Wenn ein Tag zur Ewigkeit wird

  • Hey Leute,


    ich werde die Fan Fiktion jetzt noch einmal von vorne einstellen. Aber ab der letzten Stelle dann wieder normal weiter posten!


    Ich hoffe ihr feedet dann weiterhin fleißig nach dem ganzen durcheinander hier in den letzten Tagen? Ich hoffe doch. :)


    Viele Grüße, Lotti


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    „Du musst das nicht tun, Ben. Du musst nicht mutig sein.“

    Das waren Semirs Worte gewesen.

    Doch Ben hatte es trotzdem getan.

    Und jetzt würde er sterben.


    Manchmal hast du keine Wahl. Manchmal gibt es Dinge, die du tun musst. Dinge, die du tun musst, weil es richtig ist. Manchmal muss man mutig sein. Mutig, obwohl man Angst hat. Mutig, obwohl man weiß, dass man alles verlieren kann. Mutig, obwohl man weiß, dass man sterben wird.




    Es war August. In Köln war es heiß; die Sonne knallte vom Himmel. Und es war Mittwoch. Ein Mittwoch, den weder Ben noch Semir jemals vergessen würden. Dass es auf nichts Gutes herauslaufen würde, als Ben bei dem Versuch einen LKW besonders „elegant“ zu überholen seinen Mercedes gegen einen Brückenpfeiler setzte, das war den Beiden schon klar, denn Frau Krüger hatte ihnen nur Stunden zuvor allzu deutlich gemacht welche Konsequenzen „auch nur ein einziger, klitzekleiner Kratzer“ (und dabei hatte sie mit der Faust auf den Tisch gehauen) haben würde. Der kleine Kratzer am Kotflügel des Mercedes war angesichts der zerbeulten Motorhaube und der zersprungenen Windschutzscheibe allerdings ihr kleinstes Problem. „Ich glaub‘ da können selbst die bei Carglass nichts mehr machen.“, kommentierte Ben trocken und wischte sich ein paar Scherben von der Hose. Semir warf ihm einen schrägen Blick zu. „Was ist Ka-Glas?“, fragte er verwirrt, aber Ben tat die Sache mit einem Schulterzucken ab. „Nichts was uns jetzt besonders helfen würde.“, erklärte er grinsend und warf einen prüfenden Blick aufs Funkgerät, was zu seiner Erleichterung allerdings nicht mehr funktionstüchtig wirkte. Semir folgte seinem Blick. „Ich glaube, wir sollten die nächsten Stunden lieber nicht erreichbar sein.“, schlug er vor. Ben nickte zustimmend. Es war erst neun und der Chefin schon so früh am Morgen ihren ersten schrottreifen Wagen zu beichten, das hielt keiner der Beiden für eine gute Idee. Frau Krüger hatte allerdings – wie fast immer – trotzdem irgendwie Wind von der Sache bekommen, denn nur eine halbe Stunde später schlichen die beiden Cops reumütig in Richtung ihres Büros. „Super.“, murmelte Semir und schlenderte betont langsam auf die Tür zu. Ben, der kurz stehen geblieben war um Susanne heute einmal besonders freundlich zu begrüßen, sah auf. „Du kannst ja schon mal vorgehen.“, schlug er hoffnungsvoll vor. „Ja klar!“, schnaubte Semir. „Soll ich vielleicht auch noch deinen Schreibtisch aufräumen und deine Bude putzen.“Ben zuckte grinsend mit den Schultern. „Klar, wenn du Spaß dran hast.“, lachte er und genehmigte sich noch einen Schluck Kaffee, bevor er Semir doch ins Büro der Chefin folgte. Dort wurden sie schon sehnsüchtig erwartet.


    „Gerkhan? Jäger?“ Das klang gar nicht gut. Diese betonte Freundlichkeit war nie ein gutes Zeichen und noch dieses Lächeln dazu… Ben warf Semir einen schnellen Blick zu, bevor er die Chefin mit seinem Hundeblick anblinkte. „Ja?“ Frau Krüger verdrehte bloß die Augen. „Setzten!“, befahl sie und die beiden Kommissare ließen sich ergeben auf die beiden Stühle fallen, auf denen sie schon die eine oder andere Standpauke über sich ergehen lassen mussten. Auch dieses Mal wurde es nicht anders als sonst. Von „ICH KANN NICHT GLAUBEN, DASS AUSGERECHNET SIE BEIDE SCHONWIEDER DEN NEUESTEN WAGEN ZU SCHROTT GEFAHREN HABEN!“ ging es über „DER POLIZEIPRÄSIDENT IST STINKSAUER! SIE BEIDE HABEN DIESEN MONAT SCHONWIEDER EINEN MILLIONENSCHADEN ANGERICHTET!“ bis zu „DAS WIRD KONSEQUENZEN HABEN!“ Ben machte sich einen Spaß daraus, die Sätze der Chefin mit den Lippen nachzuformen, was deren Wutanfall auch nicht gerade besänftigte und zu einem zwischengeworfenen „Jäger, finden Sie das etwa lustig?“ führte, dass Ben tatsächlich für kurze Zeit aus dem Konzept brachte. Semir musste grinsen und Frau Krüger warf auch ihm einen fuchsteufelswilden Blick zu, von dem Ben manchmal vermutete, dass sie ihn vorm Spiegel übte. Schließlich hatte sie fertig geschrien und lehnte sich schnaubend zurück, während Ben und Semir alle Mühe hatten betreten zu wirken und nicht in lautes Lachen auszubrechen. „Ich hab‘ da was ganz besonderes für sie.“, erklärte Frau Krüger und Ben bemerkte erleichtert, dass sie wenigstens nicht mehr schrie. „Sollen wir wieder Ihren Wagen putzen?“, schlug Semir hoffnungsvoll vor und fing sich einen vernichtenden Blick ein. „Damit Sie die Aufgabe wieder an Bonrath übertragen, der den Wagen eher dreckiger als sauberer macht?“, kommentierte sie trocken und Semir sah schuldbewusst auf den Boden – diese Frau bekam auch wirklich alles mit! „Nein, ich denke ich hab da was Besseres für Sie.“


    Triumphierend kramte sie eine Akte aus einem Stapel auf ihrem Schreibtisch und knallte sie auf die freie Tischfläche vor Ben und Semir. „Berufsberatung.“, erklärte sie grinsend. Ben legte den Kopf schräg. „Oh, wollen Sie uns feuern?“, fragte er scherzhaft und beäugte die Mappe skeptisch. „Nicht für Sie.“, schnappte die Chefin, die schon wieder ungeduldig zu werden schien. „Sie werden in die Oberstufe dieses Internats fahren und einen Haufen verzogener Teenager, deren Eltern alle so viel Geld haben, dass keiner von denen jemals arbeiten müsste, für den Beruf bei der Polizei begeistern.“ Semir sah nun ebenfalls auf und starrte unglücklich auf die Mappe. „Aber Frau Krüger –“, begann er verzweifelt. „Kann das nicht Jenny machen? Die versteht sich bestimmt viel besser mit Schülern und so.“ Frau Krüger verdrehte die Augen. „Nein! Das werden schön Sie Beide machen, haben wir uns verstanden? Sie werden um halb elf vom Direktor erwartet, also los. Ich will nicht, dass Sie zu spät kommen. Flyer sind hinten im Lager.“ Ben warf Semir einen schrägen Blick zu und begann hoffnungsvoll zu Lachen. „Aber Chefin – das ist doch jetzt ein Witz, oder? Die hören uns doch eh nicht zu!“ Frau Krüger schien es in den Schülern in diesem Fall gleichzutun, denn sie ignorierte Bens Einwand gekonnt und wandte sich einer anderen Akte zu. „Raus jetzt, ich hab zu tun.“, erklärte sie kalt. Die Beiden sahen sich kurz an, doch da war nichts zu machen. Widerwillig schnappte sich Semir die Mappe, die die Chefin ihnen auf den Tisch geknallt hatte und stand auf. Ben folgte ihm mit hängendem Kopf – so hatte er sich den Tag heute eigentlich nicht vorgestellt. „Super.“, murrte Semir, als er die Tür hinter sich geschlossen hatte und warf einen kurzen Blick auf die Uhr, die kurz vor zehn zeigte. „Wo müssen wir überhaupt hin?“, fragte Ben, der ebenfalls auf die Uhr gesehen hatte und nun – mit der Aussicht auf ein zweites Frühstück – auf eine Schule ganz in ihrer Nähe hoffte. Semir schlug die Mappe auf und überflog kurz das Blatt. „Düsseldorf.“, erklärte er grummelnd. „Internat Grafenberg.“ Ben starrte ihn an. „Was?“, fragte er perplex; das Brötchen, dass in seinem Kopf herumgeschwirrt war, sofort vergessen. „Internat Grafenberg in Düsseldorf; ‘ne Privatschule...“, wiederholte Semir genervt und überflog die Unterlagen. „Uhh, das Ding ist nicht gerade billig.“ Er pfiff einmal auf, als er den Preis sah. Aber Ben hörte ihm kaum zu, sondern starrte seinen Partner einfach nur an.


    ....

  • „Was ist los?“, fragte Semir, der Bens Schweigen nun doch aufgefallen war. „Das war meine alte Schule.“, erklärte Ben, immer noch perplex. „Da bin ich zur Schule gegangen.“, widerholte er noch einmal und jetzt sah auch Semir überrascht auf. „Was? In diesem Streber-Dings?“ Er schnaubte. „Mein Dad hat mich hingeschickt.“, erklärte Ben schnell. „Beste Schule in ganz Düsseldorf meinte er. Ich wollte nicht hin, aber…“ Ben zuckte nur mit den Schultern und starrte gedankenverloren auf die Mappe in Semirs Hand. Dieser sah seinen Partner interessiert an – Ben hatte nie viel von seiner Jugend erzählt. Wenn Semir so nachdachte, wusste er kaum etwas über Bens Schulzeit. „Und, war’s die beste Schule?“, fragte er deshalb nach, um das Gespräch am Laufen zu halten. Ben zuckte erneut die Schultern. „Ich schätz‘ mal wenn du später international Karriere machen willst schon.“, meinte er. „Ich hab mich da nie wohlgefühlt; lauter Spießer… es gab Schuluniform und alles!“ Ben schüttelte sich bei dem Gedanken und Semir musste grinsen: Ben in Schuluniform; das konnte er sich so gar nicht vorstellen. Doch bevor er die Sache kommentieren konnte, wurden sie von Frau Krüger unterbrochen, die ihren Kopf aus dem Büro steckte und den Beiden nur allzu deutlich klarmachte, dass sie besser jetzt sofort losfahren sollten. Semir und Ben beeilten sich nach draußen zu kommen und nahmen diesmal Semirs nagelneuen Wagen, der erst heute Morgen angekommen war. „Vielleicht kannst du die Kids ja überzeugen.“, schlug Semir vor, als sie schon auf der Autobahn waren. „Immerhin warst du ja auch da.“ Ben schnaubte. „Glaub‘ ich kaum. Die haben doch alle so ‘nen Alten zu Hause wie ich mit massig Kohle. Als ob auch nur einer von denen sich freiwillig irgendwo die Hände schmutzig machen würde – bei der Polizei oder sonst wo.“ Semir warf seinem Freund einen kurzen Blick zu. „Aber du bist zur Polizei gegangen.“, stellte er nüchtern fest. „Das ist was anderes.“, erklärte Ben stur ohne Semir anzusehen. „Ich hab‘ da nie reingepasst, verstehst du? Hab‘ mich immer mit allen angelegt – einmal wär‘ ich fast von der Schule geflogen.“ Er grinste, doch sein Ton war bitter bei der Erinnerung und Semir warf ihm einen interessierten Blick zu.


    „Was hast du gemacht?“, fragte er neugierig. Ben zuckte die Schultern. „Meinem Mathelehrer eine verpasst.“, erklärte er tonlos. Semir starrte ihn ungläubig an. „Du hast was?“, fragte er entsetzt. Ben schnaubte bloß. „Er hat mich nach vorne geholt, obwohl er genau wusste, dass ich die Aufgabe nicht konnte.“, erzählte er schließlich. „Das hab ich ihm dann auch gesagt und dann ist er wütend geworden.“ Ben sah auf den Boden; das Grinsen war aus seinem Gesicht verschwunden. „Er hat meine Hand gepackt und verdreht bis es geknackt hat.“ Er schluckte einmal. „Dann hab ich mit der anderen zugeschlagen.“ Semir sah Ben entsetzt an. „Er hat dir die Hand gebrochen?“, fragte er. „Aber dann hast du dich doch nur gewehrt.“ Ben lachte auf. „Als ob sich irgendjemand getraut hätte das zu sagen.“, meinte er bitter. „Und mir hat eh keiner geglaubt.“ Semir starrte ihn immer noch ungläubig an. „Aber – es haben doch alle gesehen! Das darf der doch gar nicht!“ Aber Ben winkte nur ab. „Ist schon okay, Semir.“, erklärte er leise, aber Semir schien mit dieser Ungerechtigkeit nicht halb so gut klarzukommen wie Ben. „Aber du hättest ihn anzeigen können, Ben. Das darf der nicht!“ „Ich weiß Semir.“, unterbrach Ben ihn laut und sah ihn hitzig an. „Aber es ist vorbei, okay? Das ist über fünfzehn Jahre her! Wir fahren da jetzt hin, labern unseren Text runter und fertig. Was irgendein Lehrer vor Jahren mal getan hat ist doch jetzt echt egal.“ Semir nickte nur. Er merkte, dass Ben nicht weiter darüber reden wollte – irgendwie konnte er das ja auch verstehen – doch es ließ ihn trotzdem nicht los.


    Es war mehr als ungerecht und die Tatsache, dass ausgerechnet Ben, der doch sonst immer so aufbrausend war wenn es irgendwo ungerecht zuging, das einfach so hinnahm, kam ihm schon irgendwie merkwürdig vor. Aber Semir wusste nicht, was auf dieser merkwürdigen Schule noch so alles abgegangen war und vielleicht wollte Ben es wirklich einfach nur vergessen. Im Prinzip hatte sein Partner ja Recht: Man konnte an der Sache eh nichts mehr ändern und sich jetzt – Jahre später – darüber aufzuregen brachte nun wirklich nichts. Ben war dankbar, dass Semir den Mund hielt. Es waren Erinnerungen, die er lieber vergessen hätte. Und außerdem wusste er, dass es größtenteils an seiner Sturheit gelegen hatte, dass der Lehrer damals einfach so davon gekommen war. Hätte Ben einfach offen gesagt was passiert war, anstatt den Mund zu halten um gegenüber seines Peinigers keine Schwäche zu zeigen, dann hätte er sich nicht nur ziemliche Schmerzen erspart sondern vermutlich auch den Lehrer drangekriegt. Doch anstatt einfach dem Direktor zu sagen, was wirklich passiert war, hatte er seine blaue Hand unterm Tisch versteckt und rebellisch erklärt, er könne den Lehrer einfach nicht leiden. Erst drei Tage später war seiner Deutschlehrerin – die Einzige, die ihn auch nur halbwegs verstanden hatte und die er immer sehr geschätzt hatte – seine blaue Hand aufgefallen und sie war es auch gewesen, die ihn anschließend ins Krankenhaus gefahren hatte. Wie es wirklich passiert war hatte er ihr nie gesagt. Denn Ben hatte damals eins gelernt: Lieber den Mund halten als Jemandem zu widersprechen, sonst gab es nur Ärger. Dieses Prinzip hatte er oft ausgenutzt um zu provozieren, aber die Sache mit dem Mathelehrer wollte er alleine mit ihm ausmachen ohne sich Hilfe zu holen. Er schreckte aus seinen Gedanken auf, als Semir den Wagen zum Stehen brachte. Neugierig sah Ben aus dem Fenster, doch das riesige Internat sah noch genauso aus wie früher: Ein altes Steingemäuer, dass sich weit in alle Richtungen erstreckte und fast an ein altes Schloss erinnerte. Die hohen Mauern zäumten den riesigen Hof ein auf dem Semir nun parkte. Alles war pingelig sauber und selbst die Hecken und Bäume waren aufs Blatt genau zugeschnitten. Trotz der Sonne wirkte das Gebäude kalt und abschreckend.


    Semir betrachtete die Schule ebenfalls skeptisch. „Na, das nenn ich mal einladend.“, kommentierte er trocken. Ben sagt nichts und fragte sich nur stumm wie er es bloß geschafft hatte die sechs Jahre, die er hier gewesen war, zu überleben. „Wollen wir rein?“, fragte Semir vorsichtig. Unsicher, wie Bens Stimmung war. „Haben wohl keine Wahl, oder?“, antwortete Ben bitter und fügte dann mit einem Grinsen hinzu: „Hättest du meinen Wagen nicht geschrottet, könnten wir jetzt auch bei McDonald’s sitzen.“ Erleichtert, dass Ben das Ganze offenbar mit Humor zu nehmen schien, beschloss Semir seinen Partner nicht darauf hinzuweisen, dass das mit dem Wagen diesmal eindeutig seine eigene Schuld gewesen war, sondern schlug bloß die Autotür zu und ging voran. Sie wurden von einer Art Portier empfangen – eine Tatsache, über die Semir zutiefst erstaunt schien, während Ben dem armen Mann einen mehr als unfreundlichen Blick zuwarf und ihn anfauchte er könne gerne stehen bleiben, sie wüssten selber wo es lang ginge. „Schon gut.“, stammelte dieser und warf Ben einen beinahe ängstlichen Blick zu. Dieser zwinkerte Semir kurz zu und führte ihn zielsicher durch die prächtige Eingangshalle auf eine geschwungene Steintreppe zu. Semir sah sich mit großen Augen um: Überall war Gold und Marmor, doch man sah dem Gebäude auch von innen sein Alter deutlich an. Es wirkte erdrückend und mehr wie in einem Museum als in einer modernen Schule. Ben schien das alles kaum wahrzunehmen. Er führte Semir durch ein wahres Labyrinth an Gängen bis sie nach nur wenigen Minuten vor einem prächtigen Portal zum Stehen kamen, dass den Raum dahinter mit goldenen Buchstaben als ‘Lehrerzimmer‘ auswies. Bevor Ben, der so aussah als wäre er beim Anblick von all dem Prunk in Stimmung die Tür einfach kurzerhand einzutreten, dies in die Tat umsetzten konnte, klopfte Semir schnell und erhielt auch sogleich ein kühles „Ja.“ als Antwort. Er warf Ben noch einen schnellen Blick zu, dann drückte er die Klinke herunter und betrat als erster das schmuckvoll eingerichtete Lehrerzimmer.


    .....

