N´est-ce pas de deux! - Tanz auf dem Drahtseil!

  • Während Ben immer noch schlief,hatte Semir inzwischen wieder sein Bett aufgesucht.Auch wenn er es nicht wahrhaben wollte-diese Aktion hatte ihn sehr mitgenommen.Lieber hätte er die Schmerzen selber ausgehalten,als zuzusehen und zu hören,wie jemand anderem,der ihm nahestand,weh getan wurde.Als er allerdings seinen Blick zum Nebenbett wandte und Bens entspannten Gesichtsausdruck wahrnahm,der selig schlief und anscheinend gerade gar keine Schmerzen hatte,dann war er doch froh und glücklich,dass es so abgegangen war.Wie ihm der Arzt auch schon erklärt hatte-es wäre sicher nicht besonders gut für Ben gewesen,wenn er wieder Opiate gekriegt hätte und die Sache mit dem Entzug dann von vorne losgegangen wäre.


    Also schnappte sich Semir ein Buch,das ihm Andrea mitgebracht hatte und begann zu lesen.Er kam normalerweise eher selten zum Lesen,denn der Alltag forderte seinen Tribut,aber so versank er in kürzester Zeit in der packenden Handlung des Buches und fand erst wieder in die Realität zurück,als die Schwester das Mittagessen brachte.
    Gedankenverloren legte Semir das Buch auf dem Nachtkästchen ab und dann spürte er plötzlich intensive Blicke auf sich.Er sah zum Nebenbett und tatsächlich musterte Ben ihn wortlos. „Hey!“ sagte er,als er gewahr wurde,dass Semir nun nicht mehr mit seiner Lektüre beschäftigt war.Semir grinste ihn an. „Ertappt!“ sagte er-ich habe gerade völlig die Realität hinter mir gelassen und bin gerade mitten in der Südsee-nach einem Schiffbruch auf einer einsamen Insel gestrandet!“ setzte er erklärend hinzu.Nun war es an Ben zu grinsen. „Ja,das habe ich an deinem Baströckchen schon gesehen!“ setzte er feixend nach und nun musste auch Semir laut lachen. „Nun stell dir das mal vor-wir beide beim Hula-Tanzen!“ prustete er los und nun musste auch Ben herzhaft mitlachen.


    Wenig später wurde Ben wieder von zwei Pflegekräften in den Mob-Stuhl gesetzt und vertilgte mit Genuss sein Mittagessen.Keine störenden Schläuche mehr an Bauch und Oberschenkel-wie geil fühlte sich das an! Heute konnte er schon problemlos sein Besteck halten und war sogar schneller fertig,als Semir. „Wie in alten Zeiten!“ bemerkte der und wagte kaum zu hoffen,dass die Normalität bald wieder Einzug halten würde.


    Kurz vor der Besuchszeit-Ben sass immer noch ganz zufrieden in seinem Stuhl,kamen plötzlich zwei Pflegerinnen ins Patientenzimmer und schalteten Semirs Monitor ab.Sie lösten die EKG-Kleber und erklärten ihm: „Herr Gerkan,wir brauchen dringend ihren Bettplatz für einen akuten Notfall.Sie werden jetzt auf Normalstation verlegt.“ Bevor sie sich versahen,wurde Semirs Bett auf den Flur gebracht,der Bettplatz desinfiziert und ein neues Bett mit einem Akutpatienten wurde hineingeschoben.Ben kam überhaupt nicht mehr dazu,irgendwas zu seinem Freund zu sagen,so schnell war der weg.
    Ben konnte schon eine ganze Weile nicht mehr gut sitzen,aber er getraute sich nicht,das jemandem mitzuteilen,denn hinter dem inzwischen vorgezogenen Vorhang zum Nachbarbett wurde eifrig reanimiert.Anscheinend ging es dem Patienten daneben sehr schlecht.Atemlos lauschte Ben auf die Worte,die die Ärzte und Pfleger sich zuriefen.Immer wieder wurden Medikamente angefordert,neue Maschinen und Geräte zur Tür hereingefahren,aber anscheinend besserte sich der Zustand seines neuen Mitpatienten in keiner Weise.Irgendwann-Ben hatte schon jegliches Zeitgefühl verloren und sass nur noch geschockt und still in seinem Stuhl,da ertönte die ruhige Stimme des Arztes: „Todeszeitpunkt: 13.46 Uhr.Ben war nun fix und fertig.Natürlich hatte er in seinem Berufsleben schon Menschen sterben sehen,sogar seine Hand hatte schon die Waffe geführt,die einen anderen das Leben gekostet hatte,aber das hier war etwas anderes.Überdeutlich wurde ihm die Endlichkeit seines eigenen Seins vor Augen geführt.Er begann laut zu schluchzen und die Schwestern,die bisher ihren Fokus auf den Patienten im Nachbarbett gerichtet hatten,erinnerten sich nun wieder an ihn. „Herr Jäger,wir bringen sie jetzt wieder in ihr Bett!“ kündigten sie an und bevor Ben sich versah,lag er auch wieder darin. „Ich weiss,das war jetzt schlimm für sie,aber der Mann neben ihnen war 92 Jahre alt und ist beim Sonntagsspaziergang umgefallen.Wenn das kein Segen ist,so abtreten zu dürfen,dann weiss ich auch nicht!“ versuchte ihn die eine Schwester zu trösten,die nebenbei seinen Rücken noch mit Franzbranntwein abrieb.
    Ben schluchzte nur noch lauter und sagte ganz verloren:“Semir soll kommen!“ bevor er sich die Decke über den Kopf zog.

  • Semir war in der Zwischenzeit von zwei Schwestern der Normalstation abgeholt und auf sein neues Zimmer gebracht worden.Sein neuer Bettnachbar war ein junger Mann,der eine Herzoperation wegen eines angeborenen Herzfehlers hinter sich gebracht hatte.Er war sehr nett und sie freundeten sich gleich ein wenig an,aber Semir machte sich eigentlich eher Sorgen um Ben.Die Verlegung war dermassen überraschend gekommen,dass er gar nichts mehr gesagt hatte und er hatte den alten Mann gesehen,der mit Windeseile an ihm vorbei in sein altes Zimmer gefahren worden war.Der sah sehr krank aus.Ihm war klar gewesen,dass er so gut,wie es ihm wieder ging,die längste Zeit auf der Intensivstation gewesen war,aber er hatte das Gefühl,Ben nun im Stich zu lassen.Dieser Aufbruch war dermassen überhastet geschehen,sie hatten sich gar nicht verabschieden können und er wollte Ben doch noch soviel sagen.Gut,sobald sich die Möglichkeit ergab,würde er seinen Kollegen besuchen,aber erst mal packte er seine Tasche,die auf einem Schrank auf der Intensiv auf ihn gewartet hatte,aus und zog sich normale Sachen an.Mann war das ein Hochgefühl,endlich nicht mehr im hinten offenen Flatterhemd,sondern in T-Shirt und Sporthose herumzulaufen,ohne störende Kabel,oder sonstige Beeinträchtigungen.


