Die Bar

  • „Ach, ist das herrlich hier...und diese leicht salzige Seeluft.“, stieß Semir aus, als er das Hotel High Street verließ. Ben sah ihn nur grummelnd an. „Es ist neun Uhr am Morgen und wir haben Urlaub. Warum um alles in der Welt müssen wir so früh aufstehen?“, fragte er mürrisch. Emily knuffte ihn daraufhin in die Seite. „Weil, lieber Ben, wir nicht den ganzen Tag im Bett verbringen wollen. Immerhin habt ihr uns Frauen gefragt, was wir heute unternehmen wollen. Und wir wollen uns die Stadt ansehen.“, erklärte sie, zog Ben an seinem Pulloverkragen dicht an sich heran und gab ihm einen leidenschaftlichen Kuss. „Ansehen? Die Stadt? Und das bei dem Nebel?“, stieß Ben aus. Die kleine Gruppe sah von der Bergstraße, auf dem sich das Hotel befand, hinunter auf die Stadt. Leichte Nebelschwaden zogen von der Nordsee durch die Straßen und über die Häuserdächer. „Davon lassen wir uns nicht abhalten. Ihr habt im Krankenhaus vor drei Wochen zugestimmt, dass wir uns den Urlaubsort aussuchen dürfen. Und das haben wir getan.“, meinte Andrea mit strenger Stimme. Semir sah belustigt auf die Szenerie. „Komm schon, Ben. In diese Stadt kommen wir so schnell nicht wieder. Und das bisschen Nebel ist ja wohl nichts.“, grinste er seinen Partner an und schlug ihn auf die gesunde Schulter. „Hey...pass doch auf.“, stieß Ben aus und rieb sich die eben berührte Stelle. „Na schön...dann gehen wir halt in den Nebel. Hoffentlich begegnet uns da nicht das Grauen.“, grummelte er und folgte seiner kleinen „Familie“.


    Jonas Davies wischte über den Tresen und sah mürrisch auf seine Mittagsgäste, die einsam in einer Nische saßen und vor sich hin aßen. Jetzt, wo es auf die Mittagszeit zuging, war in seiner gut gehenden Bar und dem daneben befindlichen Restaurant wenig los. Er war meistens immer hier in der Bar und schenkte seinen Stammgästen das beste, schottische Bier aus. Die Spezialität in seinem Restaurant war die gut gehende Fischplatte. „Hey Jonas...gib mir noch ein Ale.“, forderte einer der Gäste. „Kommt sofort...“, erwiderte der langhaarig gelockte Barmann und zapfte ein dunkles Bier aus der Zapfsäule, stellte es auf ein Tablett und trug es gekonnt zum Tisch rüber. Er stellte das Glas hin, tauschte es gegen das leere aus und verschwand wieder hinter seinem Tresen. Bald würde wieder das abendliche Geschäft beginnen und seine fünf angestellten Kellner würden wieder die exquisitesten Gäste durch den Abend begleiten. Und er...er würde sich um die unausgesprochenen Wünsche seiner Gäste widmen. Im Hinterzimmer würde er noch mehr Geld einnehmen und die hohen, aber auch teuren Ansprüche der Gäste zufrieden stellen. Die Bestellungen für den heutigen Abend hatte er schon vor Wochen bekommen. Es gab nur drei Abende pro Monat, wo er die Exklusivität des Essens noch durch eine teure Zugabe würzte.
    Derart in Gedanken versunken, bemerkte er beinahe die rote Lampe unter seinem Tresen nicht. „Ah...der Luxuslieferant.“, grinste er nur und ging nach hinten, währen die Hafenarbeiter nur weiter in ihre Biergläser starrten. Jonas ging nach hinten und öffnete die Tür. „Hey Fletcher...ist aber dieses Mal sehr viel Fisch.“, begrüßte ihn der Barmann. „Hast ja auch massig bestellt.“, erwiderte der Mann. „Fletcher, der Fisch ist eigentlich nebensächlich. Das Wichtigste ist das Eis.“, lachte Jonas Davies auf und vergrub seine Finger in dem gefrorenen Wasser, fischte einige Stücke heraus und ließ sie fallen. Als sie auf der Erde aufschlugen, kamen kleine Tüten mit weißem Pulver und glänzenden Steinen zum Vorschein. „Siehst du, das ist es, woran ich interessiert bin. Den stinkenden Fisch, den können diese hirnlosen Hafenarbeiter fressen. Ich bin an dem Eis interessiert.“, grinste Jonas und hob die Tüten auf. „Und wie willst du das alles an den Mann bringen? Du kannst ja wohl kaum damit auf den Wochenmarkt gehen, oder?“, stieß Fletcher aus. „Nein, das nun gerade nicht, aber es finden sich immer welche. Was meinst du, warum ich hier noch immer diese Bar betreibe?“, lachte Jonas, steckte Fletcher seinen Lohn zu und schloss die Tür hinter ihm wieder ab. Er nahm die Kisten und brachte jede einzelne in den Kühlraum hinein. Trüffel aus Frankreich, Fisch aus der Nordsee und dem Atlantik und Drogen aus Übersee, zusammen mit Diamanten aus Südafrika. Und alles für das gute, alte Geld. „Hey Jonas, wenn du mit dem Kisten verschieben fertig bist, nehm ich noch ein Bier und so eine Brotplatte.“, forderte einer der Gäste. Jonas verdrehte nur die Augen und blickte aus dem Fenster, als er an der Zapfsäule stand.. Na aber hallo...wen haben wir denn da?, dachte er, als er diese wunderschöne Frau vor seiner Bar stand.


    „Ich bin müde.“, stieß Ben aus und setzte sich auf einen Poller. „Ach komm...wir sind doch gerade mal eine Stunde unterwegs.“, meinte Emily und wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich kann einfach nicht mehr. Immer wieder die Bergstraßen rauf und wieder runter.“, knurrte er und sah sich um. „Warum mussten wir auch nach Schottland fahren? Warum gerade Edinburgh?“, stieß er aus. „Weil es eine wunderschöne Stadt ist und es mal was anderes ist, als immer nur Mallorca oder Dubai.“, stichelte Emily und zog ihren Freund wieder auf die Beine. Die Hafenluft wehte ihnen um die Nase, als sie an einer kleinen Bar vorbeigingen. „Aber da wäre es jetzt warm und gemütlich.“, quengelte Ben und ließ sich von seiner kleineren Freundin ziehen. „Du bist ein großes Baby. Wenn du uns den Urlaub verdirbst, dann werde ich dir bis zur Hochzeit den Sex entziehen.“, drohte sie mit sanfter, aber energischer Stimme. Ben schluckte und sah sie mit großen Augen an. „Das...das...“, fing er an. „Gib’s auf, Ben. Frauen haben die größere Macht über uns.“, lachte Semir und gab seiner Andrea einen leidenschaftlichen Kuss. „Da hast du recht. Immerhin müssen wir euch ja auf den richtigen Weg bringen.“, lächelte Andrea und ging mit Semir weiter die Hafenstraße entlang. Der Nebel war verschwunden und eine gehörige Brise wehte den vier Urlaubern durch das Haar. „Wo wollen wir jetzt hin? Ben hat Recht. Durch die Stadt gewandert sind wir ja lange genug.“, meinte Semir und stellte sich so, dass die anderen um ihn einen Kreis bilden mussten. Der kleine Deutschtürke zückte eine Karte und faltete sie auseinander. Die Gruppe sah sich die Sehenswürdigkeiten auf der Karte an. „Wir könnten zum Schloss rauf, wenn Bens Beine das noch schaffen.“, grinste Semir nur. Doch Bens Gesicht zeigte ihm, dass dies keine gute Idee zu sein schien. „Okay...dann was anderes.“ Emily deutete auf die Karte und lächelte. „Lasst uns zur National Gallery fahren. Ist zwar nichts für die Jungs. Keine Autos und nichts, was sie kaputt machen können, aber ein bisschen Kultur wird euch auch ganz gut tun.“, lachte Emily und strich ihrem Ben über die Wange. „Ja, mach dich nur über unsere Arbeit lustig. Bilder gucken...ist ja schlimmer als hinter einem Traktor herzufahren.“, knurrte er. „Das überstehen wir schon.“, meinte Semir und faltete die Karte wieder zusammen. „Dann lasst uns mal in den Bus steigen.“


    ...

  • Die Bilderschau war nach gut drei Stunden beendet und die beiden Familien waren wieder sicher und vollkommen erschöpft in ihren jeweiligen Hotelzimmern. Semir lag friedlich auf dem Doppelbett, die Arme hinter seinem Kopf verschränkt und ruhte sich aus. Andrea legte einige Sachen zusammen und blickte auf ihren Mann. „Du armer Kerl...war es sehr anstrengend? Haben wir dich sehr gequält?“, wollte sie mit ihrer lieblichen Stimme wissen und streichelte ihrem Mann die Schläfen. Semir begann entspannt zu schnurren. „Nein, für mich war es nicht so schlimm, wie für Ben. Der arme Kerl...Emily hat aber auch keine Gnade mit ihm. Auf die Ehe bin ich gespannt. Das Jammern werde ich mir sicherlich noch einige Zeit anhören dürfen.“, grinste Semir, ließ aber die Augen geschlossen. „Emily wird sicherlich eine gute Frau. Sie wird den Chaoten schon zurechtrücken.“, meinte Andrea. „Allerdings...weißt du, dass ich dich ganz doll liebe?“ „So? Das hast du mir heute erst drei Dutzend Mal gesagt, aber noch nicht bewiesen.“, lächelte die Frau. Schlagartig öffnete Semir die Augen, zog seine Andrea auf seine Beine und küsste sie leidenschaftlich. „War das gut?“ „Semir, das war nur ein Kuss...mehr hast du nicht?“, stichelte seine Frau. „Na gut... dann wird jetzt türkisch gekuschelt...und das in einem schottischen Hotel.“, lachte Semir, zog seine Frau aufs Bett und begann mit dem Liebesspiel.
    „Man, ich bin so fertig. Wieso mussten wir dann diese ganzen Bergstraßen rauf und wieder runter? Meine Beine sind vollkommen fertig.“, knurrte Ben, als er sich die Schuhe auszog und in die Ecke warf. „Hey, so schlimm war es doch auch nicht.“, meinte Emily, setzte sich zu ihren Verlobten aufs Bett und strich ihm durch das Haar. Ben sah Emily mit einem elenden Hundeblick an „Es ist doch wunderschön hier...du warst doch schon einige Male in Schottland.“, meinte Emily. „Nur ein Mal ... und das war kein Vergnügen. Wahnsinnige Mörder haben uns den ganzen Urlaub ruiniert. Ich hoffe, das ist dieses Mal anders.“, erwiderte Ben, zog seine Verlobte vorsichtig am Kinn zu sich heran und küsste sie zaghaft. Aus dem zaghaften Kuss wurde ein intensiver und aus dem intensiven wurde ein heißes Liebesspiel. „Wie war das? Du wolltest mir den Sex vor der Ehe verweigern?“ „Eine bescheuerte Idee...“, meinte Emily voller Ekstase. Sie verfingen sich in einem heißen, ekstatischen Liebesspiel. Bis zum Abendessen bekam sie keiner zu Gesicht.


    Dennis Jenkins hievte seinen müden Körper aus dem Rover und gab der Tür einen müden Stoß. Das Klicken der Zentralverriegelung hörte er schon gar nicht mehr, als er sich zum Dock aufmachte. „Guten Abend Sir...sieht nicht besonders schön aus.“, begrüßte ihn sein Assistent. „Sergeant Monro...unser Beruf ist hart und gewöhnungsbedürftig. Als junger Mann müssen sie das noch lernen.“, erwiderte der alte, erfahrene Chefinspektor und holte eine Zigarette hervor, zündete sie an und atmete mit vollem Genuß ein. „So, wo ist er?“, fragte der Chef. „Gleich dort hinten. Der Doktor ist schon bei ihm.“, erwiderte Monro und führte seinen Chef nach hinten. Auf der großen Kaymauer standen etliche Beamte und mehrere Spurensicherer. „Hallo John...wie geht’s dir?“, wollte Dennis wissen, als er den Gerichtsmediziner sah. „Hallo Dennis, immer, wenn ich Feierabend machen will, kommt mir ein Toter dazwischen. Meine Frau wird sich freuen. Wir haben Premierenkarten für heute Abend. Die kann ich nun vergessen. Oder hat dein junger Sergeant Verwendung für La Boheme?“, fragte der Pathologe. Jenkins drehte sich um und blickte zu seinem Sergeant. Immer wieder stachen ihm zuallererst diese jugendlichen Straßenschuhe in die Augen. Diese knallblauen Sneakers, zu denen er auch noch weiße Socken trug. „Ich glaube, das wäre reine Zeitverschwendung.“, murmelte der Inspektor. „Was haben wir denn hier?“, wollte er wissen und zog sich die weißen Handschuhe über. „Wieder ein toter Hafenarbeiter. Man fand ihn heute morgen im Wasser zwischen zwei Schleppern.“, erklärte der Pathologe. „Kannst du mir schon sagen, wann er gestorben ist?“
    „So ganz grob geschätzt, zwischen sieben und heute Mittag.“, erwiderte der Pathologe und gab den beistehenden Helfern ein Zeichen. Diese luden den Körper auf eine Bare und brachten ihn weg. „Gut, dann...Douglas, haben wir schon den Namen des Arbeiters?“, wollte Jenkins von seinem Assistenten wissen. Douglas Monro blickte von seinen Notizen der Zeugenbefragungen auf und schüttelte nur den Kopf. „Es wurden keinerlei Papiere gefunden. Vielleicht hilft es ja, wenn wir in den Hafenbars ein Foto des Toten herumzeigen.“, erwiderte Monro. Der Chefinspektor nickte nur und ging dann zu seinem Wagen zurück, wartete dort auf seinen Assistenten. „Sir, das sind die einzigen Gegenstände, die der Mann in den Taschen hatte.“, meinte Douglas und reichte seinem Chef einen Beutel mit verschiedenen Gegenständen. „Ein Taschenmesser...Marke Schweizer Armee... und eine Cremedose aus Metall.“, zählte er auf. Jenkins nickte und schien mehr an der Cremedose interessiert zu sein. Er langte vorsichtig hinein und zog die nasse Dose heraus. Der Deckel ließ sich schwer bewegen und so nahm er die Dose, hielt sie dicht an sein Ohr und schüttelte vorsichtig. Seine Gehörnerven nahmen ein Geräusch gleich einer geschüttelten Dose Puder wahr. „Sehr komisch...“, murmelte er und blickte seinen Sergeant an. „Douglas, ist ihr Taschentuch noch unbenutzt?“ Der Angesprochene nickte. „Gut, breiten sie es bitte auf der Motorhaube aus und halten sie es gut fest.“, forderte Jenkins. Verwundert über diesen Wunsch, breitete Douglas Monro das Tuch aus. Der Inspektor öffnete die Dose und schüttete den Inhalt auf das Tuch. „Wow...“


    ...

