Auferstanden

  • Kevin’s Wohnung – 10:15 Uhr


    Ben sass in seinem vorrübergehenden Dienstwagen und trommelte nervös auf seinem Lenkrad herum. Immer wieder sah der Kommissar auf die Uhr an seinem Handgelenk, dann wieder auf die Haustür des Plattenbaus, aus dem er jede Minute Kevin erwartete, den er gestern nach Hause gefahren hatte. Er hatte bereits zweimal auf sein Handy angerufen, doch es nahm niemand ab. So langsam schlichen sich wieder einige Sorgen, die Ben gestern noch verdrängt hatte, in seine Gedanken. Hatte Kevin nur verschlafen? Aber warum ging er nichts ans Handy?
    Ben hatte die Ungewissheit satt, zog den Schlüssel aus dem Zündschloß und stieg aus dem Wagen aus. Die Sonne schien vom Himmel, es war kein Wölkchen zu sehen, es war ein herrlicher Wintertag mit Temperaturen um den Gefrierpunkt. Bens Atem hinterließ Kondensdampf als er zur Haustür des Plattenbaus schritt und Kevins Name auf der Klingelliste suchte. „Kevin Peters“, stand dort in Handschrift auf einen Zettel geschrieben, und der Kommissar betätigte die Klingel mehrmals. Keine Reaktion, kein ertönendes Signal, dass Kevin die Tür von oben öffnete. Genervt lehnte sich Ben an die Haustür und wäre beinahe in den Hausflur gefallen, als die plötzlich nachgab. Erst dachte er, es hätte von innen jemand gezogen, doch da war niemand… sie ging von alleine auf. „Toll geschützt.“, murmelte Ben und betrat den nach kaltem Rauch riechenden Flur und die Treppe nach oben. Er musste durch jeden Gang durch, weil er nicht wusste, in welchem Stock Kevin wohnte. Glücklicherweise hatte der junge Polizist ein Namensschild auch an der Tür, als Ben durch den dritten Stock ging und an die betreffende Tür klopfte. Erneut bekam er keine Reaktion, und so langsam wuchsen die Sorgen in Bens Kopf. Erneutes Klopfen und ein „Kevin? Bist du da?“, erfüllten den diesigen und recht düster wirkenden Flur. Plötzlich vernahm Ben ein Geräusch aus der Wohnung, und er hielt kurze Zeit still. Das Geräusch war konstant, ein leises Rauschen, was der Polizist als Dusche entziffern konnte, als er den Kopf an die dünn wirkende Tür legte. Also war Kevin wach und würde wohl gleich kommen, dachte Ben und lehnte sich an die gegenüberliegende Wand. Doch es verging Minute um Minute, und nichts tat sich. Auch das Duschwasser rauschte konstant in Kevins Wohnung und die Sorgen , die sich gerade davon geschlichen hatten kamen zurück zu Ben. Plötzlich traf ihn ein Gedanke… sollte der Mann, der Ben und Kevin gestern bedroht hatte, ihnen gefolgt sein und hatten Kevin überfallen? Einige Gedanken flogen in Bens Kopf hin und her, wägten ab wie wahrscheinlich die Möglichkeit für einen Überfall war. Während der Gedanken lief das Duschwasser unentwegt weiter, und Ben entschloss sich, in die Wohnung zu gehen.


    Mit einer Kreditkarte in der Hand war es bei diesem recht betagten und alten Schloß ein leichtes Spiel, den Bolzen zu bewegen. Als sich die Tür öffnete wurde das Duschwasser sofort lauter, es drang durch die offene Tür am Ende des Zimmers, das als Wohnraum und Küche diente. Ben wunderte sich über die Einfachheit der Wohnung, er war wahrlich besseres gewohnt und konnte sich nur schwer vorstellen hier einmal dauerhaft zu wohnen. Leise, ohne laut aufzutreten, ging Ben langsam durch die Wohnung. Er hatte den Halfter seiner Waffe geöffnet und die rechte Hand in der Nähe des Griffes. Auf dem Tresen der Küche fiel ihm sofort ein Magazin ins Auge, das komplett mit Kugeln gefüllt war und wohl zu Kevins Waffe gehörte. Der Weg führte den Kommissar durch den Wohnraum ins Badezimmer, wo die Dusche unentwegt ihren Dienst verrichtete. Der Duschvorhang hing vor der Dusche und ließ Ben keine Einsicht, ob sich jemand dahinter verbarg. Das Prasseln des Wassers und das Gurgeln des Abflußes kam nur noch ganz leicht gedämmt durch den Stoff des Vorhangs. Ben umgriff mit der linken Hand den Vorhang, die rechte legte sich nun fest um den Griff seiner eigenen Waffe, auf alles vorbereitet was er nun hinter dem Vorhang zu sehen bekam. Entweder ein Eindringling, der sich versteckt hatte, oder Kevin der gerade duschte.
    Mit einem Zug verschwand der Vorhang, und nichts von beidem befand sich dahinter. Die Duschkabine war leer, das Wasser prasselte in die Duschwanne in der Kevins Waffe lag – ohne Magazin. „Was geht hier vor?“, murmelte Ben sichtlich verwirrt und nervös, als er das Wasser abdrehte und Kevins durchnässte Waffe aufhob um sie in der Küche auf den Tresen zu legen. Dann begab sich Semirs Partner zur zweiten Tür in diesem Raum und legte vorsichtig die Hand auf die Klinke. Wieder eine Hand am Griff der Waffe zur Vorsicht, drückte er die Klinke nach unten und schaute durch den immer größer werdenden Spalt der Tür ins Zimmer. Langsam konnte er das Ende eines Bettes darin erkennen, dann kamen zwei regungslos liegende nackte Füße in sein Blickfeld die zu zwei leicht verdreht liegenden kräftigen Beine gehörten. Ben hielt die Luft an, als letztendlich Kevin komplett in sein Blickfeld geriet, halb auf der Seite liegend und Ben den Rücken zu gewandt. Er trug nur schwarze Boxer-Shorts, neben dem Bett stand eine nur noch Fünftel-volle Flasche Whiskey und mehrere Zigarettenstummel. Die Luft in dem Raum war verbraucht und stickig, als Ben eintrat und sein Gesicht vor Überraschung entglitt. „Das glaub‘ ich jetzt nicht.“, murmelte er. Eine Hand nahm er weg von der Waffe und ging mit gemächlichen Schritten an Kevins Bett heran. Er konnte Kevins Gesicht nicht sehen, was er aber sehen konnte waren die beiden großen Stichnarben auf seinem nackten Rücken. Und das Tattoo eines Konterfeis, eines ungefähr 15 Jahre alten, äusserst hübschen Mädchen. Darunter stand ein Geburtsdatum „11.02.1987“ und ein Todesdatum „16.07.2002“. Ein ungutes Gefühl breitete sich in Bens Magengegend aus, die Situation war ihm unangenehm, trotzdem berührte er mit sanften Druck Kevins Arm, der auf dessen Körper ruhte und schüttelte ihn etwas. „Psst. Kevin! Wach auf.“


    Plötzlich zog Kevin Luft durch Mund und Nase, es war ein Geräusch des panischen Erschreckens, ein Ruck ging durch seinen Körper dass Ben vor Schreck zurückwich. Der Polizist auf dem Bett rappelte sich mit Schwung auf, drehte sich auf den Rücken und fuhr dann kerzengerade nach oben in die Sitzposition, um sich dann mit panischem Blick und weit aufgerissenen Augen gegen die Wand zu drücken. Eine Hand schlug wie wild auf der Bettdecke, als würde er seine Waffe suchen, die er neben sich vermutete. Erst jetzt sah Ben Kevins blasses Gesicht, deutliche Ränder unter den Augen und unzählige Schweißperlen. „Whoa, ganz ruhig! Ich bin’s, Ben!“ rief Ben, der sich selbst durch Kevins ruckartiges Aufstehen wahnsinnig erschreckte. Kevin atmete, als wäre er gerade einen Marathon gerannt und schaute Ben mit offenem Mund und weiten Augen an. „Oh Gott… mach das nie wieder.“, schnaufte er und schien gar nicht zu regestrieren dass er nur in Unterwäsche vor seinem Kollegen lag. Es dauerte kurz, bis Kevin sich in seinem Zimmer orientiert hatte, und sein Atem sich leicht beruhigte. Ben hatte ihn gerade aus einem seiner zahllosen Alpträume befreit, die ihn in letzter Zeit wieder verstärkt heimsuchten. „Wie kommst du überhaupt in meine Wohnung?“, fragte er dann, und seine Muskeln, die zum Zerreissen gespannt waren, entspannten sich leicht. „Schau mal auf die Uhr! Ich hab mir Sorgen gemacht, als ich das Duschwasser gehört habe.“ Kevin schaute leicht verwirrt. „Duschwasser?“, fragte er verständnislos und Ben merkte, dass sein Kollege offenbar ganz schön einen im Tee gehabt haben musste gestern. „Ja! Deine Dusche ist gelaufen, deine Knarre lag in der Dusche, und du hier?“ Kevin lief ein Schauer über den Rücken… was hatte er gestern abend schon wieder gemacht, als er sich die beiden Pillen eingenommen hatte. Zweimal schon wachte er mit seiner Waffe unter der Dusche auf, einmal lag neben ihm im Bett ein Telefonkabel, dass er offenbar selbst zu einem Strick gebunden hatte. Er rückte von der Wand weg, und schwang seine Beine über die Kante, stützte die Ellbogen auf die Beine und vergrub die Hände vorm Gesicht. Dass ausgerechnet Ben ihn in diesem Zustand finden musste, würde wahrscheinlich sein komplettes Gebilde, seine komplette Mauer aus Abschottheit zum Einsturz bringen.
    Ben stand seelenruhig vor Kevin und wartete, ob der junge Polizist etwas von sich aus zu sagen hatte. Als keine Worte aus dessen Mund kamen, nahm Ben die Whiskeyflasche in die Hand. „Du hattest gestern Abend nichts zu feiern, oder?“ Kevin sah zu Ben auf und schüttelte den Kopf. „Ich hab einfach zu viel getrunken.“, meinte er mit seiner monotonen Stimme, ohne seinen Kollegen anzusehen. Der ging mit der Flasche in der Hand auf Kevin zu und setzte sich neben ihn aufs Bett. „Einfach mal so?“, hakte der nach und betonte seine ungläubige Tonlage. „Was ist mit dir los? Ich habe doch gestern abend schon gemerkt, dass etwas nicht stimmt.“

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

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    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

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  • Kevin’s Wohnung - 10:30 Uhr


    Für einen kurzen Moment herrschte Stille in der trostlosen Wohnung von Kevin, als Ben ihn auf seine gestrige Stimmung und seinen jetzigen Zustand ansprach. Doch mit einem Mal reagierte Kevin auf Ben’s Frage, stand ruckartig auf, dass ihm ein Schmerz sofort in die Stirn stach. „Nein, es ist nichts. Ich hab einfach gestern zu viel getrunken, okay?“ Seine Stimme war gefestigt, wirkte leicht genervt. Er machte in diesem Moment nicht den Eindruck eines labilen Menschen, sondern eher eines dickköpfigen Menschen, der seine Fehler nicht zugeben wollte. Dabei ging er einige Schritte durch den Raum, wobei er Ben den Rücken zukehrte, der erneut Blick auf das Konterfei und die beiden Stichwunden hatte. „Hat es was mit den Narben auf dem Rücken zu tun?“, fragte Ben vorsichtig und mit einer undrängenden Tonlage. Kevin blieb ruhig im Raum stehen, sah durch die geöffnete Tür ins Nichts. Seine blauen Augen fixierten einen Punkt, sein Mund leicht offen. Ben sah ihn an, wartete auf eine Antwort, beinahe atemlos. Es MUSSTE etwas damit zu tun haben, zu eindeutig war Kevins Reaktion auf diese Frage. Seine Schultern hoben und senkten sich mit seinem Atem, er kämpfte mit sich. Er wollte sich schon lange mal alles von der Seele reden, doch hatte er niemanden, der ihm zuhörte. Er hatte keine engen Freunde auf seiner Dienststelle, seine Jugendfreunde waren entweder im Knast oder noch in kriminellen Kreisen unterwegs. Er kannte Ben aber nicht, und wusste nicht ob er nicht seine Drogensucht sofort an die Öffentlichkeit bringt. Wenn Kevin jetzt auch noch seinen Job verlieren würde, würde er endgültig zerbrechen. Langsam drehte er sich zu Ben um, der in angestrengte, aber klare Augen sah. „Du willst es nicht wissen…“, sagte er leise in die Richtung des Kommissars, der nun selbst aufstand und auf Kevin zukam. „Pass mal auf. Semir und ich, wir wissen beide alles über den Anderen. Wir vertrauen uns blind, und das kannst du auch.“ Ben suchte aktiv den Blick zu seinem Gegenüber der sich mit der rechten Hand durch die ohnehin abstehende Frisur fuhr, und dem Blick erneut auswich. Ben setzte nach: „Ich weiß, du kennst mich erst seit zwei Tagen. Aber wenn du Probleme hast, dann können wir sie lösen… ohne dass ich sie jemandem weitererzähle.“ Mit einer kurzen Pause setzte er hinzu: „Auch Semir nicht…“, wobei ihm bewusst war, dass er dann etwas von dem, was er sagte, nicht einhielt. Doch Kevin beachtete den Widerspruch nicht und ging mit langsamen Schritten an Ben vorbei, um sich wieder auf die Matratze des Bettes zu setzen. Die Arme auf die Beine gestützt, den Kopf kurz darin vergraben. Offenbar kämpfte er sich gerade dazu durch, Ben reinen Wein einzuschenken. „Es war ein Jahr, nachdem ich den Absprung aus einer Jugendgang geschafft hatte.“, erzählte Kevin leise, sah Ben dabei aber nicht an. Er hatte das Kinn auf seine Hände gestützt, die Hände dabei zu Fäusten geformt. Sein Kollege lehnte sich an eine kleine Kommode, und hörte Kevin aufmerksam zu, ohne ihn aus den Augen zu lassen. „Ich war gerade 18 geworden… wir hatten in einem Club gefeiert und ich hatte ziemlich viel getrunken.“ Kevins Stimme war ruhig, doch es entging Ben nicht wie seine Augen sich zwischen mehreren Punkten schnell hin und her bewegten. „Gegen Mitternacht sollte ich meine kleine Schwester nach Hause bringen. Wir haben eine Abkürzung durch zwei dunkle Gassen in der Innenstadt genommen.“ Bens Magen krampfte sich zusammen, und er war sich bewusst, dass er keine schöne Geschichte hören würde. Kleine Schwester, das Mädchen auf seinem Rücken, das Todesdatum. Etwas schreckliches musste passiert sein. „Drei Typen der Gang haben uns dort zufällig gesehen und haben uns dann aufgelauert. Zuerst…“ Kevins Stimme stockte kurz, und langsam wurde er unruhiger und sein Atem ging schneller. Es war, als könne er die Schritte hinter ihm wieder hören, als könne er die feuchte Abendluft nach einem Regenschauer wieder spüren. „Sie haben mich niedergestochen. Von hinten. Ich… ich lag am Boden, und konnte mich nicht rühren.“ Der junge Polizist bewegte den Kopf, schaute kurz zum Boden, als hätte er sich dort Stichworte aufgezeichnet um die Geschichte fortzusetzen. Es war der Versuch die Brücke zu den nächsten Worten zu schlagen. „Ich hab gesehen, was sie mit ihr gemacht haben. Ich habe sie schreien hören, als die beiden sie vergewaltigt haben.“ In Kevins Kopf hallten laute Schreie wider, Schreie eines jungen Teenagers in Todesangst, im Hall von zwei dunklen Steinmauern alter Häuser. „Ich kam einfach nicht hoch… ich wollte es aber…“ Kevins Stimme wurde hektischer, sein Atem schneller. Ben wollte ihn beruhigen, doch er wollte Kevin nicht unterbrechen, und hörte weiter atemlos zu. Dessen Gesichtsausdruck war plötzlich von Hilflosigkeit gezeichnet, als würde er die Szene von damals gerade vor seinem inneren Auge sehen. Das Geschrei seiner Schwester, das Klatschen als ihre kleinen Hände ins Gesicht der beiden Typen knallte… und ihr Würgen und Gurgeln, ihren Todeskampf als sie mit ihr fertig waren. „Sie haben ihr einfach die Kehle durchgeschnitten.“, sagte Kevin plötzlich ruhig und immer noch fassungslos, wie in Trance. „Sie war doch meine kleine Schwester. Ich war für sie verantwortlich… ich hätte sie schützen müssen…“ Seine Augen sahen geradeaus, alle Geräusche in seinem Kopf waren weg, seine Augen ganz ruhig. Über seine nackte Haus hatte sich eine Gänsehaut gezogen, und langsam suchte sein Blick erneut Ben, der einen leicht mitleidigen, aber besonders fassungslosen Gesichtsausdruck machte und vor allem dann nach Worten suchte. „Kevin… ich weiß nicht was ich… also…“, stammelte er und wollte Kevin nicht ein lapidares „Das tut mir leid“ vor die Füße werfen. Der kam ihm jedoch zuvor: „Ich hab das noch nie jemandem erzählt… Manchmal hab ich Wochen, in denen es mir gut geht und ich nicht all zu oft daran denke. Manchmal habe ich aber auch Abende wie gestern… und dann…“, er verstummte und deutete auf die Whiskey-Flasche neben seinem Bett. Ben nickte nur, eine Hand vor dem Mund, es war ein fast verständnisvolles Nicken obwohl sich in seinem Kopf bereits viele Fragen ausbreiteten. Sollte er nicht doch jemandem etwas erzählen? Semir, der Chefin? Man musste Kevin doch helfen…


    Der allerdings stand nun auf. „Aber es ist wirklich selten… und es ist wirklich nur der Alkohol. Ich komm damit klar.“, sagte er zu Ben, und es würde für einen fremden durchaus überzeugend klingen, als er es sagte. Doch für Ben klang es nicht überzeugend. Einen Tod eines lieben Menschen steckte man nicht einfach so weg. Kevin blieb bei Ben stehen und sah ihn diesmal genau an. „Es wäre gut wenn du wirklich niemandem davon erzählst.“, sagte er, und schämte sich in diesem Moment nicht, Ben die volle Wahrheit verschwiegen zu haben. Die Drogen behielt er lieber für sich. Ben nickte und sagte nur kurz: „Versprochen.“ „Ich bin in 10 Minuten fertig.“, gab ihm Kevin zur Antwort und verschwand wieder hinter der Badezimmertür. Kurze Zeit später hörte Ben die Dusche erneut, diesmal aber nur wenige Augenblicke und ging aus dem Schlafzimmer heraus.
    Was hatte Kevin nur erlebt? Hilflos mit anzusehen wie seine kleine Schwester vergewaltigt und getötet wurde. Und war der Alkohol wirklich seine einzige Flucht? Ben würde Kevin in den nächsten Tagen im Dienst genau beobachten, ob er diesen ohne Probleme durchstand oder nicht. Nur wenige Minuten später kam Kevin in anderen Shorts wieder ins Schlafzimmer, wo er in eine schwarze verwaschene Jeans, ein langärmeliges Shirt und in seine Schuhe schlüpfte. Darüber zog er eine Weste mit Kapuze und seinen schwarzen Mantel, der ihm bis zu den Kniekehlen reichte. „Lass uns fahren.“, meinte er mit fast wachem, normalen Ausdruck in den Augen. Nur eine Stimme klang etwas müde. Bevor sie die Wohnung verließen, hielt Kevin Ben an der Schulter fest. „Und… Danke.“

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  • Dienststelle – 10:50 Uhr


    Semir saß bereits seit 10:30 Uhr an seinem Platz und wartete ungeduldig auf seine beiden Kollegen Ben und Kevin. Alle drei hatten später Dienst an diesem Tag, da sie gestern bis in den späten Abend gearbeitet hatten. Der türkische Kommissar hatte trotzdem wenig geschlafen, musste er doch zu intensiv über die Begegnung mit André nachdenken, vor allem über die Art und Weise wie André sich verhielt und seine Beweggründe warum er sich jahrelang nicht bei Semir gemeldet hatte. Sofort als er ihn sah spürte Semir diese Vertrautheit, diese Verbundenheit die er an seinem ehemaligen Partner immer geschätzt hatte. Doch im Laufe des Abends wechselte das Gefühl sich ständig ab mit einer seltsamen Fremdheit gegenüber André, vor allem als sie beide bei Semir im Haus waren. Dieses Gespräch lag ihm schwer im Magen, genauso die Ungewissheit, in welche illegalen Geschäfte André wirklich verwickelt war… und noch ist? Der Polizist hatte den großgewachsenen Mann wieder zur Karateschule gefahren, weil André darauf bestand, und ihm versicherte, auf sich aufzupassen. Darüber machte Semir sich am allerwenigsten Sorgen, eher darum, dass André sich vielleicht doch wieder absetzen könnte. Er spürte bei diesen Gedanken, dass das Vertrauen nicht vollständig da war, was ihn selbst in einer Art und Weise enttäuschte, die er selber nicht erklären konnte.
    Er schreckte kurz aus seinen Gedanken, als Andrea in sein Büro trat und ihm einen viel beschriebenen Zettel auf den Tisch legte. „Hier, die Anfrage nach eurem Toten.“, sagte sie schräg hinter ihm und Semir nahm das Blatt in die Hand. „Er war tatsächlich, nachdem er hier von der Bildfläche verschwand im Süden unterwegs. Lanzarote, Estoril, Barcelona, Mallorca…“, las Semir mehr für sich als für Andrea mit. Sie setzte sich bei ihren Mann an den Schreibtisch, und betrachtete ihn. Gestern abend schlief sie schon, als er nach Hause kam und musste heute morgen früher weg als er. Sie konnten gemeinsam noch nicht über André sprechen. „Was denkst du von André? Glaubst du ihm?“, fragte sie ihren Mann direkt und ohne Umschweife, blickte ihm dabei fest ins Gesicht. Semir lächelte wie immer, wenn er auf eine Frage nicht direkt eine Antwort wusste. „Andrea, ich weiß es nicht.“, sagte er ehrlich. „In einem Moment denke ich, da steht jemand Fremdes vor mir und im nächsten Moment ist es wieder André, dem ich vertraue.“ Andrea nickte nachdenklich, sie spürte in welchem inneren Zweikampf sich ihr Mann befand. „Du glaubst also, er verheimlicht dir etwas?“, hakte sie nach und betrachtete ihren Mann von Neuem, der erneut nachdenken musste. „Ich glaube, er hat mir einfach noch nicht alles erzählt. Was er genau auf Mallorca gemacht hat, und warum er sich nicht gemeldet hat. Und warum er jetzt plötzlich hierher kommen konnte.“ Eine Menge Fragen für Semirs Kopf, über den er sich mit der rechten Hand fuhr. Andrea bemerkte leichte Augenringe unter den Augen ihres Mannes, der nicht viel geschlafen hatte letzte Nacht. „Am meisten hat mich getroffen, als er annahm, dass wir ihn nicht vermissen würden, nach einiger Zeit… und er sich deshalb auch nicht gemeldet hatte.“, erzählte Semir leise und musste an das Übelkeitsgefühl denken, das sich in diesem Moment in seinem Magen ausgebreitet hatte. Doch die kleine Tour an die Gräber seiner ehemaligen Kollegen schien André mächtig beeindruckt zu haben. Vor allem sein eigenes Grab, was von Semir nach 14 Jahren immer noch gepflegt wurde, weil André keinerlei Verwandtschaft in Köln hatte. „Es ist schwierig. Ihr wart zwar Freunde, aber 3 Jahre zusammen Dienst ist sehr wenig im Vergleich zu 14 Jahren, in denen ihr euch nicht gesehen habt.“, meinte Andrea und streichelte ihrem Mann über den Arm. Der nickte und meinte: „Ich hoffe nur, dass er keinen Mist baut…“


