Botschaft aus dem Jenseits



  • „Ich kriege dich. Warte nur...ich kriege dich.“, hörte sie immer wieder. Sie sah sich gehetzt um und rannte. Immer weiter und weiter, um Ecken und über Parkbänke. Das war der Stadtgarten von Köln, unweit ihrer Wohnung. Immer wieder warf sie ihren Kopf zur Seite, suchte nach ihrem Verfolger. „Such mich nicht. Du findest mich nicht.“, hörte sie wieder die Stimme. Sie musste weiter. Nur nicht stehen bleiben. Nebel lag über dem Park und wallte über die Wege und die Wiesen. Eine kurze Pause wollte sie ihrem ausgepowerten Körper gönnen. Doch dann hörte sie Hundegebell. Das galt ihr. Sie wusste es. Keine Müdigkeit durfte sie sich gönnen. Sie musste weiter, sie rannte weiter. Ihre Füße waren schwer wie Blei und ihre Lungen brannten, doch hier ging es um ihr Leben. Sie rannte weiter. Da...da war der Spielplatz von damals. Dahinter war das rettende Parktor. Nur noch wenige Meter trennten sie von der sicheren Rettung. Doch plötzlich packte sie etwas am Bein. Der Länge nach schlug sie hin. „Nein...nein, ich bin nicht schuld. Ich war es nicht.“, wimmerte sie und drehte sich um, doch sie sah nur ein großes, schwarzes Maul, dass sie einfach verschlang.
    Sie schreckte auf, war schweißnass und sah sich irritiert um. Ja, das...das waren ihre eigenen vier Wände. Das war ihr sicheres Schlafzimmer. Ihre Decke und ihr Kissen. Erleichtert schloss sie die Augen und atmete ein und wieder aus. Langsam beruhigte sich der Puls und auch der hastige Atem gingen zurück. Ihre Augen suchten das Zimmer ab. Am Fenster stand ein Schatten. Erschrocken riss sie die Augen auf. Ein Donnern und ein erhellender Blitz krachte in der Gegend. Als das gleißende Licht erloschen war, war auch der Schatten weg. Was war das? Sie schlug die Decke zurück, rannte zum Fenster und sah mit suchenden Augen hindurch. Da war nichts als die Blumen auf ihrer kleinen Dachterrasse. Es tobte ein Gewitter, aber da war niemand. Gott sei Dank, dachte sie und suchte im Dunkeln den Weg ins Bad. Sie knipste das Licht an, drehte den Wasserhahn auf und schmiss sich eine Ladung kaltes Wasser ins Gesicht. Als sie sich wieder erhob und nach dem Handtuch griff, fiel ihr Blick auf den Spiegel. Ein spitzer Schrei durchdrang die Wohnung und das Badezimmer. „Ich kriege dich...warte nur ab“ stand am Spiegel mit blutroter Farbe geschmiert. Weinend und vollkommen fertig ließ sie sich an der Wand auf die Fliesen gleiten und weinte bitterlich, bis in den Morgen hinein.