  • Ben folgte ihm stumm. Er war noch ziemlich überwältigt von der ganzen Sache, denn eigentlich hatte er fest eingeplant nicht noch einmal an diesen Ort zurückzukehren, mit dem er eigentlich nur negative Erinnerungen verband. Jetzt hier plötzlich doch so unvorbereitet aufzutauchen hatte ihm einen kleinen Schock versetzt von dem er sich erstmal erholen musste. Glücklicherweise war ihm die junge Lehrerin, die Semir nun misstrauisch beäugte, unbekannt. „Gerkhan, Kripo Autobahn.“, hörte er seinen Partner gerade erklären. „Das ist mein Partner; Ben Jäger.“ Die Miene der Frau hellte sich auf, doch die Unfreundlichkeit wich nicht. „Ah, Sie sind die Herren von der Berufsberatung.“, stellte sie kühl fest und reckte arrogant das Kinn. Ben war sich ziemlich sicher, dass sie sie wärmer empfangen hätte, wenn sie wüsste wer Bens Vater wäre. Doch in diesem Moment war er sehr erleichtert, dass sie ihn einfach nur für irgendeinen ärmlichen Beamten hielt, der ihrer Ansicht nach vermutlich weit unter ihrem Niveau lag. „Genau.“, bestätigte Semir, dem Ben mit jeder Sekunde mehr leid tat: Jetzt verstand er durchaus, warum Ben sich hier nicht wohlgefühlt hatte. „Sie gehen in die Klasse von Herrn Fritz.“, erklärte sie immer noch mit diesem arroganten Unterton. „Ich werde die Schulleitung informieren; warten Sie kurz hier.“ Und mit den Worten verschwand ihr strenger Dutt hinter der nächsten Tür und Ben und Semir waren alleine in dem großen Raum. „Nett.“, grinste Semir und sah Ben an, der plötzlich ziemlich blass wirkte. „Was ist los?“, fragte Semir vorsichtig. „Der Fritz war mein alter Mathelehrer.“, erklärte Ben und wirkte fast teilnahmslos dabei. Semir sah ihn besorgt an. „Der mit der Hand?“ Ben nickte bloß. Semir fand, dass er beinahe kränklich wirkte in dem kühlen Licht hier drin. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch in diesem Moment kam ihre freundliche Begrüßung gemeinsam mit einem alten Mann zurück, den Semir sofort als Direktor erkannte. Auch Ben hatte noch gute Erinnerungen an diesen Mann – hatte er doch nicht selten trotzig in dessen Büro gesessen. „Gülçan und Becker von der Polizei.“, erklärte die Frau ihm gerade leise, aber der Direktor schien ihr kaum zuzuhören – sein Blick war auf Ben gerichtet. „Gerkhan und Jäger.“, korrigierte Semir automatisch. „Ben Jäger?“ Der alte Mann trat näher und betrachtete Ben genauer. Dieser nickte bloß. „Herr Hohmann.“, meinte er trocken als Begrüßung und der Angesprochene nickte nur, während er nun langsam Bens Kleidung abscannte: Die Chucks; die Jeans mit den Löchern, das ausgewaschene T-Shirt, die Lederkette, … all das waren verbotene Gegenstände in seiner Eliteschule.


    „Wie ich sehe, haben Sie sich kaum verändert.“, erklärte er kühl und trat einen Schritt zurück um nun Bens Wuschel-Frisur näher zu betrachten. „Aber Polizei?“ Er schüttelte beinahe entsetzt den Kopf. „Jäger, wozu haben wir Sie ausgebildet? Für sowas?“ Abfällig zupfte er an Bens T-Shirt. „Immerhin sieht’s nicht aus, als hätte ich’s mir aus dem nächsten Museum geklaut.“, meinte Ben kühl und trat einen entschiedenen Schritt zurück, sodass Herr Hohmann ihn loslassen musste. „Und immer noch der alte Rebell.“ Er schnaubte kurz und warf Semir dann einen abschätzenden Blick zu. „Na, Sie waren wohl eher nicht hier.“, meinte er arrogant und Ben machte schon einen wütenden Schritt nach vorne, aber Semir hielt ihn zurück. „Nein und darüber bin ich ehrlich gesagt auch ganz froh.“, erklärte er kühl. „Wenn Sie jetzt so freundlich wären und uns die Klasse zeigen, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit, denn im Gegensatz zu Ihnen, arbeiten wir auch für unser Geld.“ „…und kriegen nicht mal ‘nen Zehntel von meinem Gehalt.“, murmelte der Direktor noch leise, aber Semir überging das. „Raum 107b. Ich denke Ben findet den Weg.“, erklärte er dann lauter. Ben warf ihm noch einen hitzigen Blick zu, aber Semir drängte ihn nach draußen. „Lass das, Ben, das bringt doch nichts!“, wisperte er und schloss die Tür hinter ihnen. „Hast du gehört, wie die reden?“, fauchte Ben wütend. „Ja, aber wenn du denen jetzt eine reinhaust kriegst du bloß Ärger. Hör‘ doch einfach nicht hin.“ Aber Ben riss sich los, als Semir ihn beruhigend am Arm berührte. „Sechs Jahre hab‘ ich einfach nicht hingehört!“, schrie er wütend. „Ich hasse sie! Ich hasse diese ganze Scheiße hier, verstehst du? Als ob die besser wären als du! Als ob die auch nur halb so…“ Er schnaubte vor Wut und ließ den Satz in der Luft hängen. „Ben, mir ist es egal, was die über mich sagen.“, erklärte Semir ruhig. „Und in drei Stunden bist du wieder raus hier, okay? Bleib einfach im Hintergrund; ich rede, ja?“ Ben starrte ihn noch einen Moment wütend an, dann zuckte er die Schultern und die Anspannung in seinem Körper löste sich. „Schön.“, meinte er und ging voran in die oberste Etage des fünfstöckigen Gebäudes.



    Während man weiter unten noch vereinzelte Unterrichtsgeräusche gehört hatte, war es hier oben ganz still. Nur vom Ende des Ganges hörte man leises Gemurmel. Ben ging zielstrebig auf die Tür zu. ‘Raum 107b‘ stand daran. ‘Herr Fritz‘ darunter. Ben blieb kurz stehen und Semir warf ihm einen schnellen Blick zu. „Okay?“ Ben nickte und klopfte selber. Augenblicklich wurde es still hinter der Tür und nur Sekunden später öffnete Bens alter Mathelehrer die Tür. Er hatte sich kaum verändert. Seine Haare waren damals schon grau gewesen; jetzt waren sie vielleicht etwas dünner und noch heller geworden, doch die strenge Frisur war die Gleiche und auch die Brille schien noch dieselbe wie vor fünfzehn Jahren zu sein. Selbst der altmodische Anzug, den er trug, kam Ben irgendwie bekannt vor. Er starrte die Beiden an und wie auch beim Direktor blieb sein Blick an Ben hängen. „Gerkhan, Kripo Autobahn.“, stellte Semir sich schnell vor, bevor er etwas sagen konnte. „Mein Kollege.“, er zeigte auf Ben und ließ absichtlich dessen Namen weg. Doch wenn er gehofft hatte, er könnte so das unangenehme Gespräch zwischen den Beiden verhindern, hatte er sich getäuscht. „Ben Jäger?“, fragte Herr Fritz und sah über den Rand seiner Brille hinweg. „Wir sind hier wegen der Berufsinformation.“, versuchte es Semir erneut, aber Herr Fritz schien ihm nicht zuzuhören. Er packte Ben am Ärmel und zog den überraschten Kommissar mit einer kräftigen Bewegung vor die Klasse. „Seht mal; ein alter Schüler von mir.“ Er betrachtete sich Ben näher und wandte sich dann an einen Jungen, der am Rand der Klasse saß. Ben fiel sofort der Kratzer auf, der sich durch sein Gesicht zog. „Sieh mal her Leo; so wirst du enden, wenn du dich nicht anpasst.“, erklärte er und seine Stimme hörte sich an, als würde er gerade eine mathematische Formel erklären. „Unser Ben hier war genau wie du. Wollte immer anders sein als die Anderen. Und jetzt ist er bei der Polizei mit einem verarmten Inder!“ Er warf einen abfälligen Blick auf Semir, aber Ben hatte sich schon losgerissen. „Lassen Sie Semir in Frieden, kapiert?“, schnappte er und machte ein paar Schritte zurück; alle Augen folgten ihm.



    Semir packte Ben an der Hand und stellte sich schützend vor ihn, als könnte er ihn so vor den gaffenden Schülern schützen. „Wie gesagt, wir sind von der Polizei und sollen euch heute über den Beruf informieren. Ich hab genauso wenig Bock darauf, wie ihr, also lasst es uns einfach schnell hinter uns bringen klar?“ Er warf einen schnellen Blick in Richtung des kurzzeitig sprachlos wirkenden Mathelehrers. „Ich bin Semir und das da ist Ben, mein Partner. Und ich will euch von Anfang an eins sagen: Er ist glücklich bei der Polizei und glücklich mit seinem Leben, auch wenn er vielleicht nicht in einem alten Schloss lebt.“ Er zuckte die Schultern. „Aber ich bin nicht hier, um euch zu erzählen, dass Geld alleine nicht glücklich macht, also fangen wir mal an: Wer von euch hat denn schon mal überlegt zur Polizei zu gehen?“ Wie erwartet meldete sich keiner. Ben hatte sich an die Wand zurückgezogen und lehnte sich so lässig wie möglich dagegen. Die Schüleraugen, die ihn immer noch musterten, schienen ihn zu durchbohren. Semir räusperte sich kurz und fuhr dann fort. Ben war ihm ziemlich dankbar, denn so schnitt er wenigstens seinem alten Mathelehrer das Wort ab, der sich schließlich grummelnd auf seinen Stuhl fallen ließ. Das hatte zur Folge, dass die Schüler, die zuvor in der Hoffnung, ihr Lehrer würde den fremden Polizisten erneut vor ihnen bloßstellen, noch aufmerksam gewesen waren, langsam ihre Blicke von Ben zu Semir und nur wenige Sekunden später auf ihre Sitznachbarn richtete. Nur fünf Minuten später hatten Ben und Semir die gesamte Aufmerksamkeit der Jugendlichen verloren, die sich in einem angeregten Flüsterton unterhielten, was Ben allerdings ganz recht war. Er musste sogar leicht grinsen, als er einige Schüler dabei ertappte, wie sie unter den Tischen mit ihren Handys hantierten. Langsam wurde die Stimmung entspannter und auch wenn ihm Semir, der seinen Vortrag genauso gut seinem nagelneuen BMW unten auf dem Hof hätte halten können, ein wenig leid tat, so fühlte er sich doch mit jeder Sekunde wohler. In ein paar Stunden war er hier raus und wieder zurück auf der Autobahn, wo er hingehörte. Und dann konnten ihm diese ganzen reichen Angeber hier egal sein. Langsam schweiften seine Gedanken wieder ab zu seinem Brötchen, auf das er eben hatte verzichten müssen und die folgenden halbe Stunde verbrachte er damit die verschiedenen Möglichkeiten durchzugehen, wie er sich nachher sein Subway-Sandwich zusammenzustellen konnte.



    .....

  • Dann war Pause. Zu Bens Erleichterung rauschte Herr Fritz, der ziemlich beleidigt schien, dass Semir – ausgerechnet ein Ausländer! – ihm so dreist das Wort abgeschnitten hatte, als Erster zur Tür heraus. Semir wandte sich an Ben und fuhr sich müde durchs Gesicht. „Sag mal, die sind ja schlimmer als du!“, stöhnte er. „Glaubst du da hört auch nur einer zu?“ Ben musste grinsen. „Schade, das sind bestimmt große Verluste, die uns da entgehen.“, meinte er mit stark ironischem Unterton und fischte nun seinerseits das Handy aus der Tasche – eine Geste, die er in der letzten Stunde nur mit Mühe hatte unterdrücken können. Semir verdrehte die Augen und beugte sich skeptisch über den Karton mit den Flyern, den sie mitgebracht hatten, als Ben plötzlich ein Geräusch hinter sich hörte. Überrascht drehte er sich herum, denn er hatte angenommen mit Semir alleine zu sein. Doch dann viel sein Blick auf den Jungen mit dem Kratzer auf der Wange, den Herr Fritz vorhin schon angesprochen hatte. Mit ausdruckslosem Gesicht starrte er auf Ben. Dieser erschrak fast, als er die tiefen, dunklen Augenringe des Jungen sah, die im krassen Kontrast zu seiner bleichen Hautfarbe standen. Auch Semir sah den Jungen skeptisch an. „Können wir dir irgendwie helfen?“, fragte er vorsichtig, aber er erhielt keine Antwort. Der Blick des Jungen blieb starr an Ben hängen, der sich immer unwohler fühlte. „Alles in Ordnung?“, fragte er und machte einen Schritt auf Seite, doch die Augen des Anderen folgten ihm. Ben warf Semir einen leicht hilflosen Blick zu und drehte dem Jungen kurzerhand den Rücken zu, aber er spürte wie die Blicke des Jungen immer noch an ihm klebten. „Warst du echt mal hier?“, fragte er plötzlich und Ben zuckte fast zusammen, als der Junge schließlich doch noch redete. „Ja.“, meinte er knapp und drehte sich wieder um. Semir nickte Ben noch einmal zu und verließ dann den Raum – das schien ein Gespräch zu werden, zu dem er nichts beizutragen hatte und dass Ben lieber alleine führte.


    Ben sah Semir sehnsüchtig nach. Er hatte nicht wirklich Lust mit einem Siebzehnjährigen über alte Zeiten zu quatschen. „Ich will hier nicht sein!“, erklärte der Junge schließlich und starrte Ben an, als wäre der seine letzte Hoffnung. Ben zuckte nur mit den Schultern, unsicher was er sagen sollte. Er kannte diesen Jungen nicht und ehrlich gesagt wollte er einfach nur in seine Pause. Schließlich war er hier um den Schülern etwas über seinen Beruf zu erzählen und nicht um mit ihnen irgendwelche Gespräche über deren Gefühlswelten zu führen. „Manchmal würde ich sie am liebsten alle umbringen.“, fuhr der Junge fort und in seiner Stimme schwang etwas mit, das Ben auf eine unbestimmte Art und Weise Angst machte; etwas Brutales, Unkontrolliertes. „Na ich bin sicher, das ist auch keine Lösung.“, meinte Ben nervös und schnappte sich die Kiste mit den Flyern – eine deutliche Geste, dass er jetzt gerne gehen würde. Aber der Junge ließ ihn nicht. „Und was soll ich dann tun?“, fragte er leise und Ben erschrak als er bemerkte, dass sein Gesprächspartner seine Idee eben völlig ernst genommen hatte. „Hör mal, du darfst sowas nicht denken. Ich hab‘ das auch ausgehalten. Ja, das ist vielleicht nicht so toll, aber du hast doch bestimmt auch Leute hier, die du magst. Irgendwas, was dir Spaß macht; Sport oder so.“, schlug Ben ein wenig hilflos vor und stellte die Flyer wieder auf dem Tisch ab. „Oder?“, hakte er nach, als er keine Antwort erhielt. Der Junge starrte ihn nur an; Ben fiel plötzlich ein, dass der Lehrer ihn eben Leo genannt hatte. „Du bist wie die Anderen.“, stellte er schließlich fest und starrte Ben an, als hätte dieser ihm persönlich irgendwas getan. „Wie die Anderen! Aber ich nicht!“ Er schnaubte. „Ich nicht!“ Und mit den Worten marschierte er nach draußen und ließ Ben alleine, der ihm nachdenklich nachsah. Dann zuckte er die Schultern und nahm erneut den Karton mit den Flyern. Im Grunde genommen war er froh, dass das Gespräch so zu Ende gegangen war und er jetzt seine Ruhe hatte. Nicht, dass er dem Jungen nicht helfen wollte – er fühlte sich nur einfach nicht in der Lage dazu. Was sollte er ihm auch anderes sagen? Ja, Ben war nicht immer glücklich gewesen hier, aber auch er hatte Freunde gehabt und Spaß; hatte Sport gemacht und gelacht. Leo mochte denken, er wäre Ben ähnlich, aber nach dem Gespräch wusste Ben, dass er sich getäuscht hatte. Er war anders gewesen als Leo. Und er konnte und wollte ihm nicht helfen.



    Als Ben und Semir nach der Pause zurückkehrten blieb der Junge verschwunden. Ben starrte lange auf seinen leeren Platz, während Semir mit seinem Vortrag fortfuhr. Herr Fritz kam zehn Minuten zu spät und hatte sich demonstrativ ein paar Matheklausuren zum korrigieren mitgenommen. Ben opferte sich die Flyer zu verteilen um Semir wenigstens nicht ganz alleine stehen zu lassen und wie er erleichtert bemerkte, schenkten ihm die Schüler auch jetzt kaum noch Aufmerksamkeit. Vermutlich hatten die meisten die Szene zu Beginn schon wieder vergessen. Die Zeit verging und inzwischen fand Ben es gar nicht mehr so schlimm – der Junge war schnell aus seinem Gedächtnis verschwunden. Grinsend holte er sein Handy heraus, was ihm sogar ein paar anerkennende Blick der Schüler (und einen ziemlich bösen von Semir) einbrachte und begann in einer Ecke auf dem Tisch sitzend den coolen Cop zu spielen, während Semir sich vorne verzweifelt um die Aufmerksamkeit der Schüler bemühte, was Ben wiederrum ziemlich amüsierte. „Vielleicht will der Kollege ja auch mal was sagen.“, schnaubte Semir schließlich wütend und sah Ben auffordernd an. Dieser räusperte sich kurz und grinste kurz in die Menge, die ihm sowieso nicht zuhörte – nur wenige Schüler schienen überhaupt mitbekommen zu haben, dass der monotone Vortrag wenigstens für eine kurze Zeit unterbrochen war. „Ne, ich glaub‘ der Kollege sagt lieber nichts, du warst grad so schön drin.“, konterte Ben pfiffig und immer mehr Schüler sahen nun auf, froh über die Abwechslung. Semir schnaubte böse – hin und her gerissen zwischen der Idee zu kontern (eindeutig die Möglichkeit, die die Mehrheit der Schüler gewählt hätten, die nun in der Hoffnung auf ein paar endlich interessante Beiträge den Kopf hoben) oder einfach mit dem Vortrag fortzufahren. Zum Leidwesen der Schüler entschied sich Semir nach kurzem Überlegen schließlich doch für die zweite Variante – zwar hätte er Ben unter anderen Umständen gerne seine Meinung gesagt, aber er war froh, dass Ben sich anscheinend doch noch halbwegs wohl fühlte hier und angesichts dem, was er eben von Ben über seine Schulzeit erfahren hatte, wollte er Ben nicht erneut in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken. Er wusste, dass Ben ihm durch sein Verhalten nur zeigen wollte, dass er jetzt mit der Situation klarkam und Semir wollte das nicht gleich wieder auf die Probe stellen. Sollte Ben doch sms schreiben wie er wollte – auf einen mehr oder weniger im Raum kam es auch nicht an und vielleicht war es ja effektiver wenn die Schüler sahen, dass Polizisten auch ‚cool‘ sein konnten – selbst wenn Semir bei der Vorstellung als der absolute Streber dastand. Doch da er vermutlich niemanden jemals wiedersehen würde, war es ihm ziemlich egal, das im Moment nur Ben Sympathiepunkte sammelte – wahrscheinlich tat ihm das gerade sogar ganz gut.