  • Andrea drehte sich zur Seite und atmete heftig auf. „Das...das war wunderbar, Semir...du warst so...so...“ „Erstklassig...außergewöhnlich?“ Doch Andrea gab keine Antwort. „Komm, lass uns anziehen und dann gehen wir fein essen.“, meinte sie und strich über Semirs Wangen. „Aber vorher rasierst du dich noch. Du stichelst etwas.“ „Na gut...geh ich mich eben schick machen und dann führ ich dich in das beste Restaurant dieser Stadt.“, lachte Semir und sprang aus dem Bett, ehe Andrea etwas erwidern konnte. „Rufst du bitte Ben an. Oder wollen wir ohne die Beiden gehen?“, kam es kurz darauf aus dem Bad. „Nein, ich ruf ihn an. Wir sind schließlich zu viert hier.“, erwiderte Andrea und griff im nächsten Moment zum Handy. „Ben? Ja, ich bin's. Wir wollen in einer Stunde essen gehen. Wollt ihr mit kommen?“ Gebannt lauschte sie in den Hörer und wartete auf eine Antwort. „Gut, wir treffen uns in einer Stunde unten in der Lobby. Alles klar...bis dann.“ Andrea wälzte sich aus dem Bett und legte Semirs Handy wieder an seinen Platz zurück. Plötzlich schlangen sich zwei Arme um ihre Hüften und ihren Bauch und massierten die unter der Decke befindliche Stelle, während sich eine glatt rasierte Wange in ihren Nacken schmiegte. „Na...frisch genug so?“ Oh, wie liebte sie diesen Duft, den Semirs Rasierwasser verströmte. „Oh ja...sehr...“, keuchte sie schwer und drückte ihn zärtlich weg. „Dann kann ich mich ja fertig machen. In einer Stunde sind wir mit Ben und Emily in der Lobby verabredet.“
    Die kleine Gruppe versammelte sich eine Stunde später in der Lobby und durchstreifte die von Laternen erleuchteten Straßen und Gassen von Edinburgh. „Wo wollen wir denn nun essen gehen?“, fragte Ben und wie aufs Stichwort knurrte sein Magen. Alle drehten sich zu ihm um und lachten. „Das war das Stichwort.“, meinte Ben nur und strich sich über seinen Bauch. „Ja sicher...alle vier Stunden meldet es sich zu Wort und will gefüttert werden.“, stichelte Semir grinsend. „Lasst uns doch hier hineingehen.“, schlug Andrea vor, als sie vor einem gemütlich aussehenden Restaurant mit Bar standen. Alle reckten die Köpfe nach dem großen, grünen Schild über der Eingangstür. „Zum lachenden Henker...ob das was zu bedeuten hat?“, fragte sich Semir laut. „Ich hoffe nicht. Nicht, dass wir unter einem Galgen sitzen müssen oder so. Die Briten haben da ja ihren eigenen Humor.“, murmelte Ben. Emily drehte sich zu ihm um. „Stimmt...und manchmal sind wir zum totlachen komisch.“, grinste sie und zog die Tür auf. „Kommt, lasst uns rein gehen.“ Mutig folgten ihr ihre deutschen Freunde in das Restaurant und suchten sich einen freien Platz. Noch ahnte niemand, was dieser Name für die Gruppe bedeuten sollte.


    Jonas blickte auf, als er die Tür gehen hörte. Hey, das war doch die Frau, die letztens vor seinem Restaurant stand. Ach man...und sie scheint einen Kerl zu haben. Wie ein Bruder oder Verwandter sehen die beiden Männer in ihrer Begleitung jedenfalls nicht aus. Auch passen sie verwandtschaftlich nicht zur anderen, etwas jüngeren Frau. Warum müssen nur so gut aussehende Frauen immer vergeben sein, dachte er bei such und spülte ein Glas nach dem anderen. Doch, vielleicht konnte er ihr dennoch nahe sein. „David...ich bediene die Gäste an diesem Tisch.“, rief er seinem Kellner zu, der gerade zu den neuen Gästen gehen wollte. „Okay Boss...“, erwiderte dieser etwas niedergeschlagen. Und wieder war eine Möglichkeit auf Trinkgeld dahin, dachte er. Jonas nahm vier Karten, klemmte sich sein Handtuch in den Gürtel und ging auf die Gruppe zu, die ihn erwartungsvoll und auch ein wenig ängstlich ansah. „Good evening...what would you like to drink?”, fragte er und reichte jedem die Karte. Bei Andrea hielt er einen Moment inne und schaute ihr in die grauen Augen. „Eine große Kanne Bier... und zwei Glas Rotwein...bitte.“, bat Ben in feinstem Englisch. Jonas blickte von Andrea auf und nickte. Im Gehen schrieb er sich die vorgesehenen Kürzel auf seinen Notizblock. „David...eine Kanne Bier und zwei Glas Wein.“, rief er dem Mann hinter der Bar zu. Dieser nickte kurz und schenkte die entsprechenden Getränke ein, während Jonas immer wieder zur Gruppe hinübersah. Diese Frau war...einfach der Hammer. Er musste sie irgendwie kriegen. „Äh Jonas...draußen ist jemand, der dich sprechen möchte.“, meinte ein anderer Kellner und deutete auf die Tür zu den Toiletten. Jonas blickte über die Schulter des Mannes und schluckte, als er die Person dort hinten sah. „Gut, ich kümmere mich drum. Bring die Getränke bitte zu dem Tisch dort.“, forderte Jonas und ging auf die Person zu. „Wir müssen über einiges reden.“, knurrte der Mann und zog den Restaurantbesitzer am Kragen nach draußen. „Hey...hey, was soll das?“


    „Das ist ne Menge weißer Schnee. Wo der wohl herkommt?“, fragte Douglas Monro und nahm das Taschentuch vorsichtig hoch, füllte den Inhalt wieder in die Dose hinein. „Das ist das Rätsel, was es gilt zu lösen.“, erklärte Chefinspektor Jenkins und steckte den Behälter wieder in die Plastiktüte zurück. „Bringen sie das ins Labor. Wir treffen uns dann auf dem Revier.“, forderte er. „Was wird mit den Fotos vom Arbeiter?“ „Alles zu seiner Zeit. Zuerst die Dose zu den Laborratten.“, forderte er und brauste mit dem Wagen davon. Monro nickte nur und ließ sich von den uniformierten Kollegen ins Labor fahren. Jenkins kam auf dem Revier an und begab sich auf dem schnellsten Wege zu seinem Schreibtisch. Er warf das Jackett hastig über den Stuhl und stellte sich vor die große Flipchart. Er nahm das Foto des heutigen Opfers und heftete es an die Pinnwand. Das dritte Opfer in weniger als zwei Wochen. Was zum Geier war hier los? Und wieder ein Hafenarbeiter. Der erste war ein norwegischer Matrose, der auf Landgang war und das zweite Opfer war ein indischer Hafenarbeiter aus dem Nordteil des Hafens. Und jetzt ein weiterer Arbeiter...nur dessen Identität stand noch nicht fest. Bei den ersten beiden fand man die Papiere einige Straßen weiter oder gleich in der Jacke des Opfers...hier war man scheinbar darauf bedacht, die Identität des Opfers zu verschleiern. Doch was steckte dahinter? Dieser Drogenfund war neu. Konnten die anderen Opfer auch etwas damit zu tun haben? Im Moment ergab sich für Chief Inspector Jenkins keinerlei Verbindung der drei Opfer zueinander. Doch dann kam ihm eine Idee... „George, ich bin es. Überprüf doch mal bitte das Blut der drei Toten auf Drogenkonsum. Ich brauch die Ergebnisse bis gestern...am Besten.“, meinte der Inspektor. „Dennis, willst du mich fertig machen? Dann erklärst du aber meiner Frau, warum ich heute nicht nach Hause komme.“, kam es durch den Hörer. „Kein Problem...ist ja immerhin meine Schwester...“, grinste Jenkins durchs Telefon und legte wieder auf. Wenn seine Vermutung stimmte, dann waren die Toten entweder Dealer, Konsumenten oder Köche in der Drogenszene. Schiffsleute waren noch immer ein sehr guter Abnehmer dieser harten Stoffe neben Alkohol und leichten Mädchen für einsame Stunden. Könnte es sein, dass es sich hierbei um den Beginn eines Drogenkrieges handelte? Hm, vielleicht etwas zu früh, um darüber zu spekulieren, dachte Jenkins und steckte sich eine Zigarre in den Mund, während er sämtliche Taschen seiner Hose nach seinem Regimentsfeuerzeug durchsuchte, was er beim Abschied aus dem Militär von seinen Kameraden bekam. Endlich fand er es und nach wenigen Augenblicken konnte er den genüsslichen Nikotingeschmack des verbrannten Tabaks einatmen. Nun hieß es warten.


    ...

  • „Semir, der Mann hat nicht mit mir geflirtet. Er hat mich nur freundlich angesehen.“, erwiderte Andrea leise und verdrehte leicht genervt die Augen. „Das kam mir aber ganz anders vor. Der Kerl hat dich angeglotzt, als würde er dich auffressen wollen.“, knurrte Semir zurück und schielte zur Tür rüber, durch die der Mann verschwunden war. Ben knuffte ihn in die Seite. „Junge, jetzt beruhige dich doch mal. Du siehst ja wirklich schon Gespenster.“, murmelte er und sah sich um. Einige der ihnen am nächsten sitzenden Gäste blickten zu ihrem Tisch immer wieder neugierig hinüber. „Gespenster seh ich keine...nur, wie meine Frau mit dem Kellner flirtet.“, fauchte Semir und leerte sein dreiviertel volles Glas Bier in einem Zug. Emily und Andrea blickten sich nur an. Andrea schüttelte abermals den Kopf. „Semir, du bist ein Idiot.“ Mit diesen Worten auf den Lippen stand sie auf und ging auf die Toilettentür zu. Semir wollte aufspringen und seiner Frau hinterher eilen, doch Ben packte ihn mit aller Kraft am Handgelenk und zog ihn auf den Stuhl zurück. „Semir, lass es. Deine Eifersucht macht uns den ganzen Urlaub kaputt. Wenn du dich nicht zusammenreißt, dann schmeiß ich dich persönlich in den Hafen.“, raunte Ben mit ernster Tonlage seinem Freund ins Ohr. „Sie ist meine Frau...und ich...“ „Semir, sei jetzt endlich still und verdirb uns nicht diesen netten Abend.“, knurrte Ben und ließ den Arm seines Freundes los. Grummelnd blieb Semir auf seinem Stuhl sitzen und nahm das in diesem Moment gebrachte Essen entgegen. Wütend stieß er seine Gabel in das Fleisch und mit ebensolcher Brutalität ließ er das Messer immer wieder hin und her wandern, bis das Stück totes und gegrilltes Lamm vor ihm zerschnitten war. Dass er dabei fast den Teller mit zerschnitt war ihm egal. Doch ein Aufschrei von den Toiletten her, weckte in ihm wieder alle Beschützerinstinkte eines Ehemannes. „Das war Andrea...“, stieß er aus, sprang auf und rannte sofort los. Wer weiß, warum Andrea so einen Schrei voller Angst ausgestoßen hatte. Und das Angst im Schrei mitschwang, konnte Semir deutlich hören. Solche Schreie kannte er nur zu gut.
    Andrea stieß innerlich Flüche über diesen Mann aus, als sie die Toilette betreten hatte. Wie konnte sie diesen Mann nur noch lieben? Immer wieder seine Eifersucht. Das machte den ganzen schönen Urlaub kaputt. Und das wollte sie nicht. Sie musste Semir die Stirn bieten, ihm zeigen, dass er so nicht mit ihr umspringen konnte. Immer wieder gab es solche Anfälle bei Semir. Doch noch nie hatte er sich wegen eines freundlichen Blickes so heftig reagiert. Andrea wusch sich die Hände und ging auf den Gang hinaus, als hinter der Nebentür plötzlich drei laute, aufeinander folgende Knalls zu hören waren. So, als ob jemand Chinaböller gezündet hat. War jetzt vielleicht ein Festtag in Edinburg, von denen sie nicht mitbekommen hatten? Die Neugier der Frau überwog und so ging sie auf die Tür zu, stieß sie auf und sah hindurch auf den schummrigen, nur von einer flackernden Lampe erhellten Hof hinaus. Dort, auf dem Boden in einer Blutlache, lag ein Mann. In der Brust drei Einschüsse. Über ihm gebeugt, mit der Waffe noch in der Hand, der Kellner, der Andrea vorhin so angestarrt hatte. Sie war starr vor Angst, konnte sich nicht rühren. Doch dann tat ihr Gehirn etwas, was sie nicht kontrollieren konnte. Aus ihrem Mund drang ein lauter, markerschütternder Schrei. Sofort drehte sich der Schatten bedrohlich zu ihr um und kam mit der Waffe in der Hand auf sie zu. „Hello Darling...“, kam es von ihm und im nächsten Moment wurde Andrea schwarz vor den Augen.


    Semir rannte durch die Tür und stieß die nächste Tür zum Hinterhof auf. Sein Blick fiel auf den Toten. Doch viel Zeit zum Verharren blieb ihm nicht. Deutlich hörte er schnelle Schritte in dem langen, schmalen Gang. „Hilfe...“, hörte er deutlich. „Andrea...“, erwiderte Semir und hechtete los, alle Vorsicht außer Acht lassend. Ben kam einige Momente später in den Hinterhof und erblickte den Toten. „Sieht übel aus...Semir, wo willst du hin?“, rief er hinter seinem Freund her. „Der Kerl hat meine Frau.“, stieß der Deutschtürke aus und hechtete los. Die Gasse war eng und schien endlich durch die Gegend zu führen. Immer wieder musste Semir stehen bleiben und lauschen, dann aber hörte er die Schritte und folgte ihnen. Seine Lunge brannte und die Beine schmerzten vom Spaziergang des gesamten Tages, doch das war ihm egal. Seine Andrea war verschleppt worden...er musste sie wiederfinden. Immer wieder hörte er das laute Hilferufen seiner Andrea. Semir rannte weiter und weiter und fand sich einige Momente später auf einer Straße wieder. Ein gefährliches Hupen ließ ihn erschrecken. Instinktiv rollte er zur Seite. Gerade rechtzeitig...ein Linienbus rauschte an Semir ungebremst vorbei. Etwas starr vor Schreck richtete sich der Deutschtürke auf und sah sich um. Da...da hinten war seine Andrea. Sofort hechtete er über die viel befahrene Straße, sprang über Motorhauben und erreichte die andere Seite. Wieder ging es durch enge Gassen, dieses Mal bergauf. Die Lunge brannte heftiger und seine Beine wurden zu Pudding, doch er rannte weiter. Hier ging es um seine Frau...sein Ein und Alles wurde gerade vor seinen Augen verschleppt. Wie konnte er nur sagen, sie würde einem anderen Mann schöne Augen machen? Semir musste Andrea wiederbekommen und ihr sagen, wie leid es ihm tat. Plötzlich stoppte er. Wohin war der Kerl verschwunden? Von der Gasse gingen vier Abzweigungen ab. Semir hatte nicht gesehen, wohin der Kerl verschwunden war. Verdammt...wo waren sie hin? Plötzlich ein Motorengeräusch...im nächsten Moment musste sich Semir an die Gassenmauer springen, hielt sich am Efeu fest. En Wagen rauschte dicht an ihm vorbei und verschwand im nächtlichen Autoverkehr von Edinburgh. Semir sprang ab und rannte zur Straße zurück, doch er konnte nur noch die Rücklichter des Wagens sehen. Seine Andrea war weg. Er hatte versagt. Was sollte nun werden?


    ...