    Er zückte sein Handy und tatsächlich,er hatte eine Verbindung nach draussen,was auf der Intensiv wegen der abgeschirmten Wände nicht möglich gewesen war.Er rief als Erstes Andrea an. „Schatz,stell dir vor,ich bin auf Normalstation,mir geht es gut und die haben den Platz auf Intensiv gebraucht.Das heisst,du könntest nachher die Mädels mitbringen,wenn du mich besuchen kommst!“ erklärte er und als er das Indianergeheul im Hintergrund hörte,als Andrea das seinen Töchtern mitteilte,stiegen ihm vor Rührung fast die Tränen in die Augen.Wie freute er sich darauf,endlich seine Kinder wiederzusehen und nachdem auf der Normalstation ja keine festen Besuchszeiten vorgegeben waren,versprach Andrea sich sofort auf den Weg zu machen. „Mit den Hausaufgaben von Ayda wird das vorher sowieso nichts mehr,denn die kann sich jetzt nicht mehr konzentrieren,bevor sie den Papa nicht gesehen hat!“ erklärte sie und Semir freute sich sehr,dass er nun nicht mehr lange warten musste.


    Er begann ungeduldig auf die Tür zu sehen und während er Smalltalk mit seinem Zimmerkollegen betrieb,der aber auch schon bald entlassen werden würde,wie er ihm mitteilte,rückte der Zeiger der Uhr weiter und weiter und plötzlich flog die Tür auf und seine zwei Racker stürzten sich auf ihn und fielen ihm um den Hals.Er drückte sie fest an sich und küsste sie gerührt.Als Lilly ihn mit ihren Patschhändchen umarmte und ihm einen dicken,feuchten Kuss auf den Mund gab,kamen ihm gleich die Tränen vor Rührung. „Lilly geh weg,du tust dem Papa weh,schau mal er muss schon weinen!“ sagte Ayda entrüstet und zog ihre Schwester ein wenig vom Vater weg. „Nein,nein,es tut kaum mehr weh,Ayda,der Papa weint,weil er sich so freut!“ erklärte nun Semir seiner Grossen.Die nickte verständig und wollte nun genau wissen,wo der Papa operiert worden war.Nachdem die Wunde gut aussah und zwar die Fäden noch drin waren,aber kein Pflaster,ausser auf der Thoraxdrainageneinstichstelle seinen Brustkorb zierte,schob Semir sein Shirt hoch und zeigte seinen Kindern die Narbe.Die waren ganz beeindruckt und Lilly wollte wissen,ob das wirklich nicht aua täte und rückte gleich ein Stückchen vom Papa ab,so unheimlich war ihr die Operationsnarbe,die sich etwa 30cm lang vorne auf der Brust präsentierte.


    Andrea,die bisher auch nur den Verband gesehen hatte,erschauerte,als sie so ganz nah den Beweis dafür sah,wie knapp es für Semir gewesen war.Es hätte gut passieren können,dass sie heute Witwe wäre,denn nur das beherzte Eingreifen der Ärzte und auch Semirs robuste Gesundheit hatten es ermöglicht,dass er heute so kurz nach diesen schrecklichen Erlebnissen schon wieder mit seinen Kindern schäkern konnte.
    Nachdem die Kinder ihm nun lauter in ihren Augen wichtige Sachen mitgeteilt hatten,überwiegend auch von den Ballettstunden,kam endlich Andrea zu Wort.Zärtlich küsste auch sie ihren Mann und teilte ihm ein paar familiäre Neuigkeiten mit.Dann wollte sie wissen: „Und,wie kommt Ben damit zurecht,dass du nicht mehr bei ihm bist?“ Semir flog ein Schatten übers Gesicht. „Andrea,ich weiss nicht.Das ging alles so rasant schnell,ich konnte mich gar nicht verabschieden,aber ich würde schon gerne nach ihm sehen!“ sagte er. „Würdet ihr mich begleiten?“ fragte er.
    „Allerdings dürfen die Mädchen ja nicht mit rein,also müsstet ihr eine kleine Wartezeit in Kauf nehmen.Ich würde aber ganz schnell machen!“ beteuerte er und Andrea musste grinsen.Na klar,nach ihr und den Kindern war Ben für Semir einer der wichtigsten Menschen in seinem Leben und sie konnte es verstehen,dass er sich Sorgen machte. „Ist gut,wir kommen mit!“ beschloss sie und schon machten sie sich auf den Weg.Semir lief den Flur vor,aber womit er nicht gerechnet hatte war,dass er es einfach noch nicht schaffte,so weit zu laufen.Im Bett hatte er sich wie ein King gefühlt,aber bei Belastung brach ihm nach kürzester Zeit der Schweiss aus und seine Knie begannen zu zittern.Eine Schwester,die gerade um die Ecke bog,reagierte sofort und holte aus einem Geräteraum einen Rollstuhl,in den sie Semir platzierte. „Herr Gerkan,was soll denn das? Sie sind gerade mal eine Stunde von der Intensiv runter und muten sich schon so viel zu!“ tadelte sie ihn und Semir musste ihr Recht geben.Er hatte sich überschätzt und wollte jetzt nur noch zurück in sein Bett.Als er schweratmend und schweissgebadet wieder darin lag,überlegte er,wie er nun zu Ben kommen sollte.