    Im gleichen Moment kam Ben mit Kevin im Schlepptau ins Büro rein, ein kurzes „Guten Morgen“ wurde ausgetauscht. „Kommt ihr auch schon?“, meinte Semir vorwurfsvoll und sah demonstrativ auf die Uhr. Ben blickte kurz zu Kevin und meinte dann: „Ich hatte verschlafen.“ Sofort fing er Kevins Blick auf, der sofort merkte dass Ben wohl erst mal dicht halten würde und sogar die Schuld für die Verspätung auf seine Kappe nahm, damit es keine Nachfragen gab. Andrea aber betrachtete das Gesicht von Kevin kurz und dachte sofort daran, dass auch er sehr wenig Schlaf abbekommen hatte die letzte Nacht. Leichte Augenringe, müde wirkender Blick. Viel reden tat er sowieso nie, aber ihr kam Kevin ein wenig lethargischer vor als sonst. Sie vermied aber irgendwelche Anmerkungen und verließ nach einem Kuss auf die Wange ihres Mannes das Büro, während Kevin und Ben die Jacken auszogen. „Hier, kam eben rein. Timo hielt sich die letzten 14 Jahre in verschiedenen Städten in Spanien und Portugal auf. In Mallorca hat er dann vermutlich André kennengelernt.“, sagte Semir, während Ben das Blatt las und es dann an Kevin weitergab, der kurz anmerkte: „Also bis dahin stimmt Andrés Geschichte?“ Semir nickte: „Sieht ganz so aus. Und der Anschlag gestern abend lässt darauf hindeuten, dass Horn noch eine Rechnung mit André offen hat.“ „Wo ist André jetzt?“, fragte Ben und warf einen Blick in den Nebenraum, wo er aber nur verschiedene Kollegen, sowie Hotte und Bonrath sehen konnte. „Wieder in seinem Karateclub… dort wohnt er momentan.“, antwortete Semir und hatte eigentlich keine Lust über die weiteren Geschehnisse gestern abend zu reden, weswegen er auch nicht davon anfing. „Hast du keine Bedenken, dass er sich in die nächste Maschine setzen könnte?“, sprach Ben seine Bedenken offen aus, eine Sorge die auch Semir mit sich herum trug, seit er seinen ehemaligen Kollegen in dem Haus verschwinden sah. „Ich kann es mir nicht vorstellen.“, sagte der türkische Kommissar leise. Kevin, der am halbhohen Schrank hinter Ben stand und die Arme verschränkt hatte, nickte und sagte mit seiner leicht monotonen Stimme: „Wenn Semir ihm vertraut, können wir ihm doch auch vertrauen… oder?“ Er sah Ben an, der sich umdrehte und der verstand sofort was Kevin meinte. Er hatte Ben heute morgen auch vertraut, weil Semir Ben vertraute, obwohl Kevin Ben nicht kannte, und der wiederrum verstand. „Okay…“, sagte er nur und senkte den Blick wieder auf das Stück Papier, obwohl er alles gelesen hatte. Semir nickte Kevin dankbar zu, als Andrea erneut ins Büro kam. „Der Computer hat von euren Phantomzeichnungen zwei Übereinstimmungen gefunden. Die Damen heißen Isabelle Rother und Christina König, sind zusammen in der gleichen Adresse gemeldet, und sind bereits mehrfach wegen Drogenbesitz aufgefallen.“ Semir erhob sich direkt vom Stuhl, als er die Namen hörte. „Haben wir die Adresse?“, fragte er in Richtung seiner Frau, die ihm sofort zwei Blatt Papier vor die Nase hielt und keck lächelnd meinte: „Na, was denkst du denn von mir?“ Semir lächelte, nahm die beiden Blätter und verließ gefolgt von Ben und Kevin das Büro.

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  • Ben’s Dienstwagen – 11:15 Uhr

    Im lockeren Verkehr steuerte Ben den dunkelgrauen Mercedes über die Autobahn. Er sah ernst aus, kein lockerer Spruch, kein Lächeln auf seinem Gesicht. Sein Partner Semir, der neben ihm saß, bemerkte dies natürlich, und es fiel ihm auf, dass sein Freund auffallend oft in den Rückspiegel schaute. Kevin folgte den beiden Autobahn-Kommissaren im BMW X3, auf dem Weg zur Zeugenbefragung der beiden Frauen, die an dem Überfall auf der Autobahn auf Ben und Kevin beteiligt waren. „War’s spät gestern abend?“, fragte Semir noch mit einem leichten Lächeln und einem sarkastischen Unterton. Von Ben erntete er als Antwort nur ein Kopfschütteln. Wäre Semir selbst locker drauf gewesen hätte er Ben wohl noch weiter mit Fragen gefoppt, doch auch er hing seinen Gedanken nach, die stumm machten und ihn schweigsamer erscheinen ließen. Er dachte weiter an André, an ungeklärte Fragen, die zwischen ihnen standen. Doch er würde keine Antworten bekommen, solange er nicht mit André zusammen war, aber jetzt ging es erst einmal darum die Drahtzieher des Mordes zu finden, um eben auch André zu schützen. Ben fand die Stimme zuerst wieder: „Sag mal, wie gut kennst du Kevin eigentlich?“ Es war ein vorsichtiges Abtasten, ob Semir über die Vorgeschichte des jungen Polizisten, der hinter ihnen fuhr, überhaupt Bescheid wusste. Semir zuckte ein wenig mit den Schultern. „Naja, so gut nun nicht. Wir haben ja nicht lange zusammengearbeitet. Was willst du wissen?“ Ben wandte seine Augen nicht von der Straße. „Naja, hatte er mal was von früher erzählt?“ Ein leichtes Kopfschütteln war Semirs nonverbale Antwort. „Naja. Ich weiß, dass er mal Kontakte zum Rotlicht-Milieu hatte, aber ich denke die waren eher beruflicher Natur. Und sonst… hmm.“ Semir dachte nach. Hatte Kevin damals etwas von sich erzählt? Hatte er damals etwas erwähnt, von Freunden, Bekannten. „Naja, ich denke, Lisas Tod geht ihm immer noch nahe.“, dachte Semir laut nach. Daran hatte Ben gar nicht gedacht, dass dieser Schicksal ebenfalls noch Kevin zu schaffen macht, ihn vielleicht schon in eine Art Rückfall getrieben hatte. „Warum fragst du das?“, fragte Semir und sah Ben fragend von der Seite an, der die Augen immer noch nicht von der Straße nahm. Ben biss sich auf die Lippen. Er hatte eigentlich tatsächlich keine Geheimnisse vor Semir, aber in diesem Fall... hatte er Kevin versprochen niemandem etwas zu erzählen. Auch Semir nicht. Der Polizist mit dem Wuschelkopf war zwar überzeugt, dass sein türkischer Kollege nicht sofort zu Frau Engelhardt laufen würde, und ihr erzählen würde das Kevin ein Alkoholproblem habe, aber trotzdem brachte er die Worte nicht über die Lippen. "Ach nur so... ich will ihn selbst halt nicht fragen..."
    Semir schaute ein wenig verständnislos zu Ben. "Ihr habt euch doch gestern bestimmt unterhalten, oder?", fragte er mit leicht hochgezogenen Augenbrauen. Ben wiegte den Kopf hin und her, er spürte wie er unbewusst von Semir in die Enge getrieben wurde. "Ja klar... aber nicht über private Sachen.", wich der Polizist geschickt aus, und bog von der Autobahn ab Richtung Innenstadt. "Ich denke, dass Kevin ein guter Kerl ist, der auch stabil ist nach Lisas Tod. Der steckt das weg, das merkst du doch schon, wenn du ihn siehst.", meinte Semir und schaute offenbar nur auf die Fassade. 'Ich habe zumindest teilweise dahinter geschaut', dachte Ben bitter und wusste dass die coole Aussenhülle von Kevin eher Mittel zum Zweck war, und dass sich dahinter ein zerbrechlicher Charakter befand. Denn irgendetwas in Ben drin sagte ihm, dass der Alkohol nicht Kevins einziges Problem war.



    WG - 11:30 Uhr


    Die beiden Dienstwagen hielten auf dem Seitenstreifen vor einem hohen Reihenhaus in der Kölner Innenstadt. Kurioserweise war die Karateschule nur ein paar 100m entfernt. Im Erdgeschoss befand sich eine Apotheke, daneben der Eingang für die höheren Stockwerke. Ben und Semir schauten auf die Klingel und fanden die Namen "Rother, König, Esche" auf einer Klingel zusammengeschrieben, 1. Stock, als gerade eine ältere Frau die Haustür aufdrückte und Kevin die Tür festhielt. Mit einer Kopfbewegung bat er seine Kollegen hinein, dann konnte man verhindern, dass die Frauen erst gar nicht die Tür öffneten, wenn man sich durch die Sprechanlage bereits bekannt gab. Sie gingen durch einen renovierten Altbauflur, die Treppen nach oben. Ben fiel sofort der Unterschied zu Kevins Behausung auf, die trostlos und kühl wirkte. Hier wurde vor kurzem offenbar renoviert, es war warm und freundlich, das alte Treppengeländer frisch gestrichen, die Böden aus Holzidielen die aufbereitet wurden. Vor der Tür blieben die drei stehen, Semir klopfte. Ein kurzes Rumoren im Inneren der Wohnung, dann wurde die Tür von einer schlanken, jungen rothaarigen Frau geöffnet. "Ja, bitte?", fragte sie freundlich. "Guten Tag, Gerkhan Kripo Autobahn. Das sind meine Kollegen Peters und Jäger.", sagte Semir und zeigte seinen Dienstausweis. Auch Ben hatte seinen Ausweis bereits in der Hand, als eine blonde Frau den Kopf und halben Oberkörper aus einem Nebenzimmer streckte und die drei Polizisten ansah. Ben's Augen wurden größer, er erkannte die Frau sofort als eine derer, die beim Überfall dabei waren und die beiden Polizisten in eine Falle lockten. Auch sein Kollege der leicht versetzt hinter ihm stand, erkannte die Frau, die wiederrum die beiden Polizisten sofort wieder erkannte. Ein kurzes "Scheisse" drang aus ihrem Mund, dann verschwand sie wieder im Raum und man hörte schnelles Getrappel von Füßen, und das Geräusch eines sich öffnenden Fensters. "Die verpisst sich!", rief Kevin noch, bevor er sich erst an Ben, dann an der Rothaarigen vorbei quetschte und in die Wohnung lief. Die Müdigkeit und die Nachwirkungen des gestrigen Drogentrips waren plötzlich vergessen, er bog nach rechts ab und kam in eine Küche, in der das Fenster offenstand. Ben war sofort hinter ihm und rief "Die ist über die Feuerleiter raus."


    Mit einem Satz sprang Kevin auf das Fensterbrett, warf dabei zwei Blumentöpfe um und schwang sich auf die Feuerleiter, die links am Fenster herausführte. Mit schnellen Schritten kletterte der junge Polizist herunter, die letzten 5 Sprossen ließ er aus und sprang auf dem Asphalt. Ben folgte ihm dicht, und beide liefen durch die Gasse Richtung Hauptstraße, wo Christina König verschwunden war.
    Semir hatte sich sofort, als er sah dass die junge Frau fliehen wollte, auf dem Absatz umgedreht und war die Treppe runter gespurtet und auf die Hauptstraße gelaufen. Glücklicherweise bog Christina nach der Gasse falsch ab und lief Semir so direkt in die Arme. "Hey hey, stehen bleiben.", rief der drohend und hob beide Hände. Es widerstrebte sich ihm, auf eine unbewaffnete Frau die Waffe zu richten. Doch Christina dachte erstmal nicht daran, Semirs Anweisung Folge zu leisten, stoppte und drehte sich hastig um. Gerade wollte sie wieder loslaufen als sie direkt gegen Kevin stieß, der sie sofort festhielt. "Na, ist es dir im Morgenmantel nicht ein wenig kalt?", fragte der mit schwerem Atem und hielt Christina an beiden Armen fest. Sie trug tatsächlich nur einen Morgenmantel, und darunter noch kurze schlafshorts und ein t-shirt. "Leck mich, du Wichser.", stieß Kevin entgegen, der sie frech angrinste, einen blöden Spruch aber stecken ließ. "So, jetzt ist Schluß!", sagte Semir bestimmt, als er merkte dass schon einige Passanten auf der Straße auf das Schauspiel aufmerksam wurden. Er kam zu Kevin und Christina, und nahm sie ihm ab. "Los, nach oben!", sagte er bestimmt und drückte die Frau wieder zum Hauseingang. Ben kam neben Kevin und atmete ebenfalls schwer, Kondenswolken bildeten sich vor den Gesichtern der beiden Männer. "Mein lieber Mann. Dafür, dass du letzte Nacht eine dreiviertel Flasche Whisky vernichtet hast, bist du ganz schön fit...", sagte Ben und beugte sich ein wenig nach vorne um besser Luft zu bekommen. Kevin lächelte ihn an, ein merkwürdiges Lächeln was durch seinen schnellen schweren Atem noch skuriller wirkte. "Alles eine Frage des Trainings." Dann ging er voraus zur Tür und Ben blieb einen Moment zurück. Meinte Kevin tatsächlich sportliches Training, oder war es eine bittere Anmerkung dazu, dass er das Trinken längst gewöhnt war. Ben ließ dieser Satz erstmal nicht los...

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  • WG - 11:45 Uhr


    Die drei Polizisten kamen mit Christina im Schlepptau wieder zurück in die Wohngemeinschaft... diesmal auf normalem Wege über das Treppenhaus. Semir hielt sie sicherheitshalber weiter fest am Arm, den auf eine erneute Hinterherrennerei hatte weder er, noch seine Kollegen Ben und Kevin besonders Lust. Sophie Esche, die rothaarige Frau, die ihnen die Tür geöffnet hatte, war die dritte Mitbewohnerin in der Wohnung, und schaute reichlich verwirrt drein, als sie alle wieder in die Wohnung hinein liess. Christina meckerte immer noch, fuhr Semir wiederholt an, seine "Drecksfinger" von ihr zu lassen und wurde schließlich auf einen Stuhl beordert, der am Esstisch im Wohnbereich stand. Die WG war geräumig und neuwertig, ein idealler Platz für drei Freundinnen, die sich ein Haus nicht leisten konnten. Auch war alles aufgeräumt und sauber, nochmal kam Ben der Vergleich mit Kevins Bude in den Sinn.
    Semir setzte sich gegenüber von Christina, während Kevin und Ben in der Nähe stehen blieben. "Sie haben gestern mit ihrer Freundin eine Autopanne vorgetäuscht.", begann Semir, der sich mit den Ellbogen auf dem Tisch abstützte. Sein Gegenüber lag mehr auf dem Stuhl, als sie saß, hatte ein Bein angezogen dass sie am Tisch abstützte und sah recht gelangweilt drein. "Ich kann mich gerade nicht erinnern.", sagte sie schnippisch. Ben beugte sich von hinten ein wenig nach unten an sie ran und meinte nur kurz: "Wir aber." Die Frau schreckte kurz hoch, hatte sie Ben hinter sich überhaupt nicht wahrgenommen. "Wo waren sie gestern gegen 17 Uhr?", fragte Semir, der noch ganz ruhig wirkte, auch wenn ihn das unverschämte Benehmen der jungen Frau nervte. "Hier zu Hause, ich habe gelernt... mit meiner Mitbewohnerin.", sagte sie triumphierend grinsend. "Waren sie auch zu Hause?", fragte Ben in Richtung von Sophie Esche, die aber den Kopf schüttelte. "Welche Mitbewohnerin?", fragte Semir, obwohl er die Antwort eigentlich schon kannte, die dann auch prompt von der blonden Frau gegeben wurde. "Mit Isabelle..." "Hören sie doch auf zu lügen.", polterte Semir nun etwas lauter. "Isabelle Rother war ebenfalls auf der Autobahn dabei. Meine Kollegen haben sie eindeutig erkannt." Christina König blickte herum zu Ben, der nur noch allein hinter ihr stand. "Dann haben sich ihre Kollegen wohl geirrt.", sagte sie mit einer provozierenden Gelassenheit.


    Kevin hatte sich zu Sophie umgedreht, als Semirs Stimme laut wurde und leise nach den beiden Zimmern der Frauen gefragt. Sophie Esche schien kooperativer zu sein, konnte die beiden nicht leiden oder war von der Überraschung einfach noch überrumpelt, als sie wortlos vor ging, und Kevin ihr folgte. Er trat zuerst in das Zimmer von Christina und sah sich um. Er zog ein zwei Schubladen heraus, fühlte in losem Papier auf dem Schreibtisch und schaute sorgfältig in die Regale. Umsonst werden die beiden den Job sicherlich nicht getan haben, dachte der junge Polizist bei sich selbst. Ausserdem wäre es nicht schlecht, wenn man etwas findet, was uns helfen könnte. Gerade wollte er das erste Zimmer verlassen, als sein Blick auf das Bett der jungen Frau fiel, genauer gesagt auf den Nachttisch des Bettes. Neben der Lampe lag ein halb zusammengerolltes Stück Papier, das Kevin prüfend in die Hand nahm. Reiche Drogenabhängige benutzten 500-Euro-Scheine um sich das weiße Pulver durch die Nase zu ziehen... arme Studenten nahmen weißes Paper. Nun war sich Kevin fast sicher, dass er hier etwas finden würde, wenn er nur genügend suchen würde. Er schaute in die Nische zwischen Bett und Nachttisch, konnte aber nichts erkennen. Völlig ihn Gedanken griff der junge Polizist den Anschalter der Nachttischlampe, um in den kleinen Raum zwischen Bett und Nachttisch zu leuchten, doch das Klicken blieb wirkungslos. Ein kurzes Nachdenken folgte, dann stand er vom Bett auf und sah den Kabel nach, der in eine Steckdose führte. Strom hatte die Lampe also. Die Nachttischlampe war eine Stehlampe mit unten offener und oben geschlossener Milchglasdeko. Kevin schob eine Hand unter die Verglasung um die Birne zu ertasten, fühlte auf der Fassung allerdings keine Birne, sondern ein kleines Päkchen, das sich anfühlte wie typische 5g-Päkchen mit einem Pulver. Unvermittelt musste der Polizist ob dieses recht einfallsreichen Versteckes grinsen, nahm die Lampe und schüttelte sie so lange bis das Päkchen auf den Nachttisch fiel. "Na bitte...", meinte er für sich selbst, nahm das Päkchen und ging zurück ins Wohnzimmer, blieb im Rücken von Christina und gegenüber von Semir. Der allerdings verlor so langsam die Nerven, weil Christina nicht zugab, auf der Autobahn gewesen zu sein. Er sah Kevin an, als der sehr auffällig mit dem kleinen weißen Päkchen winkte und grinste. Semirs Gesichtsausdruck wandelte sich vom ärgerlichen ins zuversichtliche, auch er lächelte und nickte seinem jungen Kollegen zu, der dann langsam an Christina vorbei auf Semirs Tischseite wanderte. "War das die Bezahlung?", fragte er mit seiner monotonen, manchmal ebenfalls provokant gelassenen Stimmlage und sah Christina direkt an. Deren Gesichtszüge entglitten, vom arrogant überlegenen ins panisch ärgerliche. Sie sprang auf und fauchte "Wo hast du das her??" Ben stand immer noch hinter ihr, griff sie beherzt an den Schultern um sicher zu gehen, dass sie sich nicht wie eine Wildkatze auf Kevin stürzte. Kevin dagegen blieb unbeeindruckt und ließ den Blickkontakt nicht abreißen. "War es die Bezahlung?" Die blonde Frau sah den jungen Polizisten an, als würde sie ihn umbringen wollen und ließ sich mit wütendem Blick von Ben wieder auf den Stuhl zurück drücken. Semirs Stimme lag wieder im normalen Bereich, vor allem fühlte er sich jetzt überlegen. "Also, sie haben jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder wir nehmen sie jetzt mit aufs Revier, nehmen den eindeutigen Drogenfund auf und ihre Akte wird noch dicker, was dann eventuell auch nicht mehr mit einer Bewährungsstrafe ausgeht... oder sie sagen uns jetzt ganz genau, wer ihnen den Auftrag gegeben hat, die Autopanne zu simulieren und wir verlieren das Koks zufällig unter 100 anderen Päkchen in der Asservatenkammer." Kevin blickte Semir etwas überrascht an, dann auf Ben. Offenbar war der die Methoden von Semir, auch gerne mal ein wenig das Gesetz großzügiger auszulegen gewohnt. Wieder lächelte Kevin, diese Arbeitsweise gefiel ihm, während er sich bei Erwin penibel an alle Dienstvorschriften halten musste. Der wollte ihm sogar mal ein Dienstaufsichtsverfahren an den Hals hängen, als Kevin einen Zeugen nur am Kragen packte, weil der ein dunkelhäutiges Mordopfer als "Negerschwein" bezeichnet hatte.