    „Nein Layla...warum kannst du denn nicht still halten?“, fragte Ben gequält. Das kleine Mädchen gluckste belustigt und zappelte weiter mit ihren kleinen Beinchen herum. Der junge Hauptkommissar hielt die Beine hoch und säuberte das kleine Wesen vorsichtig mit einem Lappen. Dann legte er eine frische Windel unter, puderte den Po und wickelte das Kind dann. Noch den Strampler an und alles war perfekt. Sichtlich geschafft und vollkommen fertig hob Ben seine kleine Patentochter hoch und lächelte. „So, jetzt bist du sauber und ich bin fertig. Jetzt geht es für uns beide ab ins Bett.“, grinste Ben und ging mit ihr aus dem Badezimmer. Ayda war schon im Bett und jetzt konnte Ben endlich seine freie Zeit genießen.
    „Schön war es im Kino und danke für die riesige Tüte Popcorn.“, grinste Andrea, als sie den Schlüssel aus der Tür zog und diese leise schloss. „Ich habe zu danken.“, grinste Semir nur und zog seine Frau dicht an sich. „Semir, lass uns ins Schlafzimmer gehen. Da haben wir es gemütlicher...“, grinste Andrea und küsste ihren Mann leidenschaftlich auf die Lippen. „Oh...na dann aber los.“, freute er sich, horchte dann aber auf. „Hörst du das auch?“, fragte er und für einen Moment erlosch die Leidenschaft in ihm und das Gerechtigkeitssyndrom kam vollkommen zum Tragen. Andrea drehte sich um und sah Richtung Wohnzimmer. „Jetzt höre ich es auch.“, meinte sie. Sanft nahm Semir die Hand seiner Frau und ging mit ihr zum Wohnzimmer. Sie waren kaum um die Ecke gebogen, da waren sie einem Lachkrampf ziemlich nahe. Layla lag in ihrem kleinen Wippbettchen und sah mit wachen Augen auf den vor ihr auf der Couch liegenden und schlafenden Ben. „Oh man ... ist das süß.“, grinste Andrea, machte schnell ein Foto mit der Digitalkamera und nahm dann die Wippe und brachte Layla ins Bett. „Ich wecke mal den schlafenden Prinzen, oder?“ „Nein, lass ihn hier schlafen. Ihr müsst doch morgen sowieso zur gleichen Zeit zum Dienst. Nimm die Decke und zieh ihm wenigstens die Schuhe aus.“, erwiderte Andrea und verließ das Zimmer. „Na dann...ich hoffe, Dornröschen hat keine Stinkfüße.“, murmelte Semir und nahm Bens Beine, legte sie auf das Ende der Couch und zog ihm wirklich die Schuhe aus. Ein unangenehmer Geruch stieg ihm dennoch in die Nase. „Oh man Ben, diese Socken sind lebensgefährlich und umweltverpestend.“, grummelte Semir und legte ihm die Decke über die Füße. Ein kurzes Knurren kam von Ben. „Auch noch meckern.“ Semir besah sich das Bild, nahm die Kamera und schoss noch ein Foto, ehe er dann hoch zu Andrea ging. „So Layla schläft tief und fest. Was macht die schlafende Schönheit?“ „Schnarcht und schläft. Können wir jetzt türkisch kuscheln?“, wollte Semir wissen. „Ja können wir. Aber leise...“, grinste Andrea und zog ihren Mann ins Schlafzimmer.


    ...

  • Jochen Wehner saß in seiner abgedunkelten Wohnung und sah sich alte Fotos an. Melanie, sein kleines Mädchen. Wie alt war sie damals? Acht...neun Jahre? Neun Jahre...ja, das war sie. Neun Jahre...ein viel zu kurzes Leben. Und alles nur wegen dieser Polizistin. Dieser Frau, die einfach seine Tochter übersehen hat, als sie den Bankräuber stellen wollte. Warum musste er genau auf den Spielplatz rennen? Und warum musste sie schießen? Die Richter der Untersuchungskommission sagten damals, dass alles eine Verkettung unglücklicher Umstände war. Doch für ihn, für Jochen als Vater, war es klar. Es war Mord, kein Zweifel. Doch, die Polizistin kam frei und durfte einfach so wieder Dienst tun. Jochen sah auf die vielen Fotos und Zeitungsausschnitte. All das war Gift. Gift für ihn und für seine Ehe. Seine Frau ging drei Monate nach Melanies Tod weg nach Berlin, wollte nie wieder etwas mit ihm zu tun haben, weil er sich so an Melanie und diese Polizistin klammerte. Doch auch Jochen verließ Köln und wanderte durch Europa, versuchte mit harter, handwerklicher Arbeit alles hinter sich zu lassen. Doch, auch, als er ein stattliches Guthaben zusammengetragen hatte, konnte er das Gesehene nicht vergessen. Nach fünf Jahren kam er zurück nach Köln und machte den Bankräuber von damals ausfindig. Durch einen alten Freund wusste er, wo er wohnte. Eines Abends ging er ihm nach und dann standen sie auf der Deutzer Brücke von Angesicht zu Angesicht. Jochen würde dieses Gesicht nie vergessen.
    „Hey...“ Erschrocken drehte sich Manfred Beck um und riss seine Augen schockiert auf, als der Schatten in den Schein der Laterne trat. „Nein...nein, das ist unmöglich.“, stieß dieser aus. „Du...du hast meine Tochter auf dem Gewissen. Und jetzt, jetzt wirst du büßen.“, knurrte Jochen und ging immer weiter auf den Mann zu. Beck wich zurück, gegen das Geländer und dann stieg er einfach drüber, wie von einer unsichtbaren Hand geführt. „Blei...bleiben sie stehen oder ich springe.“, versuchte Beck seinen Gegenüber zum Stehen zu bringen. Jochen Wehner sagte nichts, schritt immer weiter auf den Mann zu. Manfred Beck wurde es unheimlich. Was sollte er tun? Vor ihm, der wütende Vater der kleinen Melanie und unter ihm der tosende, Hochwasser führende Rhein. Beck sprang und wurde von den Fluten des Rheins einfach verschlungen. Jochen sah über die Brüstung, doch nirgends war eine Spur des Mannes zu finden. Auch in den nächsten Tagen und Wochen tauchte keine Leiche auf. Das war Schicksal. Nun wollte Jochen nur noch die Polizistin von damals zur Verantwortung ziehen. Einen Punkt wusste er. Sie war noch immer bei der Polizei, doch inzwischen leitende Kommissarin eines gesamten Reviers.