    Andrea,die besorgt mitgekriegt hatte,dass Semir einfach noch nicht so belastbar war,machte nun ihrerseits einen Vorschlag. „Ich schaue mal kurz nach Ben und sage dir dann Bescheid,wie es ihm geht.Morgen fahre ich dich dann mit dem Rollstuhl auf die Intensiv,da bringe ich aber dann die Kinder nicht mit,ist das ein Vorschlag?“ fragte sie und Semir nickte.Das war anscheinend die beste Lösung.Er hätte nicht erwartet,dass er noch so wenig belastbar war,aber er musste es einfach akzeptieren.Er hatte zwar auch schon eine grosse Sehnsucht nach seinem Partner,aber der war ja schliesslich auch ein erwachsener Mann und kein kleines Kind mehr,das an Mamas Rockzipfel hing.Während Semir die Kinder beaufsichtigte,machte sich Andrea auf den Weg zur Intensivstation.

  • Ben hatte sich in der Zwischenzeit unter seiner Zudecke vergraben und versuchte einfach auszublenden,dass da neben ihm ein Toter lag.Ach wenn er nur jemanden gehabt hätte,der ihn ein wenig ablenkte,aber obwohl er mit dem Rücken zum Nebenbett lag,hörte er,wie erst alle Schläuche und Kabel von dem Verstorbenen entfernt wurden.Zwei Schwestern richteten den alten Mann soweit,dass er annehmbar aussah und man die Angehörigen hereinbitten konnte.Das Zimmer füllte sich dann mit Menschen,die weinten und sich leise über den Verstorbenen unterhielten.Obwohl er schon so alt gewesen war und seine Kinder teilweise selbst schon um die siebzig waren,war er ein wichtiger Teil seiner Familie gewesen und hinterliess jetzt eine grosse Lücke.Ben versuchte sich regelrecht unter seiner Zudecke zu verstecken und nicht zuzuhören,aber er konnte trotzdem nichts dagegen machen,dass seine Schultern zuckten und er fix und fertig war.


    Eine der Schwestern sah nach ihm,denn die unwillkürlichen Bewegungen brachten immer wieder seinen Monitor zum Alarmieren.Sie fragte ihn leise: „Geht’s ihnen nicht gut,Herr Jäger? Haben sie Schmerzen,oder was ist los?“ Ben schüttelte stumm den Kopf und wies mit dem Finger zum Nebenbett. „Ich weiss,dass das belastend für sie ist,Herr Jäger,aber wir haben leider keine andere Möglichkeit.Ich rede mal mit dem Arzt und komme dann gleich wieder zu ihnen!“ kündigte sie an und kam wirklich kurz danach wieder,mit einer kleinen Spritze in der Hand,die sie in seinen ZVK entleerte. „Das wird ihnen gut tun,so kommen sie ein wenig zur Ruhe!“ sagte sie und Ben merkte,wie ihm erst ein wenig schwindlig wurde und dann eine bleierne Müdigkeit von ihm Besitz ergriff und ihn die Augen schliessen liess.Die Schwester wartete noch kurz und liess ihn dann in Ruhe schlafen.Nach und nach gingen die Angehörigen des Toten und die Schwester zog das Laken nun auch über dessen Gesicht.Allerdings musste der Leichnam noch zwei Stunden nach seinem Tod liegen bleiben,bis der Arzt die zweite Leichenschau vorgenommen hatte,um ordnungsgemäss den Totenschein auszustellen zu dürfen und konnte erst danach zu den Kühlfächern im Keller gebracht werden.


    Ben war nicht völlig weg und schlief einen unruhigen,von Alpträumen unterbrochenen Schlaf.Als Andrea draussen an der Intensivtür läutete,kam die Schwester zu ihr heraus und erklärte ihr,dass man Ben leider hatte sedieren müssen,weil er psychisch mit der Intensivsituation nicht zurecht gekommen war.Andrea durfte zwar kurz zu ihm herein,aber auch sie sah voller Entsetzen den zugedeckten Körper im Nebenbett.Oh Gott,der arme Ben-das war sicher ganz furchtbar für ihn gewesen.Sie trat zu ihm und legte tröstend die Hand auf seine Schulter und er öffnete auch kurz die Augen,aber anscheinend hatte er keine Ahnung,was gerade los war und schlief nach kurzer Zeit unruhig weiter.Schweren Herzens machte sich Andrea wieder auf den Rückweg und beschloss,Semir nicht exakt zu beschreiben,was sie vorgefunden hatte.Sonst wäre ihrem Mann zuzutrauen,dass er sich ,obwohl es ihm selber noch schlecht ging,sofort auf den Weg zur Intensivstation machte und dann einen Rückfall bekam.
    Andrea ging mit langsamen Schritten zur normalen herzchirurgischen Station zurück und als Semir sie fragend ansah,bog sie die Wahrheit ein wenig zurecht,um ihn zu schützen. „Ben hat geschlafen,als ich gekommen bin und ist auch gar nicht wach geworden!“ erklärte sie ihm.Semir nickte. „Na ja,morgen kann ich ihn dann ja besuchen und er braucht sicher noch viel Schlaf,um sich zu erholen!“ sinnierte er und seine Frau nickte zustimmend.


    Andrea packte die Mädchen ein,die sich von ihrem Papa verabschiedeten,der ihnen versprochen hatte,nach seiner Entlassung mit ihnen in den Zoo zu gehen und brach nach einer liebevollen Umarmung auf.
    Semir,den der Besuch gleichermassen gefreut,wie angestrengt hatte,schloss ebenfalls die Augen und machte bis zum Abendbrot ein kleines Nickerchen.

  • Undeutlich nahm Ben in mitten seiner Alpträume wahr,wie erst der Arzt kam und etwas im Zimmer machte und dann das Bett neben ihm hinausgefahren wurde.Der Bettplatz wurde wieder saubergemacht und aufgerüstet,aber irgendwie war Ben völlig wirr.Als wenig später das Abendbrot kam und ihn die Schwestern herausmobilisieren wollten,schüttelte er nur erschöpft den Kopf. „Ich kann nicht,ich bin so furchtbar müde!“ murmelte er und schloss gleich wieder die Augen.Gerade zu ein paar Schlucken Tee konnte ihn die Pflegekraft überreden.Bei der nächsten Blutgaskontrolle kam prompt die Quittung.Weil im Liegen die ja immer noch angegriffene Lunge nicht ausreichend belüftet wurde,war es das schlechteste Gas seit der Dekanülierung.