    Im Kopf von Christina arbeitete es. Sie sah unsicher zwischen Semir und Kevin hin und her. "Ich... war vor einiger Zeit zum Auslandspraktikum im Ausland. Dort... dort habe ich einen Mann kennengelernt, in den ich... also in den ich mich verliebt habe." Sie setzte einen Unschuldsblick auf und sah wieder zu Kevin. "Ja und?", half der ihr ein wenig auf die Sprünge. "Naja, das war eine typische Urlaubsaffäre. Und jetzt vor einigen Tagen stand er bei mir vor der Tür und hat mich um diesen Gefallen gebeten. Er hatte gesagt, dass sei nur ein harmloser Scherz, sobald er hinter euch auftaucht sollten wir die Böschung runterlaufen zu einem zweiten Auto." Kevin und Ben sahen sich kurz an während Christinas Ausführungen und wollten im ersten Affekt den Kopf schütteln. "Und sie haben das für einen harmlosen Scherz gehalten?", fragte Semir, ebenfalls ein wenig ungläubig. Entweder log sie wie gedruckt und wusste, was dieser Stefan vor hatte, oder sie war einfach unglaublich naiv. "Ja... es sei eine Überraschung... oder so." Die Frau wich den Blicken aus. "Wie heisst dieser Stefan noch?", fragte Kevin nun, und erntete wieder Blicke von der blonden Frau. "Weiß ich nicht." Kevin verdrehte die Augen und ging hinter Semir von der rechten auf die linke Seite des Stuhls. "Wie sieht er aus?", fragte nun Ben, der immer noch hinter Christina stand. Die drehte sich unsicher zu ihm um, sah Ben kurz an um dann wieder, diesmal mit leicht ängstlichem Blick und leicht offenem Mund Semir und Kevin an zu sehen. "Sie... sie sagen ihm doch nicht, dass ich ihn verraten habe?" Jetzt begriffen die Polizisten, dass Christina offenbar sich gar nicht bewusst war, auf wen sie sich eingelassen hatte...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen


    <3

  • WG - 12:15 Uhr


    Für kurze Zeit herrschte Stille in der WG der drei Frauen, nachdem Christina König ihre Frage gestellt hatte. Die drei Polizisten sahen sich gegenseitig an, als könnten sie sich mit Blicken verständigen. Kevin fragte dann das, was die beiden anderen gedacht hatten: "Sie wissen offenbar nicht, mit wem sie sich da eingelassen haben, oder?" Aus der lockeren lässigen Haltung der Frau wurde langsam eine geduckte, ängstliche. "Nein...", sagte sie zögerlich und schaute wieder zu Kevin hinauf. Semir schüttelte kurz den Kopf und sagte dann bestimmt: "Natürlich sagen wir niemandem, von wem wir unsere Informationen haben. Aber sie sollten jetzt mit uns zusammenarbeiten." Die Frau nickte erneut zögerlich und sagte kleinlaut: "Er ist recht groß... hat dunkelblonde Haare, ungefähr bis über die Ohren. Bl... blaue Augen und recht sportlich." Ihre Augen wanderten immer weiter nach unten, Enttäuschung schwang in ihrer Stimme mit. "Irgendetwas auffälliges?", fragte Kevin. "Er... er hat ein Tattoo. Am linken Oberarm, einen Totenkopf mit Zylinder." Semir nickte zufrieden: "Na, das ist ja immerhin schon mal etwas." Er klappte seinen Notizzettel zusammen und stand ruckartig vom Tisch auf. Die junge Frau nickte zögerlich, ihr Widerstand war gebrochen und sie ahnte offenbar, dass die Urlaubs-Affäre offenbar nicht nur ein kleiner Drogendealer war. Bevor die Polizisten die Wohnung verließen, fragte sie kleinlaut: "Was hat er getan?" Ben sah Semir kurz an, und entschied dann selbst, die Wahrheit zu sagen: "Wir ermitteln in einem Mordfall. Mehr können wir nicht sagen." Bei dem Wort Mordfall wich Christina noch ein wenig mehr Farbe aus dem sowieso schon bleichen Gesicht.


    Die drei Kommissare stiegen die Treppenstufen herunter und heraus an die eisig kalte klare Luft. Kevin steckte das Beutelchen mit dem Koks in seine Manteltasche, wo er auch die Hände darin vergrub. "Ich fahre noch zu André. Vielleicht kennt er diesen Stefan.", meinte Semir und hielt Ben die Hand hin, um um den Schlüssel des Mercedes zu bitten. "Sollen wir nicht mitkommen?", fragte dieser wiederrum, als er nach dem Schlüssel in seiner dunkelgrünen Jacke kramte. "Nein... das mache ich lieber alleine.", meinte sein türkischer Freund mit ernster Miene und seine beiden Kollegen dachten wohl gerade das Gleiche... zwischen André und Semir schien noch nicht alles geklärt zu sein, es gab offenbar noch ernsthafte Zweifel zwischen den beiden Männern. Ben tat Semir den Gefallen gerne und fragte nicht weiter nach, händigte den Schlüssel aus und stieg zu Kevin in den BMW.



    Boxclub - 12:30 Uhr


    Der Anfahrtsweg war kurz, die Boxschule war nur wenige Minuten von der WG entfernt. Semir parkte den Mercedes an der gleichen Stelle wie gestern, als sie André quasi "überrascht" hatten. Der türkische Kommissar hatte ein mulmiges Gefühl im Bauch, als er die Straße überquerte und gegen die Scheibe der Eingangstür klopfte. War André überhaupt da? Wie wird das Gesprächsthema heute sein? Würde ein wenig mehr die alte Verbundenheit zu spüren sein, als gestern?
    Beim zweiten Klopfen gab die Tür nach, sie war diesmal überhaupt nicht abgeschlossen. Semir drückte sie auf und trat in den Eingangsbereich, als er Geräusche hörte. Ein Klatschen und Pochen kam aus den Trainingsräumen, und der Kommissar knöpfte den Halfter seiner Waffe vorsichtshalber auf, als er den Weg der Geräusche folgte. Er drückte eine Tür zu einer der Trainingshallen auf und sah im hinteren Teil André, wie er sich an einem Boxsack abreagierte... Oberkörperfrei, verschwitzt, nur mit einer roten Sporthose bekleidet. Mit blanken Fäusten schlug der ehemalige Polizist auf den wehrlosen Sandsack, ging ein Schritt zurück, vollführte eine Drehung um den Sportgerät auch noch einen Fußtritt mit zugeben. Erst als er Semir sah, brach er seine Bewegungen ab, atmete durch und kam auf ihn zu. "Hey, Semir.", begrüßte er seinen ehemaligen Partner. "Ich wollte dich nicht stören.", meinte der und lächelte. "Du störst doch nicht. Komm, wir trinken was.", meinte André, ging an Semir vorbei aus der Halle heraus in den Vorraum, wo die alte Bar noch stand. Den Kühlschrank hatte André wieder zum Leben erweckt und befüllt, er nahm für sich eine Apfelsaftschorle und für Semir eine Flasche Cola heraus. Der wiederrum setzte sich auf einen der roten Barhocker, als André ihm die offene Flasche hinstellte. "Danke." Cola und Apfelsaft... wie früher als sie Stammgäste in der Raststätte Stolpe waren, zu Mittagspausen, zu Gesprächen, sogar zu Vernehmungen. Semir bemerkte dies, und war sich nicht sicher, ob André sich daran erinnert hatte, oder ob es einfach Zufall war, dass er das gegriffen hatte. Die beiden prosteten sich zu und nahmen einen Schluck. "Es tut mir wirklich leid, was ich gestern gesagt habe.", meinte André dann unvermittelt, ohne lange überlegen zu müssen. Offenbar hatte er wegen gestern eine recht unruhige Nacht gehabt, nach Semirs eindrucksvoller Führung auf dem Kölner Friedhof. "Ich hatte die Situation von Mallorca aus völlig falsch eingeschätzt. In den ersten Jahren konnte ich mich wirklich nicht melden, aber danach hätte ich es tun sollen." Semirs Blick ging nach unten, er nickte. Es war fast ein verständnisvolles Nicken. "Aber mal im Ernst... wenn ich nach drei Jahren einmal kurz angerufen hätte und gesagt hätte: 'Semir, ich lebe und es geht mir gut, ich kann hier aber nicht weg.' Sei ehrlich, was hättest du dann getan?", fragte sein Freund dann und ließ Semir wieder aufblicken. Das war eine gute Frage, auf die der türkische Polizist auf Anhieb keine rechte Antwort fand. Aber er spürte, was André mit dieser Frage bezwecken wollte. Natürlich hätte Semir wohl keine Ruhe gelassen, bis er alles herausgefunden hätte, wo André sich aufhielt, warum er nicht von dort fort könnte. "Ich hätte dich wohl gesucht.", sagte Semir ein wenig kleinlaut. "Ja...", nickte André. "Und das wollte ich eben nicht. Du hättest dich und mich in Gefahr gebracht. Ich musste das Spiel mitspielen, auch wenn es länger gedauert hat, als gedacht." Es entstand eine Redepause zwischen den beiden, in der man nur das mechanische Summen des Kühlschrank hören konnte. Semir trank an seiner Cola, und dachte nach wie er in so einer Situation reagiert hätte. Er konnte es sich nicht vorstellen, war sich aber sicher dass sein Freund im umgekehrten Falle, wohl genauso reagiert hätte wie er. So wie früher, als sie immer füreinander da waren, und niemals der eine den anderen hängen gelassen hatte.


    André wollte die unangenehme Pause unterbrechen. "Warum bist du überhaupt hier? Habt ihr etwas rausgefunden?" Plötzlich kam Semir der eigentliche Grund des Besuches in den Sinn. Er erzählte von dem Verhör der Frau, von dem großen Unbekannten mit Namen Stefan und gab dessen Beschreibung weiter. André dachte nach und nickte. "Das müsste Stefan Kerler sein. Er ist einer von Horns Mitarbeiter. Offenbar soll er mich zurückholen." "Hmm ja... oder schlimmeres.", meinte Semir düster und schaute André ein wenig sorgenvoll an. "Hast du eine Ahnung, wo er sich aufhalten könnte?" André lächelte, es war sein typisches Lächeln wenn er eine Lösung für ein Problem gefunden hatte. "Ja, das weiß ich." sagte er, stand auf und ging in die Umkleidekabine, um sich umzuziehen.

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

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    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

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    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


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  • Rotlicht-Viertel – 13:30 Uhr


    André sagte seinem ehemaligen Partner Semir die Richtung, wohin er den Wagen in der Innenstadt lenken sollte. Sie fuhren durch das normale Viertel von der Boxschule weg hinein in ein Viertel mit schlechtem Ruf. Es war keine schillernde Rote Meile wie in St.Pauli, sondern ein Rotlicht-Viertel, wie man es aus Krimis kannte. Dreckig, abgewrackt. Selbst die strahlende Sonne konnte aus den recht unansehnlichen Clubs keine noblen Etablisements machen. Ein Club aber stach heraus aus der grauen Masse. Die Villa Maxim war äusserlich im neuesten Stand, hatte moderne Leuchtreklame und einen einladenden Eingang. „Das ist ein Laden, den Horn von Berger übernommen hatte.“, sagte André, als die beiden vor dem Eingang hielten. Auffallend war, dass im Gegensatz zu den anderen Bordellen hier vor allem schwere Audis, BMWs und Porsche geparkt waren. „Berger hatte nur 4 Bordelle in Deutschland. In Bremen, Berlin, München und hier. Wenn Stefan den Überfall verübt hat, dann hat er hier noch die Leitung.“ Er sah dabei aus dem Seitenfenster des Mercedes, Semir sass neben ihm und schaute an André vorbei zum Eingang. „Und du willst da jetzt einfach reingehen? Was ist, wenn er dich erkennt?“, fragte Semir und ihm war nicht ganz wohl bei dem Gedanken mit André in das Bordell zu gehen, im Wissen dass dieser Mann es auf ihn abgesehen hatte. „Dann sehen wir auch gleich seine Reaktion.“, gab der zur Antwort und sah Semir herausfordernd an. Der türkische Kommissar verkniff das Gesicht, wie immer wenn er Bedenken hatte, einer Sache zuzustimmen. „Sollen wir nicht lieber Ben und Kevin anrufen? Kevin kennt sich in diesem Milieu auch recht gut aus.“ „Semir, was ist los? Du bist vor 14 Jahren alleine in eine Kneipe voller Nazis marschiert.“, versuchte André an Semirs Stolz zu rütteln, was ihm auch gelang. Mit einem Ruck stieg Semir aus dem Mercedes und sein Freund folgte ihm.



    Dienststelle – gleiche Zeit


    Die beiden Kommissare Ben und Kevin saßen an Bens Schreibtisch. Genauer gesagt stand Kevin dicht hinter Ben um auf dessen Monitor zu sehen, der fast schon apathisch Bildchen für Bildchen, mit Drogen vorbestraften Personen mit Vornamen „Stefan“, durchklickte um jemanden zu finden, der auf die Beschreibung der jungen Frau passte. Doch nichts kam, niemand tauchte auf wo beide es für nötig befanden auffällige Merkmale wie ein Tattoo abzuchecken. Nach einer Stunde wandte sich Kevin hinter Ben ab und stöhnte: „Ich kann nicht mehr. Das bringt doch nix.“ Auch Ben war von dem angestrengten Gucken müde geworden, er rieb sich die Augen und lehnte sich im Stuhl zurück. „Vielleicht findet Semir was bei André raus.“
    Plötzlich kam Andrea Gerkhan, Semirs Frau ins Büro der Polizisten. Sie sah ein wenig überrascht aus, und hatte einen Zettel in der Hand. „Wart ihr heute morgen in dieser WG von Christina König und Isabelle Rother?“, fragte sie vorsichtig. „Ja, warum?“, gab Ben zur Antwort und hing an Andreas Lippen, die sich langsam und zaghaft bewegten, ihre Stimme kam nur mühsam zwischen den Lippen hervor. „Da kam gerade eine Meldung… in der Wohnung wurden gerade eben zwei Frauenleichen gefunden.“ Kevin sah zu Ben, der Andrea mit großen Augen anstarrte. „Scheiße.“, murmelte der junge Kommissar, nahm seinen Mantel vom Haken und machte sich sofort auf den Weg nach draussen. Ben folgte ihm, zum Wagen.



    Rotlicht-Viertel – 13:40 Uhr


    Semir und André betraten den Nobelschuppen von Stefan Kerler. Der Laden war fast leer, ein paar Mädels tanzten zur Probe an der Stange und ein kräftig gebauter, blonder Kerl stand hinterm Tresen und spülte Gläser. Als die beiden Männer sich an den Tresen stellten, kam er langsam zögerlich auf die beiden zu. „Wir öffnen erst um 20 Uhr, meine Herren.“, meinte er höflich aber bestimmt, doch Semir kümmerte das nicht. Er zog seinen Ausweis und meinte trocken: „So lange haben wir heute keinen Dienst. Wir wollen Herr Kerler sprechen.“ Der Typ verdrehte die Augen, und wollte gerade nach seinem Chef sehen, als der von sich aus den Raum betrat. Die allgemeine Beschreibung von Christina König passte auf den Kerl, ob er nun ein Tattoo am Oberarm hatte konnten die beiden Polizisten natürlich nicht erkennen. Andrés Gesichtsausdruck verriet aber, dass er Kerler sofort erkannte, und auch dessen süffisantes Lächeln als er den ehemaligen Polizisten sah, sprach Bände. Der Mann war im Anzug gekleidet , und trat als Geschäftsmann auf. „Was kann ich für sie tun, meine Herren?“, fragte er übertrieben höflich und trat hinter den Tresen. Bevor Semir fragen konnte, kam André ihm bereits zuvor. „Kerler… hat Ralf mittlerweile so wenig Personal, dass du die Drecksarbeit verrichten musst?“ Er sah den blonden Mann fest ins Gesicht, der sich aber noch keinerlei Blöße gab. „André bitte…“, sagte Semir leise und stieß seinem Freund gegen den Arm. Dann zeigte er seinen Ausweis vor, und sprach Kerler an: „Herr Kerler, wir haben Hinweise darauf, dass sie gestern Abend auf der Autobahn zwei Polizisten mit einer Waffe bedroht haben.“ Der Mann hinter dem Tresen beugte sich betont nach vorne, um Semirs Ausweis genau zu lesen. „Herr… Gerkhan…“, begann er hochnäsig und betont arrogant. „Ich glaube, da liegen ihnen falsche Informationen vor. Gestern Abend führte ich Geschäftsverhandlungen im Hinterzimmer dieses Clubs.“ „Das kann sicherlich jemand bezeugen?“, fragte Semir routinemäßig, obwohl er die Antwort schon ganz genau kannte. Geschäftspartner waren in diesen Kreisen nichts anderes als Alibigeber. „Natürlich. Ich kann ihnen gerne die Kontaktdaten der jeweiligen Geschäftspartner geben, wenn sie mir sagen wie sich ihr Verdacht aufbaut.“ Die beiden Kommissare blickten sich kurz an, doch Semir winkte nur ab. Er wusste, mit welchem gefährlichen Typen er es zu tun hatte, und wie gefährlich es für die Zeugin werden konnte. Kerler lächelte zufrieden. „Kennen sie Ralf Horn?“, fragte der türkische Polizist dann wieder in Richtung des blonden Mannes. Der wich aus: „Das sollten sie ihren Kollegen fragen. Der kann ihnen darüber mehr erzählen.“ „Wir fragen aber dich, Kerler!“, raunte André mit seiner rauen Stimme über den Tresen. Semir spürte, wie langsam in der Stimme seines Freundes die Aggression anstieg. Auch Kerler merkte das, und stocherte mit einer Gegenfrage weiter. „Wie kommt es, dass ein offensichtlicher Straftäter bei der Polizei ermitteln darf?“ Dabei sah Kerler genau André ins Gesicht, nicht Semir der allerdings darauf reagierte. „Was meinen sie damit?“ Ein unerklärliches Kribbeln lief Semir über den Rücken, ein ungutes Gefühl breitete sich in seinem Magen aus. André’s Gesicht schien eingefroren. „Fragen sie ihren Kollegen…“, wiederholte Kerler freundlich um dann einige Schritte zur Seite zu gehen, nun direkt gegenüber André stand und sicher nach vorne über den Tresen beugte. „Du weißt, was Ralf gegen dich in der Hand hat.“, sagte er leise, jedoch deutlich genug dass Semir es auch verstehen konnte, was in der Absicht des blonden Mannes lag. „Leg dich besser nicht mit ihm an.“ Das war mehr als eine Warnung, und in diesem Moment reagierte André und griff Kerler am Kragen. Ein Stück wurde der Mann aufs Tresen gezogen, doch er wehrte sich nicht, er lächelte André an, der die Oberlippe nach oben zog und durch die Zähne presste: „Gar nichts hat er!“ Semir legte sofort eine Hand um Andrés Handgelenk. „Hör auf! Es reicht!“ Ein kurzer Augenblick verging, und der hochgewachsene Karatekämpfer ließ Kerler los, der sich erst mal wieder die Kleider ordnete. André drehte sich vom Tresen weg und fuhr sich mit zwei Händen durch die Haare. „Herr Gerkhan, ich werde mich wohl bei ihren Vorgesetzten beschweren müssen.“ „Wir sehen uns wieder, Kerler. Das verspreche ich ihnen.“, meinte Semir kurz angebunden und folgte seinem Freund, der bereits den Weg nach draussen eingeschlagen hatte. Noch kurz vor dem Wagen griff Semir André am Arm und zwang ihn, sich zu dem Türken umzudrehen. „Ich will jetzt endlich eine Erklärung von dir!“

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    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

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  • WG – 13:45 Uhr


    Der Innenstadtverkehr war recht überschaubar, als die beiden Kommissare mit Blaulicht und Sirene zwei rote Ampeln überfuhren. Beide sprachen kein Wort, weder Ben der konzentriert am Steuer saß, noch Kevin, der aus dem Seitenfenster sah und sich in die Faust biss. Beide hatten die gleichen düsteren Gedanken, der da war, dass sie die Frauen besser hätten schützen müssen. Sie hatten ihren Gegner unterschätzt, und zwar gewaltig. André hätte die Gefahr vielleicht eher einschätzen können, doch ihn nahmen sie zum Verhör nicht mit.