    So ging es also weiter. Ben war inzwischen in Level 30 bei seinem Pacman-Spiel – ein neuer Rekord – und auch die Schüler schienen langsam Spaß zu haben: Immerhin waren pausenloses Reden und simsen weitaus interessanter als irgendwelche Parabeln und Formeln. Ben und Semir hatten ihre Strafe also schon fast abgesessen, als der Zeiger der Uhr sich endlich deutlich der drei näherte. Ben hatte inzwischen richtig Hunger und das perfekte Subway-Sandwich in seinem Kopf bereits fünfmal verspeist und so starrte er sehnsüchtig auf den Zeiger der Uhr, nachdem er dann doch in Level 31 gescheitert war. Tatsächlich trennten ihn und die Schüler nur noch knapp 10 Minuten von dem ersehnten Befreiungsschlag, als es plötzlich an der Tür klopfte. Herr Fritz sah überrascht von seinen Klausuren auf und auch Semir stockte kurz – von den Schülern bemerkte mal wieder keiner die Unterbrechung. Ben, der am nächsten an der Tür saß, stopfte lässig das Handy in die Tasche und rutschte von seinem Tisch um die Tür zu öffnen. Draußen starrte er direkt in das Gesicht von Leo. Einen Moment sah er ihn irritiert an, doch dann spürte er den Lauf der Waffe, die der Junge ihm in seinen Magen presste. „Eine falsche Bewegung und ich drück ab!“, zischte er und drückte Ben rückwärts zurück in den Raum. Ben erkannte vier weitere Jungen hinter ihm, doch sie schienen nicht von der Schule zu sein – ihr Aussehen entsprach mehr dem eines idealen Schlägertyps mit Tatoos von oben bis unten, dicken Muskelpakten und – und das war im Moment Bens größte Sorge – nicht unbedingt harmlos aussehenden Waffen, mit denen sie nun dümmlich grinsend in den Klassenraum zielten. Leo zerrte Ben grob nach vorne vor die Tafel und seine vier Freunde folgten ihm; der letzte schloss sorgfältig die Tür hinter sich. Die Schüler hatten das Geschehen einige Sekunden erstarrt verfolgt, doch nun brach die Panik aus: Schreie erfüllten den Raum und die Jugendlichen flüchteten sich unter ihre Tische und versuchten einfach nur so weit wie möglich weg von den Angreifern zu kommen. Auch Herr Fritz war aufgesprungen und hatte sich in eine Ecke gedrängt und nur Semir war stehen geblieben, auch wenn er vorsorglich die Hände gehoben hatte.

  • Ben spürte, wie Leo nach seiner Waffe tastete und sie ihm abnahm; das Gleiche geschah mit Semir, der anschließend grob zu den Schülern in die Ecke gestoßen wurde. Dann war es plötzlich totenstill. Ben wagte nicht, sich zu bewegen; er spürte das kalte Metall der Waffe inzwischen an seiner Schläfe und Leo hatte einen Arm um seinen Hals geschlungen, sodass Ben keine Möglichkeit hatte sich zu befreien ohne Gefahr zu laufen sofort erschossen zu werden. Schwer atmend suchte er den Blickkontakt mit Semir, doch der war völlig von den vier anderen Jungs abgelenkt, die nun grinsend an den Schülern vorbeigingen und ihnen lachend die Waffen in die Gesichter hielten. Ganz offenbar schienen sie ihren Spaß daran zu haben, ihnen Angst zu machen, aber Ben hatte auch das Gefühl, dass sie erst auf Leos Befehl wirklich abdrücken würden. Doch an der Tatsache, dass sie es dann tun würden; daran bestand für ihn kein Zweifel. Ben hörte, wie ein Mädchen in der einen Ecke anfing zu wimmern und sofort war einer der Schlägertypen bei ihr und zerrte sie brutal nach vorne. Leo verfolgte das Ganze ohne den Griff an Ben zu lockern. Dieser musste nun mit ansehen, wie das arme Mädchen zu Boden gestoßen wurde, wo es zitternd liegen blieb. Alle Augen waren auf sie gerichtet. Der Typ, der sie dorthin geschleift hatte, warf nun Leo einen fragenden Blick zu. „Sollen wir denen mal eine kleine Lektion erteilen?“, fragte er grinsend und verpasste der Schülerin einen Tritt in die Seite. Ben merkte, wie der Griff um seinen Hals fester wurde; so fest, dass er kaum noch Luft bekam. Aber Leo schien das nicht zu bemerken; er starrte seine Mitschülerin einfach nur an, wie sie da vor Angst zitternd auf dem Boden lag. Ben schloss kurz die Augen um sich zu beruhigen. Er konnte Leos Gesichtsausdruck nicht erkennen und war deshalb überhaupt nicht in der Lage abzuschätzen, was nun passieren würde. Doch offenbar war etwas geschehen, denn plötzlich hörte Ben ein lautes Wimmern und noch bevor er die Augen ganz geöffnet hatte, folgte der Schuss.


    Wie Ben erwartet hatte, waren die vier Freunde von Leo brutal und gnadenlos; der Kopfschuss, der das Mädchen ganz offensichtlich sofort getötet hatte, präzise und sicher ausgeführt. Ben war sich sicher, den Schützen sogar grinsen zu sehen, als das Blut auf den Parkettboden des Klassenraumes floss. „So, noch ein Ton und ihr könnt eurer Freundin hier Gesellschaft leisten.“, drohte der Kerl, der offenbar geschossen hatte. Ben erkannte eine hässliche Narbe in seinem Gesicht. Mehr erkannte er nicht, denn Leos Griff um seinen Hals war immer fester geworden und schnürte ihm jetzt endgültig die Luft ab. Die ersten Sternchen blitzten vor Bens Augen auf und verzweifelt schnappte er nach Luft. Sofort schossen alle Blicke im Raum zu ihm, aber Leo schien immerhin kapiert zu haben, dass er gerade dabei war, Ben zu erwürgen und er lockerte den Griff, sodass Ben wenigstens ein bisschen Luft bekam. „Was sind das überhaupt für Praktikanten hier?“, meldete sich ein weiterer von Leos Komplizen zu Wort. Er hatte lange, fettige Haare mit einer roten Strähne, über die Ben in einer weniger ernsteren Situation sicher der ein oder andere Spruch über die Lippen gerutscht wäre. So blieb er lieber stumm. „Das sind Bullen.“, erklärte Leo tonlos. Ben hatte keine Ahnung, ob er geschockt oder erleichtert über den Tod des Mädchens war und es war diese Unwissenheit, die ihm im Moment die meiste Angst machte. Leo war hier ganz klar der Anführer, auch wenn er vielleicht nicht so eiskalt war wie seine Gehilfen. Doch Ben war sich ziemlich sicher, dass er sie angeheuert hatte und sie ihm gehorchen würden – zumindest wenn er den Befehl zum Töten gab. Und ob er diesen Befehl geben würde, dass konnte Ben im Moment überhaupt nicht einschätzen, denn das einzige, was er von Leo im Moment wirklich wahrnehmen konnte, das war sein Arm um seinen Hals und die Waffe an seiner Schläfe.



    Leos vier Komplizen starrten ihn an. „Bullen?“, fragte der mit der Narbe entsetzt. „Du hast gesagt, wir marschieren hier rein, knallen nen paar Leute ab und fertig! Meinst du, ich will in den Knast?“, wütend starrte er Leo an. „Halt den Mund.“, fauchte dieser und in seiner Stimme steckte so viel Nachdruck, dass der Andere tatsächlich den Mund schloss. „Sehen die etwa so aus, als würden die uns gleich festnehmen?“, fuhr Leo fort. „Macht einfach euren Job – nämlich das tun, was ich euch sage, kapiert?“ Erneut wurde sein Griff fester und langsam machte Ben der Sauerstoffmangel wirklich zu schaffen. „Und was sollen wir tun?“, meldete sich ein Dritter zu Wort. Im Gegensatz zu seinem Kumpel hatte er sich seine Haare bis auf ein paar Stoppeln komplett abrasiert. „Du hast gesagt, wir sollen sie abknallen, wenn du’s sagst, also sag endlich!“, forderte er und fuchtelte voller Vorfreude auf das Blutbad mit seiner Waffe herum. „Sag schon!“ Aber Leo sagte nichts und wieder konnte Ben sich nur ausdenken, wie sein Gesichtsausdruck war. Hilflos blickte er auf Semir, der ebenfalls konzentriert auf Leo starrte. Doch auch er schien genau wie Ben völlig überfordert mit der Situation und keine Ahnung zu haben, was zu tun war. „Hör mal Leo, das bringt doch nichts.“, krächzte Ben auf gut Glück und nahm all seinen Mut zusammen. Aber er hatte einfach das Gefühl gehabt, irgendetwas sagen zu müssen, denn je länger er zögerte, desto größer wurde die Wahrscheinlichkeit, dass Leo doch noch das Signal zum Abschuss gab oder – noch wahrscheinlicher – dass seine Komplizen die Geduld verloren und auf eigene Faust mit der Schießerei anfingen. „Fresse!“, schrie Leo und verpasste Ben einen ziemlich schmerzhaften Schlag mit dem Waffenlauf gegen den Kopf, sodass Ben für ein paar Sekunden schwarz vor Augen wurde. Seine Beine gaben dem Gewicht seines Körpers nach und er sackte zu Boden, aber Leos Griff um seinen Hals war eisern und so hing Ben für einen Moment wie an einem Galgen da, bis er die Kraft fand seinen Körper wieder mit den Beinen abzustützen. Semir war bei dem Schlag zusammengezuckt und hatte automatisch einen Schritt nach vorne gemacht; sich dann aber doch dazu entschlossen lieber nichts zu tun, da Ben das Ganze offenbar doch noch glimpflich überstanden hatte.



    Ben hatte sich inzwischen wieder ganz hochgerappelt und auch wenn seine Lungen immer noch nach Sauerstoff schrien, biss er die Zähne zusammen. Aber erneut etwas zu sagen, traute er sich nicht. Leo war im Moment viel zu aggressiv um überhaupt in der Lage zu sein, auf ihn zu hören. Es verging eine gefühlte Ewigkeit, die vermutlich in Wirklichkeit keine Minute dauerte, in der einfach nur Stille herrschte. Leos Komplizen wurden immer unruhiger, doch auch sie wagten nicht erneut zu fragen, wann sie denn endlich schießen sollten. Ben schloss daraus, dass sie ziemlichen Respekt vor Leo haben mussten, doch ob das gut oder schlecht für sie war, konnte er nicht sagen. Dann ertönten plötzlich Sirenen in der Ferne. Augenblicklich wurde die Stimmung angespannter; der Griff um Bens Hals wieder fester. Der Typ mit den langen Haaren hechtete zum Fenster. Ben lauschte, wie die Sirenen immer lauter wurden. Es schienen viele zu sein und schließlich hörte man die ersten Autos, die auf dem Schulhof mit quietschenden Reifen zum Stehen kamen. „Scheiße!“, fluchte er und sah Leo hitzig an. „Scheiße, Mann! Bullen!“, fauchte er und wandte sich wütend an die Menge. „Einer hat die Bullen gerufen!“ Fluchend trat er einen Schritt näher auf die Schüler zu. „HÄ? WER WAR DAS?!“, schrie er erneut und Ben hörte, wie er seine Waffe entsicherte. „WER?“, schrie er und Ben zuckte fürchterlich zusammen, als sich unerwartet ein Schuss löste. Ein weiterer Schüler ging getroffen zu Boden; das Blut sickerte dickflüssig aus seinem Kopf. Ein Mädchen begann zu kreischen und plötzlich eskalierte die Situation. Auch der mit der Narbe zückte nun die Waffe und zielte auf die Schülerin. Der Schuss ließ Ben erneut zusammenfahren – wie konnte ein einzelner Mensch so brutal sein und einfach so abdrücken? Doch es war noch nicht vorbei. Nun fingen mehrere Schüler ebenfalls an ängstliche Laute von sich zu geben und drängten sich noch weiter in die Ecke. Ben zählte drei weitere Schüsse, von denen mindestens zwei ihr Ziel trafen. Er spürte, wie Leo seinen Griff lockerte, als er das Chaos beobachtete und Ben, der in seiner jetzigen Position den teils unkontrollierten Schüssen schutzlos ausgeliefert war, nutzte seine Chance und befreite sich aus dem Griff seines Angreifers. Mit einem gekonnten Satz hechtete er weg von Leo und brachte sich hinter einem umgestoßenen Tisch in Sicherheit, wo er zusammengekauert liegen blieb.


    .....

  • „RUHE!“, hörte er Leo schreien und tatsächlich schienen ihm alle zu gehorchen. Die Schreie hörten auf und es fielen auch keine weiteren Schüsse mehr. Schwer atmend hob Ben den Kopf, den er unter die Arme auf den Boden gepresst hatte und sah, dass es nun insgesamt schon fünf Schüler erwischt hatte. Reglos lagen ihre Körper auf dem blutverschmierten Boden; die leeren Augen weit aufgerissen. Die anderen Schüler hatten sich nun allesamt in eine Ecke zusammengedrängt und schienen komplett geschockt zu sein. Bens Blick fiel auf Herr Fritz, der sich ebenfalls gegen die Wand presste und schwer atmend auf seine toten Schüler starrte. Semir stand ein Stückchen Abseits und sein Blick schweifte suchend durch den Raum und blieb schließlich an Ben hängen. Erleichtert nickte er ihm kurz zu und wandte sich dann wieder Leo zu, der keuchend in der Mitte des Raumes stand und seinen Blick ziellos durch die Gegend streifen ließ. Von unten hörte Ben weiter Rufe und Schreie; Türen wurden geknallt und Ben konnte sich förmlich vorstellen, wie das SEK Stück für Stück die gesamte Schule evakuierte, auf der Suche nach den Angreifern. „Scheiße und was machen wir jetzt?“, fragte der mit der Glatze und sah Leo auffordernd an – die toten Schüler schienen ihn kalt zu lassen. Leo zögerte kurz, aber seine Stimme klang fest und entschlossen als er sprach. „Wir nehmen die hier als Geiseln. Sperrt die beiden Bullen und den Lehrer dahinten in den Raum, damit die keine dummen Pläne schmieden können. Der Rest bleibt hier.“, befahl er und nickte herüber zu einer kleinen Tür an der Rückwand des Klassenraums. Der Glatzkopf murmelte etwas Unwirsches, doch er tat wie geheißen und ging entschlossen auf Semir zu, den er grob am Kragen packte und durch den Raum schleifte. Ehe Ben sich versehen konnte, wurde er ebenfalls hochgezerrt und der mit den hässlichen Haaren presste ihm den Lauf der Waffe schmerzhaft in den Rücken. „Na los!“, fauchte er und Ben stolperte Semir hinterher auf den Raum zu. Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, wie den Mathelehrer das gleiche Schicksahl ereilte.


    Der Raum stellte sich als kleine Abstellkammer heraus – vollgestopft mit Landkarten, einem Satz Laptops, Büchern und Kreide. Fenster gab es nicht, aber die Deckenlampe erleuchtete den Raum auch dann noch ausreichend, als der Glatzkopf die Tür hinter ihnen ins Schloss fallen ließ. Einen Moment sagte keiner der drei etwas; Ben brauchte genau wie Semir und der Lehrer erst einmal ein paar Sekunden um überhaupt richtig zu begreifen, was hier gerade passierte. Semir war der Erste, der die Sprache wiederfand. „Alles okay?“, keuchte er mit einem Blick auf Ben, der kurz nickte. „Bei dir?“, fragte er und seine Stimme klang schwach und zittrig. Mehr fiel ihm auch nicht ein, was er sagen konnte. Denn für das, was da draußen gerade passierte, fehlten ihnen alle die Worte. Das Einzige, was Ben dazu eingefallen wäre, war „scheiße“ und das war angesichts der fünf Toten gerade eher unangebracht. Es war zu Bens und Semirs Erstaunen ausgerechnet Herr Fritz, der als nächstes das Wort ergriff. „Oh Gott.“, murmelte er und drückte dabei in seiner Sprache genau das aus, was Ben kurz zuvor noch gedacht hatte. Wieder nickte er nur und versuchte seinen Atem unter Kontrolle zu kriegen, der immer noch viel zu schnell ging. Aber Herr Fritz ließ ihm keine Zeit, sich zu beruhigen. „Und was machen wir jetzt?“, fragte er verzweifelt. „Was sollen wir jetzt tun?“ Ben warf Semir einen ratlosen Blick zu. „Wie wär’s wenn Sie uns erstmal was über diesen Jungen erzählen.“, schlug Semir so sachlich wie möglich vor. „Glauben Sie, er ist in der Lage hier wirklich den Befehl zum großen Blutbad zu geben?“ Herr Fritz ließ seinen Blick von Ben zu Semir wandern. „Was weiß ich!“, schnappte er. „Aber falls es Ihnen nicht aufgefallen ist: Da draußen liegen schon Tote!“ Er nickte in Richtung Tür. „Sie sind tot!!!“ Er begann zu zittern und stützte sich haltsuchend an der Wand ab.



