnen kam, die Tür öffnete, fiel ihr Irina Bukow fast entgegen. Erschrocken fasste sie die junge Frau, die schrecklich aussah, unter und führte sie zur Wohnzimmercouch, wo sie sie erst mal flachlegte. Irina hatte verheulte Augen und im Gesicht und am ganzen Körper die Abdrücke von Schlägen. „Dieses Schwein hat mich ständig verprügelt und mir mit dem Tod gedroht, wenn ich zur Polizei gehen würde!“ weinte sie. „Ich kann auch nicht ins Krankenhaus, denn dort findet er mich und lässt mich genauso umbringen, wie er es mit jedem macht, der ihm nicht zu Willen ist!“ Sarah wusste zwar nicht, von wem die junge Frau sprach, die sie mit Ben bei der Eröffnung des Kunstwerks gesehen hatte, aber auf jeden Fall musste da was geschehen. Kurzentschlossen packte sie die junge Dame, zerrte sie in ihr Auto, das in der Tiefgarage stand und das man direkt übers Treppenhaus erreichen konnte und fuhr mit ihr ins Schwesternwohnheim, wo sie ja immer noch ihr nun eigentlich unbenutztes Appartement besaß. Dort legte sie sie in ihr Bett und noch bevor sie Ben Bescheid sagte, holte sie einen befreundeten Arzt dazu, der ebenfalls Spätschicht hatte und eine Nachbarwohnung bewohnte.

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