    Als Ben den Wagen vor der WG auf der Straße stoppte standen bereits zwei Streifenwagen und zwei RTW vor der Wohnung herum. Ein schwarzer Mercedes-Kombi kam gerade angefahren, als sich Ben und Kevin unter der Absperrung durchbückten und in den Hauseingang liefen. Einige der Wohnparteien standen draussen auf der Straße unter Schaulustigen, und es war ein Wirrwarr aus Gerede, Funkknacken und hin und wieder eine Sirene, die ankam oder wegfuhr. Ben ging voran die Treppen nach oben in Richtung der Wohnung, in der sie vor einer Stunde erst waren. Sein Blick fiel in den Hauseingang, von wo er aus bereits einen Fuß im Wohnzimmer am Boden liegend erkennen konnte. Er schluckte kurz und ging dann langsamen Schrittes hinein, als er das ganze Ausmaß sah. „Auch du heilige Scheisse…“, murmelte er und selbst Ben blieb ein wenig ein Klos im Hals. Am Boden lag Christina König, die Kleidung mit Blut durchtränkt, sowie der Teppich und der Boden, auf dem sie lag. Das Messer, mit dem man ihr die Kehle aufgeschlitzt hatte, lag noch im Blut, das noch leuchtend rot und recht frisch sein musste. Christinas Augen starrten an die Decke, voller Schreck und Furcht aus dem Moment, als sie nach Luft rang. Ben ging um die Leiche herum, beugte sich kurz herunter um eventuell bereits Spuren feststellen zu können, doch er verzog nur das Gesicht vor Ekel und sah zu Kevin. Der junge Polizist verhielt sich merkwürdig. Ihm war die Farbe aus dem Gesicht gewichen, er stand im Türrahmen und schien sich mit einer Hand an ihm festzuklammern, während seine blauen Augen auf die Leiche gerichtet waren. „Alles okay, Kevin?“ Ben’s Stimme klang ganz weit weg. Es war nicht die Leiche an sich, oder der Grad ihrer tödlichen Verletzung der Kevin zusetzte. Im Streifendienst hatte er bei Verkehrsunfällen viel schlimmere Dinge gesehen. Aber Bilder und Geräusche tauchten in seinem Kopf auf, von seiner Schwester, die genauso elendig erstickte wie die junge Frau, die hier auf dem Teppich lag. Er nickte nur ein wenig, mit halboffenen Mund und schloß die Augen. Ihm war heiß, brennend heiß und es kam ihm vor, als wäre die Luft stickiger als noch vor zwei Stunden.
    Ben ging an ihm vorbei durch die Tür, warf nur einen kurzen Blick auf seinen Kollegen und ging an den herumlaufenden Tatort-Beamten vorbei ins Badezimmer, wo die zweite Leiche gefunden wurde. Hier ging Kevin ebenfalls mit rein, und warf einen fassungslosen Blick auf die rothaarige Leiche… es war Sophie Esche und nicht Isabelle Rother. Der Killer hatte die falsche Frau getötet, auch sie lag in einer Lache von Blut, halb in der Dusche und halb auf dem Boden. Offenbar hatte der Killer sie gerade beim Duschen erwischt, die innenliegende Wand sowie die Duschabtrennung war voll von Blutspritzern. Kevin spürte, dass ihm übel und schwindlig wurde, in seinem Kopf drehte sich alles und das Bild vermischte sich zu einer Fratze. Für einen Moment glaubte er, Janine würde vor ihm liegen, tot und missbraucht im Dreck. Ben’s dumpfklingende Stimme nahm er nicht wahr, sie vermischte sich mit Janines Schreien nach Kevin. Dass der junge Cop nichts gegessen hatte und noch einiges vom Whiskey im Magen an hatte, begünstigte seinen elenden Zustand, genauso wie manche Nebenwirkungen der kleinen Pillen. Er ging einen Schritt rückwärts, schien zu fallen und hielt sich gerade noch am Türrahmen fest. „Kevin?“ Ben sah das Unheil fast kommen, und er wollte einen Schritt auf Kevin zumachen, doch er schien seinen Kollegen mit der erhobenen Hand aufhalten zu wollen, und presste ein: „Ich muss kurz an die Luft.“, heraus. Er ries sich zusammen, versuchte halbwegs geradeaus und im schnellen Gang den Weg nach draußen anzutreten. Vorbei an einigen Kollegen, raus aus dem Haus und unter der Absperrung an den Schaulustigen vorbei, geradewegs in die kleine Gasse neben dem Haus, wo Christina König gestern noch versuchte zu fliehen. Dass Ben ihm folgte, merkte er nicht, und als er sich unbeobachtet fühlte, ließ er alles raus. Mit einer Hand gegen die Hausmauer gestützt erbrach er das bisschen, was er von gestern Abend noch im Magen hatte, den Whiskey und Gallensaft. Kevin atmete heftig, seine Augen brannten und sein Kopf schien platzen zu wollen. Vor 10 Minuten auf der Dienststelle fühlte er sich noch recht wohl, überraschend nach seinem gestrigen Absturz, doch die Bilder, die die beiden Leichen in seinen Kopf riefen überrannten den psychisch instabilen Polizisten.


    Als würden seine Beine nachgeben, drehte Kevin sich nun mit dem Rücken an die Wand und glitt an dieser langsam nach unten bis er mit angezogenen Knien am Boden saß, als Ben sich endgültig in der Gasse sehen ließ. Er sah, wie sein Kollege geradeaus auf die gegenüberliegende Wand starrte, allerdings nicht aktiv, sondern eher ins Leere. Den Mund halboffen, schwer atmend als wäre er gerade einen Marathon gelaufen.


    Ben kam näher und wusste zunächst nicht genau, wie er reagieren sollte. Er hätte Kevin keine Probleme zugetraut, wenn er Leichen sehen würde, auch wenn die beiden Frauen in der Wohnung tatsächlich nicht appetitlich aussahen… aber nein, Kevins Zusammenbruch musste andere Gründe haben. Und dann erinnerte er sich plötzlich an einen Satz von Kevin in dessen Wohnung, der ihm plötzlich im Kopf wiederhallte, als der junge Polizist mit hilfloser Stimme sagte: „Sie haben ihr einfach die Kehle durchgeschnitten.“ Jetzt war für Ben der Fall klar, und er ging neben Kevin in die Hocke und sah den, für ihn immer noch fremden und gleichzeitig so vertrauten Mann eindringlich an, der es fast nicht zu merken schien, dass Ben so dicht neben ihm war. „Du hast dich an deine Schwester erinnert?“ Es war eine Frage, die gleichzeitig eine Aussage war, sie klang nicht zaghaft, sondern bestimmt aber sehr einfühlsam, und unaufdringlich. Kevin nickte schwach, ohne den Blick von der Wand zu nehmen, ohne das Atmen zu verlangsamen.


    Ben schaute umher und dachte nach. Wenn er Kevin anbieten würde, ihn nach Hause zu fahren… nein, das wäre keine gute Idee. Entweder würde er es aus Stolz ablehnen und sofort wieder mit nach oben kommen, oder aber er nahm an, und Ben müsste ihn alleine lassen… das wollte er nicht. Stattdessen legte er dem jungen Mann eine Hand auf die Schulter, und meinte mit beruhigender Stimme: „Nimm dir die Zeit die du brauchst, okay?“ Mehr sagte er nicht, und er wusste dass Kevin ihn verstehen würde. Ben ließ ihm die Freiheit ohne Druck wieder nach oben zu kommen, wenn er sich beruhigt hatte, und er blieb noch einen Moment neben ihm um zu warten, ob Kevin vielleicht etwas von der Seele reden wollte. Doch außer ein weiteres Nicken kamen keine Worte aus dem Mund des Polizisten, der schon so vieles durchmachen musste. Nach einigen Minuten erhob Ben sich und ging langsam wieder in die WG zurück, während Kevin den Kopf gegen die Wand nach hinten legte, und die Augen schloss… und sich wünschte, wieder seine Waffe in die Hand zu nehmen…

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  • Rotlicht-Viertel - 14:00 Uhr


    Die beiden Freunde standen sich fast gegenüber, André leicht zu Semir gedreht, der in direkt Stellung zu seinem ehemaligen Partner. Er hielt den Stoff von André's Winterjacke am Ärmel in der Hand, an dem er ihn gerade festgehalten hatte, nachdem sie das Bordell verlassen hatten. Der großgewachsene Ex-Kommissar schaute Semir in die Augen, Semir tat es ihm nach seiner Frage gleich. Es war ein kurzer Schweigen, als könne André nicht glauben was Semir gerade von ihm verlangt. "Was willst du von mir hören?", fragte er gereizt. "Glaubst du dem Typen mehr als mir?" Mit einer kurzen Bewegung seines Arms schüttelte der Semirs Hand ab, der den Stoff dann auch losließ und sich mit der Zunge kurz über die Lippen fuhr. Er wollte nicht "ja" sagen, aber ein klares "Nein" ging ihm auch nicht über die Lippen. Der türkische Polizist sah verzweifelt aus, als er André ein wenig hilflos ansah. "Ich will wissen was hier vor sich geht. Was hat Horn gegen dich in der Hand?" André's Antwort kam, nach Semirs Ermessen einen Augenblick zu spät. Früher hatte er keine Sekunde gezögert Antwort zu geben, wenn er zu Unrecht beschuldigt wurde, jetzt brauchte er einen Augenblick Bedenkzeit. "Horn hat gar nichts gegen mich in der Hand. Die Typen sind hinter mir her, und Kerler will dich gegen mich aufbringen.", sagte André und bemühte sich innigst, ruhig zu bleiben.
    Der Kondensdampf stieg vor den beiden Kommissaren nach oben, wenn sie redeten, sie standen in der Nähe von Semirs Dienstwagen auf dem Parkplatz, nur unweit des Bordells weg. Dass sie durchs Fenster beobachtet wurden, bemerkten sie nicht, zu viel waren sie mit sich selbst beschäftigt.


    "Dann sag mir doch endlich was genau du dort hinten getrieben hast." bohrte Semir mit Nachdruck weiter, und zwang André erneut zu einer kurzen Denkpause, in der er auch kurz die Augen senkte. "Das habe ich dir schon gesagt.", antwortete er schmallippig und gereizt. Die beiden Männer, die sich einst blind vertrauten, trauten sich nun gegenseitig nicht über den Weg. André verheimlichte Semir etwas, da war sich der Polizist sicher. Und Semir traute André nicht, diese Fremdheit die bereits seit gestern zwischen ihnen stand wurde mit dem Satz von Kerler noch größer. Wenn André wirklich für Horn gearbeitet hatte, über mehrere Jahre, dann kann seine Weste einfach nicht sauber sein, das konnte Semir sich nicht vorstellen. "André...", begann Semir leise und eindringlich, er suchte selbst nach Worten, fühlte sich hilflos. "... wenn du mir nicht die Wahrheit sagst, kann ich dir nicht helfen." 14 Jahre lang glaubte er, André sei tot. Gestorben als Polizist, als sein Freund dem er blind vertrauen konnte. Jetzt plötzlich, unerwartet, stand André wieder vor ihm und war verändert... war nicht so wie vorher. Und Semir wusste nicht, wen er vor sich hatte, einen Mann, von dessen Leben er nur 4 Jahre genau kannte, die Jahre dazwischen er aber nicht wusste, was er getrieben hatte. André konnte die Wahrheit sagen, dass er sich im Hintergrund hielt, einige Botenfahrten machte, Geldübergaben durchführte. Er konnte aber auch lügen, dass er Körperverletzungen oder schlimmeres beging. Sein Herz wollte das nicht glauben, sein Kopf allerdings machte Semir urplötzlich klar, dass er einen fremdem Mann vor sich hatte. Ein Mann, der sich in 14 Jahren grundlegend verändern konnte. Dieses Gefühl schnürte Semir fast die Kehle zu, auch als er an den Mord von Timo Kressner dachte.
    "Und ich kann mir nicht helfen lassen, wenn du mir nicht vertraust.", gab André zur Antwort in Richtung Semir, der nun selbst ein wenig die Geduld verlor. Die Dinge, die er gerade noch dachte, fanden plötzlich den Weg an die Oberfläche. "Wie soll ich dir vertrauen? Versetz dich mal in meine Lage!", sagte er nun bestimmt lauter zu seinem Kollegen. "Du tauchst nach 14 Jahren plötzlich wieder hier auf, und erzählst mir deine Geschichte. Weißt du, was sich in 14 Jahren alles verändern kann?" Plötzlich erschrack Semir. Es waren genau die Worte, die André gestern benutzte, die ihn so sehr trafen. Dass man sich ändert, in 14 Jahren... das man "vergisst." Wieder sahen sich die beiden Männer an, beide in ihrer Unsicherheit gefangen. Warum konnten sie sich nicht unter besseren Umständen wiedersehen, unter Umständen, dass sie sich in den Arm fielen, erzählten was sie getrieben haben in der Zeit und in alten Erinnerungen schwelgen. Nein, sie standen sich gegenüber in einem Nebel von Misstrauen, in dem Semir einfach nichts von Andrés Geschichte erkennen konnte.


    Der großgewachsene André hob den Kopf und schaute auf Semir herab. Der kannte diesen Blick, wenn André die Mundwinkel ein wenig nach unten verzog, und die Augen etwas zusammenkniff. "Ich dachte du würdest mir glauben. Ich hab dir alles erzählt.", sagte er mit festem Blick. Zu gerne würde Semir ihm vertrauen, doch sein Kopf verbietete es ihm. Sein Verstand, sein kriminalistischer Sachverstand appelierte mehrmals an ihn, hier zu misstrauen, zu hinterfragen. Fast immer lag er damit richtig. Jetzt sagte er traurig: "Ich kenn dich nicht mehr, André. Du wirkst so... so fremd." Keiner wich dem Blick des anderen aus, als André auf diese harten Worte nur kurz nickte. "Dann ist es wohl besser, wenn du einfach emotionslos deinen Job machst...", sagte André mit einer Prise Arroganz, auch wenn seine wahren Gefühle durch die Worte durchschimmern, denn er war von Semirs Worten getroffen, vor allem wenn er an die zwar unangenehme, aber doch vertraute Atmosphäre in Semirs Haus gestern abend zurückdachte. Sein Freund sah ihn hilflos an, als er den Worten von André weiterlauschte. "Du hast meine Aussage warum ich am Tatort war, und den Schmauchspuren-Test. Wenn du einen Haftbefehl hast, weißt du wo du mich findest."
    Nach diesen Worten drehte sich André um, vergrub die Hände in der Winterjacke und ging mit schnellen Schritten davon. Semir stand verloren auf dem Parkplatz, senkte nun die Augen und trat von einem Fuß auf den anderen. Dieses Wechselbad der Gefühle machte ihn fertig, dieses Wechselbad zwischen alter Vertrautheit und latenter Unsicherheit und Misstrauen. Wie konnte er André nur glauben... war es möglich, dass André ihn ausnutzte? Er brauchte Ruhe, er musste mit jemandem reden darüber, am besten mit Andrea.


    Gerade wollte Semir in sein Auto steigen, als er ein knirschendes Geräusch hinter sich hörte. Doch bevor er sich umdrehte spürte er, wie eine große kräftige Gestalt ihn von hinten packte und einen stinkenden Lappen auf den Mund presste. Noch bevor Semir sich wirklich wehren konnte, wurde ihm schwindlig und schwarz vor Augen. Das Chloroform verfehlte seine Wirkung nicht, und langsam ließ die Gestalt den Polizisten zu Boden gleiten. Seine Hände fuhren in Semirs Hosentaschen und fischten sein Handy heraus. Er navigierte das Handy ins Menü der versendeteten Kurzmitteilungen und las sich einige SMS an Ben aufmerksam durch, um das Schreibmuster, sowie die Abschieds- und Begrüßungsgewohnheiten zu erfassen. Mit schnellen Fingern durchsuchte er die Kontakte nach "Ben" und verfasste eine schnell geschriebene Nachricht an den Empfänger.


    'Hey Ben. War mit André in einem Bordell des Verdächtigten Stefan, doch es kam nichts dabei raus. André verhielt sich merkwürdig und Stefan erwähnte Straftaten die André begangen hatte. Habe ihn darauf angesprochen und es kam zum Streit. André verheimlicht uns was. Bis gleich im Büro. Semir!'


    Die SMS wurde versandt und der Typ lächelte zufrieden. Dann packte er den leblosen Körper von Semir, zog ihn über den kalten Boden zu einem SUV und packte den Kommissar in den Kofferraum.

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen


    <3

  • WG – 14:10 Uhr


    Kevin brauchte ein bisschen Zeit. Er sass, kauerte schon fast am Boden, den Rücken und Kopf an die kalte Wand des Hauses gelehnt, die Arme um die Beine geschlungen, als Ben wieder zurück gegangen war. Er schien ein wenig, wie ein kleines Kind, das sich in einer Ecke verkroch, sich am Boden kauerte weil es Angst vor etwas hatte. Angst vor der großen Welt, oder einem Schatten in seinem Kinderzimmer. Ein wenig konnte der junge Polizist das Zittern seiner Hände an den eigenen Knien verspüren, die er berührte und umfasst hielt. Sein Atem hatte sich ein wenig beruhigt, aber noch immer sah er vor sich die beiden toten Frauen in ihrem Blut, sah er immer noch vor sich seine Schwester, die vergewaltigt und abgeschlachtet wurde, während er bewegungsunfähig am Boden lag… zu verletzt um ihr zu helfen, aber nicht verletzt genug um ihn Ohnmacht zu fallen oder zu sterben. Wollten die Kerle sich an Kevin rächen, so hatten sie den Punkt der Messerstiche excellent gewählt…
    Langsam richtete Kevin seinen zitternden Körper wieder auf. Er spürte kalten Schweiß auf der Stirn, als er sich mit der Hand an der Mauer nach oben tastete und wieder auf den Füßen stand. Ein wenig musste er sich anlehnen, griff in seine Manteltasche um ein Kaugummi herauszuholen, um den ekligen Geschmack des Erbrochenen aus dem Mund zu bekommen, als seine Finger gegen die kleine 5g-Tüte in seiner Manteltasche stießen. Langsam beförderte er das Beutelchen mit dem weißen Teufelszeug ans Tageslicht, und seine Hände begannen erneut zu zittern…


    Ben war währenddessen wieder nach oben gegangen. Er war betroffen von Kevins Zustand, dem der Tod seiner Schwester offenbar mehr Probleme machte, als er selbst wohl jemals zugeben würde. Ben hatte selbst zwei Freundinnen durch Mord verloren, doch konnte er seine Trauer vor allem in der Musik verarbeiten. Ausserdem hatte er immer Semir zum Reden, Kevin dagegen schien überhaupt niemanden gehabt zu haben, oder jetzt zu haben. Er spürte, dass das Gespräch mit in Kevins Wohnung eine Erleichterung für Kevin war, dass es ihm gut tat sich mal etwas von der Seele zu reden… auch wenn Ben nach wie vor den Glauben hatte, dass Kevin ihm etwas verschwieg. Ein klein wenig Misstrauen blieb bei Ben, er kannte Kevin ja erst wenige Tage.
    Ein Vibrieren in Bens Hosentasche und ein kleiner Signalton kündigten eine SMS an. Während er die Treppenstufen nach oben stieg, wischte er sein Handy aus der Jeans und las die SMS von Semir. „Na super…“, sagte er zu sich selbst. Semir hatte sich mit André gestritten und war der Meinung, dass dieser etwas verheimliche. Offenbar war da doch mehr als nur der gezwungene Wechsel zur anderen Seite. Ben nahm Rücksicht auf Semir, für den dieses Wiedersehen eine psychische Ausnahmesituation war… doch ganz überzeugt war der Autobahnpolizist von Anfang an nicht von Andrés Geschichte. Er behielt es für sich weil er vor Semir nicht eifersüchtig wirken wollte, aber er würde Semir seine Bedenken heute Nachmittag auf dem Revier deutlich machen. Ben kehrte zurück in die Wohnung, und sprach mit dem Chef der Tatort-Beamten, der die Leichen untersuchte. „Das könnte die Tatwaffe sein.“, sagte der weißhaarige Mann, der schon viele Leichen gesehen hatte in seinem langen Dienstleben, und hielt ein blutverschmiertes Messer in einer Plastiktüte nach oben. „Es fehlt aus dem Messerblock… eventuell war der Mord gar nicht auf diese Weise geplant.“ Ben nahm die Tüte in die Hand und meinte dann: „Also ein Profi war das nicht… der würde doch keine solche Sauerei hinterlassen.“ Er ließ seine Augen nochmal über den Raum wandern.
    An der Eingangstür blieben seine Augen haften. „Da bist du ja wieder… alles okay?“, fragte er seinen Kollegen Kevin, der wieder an der Tür erschien und bemüht war, ruhig zu lächeln. Seinen Zustand konnte er aber nicht verbergen. Unter seinen Haaren hatte sich ein Schweißfilm auf der Stirn gebildet, er war blass und seine Augen leicht glasig. Ben sah ihn nun doch besorgter an als er wollte, doch Kevin schien äusserlich plötzlich ruhiger zu sein und ging durch den Raum. „Das Fenster war verschlossen?“, fragte er dann interessiert. „Als wir kamen war es das.“, antwortete ihm der weißhaarige Beamte und nickte. „Dann hat der Täter die Tür als Fluchtweg benutzt.“, meinte Ben und sah zu Kevin. „Dann muss ihn doch jemand gesehen haben.“ Sein Kollege zuckte nur mit den Schultern, und erschien ein wenig abwesend.