    Nach Rücksprache mit dem Arzt entschieden sich die Schwestern dafür,mit Ben eine maschinelle Atemgymnastik durchzuführen.Um es ihm angenehmer zu machen,bekam er momentan nur eine Maske auf die Nase aufgesetzt und ein kleines Beatmungsgerät wurde so eingestellt,dass die Bronchien durch erhöhte Drücke erweitert werden sollten.
    Ben wurde angewiesen,durch die Nase ein und durch den Mund auszuatmen,aber irgendwie kriegte er das durch seinen verwirrten Zustand nicht auf die Reihe.Deshalb wurde ihm wieder,wie bevor er überhaupt intubiert worden war,eine komplette Maske aufs Gesicht geschnallt.Darunter war es heiss,eng und roch unangenehm.Mehrfach riss Ben sie herunter,weil er das Gefühl hatte,es vor Platzangst nicht mehr auszuhalten.Dann wurde er geschimpft und das blöde Ding wieder auf seinem Gesicht festgeschnallt.Bens Verzweiflung nahm immer mehr zu.Irgendwie hatte er überhaupt keine Lust mehr zu kämpfen und sich anzustrengen.Nach einer unendlich scheinenden Zeit wurde die Atemgymnastik beendet und als er völlig verschwitzt darunter herauskam,wurde er noch kurz heruntergewaschen,durfte seine Zähne putzen und schlief dann einen normalen Schlaf,der nicht mehr von Medikamenten beeinflusst wurde.


    Es war kaum 22.00,da machte man plötzlich ein helles Licht an und erneut wurde ein Bett neben ihn gefahren.Er erhaschte einen Blick auf eine zierliche junge Frau um die dreissig,die intubiert war und irgendwie sehr krank aussah.Wie am Nachmittag begann eifriges Schaffen neben ihm und Ben wartete wieder angstvoll darauf,dass irgendjemand einen Todeszeitpunkt verkündete.Er kam sich vor wie ein Schicksalsengel,der schwarze Strahlen aussandte und allen Mitpatienten-na ausser Semir vielleicht-Unheil bescherte.


    Immer wieder kamen andere Ärzte und dann wieder Maschinen,Eingriffswagen und Techniker.So gegen 2.00 nachts kehrte langsam Ruhe ein,die Menschen verliessen so nach und nach den Raum und das grelle Licht wurde gegen ein gedämpftes eingetauscht.Ben hatte sich zwar ein wenig zusammengerollt,aber an Schlaf war natürlich nicht zu denken,bei der ganzen Unruhe.Zwischendrin sah die Nachtschwester,die ihn betreute,immer mal wieder um den Vorhang herum zu ihm und fragte,ob er was zur Beruhigung wollte,aber Ben schüttelte stumm den Kopf.Er war froh,das er wieder einigermassen klar in der Birne war,so ein Teufelszeug,das ihm wilde Träume bescherte,brauchte er nicht mehr!


    Während mehrere Maschinen neben ihm ihre typischen Geräusche machten,die Ben irgendwie vertraut vorkamen,wurde der Ehemann der Patientin hereingeführt.Obwohl Ben ja nicht indiskret sein wollte,aber er bekam trotzdem mit,was dem Ehemann erzählt wurde und aus dem Gesagten schloss er daraus,dass die junge Frau jetzt ebenfalls an eine ECCMO angeschlossen war,allerdings,warum auch immer,an einem arteriell-venösen Bypass.Die Schwester und der Arzt liessen den Ehemann mit seiner Frau und Ben alleine und Ben hörte den Mann,der etwa in seinem Alter war,leise schluchzen.Er räusperte sich und fragte dann mit belegter Stimme: „Was fehlt ihrer Frau?“ Überrascht schob der Mann den Vorhang ein wenig zur Seite,um zu schauen,wer da gefragt hatte.Ben erhaschte einen Blick auf die junge Frau,die überall verkabelt an vielen Maschinen hing und der Ehemann erklärte ihm bedrückt: „Meine Frau hatte eine schwere Grippe und plötzlich ist sie zusammengebrochen und konnte auch nicht mehr richtig atmen.Man hat sie intubiert und hierher gebracht.Jetzt wurde festgestellt,dass sie eine Herzmuskelentzündung hat und in höchster Lebensgefahr schwebt.Sagen sie selbst,sowas kann man doch gar nicht überleben? Ich habe ja noch nie gehört,dass es sowas wie ne Eccmo überhaupt gibt und die machen mir hier sicher nur was vor und sie wird in Kürze sterben! Wir haben drei kleine Kinder daheim,ich weiss überhaupt nicht,wie es weitergehen soll.Dieses Gerät,das anscheinend so ähnlich wie ein Kunstherz wirkt,sei ihre einzige Chance,aber ich kenne niemanden,der sowas schon überlebt hat!“ erklärte er Ben völlig verzweifelt.Der überlegte kurz und sagte dann ruhig: Doch,sie kennen ja jetzt mich.Ich wurde auch mit diesem Gerät versorgt und habe ein Lungenversagen deshalb überlebt!“


    „Dann besteht vielleicht doch noch Hoffnung!“ sagte der Mann,der bereit war,nach jedem Strohhalm zu greifen. „Ich denke schon!“ antwortete Ben und versuchte dann doch noch ein wenig die Augen zu schliessen und zur Ruhe zu kommen.

  • Unbewusst bemerkte er,wie der Mann ein wenig später das Zimmer verliess und bekam noch ein Stündchen Erschöpfungsschlaf,bevor die Schwestern wieder ihre Runde machten und die Frau neben ihm vorsichtig lagerten.Draussen war der Morgen angebrochen und nun starrte Ben an die Decke,lauschte auf die Geräusche der Maschinen und schreckte jedesmal zusammen,wenn ein Perfusor piepte und dann ausgetauscht wurde,oder eine Infusion leer war und das der Infusomat laut kundtat.Als die Tagschicht zur Übergabe ins Zimmer kam,war er wie gerädert.