  • Ben kniete neben der Leiche und fühlte den Puls. Verdammt...hier war nichts mehr zu machen. „Ben, was ist denn...Oh mein Gott...“, stieß Emily aus, als sie hinaus auf den Hof trat. „Emily...bleib dort stehen.“, zischte er sie an und stand auf. Im selben Moment stürmten aber einige Polizisten den Hof, warfen einen Blick auf das Geschehene und stürzten sich dann auf Ben. „You are under arrest.“, fauchte einer der Polizisten, drückte sein Knie brutal in Bens Rücken und zog dessen Arme nach hinten. Im nächsten Moment klickten die Handschellen. „Das...das ist ein Missverständnis.“, stieß Ben schwer keuchend aus. Der Kerl stieß ihm das Knie so sehr auf seinen Rücken, dass Ben kaum noch seine Lungen mit frischer Luft füllen konnte. „Schon klar...sie kommen jetzt mal mit.“, knurrte der Mann und zog Ben auf die Füße. „Lassen sie meinen Freund los. Er...er hat damit nichts zu tun. Wir sind Touristen.“, stieß Emily aus und wollte den Polizisten angehen, als auch sie von einer Polizistin ergriffen und an die Wand gedrückt wurde. „Jetzt werden sie erstmal auf den Inspector hier warten.“ „Der Mann da wurde erschossen. Durchsuchen sie uns. Wir haben keinerlei Waffen bei uns. Bitte...“, stieß Ben aus und blickte die Polizisten an. Doch dieser glaubte ihm nicht, stieß Ben in eine Sitzecke und stellte sich breitschultrig davor. Während dessen Kollegen die anderen Restaurant- und Barbesucher als Zeugen befragten, sah Ben immer wieder zu seiner Emily, die am Tisch neben ihm saß. Sie wurden aufgefordert, nicht miteinander zu sprechen, bis der ermittelnde Beamte da war. So konnten sie nur wehleidige und entschuldigende Blicke miteinander austauschen und auf das warten, was noch kommen sollte.
    Semir kam wütend und abgekämpft zurück zur Bar und erblickte die Polizeiwagen vor der Tür stehen. Er blieb einen Moment stehen. Er überlegte sich, was er denn den Polizisten sagen sollte. Dann entschied er sich aber für das einzig richtige...die Wahrheit. Mit gemischten Gefühlen ging er auf die Absperrung zu und tippte dem Polizisten auf die Schulter. Der hochgewachsene schottische Beamte drehte sich um und seine Augen wanderten weiter nach unten, bis sie endlich Semir erblickten. „Yes? What do you want?“, knurrte der Mann. Semir schluckte und bemühte seine ganzen Englischkenntnisse. „Ich...meine Frau wurde entführt. Ich muss mit einem Inspector sprechen. Bitte lassen sie mich durch.“, forderte er in einem holprigen Englisch, doch der Beamte schien ihn zu verstehen. Er gab den Weg frei, kam aber Semir hinterher und führte ihn am Arm ins Innere des Restaurant, wo Semir seinen Partner und dessen Verlobte in Handschellen erblickte. „Was...was soll das?“, stieß er aus und drehte sich schlagartig um. Der britische Polizeibeamte bekam einen Schreck und taumelte zurück. Sofort kamen seine Kollegen ihm zur Hilfe, dachten, dass ihr Kollege angegriffen wurde, und nahmen Semir fest, legten ihm Handschellen an. „Hey, lassen sie das. Hey...“, stieß der Deutschtürke aus und wehrte sich gegen die Griffe. Die Polizisten verstanden nichts von dem, was der Mann sagte und platzierten ihn, trotzt erheblicher Gegenwehr, gegenüber von Ben. Nun standen sie auf der anderen Seite, waren selbst Verdächtige, und mussten auf den ermittelnden Beamten warten. Wer das wohl sein mochte? Und Semir konnte nur an seine Andrea denken, die jetzt irgendwo, nur nicht bei ihm war. Was sollte nun werden?


    Chief Inspector Jenkins kehrte in seine dunkle und einsame Wohnung tief in der Altstadt von Edinburgh zurück. Müde und ausgezehrt vom Tag zog er sich die Schuhe von den Füßen, hängte das Jackett auf einen Bügel und suchte sich seinen Weg durch die lichtleere Wohnung. Als er endlich seinen Lieblingssessel fand, ließ er sich voller Inbrunst und mit einem lauten Erschöpfungsseufzer hineinfallen und spürte im nächsten Moment etwas warmes, flauschiges auf seinen Bauch springen. „Hey Charly...na, du alter Streuner. Hast du einen schönen Tag gehabt?“, lächelte Dennis und kraulte seiner Katze die Ohren, den Hals und den Rücken. Ein zufriedenes Schnurren kam von dem grau-schwarz gestreiften Tier, das sich den ganzen Tag auf diese menschliche Behandlung gefreut hatte. Plötzlich wurden diese Liebesbezeugung des Menschen eingestellt, als dessen Handy klingelte. Was fällt dem Kerl nur ein, dachte Charly und sprang mit einem Satz vom Bauch weg. „Jenkins...“, meldete sich der Inspektor genervt und schaltete die Lampe neben sich an. Das Licht brannte in seinen Augen, bis er sich an die Helligkeit gewöhnte. „Sir, hier ist Monro...es gab einen Mord in der Royal Mile, nahe der Kathedrale. Ich bin gleich bei ihnen vor der Tür.“, ertönte es aus dem Hörer. „Was? Schon wieder ein Mord? Dieses Mal nicht am Hafen?“, fragte der Inspektor und rieb sich die Augen. „Sir, geht es ihnen gut?“ „Ja, es geht mir gut...okay, dann holen sie mich ab. Ich bin gleich unten.“, erwiderte der Ermittler, klappte sein Handy zusammen und stand auf. In der Küche fand er seinen Kater erwartungsvoll vor dem leeren Napf sitzend. „Tja Charly...aus unserem gemeinsamen Essen wird dann wohl wieder nichts.“, murmelte er, öffnete eine Dose Katzenfutter und schüttete sie in den Blechnapf. Die Katze wartete gar nicht erst, bis das letzte Stück hineingefallen war. Sie aß sofort los. Dennis strich seinem Mitbewohner noch einmal über den Rücken, zog sich das Jackett und die Schuhe wieder an und wartete dann darauf, dass ihn sein Assistent abholte.


    ...

  • Andrea wurde durch die Fahrt hin und her geschleudert. Sie saß ängstlich und zusammengekauert auf der Ladefläche eines Landrovers, der durch sehr unsicheres Gelände zu fahren schien. Sie konnte sich nicht einmal festhalten. Dieser Mistkerl hatte sie außerhalb der Stadt gefesselt und ihre Beine an einen inneren Metallring gebunden. Sie saß im wahrsten Sinne des Wortes fest und musste der Dinge ausharren, die auf sie zu kamen. Plötzlich wurde die Fahrt ruhiger und der Wagen langsamer, bis er dann vollkommen stoppte. Sie hörte die vordere Tür zuschlagen. Was kam nun? War hier für sie Entstation? Würde der Mann sie erschießen? Sie kauerte sich in die hinterste Ecke des Landrovers, machte sich so klein sie nur konnte und versuchte, so gefasst wie möglich zu bleiben. Die Tür ging auf und der Mann erschien, vom hochgestehenden Mondlicht deutlich angestrahlt und in eine unheimliche Silhouette gehüllt, an der Tür. Andrea sah sich den Mann genau an. Doch sie konnte kaum etwas erkennen. Plötzlich spürte sie die Hände ihres Entführers an den Fußfesseln. Sie wollte zutreten, doch noch war sie nicht frei. Sie musste warten...noch war ihre Chance nicht gekommen. Was dachte sie da eigentlich? Sie würde nicht weit kommen. Ihre Hände waren gefesselt und noch dazu wusste sie nicht, wo sie war und wie sie zurück kommen sollte. Warum war sie nicht mit Semir und Ben einfach auf eine der friesischen Inseln gefahren? Jetzt bekam sie die Rechnung für ihre Reiselust.
    Jonas sah auf die Frau, mit der er im Restaurant schon geflirtet und die ihn in der Gasse erkannt hatte. Warum nur musste sie ausgerechnet in diesem Augenblick in den Hof kommen? Und warum hatte er geschossen? Dieser Lucky Jim musste auch im unglücklichsten Moment auftauchen. Er ist doch selbst schuld. Warum musste er auch die Drogen fordern und ihn selbst mit der Waffe bedrohen? Für Jonas hieß es da nun er und Lucky Jim...und Lucky Jim hatte einfach Pech. Dass sich die Schüsse lösten, das war doch eher dummer Zufall. Doch die Frau hatte ihn gesehen. Und das war das große Problem. Ansonsten wäre alles noch in bester Ordnung gewesen. Aber so... was sollte er jetzt mit ihr machen?, dachte Jonas und zog sie vorsichtig nach draußen. Er stellte sie vor sich hin und blickte sie an. Der Mond schien auf die Beiden hinunter und Jonas fuhr mit seiner Hand über ihre Wangen, streichelte sie kurz und blickte in ihre Augen hinein. „Sie sind wunderschön...“, murmelte er und nahm sie vorsichtig auf seine Arme. Andrea verstand nicht, was dies zu bedeuten hatte. Wollte der Kerl sie nicht umbringen? Und hatte er gerade wirklich die Worte „you“ und „wonderful“ benutzt? Für einen Killer doch sehr unwahrscheinlich. Andrea musste aber vorsichtig sein. Dieser Kerl war vielleicht noch gefährlicher, als sie annahm. Sie musste sehr, sehr vorsichtig sein und nichts unnötiges provozieren. Erstmal musste sie diese Fesseln loswerden. Alles andere würde sich sicherlich ergeben. Hoffentlich...


    „Okay Monro...wo ist der Tote?“, wollte der Chief Inspector wissen, als er aus dem Wagen seines Assistenten stieg und das Restaurant betrat. Sofort sah er sich um. Die drei Personen in den Handschellen fielen ihm sofort auf. Vor allem der kleinere Kerl, der immer wieder versuchte aufzustehen und von zwei Beamten wieder auf den Platz gedrückt wurde. „Wer sind die?“ Monro drehte sich um und erblickte die Drei ebenfalls. „Keine Ahnung, Sir. Ich werde es herausfinden. Der Tote liegt im Hof. Die Tür befindet sich bei den Toiletten.“, entgegnete der Mann, zückte sein Notizblock und ging auf die Verhafteten zu. Dennis Jenkins machte sich auf den Weg zur Leiche und traf dort auf den Gerichtsmediziner. „Guten Abend Jo...so sieht man sich wieder.“ „Allerdings...und dieses Mal wenigstens an einem etwas gemütlicheren Ort.“, erwiderte der Pathologe und zog sich die Handschuhe von den Fingern. „Was hast du denn für mich schon?“ Jenkins hockte sich neben die Leiche und hob das Tuch hoch. Er stutzte. Diesen Kerl kannte er doch.
    „Drei Schüsse...alle aus nächster Nähe und alle in der Herzgegend. Ich tippe auf aufgesetzte Schüsse. Die Versengungen sind deutlich auf der Kleidung zu sehen.“, erklärte der Pathologe. „Alles klar...weißt du, wer er ist?“; wollte Dennis wissen. Doch Jo konnte nur mit dem Kopf schütteln. „Dafür weiß ich, wer er ist.“, erwiderte der Inspector. „Willst du es mir verraten oder lässt du deinen Schwager dumm sterben?“, grinste Jo ihn an, während er seine Sachen zusammenpackte und sich die Handschuhe von den Fingern zog. „Lucky Jim oder besser James MacLynley... einer der meistgesuchtesten Drogenhändler in ganz Nord-Großbritannien. Er ist...war dafür bekannt, dass er den ganzen Drogenhandel zwischen Nordirland und unserer Hauptinsel kontrollierte. Selbst Verbindungen nach Norwegen wurden ihm nachgesagt. Außerdem soll er noch in mehrere andere Verbrechen verwickelt gewesen sein.“, erklärte Jenkins. Jo nickte erstaunt und nahm seine Tasche auf. „Sobald ich ihn auf den Tisch hatte, ruf ich dich an. Vielleicht solltest du Scotland Yard darüber informieren. Es könnte eine Nummer zu groß für euch sein.“, meinte der Gerichtsmediziner. Mit einem leichten Lächeln im Gesicht sah Dennis seinen Schwager an. „Nun ja...das ist immer noch mein Fall, aber eine dritte, helfende Hand kann ja nicht schaden. Jetzt werde ich erstmal sehen, wie Monro mit den Zeugen klar kommt.“, erklärte Dennis Jenkins und verließ den Hof.


    ...

  • Semir wollte immer wieder aufstehen und sich erklären, doch die Polizisten drückten ihn zurück und versuchten ihm auf Englisch zu erklären, dass er jetzt noch nicht an der Reihe war. Der Sergeant, der sich ihnen als Monro vorgestellt hatte, befragte zuerst Emily und war jetzt bei Ben. Semir saß wie auf heißen Kohlen. Ihm wollte niemand zuhören. Niemand wollte wissen, dass seine Frau entführt wurde. Immer wieder sah er sich um und versuchte, mit Ben Blickkontakt zu erhalten. Aber die beiden Polizisten stellten sich immer wieder so hin, dass Semir sich nicht durch Blicke mit den anderen verständigen konnte. Dann drehte sich der Sergeant um und ging auf einen älteren Mann zu, der sich scheinbar von seinem Sergeant berichten ließ. Dann nickte er und kam auf alle zu. „Okay, da ich davon ausgehe, sie können mich verstehen, mein Sergeant hat mir erzählt, dass sie hier zu Abend gegessen haben. Ich lasse ihnen jetzt die Handschellen abnehmen und dann werden wir noch einmal in aller Ruhe über alles reden.“, meinte der Mann und gab seinen Männern ein Zeichen.
    Sofort, als die Handschellen fielen, stürmte Semir auf den Mann zu. „Meine...meine Frau wurde entführt. Sie...sie hat wahrscheinlich den Mord draußen beobachtet.“, stieß Semir aus. Der Mann blickte ihn verwirrt an. Es war offensichtlich, dass er deutsch nicht verstand. Glücklicherweise kam Ben gleich hinzu und übersetzte Semirs Worte ins Englische. „Ah...verdammt, dann müssen sie uns helfen. Chief Inspector Dennis Jenkins...Edinburgh CID. Können sie beschreiben, was passiert ist?”, forderte er von Semir. Semir nickte, als er Bens Übersetzung hörte und fing an, zu erzählen. Nach einer schier endlosen Weile war er fertig. „Gut...sie gehen bitte zum Hotel zurück und blieben dort, bis wir sie wieder aufsuchen. In der Zwischenzeit unternehmen sie nichts, haben sie mich verstanden?“ Semir sah ihn nur an und blickte dann zu Ben. Dieser machte ein bedrücktes Gesicht. „Ja, ich verstehe.“, knurrte Semir und verschwand mit Ben und Emily aus der Bar, während Jenkins und Monro zurückblieben. „Lassen sie zwei von unseren Männern vor das Hotel stellen. Sicherlich wird der Deutsche versuchen, seine Frau alleine zu finden. Er ist auch Polizist und scheint sehr jähzornig zu sein.“, erklärte Jenkins und drehte sich zu Monro um. „Übrigens...informieren sie Scotland Yard, dass wir einen Beamten zur Unterstützung anfordern.“ Monro blickte seinen Chef verwirrt an. „Sir, ich dachte...eigentlich dachte ich, dass wir das alleine hinkriegen.“, entgegnete der Sergeant. „Schon, aber da wusste ich noch nicht, wer der Tote von heute ist....Lucky Jim.“ Douglas Monro riss die Augen weit auf. „Wow...gut, das ist ein Grund für Scotland Yard. Soll ich jemanden bestimmtes anfordern?“ Jenkins nickte. „Ich kenne da einen jungen Inspektor, der uns unterstützen kann.“, erklärte Jenkins, steckte sich eine Zigarette an und ließ sich dann nach Hause fahren.