    Ben erhob sich wieder und ging zu einem der uniformierten Beamten. „Wer hat die Leiche eigentlich gefunden?“, fragte er ihn, und der Mann mittleren Alters zeigte auf einen weiteren Mann, der ihm Flur stand und eine Zigarette rauchte. Er trug einen Blaumann, Wollmütze und kariertes Hemd. „Der Hausmeister. Bemerkte, dass hier eine Tür offen stand.“, sagte der Beamte kurz und knapp. Ben dankte und ging zu dem Hausmeister, der offenbar wenig beeindruckt war, was sich in der Wohnung zu getragen hatte. „Ben Jäger, Kripo Autobahn. Sie haben die Frauen gefunden?“ Der Mann nickte: „Richtig. Bin den Flur entlang und mir ist aufgefallen, dass die Tür halb offen stand. War mir bei den Mädels nie aufgefallen, und ich wollte nach dem Rechten sehen.“ „Haben sie jemanden bemerkt, das Haus verlassen?“, fragte Ben interessiert. Wenn der Hausmeister die Frauen gefunden hatte musste die Tat gerade passiert sein, denn so lange waren die Polizisten ja noch nicht weg. Doch der Hausmeister schüttelte zu Bens Enttäuschung den Kopf. „Nein… ich kam von oben unterm Dach. Als ich die Frau gefunden habe, habe ich sofort die Polizei gerufen.“ Bens Augen senkten sich wieder zu Boden und er seufzte leicht. Das waren wenig Anhaltspunkte, auch wenn er im Inneren sicher war, dass dieser Doppelmord etwas mit dem Überfall auf ihn und Kevin zu tun hatte.
    Kevin kam aus der Wohnung heraus und hielt einen Ordner in der Hand. „Schau mal, Ben. Der Ordner lag offen in einem der Zimmer. Diese Seite war aufgeschlagen.“ Er hielt Ben den Ordner hin, der einen Ausdruck der Sparkasse Köln über einen abgeschlossenen Bausparvertrag. „Ja und?“, fragte er dann ein wenig verständnislos in Kevins Richtung. Was sollte das mit dem Mord zu tun haben, vor allem weil der Vertrag auf Isabelle Rother lief, und ihr laut Aufdruck auch der Ordner gehörte. „Wenn sie hier Unterlagen rausgenommen hat, kann es doch sein dass sie einen Banktermin hat. Isabelle Rother ist in Gefahr, da der Killer sie hier nicht angetroffen hat.“, half Kevin ihm ein wenig auf die Sprünge und war über Ben’s etwas fassungslosen Ausdruck im Gesicht überrascht, während der ihm in die Augen sah. Den Polizist mit dem Wuschelkopf kam ein ungeheuerlicher Gedanke, während er nickte und fast abwesend meinte: „Wir sollten hinfahren.“


    Als die beiden Polizisten die Treppenstufen runtergingen war Ben’s Kopf voll Gedanken. Eben saß Kevin noch wie ein Häufchen Elend in der Straßengasse, und nun schien sein Zusammenbruch ganz weit weg. Sollte ihn die Arbeit wirklich so sehr ablenken? Oder hatte Kevin selbst nachgeholfen, sich abzulenken? Als der ihm den Ordner von Isabelle Rother gezeigt hatte, wurde Bens Erinnerung geweckt, als Semir ihm mal Kevins Lebensgeschichte erzählte, dass er in seiner Jugend in Kontakt mit Drogen gekommen war. Und dass der junge Polizist das 5g-Päkchen Koks in seinen Mantel gesteckt hatte, als er es im Zimmer von Christina König gefunden hatte. Sollte er etwa tatsächlich rückfällig sein, und das Koks genommen haben, während er in der Gasse saß? Sollte das stimmen musste Ben etwas tun… mit Semir reden, mit der Chefin darüber reden. Ein Polizist im Einsatz, der ein nicht minderschweres Alkoholproblem ausserhalb des Dienstes hatte war schon ein Geheimnis, was Ben schwer fiel für sich zu behalten. Doch sollte Kevin drogenabhängig sein, so könne er das nicht unter den Tisch fallen lassen.
    Als die beiden Polizisten ins Auto gestiegen waren drehte Ben sich zu Kevin herüber und legte einen Arm über das Lenkrad. „Kevin…“, begann er vorsichtig und sah den jungen Polizisten an, der aus der Frontscheibe sah. „Hast du mir in deiner Wohnung wirklich alles erzählt?“

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen


    <3

  • Ben's Dienstwagen - 14:45 Uhr


    Kevin sah nach der Frage von Ben wie gebannt durch die Frontscheibe des Wagens. Es vergingen einige Augenblicke bis er schließlich antwortete. "Was meinst du?" Er sagte es, ohne Ben wirklich anzusehen, dem zunehmend mulmig um die Magengegend wurde. "Die Art und Weise, wie du dein Problem manchmal vergisst.", sprach er ein wenig in verschlüsselter Sprache. Der Polizist wollte Kevin nicht einfach vor die Füße werfen, dass er ihn verdächtige, das beschlagnahmte Koks genommen zu haben, als er eben draussen war. Jetzt drehte Kevin sich zu Ben und sah ihn aus seinen blauen Augen an. Ben hatte das Gefühl, die Augen waren härter und kälter als sie noch heute morgen waren als Kevin recht verzweifelt, und recht zurückgezogen mit ihm sprach. Seine Augen hatten sich ein wenig zu Schlitzen verengt, Ben wiederrum hielt dem Blick stand und wartete auf eine Antwort. "Ich weiß nicht was du meinst.", blockte Kevin mit einer perfekt gespielten inneren Sicherheit ab. In seinem Innersten allerdings brodelte es, es lief ihm kalt und heiß den Rücken hinunter. Sollte Ben in seiner Wohnung doch mehr bemerkt haben, als er zugab. Sollte er einen Verdacht haben? Doch warum äusserte er ihn jetzt erst? Kevin blickte nach dem Satz wieder geradeaus und auch Ben wandte sich von Kevin ab. Der Polizist mit dem Wuschelkopf biss sich auf die Lippen und drehte den Zündschlüssel um. Der Wagen startete brummend, doch Ben kam noch nicht zum Fahren ohne erneut Fragen an Kevin zu richten. "Du bist eben so gefasst wieder nach oben gekommen..." Eigentlich war es keine Frage, sondern eine Aussage, die eine Antwort von Kevin erforderte. "Ich hab nur einen Moment Luft gebraucht.", gab Kevin schmallippig zur Antwort und sah Ben erneut nicht an. "War es wegen den Frauen? Weil es so war wie bei deiner Schwester?" Kevin biss krampfhaft die Lippen aufeinander. Was wusste Ben schon, dass er sich jetzt zum Psychologen berufen fühlte? Kevin empfand die Fragen so, als würde ihn jemand in die Enge treiben, wie ein wildes Tier das dann aggressiv reagierte. In diesem Moment sah er nicht Bens Hilfeangebot. "Hör mal zu...", sagte Kevin plötzlich mit ungewohnter Schärfe in der Stimme und nun sahen sich die beiden Männer wieder an. "Nur weil ich dir heute morgen etwas von mir erzählt habe, heißt das nicht dass du mein Psychologe und ich dein Patient bin, kapiert? Wenn ich dir etwas erzählen will, werde ich das schon von mir aus tun. Und jetzt fahr!" Als Kevins halb zischende, halb polternde Stimme verklungen war erfüllte kurzes Schweigen den Fahrzeugfond. Ben sah Kevin ein wenig fassungslos an, konnte er seinen emotionalen Ausbruch nicht ganz verstehen. Er tat Kevin aber erstmal den Gefallen und fuhr nun in den fließenden Verkehr ohne noch etwas zu sagen, während sein Nebenmann den Kopf an die Kopfstütze legte und aus der Seitenscheibe sah.


    Der Verkehr rollte nur langsa, zur betreffenden Bank brauchten die beiden Beamten sicherlich eine halbe Stunde. Eine Zeitspanne, die unglaublich lange wirkte, wenn man sich anschwieg und nur seinen Gedanken nachhing. Ben krampfte seine Hände um das Lenkrad, als wolle er es zerdrücken. Es setzte sich wie ein Puzzle vor seinen Augen zusammen, was er heute über Kevin erfahren hatte. Er wusste nicht mehr das die Dusche lief... war der Blackout etwa nur von Alkohol? Warum lag seine Waffe in der Dusche. Und warum war er von einem auf den anderen Moment wieder so gefangen nach dem Zusammenbruch in der WG... war er etwa so ein guter Schauspieler? Mit einem kurzen Seitenblick musterte er den jungen Polizisten, der weiter stumm aus dem Seitenfenster sah. Ben schnürte es fast die Kehle zu, so sehr brannte ihm eine Frage auf der Zunge. Er konnte nicht anders, und ließ sie einfach raus, nach draussen an seinen Kollegen. "Hast du das Koks auf der Dienststelle schon abgegeben?", fragte er beiläufig denn interessiert. Kevin bewegte den Kopf nicht, doch die Objekte auf die er sich draussen konzentrierte waren auf einmal nicht mehr wichtig. Ohne Schärfe in der Stimme sagte er zu Ben: "Du warst doch die ganze Zeit bei mir." Auch eine Art und Weise "Nein" zu sagen. Ben schluckte und nahm die Augen nicht vom Straßenverkehr weg. "Das heisst, du hast es noch?", versicherte er sich. Er konnte den Verdacht einfach nicht so aussprechen. "Ja klar hab ich es noch.", sagte Kevin ruhig und spürte schon worauf Ben hinauswollte. Unbewusst fuhr Kevins Hand in seine Manteltasche und er rieb sich die Zähne aufeinander. Ben beobachtete mit kurzen Seitenblicken Kevins Reaktion und blieb erneut still. Sein Atem ging schneller genauso wie sein Herzschlag. War Kevin etwa ein ausgezeichneter Lügner?


    Als sie auf deim Parkpkatz der Bank schlussendlich anhielten, ließ Ben endgültig die Katze aus dem Sack. "Zeig es mir.", sagte er bestimmt und mit Nachdruck. Kevins Kopf drehte sich wie in Zeitlupe zu Ben und ein kalter Blick traf den Kommissar. Ein Blick, der plötzlich voll Distanz und Misstrauen gefüllt war, der sich tief in Ben hineinbohrte der ein wenig hilflos wirkte nach seiner Forderung. Kevin öffnete den Gurthalter und ließ die Tür aufschnappen, während sein Kollege sich wieder zu ihm gedreht hatte und bewegungslos wartete. Einen Fuß ließ der junge Kommissar nach draussen gleiten, der zweite folgte sogleich und Kevin stand an der frischen Luft und sah über den Parkplatz. "Kevin?" Ben verdächtigte ihn wirklich das Koks genommen zu haben. Er traute Kevin zu, Drogen zu nehmen und der war nun gewarnt... und musste gut aufpassen. Im Inneren war er aber froh, dass er vorhin seinem inneren Schweinehund widerstanden hatte. Er beugte sich wieder hinunter zu Ben in den Wagen, griff in seine Manteltasche und warf Ben das kleine weiße Beutelchen auf den Schoß. Dann knallte er die Tür des Wagens zu und atmete hörbar aus, bevor er sich zum Eingang der Bank bewegte.
    Ben sah im Auto ein wenig fassungslos und bewegungslos auf das kleine Päkchen mit dem weißen Pulver, das ordentlich verschloßen war, und garantiert noch nicht geöffnet war. Auch er atmete hörbar aus und fuhr sich durch die langen Haare. "Scheisse...", murmelte er und sah Kevin durch die Frontscheibe hinterher. Er hatte ihn zu unrecht verdächtigt und sein Kollege war über das Misstrauen nun wohl verständlich verstimmt. "So eine Scheisse..", fluchte Ben nun hörbar lauter, steckte das Päkchen ins Handschuhfach und stieg ebenfalls aus dem Auto aus.

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


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  • Keller - 15:30 Uhr


    Schwärze, nichts als Schwärze umgab Semirs Ohnmacht, hervorgerufen durch das Chloroform auf dem schmutzigen Lappen, der ihm ein Kerl ins Gesicht gedrückt hatte. Er konnte sich noch an den Streit mit André erinnern, dass der weggegangen war. Ab da war ein schwarzes Loch für den türkischen Kommissar. Es war, als würde er im Halbschlaf vor sich hindösen, als er plötzlich und unerwartet aus der Ohnmacht gerissen wurde, in Form einer kalten Dusche mit Wasser, das ihm einer der Kerle ins Gesicht schüttete. Panisch riss Semir die Augen auf, doch er sah nur verschwommene Gesichter. Den Mund riss er auf, um Luft zu schnappen weil sein Körper auf das Wasser nicht vorbereitet war und dementsprechend ein wenig vom Wasser eingeatmet hatte. Er hustete, würgte ein wenig Wasser hervor und wollte sich nach vorne beugen als er bemerkte, dass er auf dem Stuhl auf dem er saß, fixiert war. Hände waren an die Rückenlehne gefesselt, die Fußgelenke jeweils an ein Stuhlbein gekettet. Der Holzstuhl, auf dem er sass knarzte bedrohlich als Semir an den Fesseln zerrte, die sich tief in seine Haut schnitten. Nur nach und nach konnte er ein Gesicht erkennen, das vor ihm stand. Ein bulliger Typ, ein typisches Gangster-Gesicht das der Polizist in seiner Zeit als Kommissar schon so oft gesehen hatte. Schlägernase, vernarbte Wangen, breit und kräftig. Er stellte gerade den Eimer auf den Boden und grinste feist. Semir erkundete mit den Augen die Umgebung, doch ausser vier kahlen Stahlbetonwänden, einer Birne als Lichtquelle und einem vergitterten Fenster war nichts zu sehen. "Stefan, er ist wach.", rief der feiste Kerl durch eine offene Tür und Semir wurde sofort alles klar. Kerler musste den Streit beobachtet haben, und schlug zum passenden Zeitpunkt zu. Verdammt, hätte er doch nur Ben mitgenommen, bevor sie in das Bordell gegangen sind. Dann wäre das nicht passiert, dachte Semir missmutig und sah, wie Stefan in den Kellerraum kam. "Ah, so sieht man sich wieder.", begann der freundlich und lächelte Semir an, der seinerseits eher weniger Grund zum Lächeln hatte. Seine Handgelenke schmerzten und von der kurzen Ohnmacht war ihm ein wenig übel. "Schön, dass wir sie überreden konnten, uns ein wenig Gesellschaft zu leisten." "Kerler, was wollen sie von mir?", fragte Semir, nachdem sich seine Gedanken soweit geordnet hatten, dass er klar denken konnte. Kerler ging ein wenig um ihn herum. "Was denken sie denn, Herr Kommissar?", fragte er geheimnisvoll, obwohl für Semir der Fall klar auf der Hand lag. "Vergessen sie es.", sagte der sofort obwohl er wusste, dass er unrecht hatte. "André wird sich niemals von ihnen erpressen lassen." Tief im Innersten wusste Semir allerdings, dass André sofort springen würde, wenn Kerler ihn anrief und sagte, dass man Semir in ihrer Gewalt hätte... das heißt, vor 14 Jahren wäre er sich sicher gewesen, dass es so war. Heute allerdings... plötzlich kamen Semir Zweifel. Würde er?
    Kerler begann zu lachen und ging herüber zu seinem feisten Kumpanen, der grinste. "André? Sag mal...", meinte Kerler und stieß seinen Kumpel in die Seite. "Willst du den Bullen gegen André eintauschen?" Semir schaute zwischen den beiden Männern verwirrt hin und her. Was hatte das zu bedeuten? "Käme mir nie in den Sinn.", meinte der Boxer-Typ mit dunkler Stimme. "Da sehen sie es, Herr Kommissar.", meinte Kerler wieder katzenfreundlich und Semir hatte von diesem Spielchen schnell die Schnauze voll. Zusätzlich breitete sich ein extrem ungutes Gefühl in seinem Magen aus, das sich langsam zu einem Brechreiz entwickelte, je länger er darüber nachdachte. Kerler kam wieder auf ihn zu und beugte sich mit dem Gesicht zu Semir: "Nein nein, Herr Kommissar. Sie sind genau der Richtige..." Der Blick des Polizisten folgte dem seines Gegenübers und die Verwirrtheit wurde größer in Semirs Augen. "Was zum Teufel wollen sie von mir?" Kerler stellte sich nun hinter Semir, dem dieses Spiel wahrlich unangenehm war, denn er war allen heimtükischen Attacken des Mannes quasi hilflos ausgeliefert. "Denken sie mal nach: Was ist denn vor ungefähr 14 Jahren passiert?", begann Kerler ein Frage-Antwort-Spielchen mit Semir zu spielen, dessen Gedanken rasten. Es hatte also doch etwas mit dem Einsatz auf Mallorca zu tun, also auch mit André. Aber trotzdem wusste Semir keine eindeutige Antwort auf Kerlers Frage, der deswegen präziser wurde. "Etwas, was meinem Chef überhaupt nicht gefallen hat." Semirs Augen huschten flink über den kalten Estrich, auf dem seine Füße standen, als suche er die Antwort auf dem schmutzigen Boden. Sein Mund stand leicht offen, und ein leichter Schweißfilm hatte sich auf seiner hohen Stirn gebildet. Meinte er mit "Chef" etwa Ralf Horn? Dem konnte man doch nichts nachweisen... der wurde überhaupt nicht belangt. Welche Rechnung könnte der... Moment.


    Ein kurzer Gedanke überfiel Semir, aber das konnte nicht sein. Warum hätte der Kerl sich dann so lange Zeit gelassen? Kerler verfestigte Semirs wässrige Gedankengänge als seine Lippen einen Namen formten. "Carlos Berger." Das durfte einfach nicht wahr sein. Das KONNTE nicht wahr sein. Semirs Augen weiteten sich panisch und Kerler grinste, als die Melodie eines Klingeltons erklang. Der Mann hinter Semir wischte sein Handy aus der Jeans und verließ den Raum, den der Boxer-Typ wieder verschloß und Semir zurückließ. "Ja, was gibts?", fragte Kerler den Mann am anderen Ende der Leitung. "Stefan! Ich bin jetzt gerade zur Sparkasse gefahren, wo diese Isabelle ihr Konto hat. Leider waren die Bullen schneller als ich und sind schon da.", hörte er die ruhige und gelassene Stimme von Peter Becker am Telefon. "Was soll ich tun?", fragte er dann noch hinterher, während er in seinem Auto saß, auf dem Parkplatz der Sparkasse stand und so optimalen Blick auf den Geldscheinautomat hatte, an dem Isabelle stand und nun mit den beiden Polizisten sprach. "Gar nichts. Das ist jetzt nicht mehr so wichtig. Wir haben den Bullen, den wir gesucht hatten.", sagte Kerler ruhig, und nickte für sich leicht. "Okay. Dann komme...", begann Peter und verstummte. In der Bank hatte sich in diesem Moment Kevin umgedreht und sah aus der großen Glasfront der Sparkasse, ohne Peter direkt anzusehen. "Das gibts doch nicht...", murmelte der völlig perplex durch das Handy in Stefans Ohrmuschel. "Peter... was ist?", fragte der nach und legte die Stirn in Falten. Was hatte sein Freund denn jetzt wieder gesehen. "Sag mal, haben wir im Zimmer des Bullen noch ein Plätzchen frei für einen Kollegen?", fragte der Beobachter mit einem breiten Grinsen und Stefan lachte kurz auf. "Wenn du mir nen guten Grund nennst können wir da bestimmt was machen.", sagte er und ging im hell erleuchteten Keller neben dem von Semir auf und ab. "Ich muss das aber mit Ralf abklären.", setzte er noch hinzu, doch das genügte Peter erstmal der ebenfalls mit guter Laune nickte. "Alles klar. Ich komme dann erstmal zurück.", sagte der junge Mann, der gerade Anfang 30 war, legte auf und startete den Motor seines Wagens.
    Auch Stefan Kerler legte auf und wandte sich zu seinem bulligen Freund. "Vielleicht bringt uns Peter noch einen Besucher mit...", verkündete er verheißungsvoll.

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    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

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    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


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  • Sparkasse – Gleiche Zeit


    Ben ging seinem vorauseilenden Kollegen hinterher in das Gebäude der Sparkasse Köln. Sie hofften, ihre Vermutung dass sich Isabelle dort aufhielt würde sich bewahrheiten, ansonsten müssten die beiden Polizisten die junge Frau schnellstens zur Fahndung ausschreiben. Kevin blieb in der Eingangshalle stehen und sah sich um, Ben gesellte sich neben ihm, leicht rot im Gesicht aufgrund seines falschen Verdachtes gegen Kevin. Er hatte das Kokain nicht genommen, wie er vermutet hatte, scheinbar war er einfach nur ein guter Schauspieler, der die psychischen Probleme einfach weggedrängt hatte, die ihn in der WG vorher zusammenbrechen ließen. Der Polizist mit dem Wuschelkopf wollte gerade ansetzen etwas zu sagen, als Isabelle Rother aus einer der Türen zu den Büros herauskam und zielstrebig einen Bankautomaten ansteuerte. Sofort setzte Kevin sich, nachdem er die Frau kurz auf dem Foto gegen geprüft hatte, in Bewegung. Ben presste die Lippen zusammen und folgte ihm. „Frau Rother?“, fragte Kevin zunächst vorsichtig, obwohl er sich fast sicher war, dass es sich um die gesuchte Isabelle Rother handeln musste. Sie drehte sich auch sofort um und bestätigte die Frage mit einer kurzen Gegenfrage: „Ja?“ „Peters, Kripo, Mordkommission.“, stellte sich Kevin kurz vor und zeigte, wie Ben seinen Dienstausweis. „Jäger, Autobahnpolizei.“ Isabelle schaute sich kurz unsicher um und erkannte dann die beiden Polizisten, denen sie gestern noch mit Kerler zusammen eine Falle gestellt hat. „Ähm…“, begann sie zu stottern. „Bleiben sie ganz ruhig, wir wollen sie nicht verhaften.“, würgte Ben den kurz überlegten Fluchtversuch sofort ab und hob beschwichtigend die Hand. „Aber wir müssen sie mitnehmen. Ihre Mitbewohnerinnen sind eben ermordet worden, und wir haben den Verdacht, dass sie ebenfalls stark gefährdet sind.“ Mit einem Schlag wich Isabelle Rother jegliche Lebensfarbe aus dem Gesicht. Ihre EC-Karte, die sie gerade noch in der Hand hielt, fiel zu Boden und verwirrt, geschockt blickte sie von einem Gesicht ins andere. Ben machte keine Umschweife, kein feinfühliges Rantasten. „Aber… was… wieso…“, begann Isabelle zu stottern und ihr Körper begann unkontrolliert zu zittern. „Bitte, kommen sie mit uns auf die Wache. Wir müssen sie unter Personenschutz stellen.“, sagte Ben ruhig, während Kevin nur zufällig einen Blick aus der Glasfront hinter sich auf den Parkplatz warf.
    Isabelle leistete keine Widerworte, zu groß war der Schock, zu groß diese Überraschung… und zu groß die Angst vor den Männern, die ihren Freundinnen das angetan hatten. Die junge Frau verließ mit Kevin und Ben das Bankgebäude und stieg mit ihnen zusammen in den Dienstwagen. Ben hatte gerade die hintere Tür zugemacht, als er Kevin nochmal ansah, bevor der auf der Beifahrerseite einsteigen konnte. „Kevin, es tut mir leid dass ich dich verdächtigt habe.“ Jetzt war es raus, Ben hatte Kevin zugetraut, Drogen genommen zu haben. So groß die Veränderung und so eindrücklich, Ben’s Erlebnis in Kevins Wohnung. Der junge Polizist, dessen abstehenden Haare sich ein wenig im kalten Wind bewegten, sah ihn ohne Ausdruck an. „Ist schon okay.“, sagte er und stieg in den Wagen ein. Sein Kollege spürte, dass ihm eine Tür zugeschlagen wurde, eine Tür die er heute morgen erst feinfühlig geöffnet hatte um hinter Kevins Mauern zu schauen. Er presste die Lippen aufeinander und senkte den Blick reignierend, als er in ebenfalls in den Wagen einstieg.