    Der Pfleger,der dieses Zimmer übernahm,sah schon,dass sein Patient psychisch sehr mitgenommen war.Er überlegte sich,wie er ihn erstens aus dem Bett und zweitens auf andere Gedanken bringen konnte. „Wie wärs mit einer Dusche,Herr Jäger?“ fragte er und Ben nickte erstaunt mit dem Kopf. „Das wäre toll,aber geht das denn schon,ich kann doch noch gar nicht alleine stehen?“ überlegte er.Der Pfleger wischte seine Einwände beiseite. „Keine Sorge,wir sind da schon darauf eingerichtet!“ erklärte er und begann auch gleich Bens Kabel zu lösen und die Infusionen und die Arterie abzustöpseln.Dann holte er einen sogenannten Duschstuhl aus Kunststoff und mobilisierte Ben erstmal an den Bettrand.Dann half er ihm beim Umsetzen und Ben war selber erstaunt,wie gut das eigentlich schon klappte.Nur mit seinem Flatterhemd bekleidet gab ihm der Pfleger ein paar grosse Handtücher zum Halten und bis sich Ben versah,wurde er schon über den Flur zur Dusche gefahren.Dort entfernte der Pfleger noch die verklebten Verbände an Oberschenkel und Leiste,was Ben ein lautes Stöhnen entlockte. „Tut mir leid,aber für diese infizierten Wunden ist es das Allerbeste,wenn wir sie mit klarem Wasser ausspülen,dann können die am optimalsten heilen!“ erklärte ihm der Pfleger und Ben nickte etwas gequält.Es war so schön,wenn der Schmerz nachliess!


    Ben wurde gründlich im Sitzen geduscht,seine Wunden ausgespült und die Haare gewaschen.Obwohl die Wundspülung schon wehtat merkte Ben,wie seine Lebensgeister durch das prasselnde Wasser zurückkehrten.Ausserdem hatte er zum ersten Mal seit langer Zeit sein Intensivzimmer verlassen.Er wurde abgetrocknet,gleich in der Dusche noch die Verbände erneuert und mit einem frischen Hemd bekleidet trat er den Rückweg in sein Zimmer an.Als er an der jungen Frau vorbeigefahren wurde,sah er sie mitleidig an-Mann,drei kleine Kinder zuhause und nun so krank! „Meinen sie,sie wird’s schaffen?“ fragte er den Pfleger.Der wiegte den Kopf hin und her. „Ich weiss nicht,wir tun unser Bestes,aber das muss eine höhere Macht entscheiden!“ sagte er wahrheitsgemäss.Ben schossen nun vor Mitleid doch ein paar Tränen in die Augen. „Wenn neben mir noch jemand stirbt,ich glaube,ich könnte es nicht ertragen!“ sagte er leise und der Pfleger nickte nachdenklich,während er Ben in den Mobilisationsstuhl umsetzte und das Frühstück servierte.
    Der Pfleger hatte draussen mit dem Stationsarzt gesprochen und auch gleich nach der Dusche eine arterielle Blutgaskontrolle vorgenommen.Obwohl Ben keinen Sauerstoff mehr bekommen hatte,waren die Werte um Welten besser,als am Vortag.Als nun wenig später die grosse Visite kam,traten sie erst an Bens Stuhl,bevor sie sich der jungen Frau widmeten. „Herr Jäger,wie ich sehe,geht es ihnen heute sehr gut und sie kommen schon ohne Sauerstoff zurecht.Möchten sie uns gerne verlassen und auf die normale Station gehen?“ fragte der Chefarzt und Ben nickte ganz überwältigt.


    „Gut,wir versuchen ein schönes Zimmer für sie zu bekommen und werden sie im Laufe des Vormittags verlegen!“ sagte der Arzt und Ben war im Moment nur noch glücklich,dass er von hier wegkam.Nachdem die grosse Visite weitergezogen war,durfte er noch seine Zähne putzen,mit dem Langhaarschneider selber mit Handspiegel seinen Bart kürzen und wurde dann vom Pfleger ins Bett gebracht.
    „Es dauert jetzt noch ein bisschen,weil der Arzt noch den Verlegungsbrief schreiben muss und wir die pflegerische Verlegung vorbereiten müssen,aber im Laufe des Vormittags dürfen sie dann auf die Normalstation!“ kündigte der nette Pfleger an,während er auch noch den arteriellen Zugang aus dem Unterarm entfernte und einen Druckverband anlegte und Ben machte noch kurz die Augen für ein Morgennickerchen zu.

  • Semir hatte in der Nacht gut geschlafen.Obwohl er es sich nicht eingestehen wollte,aber die Geräuschkulisse auf der Intensivstation war doch sehr wenig schlaffördernd gewesen und er hatte die Ruhe sehr genossen.Nach dem Frühstück wurde seinem Zimmergenossen mitgeteilt,dass er nach Hause dürfe und der rief sofort freudestrahlend seine Freundin an,die ihn auch kurz darauf abholte.Zum ersten Mal seit langem war Semir wieder alleine,was er aus vollen Zügen genoss.Er zog in Erwägung,doch einen Versuch zu starten,Ben auf der Intensivstation zu besuchen,aber erstens war er sich nicht so sicher,ob er den Weg dorthin schon schaffen konnte und zweitens wusste er nicht,ob er ausserhalb der Besuchszeit dort überhaupt reindurfte.So sah er ein wenig fern und ruhte sich aus,bis plötzlich die Tür geöffnet und ein Bett hereingefahren wurde.


    Neugierig sah Semir auf die fahrbare Liegestatt,um zu erkennen,was für einen neuen Bettnachbarn er bekommen würde und als das Bett nun gedreht wurde und ihm ein bekanntes Gesicht entgegengrinste,fiel er vor Überraschung aus allen Wolken. „Mensch-was machst du denn schon hier,ich dachte,du seist noch viel zu krank,um auf Normalstation zu kommen!“ sagte er überwältigt zu Ben,der vor Freude gar nicht mehr aufhören konnte,zu grinsen. „Na ja,ich habe mich eben mit dem Gesundwerden beeilt!“ antwortete der glücklich und liess dann die Aufnahmeformalitäten der Normalstation über sich ergehen.Die Schwester hatte Bens Tasche abgestellt und als sie beginnen wollte,diese auszuräumen,erbot sich Semir das zu übernehmen.So hatte Ben in kürzester Zeit sein Handy incl. Ladekabel am Nachtkästchen und Semir hatte auch eine kurze Sporthose und ein Shirt hergerichtet,war sich aber nicht sicher,ob Ben das wegen der verbliebenen Schläuche schon anziehen durfte.