    Semir kam wütend und vollkommen fertig in sein Hotelzimmer an. Voller Wut schlug er die Tür hinter sich zu und war wahnsinnig vor Angst. Wo konnte seine Andrea nur sein? Die Highlands waren groß und unwirklich. Das wusste er aus vielen Reisesendungen und von seinen letzten Besuchen in dieser Gegend hier. Und nun...nun war Andrea irgendwo da draußen in den Händen eines Wahnsinnigen und stand Todesängste aus. Oder war sie schon ... nein, nein das wollte sich Semir nicht eingestehen. Das konnte er sich nicht vorstellen. Seine Andrea lebte und er würde sie finden. Doch wie? Vollkommen geschafft ließ er sich aufs Bett sinken und blickte auf die leere Bettseite hinüber. Seine Andrea...seine über alles geliebte Frau war entführt worden. Langsam füllten sich die Augen des Deutschtürken mit Tränen, die wie ein Sturzbach über seine Wangen liefen. Schluchzend glitt er auf die andere Seite, umklammerte das Kissen seiner Frau und führte es an seine Nase, sog den Duft ihrer Haare und des Parfums tief ein. Das war alles, was ihm in diesem Moment von seiner Frau geblieben war. Warum nur? Warum musste er so eifersüchtig reagieren und seine Frau dadurch auf die Toilette treiben? Jetzt...jetzt war sie verschwunden...und es war seine Schuld...seine eigene Schuld. Semir hörte die Worte immer wieder in seinem Kopf widerhallen...meine Schuld...meine Schuld. „Meine Schuld.“, stieß er kurz daraufhin aus und vergrub das Gesicht erneut im Kissen. Doch dann schalteten sich seine Sinne wieder ein, sein schmerzendes Herz beruhigte sich und Wut kam in ihm auf. Dann schaltete sich auch wieder sein kriminalistischer Verstand ein. Das Handy...Andreas Handy...das war es. Er blickte zur Tür. Mit entschlossenen Schritten nahm er seine Brieftasche, sein Handy und rannte, nachdem er seine Schuhe und seine Wetterjacke angezogen hatte, auf den Lift zu und fuhr in die Lobby hinunter. „Susanne, ich brauche deine Hilfe. Bitte, orte sofort Andreas Handy und schick mir die Daten auf mein Telefon. Nur auf meins...hast du mich verstanden?“, forderte er energisch. „Semir, weißt du eigentlich, wie spät es ist?“, knurrte die Sekretärin. „Bitte tu mir den Gefallen. Andrea ist verschwunden und ich will sie wiederfinden.“, erwiderte Semir. „Ich mache mich sofort auf in die Wache.“ „Danke Susanne.“ Semir kaufte sich eine Landkarte der Highlands und mietete sich einen Geländewagen. Wenn er die Daten erhielt, konnte die Jagd beginnen.
    Ben saß in seinem Zimmer und streichelte Emily über den Rücken. „Semir ist vollkommen fertig mit den Nerven. Der arme Kerl tut mir Leid. Und keinerlei Spur von Andrea.“, stieß Ben aus und massierte weiter. „Ich hoffe, die Polizei kann Andrea schnell finden. Sie leidet sicherlich Höllenqualen durch.“, erwiderte Emily und nahm die Hand ihres Verlobten. „Ben, wenn sie...wenn sie den Mord beobachtet hat, dann wird doch dieser Kerl sie sicherlich umbringen....wenn er es nicht schon getan hat.“, meinte sie mit schwerer Stimme und blickte mit besorgten Blicken in die braunen Augen ihres Freundes. „Wenn er es wollte, hätte er es schon im Hof getan. Doch jetzt, wo wir nicht wissen, wo sie sind, da kann er es fast ungestört tun. Ich hoffe sehr, dass wir Andrea finden. Semir würde sich etwas antun, wenn Andrea etwas passiert.“, meinte Ben besorgt und blickte kurz zur Tür. Einen Moment herrschte eine totenähnliche Stille, die sich langsam im Zimmer breit zu machen schien, ehe Ben sich wieder umdrehte und Emily vorsichtig über die Wange strich. „Er könnte nicht leben ohne sie. Und ich könnte es niemals ohne dich.“, meinte er und sah auf, als sein Handy klingelte. „Oh hallo Susanne, was gibt es denn?“, wollte er wissen. Er hörte einige Momente zu und Emily bemerkte, wie sich mehr und mehr seine Miene verfinsterte. „Was? Verdammt, dieser sture Hund.“, zischte Ben und rannte aus dem Zimmer. „Ben, was ist denn los?“ „Semir ist allein auf die Suche gegangen. Ich...ich muss hinterher.“, stieß Ben aus und rannte hoch, klopfte an Semirs Zimmer und rannte, als keine Antwort kam, hinunter in die Lobby. Er fragte den Rezeptionsangestellten und dieser gab sofort Antwort, wo Semir hin war. Als Ben jedoch auf der Straße stand, konnte er nur noch die aufblitzenden Rücklichter des Geländewagens in der Ferne sehen. „Verdammt...dieser sture Dummkopf.“, fauchte Ben und ging mit Wut und Besorgnis zurück auf sein Zimmer. Er konnte im Moment nur eins tun, so sehr es ihn auch unter den Nägeln brannte...warten.


    ...

  • Douglas Monro fuhr von der Wohnung seines Chefs gleich weiter zum Hotel. Er hatte das große Glück, die erste Wache zu übernehmen. Warum nur er? Er war der Einzige, der jüngeren Beamten, die nicht mit dem Argument Familie und Kinder kommen konnten, wenn es um solche Einsätze ging. Das war so was von unfair. Wieso gab es für ihn nicht die richtige Frau? Immerhin kannte er genug, doch immer wenn es ernst zu werden schien, dann schien ein Fluch sich über die Beziehung zu legen und innerhalb von drei Tagen waren die Frauen auf und davon. Monro wollte gerade den Wagen parken, als er einen der Deutschen aus dem Hotel rennen sah. „Wo wollen wir denn hin, Freundchen?“, murmelte Monro und schoss einige Fotos. Hmmm, hast du vielleicht deine Frau umgebracht, dachte Douglas und sah dem Mann nach. „Das wird sicherlich ein interessanter Abend.“, murmelte Douglas vor sich her. Der Kerl wäre nicht der Erste, der unglücklich verheiratet ist oder sich in die Sekretärin verliebt hat und nur, weil seine Frau bei einer Scheidung alles bekommen würde, einen Mord begeht. Sicherlich war seine Frau irgendwo in einer dunklen Gasse versteckt und würde sie jetzt holen, um sie irgendwo loszuwerden. Der junge Sergeant startete den Wagen und folgte dem Landrover durch den nächtlichen Verkehr. „Wo willst du hin?“, fragte sich Douglas und achtete einen Moment nicht auf seinen Vordermann. Sein „Opfer“ schien die Verfolgung zu ahnen und riss das Lenkrad herum, brauste in den Gegenverkehr und bahnte sich seinen Weg durch etliche Lücken. Reifen quietschten und Metall knirschte, als die Autos bremsend aufeinander fuhren. „Fuck...dieser verdammte Deutsche.“, fluchte Douglas Monro und wollte folgen, doch die Autos verstellten ihm sämtliche Wege. Wütend stieg er aus und schlug mehrmals aufs Dach. Dieser verfluchte Deutsche....das würde ihm der Chief Inspector mehr als übel nehmen. Dass er sich so täuschen lassen konnte, war eine Schande für einen englischen Polizisten. Das durfte nie...nie wieder vorkommen.
    Semir grinste nur, als er durch den Rückspiegel sah. Niemand konnte ihn daran hindern, seine Frau wieder zu finden. Nicht einmal, die ganze britische Polizei. Doch wenn die so arbeitete, wie dieser kleine Sergeant hinter ihm, dann hatte er wirklich nichts zu befürchten. Er gab die Koordinaten, die ihn Susanne per Handy geschickt hatte, in das Navigationssystem ein und brauste durch die nächtliche Stadt hindurch. Doch dann schoss hinter ihm aus einer Seitengasse ein schnelles Fahrzeug raus und setzte sich genau hinter ihn. Das blau-weiß aufblitzende Licht stach ihm sofort in die Augen. „Oh shit...“, stieß Semir aus und trat das Gaspedal noch mehr durch, als er es sonst schon tat. Der Landrover machte einen Satz nach vorne und schnellte noch mehr die Straßen entlang, so gut es der Motor zuließ. Doch gegen das schnelle, schlanke Fahrzeug der Polizei konnte Semir nicht lange davonfahren. Er musste einen anderen Weg finden. Vielleicht konnte er sie in den engen Gassen abschütteln. „Also los.“


    Der Landrover schrammte fast an den engen Hauswänden entlang, als er um die dichten Kurven fuhr. Das Polizeiauto war dicht hinter ihm. Noch konnte er es nicht abschütteln. „Die sind ziemlich hartnäckig.“, stieß Semir aus und suchte eine Möglichkeit, seinen Verfolgern zu entkommen. Er fuhr die Gassen entlang, fuhr links und bog dann sofort wieder rechts ab, doch noch immer war die Polizei hinter ihm her. Das blau-weiße Licht blitzte und wurde an den Hauswänden reflektiert. Semir ruderte mit dem Lenkrad immer wieder herum, trat die Bremse, kuppelte und stieg dann sofort wieder aufs Gaspedal. Das musste doch zu schaffen sein. Er musste seine Verfolger abschütteln. Er fuhr zurück auf eine breite Straße und schnellte an mehreren parkenden Taxis vorbei. Dann sah er vor sich einen Lkw und gab noch mehr Gas. Semir setzte sich neben das Fahrzeug und schnellte an ihm entlang. Als er ihn endlich im Seitenspiegel sah, riss er das Lenkrad rum und fuhr vor dem großen Laster in eine abschüssige Straße hinein. Der Fahrer erschrak dermaßen, dass er das Lenkrad verriss und seinen tonnenschweren Laster über sämtliche Fahrspuren stellte. Das Polizeiauto bremste. Qualm stieg auf, als sie endlich zum Stehen kamen. Sie berührten leicht den Laster und kamen dann zum Stehen, doch der zu Verfolgende war weg.


    Andrea saß ängstlich und vollkommen still in einer Ecke der großen, geräumigen Hütte und wagte nicht, sich zu rühren. Ein modriger Geruch stieg ihr in die Nase. Ein Zeichen dafür, dass das Haus lange nicht mehr benutzt und durchgelüftet worden war. Einer ihrer Füße war mit einer langen Kette am Bettgestell befestigt. Ihre Hände waren frei, doch das nützte ihr wenig. Sie war in einem großen Zimmer eingesperrt. Vor dem Fenster dicke Gitterstäbe und eine schwere Tür mit Eisenriegel machten einen jeglichen Fluchtversuch zunichte. Ihr Entführer hatte ihr ein Tablett mit gebratenem Huhn und einem Guinness hingestellt. Noch war nicht klar, was er mit ihr anstellen würde. Vorhin kam er rein, sah sie mit einem alles durchdringenden Blick an und warf sie dann auf das Bett. Er tastete ihren ganzen Körper ab, nahm ihr das Handy ab und warf es vor ihren Augen in eine Falltür. Andrea sah ängstlich auf die Öffnung, als das Mobiltelefon mit einem Platsch darin verschwand. „Das...das ist der MacKnie-Sumpf. Was da rein geworfen wird, verschwindet für immer und taucht nie wieder auf.“, meinte er und ließ die Klappe wieder zufallen. Wieder kam er auf Andrea zu. „Du brauchst keine Angst zu haben.“, meinte er und strich ihr durchs Haar. „Ich werde dich nicht töten. Dafür bist du viel zu schön, meine Liebe. Es wäre eine Verschwendung von Schönheit.“, lächelte er und verließ den Raum wieder.


    ...

  • Jonas saß vor dem Haus auf einer Kiste und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Was sollte er nun tun? Sicherlich war schon die Polizei hinter ihm her. Von der Mafia ganz zu schweigen. Dieser Lucky Jim war ja nicht irgendwer. Jeder, der in Edinburgh ein Restaurant oder auch nur eine Kneipe besaß, kannte Lucky Jim und seine Geldeintreiber. Doch das war noch nicht alles, was dieser Kerl auf der Rechnung hatte. Die Gerüchteküche sprach sogar von Mord an den Menschen, die ihm Widerstand leisteten. Auch er sollte zahlen und Lucky Jim wollte ihm mit der Waffe einen Denkzettel verpassen. Nur dumm für ihn, dass Jonas schneller war. Doch was sollte jetzt werden? Er wusste, was er zu tun hatte. Mit seiner neuen Flamme würde er einfach quer durch die Highlands fahren, in Glasgow auf irgendeinem Überseeschiff anheuern und in Südamerika ein neues Leben anfangen. Das ist ein guter Plan, dachte Jonas und drückte die angefangene Zigarette aus. Doch erstmal mussten sie sich einige Tage verstecken und dafür brauchte er mehr Lebensmittel. Am Besten er fuhr gleich am Morgen ins Dorf hinunter und besorgte das ein oder andere. Vielleicht auch einige Dinge, die bei so einer Entführung nicht fehlen durften. Doch jetzt ging er erstmal ins Bett und musste seine Kräfte auffrischen. Er würde sie sicherlich noch brauchen. Wer weiß, wer alles hinter ihnen her war.


    Semir fuhr durch die nächtlichen Highlands. Der Wagen sauste fast lautlos über die Straße, doch immer wieder merkte er, wie seine Augen zufielen. Es war bereits nach zwei Uhr und es war immer schwerer bei Bewusstsein zu bleiben. Das half alles nichts, stieß er in Gedanken aus und lenkte den Wagen in eine Seitennische, stellte den Motor aus und drehte den Sitz nach hinten. Er schloss die Augen. Nur zwei Stunden...das musste ausreichen. Das sollte doch wohl genügen, dachte er und war binnen weniger Augenblicke weggetreten. Aus zwei Stunden sollten ganze fünf werden. Irre Bilder erschienen vor seinem träumenden Auge. Andrea saß in einer tiefen Höhle, an einen Stein gekettet und ihre Augen verquollen vor Angst und Tränen. „Andrea...ich rette dich.“, stieß er aus und rannte auf die Felswand zu, doch immer wenn er näher kam, dann verschwand die Wand mit Andrea und tauchte an anderer Stelle wieder auf. Und ein irres Lachen begleitete jedes Verschwinden. „Du wirst sie nie wieder kriegen.“, verhöhnte die Stimme Semir. Semir sah immer wieder auf die Erscheinung von Andrea und der Steinwand und rannte ihr immer wieder nach. Und immer wieder verschwand sie aufs Neue. Nein...nein...Andrea...ANDREA!!! Semir fuhr aus dem Schlaf hoch und war schweißnass. Verwirrt sah er sich um. Alles um ihn herum war so wabbelig. Nein...das war nur Nebel...nur Nebel, beruhigte sich Semir und sah auf die Uhr...sieben Uhr. Verdammt, er musste sich wieder auf die Suche machen. Hoffentlich gab es bald eine heiße Spur.