    Dienststelle – 16:30 Uhr


    Auf dem Weg zur Dienststelle hatte Isabelle Rother in Kurzversion erfahren, dass vermutlich die Leute hinter ihr her waren, für die sie den kleinen Ablenkungsjob auf der Autobahn gespielt hatte. Die junge Frau konnte es nicht glauben, hatte Christina doch gesagt, dass sie Stefan sehr gut kenne und man ihm vertrauen kann. Jetzt war sie tot und Isabelle hockte auf der Rückbank, die Beine an den Leib gezogen und das Gesicht tränenverschmiert. Sie tat Kevin leid, der ruhig und recht einfühlsam mit ihr sprach. Irgendwann verstummte sie aber, und nur ein leises Schluchzen war vom Rücksitz auszuhören. Der junge Polizist schätze sie, wie ihre Freundin Christina als recht naiv ein, ein Mädchen das vor allem durch ihre Schönheit bei Männern punkten konnte, vom harten Leben aber nicht viel Ahnung hatte. Beide waren sie einander auf den Leim gegangen und hatten den falschen Menschen vertraut, während die dritte Frau in der WG offenbar nur durch einen dummen Zufall mit hineingezogen wurde.
    Auf der Dienststelle brachten sie die Frau in ihr Büro. Als sie an Andrea vorbeitrotteten sah Ben sich überrascht um. „Ist Semir nicht da?“, fragte er die Sekräterin der Dienststelle überrascht. Die wiederrum schaute Ben ebenso überrascht an und meinte: „Nein… ich dachte er wäre mit euch unterwegs.“ Ben schaute verständnislos und zückte sein Handy um nochmals Semirs SMS zu lesen. Sie war vor über 2 Stunden und implizierte, dass Semir zur Dienststelle zurückkehren würde. Während Kevin mit behutsamer Stimme nochmal das Protokoll von Isabelle aufnahm ging Ben nach draussen, dabei Semirs Nummer wählend. Es klingelte mehrmals, niemand hob ab. Ben sah misstrauisch auf das Display, wartete einige Minuten und versuchte es erneut… wieder nahm niemand ab. Semir war normalerweise mit seinem Handy verwachst und ließ es äusserst selten irgendwo liegen. „Hmm, vielleicht hat er es im Auto vergessen.“, sprach sich Ben selbst eine Begründung zu. Kurz verharrte er nochmal draußen, sein Gedanke war nicht zufriedenstellend… doch er schüttelte entschlossen den Kopf und ging wieder in die Dienststelle hinein. Semir ist ein erwachsener Mann, um den man sich keine Sorgen machen musste, wenn er mal zwei Stunden zu spät war. Er ging zu Kevin ins Büro, der sich von Isabelle gerade das Protokoll unterschreiben ließ. Sie sah immer noch verstört aus, verängstigt. Ben ließ sich auf seinen Platz fallen, und es war komisch gegenüber Kevin, und nicht Semir sitzen zu sehen, der jetzt zum Telefon griff. Er informierte zwei Beamten zum Personenschutz und orderte noch eine Seelsorgerin an, die sich ein wenig um Isabelle kümmern sollte.


    Einige Zeit später klingelte bei Ben das Telefon. Er hatte sich gerade in einigen Gedanken verloren und schreckte fast ein wenig hoch. „Ja?“, meldete er sich und vernahm die Stimme seiner Chefin. „Jäger, würden sie mit Herr Peters mal bitte in mein Büro kommen?“, fragte sie höflich und doch mit einer Tonlage, die keinerlei Widerworte duldete. „Sind schon unterwegs.“, gab Ben zur Antwort und lag im Aufstehen den Hörer auf den Apparat. „Wir sollen mal zur Chefin.“, gab er an Kevin weiter, der von seinem Stuhl aufblickte und sich, in etwas gemächlicheren Tempo, Ben anschloß.
    Anna Engelhardt sass hinter ihrem Schreibtisch und hatte die Arme vor der Brust überkreuzt, als ihr Mitarbeiter, und ihr Teilzeitmitarbeiter ins Büro trat. Sie sah beide erwartungsvoll an. „Und, meine Herren? Wie weit sind wir?“, wollte sie wissen. Sie war bereits über den Doppelmord informiert, und wollte nun erfahren, welcherlei Hintergründe die beiden Beamten herausgefunden haben. „Also wir vermuten, dass Kerler unliebsame Zeugen loswerden wollte.“, begann Kevin ohne Aufforderung von Ben. „Das kann ich mir denken, Herr Peters.“, antwortete die Chefin mit gefährlichem Lächeln und samtweicher Stimme. „Haben wir Beweise, die Herr Kerler belasten?“ Ben räusperte sich ein wenig: „Bis jetzt haben wir nur das Messer, das wird untersucht. Und ob Kerler die Tat selbst ausgeführt hat.“ Anna Engelhardt seufzte ein wenig missmutig auf und stand dabei von ihrem Stuhl auf. „Also haben wir bisher eher nur Mutmaßungen, sowohl bei dem Toten auf dem Rastplatz, als auch bei den beiden Frauen.“, sagte sie, und ihre Stimme war schon ein wenig deutlicher, vor allem deutlich genervter zu vernehmen. Ben bewegte den Kopf ein wenig hilflos hin und her, bevor erneut Kevin das Wort ergriff: „Es ist doch momentan ganz klar dass die Typen hinter André her sind. Vielleicht müssen wir einfach warten, bis sie es nochmal versuchen.“ Beim Namen „André“ legte sich Bens Stirn in Falten und er erinnerte sich an die SMS zurück. Die beiden hatten Streit… Straftat von André… In Bens Kopf arbeitete es. „Das ist normalerweise nicht die bevorzugte Art zu arbeiten, aber ich glaube, sie haben recht.“, meinte Anna Engelhardt und nickte den beiden Männern zu. Ein Signal, dass sie vorerst zufrieden war und die beiden Männer entließ. „Ich würde gerne Feierabend machen, Chefin.“, meinte Ben plötzlich und für Kevin unerwartet. Die Chefin nickte nur und meinte: „Okay, sie waren gestern lange unterwegs. Gehen sie nur, aber bleiben sie auf Abruf.“ Ben nickte ebenfalls und ging mit schnellen Schritten aus dem Büro. Kevin sah seinem Kollegen nur erstaunt hinterher, und meinte zu Ben nur: „Wo willst du denn so plötzlich hin?“. Als schmallippige Antwort bekam er von Ben nur zu hören: „Ich hab noch nen Termin.“, dann war er bereits in die Kälte entschwunden.

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen


    <3

  • Dienststelle 17:00 Uhr


    Der Winter forderte die Sonne bereits früh auf, sich hinter den Horizont zu begeben. Es war bereits stockdunkel draußen, nachdem Ben so plötzlich die Dienststelle verlassen hatte. Kevin sass im Büro der Autobahnpolizisten, immer noch auf Semirs Platz. Er war in Gedanken versunken, hatte die Ellbogen auf den Schreibtisch gestützt und die Hände um den eigenen Hals gelegt. Hin und wieder fuhr er sich mit einer freien Hand durch seine strubbeligen Haare. Er fühlte die Gedanken, die ihn überfielen als er heute in die WG der beiden Frauen kam, die da lagen in ihrem eigenen Blut, mit aufgeschlitzten Kehlen. Könne er seinen Job überhaupt noch fortführen wenn er jedes Mal so zusammenbrechen würde? Es war tatsächlich der erste Mord den er auf diese Art und Weise in seinem Beruf sah, so war er von seiner Reaktion selbst überrascht gewesen, und trotzdem konnte er seitdem dieses Gefühl nicht verdrängen. Es war wie ein unsichtbarer Druck, ein Gürtel der sich um seine Brust schnürte und ihm die Luft abdrückte, das gleiche Gefühl das er empfand, nur deutlich schlimmer, als er im Krankenhaus lag nach der Attacke. Er hatte danach tagelange Alpträume und war dann über Monate schlaflos. Besserung kam erst, als er in seinem Leben einen Sinn fand mit seiner Polizeiarbeit, auch wenn es noch ständig Rückfälle gab… Rückfälle wie gestern abend oder heute nachmittag.


    Kevin ergriff die Maus von Semirs PC und öffnete im Polizei-Netzwerk die Akte des damaligen Vorfalls. Seine blauen Augen zuckten über den Bildschirm, als er verschiedene Eintragungen lass, die von Kollegen gemacht worden sind. Die Akte war nicht geschlossen, da der Täter nie gefasst wurde, allerdings waren die letzten Eintragungen von 2011. „Mord/Totschlag an Janine Peters, versuchter Mord/Totschlag an Kevin Peters.“, stand dort als Kurznotiz. Kevins Hand zitterte leicht während er las. „Das Opfer Janine Peters wurde vor oder nach der Tat vergewaltigt.“, war dort zu lesen und der junge Polizist schluckte. Horst „Hotte“ Herzberger war gerade durch die Tür gekommen ins Büro, in seinen Händen eine Akte als sein Blick auf den Monitor von Semir fiel. Er wollte eigentlich sofort losreden, doch als er sah was sich Kevin ansah, blieb er stumm. Der Polizist schien den dicken Kollegen nicht zu bemerken und öffnete einen Karteireiter, auf dem die Bilder des Tatortes zu sehen waren. Bilder von Janine, wie sie im schmutzigen Dreck lag, blutüberströmt. Auch ein Bild vom Abtransport Kevins war dabei, der auf einer Trage lag, mit einem Schlauch im Mund und verschmutztem Gesicht. Hotte erkannte ihn sofort und erinnerte sich. Er hatte damals von diesem Mord gehört und hatte sich auch darüber erkundigt, als Kevin hier mit Semir in einem andere Mordfall ermittelt hatte. „Kevin?“, sagte er vorsichtig, und der junge Kommissar schien kurz aufzuschrecken, und der Mauszeiger suchte sofort das kleine „X“ am rechten oberen Bildrand, um die geöffneten Fenster zu schließen. „Oh… Hotte.“, sagte Kevin etwas überrascht, nur ein kurzer Blick auf den Kollegen werfend und sich danach sofort wieder abwendend. Es war eine stille Atmosphäre im Büro, in dem nur die Schreibtischlampe von Semir brannte und den Bereich um den Schreibtisch erhellte. Hotte sprach quasi ein wenig aus dem Dunkel, als er sich einen Stuhl nahm und zu Kevin setzte. „Es ist schwierig über so etwas hinweg zu kommen.“ Eine Frage, die eigentlich eine Aussage war, allerdings eine Antwort von Kevin erforderte. Der nickte und begriff sofort, dass Hotte über seine Vorgeschichte, zumindest was offiziell war, Bescheid wusste. Er fuhr sich mit der Zunge ein wenig über die Lippen, und suchte irgendwie nach Worten, um das Gefühl zu beschreiben, was er spürte wenn er an die damalige Nacht dachte, doch er fand nichts… jedoch vermittelte ihm Hotte durch seine Anwesenheit ein sehr seltsames Gefühl des Vertrauens. Ähnlich wie Ben, aber doch anders, vor allem weil Ben mit seinem (berechtigten) Misstrauen in Kevins Kopf negativ hängen geblieben war. „Wenn ich nur wüsste, wer ihr das angetan hat…“, sprach Kevin die zentrale Frage aus, die seit dieser Nacht in einem gefährlichen Teil seines Kopfes hing, über ihm schwebte wie ein Schwert. Herzberger sah Kevin mit ernstem Gesichtsausdruck an. „Und wenn du es wüsstest?“, fragte er und hatte so seine ganz eigenen Befürchtungen. Ein junger, instabiler Mensch wie Kevin, der sehr sensibel war und der sich wohl sehr viel aus seiner Vergangenheit machte, wäre wohl sehr anfällig auf Rachepläne, und damit lag Hotte wohl gar nicht so schlecht. Kevin’s Augen wurden kalt, und er blieb einer Antwort schuldig, nur seine Hand klammerte sich fest um die Maus unter der Handfläche und seine Lippen pressten sich aufeinander. Der erfahrene Polizist neben ihm konnte diese kleinen Gesten sehr gut deuten. „Rache ist niemals ein guter Wegbegleiter, Kevin.“, sagte er mit seiner ruhigen und vertrauenserweckenden Stimme. Kevin hörte ihn, reagierte aber nicht und suchte sich einen Bezugspunkt an der gegenüberliegenden Wand. „Wir sind Polizisten, weil wir das Gesetz vertreten. Du hast dich damals dafür entschieden, oder?“ Hotte versuchte ein wenig zu Kevin durchzudringen, seine Beweggründe zu erfahren oder ihm einfach nur einen guten Rat zu geben. Doch er fühlte, dass Kevins Mauer um seine Seele herum fast undurchdringbar war. „Was wirst du tun, wenn du den Kerl findest?“, wiederholte er die Frage nochmal ein wenig deutlicher und erreichte nun immerhin, dass Kevin den Kopf in Richtung Hotte drehte und den Blickkontakt zu ihm suchte. „Ich weiß es nicht…“, sagte Kevin fast resignierend, statt wirklich rachsüchtig oder polizeilich korrekt. Er wusste es tatsächlich nicht, wie er reagieren würde. Würde er ihn eiskalt abknallen? Würde er ihm die Knochen aus dem Leib prügeln? Oder würde er sich beherrschen können, dem Kerl Handschellen anlegen, und verhaften? Zumindest seine Alpträume, die er hatte, sprachen eine deutliche Sprache. So oft hatte er geträumt den Kerl mit der schwarzen Maske zu finden, ihn zu packen und ihm eigenhändig die Kehle durchzuschneiden, und jedes Mal spürte er eine unheimliche und beängstigende Befriedigung in sich aufsteigen um danach schweißgebadet aufzuwachen.


    „Rache würde Janine nicht wieder lebendig machen, Kevin.“, sagte Hotte und legte Kevin eine Hand auf die Schulter. Der nickte bloß und dankte Hotte im Stillen für seine Worte, auch wenn sie in Kevins Seele nicht auf fruchtbaren Boden fallen würde.
    Der dicke Polizist stand auf und legte die Akte, die er noch in der Hand hatte, auf den Tisch. „Danke Hotte…“, sagte Kevin und ihm gelang ein mühsames Lächeln, das Hotte wesentlich lockerer ebenfalls mit einem Lächeln erwiederte.

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


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    <3

  • Boxclub – 17:30 Uhr


    Ben hielt gerade seinen Dienstwagen vor dem ehemaligen Boxclub von André, als dieser zu Fuß über den Gehweg schritt. Eine Ahnung, nur den Hauch einer Idee kam dem Polizisten im Büro der Chefin… es stimmte etwas nicht. Es war ein natürliches Bauchgefühl, er konnte es nicht erklären, aber nach all den Jahren hatte Ben so etwas wie einen siebten Sinn entwickelt, wenn Semir in Schwierigkeiten steckte. Semir schrieb nicht einfach SMS, er rief Ben an wenn es etwas Wichtiges gab. Und diese SMS war etwas wichtiges. Sie war nicht einfach nur eine kleine Info am Rande, die man wieder vergessen konnte, so etwas wie dass er morgen dran war mit Frühstück kaufen oder um Ben daran zu erinnern, dass sein Schreibtisch mal wieder wie Sau aussehe. Nein, diese SMS war wichtiger. Semir hatte Streit mit André, und seitdem war Semir verschwunden. Ben widerstrebte es, André zu verdächtigen, doch vertrauen konnte er ihm einfach nicht.
    Mit einem mäßigen Knall fiel die Autotür ins Schloss als der Polizist den Wagen verließ und auf die andere Straßenseite wechselte. André hob gerade den Kopf und schaute überrascht, als er Ben entdeckte. Seine Augen wirkten müde, und sein Gesicht etwas älter als er wirklich war, mit seinen 48 Jahren. „Semir ist heute nicht zurückgekommen.“, sagte Ben ohne ein Wort der Begrüßung. Seine Stimme war fest, doch sein Ton erst mal ohne Vorwurf. André fuhren die Worte in den Magen, wie ein Blitz, doch davon ließ er sich erst mal nichts anmerken. „Vielleicht ist er noch unterwegs.“, wich er der Aussage von Ben aus und drehte sich zur Tür um sie aufzusperren. „Er hat geschrieben, dass er gleich ins Büro kommt… heute nachmittag.“, gab Ben zur Antwort und zwang damit André erneut, ihn anzusehen. „Gut, aber warum kommst du damit zu mir, was hab ich damit zu tun?“, fragte er und fuchtelte, wie es für André fast schon typisch war, ein wenig mit den Händen in der Gegend herum. Auch war sein Tonfall nicht unbedingt ruhig, eher gereizt. Das Gespräch mit Semir, vor allem dessen Satz „Du bist mir so fremd“ steckte der großgewachsene Ex-Kommissar nicht einfach so weg… auch wenn er nach außen immer recht emotionslos wirkte.
    „Er war mit dir als letztes zusammen, und hat mir dann diese SMS geschickt.“, sagte Ben resolut und nun auch ein wenig lauter. Andrés Verhalten war ihm viel zu gleichgültig, als würde es ihn nicht interessieren was passiert ist. Er griff in seine Jeans und hielt André das Handy vor die Nase, mit Semirs SMS im Bildschirm. Die Augen des Mannes huschten ein paar Mal hin und her, er las den Text und konnte daraus nichts Falsches lesen. Ja, sie hatten gestritten, und Kerler hatte etwas davon erwähnt, dass er etwas gegen André in der Hand habe. „Ja und?“, fragte er, als er den Text gelesen hatte. „Was ja und… was ist heute Nachmittag passiert?“, wollte der Kommissar mit dem Wuschelkopf von André wissen, und seine Tonlage gestaltete sich zunehmend unruhiger. „Gar nichts ist passiert, Mann. Wir sind zu Kerler ins Bordell gefahren und haben dort nichts rausbekommen.“ Nach diesem Satz drehte sich André erneut zur Tür hin, wurde nun jedoch nicht nur mit Worten, sondern auch mit einem beherzten Griff am Arm davon abgehalten durch die Tür zu gehen. „Und weiter? Was ist mit den Straftaten, was hat Kerler gegen dich in der Hand?“ André blickte Ben aus seinen müde wirkenden blauen Augen an. „Kein Wunder, dass Semir mir nicht glaubt.“, sagte er hämisch in Bens Richtung, und sofort wurde dem klar, was der Ursprung des Streits war. Semir vertraute André nicht mehr. Es standen Geheimnisse zwischen ihnen, mit denen André offenbar nicht rausrücken wollte… nicht rausrücken konnte. „Was denkst du, warum er dir nicht glaubt?“, fragte der Polizist und versuchte seine Stimme ruhig zu halten. Mittlerweile standen sich die beiden Männer am Eingang gegenüber und es schien wie ein kalter Krieg zwischen den zwei. Ben machte sich mittlerweile mächtig Sorgen um Semir und sein siebter Sinn schien wieder mal recht zu behalten. André jedoch verhielt sich weiter abweisend und tat kaum etwas, einen Verdacht gegen ihn zu entkräften. Hier war der ehemalige Polizist einfach stur, vor allem gegenüber Menschen, die er nicht kannte. Und Ben kannte er nun mal kaum bis gar nicht. „Das geht dich einen Scheißdreck an.“, warf er Ben vor die Füße.


    Doch Semirs Freund ließ nicht locker. Er presste zwar die Lippen zusammen und ballte die Hände zu Fäusten, doch er beherrschte sich. Zwar würde er sich durchaus gegen André wehren können, doch ganz vergessen hatte er dessen Tritt auf die Nieren nicht. „Wo warst du nach dem Gespräch?“, fragte er sein Gegenüber. „Ist das hier ein Verhör?“, war Andrés nichtssagende Antwort, die Ben noch ein bisschen weiter auf die Palme brachte. „Wenn du mir hier keine Antwort gibst, dann mach ich es zum Verhör, André!“, sagte er laut und überdeutlich, jedoch brachte er damit seinen verbalen Widersacher ebenfalls auf Temperatur: „Ich bin rumgelaufen, kapiert? Ich musste nachdenken!“ Ben lachte verächtlich… „Nachdenken…“ André zog arrogant die Mundwinkel nach unten und wendete sich mit einem leisen: „Leck mich doch am Arsch.“, erneut zur Tür, die er diesmal auch öffnete. Ben spürte eine hilflose Ohnmacht in sich aufspüren, er konnte André nichts nachweisen, dass er etwas mit dem Verschwinden von Semir zu tun hatte. „Ich verspreche dir, wenn du etwas mit Semirs Verschwinden zu tun hast, und Semir etwas passiert, dann…“, begann Ben drohend, doch das Klingeln seines Handys unterbrach ihn. Er schaute auf das Display, wo Semirs Privatnummer aufleuchtete. Hastig nahm er ab, doch das Erste was er hörte, war ein Schluchzen… „Andrea?“, fragte er sofort, den er wusste wer auf der anderen Seite der Leitung war. André blieb kurz im Aufgang stehen und schaute zurück zu Ben der sich auf die anderen Straßenseite entfernte. Die letzten Worte die er hören konnte, waren „Andrea, nun beruhig dich erstmal…“, dann fiel die Tür ins Schloß…


    „Er ist immer noch nicht nach Hause gekommen… sowas macht er sonst nie, ausser er ist mit dir unterwegs, Ben.“, sagte Andrea mit leicht zittriger Stimme. Sie war bereits zu Hause, war im Büro schon unruhig gewesen und nun vollends aufgelöst. Vor allem heute, wo sie einen Familienabend im Kino geplant hatten, würde Semir sie niemals ohne Nachricht versetzen… eine Tatsache, die Ben jetzt erst bewusst wurde, und die die Kidnapper natürlich nicht wussten. Spätestens jetzt war Ben sich sicher, dass Semir etwas passiert sein musste. „Ich bin doch schon auf der Suche, Andrea… keine Angst, ich werde Semir finden. Soll ich bei dir vorbeikommen?“, fragte er fürsorglich und ließ sich in seinen Dienstwagen gleiten. „Nein… nein, Ben.“, sagte Andrea schon ein wenig beruhigter. Sie war Ben für seine Fürsorge dankbar, doch ihr war es lieber, wenn er sich bereits auf die Suche nach Semir machte, dem jetzt allerdings ein Gedanke kam. Er kannte André nicht… aber Andrea. „Andrea…“, begann er vorsichtig, und die zweifache Mutter horchte auf. „Könntest du dir vorstellen, dass André in der Lage wäre, etwas mit dem Verschwinden zu tun zu haben… also, glaubst du er könnte sich so sehr gegen Semir stellen?“ Die Frage traf Andrea wie ein Blitz und ihr Herzschlag setzte einen Moment aus. Sie war von Andrés so ergriffen gewesen, dass ein Teil der Familie zurückgekehrt war, dass sie dieser Gedanke schockierte, und erst mal keine Antwort einfiel. „Ben… ich… nein, das glaube ich nicht… das heißt… ich weiß nicht.“ Die Sekretärin konnte keinen klaren Gedanken fassen. Im ersten Affekt würde sie André so was nie zutrauen, doch sie kannte nur den André von vor 14 Jahren. „Ich weiß es nicht, Ben.“, sagte sie und ihr kamen erneut die Tränen hoch. „Wir müssen morgen endlich Antwort von dieser europaweiten Anfrage bekommen… ich glaube, André verschweigt uns etwas.“, sagte der Polizist, und drehte den Schlüssel des Autos im Zündschloß herum. „Mach dir keine Sorgen Andrea… ich werde Semir finden. Das verspreche ich dir.“

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    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

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    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

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  • Keller – 18:00 Uhr


    Semir hatte schon nach kurzer Zeit sein Gefühl für die Zeit verloren. Wie lange saß er nun schon da unten drin? Eine Stunde, zwei Stunden, vier Stunden? Wie lange war es her, dass Kerler ihn hier wieder alleine gelassen hatte, und die Tür verriegelt hatte… und Semir somit mit seinen Gedanken allein gelassen hatte.
    Semir war niemand, der schnell in Panik verfiel, und so versuchte er auch jetzt erst mal in Ruhe seine Gedanken zu ordnen. Die Typen hatten eben die Gelegenheit, André zu schnappen, stattdessen hatten sie ihn geschnappt. Dafür erörterte er zwei Möglichkeiten: Entweder wollten sie André damit noch mehr unter Druck setzen, oder aber… sie waren gar nicht hinter André her. Sondern hinter ihm selbst. Aber welchen Sinn ergab das? Was hatte Semir mit Kerler zu tun? Und hatte André… bei diesem Gedanken stockte Semir kurz der Atem… hatte André den Kerlen etwa geholfen? Steckte er mit ihnen unter einer Decke? Schließlich war es Andrés Idee, dass sie zu Kerler in das Bordell fuhren. Und Kerler konnte davon ausgehen, dass der türkische Kommissar André auf diese ominösen Straftaten seitens seines Freundes ansprechen würde. „Oh Gott…“, hauchte Semir und sah betrübt zu Boden. Sollte er sich so in seinem Freund getäuscht haben? Konnte ein Mensch wie André in 14 Jahren so sehr die Seiten wechseln, dass er Semir ans Messer liefern würde. Der Polizist fand darauf erst einmal keine Antwort.