    Ben warf ihm einen hitzigen Blick zu. „Und was sollen wir Ihrer Meinung nach da jetzt machen?“, schnappte er, wütend, dass Herr Fritz – anstatt zu kooperieren – jetzt auch noch indirekt Ben und Semir beschuldigte. „Ich dachte ihr seid Polizisten!“, fauchte der. „Oder willst du mir jetzt sagen, dass ihr damit überfordert seid! Wozu bist du dann überhaupt nützlich? Um ‘ner alten Oma die Handtasche zurück zu bringen? Bist du deshalb zu Polizei, Ben? Weil du einfach nichts auf die Reihe kriegst? Weil du einfach –“ Aber er kam nicht dazu Ben noch mehr potenzielle Gründe für seine Berufswahl zu liefern, denn Ben war trotz seiner Angst und der ausweglosen Situation, in der sie sich gerade befanden, immer noch zu stolz, um das Gesagte einfach so hinzunehmen. „Du weißt genau, warum ich zur Polizei bin!“, schnappte er und verzichtete absichtlich auf das respektvolle ‚Sie‘. Semir verfolgte das Ganze leicht irritiert. „Weil ich nicht einfach so tatenlos zusehen will! Weil ich was tun will!“ Der Lehrer sah ihn wütend an. „Dann TU was!“, schrie er mit Nachdruck und versetzt Ben einen kleinen Stoß. „Es geht nicht!“, presste Ben als hitzige Antwort hervor und Semir hörte, dass er ebenso verzweifelt darüber war, wie Herr Fritz selbst. „Du bist einfach nur FEIGE!“, schrie Herr Fritz und Semir hörte die Verzweiflung auch aus seiner Stimme. „Du willst einfach nichts tun, nur weil du die Schule hier nicht magst. Deshalb lässt du sie alle sterben!“ Vermutlich hatte Ben es irgendwo selber gewusst, dass Herr Fritz es nicht so meinte; dass er einfach nur Angst hatte und verzweifelt war, angesichts der ausweglosen Situation. Doch auch Ben hatte Angst und jetzt zu hören, dass er feige sein sollte und diese Schüler eben absichtlich hatte sterben lassen, dass war zu viel für ihn. Die Wut überdeckte alles und mit einem kräftigen Satz warf sich Ben nach vorne auf seinen Lehrer. „Feige?“, schrie er keuchend. „DU bist feige! Du hättest es damals verhindern können! DU! Aber du hast nichts gemacht! Und jetzt soll ich schuld sein? Überleg du doch mal, warum der Junge so drauf ist! Das ist deine schuld! DEINE! Weil du verflucht nochmal eine egoistischer Feigling bist!“ Ben presste den Anderen auf den Boden und hielt ihn fest im Würgegriff. Auch wenn Semir nur die Hälfte von dem verstand, was Ben gesagt hatte, machte er einen Schritt nach vorne und versuchte seinen Partner von dem Lehrer wegzuziehen. „Ben, das bringt doch nichts!“, rief er, aber Ben hörte ihm nicht zu und drückte den Hals seines ehemaligen Lehrers immer fester zu. „BEN!“ Doch noch bevor Semir es schaffte, Ben ganz von dem Anderen herunter zu ziehen, flog die Tür auf und der vierte Typ trat in den Raum; Semir war sein Nasenpiercing zuvor schon aufgefallen. Er wirkte damit beinahe, wie ein Stier.


    ......

  • Doch der Stier hatte jetzt eine Waffe in der Hand und damit zielte er auf Ben und den Lehrer, die beide am Boden lagen. „RUHE!“, fauchte er, aber weder Ben noch Herr Fritz schienen ihn wirklich zu hören. Ben presste ihm immer noch die Luftröhre zu und der Lehrer wehrte sich mit aller Kraft gegen seinen Angreifer. „RUHE!“, schrie der Nasenring-Typ erneut und Semir hörte entsetzt, wie er seine Waffe entsicherte. „BEN!“, schrie er erneut verzweifelt und versuchte erneut Ben wegzuziehen. Im gleichen Moment fiel der erste Schuss; es folgten zwei weitere. Ben schrie auf und er sackte schlaff in Semirs Arme; sein weißes T-Shirt verfärbte sich langsam rot. Auch Herr Fritz regte sich nicht mehr; eine Blutlache bildete sich unter seiner Schläfe. Der Schütze lachte kurz auf und knallte dann erneut die Tür zu. Semir hörte noch, wie er triumphierend „Der Lehrer ist tot!“ in den Klassenraum brüllte. Semir zog Ben von dem Toten herunter und gab ihm mit zitternden Fingern ein paar Ohrfeigen, denn Ben schien bloß bewusstlos zu sein. Der Schuss hatte ihn unterhalb des Brustkorbs erwischt und die Wunde blutete zwar stark, hatte jedoch das Herz weit verfehlt. Trotzdem blieben Bens Augen geschlossen. Semir gab seinen Versuch auf, Ben wachzukriegen und riss stattdessen das T-Shirt seines Partners herunter, um sich die Wunde näher ansehen zu können. „Komm schon Ben.“, murmelte er und schaffte es schließlich Ben das T-Shirt ganz auszuziehen. Erleichtert sah er, dass das Geschoss Ben offenbar schräg getroffen hatte: Zwar war die Wunde ziemlich tief, doch das Projektil schien seitlich an seiner Hüfte wieder ausgetreten zu sein und Semir vermutete, dass es höchstens Knochen und Gewebe, aber keine Organe verletzt hatte. Er knüllte Bens Shirt zusammen und presste es fest auf die Wunde. Ben schrie laut auf und Semir sah überrascht, dass er offenbar doch wach war. „Hey, Ben.“, meinte Semir überrascht, doch er lockerte den Druck nicht.


    „Ahhh.“, stöhnte Ben und verzog das Gesicht, als der Schmerz unerträglich wurde. Ihm war speiübel und der Boden unter ihm schien sich zu bewegen. Semir presste den Stofffetzen gnadenlos auf die Wunde. Ben wusste, dass er nur die Blutung stoppen wollte, doch das änderte nichts daran, dass es so wehtat, dass Ben sich übergeben musste und sein ganzer Körper unaufhörlich anfing zu zittern. Semir löste seinen Griff schließlich, als Ben sich hustend auf Seite beugte um sein Frühstück auf den Boden zu spucken. „Hey, ganz ruhig.“, murmelte er und strich Ben sanft über den Kopf. Er nahm die Hand seines Partners und drückte sie fest, während er erneut das inzwischen blutdurchtränkte T-Shirt auf Bens Wunde presste. Ben biss tapfer die Zähne zusammen und versuchte sich auf andere Dinge als den Schmerz zu konzentrieren. Langsam wurde es tatsächlich besser. Er spürte den harten, kalten Boden unter sich, der auch aufgehört hatte sich zu bewegen und vor allem spürte er Semirs Hand, die seine eigene hielt und fest drückte. Ben schluckte eine neue Welle der Übelkeit herunter und öffnete stöhnend die Augen. Semir hob das T-Shirt an: die Blutung hatte etwas nachgelassen. Suchend sah er sich um und sein Blick fiel auf ein Bettlaken, das in der Ecke einen staubigen Overheadprojektor abdeckte. Semir griff sich den Stofffetzen und riss sich einen Streifen ab, den er sorgfältig zusammenfaltete und auf Bens Wunde legte. Einen weiteren Streifen wickelte er fest um Bens Bauch, sodass die Wunde nun verbunden war und die Blutung weiter stillte. Ben schloss erneut die Augen und musste erneut gegen die Übelkeit ankämpfen, doch schließlich ließ der Schmerz nach und er konnte sich langsam wieder auf andere Dinge konzentrieren. Semir half Ben sich ein Stückchen aufzurichten. Sofort drehte sich alles und Ben musste wieder die Augen schließen, um nicht erneut das Bewusstsein zu verlieren. Semir nahm besorgt zur Kenntnis, dass sein Gesicht schneeweiß war und Bens Stirn fühlte sich heiß und fiebrig an.



    „Geht’s?“, fragte er besorgt und Ben nickte tapfer. Er öffnete die Augen und starrte glasig durch den Raum. Dann blieb sein Blick an Herr Fritz hängen, der reglos nur einen halben Meter entfernt lag und leer die Decke anzustarren schien. „Was ist mit ihm?“, murmelte Ben schwach und Semir spürte, wie er ängstlich seine Hand drückte. „Er ist tot.“, meinte Semir so einfühlsam wie möglich und strich Ben tröstend über den Kopf. „Sie haben ihn erschossen.“ Ben sagte gar nichts, sondern starrte ihn einfach nur an. Semir spürte, dass der Tod seines ehemaligen Lehrers Ben schon nahe ging – auch wenn er ihn mehr als nur nicht gemocht hatte. Aber ihn jetzt hier so unvermittelt tot liegen zu sehen schien Ben eindeutig zu schaffen zu machen. „Das ist meine Schuld.“, wisperte er, als die Erinnerungen an ihren Streit langsam zurückkehrten. Semir seufzte und fühlte erneut besorgt Bens unverändert heiße Stirn. „Ist es nicht, Ben! Er hat dich provoziert. Ich hätte an deiner Stelle auch so reagiert. Du hast ihn nicht erschossen Ben, kapiert! Nichts von dem, was hier passiert ist deine schuld!“ Ben schluckte, doch er schien nicht gänzlich überzeugt. Aber Semir beschloss Ben diesen Gedanken später auszureden – jetzt hatten sie wahrlich andere Probleme. „Tut’s noch sehr weh?“, wechselte er deshalb das Thema und Ben warf ihm einen dankbaren Blick zu. „Geht.“, meinte er tapfer. „Besser als am Anfang.“ Das war nicht gelogen, auch wenn das nicht viel hieß. Doch immerhin wurde der Schmerz langsam erträglich und auch die Übelkeit ließ langsam nach. Ben fühlte sich noch immer schrecklich zittrig und noch traute er sich nicht, sich aus eigener Kraft aufzusetzen oder gar aufzustehen. Semir strich ihm sanft über den Arm. „Wenn irgendwas ist, musst du Bescheid sagen, ja?“, forderte er Ben auf, der bloß nickte ohne Semir wirklich zugehört zu haben. „Semir, was sollen wir jetzt tun?“, fragte er unglücklich und starrte verzweifelt auf die geschlossene Tür. Semir seufzte. „Ich weiß es nicht Ben.“, gestand er. „Aber bevor wir hier irgendwelche Pläne schmieden, erholst du dich jetzt erstmal kurz, ja? Die Wunde ist nicht besonders schlimm; ich denke das müsste gleich besser werden.“ Er schenkte Ben ein aufmunterndes Lächeln, das Ben nur halbherzig erwidern konnte. Er bezweifelte ohne ärztliche Hilfe in den nächsten Stunden in der Lage zu sein irgendwelche von Semirs Plänen durchzuführen.



    Semir setzte sich also neben Ben auf den Boden und beschloss erstmal abzuwarten. Sie saßen in der Falle und mehr als warten, dass das SEK draußen etwas unternahm, konnten sie nicht. Er hatte keine Ahnung, ob ihre Geiselnehmer inzwischen mit den Polizisten in Kontakt getreten waren und was sie forderten. Die Geiselnahme war ganz offenbar nicht geplant gewesen und keiner der Jungs da draußen schien genau gewusst zu haben, was jetzt zu tun wäre. Semir konnte nur hoffen, dass das SEK das da draußen auch kapierte und den Zugriff dementsprechend plante. Ben starrte neben ihm gedankenverloren auf seinen toten Lehrer. Semir beobachtete ihn eine Weile. „Was hast du eben gemeint?“, fragte er schließlich; mehr um Ben abzulenken, als dass er es wirklich unbedingt jetzt wissen wollte. „Damit, dass er ein Feigling ist, weil er damals nichts gemacht hat?“ Ben warf Semir einen kurzen Blick zu und sah dann auf den Boden. „Ich war fünfzehn.“, erzählte er knapp. „Wir hatten auch Mathe, da kamen plötzlich diese Typen rein.“ Er schluckte. „Sie hatten es auf eine Mitschülerin von mir abgesehen, weil sie mit ihr ihren Vater erpressen wollten.“ Semir legte seinem Partner unterstützend die Hand auf den Arm. „Was ist passiert?“, fragte er leise. Ben zuckte abwehrend die Schultern. „Sie hat sich gewehrt; die Kerle haben sie erschossen – einfach so.“ Ben schluckte erneut und sah wieder auf Herr Fritz. „Er hätte nichts tun können. Niemand konnte etwas tun.“ Ben stockte kurz, dann fügte er leise hinzu: „Das ist der Grund, warum ich zur Polizei bin. Weil ich einfach nicht mehr zugucken wollte. Einfach tatenlos mit ansehen, wie jemand erschossen wird… Ich konnte das nicht mehr Semir!“ Ben klang beinahe verzweifelt und Semir wurde klar, dass die Situation jetzt ganz ähnlich für Ben sein musste. Wieder konnte er absolut nichts machen, während unschuldige Schüler sterben mussten.



    .....

  • „Na du hast ja echt nicht so tolle Erinnerungen an die Schule hier.“, meinte Semir leicht ironisch und schaffte es tatsächlich Ben den Hauch eines Lächelns abzuringen. „Geht.“, erklärte er knapp und schloss die Augen; erschöpft von den Schmerzen und der Angst. Semir rieb ihm freundschaftlich die Schulter und stand dann auf, um sich in dem Raum umsehen zu können. Auf den ersten Blick, sah er nicht viel doch schließlich fiel sein Blick auf das Lüftungsschachtgitter oben an der Decke. Ben, der die Augen wieder geöffnet hatte, folgte Semirs Blick und las sofort die Gedanken seines Partners. „Wir können die Schüler nicht einfach so alleine lassen.“, meinte Ben schnell. Das wäre zwar erst Semirs zweites Problem auf der Liste geworden (nämlich direkt nach der Tatsache, dass Ben kaum in der körperlichen Verfassung schien, durch einen engen Lüftungsschacht zu kriechen), aber er hielt es für besser, Ben zunächst nicht mit Nummer eins der Probleme zu konfrontieren, denn dem schien es inzwischen zumindest wieder so gut zu gehen, dass Semir sich sicher war, er würde wieder auf seinen Sturkopf-Tripp kommen und die Verletzung als „kleinen Kratzer“ abtun. Und Semir wollte jetzt auf jeden Fall verhindern, dass Ben sich mal wieder übernahm, denn das könnte in ihrer aktuellen Situation tödlich enden. Die einzige Möglichkeit die dann aber blieb war, dass er alleine den Fluchtversuch unternahm, aber Ben hier alleine zu lassen, kam für ihn nicht in Frage und so verwarf er die Idee mit dem Lüftungsschaft wieder: Sie würde die Schüler kaum retten retten. Also setzte sich Semir wieder wortlos neben Ben und die Beiden saßen eine ganze Weile so da, bis nach einer gefühlten Ewigkeit bestehend aus Angst, Hoffnungslosigkeit und in Bens Fall auch Schmerzen, die Tür aufflog und der Narbentyp mit einer Waffe in den Raum trat. Ben hob ängstlich den Kopf und Semir baute sich sofort schützend vor seinem Partner auf, aber der Kerl schien nicht mit der Absicht gekommen zu sein, die beiden Polizisten ebenfalls umzulegen. Er packte Semir grob am Kragen und stieß ihn so hart aus dem Raum hinaus, dass er schmerzhaft auf den Boden fiel. Das Gleiche geschah mit Ben, der jedoch wesentlich wackeliger auf den Beinen war, als Semir und sofort stürzte.


    Augenblicklich wurde er gnadenlos wieder hochgezogen und nach vorne zum Pult geschleift. Semir sah besorgt, wie sich Bens provisorischer Verband wieder rot färbte, doch er hatte kaum Zeit noch einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, denn auch er wurde wieder hochgezogen und nach vorne zu Ben geschubst. Im Klassenzimmer hatte sich inzwischen so einiges getan: die Leichen der fünf Schüler waren sorgfältig in eine Ecke geschleift wurden; die restlichen rund zwanzig Schüler hockten ängstlich in einer anderen Ecke. Die meisten Tische waren vor die Tür geschoben worden, sodass diese quasi nicht mehr zu öffnen war. Leo stand am Fenster und sein Blick hing starr an seinen ängstlichen Mitschülern. Täuschte Semir sich, oder war er fast genauso weiß wie Ben? Seine vier Komplizen hatten es sich vorne gemütlich gemacht; direkt dort wo auch Semir und Ben jetzt saßen. „Was wollt ihr?“, fragte Semir angriffslustig und versuchte sich so schützend wie möglich vor Ben zu positionieren. „Reden.“, erklärte der Glatzkopf gelangweilt und spielte demonstrativ mit seiner Waffe herum. Semir warf ihm einen schrägen Blick zu; Ben bekam kaum etwas mit – sein Bauch bereitete ihm wieder höllische Schmerzen, die ihn im Moment noch mehr als ablenkten. Doch es blieb still; niemand sagte was. „Ey, Leo! Ich dachte du wolltest mit denen labern!“, beschwerte sich einer und Leo fuhr wütend zusammen. „Ich rede wann ich will, kapiert?“, schnappte er, doch sein Blick wanderte nun erstmals zu Semir und dann zu Ben, der mit schmerzverzerrtem Gesicht am Boden lag und kurz davor schien wieder bewusstlos zu werden. „Was ist mit ihm?“ schnappte Leo wütend. „Marc hat ihn erwischt!“, petzte der Glatzkopf sofort und nickte zu dem Kerl mit dem Nasenring. „Der hat sich geprügelt!“, verteidigte sich dieser sofort, aber Leo schnitt ihm wütend das Wort ab. „Das sind Bullen verdammt!“, fauchte er. „Ihr könnt doch keine Bullen erschießen!“ Semir sah überrascht, dass er zitterte. „Ihr könnt doch die nicht alle erschießen!“ Leo vergrub das Gesicht in den Händen; die Anderen lachten. „Ey, heulst du jetzt rum oder was?“, fragte einer und grinste breit, aber Leo hatte die Hände schon wieder vom Gesicht genommen. Einen Moment starrte er wütend auf seine vier Komplizen; dann fuhr er wortlos herum und verschwand zu Semirs Überraschung ohne ein weiteres Wort in dem kleinen Abstellraum, in dem Ben und Semir zuvor gefangen gewesen waren.



    Einen Moment herrschte Schweigen; auch bei ihren vier Geiselnehmern. Das Heulen der Sirenen und die Schreie draußen waren inzwischen schon zur Gewohnheit geworden. Semir hätte wirklich gerne gewusst, was unten auf dem Hof vor sich ging. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren, aber es musste bereits später Nachmittag sein; denn die Sonne stand schon tief und strahlte noch einmal mit letzter Kraft in leuchtendem Rot und Orange durchs Fenster hinein. Semir warf einen schnellen Seitenblick auf Ben, der sich langsam von seiner unsanften Beförderung hier hin zu erholen schien und sich nun ebenfalls ängstlich umsah. Der Kerl mit dem Nasenring, den sie eben Marc genannt hatten, begann zu grinsen und machte einen bedrohlichen Schritt auf Ben zu. „Eigentlich wollte Leo ja mit euch reden, Bulle.“, erklärte er und alle Augen waren auf ihn gerichtet. „Aber offenbar hat er sich’s mal wieder anders überlegt.“ Er lachte, aber niemand stimmte ein. „Was soll der Scheiß?“, fragte der mit den langen Haaren unwirsch und trat ebenfalls näher. Marc fuhr herum. „Lass uns doch ein bisschen Spaß mit ihm haben.“, grinste er und nickte in Richtung Ben. Der Andere zog verständnislos die Augenbrauen hoch, aber Marc hatte Ben schon am Kragen gepackt und grob nach oben gezogen. Noch in derselben Bewegung schleuderte er Ben herum, sodass dieser mit dem Rücken brutal gegen die Wand des Klassenraums krachte, gegen die Marc ihn nun presste. „Stehen bleiben Bulle, klar?“, fauchte er. „Sonst ist dein Partner tot!“ Wie um seine Worte zu verdeutlichen drückte er Semir den kühlen Lauf seiner Waffe an die Schläfe. „Ey Marc, du kannst nicht den Bullen abknallen.“, meldete sich der Glatzkopf zu Wort. „Der ist unser bestes Druckmittel und der andere macht’s eh nicht mehr lange.“ Marc warf ihm einen giftigen Blick zu, doch sogar er musste die Logik, die ganz offenbar hinter dieser Argumentation steckte, einsehen. „Dann halt einer von denen!“, meinte er und nickte zu den verängstigten Schülern. „Jedes Mal, wenn der Bulle umfällt, knallen wir einen ab!“ Der mit den langen Haaren legte kurz den Kopf schief, doch dann grinste auch er. „Du bist so hohl.“, meinte er lachend, doch er machte einen beherzten Schritt nach vorne und packte sich den nächstbesten Schüler um ihm die Knarre an den Kopf zu pressen. „Ein Knie auf dem Boden und er ist tot!“, erklärte er grinsend an Ben gewandt.