    In einer 650 Kilometer entfernten Wohnung im Londoner Stadtteil Paddington klingelte früh um sechs Uhr das Telefon. „God damned...What the hell...“, stieß Detective Inspector Joshua Etheridge aus, als er aus dem Schlaf gerissen wurde. Beim allzu hektischen Aufstehen stieß er mit dem linken großen Zeh gegen den Bettpfosten. „Uh...Fuck...“, fluchte er und rieb sich den pochenden Zeh. „Josh Darling, was machst du für einen Krach?“, kam es verschlafen von seiner Frau Yao, die ihren Kopf aus dem großen Kissen und unter der Federdecke hervorhob. „Das Telefon...schlaf weiter...“, meinte Josh grummelnd, zog sein Shirt zurecht und rückte die ausgefüllte Mitte seiner Boxershorts in eine angenehme Position, ehe er den klingelnden Ruhestörer im Flur zum Schweigen brachte. „Etheridge...wer stört denn um diese Zeit?“, knurrte er mit verkratzter Stimme in den Hörer hinein. „Josh, hier ist Detective Chief Inspector Dennis Jenkins aus Edinburgh.” „Dennis, das ist eine Überraschung, dass sie anrufen. Wie geht es ihnen?“, fragte der junge Inspector. All der Ärger über den Störenfried war verflogen. Die Stimme seines einstigen Lehrers von der Polizeischule nach all den Jahren zu hören ließ die frühe Zeit des Tages und das unerhörte Stören seines Schlafes vor der üblichen Zeit vergessen. „Joshua, wir haben ein Problem hier. Es geht um Lucky Jim. Dir ist der Name doch ein Begriff?“, wollte sich der Mann am anderen Ende versichern. „Allerdings... James MacLynley... einer der meistgesuchtesten Drogenhändler in ganz Nord-Großbritannien. Außerdem ist er im Schutzgeldgeschäft und einigen Schmuggeldelikten unterwegs.“, erklärte Josh. „Ganz genau...er ist gestern Abend gestorben...ermordet. Und der vermeintliche Mörder mit einer Zeugin auf der Flucht.“, kam es von Jenkins. Josh pfiff und durchfuhr mit seinen Fingern die vom Schlaf verzausten Haare. „Und wie kann ich dabei helfen?“ „Ich möchte, dass du uns bei den Ermittlungen hilfst. Als ein offizieller Beistandsermittler von Scotland Yard. Es...es sind nämlich einige Touristen in den Fall verwickelt, ausländische Touristen...Deutsche, um genau zu sein.“ Wieso betonte er das so genau?, fragte sich Josh, nachdem er die Worte hörte. „Du meinst, es könnte eine politische Verwicklung geben. Gut, ich komme heute noch nach Edinburgh hoch. Lass mir nur etwas Zeit, um einige Sachen zu packen.“, erwiderte Josh und legte auf. Schnell ging er zurück, erklärte alles seiner Frau, während er packte und seine Sachen zusammensuchte. Er gab seiner Frau und seinem vierjährigen Mädchen einen Abschiedskuss, stieg in seinen Wagen und machte sich auf die lange Fahrt nach Schottland.


    ...

  • „Können sie denn nicht verstehen, dass wir sofort hinterher müssen. Ihre Verdächtigungen sind wahnsinnig.“, fauchte Ben und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Mister Jäger...setzen sie sich und demolieren sie hier nicht die Einrichtung in meinem Büro.“, fauchte Douglas Monro und stemmte sich aus seinem Sessel hoch. Wütend funkelten die Augen des Mannes den deutschen Kollegen an. Wie zwei rivalisierende Hunde blickten und knurrten sie sich innerlich an. „Mein Freund ist auf der Suche nach seiner Frau und sie haben nichts anderes zu tun, als ihn zur Fahndung auszuschreiben. Glauben sie wirklich das, was sie mir vorhin sagten. Dass mein Partner, Semir Gerkhan, seine Frau umgebracht hat und nun irgendwo in dieser unwirklichen Wildnis verscharren will.“, knurrte Ben. „Doch, das glaube ich. Mehrere Zeugen haben ausgesagt, er habe im Restaurant lauthals mit seiner Frau gestritten. Ein Kellner ist des Deutschen mächtig und konnte und genau erzählen, worum es bei dem Streit ging.“, zischte der Sergeant. „Es ging um Eifersucht. Eifersucht, weil er glaubte, seine Frau flirte mit dem Inhaber. Und das waren auch ihre Worte bei der ersten Vernehmung. Genau wie die, ihrer Verlobten.“ Der Sergeant setzte ein zufriedenes Grinsen auf. „Sie sehen also, viele Indizien, die gegen ihren Freund sprechen.“ „So? Dann frage ich mich allerdings, warum der Besitzer des Restaurants vor meinem Kollegen davonlief. Er hat Semirs Frau entführt und nicht umgekehrt.“, versuchte Ben. „Der Besitzer mag für den Tot des Mannes im Hof verantwortlich sein, doch ihr Kollege holte ihn und seine Frau ein, brachte den Nebenbuhler um und tat wahrscheinlich das Gleiche mit seiner Frau. Und jetzt ist er dabei, die Leichen zu entsorgen.“
    „Monro...jetzt ist aber Schluss mit den Verdächtigungen.“, zischte es aus dem Nebenbüro. Dennis Jenkins kam zu den Beiden und sah seinen Sergeant mit einem zurechtweisenden Blick an. „Aber Sir...das ist eine Möglichkeit, die...“ „Die vollkommen gegen die Spurenlage spricht. Ich habe gerade den Bericht gelesen. Hier bitte...“, meinte der Inspector und legte den Bericht aufgeschlagen seinem Sergenat hin. Während der Mann las, blickte Jenkins zu Ben und zog kurz die Augenbrauen hoch. Douglas Monro räusperte sich und las laut vor. „Aufgrund der vorgefundenen Spuren im Hinterhof und in der Seitengasse kann davon ausgegangen werden, dass es außer dem Toten keinerlei Anzeichen für einen weiteren Mord gibt.“, hörte Ben ganz deutlich aus dem Gemurmel hervor. Grinsend verschränkte er die Arme vor seiner Brust und wippte auf seinen Stiefelspitzen leicht auf und ab. „Aber wenn es nicht der Ehemann war, wer dann?“ Munro blickte seinen Chef und den deutschen Kollegen an. „Denken sie doch mal nach...der Tote ist Lucky Jim und der Restaurantbesitzer ist verschwunden.“ „Schutzgelderpressung...oder noch schlimmeres.“, stieß Monro aus. Jenkins nickte zustimmend und lächelte. „Wir werden uns das Restaurant ansehen, noch bevor der Ermittler von Scotland Yard da ist.“ „Glauben sie, wir werden da etwas anderes finden?“ „Bleibt abzuwarten...“, entgegnete Jenkins und blickte Ben an. „Bitte...kehren sie in ihr Hotel zurück, bis wir etwas neues haben.“ Doch Ben schüttelte energisch den Kopf. „Ich werde nicht weggehen. Ich will meinen Freund und dessen Frau finden und dann meinen Urlaub fortsetzen.“, zischte Ben. „Gehen sie...jetzt...“ Wütend und mit Zornesröte im Gesicht trat Ben den Rückweg an. Doch nicht für lange, das schwor er innerlich.


    Jenkins und Monro fuhren noch einmal zum Restaurant und sahen sich in den Räumen um. Was suchten sie hier eigentlich? Sollte es sich nicht um Schutzgeld handeln? „Gibt es eigentlich schon Hinweise zu den anderen Toten? Zu den Hafenarbeitern?“, fragte Dennis Jenkins und blickte seinen Assistenten an. „Ein Zeuge hat sich heute morgen vorgestellt und die Drei als Mitarbeiter bei einem großen Fischereibetrieb identifiziert. Es war der Vorarbeiter, der die Drei seit mehreren Wochen vermisst hatte. Ihm ist das nur jetzt wieder eingefallen, weil die fehlenden Stellen schon durch neue Kräfte ersetzt wurden. Als ich ihn fragte, was mit dem Fisch passiere, den sie fangen, antwortete er, der Fisch ginge an mehrere Restaurants hier in Edinburgh. Das hier ist eins davon.“, erklärte Douglas Monro und ging in die Küche. „Nach was suchen wir eigentlich? Er wird doch keine Vereinbarung unterzeichnet haben oder so.“ „Schauen sie sich dennoch alles an. Irgendwas müssen wir hier ja finden.“, erklärte Jenkins und ging in die Büroräume, aus denen merkwürdige Geräusche zu kommen schienen. Und wir dürfen keinerlei Waffen tragen, dachte er und blickte sich nach einer passenden Waffe um. Nichts war in seiner Reichweite. So nahm er all sein Selbstbewusstsein zusammen und schob sich immer weiter Richtung Tür. Sie stand einen Spalt offen und Dennis schob die Tür mit seiner Hand langsam auf. Sein Blick wanderte durch den Türspalt und suchte den Raum nach den gehörten Geräuschen ab. Dann sah er, wer die Geräusche verursachte. „Hatte ich ihnen nicht gesagt, sie sollen sich nicht einmischen.“, fauchte Jenkins und stieß nun vollends die Tür auf. An einem Regal stand Ben und hatte gerade zwei Aktenorder in der Hand, während viele andere auf dem Boden herumlagen. „Ich mische mich nicht ein. Ich ermittle selbst.“, konterte Ben gelassen und legte die beiden Ordner auf den Tisch. „Ich bin selbst Polizist und ich will helfen. Bitte lassen sie mich helfen.“, forderte Ben eindringlich. Dennis Jenkins blickte ihn an und überlegte.
    „Haben sie wenigstens etwas gefunden?“, fragte der Chief Inspector mit einer knurrenden Stimme. „Doch, das denke ich...es ist doch ungewöhnlich, selbst für ein gut gehendes Restaurant, dass es Unmengen an Fisch braucht, oder?“, fragte Ben und schlug einen der Ordner auf. „Hier sehen sie...“, meinte Ben und blickte den Inspector an. Dieser beugte sich tief über den Ordner und studierte die Zahlen genau. „Hmm...sie haben recht. Ziemlich hohe Bestellungen.“ „Sir...kommen sie mal bitte in die Küche...“, hörte er plötzlich von seinem Assistenten mit lauter Stimme schreien. „Komme gleich...sie meinen also, hier wird mit dem Fisch irgendein krummes Ding getrieben.“ „Auf jeden Fall eignet er sich doch gut zum Schmuggeln, oder? Ich meine, das Eis bietet gute Versteckmöglichkeiten. Ebenso das Innere des Fisches.“, erklärte Ben und ging mit dem schottischen Polizisten mit nach unten in die Küche. Douglas Monro drehte sich um und setzte seinen wütendsten Blick auf, als er Ben im Schlepptau seines Chefs sah. „Was macht denn der Kerl hier?“, fauchte der Sergeant und zeigte wütend auf den Deutschen. „Er war oben und hat in den Akten gewühlt. Was haben sie dort gefunden?“, fragte er und deutete auf das zerborstene Eis auf dem Boden. Doch es war nicht nur gefrorenes Wasser. Etwas anderes befand sich darunter.


    ...

  • Semir fuhr immer weiter durch die Highlands. Die Gegend war von steilen Felshängen auf der einen Seite und weiten, sanft gewölbten Heiden mit ungewöhnlich vielen Disteln auf der anderen Seite gekennzeichnet. Eine wunderbare Gegend, durch die ein kleiner, schnell fließender Bach sich seinen Weg bahnte. Semirs Augen jedoch waren auf die Straße konzentriert, so hatte er keinen Sinn für die Schönheit und Anmut dieser einzigartigen Landschaft. Der Landrover brauste über die Straße und Semir sah starr auf die Fahrbahn. Noch immer war das Navigationsgerät eingeschaltet und führte ihn immer dichter an die Koordinaten heran. Plötzlich knurrte etwas im Wagen. So laut, als würde sich ein Braunbär neben ihm auf den Sitz befinden. Verwundert sah sich der Deutschtürke um, doch es war nichts zu sehen. Dann merkte er, er war es selbst. Sein Magen knurrte unheimlich und auch seine Blase meldete sich mit einem unvermindert zunehmenden Druck. „Verdammt...“, murmelte er und sah auf das Navigationsgerät. Zum Glück kam gleich vor ihm eine Ortschaft. Hoffentlich gab es dort eine kleine Wirtschaft. Er musste seine Kräfte auffrischen. Also fuhr der Landrover die Ortschaft an und blickte sich nach der Wirtschaft um. Tatsächlich fand er sie gleich in der Mitte des kleinen Dorfes.
    Mit schnellen Beinen betrat er das Gasthaus und fragte sich im brüchigen Englisch nach der Toilette durch. Als er endlich das erleichternde Gefühl des nachlassenden Druckes verspürte und sich kräftig die Hände wusch, ging er zurück in den Gastraum, suchte sich eine ruhige Ecke und bestellte sich einen mit Ei überbackenen Toast und einen großen Pott schwarzen Kaffee. Die Wirtin rümpfte über die Bestellung des Getränkes doch die Nase, aber sie kehrte mit dem Bestellten nach einer viertel Stunde wieder und stellte Semir alles eindrucksvoll zurechtgemacht vor die Nase. „Thank you...“, murmelte er und schlang förmlich das zurechtgemachte Essen hinunter, während er zeitgleich den Kaffee ohne Genuss in seine Kehle stürzen ließ. Zu schnell...mit einem Husten und Keuchen machte sich das brühheiße Getränk in seiner Kehle bemerkbar. Doch die Schmerzen im Rachen und am Gaumen waren ihm egal. Er durfte nicht allzu viel Zeit verlieren, wollte er seine Andrea vor dem schlimmsten Schicksal bewahren. Sie war sein Ein und Alles. Ohne sie wollte er, konnte er nicht mehr leben. Was blieb denn schon noch, würde sie sterben? Er und die Kinder. Wie sollte er sich um die Kinder kümmern, bei seinem Beruf? Was sollte er dann tun? Aufhören zu arbeiten? Er würde daran zugrunde gehen. Das wusste er jetzt schon. Wie oft hatte er sich das vorgenommen...kürzer treten und weniger Arbeiten. Doch dieser Vorsatz hielt meist nicht länger als ein neuer Dienstwagen. Nein, Semir war einfach zu sehr Arbeitstier, als das er sich zu diesem Schritt entschließen konnte. Und an so ein Schicksal wollte er gar nicht denken. Seine Andrea würde er schon finden und dann würde er ihrem Entführer ganz genüsslich den Hals umdrehen. Der Toast war gegessen und der Kaffee getrunken. Semir zahlte und verließ das Wirtshaus so schnell wie er gekommen war, stieg in den gemieteten Landrover und brauste davon. Weiter ging die Suche nach seiner Andrea...weiter ging es durch die wunderschöne Landschaft Schottlands, die doch so viel Böses in sich zu verbergen schien.