    Doch Semir dachte nochmal zurück zu dem Grund, warum Kerler ihn statt André verschleppt hatte. Er dachte die Hierachie höher… Horn, Berger? War diese Andeutung von Kerler wirklich, dass Berger noch lebt. Wollte er Rache? Oder wollte Horn Rache für Bergers Tod. Die Polizisten hatten damals das genaue Verhältnis zwischen Berger und Horn nie erörtert, Horn war Bergers Türsteher in einem Nobel-Bordell. Doch dass Horn Bergers Geschäfte nun übernommen hatte, würde eher dafür sprechen dass deren Verhältnis enger war, als sie annahmen. Das machte Sinn. Wie ein Puzzle setzte sich jeder Gedanke in Semirs Kopf zu einem großen Bild zusammen, und trotzdem fußte alles nur auf Vermutungen und Spekulationen. Antworten würde er erst bekommen, wenn er hier raus käme. Seine Hände schliefen dauernd an, und seine Füße taten weh. Er hoffte, dass Ben schnellstmöglich merkt, dass etwas nicht stimmt, und dass er zusammen mit Kevin versucht, ihn zu finden. Ben hatte Semir nie im Stich gelassen, auf ihn konnte er sich verlassen.
    Bei diesem Gedanken wurde der türkische Polizist plötzlich traurig. Auf Ben konnte er sich bisher immer verlassen… vor 14 Jahren hätte er das Gleiche über André gesagt.


    Die Zeit verging weiter, aber Semir konnte keinerlei Stimmen hören, der ganze Raum war gehüllt in Schweigen. Ein Zustand der schwer erträglich war, wenn man gefesselt auf einem Stuhl saß, und momentan keinerlei Ausweg aus dieser Situation sah. Semir blieb alleine mit seinen Gedanken.



    Dienststelle – 18:15 Uhr


    Kevin hatte noch einige Zeit über den Akten gebrütet, Protokolle durchgelesen, die er im Laufe der Jahre schon mindestens hundert Mal gelesen hatte. Immer wieder war bei ihm die Befürchtung, er hätte irgendetwas übersehen, etwas was wichtig wäre. Doch wie auch vorher schloss er die Akten mit einem Kopfschütteln, knipste die Tischlampe aus und stand auf. Der junge Polizist schlüpfte in seinen Mantel und verabschiedete sich von den wenigen Kollegen, die den Nachtdienst der Dienststelle übernahmen. Hotte war ebenfalls bereits auf dem Nachhauseweg.
    Nach Hause wollte Kevin eigentlich gar nicht, als er in den BMW stieg, der für ihn reserviert war. Er startete den Motor und fuhr auf die Autobahn, jedoch nur um sofort wieder abzufahren Richtung Innenstadt und Industriegebiet. Kevin wusste gar nicht wo er hinwollte, er fuhr einfach ziellos durch die Gegend, in Gedanken teilweise bei seiner Schwester und bei Semir. Machte Ben sich einfach zu viel Sorgen? Bei ihm selbst kam es schon mal vor, dass er nachts nicht nach Hause kam… allerdings hatte Kevin auch niemand, der auf ihn warten würde. Bei Semir war das natürlich anders. Aber warum sollte jemand Semir entführen? Es ergab keinen Sinn… doch Kevin war teilweise in Gedanken zu viel mit anderen Dingen beschäftigt, als dass er auf seine eigenen Theorien einen Wert gab. Er schüttelte den Kopf während der Fahrt und merkte, dass er sich mit seiner Ortskenntnis im Industriegebiet wohl selbst überschätzt hatte. „An dieser Einfahrt bin ich doch schon dreimal vorbeigefahren.“, murmelte er missmutig und drehte den Wagen um. Doch die Straßen, die nur schlecht beleuchtet waren, waren ihm plötzlich vollkommen unbekannt, und der junge Polizist hatte das Gefühl, im Kreis herum zu fahren.


    Kevin fuhr rechts ran, um das Navigationsgerät aus dem Handschuhfach zu nehmen, doch kaum hatte er den Wagen angehalten, und den Motor ausgeschaltet, spürte er auf einmal den Atem eines Mannes hinter sich. Schneller als der Polizist sich bewegen konnte schlang sich plötzlich ein kräftiger Arm um Kevins Oberkörper, während der andere Arm eine kalte Klinge an seinen Kehlkopf legte. „Keine Bewegung!“, zischte eine Stimme hinter ihm und Kevins Atem beschleunigte sich. Er kannte die Stimme… er konnte sie nicht zuordnen, aber er kannte sie. Seine Augen wanderten zum Rückspiegel, doch er konnte auf dem hinteren Sitz im Dunkeln niemanden erkennen. „Wer bist du?“, fragte er mit fester Stimme, sein Kehlkopf stieß beim Reden immer wieder gegen den eiskalten Stahl. Die Stimme schien zu lächeln, als hätte sie auf diese Frage gewartet. „Ich bin der Dämon, den du schon seit 11 Jahren verfolgst.“, antwortete sie und Kevin hatte das Gefühl, man würde ihm den Boden unterm Hintern wegziehen, als würde sich die ganze Welt anfangen zu drehen. Und jetzt konnte er nichts tun, er konnte sich nicht bewegen, er konnte unmöglich nach hinten greifen, ohne dass der Kerl ihn töten würde. Er spürte, wie sich die Klinge fester an seine Haut drückte, sein Kehlkopf sprang beim Schlucken auf und ab und dem Typ schien diese Situation zu gefallen. „Und jetzt hast du mich gefunden.“, sprach die Stimme hinter ihm weiter während Kevin hörbar aus der Nase ausatmete. „Warum?“, fragte der junge Polizist, der die Lichter der Straße aus der Frontscheibe sehend nur noch als verschwommenes Etwas wahrnehmen konnte. Er war zum Zerreißen gespannt auf die Antwort, dass Messer schnürte ihm zusammen mit der Erregung beinahe die Luft ab weshalb sein Atem immer schneller ging.


    „Das…“, begann die Stimme mit teuflischem Klang in der Stimme „… wirst du nie erfahren.“ Für einen kurzen Moment erkannte Kevin im Spiegel ein Gesicht… zu kurz um es sich einzuprägen als der Fremde das Messer mit einer geübten und wahnsinnig schnellen Bewegung durch Kevins Kehle zog. Der junge Polizist spürte einen Brennen, das ihm kurz bis ins Mark drang, er spürte wie sein Bemühen, Luft zu holen scheiterte, und nahm noch war, wie ein roter Strahl aus seiner Kehle gegen die Frontscheibe des BMWs spritzte. Seine Hand fuhr in einem Reflex an den Hals, bevor alles um Kevin herum schwarz wurde.

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    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

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    Wie sie.


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  • Semir’s Haus 18:30 Uhr


    Andrea hatte sich auf der Coach in eine Wolldecke eingewickelt. Sie fror, trotz dass der Kamin brannte, und obwohl der Fernseher lief, nahm sie ihn nicht wahr. Sie hörte wie weit entfernt die Stimme des Reporters eines langweiligen Frühabend-Magazins, sie hörte das Getrappel und Geplapper der kleinen Lilly, die im oberen Stockwerk mit ihrer großen Schwester Aida spielte. Es war ein Alptraum… ein Alptraum der sich so noch nie zugetragen hatte. Es kam zwar schon öfters vor, dass Semir in Schwierigkeiten geriet, aber nie ist er einfach spurlos von der Bildfläche verschwunden, ohne Anhaltspunkt, ohne triftigen Grund. Die Sekretärin der Dienststelle war natürlich über die Entwicklungen des Falles komplett informiert, doch auch sie ging die ganze Zeit davon aus, dass André derjenige war, der ins Visier dieser Verbrecher geraten war. Warum hatten sie jetzt Semir gekidnappt? Und wenn sie es wegen André gemacht haben, warum meldeten sie sich nicht? Und welches Geheimnis verbarg André?
    Andreas Kopf brannte, so viele Gedanken machten sich breit, mit denen sie nicht zurechtkam. Sie zog die Decke fester um ihren Körper und hörte Lilly laut lachen. Zumindest bekamen die Kinder nichts von der bedrückenden Stimmung ihrer Mutter mit, und dachten dass Papa einfach mal wieder später nach Hause kommt… wie es so oft passierte.


    Als es an der Tür klingelte, schreckte Andrea hoch. War es Semir? Ben? Hatte er Neuigkeiten? Ihr Herz raste, alles konnte sie erwarten. Vom absoluten Glücksfall, dass Semir mit Ben wohlbehalten vor der Tür stand, oder aber dass Ben alleine da stand… ohne Semir, und trotzdem einer schlimmen Nachricht. Andrea wischte sich die halbgetrockneten Tränen aus den Augen, und ging mit schnellen Schritten zur Tür. Sie öffnete sie erst einen Spalt, dann weiter als sie ein bekanntes Gesicht vor sich sah, das sich im Schein der Eingangslampe zeigte. „André?? Was machst du denn hier??“, fragte Andrea mit völlig perplexen Gesichtsausdruck. Sie hatte mit allem gerechnet… aber nicht mit dem Mann, der vielleicht mit Semirs Verschwinden zu tun hatte. „Darf ich kurz reinkommen?“, fragte er mit seiner bekannten knarzigen Stimme. Im ersten Affekt wollte Andrea ihn anschreien, den ehemaligen Kollegen am Kragen packen und ihn nicht mehr loslassen, bis er sagt, wo sie Semir versteckt halten. Doch Andrés Gesichtsausdruck, der müde wirkte, machte nicht den Eindruck, als hätte er alles unter Kontrolle… nein, er sah mehr als besorgt aus. Trotzdem rutschte die Frage über die Lippen, nicht aggressiv, sondern eher flehend: „Wo ist Semir?“ André schaute kurz zur Seite und atmete hörbar den Kondensrauch aus. „Ich weiß es nicht, Andrea… ich weiß es wirklich nicht.“ Andrea konnte sich nicht helfen… sie glaubte André. 14 Jahre waren vergangen, es war so schwer alles zu begreifen, aber noch schwerer war es vorstellbar, dass André sich so gewandelt hatte. Die Sekretärin ging zur Seite und ließ André den Vortritt. Hinter ihm schloss sie die Tür wieder, und bot André einen Platz auf der Couch. Der großgewachsene Mann erinnerte sich sofort an gestern Abend, an das Gespräch mit Semir, an seinen Ausrutscher gegenüber seinem Freund. André rieb die Hände zusammen, die Arme auf die Beine gestützt, als Andrea ihn ansah… wartend, was er zu sagen hatte. „Andrea, ich wollte dir nur sagen, dass ich nichts mit Semirs Verschwinden zu tun habe… das musst du mir glauben. Ich habe gehört, dass du Ben angerufen hast… da war er gerade bei mir.“ Andrea sah den Mann, der 14 Jahre vom Team verschollen war, mit leicht geröteten Augen an. Wenn Andrea traurig war, sah ihr Gesicht einige Jahre älter aus… genauso wie André, wenn er sich Sorgen machte. Sie nickte leicht… etwas in ihr schenkte André Vertrauen, auch wenn es sehr schwer fiel. Warum aber sollte er extra hierher kommen, wenn er etwas damit zu tun hatte?


    „Ben hatte geschrieben, dass du ihm irgendetwas verheimlichst…“, sagte sie mit leiser, aber fester Stimme. André bewegte den Kopf hin und her, schaute mehrmals in andere Richtungen… „Nein, ich verheimliche euch nichts. Kerler hat versucht Semir gegen mich aufzuhetzen. Er hat behauptet, er hätte von den Jahren etwas Schwerwiegendes in der Hand, aber das kann nicht sein.“ Andrea hielt den Blick fest aufrecht auf André gerichtete, der, was schon damals typisch für ihn war, nur schwer anderen Leuten in die Augen blicken konnte. Andrea wusste, dass dies bei ihrem ehemaligen Kollegen kein Ausdruck dafür war, dass er gerade log. „Was hast du in den Jahren getan?“, fragte sie ruhig, und spürte trotz der Angst um Semir, dass sie gerade vielleicht in der Lage war, noch ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen, was André und seine Vergangenheit umgab. „Ich war erst Türsteher in einem von Bergers, bzw nach Bergers Tod Horns Club. Dann mal Personenschützer für wichtige Kunden, Bewacher bei Geldübergaben. Fahrer bei Geldübergaben. Ich habe die Dinge geduldet, aber ich habe sie nicht durchgeführt, verstehst du?“ Andrea spürte, wie unwohl ihr war. André hatte Dinge getan, gegen die er früher gekämpft hatte, sein Leben riskiert hatte. „Warum?“ Ein kleines einfaches Wort, dass Semir bisher nie an André gestellt hatte. André atmete aus, als müsse er selbst überlegen. „Horn ließ mir keine Wahl… ich wusste sofort zu Beginn, wie viele Leute er hat, wie mächtig er ist. Bergers Imperium war ungleich größer, als wir damals gedacht haben. Egal wo ich hin geflohen wäre, er hätte mich ausfindig gemacht, und hätte mich getötet.“ Es war ungewöhnlich, André so reden zu hören. Eine Schwäche hätte er sich damals nie zugestanden. „Nach einem halben Jahr war die Arbeit…“, André stockte kurz, es fiel ihm offenbar selbst schwer es zu sagen „.. sie war okay. Ich wollte nicht mehr zurück.“ Obwohl Andrea innerlich ein wenig fassungslos war, blieb sie äußerlich doch ganz ruhig auf der Coach. „Und Semir?“, fragte sie wieder kurz, aber mit Wirkung, den André senkte erneut den Blick. „Ich… Ich habe gehofft dass er mich schnell vergisst. Das war ein Fehler.“, gab er mit leiser Stimme zu. Andrea bekam eine Gänsehaut, es war eine gespenstische Situation diese Art von Geständnis von André zu hören. Sie glaubte dem Mann, der ihr gegenüber saß.


    „Warum hast du Ben nicht geholfen, als er bei dir war?“, fragte sie dann plötzlich. „Er glaubt mir nicht.“, war Andrés kurze Antwort. Andreas Kopf bewegte sich langsam hin und her während sie sprach: „André, Ben kennt dich nicht. Was erwartest du? Er und Semir haben vieles durchgemacht. Er würde sein Leben für Semir riskieren… genauso wie du dein Leben für Semir riskiert hast, und wie er sein Leben für dich riskiert hat vor 14 Jahren.“ Diesmal schaffte es André dem eindringlichen Blick von Andrea stand zu halten, und ihre „Predigt“ wirkte. „Bitte, hilf Ben. Hilf ihm Semir zu finden.“, sagte sie ein wenig flehender als vorher, aber immer noch sicher und sie spürte, wie die Tränen wieder versuchten sich nach oben zu drücken. „Du hast recht, Andrea… danke.“, sagte André leise und rutschte über das Sofa an Andrea heran, um sie in den Arm zu nehmen. Die Sekretärin schlang ihre Arme dankbar um die breiten Schultern des Mannes, mit dem sie 4 Jahre lang zusammengearbeitet hatte, als sie gerade bei der Autobahnpolizei anfing, und über den sie 14 Jahre lang dachte, er wäre im Mittelmeer ertrunken. „Ich werde Semir finden.“, sagte er leise, als sie die Umarmung lösten, und setzte ein wenig leiser hinzu: „Auch ohne Waffe.“
    Andrea blickte zu ihm auf und erhob sich ebenfalls. „Warte einen Moment.“, sagte sie und verschwand für einige Minuten im Keller. Sie holte einen versteckten Schlüssel, und sperrte einen kleinen, unter der Treppe versteckten Wandtresor auf, wo wichtige Dokumente, Bargeld und Semirs private Waffe und Munition lagen. Es war ein kleiner silberner Trommelrevolver mit schwarzem Griff. Andrea ergriff die Waffe und sperrte den Tresor sorgfältig wieder zu. André wartete bereits im Flur auf Semirs Frau, als sie zu ihm kam und den Revolver in die Hand drückte. Sie drückte dabei Andrés Hand in ihre und sagte leise: „Das ist die Waffe, mit der Semir Berger erschossen hatte, um dir zu helfen.“ Andrés Mund blieb leicht offen, und mit seinen erstaunten blauen Augen senkte er den Blick auf den kleinen Trommelrevolver in seiner linken Hand. Stille erfüllte für kurze Zeit den Hausflur und Andrés Emotionen fuhren Achterbahn. „Hat Semir dir erzählt, dass er seinen Job hinschmeißen wollte nach Mallorca?“, fragte Andrea unvermittelt und Andrés erstaunter Gesichtsausdruck traf nun Andrea. „Was?“, fragte er perplex. Die Sekretärin fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und nickte: „Er hat sich die Schuld gegeben, für das was passiert ist. Weil er dich nicht aufgehalten hatte… weil er nicht früher geschossen hatte… und weil er dich im Wasser nicht mehr gefunden hatte.“ Andrés Herz wollte zerspringen. Nicht nur, dass Semir Andrés Grab auch nach 14 Jahren noch gepflegt hatte, sondern auch dass sich der türkische Polizist so sehr die Mitschuld an seinem vermeintlichen Tod gab, berührte den Mann, der von seinen damaligen Kollegen gerne mal als recht „emotionslos“ beschrieben wurde. Hätte er das gewusst, er wäre wohl niemals 14 Jahre auf Mallorca geblieben und gehofft, dass Semir ihn vergisst. Worte für eine Antwort fand er keine, er steckte den Revolver nach hinten in den Hosenbund und ließ die Winterjacke darüber gleiten. „Ich werde alles dafür tun, dir Semir zurück zu bringen… das verspreche ich dir!“

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen


    <3

  • ‚Atmen! Du musst atmen!!‘ Kevins Gedanken überschlugen sich, sein Puls raste, und nackte Angst stieg in seinem Inneren auf. Seine Kehle war wie zugeschnürt, mühsam versuchte er Luft in seine Lungen zu ziehen. Mit den Händen griff er um seinen Hals, als würde es etwas bringen, das Blut zurückzuhalten. Um ihn herum war alles schwarz, bis auf das kleine leuchtende Licht, dass durch seine Lider drang… Licht?
    Mit einem Ruck riss der junge Kommissar die Augen auf, fuhr mit dem Kopf von der Schreibtischplatte und blinzelte in die kleine Lampe auf Semirs Tisch. Er atmete hastig, sog sich Luft in die Lunge, als wäre er gerade auf einem weiten tiefen Tauchgang gewesen. Hektisch sich umblickend erkannte er durch die Glasscheibe hinter sich noch einige Kollegen. Er muss eingeschlafen sein und hatte seinen bisher heftigsten und realsten Alptraum erlebt. Er spürte seine schweißbenetzte Stirn, sein Atem beruhigte sich und der Polizist stützte die Arme auf die Tischplatte, um das Gesicht laut ausatmend in die Hände sinken zu lassen. „Wann hört das endlich auf…“, flüsterte er zu sich selbst. Er war es leid.


    Nur einen Moment später klingelte Kevins Handy. Ein kurzer Blick auf das kleine flache Gerät ließ Bens Nummer erkennen. Kevin atmete kurz durch, nahm ab und meldete sich mit normaler Stimme. „Kevin, hier ist Ben. Wir müssen uns treffen… Semir ist verschwunden.“ Kevin war einen Moment wie vom Donner gerührt. „Was sagst du? Verschwunden?“, fragte er verwirrt. „Er hatte doch eine SMS geschrieben.“, setzte er noch schnell hinzu. „Ich weiß, das verstehe ich ja auch nicht. Aber er ist nicht nach Hause gefahren, nachdem er mit André zusammen war. Und ehrlich gesagt…“, Ben verstummte. Er wusste ja, dass Kevin und André eine kurze gemeinsame Vergangenheit hatten, und war sich nicht sicher, ob Kevin im Bezug auf André genau wie Semir nicht etwa ein wenig befangen war. Kevin hatte sich beim Wort „Verschwunden“ bereits aus dem Sitz erhoben und die Jacke in die freie Hand genommen. Doch jetzt stockte er seine Bewegungen genau wie Ben seinen Redefluss. „Was?“, fragte er um seinen Kollegen wieder zum Reden zu bringen. „Ehrlich gesagt habe ich das Gefühl, André steht auf der falschen Seite.“ Kevin atmete nochmal durch, doch auf Bens Verdacht antwortete er erst mal nicht. „Wo treffen wir uns?“ „Industriestraße 23, dort ist der Club von Kerler. Dort war Semir heute Nachmittag mit André, und ich glaube dort haben sie sich auch getrennt.“, antwortete Ben, der bereits auf dem Weg war. „Okay, ich bin gleich da.“, meinte Kevin und verließ bereits die Dienststelle und steckte das Handy in die Hose. Der junge Polizist schwang sich in den SUV und startete den Motor. Wie in Trance blieb er sitzen, fuhr keinen Millimeter. Das Rasseln des Dieselmotors war das Einzige was er hörte, und mit einem Ruck drehte er sich nach hinten um… Nichts. Kein maskierter Typ mit einem Messer sass hinter ihm, und lauerte auf eine gute Gelegenheit. Langsam drehte sich Kevin wieder nach vorne, legte beide Hände aufs Lenkrad und atmete tief durch. „Reiß dich zusammen.“, murmelte er, und fuhr los.