    Dieser schluckte und klammerte sich mit der Hand so gut es ging an der nahen Tafel fest, als er spürte, wie seine Beine langsam weich wurden. „Das ist Folter!“, hörte er Semir rufen, aber als Antwort erhielt er nur Gelächter. „Das ist endlich mal ein bisschen Spaß.“, korrigierte Marc, ohne den Blick von Ben zu nehmen. Dieser biss die Zähne zusammen und versuchte die immer schlimmer werdenden Schmerzen so gut es ging zu ignorieren. Ihm wurde wieder übel und langsam begann sich der Raum um ihn herum zu drehen, doch er wagte es nicht die Augen zu schließen, aus Angst er würde so endgültig das Gleichgewicht verlieren und zu Boden gehen. Denn auch wenn der Schmerz ihn größtenteils von allem anderen ablenkte, so war ihm doch klar, dass diese Kerle nicht zögern würden den Jungen zu erschießen, sobald er auf dem Boden aufkommen würde. Einfach so. Zum Spaß. Weil sie hier waren um zu töten und ihre sechs Toten bisher unbefriedigend waren. Und jetzt nutzten sie die Gelegenheit, dass Leo nicht da war um sie zurückzuhalten. Ben war klar, dass er nicht mehr lange aushalten würde; wahrscheinlich würden seine Beine sein Gewicht keine fünf Minuten mehr tragen. Seine einzige Hoffnung war, dass Leo zurückkommen würde und das brutale Spiel unterbinden würde. Und bis dahin musste Ben kämpfen. Er spürte Semirs entsetzen Blick auf ihm, gemeinsam mit denen von zwanzig vor Angst versteinerten Schülern und der vier grinsenden Kerle, die lässig mit ihren Waffen herumspielten. Das Schwanken des Raumes wurde immer schlimmer und der Schmerz in Bens Bauch unerträglich. Die Wunde war wieder aufgerissen und blutete erneut heftig und der Blutverlust machte Ben noch zusätzlich zu schaffen. Er war erschöpft und hundemüde, aber noch gab er nicht auf; auch wenn er mehr an der Wand lehnte, als das er noch aus eigener Kraft stand.


    .....

  • Tatsächlich vergingen fast fünf geschlagene Minuten, in denen Ben es auf wundersame Weise schaffte stehen zu bleiben. Als Marc schon laut mit dem Gedanken spielte bei Ben noch etwas nachzuhelfen, damit er endlich zu Boden fiel (denn den Schüler einfach so zu erschießen erschien ihm wesentlich langweiliger als dieses Spielchen), passierte es dann doch endlich: Ben, der sich inzwischen fühlte wie auf einem schwankenden Schiff bei stürmender See, wurde schwarz vor Augen; alles drehte sich immer schlimmer und immer schneller und dann waren auch seine letzten Kräfte aufgebraucht. Bewusstlos sackte er auf dem Boden zusammen; spürte den Aufprall schon gar nicht mehr. Er hörte auch nicht den Schuss, der seinem Sturz unmittelbar folgte. Semir sah entsetzt wie nur eine Sekunde nach Ben auch der Schüler zu Boden ging; im Gegensatz zu Ben allerdings tot, mit einer Kugel im Kopf. Ein entsetzter Schrei fuhr durch die Menge der Schüler und auch die Tür zum Abstellraum war bei dem Schuss wieder aufgeflogen. Semir nutzte das kurzzeitig entstehende Chaos um zu Ben zu kriechen und ihn mit zwei entschiedenen Ohrfeigen wieder zu wecken: Er hielt es nicht für sinnvoll, wenn Ben in einer derart gefährlichen Situation nicht bei Bewusstsein war. Zu Semirs Erleichterung öffnete dieser relativ schnell die Augen und richtete sich sogar erschrocken ein Stück auf. Semir gab sich zwar Mühe ihm die Sicht auf den toten Schüler zu versperren, aber Ben sah ihn natürlich trotzdem. Glücklicherweise ergriff in dem Moment Leo das Wort, sodass Ben keine Zeit blieb sich genauer auf das Bild zu konzentrieren. „Seid ihr bescheuert?!“, fauchte er außer sich und betrat den Raum wild entschlossen. „Ich hab‘ gesagt, ihr schießt auf meinen Befehl!“ Auch Marc machte einen Schritt nach vorne. „Und wir haben gedacht, du gibst uns diesen Befehl! Kurz rein; alle abknallen – fertig! Das hast du gesagt! Und jetzt sind wir hier umzingelt von hunderten Bullen mit ‘ner Schulklasse als Geisel!“ Zustimmendes Gemurmel der Anderen. Leo schnaubte, dann wanderte sein Blick auf Ben und Semir. „Packt die zwei Bullen wieder in den Raum.“, forderte er nachdrucksvoll und noch gehorchten ihm seine Komplizen ohne zu wiedersprechen. Doch Semir hatte das Gefühl, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis sie hier ihren eigenen Wünschen und Vorstellungen folgen würden.


    Doch so wurde Semir erneut gepackt und zurück in den kleinen Abstellraum gezerrt. Ben wurde grob hinterher gestoßen. Mit einem Stöhnen ging er zu Boden und schloss die Augen für einen Moment. Semir warf ihm einen besorgten Blick zu, aber Ben schien sich so weit gesammelt zu haben, denn tapfer öffnete er die Augen wieder und beobachtete ängstlich, wie ihre Peiniger den Raum wieder verließen. Zu ihrer Überraschung war Leo ihnen gefolgt und nun schloss er die Tür wortlos hinter sich, sodass er mit Ben und Semir alleine in dem Raum war. Von draußen hörte Semir unwirsches Gemurmel. „Da ist ein Lüftungsschacht.“, stellte Leo tonlos fest und nickte zu dem Gitter, dass Semir vorhin schon entdeckt hatte. Semir sah ihn regungslos an. „Willst du jetzt die Fliege machen oder was?“, fragte er angriffslustig, aber Leo schüttelte bloß den Kopf. „Nicht ich alleine.“, erklärte er und nun sah sogar Ben auf; blieb jedoch noch stumm. „Ich wollte das nicht!“, fuhr Leo leise fort und Semir hörte auch aus seiner Stimme die Angst und die Verzweiflung, die er selber spürte. „Ich war nur so wütend! Weil mir keiner helfen konnte; weil ich alleine war. Ich kenn‘ die Typen von früher; die sind mir noch was schuldig.“ Das erklärte zumindest, warum sie Leo bis jetzt gehorcht hatten. „Aber die werden sie alle umbringen.“, stieß er verzweifelt hervor. „Ich wollte nicht, dass sie sterben müssen! Wirklich! Ihr könnt mir helfen! Bitte!“ Flehende sah er Ben und Semir an. Semir lag einiges auf der Zunge, was er nur zu gerne losgeworden wäre. Ein bissiges „Das hättest du dir früher überlegen müssen.“ oder „Es ist zu spät.“ Aber er sagte nichts von dem, denn in Leos Worten lag gleichzeitig eine Chance. Eine reale Chance für Ben und ihn hier raus zu kommen; auch wenn er die Schüler dann alleine lassen musste. Er warf einen kurzen Blick auf Ben, der ähnliche Gedanken zu haben schien. „Wenn wir draußen sind, können wir dem SEK Informationen geben.“, meinte Semir leise und ignorierte Leo, der ungeduldig wartete. „Du brauchst Hilfe Ben und du weißt selber wie wenig die machen können, wenn die nicht wissen, was hier vor sich geht.“ Ben starrte ihn mit fiebrigen Augen an. „Aber du kannst die Schüler doch nicht alleine lassen.“, krächzte er schwach. Semir legte ihm eine Hand auf den Arm. „Wir können ihnen von da draußen besser helfen.“, meinte er zuversichtlich. Auch er selber fühlte sich schlecht dabei, sie hier alleine zu lassen, aber er wusste aus, dass ihre Lage hier aussichtslos war. Und von draußen hatten sie eine reale Chance wirklich etwas zu tun; wertvolle Informationen zu liefern. Er hatte seinen Entschluss gefasst.



    Leo schien seine Worte richtig gedeutet zu haben, denn entschlossen machte er sich daran, das Lüftungsgitter zu öffnen. Er warf einen unsicheren Blick auf Ben, der immer noch sehr schwach wirkte. „Meinst du, du schaffst das?“, fragte Semir leise, auch wenn Ben eigentlich keine Wahl hatte. Dieser nickte schwach und ließ sich von Semir hochziehen. Einen Moment drehte sich alles, doch dann wurde es besser und irgendwie schaffte er es mit Semirs und Leos Hilfe in den Lüftungsschacht zu klettern. Die beiden Anderen folgten ihm. Semir warf immer wieder Blicke auf Leo, als sie so schnell wie es Ben erlaubte durch das Belüftungssystem krochen. Leo hatte Angst; das sah er. Er war völlig überfordert mit der Situation; hatte sie komplett falsch eingeschätzt. Vermutlich hatte er seinen Mitschülern einfach nur etwas Angst machen wollen, aber wirklich welche umzubringen, das war nie sein Plan gewesen. Und jetzt wo er merkte, dass alles außer Kontrolle gelaufen war, war er zu feige sich der Situation zu stellen. Semir war inzwischen ziemlich überzeugt, dass Leos Komplizen auch auf dessen Befehl vermutlich nicht aufgegeben hätten – dafür stand zu viel auf dem Spiel, denn immerhin würden sie für diese Aktion einige Jahre sitzen müssen. Aber Leo war nicht fähig bei ihnen zu bleiben und mit anzusehen, wie seine Mitschüler litten. Was er sich jetzt damit erhoffte Ben und Semir hier raus zu bringen, konnte Semir auch nicht wirklich sagen. Vielleicht wollte er so einfach nur zwei unschuldige Leben retten, weil er wusste, dass Ben und Semir noch weniger Ziel seines Anschlags gewesen waren als die Schüler. Vielleicht erhoffte er sich auch einfach nur, dass er so Strafmilderung erhalten würde. Und so sehr Semir ihn auch für diese Feigheit verachtete, musste er sich doch eingestehen, dass Leo Ben und ihm vermutlich geraden das Leben rettete.



    Durch den Lüftungsschacht erreichten sie irgendwann einen ausgestorbenen Korridor. Der Lüftungsschacht hier lag direkt neben der Tür zu den Fahrstühlen – Leo hatte offenbar mitgedacht. Mit seiner Hilfe stützte Semir Ben in den Fahrstuhl und Leo drückte den ‚Erdgeschoss‘-Knopf. Es ging hinab. Semir lauschte angestrengt ob weitere Schüsse fielen – wer wusste schon, wie die Vier reagieren würden, wenn sie bemerkten, dass ihr Anführer abgehauen war. Auf der einen Seite fühlte er sich schon schuldig, die Schüler so alleine zu lassen, aber es war vermutlich der einzige Weg auch nur ein paar von ihnen zu retten. Und auch für Ben war es besser: Er brauchte ärztliche Versorgung und keine brutalen Foltermaßnahmen zur Belustigung ihrer Geiselnehmer. Der Fahrstuhl hielt und Semir bemerkte erleichtert, dass sie nur wenige Meter von der rettenden Ausgangstür entfernt waren. Er sah das Blaulicht und die Stimmen hörte man nun lauter und deutlich. Die Eingangshalle war in das Licht der untergehenden Sonne getaucht und auch wenn es ein schönes Ende gewesen wäre, wie er und Ben, zwar verletzt, aber doch am leben, bei untergehender Sonne aus dem Gebäude traten, so wusste Semir auch, dass es noch lange nicht vorbei war. Denn da oben waren immer noch zwanzig Schüler deren Leben am seidenen Faden hing.



    .....

  • Und trotzdem kam es ihm so unwirklich vor, als er; Ben schlapp über seinen Schultern hängend; die Halle durchquerte und das große Eingangsportal aufstieß. Die tiefstehende Sonne blendete ihn; der Himmel dahinter war blutrot. Er hörte die Rufe und die Sirenen wie ein monotones Rauschen in seinen Ohren; Leo war komplett vergessen. Nur Bens Gewicht auf seinen Schultern spürte er noch und seinen keuchenden Atem direkt neben seinem Ohr. Wie in einem Traum sah er, wie sich sofort alle Waffen auf sie richten und wie im Traum hob er die freie Hand, die Ben nicht stützte. Neben ihm tat Leo das gleiche, doch das bekam Semir nicht mit. In Zeitlupe sah er Frau Krüger auf sie zu rennen; Worte schreiend, die er nicht verstand, aber die Waffen senkten sich. Aber auch das bekam Semir nur am Rande mit. Ganz fest klammerte er sich an Ben; ungläubig, dass sie tatsächlich lebend aus der Sache rausgekommen waren. Ungläubig, dass er Frau Krüger tatsächlich noch einmal lebendig sehen würde; ungläubig, dass er jetzt keine Angst mehr haben musste; dass alles vorbei sein sollte. Denn nun trug er keine Verantwortung mehr für das, was hier passierte und auch wenn das auf der einen Seite eine so unglaubliche Erleichterung war, dass Semir es noch kaum realisieren konnte; so spürte er auf der anderen Seite, dass er die Verantwortung hier nicht so einfach abgeben konnte. Er hatte die Schüler gesehen; er hatte mit ihnen gesprochen und auch wenn er keinen von ihnen genauer kannte, so fühlte er sich doch irgendwie mit ihnen verbunden. Er hatte sich mit Ben einfach so davon gemacht – war er es ihnen jetzt nicht schuldig alles zu tun, um auch sie zu retten? War es nicht das Mindeste, was er für sie tun musste? „Gerkhan?“ Er hörte die Stimme seiner Chefin wie aus weitere Ferne. „Lassen Sie Ben los.“ Frau Krügers Stimme war ganz sanft und Semir spürte ihre Hand auf seiner Schulter. Sein Blick schärfte sich; jetzt sah er sie ganz deutlich. Er realisierte auch, wie fest er sich an Ben geklammert hatte, um den sich nun die ersten Sanitäter drängten. Hastig ließ er seinen Partner los, der daraufhin kraftlos in die Arme eines kräftigen Sanitäters sackte. Semir atmete einmal tief durch: Er wusste, was zu tun war.


    Zunächst stellte er sicher, dass Ben ordentlich auf eine Liege gelegt und in Richtung Rettungswagen geschoben wurde; dann wandte er sich an die Chefin. Inzwischen hatte er sich soweit beruhigt und das alles realisiert, dass er nun einen glasklaren Blick auf die Dinge hatte. „Da oben sind noch ungefähr zwanzig Schüler und vier bewaffneten Geiselnehmer. Sie haben sich oben in einem Raum verschanzt und ich glaub‘ nicht, dass sie wirklich wissen, was sie da tun. Aber sie sind zu allem fähig und ihr Anführer hat gerade den Schwanz eingezogen und ist zu uns gekrochen; es gibt also niemanden mehr, der sie mehr unter Kontrolle hat.“, fasste er die Situation kurz zusammen. Frau Krüger sah ihn scharf an. „Wie sind Sie raus gekommen?“ „Durch den Lüftungsschacht.“, erklärte Semir. „Aber ich denke mal, den werden sie jetzt auch erkannt haben. Wir wissen noch nicht, ob sie unsere Abwesenheit schon bemerkt haben.“ Frau Krüger nickte. „Gut Gerkhan, danke.“, meinte sie dann kühl. „Und jetzt gehen Sie zu Jäger und fahren Sie mit ins Krankenhaus. Sie lassen sich dort durchchecken, ich will Sie hier nicht mehr sehen; Sie haben genug durchgemacht.“ Semir warf ihr einen hitzigen Blick zu. „Frau Krüger, ich hab‘ diese Kinder da oben gesehen! Ich geh hier nicht weg, bevor sie nicht alle gerettet sind, kapiert?“ Frau Krüger sah ihn kalt an. „Gerkhan, Sie haben da oben einiges erlebt. Die Situation ist kniffelig genug, wenn Sie da jetzt noch etwas Persönliches draus machen –“ Aber Semir ließ sie nicht aussprechen. „Da oben sind unschuldige Schüler gefangen!“, schrie er. „Sie können mir nicht erzählen, dass hier nicht jeder einzelne etwas Persönliches daraus macht!“ Er nickte in die Menge. „Ich bleibe hier!“ Wild entschlossen sah er die Chefin an, die kurz seufzte. „Schön, aber kurz durchchecken lassen Sie sich trotzdem.“ Semir öffnete schon den Mund um zu wiedersprechen, aber andererseits hatte er eh noch kurz nach Ben sehen wollen, bevor dieser ins Krankenhaus gebracht wurde und so konnte er sich die Diskussion auch sparen. Wortlos drehte er sich um und ging auf den Krankenwagen zu, der etwas abseits vom Getümmel aus Polizeiwagen wartete.