    Jonas sah sich in dem kleinen Dorfladen genau um. Hier war wirklich alles zu finden. Mal sehen, was er so brauchte. Butter, Eier, Käse...vielleicht ein gutes Brot und noch etwas Wurst. Ja, das dürfte für die nächsten Tage reichen, dachte er und blickte sich um. Ah...das Hühnchen sah doch gut aus. Das würde er seiner Freundin zum Abendessen machen. „32 Pfund und 22 Pencs.“, forderte die Kassiererin als Bezahlung. Jonas legte das Geld auf den Tisch, nahm seinen Einkauf und fuhr zurück zur Hütte. Als er das Auto am Weg abstellte, sah er sich mehrere Male um. Waren sie ihm schon auf den Fersen? Oder blieb ihm noch genug Zeit? Vielleicht wäre es besser, wenn er mit seiner neuen Eroberung den Standort wechselte. Man wusste ja nie, wer einem so alles hinterher jagte. Er schloss die Tür auf und sah sich nochmals die Heide an. Nirgends eine Menschenseele. Nur in der Ferne waren ein paar Schafe zu hören. Jonas sollte machen, dass er mit seiner Geisel davon kam. Am Besten sofort. Doch nein...vielleicht sollte er sich vorher etwas von der Frau nehmen, was er schon lange nicht mehr von einer Frau bekommen hatte. Das war sehr gut. Ja, das war es. Sofort brachte er die Sachen in die Küche, schnellte ins Badezimmer hinauf und sah nach, ob er noch einen Gummi irgendwo vorrätig hatte. Sehr gut...dachte er, als er einen verpackten Kondom fand. Er steckte es ein und ging in die hinteren Räume. Er nahm den Schlüssel für die „Zelle“ und schloss auf. Sein Opfer blickte ihn abwartend an. Die Kette scharrte auf dem Boden, als sich Andrea bewegte. „Was...was haben sie jetzt mit mir vor?“, fragte sie und sah ängstlich auf das kleine, Plastikviereck in der Hand des Mannes. Sie ahnte, was da drin war. „Nein...bitte...bitte nicht.“, flehte sie und wich immer weiter zurück. Doch bald saß sie in der Falle und konnte nicht weiter. Der Mann kam immer dichter und streckte seine großen Hände nach ihr aus. Andrea trat um sich, doch schon bald packte der Mann ihre Beine und fesselte sie gekonnt an jeweils einen der Bettpfosten. „Jetzt werden wir eine Menge Spaß haben...“


    ...

  • Semir brauste wieder durch die Highland und bremste, als er um eine Kurve fuhr. Da...da unten stand der Wagen, den er neulich nacht gesehen hatte. Da war er sich ganz sicher. Sofort lenkte er das Auto den einsamen Weg hinunter und parkte den Landrover direkt dahinter. Vorsichtig stieg er aus und ließ leise die Tür ins Schloss fallen. Die Hütte war nicht groß, doch der Entführer konnte überall sein. Plötzlich hörte er einen Schrei. Das war seine Andrea...sie wurde gefoltert. Dieses Schwein...sofort erwachten sämtliche Kampfgeister im Deutschtürken und er ließ alle Vorsicht außer Acht. Mit brachialer Wut im Bauch rannte er die wenigen Stufen hinauf, brach die Tür auf und folgte den Schreien in den hinteren Raum. „Andrea...“, rief er und durchsuchte auf dem Weg zu den Schreien jedes Zimmer. Endlich fand er das richtige Zimmer und sah seine Frau auf dem Bett liegen, die Jeans schon abgestreift und das Oberteil hinter ihren Nacken gerollt. Ihre Augen waren verbunden und die Hände und Füße an die jeweiligen Bettpfosten gebunden. „Semir...endlich...“, keuchte sie und wollte erleichtert aufstehen. „Andrea...wo ist der Kerl?“, fragte er mit Schaum vor dem Mund. Semir sah sich um, doch der Raum schien leer zu sein. Er sah sich alle Ecken an, doch nirgends war jemand zu sehen. Plötzlich fuhr etwas auf Semir nieder, dass ihn zu Boden warf. Einen Moment später krachte es und der Deutschtürke verlor vollends das Bewusstsein. „So, das war es jetzt. Keine Sorge mein Schatz...ich werde ihn nur entsorgen und dann machen wir weiter.“, lachte Jonas. „Nein...nein bitte nicht. Er ist mein Mann. Bitte lassen sie ihn am Leben, dann ... dann gehe ich mit ihnen.“, flehte Andrea. Jonas blickte sie an und staunte nicht schlecht, als er die englischen Worte der Frau vernahm. „Ist das dein Ernst?“ „Ja...“, meinte Andrea niedergedrückt. „Sehr gut...wir fahren gleich. Ich will nur deinen Ehemann etwas ruhig stellen. Keine Angst, ich werde anonym sagen, wo er ist.“, erklärte Jonas und schleppte Semir in einen der Nebenräume. Andrea konnte nicht sehen, was ihr Entführer mit ihrem Mann machte. Als er wiederkam und Andreas Füße losband, wollte sie ihn angehen, doch Jonas war schneller, wehrte die Schläge ab und schlug ihr an die Schläfe. Benommen fiel sie um und wurde erst verschnürt und dann zum Wagen gebracht. Was aus Semir geworden war, wusste sie nun nicht.


    Die drei Männer sahen auf den Boden und staunten nicht schlecht. „Wow...das ist aber kein pures Eis.“, kam es von Monro, der als erster die Sprache wiedergefunden hatte. Dennis Jenkins nickte nur und nahm etwas vom Boden auf. „Die Fische in der Nordsee und im Atlantik scheinen plötzlich einen neuen Nebenberuf zu haben. Als Brieftauben...sehr spezielle Brieftauben.“ Ben sah den Klunker in der Hand des Mannes an. „Was dürfte so etwas wert sein? Ich schätze nicht unter 100.000 Euro oder?“ „Mindestens, aber das Heroin hier ist sicherlich das zehnfache des Steines wert. Monro, untersuchen sie mal die anderen Kisten. Vielleicht finden wir ja noch mehr für ein Mordmotiv.“ Der Sergeant nickte und machte sich sofort daran, die anderen Fischkisten ebenfalls zu durchsuchen. Dass dabei der Fisch auf dem Trockenen lag, als Douglas Monro sämtliches Eis auf den Boden warf und zerschlug, war den Männern egal. „Na das ist doch ein Schatz, der sich sehen lassen kann.“, meinte Jenkins, nahm eine Kiste und packte alles Gefundene hinein, drückte sie seinem Sergeant in die Hand und ließ ihn alles in Labor bringen. „So Mister Jäger...und sie kommen jetzt bitte mit aufs Revier, damit wir das weitere Vorgehen besprechen können. Ich denke, der Mann von Scotland Yard ist auch schon da.“ Ben nickte und folgte dem Mann.
    Josh sah sich den Schreibtisch an und warf schon einen Blick in die Akten. Da hat es dich also hingehauen, dachte er laut, als er das Todesfoto von Lucky Jim sah. Mehrere Schüsse in die Brust...Berufsrisiko in seiner Branche, dachte Josh und legte die Akte wieder zurück auf den Tisch, als er die Tür hinter sich hörte. „Ah gut...du bist schon da, Josh...sehr gut...darf ich dir...“ „Hallo Ben...“, fiel Josh ihm ins Wort und ging auf seinen deutschen Freund zu, umarmte ihn und klopfte auf seine Schulter. Jenkins und Monro sahen sich verduzt an, während Monro die Sachen in der Kiste auf den Tisch stellte. „So, dann erklärt mal bitte die Sachlage.“, forderte der junge Inspector von Scotland Yard. Sofort begannen Jenkins, Monro und Ben abwechselnd zu erzählen. Als Josh endlich alle Details gehört hatte, sah er die Kiste an und nahm eine Tüte in die Hand. „Okay...dann gehen wir mal wie folgt vor. Dennis und ich werden hier in Edinburgh weiterhin an dem Fall arbeiten und die Hintergründe aufklären und Ben und Monro...ihr sucht nach Semir und Andrea...irgendwo müssen sie ja stecken.“, meinte Josh. Sofort sahen sich Ben und Douglas Monro an. „Was? Das...das geht niemals gut. Ich soll mit ihm?“, fauchte Monro und deutete auf den deutschen Hauptkommissar. „Glauben sie mir, für mich ist das auch kein Vergnügen. Aber ich will meine Freunde wiederfinden. Also...“, meinte er und reichte Douglas die Hand. Nur widerwillig nahm dieser an und ergriff die Hand. „Gut...begeben wir uns auf die Suche nach der Nadel im Heuhaufen.“, meinte er.


    Dennis sah den Beiden nach. „Meinst du, die werden das schaffen?“, wollte er wissen. Josh nickte lachend. „Glaub mir, ich habe schon schlimmere Kampfhähne als die Beiden gesehen. Die schaffen das schon. So, wie gehen wir jetzt vor? Ich denke, wir nehmen uns jegliche Unterlagen des Restaurants vor...Lieferantenscheine, Bestellungen und alles andere. Irgendwo müssen ja Kontaktdaten zu den Lieferanten oder Schmugglern existieren. Habt ihr sein Handy gefunden?“, fragte Josh. „Nein...und solange wir den Entführer der Frau nicht haben, haben wir auch den Mörder nicht. Mister Gerkhan hat einstimmig ausgesagt, dass es sich um den Restaurantinhaber handelt. Wir können nur darauf warten, dass die Beiden ihn lebendig finden.“, meinte Dennis. Josh nickte und sah sich um. „Dann bringen wir erstmal die Sachen ins Labor. Danach nehmen wir uns die Listen vor...irgendwo muss ja eine Spur zu finden sein. Die toten Hafenarbeiter müssen ja auch eine Erklärung haben.“, murmelte der junge Inspector vor sich her.


    ...

  • „Ja okay...habe verstanden. Danke...“, murmelte Monro, als er draußen war und ins Auto steigen wollte. Ben drehte sich um und sah den Mann fragend an. „Eine Wirtin hat ihren Freund gesehen. Er ist durch die Ortschaft Lochlyn gefahren.“, erklärte der Sergeant und stieg in seinen Wagen ein. „Wie weit ist das von Edinburgh entfernt?“, fragte Ben und setzte sich auf die Beifahrerseite. Vollkommen ungewohnt für ihn. Sie befand sich auf der sonstigen Fahrerseite. „So gut und gerne vier Stunden. Es gibt jedoch verschiedene Wege.“, erklärte er und startete den Motor. Ben rollte mit den Augen. Vier Stunden mit dem Kerl in einem Auto. Das wird die Hölle, dachte er nur und sah sich um. Douglas griff zu Ben rüber und öffnete das Handschubfach. „Mögen sie Rockmusik?“, wollte er wissen und zog die neueste CD von IQ, einer britischen Rockband aus England. Ben zog die Augenbrauen hoch. „Ja, sehr sogar ... ich spiele selbst in einer Band.“ Monro blickte ihn an, lachte und legte die CD ein. Dann wollen wir mal los.“, meinte er und fuhr los. Der Rover brauste über die Straßen und ließ bald die Stadt hinter sich. Aus den Lautsprechern drangen die Töne und das Auto bebte von den Bässen. Ben und Douglas wippten im Takt mit ihrem Kopf und ihre Lippen sprachen den kaum verständlichen Text automatisch mit. Doch noch wussten sie nicht, was sie in Lochlyn erwartete.


    Jonas zerrte Andrea zum Wagen und stieß sie in den Kofferraum hinein. „So, und nun sei schon brav, bis wir an der See sind. Dann fahren wir weit, weit weg. Was hältst du von Afrika?“, lachte er und blickte sie an. Andreas Augen waren starr vor Angst, als sie das Wort „Sea“ hörte. Wollte der Kerl sie einfach ins Meer schmeißen? Denkbar wäre alles. Andrea sah Jonas an und wollte etwas sagen, als schon die Kofferklappe zufiel. Jonas strich zärtlich über das Metall. Eigentlich wollte er sie ja vorne sitzen lassen, aber das Risiko, von einer Polizeistreife entdeckt zu werden, war zu groß. Vielleicht sollte er sie doch vorne haben. Als Geisel oder als Kugelschutz...nein, sie sollte seine zukünftige Frau sein und so wollte er sie nicht benutzen. Der Nebenbuhler war ja zum Glück aus dem Weg geräumt und jetzt konnte Jonas mit ihr glücklich werden. Doch erstmal musste er dieses Land mit ihr verlassen. Und das in einem Stück. Am Besten fuhr er nur Neben- und kleine Seitenstraßen. Zur See waren es gut und gerne noch einige hundert Kilometer. Und wenn er Seitenstraßen fuhr, dann wurde der Weg noch länger. Er musste los. Sonst würde er noch hier sitzen, wenn die Polizei auftauchte. Die sollte aber nicht sein einziges Problem sein.
    Andrea merkte, wie die Fahrt losging, warum nur hatte dieser Mann sie nicht schon längst umgebracht? Es wäre ihm doch so leicht gewesen. Und was hatte er mit Semir gemacht? Was war aus ihrem Mann geworden? Verdammt...sie musste sich wehren. Irgendwie musste sie...halt, war das ein Schraubenzieher? Ja, es war einer...vorsichtig tastete sie mit den Fingern nach der Spitze. Es war ein Schlitzschraubenzieher. Sehr gut...sie setzte ihn an den Seilen an und fing an, die Stricke immer wieder über die Spitze hinweg zu ziehen. Sie musste es schaffen, diesen Wahnsinnigen zu entkommen. Schließlich war der Irre zu allem fähig. Immer wieder nahm sie neuen Anlauf, als der Schraubenzieher abrutschte. Andrea nahm all ihre Kraft zusammen und riss mehrmals an den bearbeiteten Fesseln, doch noch war es nicht so weit. Doch bald...bald war sie frei und dann nichts wie weg von hier.


    Josh sah sich jede einzelne Akte an. Auch Dennis Kopf rauchte, als er sich einen Beleg und eine Rechnung für Getränke nach der anderen anguckte. „Man, das ist vielleicht ein Kram und wir sind immer noch nicht weiter.“, stieß er aus, warf den Ordner auf den Tisch zurück und blickte sich um. „Ich brauche erstmal einen Tee. Möchtest du auch einen?“, wollte er von Josh wissen. Dieser nickte und schon war Dennis in die Kantine verschwunden. Josh warf den Order weg und nahm einen Neuen. Wieder Rechnungen und Belege, stöhnte er innerlich und rollte mit den Augen. Doch dann stutzte er. Sofort nahm er sich den letzten Ordner wieder vor und schaute erneut alle Posten durch. Wieder der gleiche Name. Komisch...sofort kam ihm ein Verdacht und er verglich den Namen mit dem der Firma, wo die toten Arbeiter beschäftigt waren. „Ja...das ist es. Endlich.“, stieß er freudeschreiend aus und sprang in die Lüfte. Beinahe hätte er dabei Dennis die beiden heißen Teebecher über das Jackett gekippt. „Hey...pass doch auf. Was ist denn los?“ „Das hier.“
    „Was ist das? Eine Rechnung...ja und?“, fragte Dennis und stellte den Tee ab. Doch das verdächtig breite Grinsen in Joshs Gesicht machte ihm neugierig. Erst recht, als ihm dieser die Rechnung unter die Nase hielt. „Was soll denn daran besonderes sein?“ „Vergleich sie doch mal mit den anderen Rechnungen. Vor allem dieser Posten hier.“, meinte Josh. Dennis folgte seinem Finger und entdeckte die Übereinstimmungen. „Das ist doch nicht...verdammt, wieso ist mir das nicht aufgefallen? Moment mal, das ist doch das Unternehmen, wo die drei Hafenarbeiter ermordet wurden. Da muss eine Verbindung bestehen.“, stieß Dennis aus. „Das habe ich mir auch gedacht. Hast du die Anschrift zufällig da?“ Dennis nickte nur und zog einen kleinen Zettel vor. „Gut, dann stellen wir dem Vorarbeiter doch mal ein paar Fragen. Seine Unterschrift steht nämlich auf dem Lieferschein. Da frage ich mich doch, warum gerade seine und nicht die des Inhabers oder des Lieferkoordinators?“, stieß Josh im Gehen aus. Dennis nickte und folgte dem jungen Inspector. „Wir haben die Verhältnisse der Firma noch nicht unter die Lupe genommen. Das wäre das nächste gewesen, doch dann kam uns die Entführung der Deutschen dazwischen.“, meinte er. „Dann tun wir das gleich vor Ort.“, erwiderte Josh und stieg in den Wagen. Dennis folgte ihm auf der Fahrerseite und schon ging die Fahrt zu den Docks los.