    Als kurz darauf das Mittagessen serviert wurde und die beiden eine identische Mittagsmahlzeit bekamen,erhellte sich Bens Gesichtsausdruck.“Mann,ich war fast dem Hungertod nahe!“ feixte er,während ihm die Schwester half,sich an den Bettrand zu setzen.Obwohl es ihn schon noch anstrengte,konnte er den Rumpf auch ohne Stütze stabil halten und nach dem Essen legte er sich auch schon wieder alleine zurück.Als das Geschirr abgeräumt wurde,war ein Grossteil der Infusionen durchgelaufen und so wurde nur noch eine einzige Infusionsflasche mit Vollelektrolytlösung angehängt und die anderen ZVK-Schenkel abgestöpselt. „Wenn sie bis morgen ganz normal essen können und die Medikamente als Tabletten vertragen,ziehen wir das Ding heraus!“ vertraute ihm die Schwester an,während sie ihm half,das T-Shirt und die kurze Hose anzulegen.
    Lediglich der Schlauch des Blasenkatheters musste noch durch das Hosenbein gefädelt werden,aber sonst fühlte sich Ben endlich wieder halbwegs wie ein Mensch.


    Er erzählte Semir von seinen Erlebnissen seit dem gestrigen Tag und der schüttelte verständnisvoll den Kopf. „Puh,das hätte mir auch zugesetzt,wenn neben mir jemand gestorben wäre und die junge Mutter tut mir auch leid,genauso wie deren Mann und die Kinder,aber da können wir beide leider nichts machen,sondern uns lediglich freuen,dass die Frau dank moderner Medizin wenigstens eine Chance hat.Wenn wir alle miteinander vor 100 Jahren gelebt hätten,würden auch wir, denke ich, nicht mehr hier sitzen und uns unterhalten können!“ sinnierte er nachdenklich und Ben konnte nur zustimmend nicken.Er rief noch Julia an und teilte ihr mit,dass er endlich auf Normalstation war und dann machten die beiden Helden bis zur Besuchszeit noch ein kleines Nickerchen.

  • Als Andrea an die Tür klopfte und ein zweistimmiges „Herein!“ ertönte,meinte sie ihren Ohren nicht zu trauen.Aber freudestrahlend begrüsste sie dann erst Ben und dann Semir,der deshalb eine Schnute zog und maulte: „Ja,ja,kaum ist der Herr wieder halbwegs genesen,wird er schon bevorzugt behandelt!“ und unter allgemeinem Gelächter bekam nun auch er eine angemessene Begrüssung.Andrea hatte einen Kuchen gebacken,den die Kinder noch liebevoll mit Zuckerguss und Smarties verziert hatten und natürlich bekam auch Ben ein grosses Stück davon ab.Wenig später füllte sich das Zimmer.Irgendwie hatte die halbe PASt,als sie von Andrea gehört hatten,dass Semir auf Normalstation war,beschlossen,ihn heute zu besuchen und alle waren natürlich freudig überrascht,als sie den Patienten im Nebenbett erkannten.So gab man sich die Klinke in die Hand.


    Als die Schwestern beim nächsten Durchgang Ben in einen bequemen Stuhl setzten,konnte er schon recht gut hinstehen.Er merkte selber,wie die Kräfte zurückkehrten und war deswegen sehr glücklich.“Heute Abend probieren wir noch ein paar Schritte laufen!“ kündigte die eine Pflegekraft an und Ben nickte hoffnungsvoll.Auch Julia stand plötzlich mit ihrem Peter vor ihm und küsste ihn liebevoll auf die Wange. „Papa kommt morgen,aber ich hätte es jetzt nicht mehr ausgehalten,ohne dich zu sehen!“ sagte sie herzlich und Ben lächelte glücklich.Unter angeregtem Geplauder wurde es Abendessenszeit und endlich waren Semir und Ben wieder alleine im Zimmer.Sie vertilgten ihr Abendbrot und nach dem Abräumen standen wie versprochen die Schwester und ein Krankengymnast mit dem Gehwagen vor Ben.Gemeinsam halfen sie ihm vom Stuhl aufzustehen,stöpselten den ZVK ab,stellten die Höhe der Handgriffe passend für ihn ein,hängten den Katheterbeutel an den Gehwagen und dann machte er unter Anleitung und gestützt von allen Seiten seine ersten Schritte.Er war zwar noch sehr schwach in den Knien und musste aufpassen,dass er nicht wegsackte,aber ein paar Schritte rund ums Bett gelangen und Ben war stolz wie Harry,als er wieder an der Bettkante sass.Hineinlegen konnte er sich selber und bis es Zeit für die Nachtruhe war,sahen Semir und Ben noch fern,bis ihnen die Augen zufielen.
    In dieser ruhigen Nacht schlief Ben wie ein Stein und sammelte neue Kräfte für sein im Augenblick allererstes Ziel: Dem Gesundwerden.


    Am nächsten Morgen erwachten beide erfrischt und nachdem Semir sich fertiggemacht hatte,konnte Ben heute tatsächlich schon mit dem Gehwagen zur Dusche laufen und als die Schwester ihm noch half und mit Plastikschürze bekleidet die Wunden ausspülte,war sie positiv überrascht,wie sauber die schon aussahen.Kurzerhand holte sie eine Spritze,entblockte seinen Blasenkatheter und zog ihn heraus. „Das Ding brauchen sie nicht mehr,sie können jetzt zur Toilette mit Hilfe laufen und nach dem Frühstück frage ich noch den Arzt,ob wir den ZVK auch entfernen dürfen,dann sind sie einfach freier.Ausserdem birgt jeder Schlauch auch ein Infektionsrisiko,das müssen wir auch bedenken!“ erklärte sie ihm und Ben nickte dazu.Klar,das war nachvollziehbar,ausserdem legte er mit Sicherheit keinen Wert darauf,weiterhin wie der Hofhund an der Kette auf irgendwelche Schläuche aufpassen zu müssen.Gleich in der Dusche wurden seine Verbände noch erneuert,er putzte sich die Zähne und aus dem Spiegel sah ihn ein zwar noch blasser,aber deutlich positiv gestimmter Ben an,der hoffnungsvoll in die Zukunft blickte.

  • Wie erwartet waren nach dem Frühstück die behandelnden Ärzte bei der grossen Morgenvisite positiv überrascht von den Fortschritten ihrer Patienten. „Nachdem auch bei uns-wie überall-die Betten knapp sind,werden wir eine zügige Verlegung in eine passende Rehaeinrichtung anstreben!“ erklärte der Oberarzt,der die Visite leitete. „Später wird sie jemand vom Sozialdienst wegen der diesbezüglichen Formalitäten aufsuchen.Herr Jäger,ihren ZVK werden sie nachher noch los und ich denke Anfang der kommenden Woche können sie beide das Krankenhaus verlassen.“
    Die Visite zog weiter und zurück blieben zwei sprachlose Polizisten.Immerhin war es bereits Donnerstag und dass sie dermassen schnell entlassen werden würden,hätten die beiden nie erwartet.