    Ben schloss müde die Augen; versuchte mit aller Kraft endlich die Schmerzen zu verdrängen. Das Liegen half. Und auch wenn er nicht wirklich verstand, was passiert war, so wusste er zumindest doch, dass er jetzt in Sicherheit war. Auch das half. Überall um ihn herum waren Stimmen, aber er hatte nicht die Kraft die Augen zu öffnen. Am liebsten wäre er sofort eingeschlafen, aber da war noch dieser stechende Schmerz in seiner Seite; so unerträglich, dass ihm schlecht wurde und es ihm die Tränen in die Augen trieb. Es ruckelte eine Weile, dann war seine Unterlage wieder ruhig; schien zu stehen. Langsam wurde es besser. Mit aller Anstrengung öffnete er ein Auge und versuchte sich auf die fremde Stimme zu konzentrieren, die fortlaufend auf ihn einredete. „Können Sie mich hören?“ Ben presste die Lippen fest aufeinander, als sein Magen sich zusammenzog. Ganz leicht nickte er. Ben spürte, wie man ihm Semirs provisorischen Verband vom Leib riss. Er schrie auf vor Schmerz, als sie ihm neue Tücher auf die Wunde pressten. Es tat so weh, dass Ben fast die Luft wegblieb. Tapfer krallte er sich in die Decke, die man ihm über die nackte Brust gelegt hatte und versuchte das unkontrollierte Zittern seines Körpers in den Griff zu kriegen. Dann wurde es wieder besser. Ben wagte es die Augen zu öffnen und den Kopf auf Seite zu drehen, sodass er sich übergeben konnte. Er spürte eine Hand auf seiner Schulter und als er fertig war ließ er sich widerstandlos das Gesicht abwischen. „Versuchen Sie ganz ruhig zu atmen.“, erklärte eine fremde Stimme. „Wir werden Sie gleich mit ins Krankenhaus nehmen.“ Ben sagte gar nichts; seine Umgebung wurde langsam schärfer. Jetzt sah er erst die ganzen Sirenen; sah seine alte Schule… „Was ist mit den Kindern?“, brach es aus ihm heraus und er blickte suchend auf den inzwischen dunklen Schulhof – die Sonne war endgültig untergegangen. „Die sind noch da drin, aber Sie müssen sich keine Sorgen machen.“, meinte der Sanitäter beruhigend und Ben nahm ihn zum ersten Mal als Mediziner war. Er schüttelte den Kopf; offenbar hatten sie ihm Schmerzmittel gegeben, denn mit jeder Sekunde wurde es besser. „Sie werden sie umbringen.“, flüsterte er entsetzt.



    .....

  • Sooo, und ab jetzt geht es normal weiter!! Viel Spaß!! :)



    In dem Moment kam Semir dazu. „Ben, wie geht’s dir?“, fragte er und strich Ben sanft durchs Haar. „Semir, was ist passiert?“, fragte Ben, der nun immer unsicherer wurde. Warum war er hier draußen und die Schüler nicht? Die Flucht durch den Lüftungsschacht hatte Ben kaum noch mitbekommen; war nur darauf konzentriert gewesen das Alles irgendwie auszuhalten. Warum und wohin sie gekrochen waren; das hatte er nicht verstanden. Semir schluckte und erzählte ganz kurz, was passiert war. „Du hättest das nicht mehr geschafft, Ben.“, schloss er schließlich leise. „Es war die einzige Chance – für uns und für die Schüler.“ Ben nickte schwach; ändern konnte er es eh nicht mehr. „Und was machen wir jetzt?“, fragte er müde. Semir schenkte ihm ein schwaches Lächeln. „Du fährst jetzt erstmal ins Krankenhaus. Ich bleibe hier.“, erklärte er, aber Ben, bei dem das Schmerzmittel nun seine volle Wirkung entfaltete, schüttelte stur den Kopf. „Ich fahr nicht ins Krankenhaus!“, meinte er bockig. „Ich geh hier nicht weg.“ Semir verdrehte genervt die Augen, auch wenn ihm durchaus klar war, dass er dieselben Worte nur wenige Minuten zuvor noch selber benutzt hatte. „Du bist verletzt, Ben.“, stellte er nüchtern fest. „Du kannst hier nichts machen; du quälst dich doch nur. Schlaf dich lieber richtig aus und wenn du wieder aufwachst ist alles vorbei.“ Aber Ben schüttelte nur stärker den Kopf. „Ich kann jetzt nicht schlafen, Semir!“, erklärte er stur. „Bitte…“ Seine Stimme wurde flehend. „Es sind schon Leute gestorben. Ich kann doch jetzt nicht einfach abhauen, obwohl ich weiß, dass da oben noch zwanzig unschuldige Kinder sind!“ Semir sah ihn bloß an. Er bereute inzwischen, dass er noch einmal zu Ben gegangen war. Seine Schmerzen schienen durch die Medikamente besser geworden zu sein und er konnte wieder klar denken. Und das Schlimmste war, dass Semir ihn nur zu gut verstand, weil er genau das Gleiche fühlte. Er wusste auch, wie unmöglich der Gedanken für ihn war, einfach wegzugehen und das alles hier anderen zu überlassen. Und genauso unerträglich musste es sich auch für Ben anfühlen. Unsicher wandte er sich an den Arzt. „Meinen Sie, Sie können ihn auch hier versorgen?“, fragte er leise, auch wenn alles in ihm schrie, dass es falsch war. Der Doc sah ihn ernst an. „Die Wunde ist tief und extrem schmerzhaft, aber nicht schlimm. Es wird wehtun, aber wir könnten auch hier nähen. Aber Herr Jäger braucht Ruhe. Er hat extrem viel Blut verloren. Ich weiß nicht, ob das hier jetzt der richtige Ort für ihn ist.“ Semir warf einen schnellen Blick auf Ben, der zuhörte und die Beiden flehend ansah. „Bitte Doc.“, begann er leise. „Ich kann nicht hier weg! Ich ertrag das nicht!“ Der Arzt sah ihn ernst an. „Das ist Ihre Entscheidung; ich kann Sie zu nichts zwingen. Sind Sie sicher?“ Eine klitzekleine Sekunde zögerte Ben; dachte an die Schmerzen und an den Wunsch einfach nur zu schlafen. Doch dann dachte er an die Kinder und an seinen toten Lehrer und er nickte.


    Semir seufzte. In jeder anderen Situation hätte er vermutlich nicht mit sich reden lassen und Ben unter jeden Umständen ins Krankenhaus geschickt, aber die Tatsache, dass er sich genauso fühlte wie Ben; genauso verantwortlich für diese Kinder; ließ ihn zögern. Er wusste, dass Ben sich nicht ausruhen konnte – im Krankenhaus vermutlich noch weniger als hier. Und Ben konnte auch hier versorgt werden; der Arzt hatte ihm noch einmal versichert, dass die Wunde keinesfalls lebensgefährlich wäre, solange Ben nicht noch mehr Blut verlieren würde. „Geh zur Krüger, ja?“, bat Ben ihn leise, als sich die Ärzte aufs Nähen vorbereiteten. „Soll ich nicht hier bleiben?“, fragte Semir erstaunt, aber Ben schüttelte den Kopf. „Ich schaff das schon.“, erklärte er entschlossen. „Du musst dir das nicht ansehen. Bei der Krüger hast du mehr Nutzen; wir brauchen ‘nen Plan.“ Ben versuchte ein tapferes Lächeln, doch es verschwand in einem Ausdruck der Erschöpfung und der Angst auf den kommenden Schmerz. Semir brach es fast das Herz, Ben so zu sehen. „Ich kann auch bei dir bleiben.“, versicherte er ihm, aber Ben schloss nur müde die Augen. „Ich will nicht, dass du mich so sehen musst, okay?“, meinte Ben mit erstaunlich fester Stimme. „Es gibt im Moment wichtigeres als mich.“ Semir sah, dass er es ernst meinte. Also drückte er Ben bloß noch einmal wortlos die Schulter und ging dann. Ben blieb zurück und versuchte ganz ruhig zu bleiben. Er wusste, dass es wehtun würde, aber er musste jetzt stark sein. Es gab einfach keinen anderen Weg. Vielleicht wäre es wirklich einfach gewesen, wenn Semir seine Hand gehalten hätte, aber er wollte nicht, dass sein Partner sah, wie sehr er litt, denn er befürchtete Semir würde die Aktion dann abbrechen und ihn doch noch ins Krankenhaus schicken und das wollte Ben um jeden Preis verhindern. Er würde es nicht aushalten ahnungslos dort zu liegen, während er genau wusste, dass hier unschuldige Leben in Gefahr waren. Und auch wenn er wusste, dass er in seinem Zustand nicht mehr viel ausrichten konnte, so fühlte es sich trotzdem falsch an einfach abzuhauen, wie er und Semir es eben schon getan hatten. Nein: dass er jetzt hier blieb und aushielt, das schuldete er den Schülern.

  • „Sind Sie bereit?“ Ben öffnete die Augen als er die Stimme des Arztes hörte. „Es wird verdammt weh tun, denke ich.“, erklärte dieser ihm. „Wenn es gar nicht mehr geht müssen Sie Bescheid sagen, aber wenn wir einmal mit dem Nähen angefangen haben, müssen wir es eigentlich bis zum Ende durchziehen.“ Ben nickte nur. „Sie haben zwar Schmerzmittel bekommen, aber spüren werden Sie’s trotzdem mehr als deutlich. Und gleich können Sie nicht mehr nein sagen.“ Doch egal was der Arzt sagte und noch sagen würde: Ben hatte seine Entscheidung getroffen. „Fangen Sie schon an.“, forderte er mit zittriger Stimme und krallte seine Hände schon einmal vorsorglich in die Decke. Der Arzt lächelte aufmunternd. „Ich schätze das wird einige Minuten dauern. Ich werde in der Zeit mit Ihnen reden und ich möchte, dass Sie mir antworten, okay? Wenn wir fertig sind, wird es schnell besser werden.“ Erneut nickte Ben tapfer. „Bereit?“ Wieder ein Nicken. „Okay, dann fangen wir jetzt an.“ Und schon ging es los. Den ersten Stich spürte Ben nur undeutlich doch der Rest tat dafür umso schlimmer weh. Er presste die Lippen fest aufeinander um nicht zu schreien, doch irgendwann hielt er es nicht mehr aus. Er spürte, wie jemand ihm beruhigend über den Kopf strich und ihm sanft ein Tuch auf den Mund presste, das seine Schreie erstickten. Bens ganzer Körper begann zu zittern und seine Umgebung schien immer weiter in die Ferne zu gleiten. Er hörte die Stimme des Arztes nicht mehr; hörte gar nichts mehr außer einem monotonen Rauschen. Dann holten ihn eine leichte Ohrfeige und etwas Nasses zurück in die Realität. „Sie müssen wach bleiben.“, erklärte ihm der Arzt und Ben brachte mit größter Mühe ein Nicken zustande. Doch die Tortur ging schneller vorbei als vermutet. Zwar kam die Zeit Ben immer noch vor wie eine Ewigkeit, doch er war überrascht, als man ihm sagte, es wäre geschafft. Ben brauchte noch ein paar Sekunden, bis die Worte zu ihm durchgedrungen waren. Er schloss die Augen und versuchte sich auf seinen Atem zu konzentrieren und tatsächlich wurde es langsam besser. „Geht’s?“, fragte der Arzt und Ben war erleichtert, dass er seine Stimme wieder klar und deutlich hörte. Er nickte schwach und öffnete die Augen. Zwar brannte die Wunde immer noch höllisch, aber der Schmerz wurde schnell erträglich. „Wir verbinden die Wunde trotzdem noch; dann können Sie sich etwas ausruhen.“, erklärte der Arzt und fünf Minuten später hatte man Ben komplett mit der warmen Decke zugedeckt.


    „Danke.“, murmelte Ben und genoss die Wärme, die sich ausbreitete. „Wollen Sie in den Krankenwagen; da ist es ruhiger.“, fragte der Arzt, aber Ben schüttelte den Kopf. „Hier ist super.“, meinte er schwach und richtete seinen Blick auf das einzige beleuchtete Fenster der Schuler im obersten Stockwerk. Der Arzt seufzte, aber er wolle keine Diskussion mit seinem ohnehin schon geschwächten Patienten anfangen und so zuckte er bloß die Schultern. „Wenn irgendwas sein sollte; meine Kollegen und ich sind immer in der Nähe.“, erklärte er. Ben nickte dankend ohne den Blick von dem Fenster zu nehmen. Er fühlte sich machtlos hier unten auf seiner Liege, denn was konnte er schon ausrichten außer das Fenster anzustarren. Aber trotzdem war es besser als in einem fremden Krankenhaus zu liegen. Sein Bauch tat weh und ihm war übel; er spürte den Schweiß kalt auf seinem Gesicht und er war so unendlich müde. Aber obwohl er sich so krank und schlecht fühle wollte er hier bleiben. Er wollte nicht weg, egal wie wenig er hier tun konnte. Und auch wenn es anstrengend war und ihn seine ganze Kraft kostete, kämpfte er mit aller Kraft gegen die Müdigkeit an. Er musste wach bleiben! Er war es den Schülern schuldig. Ben drehte sich ein Stückchen auf die Seite und zog die Beine an; seine Hände waren immer noch in die Decke gekrallt und er presste sie fest gegen seine Brust. Müde starrte er mit roten Augen auf das Gebäude; Ewigkeiten… nur nicht einschlafen…

  • „Wir können nicht stürmen!“, erklärte Frau Krüger genervt und zum ungefähr hundertsten Mal. „Aber wir können doch nicht einfach abwarten, bis…“ Ja, bis wann? „Es ist viel zu gefährlich! Wir müssen auf ein Zeichen von den Geiselnehmern warten. Bevor wir nicht wissen, wie die jetzt drauf sind oder was die wollen, können wir nicht zugreifen. Die haben zwanzig Schüler da oben!“, fauchte Frau Krüger. „Ich weiß.“, schnappte Semir zurück. Und trotzdem fühlte es sich so falsch an einfach nichts zu tun. „Wir haben das Gebäude umstellt.“ Jetzt war Frau Krügers Stimme sanfter. „Die kommen hier nicht weg und das wissen die auch. Sie werden den Schülern nichts tun und irgendwann werden sie auch ein Zeichen von sich geben.“ Semirs Blick war immer noch zweifelnd. Frau Krüger seufzte. „Wir warten bis Sonnenaufgang. Wenn bis dahin noch nichts passiert ist, sehen wir weiter.“ Semir nickte bloß. Was hatte er auch für eine Wahl? Im Moment konnten sie nur warten. Er überlegte kurz nach Ben zu sehen, aber der würde vermutlich schlafen. Also blieb er in dem Polizeiwagen sitzen, der als Einsatzzentrale vorgesehen war und starrte trübe auf das einzige beleuchtete Fenster im obersten Stockwerk. Die Kollegen hatten Leo eben verhört, aber neue Informationen hatte das kaum gebracht. Leo war wütend gewesen, dass auch Ben ihm nicht hatte helfen können; dass ihn einfach niemand verstand. Er hatte seinen Kameraden Angst machen wollen und dann seine sogenannten Freunde von früher angeheuert. Dass er die nicht unter Kontrolle hatte, hatte er leider zu spät bemerkt. Sie hatten ihn weggefahren. Semir atmete einmal tief durch und zermarterte sich erneut das Hirn, was sie tun könnten, doch am Ende kam er immer wieder auf das gleiche Ergebnis, zu dem auch Frau Krüger eben gekommen war: Dass die Antwort auf seine Frage im Moment ‚nichts‘ lautete; dass sie einfach nichts tun konnten. Gar nichts.


    Zwei Stunden vergingen und schließlich hielt Semir das Rumsitzen nicht mehr aus. Er stand auf und ging in Richtung der Krankenwagen. Ben lag auf seiner Liege; nun vollständig zugedeckt. Die Beleuchtung war hier nur noch schwach – die Lampen, die eben aufgebaut worden waren um Ben zu untersuchen waren ausgemacht worden – und so dachte Semir zunächst Ben würde schlafen. Erst als er ihm sanft durchs Haar strich und Ben den Kopf drehte, erkannte er, dass Ben doch wach war. „Hey, Partner.“, meinte Semir überrascht und sah besorgt in Bens blasses Gesicht. „Wie geht’s dir?“ Ben schüttelte nur schwach den Kopf und richtete seinen Blick wieder auf dasselbe Fenster, dass Semir die letzten zwei Stunden angestarrt hatte. „Nicht gut? Willst du doch ins Krankenhaus?“, fragte er besorgt und Ben drehte erneut den Kopf. Auch wenn ihm alles wehtat und er sich fühlte, als müsste er sich gleich übergeben. Auch wenn er so erschöpft war, dass er kaum die Augen offen halten konnte. „Ich bleib‘ hier.“, murmelte er und das war alles was er hervorbringen konnte. Semir seufzte und strich ihm sanft durchs Haar. „Hast du Schmerzen?“, führte er seine Befragung fort. Ben zuckte bloß die Schultern; ihm war nicht wirklich nach Reden zumute, dafür war ihm zu schlecht. Semir schien das zu akzeptieren, denn er blieb nun stumm und setzte sich wortlos neben Ben auf die Liege. Wie sein Partner richtete er seinen Blick erneut auf das Fenster; mit einer Hand strich er Ben immer wieder sanft durch die verschwitzten Haare; mehr um eine Beschäftigung für seine Hände zu haben, als um Ben damit wirklich zu helfen. Lange saßen sie so da; schweigend; den Blick auf dem Fenster. Und als Semirs Blick irgendwann doch auf Ben fiel, hatte dieser die Augen geschlossen. „Ben?“, flüsterte Semir leise, aber er erhielt keine Antwort. Bens Atem ging ruhig und regelmäßig; die Hand, die sich an die Decke geklammert hatte, lag schlaff auf der Liege. Und in all der Angst und der Hilflosigkeit, die diese ganze Szene hier verbreitete, strahlte der Anblick des schlafenden Bens doch etwas friedliches und ruhiges aus und Semir konnte nicht umhin zu lächeln.

  • Inzwischen war es fast Mitternacht. Semir blieb noch etwas bei Ben doch irgendwann zog er dessen Decke bis zum Kinn und stand leise auf, um zum Einsatzwagen zurückzukehren. Frau Krüger warf ihm einen erschöpften Blick zu. „Was ist mit Ben?“, fragte sie sobald Semir den Wagen betreten hatte. „Schläft.“, erklärte Semir leise und auch Frau Krüger musste kurz lächeln. „Besser so.“, meinte sie und rückte ein Stückchen, sodass Semir sich auch setzten konnte. „Ich habe hier Pläne von der Schule.“, erklärte sie und zeigte auf den Plan, der auf dem Tisch ausgebreitet war. Semir starrte auf das Wirrwarr von Gängen; er konnte nicht einmal sagen, wo der Raum sein sollte, in dem die Schüler gefangen waren. „Die Schule hat nur einen einzigen Eingang.“, erklärte Frau Krüger. „Den Haupteingang. Da seid ihr eben raus.“ Semir nickte müde. „Und?“ „Im Bereich der Eingangshalle gibt’s überall Überwachungskameras und ich habe eben mit dem Schulleiter gesprochen; die Kameras sind per Internet über die Schullaptops in jedem Raum abrufbar. Die können also sehen, wenn jemand reinkommt.“ „Aber ich hab nichts gesehen.“, protestierte Semir sofort. „Ich hab mit dem Direktor gesprochen: es gibt Computer, darüber laufen die Kameras.“, erklärte Frau Krüger ungeduldig. „Wir müssen auf jeden Fall davon ausgehen, dass die die Halle überwachen.“ Semir nickte bloß. „Und?“, fragte er erneut. „Die Fenster sind allesamt vergittert und man kann sie nicht öffnen – die Schule ist ein reinster Sicherheitstrakt; wir kommen da nicht unbemerkt rein.“ Semir rieb sich durch die müden Augen. „Also können wir gar nicht stürmen?“, fragte er. Frau Krüger schüttelte grimmig den Kopf. „Da sie ganz oben sind, nicht schnell genug.“, stimmte sie zu. „Wir müssen warten.“ Semir seufzte; es war zum Verzweifeln. „Scheiße.“, stieß er aus und schlug mit der Faust auf den Tisch. Frau Krüger sagte gar nichts. Wütend stand Semir auf und verließ den Wagen. Er schob sich durch die Menge; vorbei an Ben, der immer noch friedlich schlief; vorbei an den Krankenwagen, bis er ganz am Rand des eingemauerten Schulhofs angekommen war. Dort ließ er sich gegen eine Mauer sinken und schloss die Augen. Er atmete tief die kühle Nachtluft ein; genoss die Ruhe und die Dunkelheit hier hinten; abseits von den vielen Polizisten. Vermutlich war auch er kurz eingenickt, denn als er die Augen wieder öffnete, zeigte der Himmel schon rote Streifen.