    ...

  • Ben und Douglas fuhren weiter auf Lochlyn zu und erreichten die Ortschaft dreieinhalb Stunden nach Beginn ihrer Reise. „Da wären wir. Ein nettes kleines Dorf inmitten der Highlands.“, meinte Douglas Monro, schlug die Autotür zu und sah sich um. Ben tat das Gleiche und blickte auf den Gasthof, vor dem sie angehalten hatten. „Sieht ziemlich verschlafen aus, das kleine Nest.“, murrte Ben und sah sich um. Von den hohen Bergen stieg langsam der erste Nebel hinunter, der durch die leichte Briese durch das Tal aufs Dorf zugetrieben wurde. „Gehen wir hinein...ich habe dem Dorfpolizisten schon gesagt, dass wir kommen und er uns hier erwarten soll.“, meinte Monro und blickte seinen deutschen Kollegen an. Ben nickte und blickte noch einmal zur näher kommenden Nebelwand. Eine unheimliche Stimmung und gemischte Gefühle taten sich in dem jungen Hauptkommissar auf. Irgendwas sagte ihm, dass Semir hier ganz in der Nähe war. Das spürte er in jeder Faser seines Körpers. Sein Tattoo juckte immer, wenn dieses Gefühl über ihn kam. „Kommen sie nun?“, hörte er Douglas rufen. Ben drehte sich um und ging in den Gasthof hinein. „Hallo Douglas...bist du auf Urlaub hier?“, rief die Wirtin sofort, als sie den jungen Sergeant sah. „Nein, ich bin dienstlich hier. Wo ist Jerry? Er hat mich heute angerufen.“, meinte Douglas und sah sich um. „Er ist nicht hier gewesen. Versuch es doch mal auf dem Revier.“, erwiderte sie und blickte den Gast an Douglas Seite an. „Möchten sie etwas trinken, mein Bester? Es sieht aus, als ob sie etwas gebrauchen könnten.“ Ben verneinte, zog jedoch ein Foto aus der Tasche. „War dieser Mann hier? Haben sie ihn gesehen?“, fragte er und legte das Foto auf den Tresen. Die Wirtin warf einen Blick darauf und sah Ben an. Hoffnungsvoll wartete dieser auf Antwort und seine Augen gierten nach einer Antwort.
    „Ja, der Knabe war hier.“, meinte die stämmige Frau und blickte von Ben zu Douglas. „Er war vor etwa zwei Stunden hier, hat dort drüben am Tisch gesessen und einen Kaffee in sich hinein geschüttet. Diese Europäer haben einfach keinerlei Manieren.“, kam es verächtlich über ihre Lippen. „Und wo...wo ist er hingegangen?“, fragte Douglas und blickte sich um, als er schwere Schritte hinter sich vernahm. „Ah Jerry...da bist du alter Ganove ja endlich.“, stieß Douglas aus und fiel dem dicklichen Polizisten um die Arme. „Wie geht es dir?“, fragte der Polizist in der dunklen Uniform. „Ganz gut, danke der Nachfrage...also, wo hast du das Auto gesehen? Und wann?“ „Vor gerade einmal zwei Stunden. Ich war auf meinem Rundgang und...“ „Hallo? Können wir das bitte beschleunigen? Semir ist vielleicht in großer Gefahr.“, funkte Ben dazwischen. Douglas und Jerry sahen ihn an. „Ja gut...ähm Jerry, bring uns einfach dort hin, wo du die beiden Wagen gesehen hast.“ „Gerne...sie waren unten, im Tal...bei der alten Sumpfhütte.“, erklärte Jerry und ging los. Die beiden Männer folgten. Ben wurde kribbelig. Diese bekannte britische Ruhe machte ihn wahnsinnig vor Angst um Semir und Andrea. Hoffentlich war das endlich eine heiße Spur.


    Semir saß im Dunkeln, in irgendeinem Raum sonst wo. Seine Hände waren eng an die Stuhllehne gefesselt, die Beine waren an den hinteren Stuhlbeinen angebunden. Die dünnen Seile schnitten sich förmlich durch die Ärmel und Hosenbeine in das Fleisch hinein. Dennoch wollte Semir nicht aufgeben und rüttelte und zerrte an den Schnüren. Es war vollkommen sinnlos. Der Deutschtürke saß fest und dazu noch im Dunkeln. Nach etlichen Stunden des Wartens und des Herumzerrens hielt er inne und lauschte nach draußen. Doch nichts war zu hören. Absolut nichts drang an sein Ohr. Seine Gedanken schweiften zu Andrea. Was hatte dieser Kerl mit ihr gemacht, bevor er kam? Semir wollte es sich nicht vorstellen. Tiefe, düstere Gedankenbilder spielten sich vor seinen Augen ab. Seine Andrea auf dem Bett gefesselt, die Gliedmaßen von sich gestreckt und dieser Typ, der mit einem hämischen Grinsen auf dem Gesicht seiner Frau immer näher und näher kam, sich zu ihr ins Bett legte und sie gewaltsam zum gegenseitigen Geschlechtsverkehr nötigte. „NEIN!“, stieß Semir aus und stieß sich mit aller Kraft vom Boden ab. Der Stuhl kippte nach vorne, verlor das Gleichgewicht und mit aller Wucht rauschte das Möbel samt darauf gefesseltem Kommissar durch die dünne Holztür. Endlich...endlich einen Schritt weiter, dachte er und versuchte, sich wieder aufzurichten, doch es gelang ihm nur, sich auf die Seite zu drehen. Verdammt, ohne Hilfe kam er hier nicht weiter.
    „Das ist das Haus. Aber jetzt steht nur noch ein Wagen dort.“, meinte Jerry Jarvis und deutete auf die Hütte. Mittlerweile war der nahe gelegene Sumpf schon im Nebel verschwunden und der wabbelnde Wasserdampf kam immer dichter auf die Talsohle und das Dorf zu. „Der Nebel wird bald die Straße schwer befahrbar machen. In einer halben Stunde sieht man dann die Hand vor den Augen nicht mehr. Vielleicht sollten wir zurück und Lampen holen.“, meinte der Dorfpolizist. „Nein...wir gehen jetzt da hinein und durchsuchen das Haus vom Keller bis zum Boden.“, stieß Ben aus und wollte auf die Tür zustürmen, als ihn Douglas Monro festhielt. „Warten sie...sie wissen doch gar nicht, ob sie noch in der Hütte sind.“, meinte der Sergeant. Doch Ben riss sich los, deutete nur auf das Auto und sah den Mann mit einem wütenden Blick an. „Den Wagen hat Semir gefahren. Und dass er hier steht, reicht mir als Grund, jetzt da hinein zu gehen.“, zischte Ben und machte sich bereit, die Tür einzutreten. „Halt...vielleicht liegt der Schlüssel hier unter der Matte.“ Douglas zog Ben wieder zurück, hob die Matte an und sah nach. Tatsächlich befand sich der Schlüssel unter der Schuhabstreifvorlage. Er nahm den Schlüssel hervor und steckte ihn in das Schloss. Ben ging das alles viel zu langsam. Seine Ungeduld obsiegte und ehe die Tür auch nur einen Spalt weit auf war, stürmte er wagemutig hindurch und fing an, jedes Zimmer zu durchsuchen.


    ...

  • Josh und Dennis standen vor dem großen Gebäude am Edinburgher Hafen und blickten sich um. „Wie wollen wir vorgehen?“, fragte der junge Inspektor. „Da du die Idee hattest, überlasse ich dir die Ausführung.“, meinte Dennis nur und legte seine Hand aufmunternd auf die Schulter des jungen Mannes. Josh nickte und sah zu dem Gelände hinüber. „Wir sollten diesen Vorarbeiter finden. Mit ihm haben wir dann immerhin schon Antworten.“, meinte Josh und ging auf das Gelände zu. Doch von vorne kamen sie nicht auf das Werkgelände. Sie mussten durch das Gebäude durch. So gingen sie erst einmal in die Geschäftsräume und ließen sich die Transportpapiere zeigen. Die Sekretärin und auch der Geschäftsleiter waren mehr als verwundert über den plötzlichen Polizeibesuch in ihrer Firma. „Ist das hier ihre Unterschrift?“, fragte Dennis und hielt dem Mann eine der Lieferscheine hin. „Nein...auch nicht die meiner Sekretärin.“, erwiderte der Mann. Die Frau sah auf den Schein. „Das ist die Unterschrift von Mike Fletcher, unserem Vorarbeiter und Koordinator aller Lieferungen.“, erklärte sie. Josh sah Dennis nur an und dieser nickte. „Hier sieh mal...die meisten Fische wurden vor der norwegischen Küste gefangen. Glaubst du, dass von dort die Drogen in die Fische kamen?“, fragte Dennis. Josh sah ihn an. „Möglich...wir müssen den Vorarbeiter finden.“, meinte Josh und legte die Ordner weg. „Komm...suchen wir ihn und finden heraus, wie das weiße Zeug in die Fische kam.“, forderte Josh und ging mit seinem Kollegen nach unten.
    Mike Fletcher stand inmitten seiner Arbeiter und überwachte das Ausladen der Fische mit misstrauischem Auge. „Macht schon. Der Fisch muss gleich ins Kühlhaus und auf die Lastwagen verteilt werden.“, forderte er und blickte auf sein Handy. Dass Jonas noch nicht angerufen hatte, machte ihn stutzig. Sonst war er doch mit dem Verkauf des „Fisches“ ganz schnell und brachte wenige Tage später Fletchers Anteil. Doch jetzt...jetzt waren schon drei Tage vergangen. Ein Gabelstapler fuhr viel zu schnell über den Hof, bekam die Kurve nicht und knallte gegen mehrere hochgestellte Kisten. „Passt doch auf, ihr ungebildeten Idioten.“, fauchte er, sprang auf das Fahrzeug und zog den Fahrer brutal nach draußen. „Du afrikanische Wildsau...kannst du nicht aufpassen, du Buschmann...“, fluchte er und wollte zuschlagen. „Mike Fletcher?“, rief Josh dem Mann zu. Dieser ließ von dem schwarzen Arbeiter ab und drehte sich um, als er die beiden Männer auf den Hof kommen sah. „Was wollen sie von mir?“, fragte er und stemmte seine Arme in die Hüften. „Polizei...wir haben einige Fragen an sie. Es geht um ein weißes Pulver in einigen Fischen.“, erklärte Dennis Jenkins. Mike Fletcher sah die Beiden an. Er wusste, er war enttarnt. Doch die Bullen konnten das nie wissen. „Was...was für Fische?“, fragte er und sah sich schon nach einem Fluchtweg um. „Die Fische, die sie an einen gewissen Jonas Davies verkauft haben...ohne Zustimmung ihres Chefs.“, meinte Josh und machte einen Schritt auf den Mann zu. Doch dieser sah sich nun vollends in die Ecke gedrängt. Mit einem kräftigen Satz zur Seite stieß er sich ab und rannte los. „Warum müssen die nur immer laufen wollen?“, stieß Dennis aus und hechtete hinter den Mann und seinem schon gestarteten Kollegen her.


    Semir hörte Stimmen immer dichter an sein Ohr dringen. Er lauschte genau hin und blickte sich zur Treppe um. Nur einige Zentimeter weiter und er wäre in einen sicheren Tod gestürzt. Sicherlich würde er jetzt da unten mit gebrochenem Genick liegen, hätte er nur etwas mehr Schwung gehabt. „Hallo...hier...hier bin ich. Helft mir.“, stieß Semir aus voller Kehle aus und hob den Kopf, um zu sehen, ob jemand kam und auf sein Rufen reagierte. Tatsächlich schienen die Schritte in seine Richtung zu kommen und plötzlich dachte er den Haarschopf von Ben am Treppenansatz zu erkennen. „Semir...geht es dir gut?“, hörte er dann auch seine Stimme. „Soweit schon...nur etwas Kopfschmerzen und meine Gelenke spür ich kaum. Binde mich schnell los, bitte.“, flehte Semir und bewegte seine Handgelenke nur mit Vorsicht, da die Blutzufuhr zu seinen Händen doch schon leicht unterversorgt war. „Warte, ich komme hoch. Bleib ganz ruhig liegen. Douglas, ich brauche ein Messer.“, forderte Ben und streckte seine Hand in dessen Richtung aus. Dieser sah sich um, rannte in die Küche und brachte Ben das Messer, dass er haben wollte. Sofort stieg der junge Hauptkommissar die Treppe hinauf und schnitt Semir vom Stuhl los, auf dem dieser mit dünner, einschneidender Paketschnur festgebunden war. Als die letzte Schnur von seinen Händen fiel, richtete sich der Deutschtürke langsam und vorsichtig auf. „Danke. Verdammt, meine Hände.“, stieß Semir aus und rieb sich die durchgescheuerten Stellen. Dann sah er Ben an und fiel ihm in die Arme. Ben klopfte seinem Partner auf die Schulter. Er wusste, was sein Freund und Kollege für Ängste im Moment durchstand. Er selbst war vor einigen Monaten in der gleichen Situation. „Komm Semir, wir finden sie schon. Douglas Monro wird uns helfen. Vielleicht wäre es besser, wenn du...“ Semir wusste, was sein Partner sagen wollte. Seine Augen blitzten energisch auf. „Nein, ich werde nicht ins Hotel zurückfahren. Ich will meine Frau wiederfinden. Und dazu ist mir jedes Mittel recht.“, zischte er. Douglas machte einen Schritt nach vorne. „Ich kenne hier in der Nähe einen alten Bekannten meiner Mutter. Er hat einen Flugplatz und einige Maschinen. Ich weiß, dass eine davon mit einer Wärmebild- und Infrarotkamera ausgestattet ist. Damit sollten wir sie schnell finden.“ „Dann nichts wie los.“, forderte Semir und wankte noch etwas kraftlos die Treppe hinunter. Die anderen folgten ihm.


    ...