    Über die dunkle Autobahn kam Kevin schnell vorwärts. Trotzdem hatte er Zeit, sich ausgiebig Gedanken zu machen… und natürlich Sorgen um Semir. Auch war er ganz froh, dass er man nicht über seine Schwester nachdachte, oder über den beängstigenden Traum von vorhin. Deshalb brauchte Kevin seinen Job so sehr. Er lenkte ihn ganz gut ab, er hielt ihn über Wasser. Wenn er nicht gerade mit solch einem Szenario wie heute Mittag in der WG konfrontiert wurde, konnte er seine Gedanken im Polizeidienst unterordnen und ganz gut aushalten. So kreisten seine Gedanken jetzt um seinen ehemaligen Trainer André. War es wirklich möglich, dass sich ein Mann verändert, so sehr dass er sogar seinen ehemals besten Freund verrät und in die Hände von Kidnappern treibt? Doch genauso wie André selbst und Ben konnte Kevin das Puzzle nicht sinnvoll zusammensetzen. Die Typen wollten doch André selbst, und nicht Semir… und wenn der nur Lockvogel sein soll, dann konnte André doch nichts mit der Entführung zu tun haben.
    Fragen um Fragen stürmten durch Kevins Gedanken und fanden zu keinem erfolgreichen zufriedenstellenden Ergebnis, als er von der Autobahn abfuhr. Wahrscheinlich würden sich erst Antworten ergeben, wenn sie André wiederfanden.



    Vor Kerlers Club – 19:00 Uhr


    Ben saß in seinem dunklen Wagen, rieb die kalten Hände aneinander und fühlte sich alles andere als wohl. Er machte sich Sorgen um seinen besten Freund Semir, und Zweifel im Hinblick auf André nagten tief an ihm. Semir hatte ihm vertraut, so war es Bens Eindruck gewesen. Konnte er es ihm verübeln? Wohl kaum. Es war eine Ausnahmesituation, das Auftauchen eines Freundes nach 14 Jahren, der von jedem für tot gehalten wurde. Das steckt man nicht einfach so weg, das verbucht man nicht unter „Kommt schon mal vor.“ Sie mussten Antworten finden… Antworten auf die Fragen, was die Typen überhaupt wollen… wen sie wollen und wer half ihnen?
    Ben bemerkte, wie der SUV ihrer Dienststelle auf den Parkplatz rollte und stieg aus. Kevin hatte sich tatsächlich beeilt und war schnell gekommen. Der junge Polizist, in seinem schwarzen Mantel, stieg ebenfalls aus, als Ben fast schon an seinem Wagen angelangt war. „Warum sagst du mir nicht, wenn du einen Verdacht hast?“, war das erste, was Kevin in Bens Richtung sagte, bezogen darauf dass Ben eben auf der Dienststelle das Weite suchte… mit einer fadenscheinigen Begründung. „Ich wollte erst mal alleine mit André sprechen.“, wich Ben aus und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. Kevin nickte, und beließ es dabei, er war niemand der in solchen Fällen auf Erklärungen pochte, den er wusste dass er selbst zu emotionalen Handlungen neigte. Ben war ihm deswegen auch dankbar, dass er gleich auf ihr Vorhaben zu sprechen kam: „Gehen wir erst offiziell rein, oder direkt inoffiziell?“, fragte er, während die beiden sich zum Eingang des Clubs hinbewegten. „Erst offiziell.“, meinte Ben und ging am Türsteher des Clubs vorbei, der keinerlei Anstalten machte, die beiden Männer aufzuhalten. Innerhalb des Clubs war die Technomusik aufgedreht, zu der sich einige hübsche Girls an Stangen hin und her räkelten. Männer mit Bier oder anderen alkoholischen Drinks saßen in Sitzgruppen, oder direkt an der Tanzfläche und wollten soviel wie möglich von den Frauen sehen. Die beiden jungen Männer, die aber nun durchs Lokal gingen und sich ans Tresen saßen, interessierten sich kaum für die Tänzerinnen. „Was darf’s denn für euch beide sein?“, fragte die hübsch anzusehende Barkeeperin in Richtung der beiden Männer. Als Ben gerade dabei war, Luft zu holen um sich eine Cola zu bestellen, da sie im Dienst waren, kam Kevin ihm zuvor: „Cola-Whiskey.“ Dafür erntete er einen erstmal perplexen Blick von Ben, der dann ein wenig stammelte: „Ein… ein Bier.“ Die Frau nickte und machte sich sofort daran, ein Bier für den Polizisten zu zapfen. „Bist du wahnsinnig? Wir sind im Dienst!“, zischte Ben leise in Kevins Richtung. „Genau, und wenn wir anfangen Limo und Sprudel zu trinken, zwei Männer die zusammen in einen Stripclub gehen, weiß es auch jeder.“, meinte Kevin, während er sich im Club ein wenig umsah, Ausschau hielt nach Leuten die er kannte. Doch zunächst fiel ihm niemand auf. Ben wollte noch etwas erwidern, doch die Barkeeperin war schnell und stellte die beiden Getränke auf das Tresen, während sie besonders Kevin mit einem lasziven Blick bedachte. Der junge Cop antwortete mit einem spitzbübischen Grinsen, bevor er Ben zuprostete und einen eiskalten Schluck des bittersüßen Drinks nahm.


    Er lehnte sich ein wenig zu Ben rüber und kämpfte mit der Stimme gegen die Musik an: „Solche Typen kriegst du mit freundlichem Fragen sowieso nicht.“, meinte er. „Und was willst du stattdessen machen?“, meinte Ben, der ebenfalls einen tiefen Schluck aus dem Glas nahm und seinen Kollegen fragend ansah. Der presste nur die Lippen ein wenig zusammen und nahm dann die hübsche Barkeeperin ins Visier. „Frech sein.“, meinte er lächelnd und winkte die Frau zu sich. „Hey? Ist der Chef schon im Büro? Er erwartet uns doch.“, meinte der junge Polizist. Die Frau schien zuerst ein wenig perplex zu sein, hatte ihr Chef doch keinen Besuch angekündigt. Im Büro war er allerdings trotzdem und im ersten Affekt nickte sie. „Ja… aber er hat…“, begann sie unsicher, doch Kevin kam ihr zuvor: „Uns nicht angekündigt? Wir sind auch nicht angekündigt, aber wir haben was wichtiges zu besprechen. Es geht um…“, einen kurzen Moment blickte er rüber zu Ben, und sein Lächeln wurde zu einem überlegenen Grinsen. „Sagen sie ihm, es geht um André Fux.“

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen


    <3

  • Kerlers Club 19:30 Uhr

    Die Musik der tanzenden Frauen hämmerte dumpf nach, als sich die Tür zu einem langen Gang hinter Kevin und Ben schloß, die den Club von den weiteren Räumen abgrenzte. Kevins frecher Bluff hatte tatsächlich funktioniert. Die Dame hinter der Bar hatte nur ein kurzes Gespräch geführt am Telefon, bevor sie einfach irgendwelche Männer in die privaten Räume des Geschäftsführers entließ. Kerler gab sich zwar zunächst überrascht über den unangekündigten Besuch, ließ die beiden dann aber doch hereinbitten. Er wusste zwar, dass er André unter Kontrolle hatte, aber weitere Infos konnten ja nicht schaden… egal von wem sie kamen.
    Ben war etwas mulmig zu Mute, als die beiden Polizisten vor der Tür standen und hereingebeten wurden. Keine Security, keine Gorillas die die beiden abtasteten… in Kerlers Büro saß nur Kerler selbst hinterm Schreibtisch, vor dem zwei Stühle standen, das Fenster war abgedunkelt, obwohl es draussen sowieso bereits stockdunkel war. Auf der Couch, die etwas abseits stand, saß ein etwas jüngerer Mann, vielleicht in Kevins Alter. Er sah markant aus, trug schwarze Lederhosen und hatte ein Piercing an der Augenbraue, über der schwarz gefärbte Haare hingen. Man hätte ihn ein wenig für einen neumodischen Gothic-Rock-Sänger halten können, der die beiden Polizisten, besonders aber Kevin argewöhnisch betrachtete. Kevin belegte ihn nur kurz mit einem Blick, bevor die beiden Polizisten sich auf die Stühle setzten, auf die Kerler gebeten hatte. „Nun, meine Herren… was können sie für mich tun?“, fragte er mit einem leicht umspielten Lächeln um die Mundwinkel. Sein Gesichtszüge waren erst entglitten, als Kevin und Ben in den Raum traten, doch der Gangster behielt sich im Griff. Natürlich hatte er die zwei erkannt… es waren die beiden Autobahnbullen, die er mit Hilfe der beiden kleinen Sch.lampen schon fast im Sack hatte, bis André und dieser Gerkhan dazwischen kamen. Unwohlsein breitete sich in Kerlers Magengegend aus… die beiden waren nicht wegen des Überfalls hier. ‚Ganz ruhig, Stefan‘, bedachte er sich selbst. ‚Solange du den anderen Bullen hast, werden die nach deiner Pfeife tanzen.‘

    Ben sah kurz zu Kevin rüber, der sich im Stuhl zurückgelehnt hatte und das rechte Bein über dem linken kreuzte. Kevin war in seinem Element, er war die Ruhe selbst, keine Anzeichen von Angespanntheit, während sein Kollege Ben ein wenig nach vorne gebeugt und stocksteif auf dem Stuhl saß. Er machte sich unglaubliche Sorgen um Semir, und wollte den Typ am liebsten am Kragen packen und Informationen aus ihm rausprügeln. Kevin begann zu reden, schließlich war es seine Idee, einfach hier ins Büro zu latschen. „Wir möchten ihnen ein Geschäft vorschlagen.“, meinte der Polizist ganz ruhig, und der stille Beobachter auf der Couch registrierte sofort, dass sich die beiden Polizisten nicht ganz einig waren. Bei Kevins Satz schnellte Bens Blick in Richtung seines Partners… was hatte Kevin bloß vor? Kerler nickte unmerklich. „Ein Geschäft?“ Sein Gegenüber nickte, während er aus seiner Manteltasche eine Zigarette fischte, und diese ansteckte. Kerler schob Kevin über den Schreibtisch einen Aschenbecher hin, was dieser aber ignorierte indem er die erste Asche auf den Boden fallen ließ. Ben enpfand die Stimmung zum Schneiden eng, den Kerlers Augen verengten sich ein wenig. „Sie haben etwas, was wir wieder haben wollen, und wir haben im Gegenzug etwas, was sie gerne haben wollen.“, sagte Kevin, bevor er nochmal tief an der Zigarette inhalierte. Sein Gegenüber schaute Kevin durch den blauen Dunst an, den Kopf auf die gefalteten Hände ein wenig gestützt. Kevin wollte André gegen Semir austauschen… oder zumindest mal diesen Austausch vortäuschen. Beide gingen davon aus, dass Kerler es in erster Linie auf André abgesehen hatte. Ben war einerseits empört, dass sein Kollege, immerhin ein Polizist, um Menschenleben verhandelte. Doch in erster Linie kam es Semir zu Gute… doch Ben war nicht überzeugt, dass André zu ihrer Seite gehörte. Er rutschte nervös auf dem Stuhl hin und her. „Und woher wollen sie wissen, dass sie etwas haben, woran ich interessiert bin?“ Der Blickkontakt zwischen Kevin und Kerler war dick wie ein Schiffstau, und nichts hätte ihn unterbrechen können. Es war, als ob einer der beiden tot umgefallen wäre, wenn jemand die Augen gesenkt hätte. „Ein Mitarbeiter ist kein guter Mitarbeiter, wenn er zur Gegenseite überläuft.“, half Kevin dem Mann hinterm Schreibtisch auf die Sprünge und machte somit deutlich, dass die Polizei bereits mehr wusste als der Verbrecher sich vorstellte. Ben wurde klar, dass Kevin solche Verhandlungen nicht zum ersten Mal führte und sein Gemütszustand besserte sich nicht… im Gegenteil. Sein Kollege spielte mit dem Feuer.
    Der Polizist schaute sich im Raum um, und sein Blick fiel zunächst an einige Bilder an der Wand, dann auf den Kerl auf der Ledercouch. Der Blick aus den blau-weißen Augen fast gruselig, den er hebte sich von den pechschwarzen Haaren, die über sein Gesicht hingen ab. Doch der Blick galt nicht Ben, er war durchgängig auf Kevin gerichtet, was Ben noch mehr beunruhigte.

    Kerler grinste. „Sie denken also wirklich, ich wäre hinter André Fux her?“ Nun war es Kevin, dem etwas mulmig wurde. Bluffte Kerler? Oder war er tatsächlich nicht hinter André her? Der Mann hinter dem Schreibtisch erhob sich lächelnd und überheblich, und schlenderte um den Schreibtisch herum, bis er neben Kevins Stuhl stand. Er sagte leise, aber überdeutlich: „Ich bin an ihrem Deal nicht interessiert. Ich habe was ich möchte, und sie haben nichts… gar nichts.“ Kevin biss sich innerlich auf die Zunge, er hatte sich verzockt. Ein Deal wäre ganz einfach gewesen, man hätte André überredet und dann zugeschlagen. Wollten die Gangster wirklich Semir? Warum, weshalb? Ben krallte die Hände in die Lehnen des Stuhls und sah nun zu Kerler, der vielleicht noch einen Meter von ihm weg stand. „Was wollen sie von Semir?“, fragte er knurrend und Kevin senkte den Blick. Kerler grinste nun überlegen. „Das weiß ihr Partner ganz genau… und sein ehemaliger Partner André Fux… weiß es auch.“ Ben’s Atem wurde schneller. „Und wenn nicht, werden wir Herrn Gerkhan zeitnah dran erinnern.“
    Das war zuviel für Ben. Wie von der Tarantel gestochen sprang der Polizist auf, packte Kerler am Kragen und drückte ihn gegen eine Wand. „Ich mach sie fertig, wenn sie mir nicht sofort sagen, wo sie Semir versteckt haben!!“, brüllte Ben Kerler ins Gesicht. Kevin musste zurückrücken, damit Ben nicht über ihn fiel und der seltsame Kerl auf der Couch machte überhaupt keine Anstalten seinem Chef zu helfen. „Selbst wenn sie mit der gesamten Kavallerie anrücken… sie werden ihm nicht helfen können. Er hat sich vor 14 Jahren mit den falschen Leuten angelegt.“, sagte Kerler seelenruhig und Bens Blut begann zu kochen. Er fühlte sich hilflos, machtlos und er wusste dass es nichts bringen würde, und es nur zu Semirs Schaden sein würde, wenn er Kerler jetzt verprügelte. Er war in Vorteil, er hatte Semir irgendwo versteckt… und er und Kevin hatten nichts… gar nichts. Er spürte Kevins Hand auf seiner Schulter, der leise sagte: „Komm, wir gehen.“ Bens Verstand befahl, dass der den Kragen losließ, auf wenn sein Herz zur Attacke blies… doch Ben hörte auf den Verstand.
    Kurz bevor die beiden Polizisten an der Tür waren, hörten sie Kerlers Stimme, der sie sich kurz nochmal umdrehten. „Merken sie sich eins: Es ist ungesund, die Höhle des Löwen zu betreten… wenn man weder Waffen hat um den Löwen zu töten, noch Argumente die den Löwen überzeugen, sie am Leben zu lassen.“ Wenn Blicke töten könnten, hätte Ben Kerler in diesem Moment umgebracht.

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  • Kerler’s Club – Ausgang – 20:00 Uhr

    Mit einem mulmigen Gefühl waren die beiden Polizisten den Flur wieder entlang gegangen. Das Gehämmer der Musik wurde langsamer wieder klarer und lauter, es sprang die beiden Männer quasi an als sie die Tür zum Clubraum wieder öffneten. Die ganze Zeit rechnete Kevin damit, dass sich gleich von hinten zwei Kleiderschränke auf sie stürzten, doch nichts passierte. Völlig unbehelligt verließen sie den Club, die eisige Kälte der Nacht krallte sich sofort in die Haut ihrer Gesichter. Ben war schweigsam, aber er ging mit schnellen Schritten zielstrebig zum Dienstwagen. „Tut mir leid.“, meinte sein Kollege etwas zerknirscht. „Das lief nicht so, wie ich es geplant hatte.“ Kevin hatte gehofft, dass Kerler tatsächlich hinter André her war, und er ihn mit diesem Deal überzeugen hätte können. Ben allerdings war mit den Gedanken bereits woanders, als er die Fahrertür seines Wagens öffnete. „Komm!“, rief er und winkte den jungen Kollegen zu sich. Kevin blieb unschlüssig zwischen den beiden Dienstwagen stehen und schaute herüber. „Na los, komm!“, rief Ben erneut, schlug ungeduldig aufs Dach seines Wagens und ließ sich dann hereingleiten. ‚Was war denn jetzt los?‘, fragte sich der junge Polizist. Er wurde von der Arbeit endlich wieder abgelenkt, in solchen Momenten verschwendete er fast keine Gedanken an seine Schwester, Drogen oder Alkohol. Der Braschensand knirschte unter den Schuhen, als er zu Bens Wagen herüberging und auf der Beifahrerseite entstiegt.

    „Was ist denn jetzt los?“, fragte er verwundert und neugierig, als Ben den Wagen startete. „Ich habe das Bild einer alten Industrieruine gesehen. In Kerlers Büro!“, meinte Ben und schwang Hoffnung in seiner Stimme mit. Kevin begann zu verstehen. „Du meinst, wenn dieses Gebäude Kerler gehört…“ „…dann finden wir dort auch Semir. Genau.“, beendete Ben Kevins Gedanken und fuhr rückwärts vom Parkplatz herunter. „Na dann, gib Gas!“, meinte der junge Polizist auf dem Beifahrersitz, als sein Kollege das Gaspedal durchdrückte und mit quietschenden Reifen davonraste.
    „Aber verstehst du das? Warum will sich Kerler oder dieser Horn an Semir rächen?“, fragte Kevin, der die komplette Story von damals natürlich nicht kannte. Ben sah geradeaus in die Dunkelheit, und in seinem Kopf arbeitete es. Semir hatte ihm irgendwann viel darüber erzählt. Was Berger verbrochen hatte… Andrés vermeintlicher Tod… dass er Berger erschossen ha… Moment! Ben krachte mit aller Kraft auf die Bremse, die Reifen verbissen sich in den Asphalt und Kevin konnte das Trägheitsgesetz nur überwinden, in dem er sich mit den Händen am Armaturenbrett abstützte. „Bist du bescheuert?“, rutschte es empört aus Kevin heraus, als seine Arme sich wieder entspannten und er in den Sitz zurückfiel. „Semir hat damals Berger erschossen.“, meinte Ben mit großen Augen, als wäre ihm gerade der Stein der Weisen erschienen. „Entweder will Horn sich für Berger an Semir rächen…“, stammelte er und sein Blick bewegte sich langsam von Kevin weg, der zu ihm herüberschaute. „Oder?“, versuchte der ihm auf die Sprünge zu helfen. „Oder, Berger lebt…“, vollendete Ben seine Überlegungen. Kurze Stille erfüllte das Wageninnere, bis der junge Kommissar auf dem Beifahrersitz die Worte wieder fand. „Einer müsste das wissen…“, meinte er vielsagend.


    Versteck – 20:45 Uhr

    Der schlimmste Feind war die Zeit. Natürlich wünschte sich Semir nicht, dass jemand pausenlos auf ihn einprügelte, ihn beleidigte oder einer Folter unterziehe… aber wenn doch wenigstens jemand hier wäre. Wenn wenigstens Licht wäre. So hatte der türkische Polizist schnell das Gefühl für Zeit verloren. Seine Augen hatten sich zwar bereits an die Düsterheit gewöhnt, doch trotzdem war es so dunkel, dass er immer nur Schemen von etwas erkennen konnte. Lag da hinten in der Ecke ein Spaten, oder eine Hacke? Was stand da genau auf dem Regal? Wenn er sich doch nur irgendwie bewegen könne, doch die Fesseln, die sich immer mal wieder in sein Fleisch schnitten waren erbarmungslos. Seine Gedanken weilten längst nicht mehr bei den Verbrechern, bei André oder Carlos Berger… auf die restlichen Fragen bekam er hier im Versteck, alleine, sowieso keine Antworten. Er musste warten bis… was war das?
    Semir saß auf einmal ganz starr, nachdem er gerade in einen kurzen Wipp-Rhythmus übergegangen ist. Er hatte etwas gehört. Ein leises Knarzen war zu seinem Ohr gedrungen, und entwickelte sich jetzt zum Trappeln. Kam da jemand? War vielleicht jemand im Raum. Semir drehte den Kopf so weit er konnte, doch so sehr er sich anstrengte, er konnte nichts erkennen. Jetzt war wieder Ruhe, die Muskeln entspannten sich, doch das Trippeln begann von neuem. Das konnte kein Mensch sein, die Schritte viel zu schnell und zu leise. Als Semir plötzlich einen Kontakt am Knöchel spürte, zog er reflexartig die Füße an. Ein leises Piepsen fand den Weg in seinen Gehörgang, und die Maus trippelte im Galopp wieder unter das Regal. „Oh Mann…“, seufzte Semir. Eine Maus hatte ihn aufgeschreckt und nervös gemacht. Darüber musste er, trotz seiner äusserst unangenehmen Situation, lachen.

    Doch nur einige Minuten später hörte Semir schon wieder ein Geräusch, dass er vorher nicht hörte. Diesmal war das Knarzen nicht in seinem Raum, sondern über ihm. Diesmal war es deutlicher, viel langsamer, und hörte sich wie Schritte an. Der Polizist saß wieder atemlos da, und hörte genau hin.
    Die Schritte waren langsam und vorsichtig, als tastete sich jemand durch die Dunkelheit. Manchmal hob die Person die Füße nicht ordentlich hoch, es schlurfte. War jemand hier? Vielleicht sogar Ben und Kevin? Oder André…? Oder aber kehrten die Typen zurück, doch warum schlichen die durch die obere Ebene. Sollte Semir rufen, damit sie ihn fanden… falls es jemand war, der ihn überhaupt suchte? Er presste die Zähne aufeinander, die Schritte schritten quer über seinen Kopf hinweg in Richtung der Tür, und damit des Flures. Hoffentlich lag am Ende des Flures die Treppe, dann war die Person, w er auch immer es war, zumindest auf dem richtigen Weg.

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    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

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    Wie sie.


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