    Auch Ben öffnete die Augen, als die ersten Sonnenstrahlen in sein Gesicht schienen. Erstaunlicherweise fühlte er sich schon viel besser als zuvor; ausgeruhter und seine Wunde tat nach der Ruhe auch nicht mehr weh. Noch im Halbschlaf setzte er sich auf und blinkte in das Licht der Morgensonne. Erst dann kamen die Erinnerungen zurück, aber während er geschlafen hatte, schien sich nicht viel verändert zu haben. Und so wie es aussah waren da oben immer noch rund 20 unschuldige Schüler. Ben drehte den Kopf, als er Schritte hörte und sah Semir, der ebenfalls ziemlich fertig aussah. „Ben.“, begrüßte er ihn und zwang sich zu einem Lächeln. „Wie geht’s dir?“ Ben ignorierte die Frage. „Was ist mit den Schülern?“, fragte er sofort und warf die Decke zurück. Semir sah auf den Boden und schüttelte leicht den Kopf. Ben seufzte und schwang nun die Beine von seiner Liege. Semir machte einen Schritt nach vorne. „Was machst du da?“, schnappte er und versuchte Ben zurück auf seine Liege zu drücken, aber der Jüngere war schon herunter gehüpft und wich Semir geschickt aus. „Leg dich wieder hin.“ Aber Ben schüttelte den Kopf. Ja; er fühlte sich noch etwas wackelig auf den Beinen und seine Wunde tat noch weh, aber es war okay und Ben hatte nicht vor sich jetzt wieder hinzulegen und sich noch nutzloser zu fühlen als der Asphalt auf dem Schulhof. Er wollte etwas tun und der Schlaf hatte ihm gut getan und ihm neue Kraft gegeben. Er hatte sich sicherlich schon mal besser gefühlt, aber es war ihm auch schon mal schlechter gegangen und da ihm vom Stehen weder schlecht noch schwindelig noch sonst was wurde und seine Wunde auch nicht mehr weh tat als vorher auch, sah er keinen Grund liegen zu bleiben. Semir sah das etwas anders. „Ben!“, fauchte er genervt. „Wir haben hier genug Probleme: Wenn du hierbleiben willst, leg dich wieder hin, sonst fährst du ins Krankenhaus, kapiert?“ Ben rollte nur die Augen. „Mir geht’s gut, klar?“, konterte er. „Ich kenn‘ die Schule; ich weiß wir man reinkommt und wo was ist. Wir müssen etwas tun und ich kann helfen, verstehst du? Das sind wir denen schuldig.“ Semir dachte unwillkürlich an den Plan, den Frau Krüger ihm gestern gezeigt hatte; den Plan, so unübersichtlich, dass die Schule durchaus auch als Labyrinth hätte herhalten können. Und auch wenn Semir genau wusste, dass Ben sich lieber hingelegt hätte; so wusste er auch, dass sein jüngerer Partner Recht hatte: Er kannte das Labyrinth – er kannte wahrscheinlich als einziger Polizist hier den schnellsten und direktesten Weg nach draußen.

  • Also nickte Semir geschlagen. „Na gut, bis zum Einsatzwagen.“, murmelte er. Ben konnte sich immer noch dorthin setzten und sich ausruhen und dabei vielleicht einen Blick auf die Pläne werfen. Vielleicht gab es ja doch noch einen Eingang; irgendeinen Weg herein, sodass sie stürmen konnten… Auch Frau Krüger war nicht sonderlich begeistert zu sehen, dass Ben mal wieder seine Gesundheit komplett ignorierte, aber sie sagte nichts, sondern warf ihm nur einen kühlen Blick zu. „Wir müssen irgendwie unbemerkt in die Schule.“, erklärte Semir Ben die Situation kurz. „Der einzige Eingang ist durch die Haupttür, aber in der Eingangshalle gibt es Kameras, die ganz einfach über die Schulcomputer abgerufen werden können, also müssen wir davon ausgehen, dass sie sofort bemerken, wenn wir es so versuchen und auch den Lüftungsschacht werden sie nicht einfach so unbewacht lassen. Durch die Fenster kommen wir auch nicht so ohne weiteres; die sind sicher wie in einem Gefängnis.“ Ben nickte nur. „Aber um stürmen zu können, müssen wir unbemerkt in das Gebäude, damit sie keine Möglichkeit haben zu reagieren. Wenn wir durch den Haupteingang gehen, merken die’s sofort und die Schüler sind tot, bevor wir überhaupt die Treppen gefunden haben. Aber wenn wir einen anderen Eingang finden würden; einen den sie selber nicht kennen…“ Seine Worte verloren sich. Sie hatten bereits den Direktor gefragt und der hatte bloß den Kopf geschüttelt. Die Schule sei gesichert und zwar bis ins letzte Detail. Keiner sollte hereinkommen – was war, wenn jemand bereits hereingekommen war; darüber hatte man nicht weiter nachgedacht. Wie die vier Jungs hereingekommen waren, konnte auch keiner sagen. Aber im Moment war es auch egal. Ben war verstummt und starrte auf den Plan; dann sah er auf. „Es gibt eine Möglichkeit.“, murmelte er leise und sofort starrten Semir und Frau Krüger ihn an.


    „Es gab mal einen alten Bunker.“, erklärte Ben schnell. „Noch vom Krieg; der liegt etwas abseits da hinten im Wald, aber von da führt ein Gang in die Schule. Der ist seit dem Bau einsturzgefährdet, deshalb ist das Teil nicht auf dem Plan und ich hab keine Ahnung, ob der nicht inzwischen zusammengebrochen ist, aber einen Versuch ist’s wert!“ Semir sah Ben aufgeregt an. „Und wo kommt der raus?“ Ben zuckte bloß die Schultern. „Keine Ahnung; ich nehm‘ mal an irgendwo im Keller. Wie gesagt; ich hab das Ding nie benutzt.“ Frau Krüger sah ihn stirnrunzelnd an. „Jäger; das ganze Gebäude ist ein einziges Labyrinth. Wir müssen schnell sein. Wenn wir den Weg vorher nicht wissen…“ Aber auch dafür hatte Ben schon eine Lösung: „Ich geh mit!“, erklärte er mit einer Stimme, als würde er über das Wetter reden. „Ich kenn mich aus; ich weiß wo wir lang müssen! Egal wo wir rauskommen.“ Frau Krüger seufzte bloß und verbarg das Gesicht in den Händen und Semir starrte Ben böse an. „Du gehst nicht mit!“, schnappte er, aber Ben ließ sich nicht beirren. „Semir. Da sind zwanzig unschuldige Schüler gefangen und die werden sterben, wenn wir nicht bald was unternehmen. Das ist unsere Chance! Mir geht’s gut; wir haben das SEK dabei – da kann gar nichts passieren.“ Semir öffnete den Mund, aber Frau Krüger unterbrach ihn. „Jäger hat Recht.“, seufzte sie widerwillig. „Wir haben gar keine andere Möglichkeit.“ Semir warf ihr einen wütenden Blick zu. „Ben ist angeschossen.“, fauchte er. „Er war gestern mehr tot als lebendig! Er gehört ins Krankenhaus und nicht inmitten einer Schießerei!“ „Es ist Jägers Entscheidung und es ist unsere einzige Chance. Wenn er sich zutraut dem SEK den Weg zu zeigen dann werde ich ihn nicht daran hindern.“, erklärte Frau Krüger leise und Semir hörte auch aus ihrer Stimme die Müdigkeit. „Im Moment ist es die einzige Möglichkeit, die wir haben: Ben ist der einzige Polizist, der den Weg weiß. Und er weiß, wie er sich verhalten muss.“ Ben sah Semir nun direkt an. „Bitte Semir.“, flüsterte er leise und Semir erwiderte seinen Blick. „Ich komm mit!“, erklärte er schließlich und Ben konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Du bleibst die ganze Zeit hinter mir und sobald das SEK den Raum hat, gehen wir raus.“, fuhr er fort. „Du zeigst bloß den Weg; wenn wir angreifen will ich dich draußen haben, klar?“ Ben nickte. „Klar.“, meinte er ohne Semir richtig zugehört zu haben.

  • Eine Stunde später standen Ben und Semir – beide mit schusssicheren Westen – gemeinsam mit einer 30 Mann starken SEK-Truppe vor dem alten Bunker jenseits der Schulmauer. „Okay.“, meinte Semir, der die Einsatzleitung übernommen hatte. „Ben und ich gehen vor und checken die Lage ab. Wenn der Gang begehbar ist, geben wir ein Zeichen und ihr kommt nach.“ Einheitliches Nicken. Semir warf Ben einen kurzen Blick zu. „Bereit?“, fragte er leise und Ben nickte. Gemeinsam stemmten sie die verrostete Tür auf, die vermutlich seit über 50 Jahren nicht mehr geöffnet wurden war. Ben biss die Zähne zusammen, als sein Bauch wieder anfing ziemlich zu brennen und Semir winkte einen SEK-Kollegen als Hilfe herbei. Ben trat wortlos zur Seite und ließ den Anderen die Tür öffnen. Dahinter befand sich einen schmale Treppe, die nach unten in eine unbekannte Dunkelheit führte. Ohne zu zögern ging Semir vor, bevor Ben diesen Job übernehmen konnte. Während draußen immer noch die schwüle Sommerhitze in der Luft hing, war es in dem alten Bunker kühl und es roch nach Schimmel. Ben folgte Semir die schmalen Stufen herunter und versuchte die Schmerzen zu ignorieren, die bei der Belastung tatsächlich wieder schlimmer wurden. Zum Glück war es dunkel genug, dass Semir sein schmerzverzerrtes Gesicht nicht sehen konnte. Es war ein beklemmendes Gefühl hier unten; kalt und die Erde schien von allen Seiten auf sie einzudrücken. Ben war froh oben durch die Luke noch ein Stückchen Himmel sehen zu können. Semir leuchtete mit seiner Lampe in den dunklen Raum: er war erstaunlich groß und bot Platz für bestimmt hundert Menschen. Am anderen Ende war eine Tür, die zum Gang zur Schule führen musste. Mit wenigen Schritten durchquerten sie den Raum und Semir versuchte sich an der Tür, die allerdings ebenfalls zu klemmen schien. „Ach scheiße.“, murmelte Semir und nahm Anlauf um sich mit voller Wucht gegen das Stück Metall zu werfen. Nichts regte sich. Semir nahm erneut Anlauf und diesmal schien es tatsächlich zu funktionieren; Ben meinte den Ruck zu spüren, der durch die Wand ging, an der er lehnte. Es knirschte und Semir trat nun erneut mit voller Wucht gegen die Tür. Dass der Bunker seit Jahren einsturzgefährdet war, hatten Beide vergessen…


    Diese Tatsache schoss ihnen allerdings nur Sekunden später zurück in den Kopf, doch da war es natürlich schon zu spät. Das Knirschen, das mussten Ben und Semir nun feststellen, war keinesfalls von der Tür gekommen, sondern von der gesamten Konstruktion und schon regnete es die ersten kleineren Felsbrocken von der unebenen Decke. „Scheiße!“, stieß Semir aus und fuhr herum. „LAUF!“ Und er hechtete los zur Treppe. Ben folgte ihm so schnell er konnte, aber sein Bauch brannte und er hatte den Raum noch nicht halb durchquert, als ihn ein Stein an der Schulter traf. Ben geriet ins Stolpern; er spürte wie die Wunde an seiner Seite aufzureißen drohte und schaffte es nicht sich abzufangen. Schmerzhaft landete er auf den Knien; ein weiterer Stein traf ihn am Rücken. Inzwischen war das Knirschen zu einem ohrenbetäubenden Krach geworden. Alles war voller Staub und es war ein Wunder, dass Semir Ben überhaupt noch sehen konnte, denn der Ältere hatte den rettenden Ausgang bereits erreicht, als er sich nach seinem Partner umsah und den inmitten des Raumes auf dem Boden knien sah. „BEN!“, schrie er und ohne lange zu überlegen fuhr er herum und sprintete zurück. Er wich geschickt den herunterfallenden Steinen aus und schaffte es schließlich, Ben zu erreichen und seinen besten Freund hochzuziehen. Ben gab sich alle Mühe sich auf das Laufen zu konzentrieren und mit Semirs Hilfe schafften sie es tatsächlich bis zur Treppe. Weiter kamen sie allerdings nicht: Semir setzte seinen Fuß auf die erste Stufe, doch der Stein bröckelte unter seinen Füßen weg; er musste zurückstolpern, als ein großer Brocken vor ihm auf der Treppe landete und durch die Wucht fiel Ben erneut hin. In Panik versuchte er erneut auf die Beine zu kommen und sich an Semir hochzuziehen. Dann traf ihn der nächste Stein; diesmal an der Schläfe und alles wurde schwarz.

  • Ja hallo erst mal!!:D - Ähhm, ich hoffe ihr lest die Story jz trotzdem weiter, trotz der langen Pause!!:D Mein Laptop is heute wieder gekommen *-* Also viel Spaß weiterhin bei der Story und FEDET!! ;)


    Semir spürte, wie Bens Körper neben ihm erschlaffte und er sah, wie das Blut klebrig über seine Stirn und Wangen floss. „BEN!“, schrie er und versuchte ihn so die Treppen hochzuschleifen, aber es war zu spät. Mit einem letzten Ächzen brach der Bunker nun endgültig ineinander zusammen. Semir schaffte es nur die halbe Treppe nach oben, dann musste er einsehen, dass er keine Chance mehr hatte. Er kauerte sich auf den Boden; sein Körper lag schützend über Bens; die Arme hatte er auf den Kopf gelegt. Er spürte und hörte, wie der unterirdische Raum hinter ihm zusammenbrach und die beiden Polizisten hoffnungslos in einem Haufen Geröll einschloss. Als es vorbei war, wagte Semir zunächst nicht die Augen zu öffnen, doch dann hob er ganz langsam den Kopf: Er sah nicht viel; besser gesagt gar nichts, doch er konnte die losen Steine, die auf seinem Körper lagen problemlos wegschieben. Er richtete sich ein Stückchen auf und stieß mit dem Kopf gegen Stein. Mit den Händen versuchte er das Hindernis wegzuschieben, doch er hätte genauso gut versuchen können ein Haus wegzuschieben: Der Stein rührte sich kein Stück. Ängstlich tastete er weiter nach allen Seiten, doch sehr weit kam er nicht – sie waren eingeschlossen. Vorsichtig rollte er sich von Ben und gab ihm eine sanfte Ohrfeige. „Hey Ben.“, hustete er und spuckte eine Ladung Staub aus. Er erhielt keine Antwort. „BEN!“ Ein Stöhnen. Langsam öffnete Ben die Augen. Er hatte keine Ahnung wo er war und was passiert war und sehen tat er auch nichts. Er spürte, dass sein ganzer Körper unaufhörlich zitterte und obwohl ihm wortwörtlich alles wehtat, konzentrierte sich der Schmerz schon wieder auf seine Wunde, die zumindest wieder leicht angefangen hatte zu bluten. Ängstlich wollte sich Ben aufrichten, aber er stieß wie sein Partner zuvor bloß mit dem Kopf gegen den Stein. Sofort machte sich die Panik in ihm bereit und er presste die Hände gegen das Hindernis. Genau wie Semir blieb er ohne Erfolg. Ängstlich keuchte Ben auf und presste die Hände nun gegen den Stein zu seiner Seite mit dem gleichen Resultat. Semir legte ihm beruhigend die Hand auf die Schultern und versuchte Ben zurück auf den Boden zu drücken. „Bleib ruhig!“, wies er ihn eindringlich an, doch Ben schien ihn nicht zu hören. Wie konnte er jetzt auch ruhig bleiben? Er war noch nicht einmal richtig wach; hatte keine Ahnung wo er war; er hatte Angst und wollte weg; ihm tat alles weh und es war insbesondere eine einzige Erinnerung, die sich gerade in sein Gedächtnis schob und alles andere verdrängte: Die Erinnerung an einen Sarg und das rote Blinken einer Kamera.


    Semir gab seinen Versuch auf Ben zu beruhigen und versuchte lieber ihre Chancen durchzurechnen: Sie waren die Treppe immerhin schon halb oben gewesen, so tief konnten sie nicht sein. Tatsächlich meinte er sogar Stimmen zu hören. Und alleine schon, dass die herabstürzenden Steine sie nicht zerquetscht, sondern sich so verkantet hatten, dass sie in einem Hohlraum ohne Verletzungen davongekommen waren, grenzte beinahe an ein Wunder – ein Wunder, dass hieß, dass es hier nicht vorbei war. Dass das alles halb so schlimm war und die Kollegen sie bald retten würden. „HIER!“, schrie er so laut er konnte und ignorierte Ben, der neben ihm zusammenzuckte. „HIER!“. Und wirklich hörte er nur Sekunden später ein Knirschen über sich – Steine, die auf Seite geschleift wurden. „HIER UNTEN!“, schrie er erneut und diesmal erhielt er eine Antwort. „Seid ihr okay?“, hörte er eine männliche Stimme von erstaunlich nah. „Ja.“, meinte Semir kurz angebunden. „Gut, wir holen euch jetzt.“ Die Stimme war gedämpft, aber Semir war sich sicher, dass sie keinen Meter voneinander getrennt waren. „Hey, beruhig dich, ja?“, wandte er sich wieder an Ben, der sich immer noch panisch hin und her drehte und absolut nichts mitzukriegen schien. „HEY!“ Semir packte den Jüngeren an den Handgelenken und hielt ihn so fest, dass Ben irgendwann die Tränen in die Augen schossen. „Sieh mich an.“, forderte Semir und drückte noch ein wenig fester zu bis Ben tatsächlich den Kopf drehte. Semir sah die Angst darin – Todesangst. Er konnte es Ben nicht verübeln, denn Semir war durchaus klar woran Ben das hier erinnern musste, doch er musste Ben jetzt beruhigen; egal wie. Entschlossen nahm er Bens Kopf und drehte ihn so, dass Ben ihn ansehen musste. „Ben, hör mir zu!“, meinte er eindringlich. „Es wird alles gut. Wir werden jetzt gerettet. Hast du das verstanden? Es wird alles gut!“ Ben sah ihn bloß an; immer noch heftig zitternd. Dann hörte Semir ein lautes Knirschen und urplötzlich wurde es hell in ihrem Gefängnis. Er sah das Tageslicht über ihm schimmern; nur ein kleiner Spalt, aber immerhin etwas. „Hier sind wird.“, erklärte er und ein Gesicht tauchte in der Spalte auf. „Sind Sie okay?“ „Ja.“, erklärte Semir erneut genervt. „Ich schon und Ben auch soweit.“ Der Mann nickte und nur fünf Minuten später war auch der nächste große Stein zur Seite geschoben, sodass man Ben aus dem Loch ziehen konnte. Semir half von unten mit; dann kletterte er hinterher.