  • Mike Fletcher rannte durch die engen Hinterhofgassen des Hafenviertels und sah sich immer wieder gehetzt um. Die Männer waren dicht hinter ihm und holten immer mehr auf. Fletcher versuchte, ihnen alles in die Füße zu werfen, was er greifen konnte. Kisten mit altem Salat flogen nach hinten und versperrten den Weg. Doch nicht für allzu lange. Schon waren wieder die Schritte da und verfolgten Fletcher unerbittlich. Und dem Kerl ging bald die Luft aus. Er war Hafenvorarbeiter und kein Sportsprinter. Die Lungen brannten und bald wollten die Beine nicht mehr mitmachen. „Bleib stehen...ich krieg dich sowieso schon.“, fauchte es hinter ihm. „Niemals Bulle...das wollen wir doch mal sehen.“, erwiderte Fletcher außer Atem und drehte sich wieder um, doch dann sah er schwarz und lag längs auf dem Boden. Dennis rieb sich seinen schmerzenden Ellenbogen und sah Josh an, der keuchend um die Ecke kam. „Man, wieso müssen diese Kerle immer so einen dicken Schädel haben?“, meinte er mit schmerzverzerrtem Gesicht. Josh grinste und hob Fletcher hoch. „Das dürfte es dann gewesen sein. Jetzt kommt das Schwierigste...wir müssen ihm noch ein Geständnis entlocken.“ Doch Dennis grinste nur. „Das schaffen wir schon. Ist ja immerhin nicht der Erste, bei dem wir es probieren.“, lachte er und zog seine Handschellen aus dem Jackett und legte sie Fletcher an. Ehe dieser wieder richtig zu sich kommen konnte, saßen schon die stählernen Manschetten fest an seinen Gelenken. Danach ging es für ihn zurück zur Fabrik, wo die Kommissare jede Menge weißes Pulver in einer Doppelwand seines Arbeitsschrankes fanden. „Das wird einige Jahre einbringen.“, meinte Josh und führte Fletcher ab.


    Jonas fuhr weiter und weiter durch die Highlands. Mittlerweile ging es auf Mitternacht zu und die Highlands hüllten sich in tiefe schwarze Nacht. Es wurde immer schwieriger, sein Fahrzeug durch die engen und schmalen Kurven zu steuern. Immer wieder blickte er durch den Rückspiegel und warf einen Blick auf seine Geisel. Andrea lag auf der Rückbank, immer noch gefesselt und sah ihren Peiniger an. Sie wusste nicht, wohin die Reise ging. Sie wusste nur eins...am Ende würde sie mit großer Sicherheit in einem tiefen, dunklen Loch in den Highlands verschwinden. „Na meine Süße...keine Sorge. Bald ist es geschafft und dann setzen wir nach Irland über...und von dort in die Neue Welt...nach Amerika.“, lachte er und ließ etwas das Fenster runter, um ein wenig Frischluft in den Wagen zu lassen. Die kühle Luft wehte ihm um die Nase. Doch auch ein Geräusch, das ihm mehr und mehr Kopfzerbrechen bereitete, als dieses Geräusch nicht verschwand. Er hielt an und sah nach oben. Ein Hubschrauber schwebte dicht über ihn und flog mehrere Kreise über das Auto. „Verdammt, die scheinen mich zu meinen.“, stieß Jonas Davies aus und sprang wieder ins Auto. Das konnte er nicht zulassen. In Windeseile startete er wieder den Motor und brauste davon. Er musste hier weg. Die Küstenstraße...die Steilküste. Da würden sie ihn niemals erwischen können. Die Landschaft dort war viel zu zerklüftet, als das dort ein Hubschrauber landen konnte. Andrea blickte aus dem Fenster und sah ebenfalls den Hubschrauber über sich schweben. Endlich...endlich war ihre Rettung da. Das konnte nur ihr Mann sein, der dort oben auf dem fliegenden Ding saß.


    „Da unten sind sie. Das müssen sie einfach sein.“, stieß Semir aus und wollte am Liebsten aus dem Hubschrauber springen, doch Ben hielt ihn fest und zerrte ihn zurück ins Innere. „Willst du gleich nach unten fallen, oder was?“, stieß er laut aus, um den Rotorenlärm zu übertönen. „Ich will meine Frau retten. Und das am Besten sofort...“, fauchte er und ging weiter nach vorne, doch Ben zog ihn wieder zurück. „Hey, wir werden sie schon befreien. Doch erstmal müssen wir sie dahin treiben, wo es auch sicher für einen Zugriff ist.“, stieß Ben aus. Douglas sah nach hinten und bemerkte die finsteren Blicke in Semirs Gesicht. „Nur keine Sorge...wir haben so schon öfter einen Verbrecher bekommen. Das ist für den Mann hier längst Routine.“, erklärte er und nickte dem Piloten zu. Dieser verstand den Wink sofort und flog dicht über das Dach des Landrovers hinweg, konnte ihn tatsächlich auf den Klippenweg drängen. „Bald haben wir ihn. Das ist eine Sackgasse.“, stieß der Pilot aus. Douglas nickte und sah nach hinten. „Wir haben ihn bald.“, stieß er aus. Semir konnte es kaum erwarten. Endlich würde er wieder seine Frau in den Arm nehmen können. Doch zuerst musste er diesen Kerl fertig machen. Ein für alle Mal.


    ...

  • Jonas fuhr immer weiter auf der Straße entlang. Neben ihm die steil abschüssigen Klippen der Halbinsel und auf der anderen Seite weit überflutetes Heideland. Verdammt, bald haben die mich, dachte er nur. Irgendwann war dieser Küstenpfad zu ende und dann war es aus. So leicht wollte er aber nicht aufgeben. Noch hatte er die Pistole und seine Geisel. Das würde ihn schon irgendwie helfen. Ja, das war gut, dachte er und erschrak. Mit brachialer Gewalt riss er das Lenkrad rum und trat mit voller Wucht auf die Bremse. Andrea flog durch die Wucht der harten Bremsung gegen die Rückenlehne des Beifahrersitzes und blieb einige Zeit benommen liegen. Jonas atmete heftig, als er neben sich nichts mehr sah außer offenes, weites Meer. Der Wagen hatte einige Zentimeter vor dem Klippenrand gehalten. Sein Herz schlug heftig gegen die Brust, als er langsam zur anderen Seite kletterte, die Waffe nahm und seine Geisel holte. „Los, komm hier.“, stieß er aus und zerrte die benommene Andrea aus dem Auto. „Nein, lassen sie mich...Lassen sie mich in Ruhe...“, stieß sie voller Angst aus und wehrte sich heftig, trat um sich und versuchte alles, um ihren Peiniger zu entkommen. Doch Jonas hielt sie fest im Griff und drückte sie dicht an sich heran, als er den Hubschrauber hörte. Dicht schwebte er über ihren Köpfen hinweg und deutlich konnte er den Ehemann sehen, der etwas zu rufen schien. Seine Worte gingen aber im Lärm der an die Klippen schlagenden Wellen und im Rattern der Rotoren vollkommen unter. „Semir...Semir, ich bin hier unten.“, rief Andrea ihm entgegen und wollte sich losreißen, doch Jonas klammerte immer noch und zerrte sie weiter mit zum Klippenrand. Er war zu allem bereit.


    Semir sah nach unten und wartete darauf, dass sich die Höhe immer weiter verringerte. Doch, was war mit einer Waffe? „Ben, ich brauche eine Waffe...“, stieß er aus und sah sich nach etwas brauchbarem um. „Ich hab auch keine bei mir. Douglas...haben sie Waffen bei sich?“, rief Ben nach vorne. Der Sergeant sah sich um und nickte. Aus einem Rucksack zog er zwei kleinkalibrige Pistolen und reichte sie nach hinten weiter. Er selbst nahm sich die Dritte und wies den Piloten an, den Hubschrauber zwei Meter über den Boden zu halten, damit sie sicher aussteigen konnten. Doch Semir wollte nicht warten....er sprang gleich bei sechs Metern aus dem Hubschrauber und landete im überfluteten Heidegebiet. Bis zu den Hüften stand er im Wasser, doch so schnell wie möglich watete er nach draußen und stellte sich dem Entführer gegenüber. Die Waffe dabei fest im Anschlag. „Lassen sie sofort meine Frau los...oder ich erschieße sie.“, fauchte Semir und hielt den Griff der Pistole sicher umklammert. Doch Jonas machte keinerlei Anstalten, Andrea loszulassen. Im Gegenteil, er ging mit ihr immer weiter auf den tosenden Abgrund zu, presste ihr die Waffe fest an die Halsschlagader. Jetzt kamen auch Ben und Douglas aus dem Helikopter und stellten sich links und rechts von Semir auf. „Davies...lassen sie die Frau los.“, forderte Douglas Monro und zielte auf das Bein des Mannes. „Vergessen sie es...ich werde nicht ins Gefängnis gehen und dort versauern.“, stieß Jonas aus und stand nun am Rand der Klippen. Ein Schritt nach hinten und das Ende kam in 34 Meter.


    Josh und Dennis saßen im Edinburgher Polizeitower und blickten Mike Fletcher abwartend an. Dieser knetete seine Hände und blickte sich nervös im Raum um. Die Augen wanderten von einer Seite des Tisches zur anderen, streiften immer wieder die Blicke der Inspektoren. „Ich...ich weiß nicht, was sie von mir wollen.“, meinte er mit nervösen Zügen. Josh blickte seinen alten Mentor an. „Was meinst du? Sollen wir ihm sagen, wie es um ihn steht?“ Dennis zuckte kurz mit der Lippe und blickte den Mann dann mit schmalen Augen an. „Ich denke...das sollten wir schon.“ Mit einem Ruck holte er die Sachen vom Boden hoch und legte die weißen Tüten nacheinander auf den Tisch. Fletcher schluckte, als er die Sachen sah. „Was...was ist das?“, wollte er wissen. „Das? Reines Heroin...das hat ein Marktwert von, sagen wir mal, 4 Millionen Euro...vorsichtig geschätzt.“, erklärte Dennis Jenkins und blieb ruhig auf seiner Seite sitzen. Josh nickte und nahm einen Zettel hervor. „Das ist der Bestellschein von Jonas Davies.... vierzig Kilo Nordseeschollen für sein Fischspezialitätenrestaurant.“ Er legte Fletcher den Zettel hin. „Und dies ist der Lieferschein...unterschrieben von ihnen. Nicht etwa vom Firmenchef, wie es eigentlich üblich ist. Was sagen sie dazu?“, wollte Dennis wissen und blickte den Mann an. Er konnte ihm regelrecht ansehen, wie seine innere Fassade mehr und mehr wie eine Dominokette nach und nach umkippte und in sich zusammenbrach. Josh wusste, dass dieser Charakter nicht mehr allzu lange durchhalten würde. „Was war mit Lucky Jim? Ist er hinter ihren Handel gekommen? So ganz hinter seinem Rücken? Sicher hat er einen Anteil verlangt oder?“, fragte Josh. Fletcher schien vollends die Kontrolle über sich zu verlieren. „Das...das war alles Joshs Idee. Er wollte Geld für sein Restaurant dazu verdienen.“, erklärte Mike Fletcher und blickte beide an. „So so...und sie haben ihm die Drogen einfach so in die Fische gesteckt ohne darüber nachzudenken? Die haben die Fische wahrscheinlich aus Aufbaumittel bekommen, damit das Fleisch fester und saftiger ist, was?“, stieß Josh aus und stand wütend vom Tisch auf. „Nein...nein...so war das nicht...so nicht...“, kam es von Fletcher. „Ich denke, wir haben genug gehört. Meine Leute sind hinter Davies her. Sobald sie ihn haben, wird es für sie ziemlich eng werden.


    Jonas sah sich immer wieder um. Die drei Männer standen in wenigen Metern Entfernung und richteten die Waffen auf ihn und seine Geisel. „Geben sie auf...sie haben keinerlei Chance, hier weg zu kommen.“, stieß Douglas Monro aus und kam einen Schritt weiter näher. „Bleiben sie stehen...oder ich mache Schluss.“, fauchte Jonas und presste die Pistole weiter in den Hals hinein. Andrea schrie auf. „Bitte... Semir, bitte hilf mir.“, flehte sie inniglich und wollte sich losreißen, doch Jonas zerrte sie mit einem Ruck zurück. Sie stieß gegen heftig gegen ihn. Der Boden unter den Beiden bröckelte und brach so schnell weg, dass sich weder Jonas noch Andrea retten konnten. Scheppernd brach die Klippe weg und beide stürzten in die Tiefe. „ANDREA!“, schrie Semir, ließ seine Waffe fallen und rannte zur Klippe. In Gedanken erschienen ihn die schlimmsten Bilder vor Augen. Seine Frau...seine über alles geliebte Frau war gerade in einen tiefen Abgrund gestürzt und wahrscheinlich auf den speerspitzen Steinklippen zerschellt. Nein...nein, das durfte um nichts in der Welt sein. Semir würde sich gleich hinterher stürzen, wenn es so war. Es schien Stunden zu dauern, bis er zur Klippe kam und über den Rand schaute. Unten lag Jonas Davies, sein Körper vollkommen deformiert. Der Schock über das Bild saß tief, aber währte nur kurz, als der seine Andrea an einem Vorsprung klammern sah.
    „Semir, bitte...bitte hilf mir...“, stieß sie aus und klammerte sich mit ihrer Hand an den bröckeligen Vorsprung. Sofort warf sich der Deutschtürke hin und streckte seinen Arm aus. „Gib...gib mir deine Hand...bitte.“, forderte er und machte sich so lang er nur konnte. Doch nur die Fingerspitzen konnte er berühren. „Ich...ich komme nicht ran.“, stieß Semir aus und versuchte sich immer mehr zu strecken. Doch es nutzte nichts. Er kam nicht an sie ran. „Semir...bitte, zieh mich hoch.“, forderte sie und streckte ihre andere Hand nach Semir aus. Er packte sie und versuchte, sich und seine Frau wieder nach oben zu ziehen, doch er war über den Punkt hinaus, wo er sich hätte alleine hochziehen können. Dann aber spürte er wie seine Beine gepackt und an ihm kräftig gezogen wurde. Sekunden später hatten er und seine Frau wieder sicheren Boden unter den Füßen. Semir keuchte und kroch schnell zu seiner Andrea, nahm sie bitter weinend in den Arm und drückte sie fest an sich. „Semir...es...es war schrecklich.“ „Jetzt ist ja alles vorbei...alles wird gut. Bitte entschuldige, dass ich so eifersüchtig war.“, erwiderte Semir leise und wiegte sich mit seiner Frau im Wind. Ben atmete erleichtert auf. Auch dieses Abenteuer war damit überstanden und so schnell würde sie Schottland so schnell nicht wiedersehen. Aber mit großer Sicherheit würden sie noch lange darüber sprechen.



    Ende.


    So liebe Leser,
    das war meine 25. Story. Seit nunmehr 3einhalb Jahren habe ich für Cobra11, das Forum und natürlich für euch Storys ausgedacht und geschrieben. Manchmal allein und manchmal zu zweit. In all der Zeit habe ich 25 Einzelstorys, 12 Storys mit Jenny und 35 Storys mit Elli geschrieben, an zwei Forumsstorys war ich beteiligt. Zählt man das alles zusammen, komme ich auf gut 70 Storys. Das ist schon eine beachtliche Leistung...und wie heißt es doch so treffend...man soll aufhören, wenn es am schönsten ist.
    Und in diesem Sinne war es das für mich. Das war meine 25. und letzte Story. Es hat Spaß gemacht, für euch zu schreiben, doch jetzt möchte ich mich anderen Dingen widmen. Allen voran mein Studium. Habt eine schöne Zeit und macht’s gut.


    LG Christopher007

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