    Wenig später kam ein junger Stationsarzt zu Ben und bat ihn,den Kopf zur Seite zu drehen.Er löste das Pflaster,sprühte Desinfektionsmittel auf die Cavaeinstichstelle und schnitt mit einer feinen Schere erst einmal die Fäden auf,mit denen Bens letzter Katheter angenäht war.Ben hielt die Luft an,aber bevor er sich versah,war der Schlauch herausgezogen und im Abwurf entsorgt.Kurz drückte der Arzt noch auf die Einstichstelle mit einer Kompresse und dann klebte er ein kleines Pflaster darauf.Natürlich hatte er den ZVK zuvor noch gemustert,ob er vollständig war,aber nun war auch Ben von allen Anhängseln befreit.Der atmete erleichtert aus-er hatte schon wieder das Schlimmste befürchtet,aber seine Sorge war völlig unbegründet.


    Heute trainierte Ben sich selber,denn nach der Blasenkatheterentfernung musste er ständig zur Toilette und nachdem es ihm immer zu lange dauerte,bis auf sein Läuten jemand kam,konnte er bis Mittag,mit Hilfe seines Gehwagens,alleine raus und rein,ohne dass seine Knie zitterten. „Das haben die sicher nur deswegen gemacht,damit ich schneller mobil werde!“ beschwerte er sich und Semir musste grinsen. „Hättest du das Ding lieber behalten wollen,vielleicht sogar mit nach Hause nehmen,weils so praktisch war?“ feixte er und bis er sich versah,hatte er Bens kleines Kissen um die Ohren,der das mit schon erstaunlicher Kraft geworfen hatte.Er schmiss es zurück und die beiden mussten lachen und kamen sich vor,wie zwei Teenager auf Klassenfahrt.
    Nach dem Mittagessen ruhten sie sich noch ein wenig aus und als sie ziemlich gleichzeitig ein Stündchen später erwachten,sagte Semir „Ich glaube,das mit dem Mittagsschlaf behalten wir bei.Ich werde mal mit der Chefin reden,ob wir in unserem Büro zwei Feldbetten aufstellen könnten!“ und schon wieder brachen beide in prustendes Gelächter aus.Die ganze Anspannung,die Ängste und die Schmerzen der vergangenen Wochen lösten sich mit diesen kleinen Albereien auf und auch ohne psychologische Betreuung halfen sie sich so gegenseitig,ihre Erlebnisse zu verarbeiten.


    Nachmittags kam Konrad und war völlig von den Socken,wie gut gelaunt und fit sein Sohn nach diesen Geschehnissen schon wieder wirkte.Als wenig später die Sozialarbeiterin zu ihnen kam,um die Auswahl der Rehaeinrichtung zu besprechen und die Anträge auszufüllen,sagte er kurz entschlossen: „Haben sie auch irgendwas Exclusives,wo man vielleicht zuzahlen muss,was aber einen besonders guten Ruf hat?“ und die Sozialarbeiterin nickte überrascht.Gemeinsam suchten sie aus einer Liste eine wunderschöne Rehaeinrichtung,100km von Köln entfernt, heraus und Konrad versprach,für Ben und Semir die entstehenden Zusatzkosten zu übernehmen.
    Als sich Bens Vater wenig später verabschiedete,sagte Semir ein wenig zweifelnd zu Ben: „Meinst du,ich kann das annehmen? Du weisst,für uns wäre es unmöglich diese Zusatzsumme aufzubringen!“ aber Ben beruhigte ihn. „Semir du weisst,dass sich mein Vater gerne von Verpflichtungen freikauft.Ihm ist auch klar,dass ich ohne dich nirgendwo hingehen würde und so ist das eine logische Konsequenz für ihn,auch die Kosten für dich mitzuübernehmen.Ihm tut es nicht weh-das kann ich dir versichern-und wir beide müssen dann wohl keine Angst davor haben,wieder einer Schwester Ina in die Hände zu fallen!“


    Nun mussten die beiden grinsen und schwelgten kurz darauf in Erinnerungen und auch Vorfreude. „In so einer teuren Kureinrichtung sind sicher nur die hübschesten und nettesten Schwestern und Physiotherapeutinnen zu finden!“ malte sich Ben aus und Semir warnte ihn: „Sag bloss zu diesem Thema nichts zu Andrea,die lässt mich sonst nicht dorthin! Du kannst dir ja ruhig nen Kurschatten zulegen,aber ich bin froh,wenn ich so bald wie möglich wieder fit werde und zu meiner Familie nach Hause komme!“


    Wie auf Kommando öffnete sich die Zimmertüre nach einem kurzen Klopfen und Ayda und Lilly stürmten herein.Mit Iautem Lachen begrüssten sie ihren Papa und dann bekam auch Ben einen feuchten Kuss von seinem Patenkind Lilly.Ayda erzählte begeistert von ihren Fortschritten im Ballett und Semir und Ben versprachen,bei der Weihnachtssoiree zuzusehen und laut Beifall zu klatschen,wenn sie ihre Hauptrolle tanzte.Als eine Stunde später Andrea mit den Mädchen wieder ging,drehte sich Ben zu seinem Freund. „Semir weisst du was? Das Leben hat uns wieder!“ sagte er.

  • Wie geplant verliessen Semir und Ben am kommenden Dienstag das Krankenhaus,um in die Rehaklinik gebracht zu werden.Semir war am Wochenende schon für mehrere Stunden beurlaubt worden und hatte zuhause die Sachen,die er mitnehmen wollte hergerichtet.Er war irgendwie ganz fremd in seinem eigenen Haus,so lange hatte er es schon nicht mehr betreten.Nach dem Kofferpacken und einem gemütlichen Nachmittagskaffee fuhren Andrea und er noch zu Bens Wohnung,die von dessen Putzfrau mustergültig aufgeräumt und frisch gelüftet worden war. „Whow,so sauber habe ich Bens Wohnung noch nie erlebt!“,staunte Semir,während er die Dinge zusammensuchte,die Ben ihm auf einem Zettel notiert hatte.