  • Draußen warteten bereits die Sanitäter und Frau Krüger, die besorgt auf ihre Männer zukam. „Gerkan? Jäger?“ Semir beachtete sie nicht. Er blieb bei Ben, der nun erneut auf eine Liege gehoben wurde: Er schien nicht sonderlich schwer verletzt: bis auf die Wunde an der Stirn und ein paar Schürfwunden war nichts Neues dazugekommen und auch die Naht an seiner alten Schusswunde war nicht aufgerissen. Nur an einer Stelle blutete es leicht. Ben zitterte immer noch und erst langsam wurde sein Atem ruhiger. Semir hielt seine Hand und wartete bis Ben sich etwas beruhigt hatte. Auch Frau Krüger war ihnen hinterhergekommen und beobachtete die Beiden nun skeptisch. „Was ist mit Jäger?“, fragte sie unsicher und starrte auf den zitternden, bleichen Ben. Semir warf ihr einen schnellen Blick zu. „Ich schätz mal er hat keine guten Erinnerungen an sowas.“, meinte er leise und strich Ben beruhigend durch die dreckigen Haare. Frau Krüger sah ihn ratlos an. „Wie meinen Sie das?“ Semir warf ihr einen hitzigen Blick zu, aber zur Überraschung aller war es Ben der antwortete. „Sie weiß es nicht.“, krächzte er leise und musste kurz husten. Alle sahen ihn an. „Was weiß ich nicht?“, fragte Frau Krüger schließlich. Semir öffnete kurz den Mund, dann schloss er ihn wieder: Ben hatte Recht. Er konnte sich nicht erinnern der Chefin jemals erzählt zu haben, was Ben nur ein halbes Jahr vor ihrer Einstellung bei der Autobahnpolizei erlebt hatte. Doch es ihr jetzt vor Ben zu erzählen, wo der doch gerade selber sichtlich mit der aufkommenden Erinnerungen zu kämpfen hatte, erschien ihm auch falsch. Wieder wurden beide von Ben überrascht. „Es war ein halbes Jahr bevor Sie zu uns gekommen sind.“, erzählte er und Semir starrten ihn ungläubig an. Frau Krüger war verstummt; offenbar verstand sie, dass es Ben nicht leicht fiel. Sie hatte Recht; es fiel ihm nicht leicht, doch merkwürdigerweise hatte er trotzdem das Bedürfnis jetzt darüber zu reden. Es war ja nicht so, als ob er nicht damit klarkommen würde und wo er sich jetzt von dem ersten Schrecken erholt hatte, wurde es schnell besser. Er hatte selber kaum verstanden, was die letzten Minuten wirklich passiert war; hatte nur die Angst und die Panik verspürt und dann irgendwann das Tageslicht gesehen. Dann war er wieder ruhig geworden; vor seinem inneren Auge immer noch das Bild von dem Sarg. Doch er hatte gelernt damit umzugehen und es jetzt Frau Krüger zu erzählen half ihm zu verstehen, dass es vorbei war und dass er jetzt in Sicherheit war.


    „So ein Idiot hat mich entführt, weil ich ihn in den Knast gebracht hab.“, erzählte Ben leise und stockend. „Als ich wieder aufgewacht bin, war ich in diesem Scheiß-Sarg!“ Frau Krüger starrte ihn nur an. „Er hat mich lebendig begraben.“, fuhr Ben leise fort und seine Stimme zitterte. „Ich war über 24 Stunden in dem Ding. Ich dachte ich würde sterben…“ Er schluckte einmal. „Dann kam Semir und hat mich in der letzten Sekunde gerettet.“ Er sah Frau Krüger direkt an, die seinen Blick einfach nur ungläubig erwiderte. „Ist schon okay.“, meinte Ben schnell und wischte sich verstohlen die restlichen Tränen aus dem Gesicht und sah sich lieber um. Dass der Bunker eingestürzt sein musste, wurde ihm spätestens jetzt klar. Er war beinahe froh, dass er kaum etwas davon mitbekommen hatte. Frau Krüger sah ihn immer noch ungläubig an und Ben musste fast grinsen. „Ist schon okay, Chefin.“, erklärte er. „Wirklich!“ Dann wandte er sich an Semir. „Und was machen wir jetzt?“, fragte er mit einem Kopfnicken in Richtung Schule. Semir, der die Geiselnahme in der letzten Viertelstunde komplett vergessen hatte, fuhr ebenfalls herum, bevor er seinen Blick wieder auf Ben richtete, der sich wirklich erstaunlich schnell erholt hatte. Vermutlich besser als er selber. Ben hatte gelernt zu verstehen, wenn so etwas vorbei war: Er hatte Angst gehabt, als er eingeschlossen gewesen war – schrecklich Angst – doch sobald er wieder freien Himmel gesehen hatte, hatte er wie in einem Reflex verstanden, dass er jetzt in Sicherheit war; dass es nicht anders war als der Sarg. Und während Semir sich immer noch ziemlich zittrig fühlte, hatte Ben das Ganze schon wieder verdrängt und sich den Dingen zugewandt, die wirklich wichtig waren. Und dass Ben das nach der Sache mit dem Sarg noch so konnte, war etwas, was Semir an seinem Partner zutiefst bewunderte. Vielleicht war es auch gerade der Sarg selber gewesen, der das ermöglicht hatte; weil Ben lange daran gearbeitet hatte, damit zu leben und es nun konnte. „Hallo? Erde an Semir!“, riss Ben seinen Partner aus den Gedanken. Semir schrak zusammen und sah Ben schuldbewusst an. „Bist du sicher, dass du okay bist?“, fragte er noch einmal vorsichtig nach und Ben nickte ernst. „Ich hab‘ kaum was mitbekommen Semir. Mir geht’s gut, wirklich!“ Semir nickte; er wusste, dass Ben die Wahrheit sagte. „Also was jetzt?“, fragte Ben erneut. Semir zuckte die Schultern: Er hatte keine Ahnung. In dem Moment ertönten zwei Schüsse aus der Schule.

  • Ben und Semir fuhren herum. „Scheiße“, murmelte Ben leise und sprang ungeachtet seiner Verletzung von seiner Liege. Semir wollte ihn noch aufhalten, aber es war schon zu spät und so konnte er Ben nur noch im Laufschritt folgen, als dieser zurück zur Schule rannte. „BEN!“, schrie er ihm nach. „Du bist verletzt!“ Aber Ben ignorierte ihn und wurde erst langsamer als sie wieder den Wagen der Einsatzleitung auf dem Schulhof erreicht hatten. Semir stöhnte als er sah, wie Bens Hand fast reflexartig zu seiner Wunde schoss, aber er beschloss nichts zu sagen – im Moment hatten sie mal wieder andere Probleme. „Was ist los?“, fragte er einen der Männer, die hier saßen. „Es sind zwei Schüsse gefallen.“, erklärte dieser knapp und lieferte damit nicht wirklich neue Informationen. „Und sonst?“, hakte Semir deshalb nach und warf einen Seitenblick auf Ben, der das Gesicht verzog und sich noch immer die schmerzende Seite hielt. Aber der Beamte schüttelte den Kopf. „Nichts ‚sonst‘. Aber ich würde sagen, wir müssen irgendwas tun. Jemand muss da rein! Jemand, der sich auskennt. Egal, ob die das merken. Einfach als Risiko.“ Der Mann sah auf Ben und Semir entging dieser Blick nicht. „Ihre Meinung interessiert hier nicht, klar?“, schnappte er wütend, aber Ben schüttelte den Kopf und packte Semir besänftigend am Arm. Plötzlich war alles so klar; so einfach. „Semir, er hat Recht.“, flüsterte Ben. „Die haben doch nicht einfach so geschossen. Die haben geschossen, weil die auch nicht mehr weiter wissen. Die wollen Aufmerksamkeit; wollen, dass wir den ersten Schritt machen.“ Semir starrte ihn nur an, aber Ben fuhr unbeirrt fort. „Wenn wir mit allen Mann stürmen, kriegen die Panik und erschießen alle, aber wenn einer rein geht und mit denen redet…“ Semir schnaubte und hob den Kopf. „Und das willst wieder du machen, richtig? Weil du dich auskennst! Ben, checkst du’s nicht? Reicht dir nicht, was bis jetzt passiert ist? Willst du dich wirklich umbring-?“ aber Ben ließ ihn nicht ausreden. „Semir! Da drinnen sind Schüler! Kinder! Die haben nichts gemacht und du weißt genau, dass wir keine andere Möglichkeit haben. Kannst du mit Sicherheit sagen, dass du dich nicht irgendwie verlaufen wirst, oder einer der anderen? Wer auch immer da rein geht, muss so schnell wie möglich den richtigen Raum finden, denn wenn du ewig da rum schleichst, werden sie das merken und sie werden Schiss kriegen und es sich anders überlegen. Wieder töten.“ Ben sah auf; sah Semir direkt in die Augen. „Ich will mich nicht umbringen Semir. Ich will nur nicht mit dem Wissen leben, dass ich zwanzig unschuldige Leben hätte retten können.“


    Semir starrte ihn einen Moment an; der Mund stand immer noch offen. Er sah in Bens entschlossenes Gesicht; sah, dass Ben es ernst meinte. Aber Ben hatte es auch eben ernst gemeint und Semir hatte die Angst und die Panik in den Augen seines Partners noch nicht vergessen. „Und ich will nicht mit dem Wissen leben, dass ich dich nicht aufgehalten hab, bevor du in dein Verderben gerannt bist.“, erklärte er ruhig. „Ben. Hier ist das SEK; das sind alles top ausgebildete Polizisten. Warum musst genau du da rein? Wieso du?“ Ben zog den Arm weg, den Semir berühren wollte. „Ich kenn‘ mich aus.“, erklärte er sachlich. „Wir haben keine Zeit da rumzuirren oder irgendwelche Pläne zu lernen, Semir. Wir haben keine Zeit!!!“ Den letzten Satz schrie er. „Das haben Sie gut erkannt, Jäger.“, unterbrach Frau Krüger die Beiden und betrat nun ebenfalls den Einsatzwagen. „Frau Krüger, ich geh da rein.“, erklärte Ben sofort und war damit schneller als Semir. „Einer muss rein; mit denen reden. So schnell in dem Raum sein, dass sie keine Zeit haben wirklich zu reagieren. Ich kenn‘ als Einziger den Weg. Bitte Frau Krüger. Wir haben keine Wahl!“ Ben sah seine Chefin flehend an und auch Semir heftete seinen Blick nun auf seine Vorgesetzte; es sah aus, als hinge sein Leben von deren Antwort ab. Doch es war nicht sein Leben, es war Bens, dass Frau Krüger mit ihrem langsamen Nicken mehr als nur stark gefährdete. Aber sie hatte keine Wahl. Was Ben sagte, war die Wahrheit und es war ihre einzige Möglichkeit. „Die werden ihn erschießen.“, meinte Semir verzweifelt, aber Frau Krüger schüttelte den Kopf. „Die werden ihn nicht umlegen, Gerkhan. Sie wissen, dass sie dann keine Chance mehr haben.“ Semir öffnete den Mund, um zu wiedersprechen, aber Frau Krüger ließ ihm keine Gelegenheit. „Die Typen sind wie eine tickende Bombe. Wir müssen vorsichtig sein; das ganze SEK bringt sie sofort zum explodieren und je länger sie Zeit haben nachzudenken, desto wahrscheinlicher wird es, dass sie hochgehen. Ben ist der Einzige, der schnell genug den Raum findet; vielleicht auch der Einzige, der die richtigen Worte finden kann.“ Sie wandte sich nun direkt an Ben. „Ich will Sie nicht zwingen, Herr Jäger. Es gibt hundert gute Gründe, warum Sie nicht da rein gehen sollen und ich würde Ihnen unter jedem anderen Umstand davon abraten. Es ist Ihre Entscheidung.“ Doch Ben musste nicht mehr antworten. Allen war klar, wofür er sich entschieden hatte. Es war allen genauso klar wie die Tatsache, dass es vermutlich Bens letzte Entscheidung gewesen war.

  • „Ich mach’s.“, erklärte Ben trotzdem noch einmal mit fester Stimme. Frau Krüger nickte ihm zu; auch sie hatte nichts anderes erwartet. Semir machte trotzdem einen Schritt nach vorne und nahm Bens Arm. „Du musst das nicht tun, Ben.“, sagte er flehend. „Du musst nicht mutig sein.“ Nein, Ben musste nicht mutig sein; er hätte auch nach Hause gehen können. Zumindest in der Theorie. Doch das Leben war nicht Theorie; das Leben war Praxis und da hatte er keine Wahl; da musste er mutig sein. Er musste mutig sein, obwohl er Angst hatte; obwohl er wusste, dass er alles verlieren konnte; mutig sein, obwohl er genau wusste, dass er sterben konnte. „Doch.“, murmelte Ben nach einer langen Pause und seine Stimme klang rau und unentschlossen. „Ich muss mutig sein.“ „Bist du sicher?“, fragte Semir leise. Ben sah ihn ernst an; die Entschlossenheit kehrte zurück in seine Augen. „Es geht nicht anders.“, erklärte er ruhig. Semir nickte; er hatte es inzwischen eingesehen. „Ich will nur, dass du weißt, dass du mir alles bedeutest Ben. Dass ich ohne dich nicht weitermachen kann. Also komm verflucht nochmal an einem Stück wieder raus und lass dich nicht abknallen, klar? Sonst muss ich dich in deinem Sarg verprügeln.“ Ben grinste. „Versprochen, Kumpel.“, erklärte er ernst und blickte seinem Partner tief in die Augen. Semir hob die Hand und Ben schlug ein; hielt Semirs Hand ganz fest in seiner. „Und halt das bloß ein.“, ermahnte Semir ihn leise und erwiderte den Blick. „Ich hab meine Versprechen noch nie gebrochen.“ Ben drückte Semirs Hand so fest, dass sie zitterte. Semir lächelte und auch Ben brachte ein tapferes Lächeln zustande. Ein paar Sekunden sahen sie sich einfach nur an, dann löste Ben den Griff und drehte sich zu Frau Krüger um. „Kann losgehen.“, erklärte er ruhig und die Chefin nickte kurz. „Gut.“, meinte sie leise und reichte Ben einen Chip, damit sie hören konnten, was oben passierte, und eine schusssichere Weste. Ben ließ sich den Chip festkleben und schlüpfte erneut in die Weste; dann folgte er Semir nach draußen. Es war still geworden auf dem Hof; die Polizisten waren über den neuen Plan informiert worden. Semir begleitete Ben noch bis zum Haupteingang. Und sie wussten alle, wie riskant er war und wie aussichtslos. Ein Plan, entstanden aus Verzweiflung. Weil er irgendwie die einzige erdenkliche Möglichkeit war; das letzte Fünkchen Hoffnung. „Bis gleich, Kumpel.“, murmelte Semir zur Verabschiedung und Ben schlug erneut ein. „Wir seh'n uns.“, versprach er und versuchte so viel Zuversicht wie möglich in seine Stimme zu packen. „Bis gleich.“ Er spürte, wie er zitterte und auch Semir merkte das, aber es war zu spät. Zu spät um irgendwas zu ändern an Bens waghalsigem Plan. Jetzt konnte er nur noch hoffen; hoffen, dass Ben die Tür, durch die er jetzt schritt noch einmal lebend durchqueren würde....


    Seine Schritte hallten in der großen Mamorhalle. Die warme, stickige Luft von draußen drang nicht durch die dicken Wände und sobald die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, war es totenstill und kalt. Ben fröstelte und schob auch das Zittern auf die Kälte, auch wenn er natürlich wusste, dass es mehr an der Angst lag. Denn auch er wusste, dass das hier mehr als gewagt war. Seine Schritte waren zögerlich, aber er wusste, dass die Zeit knapp war. Zügig ging er auf die Treppen zu – den Fahrstuhl zu nehmen, war das Dümmste, was er jetzt hätte tun können. Seine Seite schmerzte immer noch ziemlich, doch Ben war so vollgepumpt mit Adrenalin, dass er es kaum spürte. Immer schneller ging er; durch Gänge und Treppen. Rechts, links, nochmal links… alles sah gleich aus, aber Ben wusste den Weg. Auch wenn sich alles drehte; auch wenn er Angst hatte und auch wenn sich alles in ihm dagegen sträubte hier lang zu gehen. Er hatte eine Entscheidung getroffen und jetzt gab es kein Zurück mehr. Das Herz schlug ihm bis zum Hals – er konnte sich nicht erinnern jemals solche Angst gehabt zu haben; selten jedenfalls. Er versuchte an etwas anderes zu denken; versuchte an Semir zu denken, der jetzt unten stand und vermutlich genauso viel Angst hatte wie er selber; versuchte daran zu denken, was sie machen würden, wenn das alles hier vorbei war. Irgendetwas Schönes… Ben schloss die Augen; atmete einmal tief durch. Mit seiner letzten verbliebenden Ironie versuchte er sich an sein Subway-Sandwich zu erinnern, aber es verwandelte sich in eine Waffe, deren Lauf auf ihn gerichtet war. Verzweifelt schüttelte Ben den Kopf um das Bild loszuwerden. Es ging um die letzte Ecke; dann war er im richtigen Gang. Alle Türen waren geschlossen, aber Ben wusste, wo er hinmusste. Stockend setzte er einen Fuß vor den anderen und schließlich stand er vor der richtigen Tür. Es war still geblieben; die ganze Zeit über. Entweder sie hatten nichts bemerkt oder Ben war wirklich schnell genug gewesen. Zitternd und ganz langsam hob er die Hand und klopfte gegen die Tür. „Ich bin unbewaffnet.“, rief er leise. „Ich bin alleine und ich will nur reden!“ Eine schrecklich lange Sekunde herrschte Schweigen; nichts passierte. Dann hörte Ben Schritte; der Schlüssel wurde gedreht und ganz langsam öffnete sich die Tür.

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