    Für seinen Kollegen wäre es einfach noch zu anstrengend gewesen,selber zu packen,er würde noch einige Zeit brauchen,um zu Kräften zu kommen.Auch Bens Koffer wurde vorbereitet und so stand einer erfolgreichen Reha nichts mehr im Wege.
    Die beiden erlebten drei sehr erfolgreiche Wochen in der hervorragenden Klinik,die sehr individuell auf ihre Bedürfnisse einging,aber je mehr die Kräfte der beiden zurückkehrten,desto eher sehnten sie sich wieder auf die Autobahn und den Alltag mit den Kollegen in der PASt zurück.


    Deshalb führte nach ihrer Rückkehr-Andrea hatte die beiden abgeholt-der erste Weg in die PASt.Gerührt begrüssten sie ihre Kollegen,die sich aufgeregt um sie scharten und ihnen erzählten,was während ihrer Abwesenheit passiert war. „Der Arzt in der Reha hat bei der Abschlussuntersuchung gemeint,dass wir in zwei Wochen wieder arbeiten dürften!“ teilte Ben seinen Kollegen und der Chefin aufgeregt mit.Kim Krüger sagte feierlich: „Meine Herren,ich freue mich,sie wieder zurück begrüssen zu dürfen-die Aufklärungsquote ist in ihrer Abwesenheit stark zurückgegangen,während der Fahrzeugbestand sich erholt hat!“ und dann mussten alle gemeinsam losprusten.Als sie schon kurz vor dem Gehen waren,zog Ben die Chefin noch kurz zur Seite. „Ich wollte mich bei ihnen noch vielmals für ihren Beistand nach dem Überfall und überhaupt dafür bedanken,dass sie mir das Leben gerettet haben.Wenn sie nicht so schnell reagiert hätten,würde ich heute nicht vor ihnen stehen-und wenn ich ihnen ihre schicke Jacke ersetzen könnte,würde ich mich freuen!“
    Die Chefin sah ihren Hauptkommissar mit offenem Mund an-hatte er doch alles registriert,was nach Karls Attacke geschehen war.Anscheinend auch,dass sie seine Blösse bedeckt hatte.Sie räusperte sich:“Gern geschehen,sie hätten doch dasselbe für mich auch getan!“ erwiderte sie und Ben nickte feierlich. „Auf weiterhin gute Zusammenarbeit und Chefin-sie sind in Ordnung!“ sagte er und ging mit Semir,der schon ungeduldig mit dem Schlüsselbund des BMW klimperte.
    Obwohl sie ja noch nicht im aktiven Dienst waren,durfte Semir sein Dienstfahrzeug mit Fahrtenbuch schon privat nutzen und so brausten sie einfach just for fun über die Autobahnen um Köln.


    Wenige Wochen später stand Weihnachten vor der Tür.Der Frost und der erste Schnee hatte Köln heimgesucht,aber das machte nichts,denn heute sassen die beiden Polizisten inmitten einer aufgeregt wispernden Menge im Zuschauerraum und erwarteten gespannt den Beginn der Weihnachtssoiree.
    Ayda erschien im wunderschönen Kostüm und tanzte ihre Hauptrolle in ihrer Klasse mit einer Insbrunst,dass Andrea und Semir Tränen in den Augen hatten.Selbst die kleine Lilly hatte schon eine kleine Einlage mit ihrer Purzelklasse,denn bei dieser Aufführung wurde jedes Kind,das in der Ballettschule Unterricht erhielt auf der Bühne in irgendeiner Form eingesetzt.So war geschickt ein fast zweistündiges Programm zusammengesetzt worden,das alle Elemente enthielt,die in der Schule unterrichtet wurden.Die wunderbaren Kostüme und die Freude der Mitwirkenden taten ein übriges und so verging wie im Flug die Zeit.Als sich die Kinder nach dem tosenden Abschlussapplaus verneigt hatten,flogen Ayda und Lilly zu ihren Eltern und Ben und wurden von denen nochmals in aller Form gelobt.Ben hatte die kleine Lilly auf dem Arm und die Anwesenden plauderten noch ungezwungen miteinander,so dass sie fast nicht bemerkten,wie Frau Neumann und Woodrow Thompson zu ihnen getreten waren.


    Sie begrüssten sich herzlich und jeder freute sich,dass es dem anderen wieder so gut ging. „Dank ihnen darf ich nun hier stehen und eine wunderbare Mitteilung machen!“ sagte Woodrow feierlich. „Ich bin der neue Besitzer der Ballettschule,Frau Neumann hat sie mir letzte Woche verkauft.Für mich ist ein Traum wahr geworden und mir ist völlig klar,dass ich das ohne die detektivischen Meisterleistungen der Polizei nicht erleben hätte dürfen.Als kleinen Dank schenke ich ihnen,Familie Gerkan, den Unterricht für das zweite Kind.Egal wie oft sie kommen wollen-sie bezahlen nur für eine Tochter den Beitrag.Auch Lilly macht uns viel Freude und ich könnte mir vorstellen,dass auch sie mal eine Hauptrolle tanzen könnte-was unserer Ayda ja schon mit Bravour gelungen ist!“ Er schenkte seiner Schülerin ein warmes Lächeln und Semir hätte schwören können,dass sie sofort um 5 cm gewachsen war,nach diesem Lob.


    Frau Neumann bedankte sich ebenfalls und vertraute ihnen an,dass sie schon eine mehrmonatige Kreuzfahrt gebucht hatte,um die letzten Monate mit ihren Schicksalsschlägen zu vergessen.Nach einer herzlichen Verabschiedung zogen sich die Kinder um und Ben lud alle noch zum anschliessenden Mittagessen ein.So verging der wunderbare Sonntag und als Semir und Ben am nächsten Morgen wieder im Dienstfahrzeug Streife fuhren,waren sie sich einig,dass das Leben es wert war,darum zu kämpfen.
    Während sie mit geübten Blicken den Verkehr musterten,gab Susanne eine Fahndungsmeldung durch und bis sie sich versahen,rasten die beiden mit Blaulicht im Höchsttempo einem flüchtigen Verkehrssünder nach.Semir sah kurz zu Ben hinüber und lächelte. „Weisst du was,das wahre Glück liegt doch im Alltag!“ sagte er philosophisch und trat das Gaspedal durch.


    ENDE

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