    Der Morgen brach an und Ben rutschte mit Gesicht und Körper immer weiter vom Sofa, bis er mit einem dumpfen Knall auf dem Teppich landete. Erschrocken sah er sich um. „Guten Morgen Dornröschen...“, drang als nächstes Semirs grelle Stimme in seine verschlafenen Ohren. „Maaaan...kannst du nicht charmanter sein?“, knurrte Ben und rieb sich durch seine Haare. „Kann ich...wenn du längere Beine, brünett und keinen Bart haben würdest.“, grinste Semir nur und stellte seinem Partner eine Tasse Kaffee hin. „Darauf kannst du lange warten. Diese Frau hast du doch schon längst. Wie spät ist es eigentlich?“ „Gleich sieben Uhr. Wenn du dich beeilst, kannst du hier noch duschen gehen. Frische Unterwäsche kann ich dir geben.“, bot Semir an. „Danke, aber ich habe vorsorglich Wechselwäsche eingepackt. Man weiß ja nie, was so alles mit einem Kleinkind passieren kann.“, lächelte Ben müde, erhob sich und trank einen Schluck Kaffee. „Der ist gut...so, dann will ich mal duschen und dann gibt es sicherlich gleich Frühstück oder?“ „Sicher, aber beeil dich ein bisschen.“, meinte Semir und ging wieder in die Küche.
    Nach fünfzehn Minuten kam Ben erfrischt und in neuer Kleidung aus dem Bad, setzte sich zu Familie Gerkhan an den Frühstückstisch und teilte sich mit ihnen Speis und Trank. Kurze Zeit später saßen er und Semir im Wagen auf der Autobahn und fuhren Richtung PASt. „War wohl gestern etwas anstrengend mit den beiden Kindern, oder?“ „Ich sag dir, deine Knilche sind schon eine Brut. Während ich Ayda Huckepack hatte, meinte Layla, dass es eine gute Idee wäre, den Kaffee aus der Büchse auf den Küchenboden zu verteilen. Als ich das endlich wieder aufgesammelt hab, ging es im Wohnzimmer weiter. Layla ist ziemlich neugierig und scheinbar macht ihr das Spielen mit braunem oder schwarzem, sandigen Material sehr viel Spaß. Jedenfalls begann sie damit, die Erde aus den Blumentöpfen auf den Fliesen zu verteilen und teilweise zu essen. Ich sag dir, so geschafft wie gestern war ich nicht mal nach unserem härtesten Einsatz.“ Semir konnte nicht mehr an sich halten. Lauthals lachte er los, dass der BMW fast einen Satz in die Luft machte. „Ja, lach du nur...hey, was macht der denn da vorne?“, stieß Ben aus und sah auf einen roten Opel vor sich, der dicht auf einen silbernen, kleinen Mercedes auffuhr, ihn bedrängte und immer wieder die Lichthupe betätigte. Semirs Lachen erstarb. „Na, dem werden wir jetzt mal ein Ende setzen. Die Kelle liegt gleich neben dir.“ „Keine Sorge, dem werde ich die rote Karte zeigen.“, erklärte Ben. „Nein die Kelle...die Karte brauchst du erst, wenn du dich mal wieder verfahren hast.“ „Das war nur einmal und auch nur, weil irgendein türkischer Kollege, ich nenne keine Namen, den Wegweiser vorher umfahren musste.“ „Ja, ja...konzentriere dich auf den Kerl da vorne.“, winkte Semir ab und holte auf.


    ...

  • Jochen Wehner sah wie vom Wahn besessen auf das Fahrzeug vor ihm. „Jetzt habe ich dich, Kleines. Du wirst büßen. Aber keine Sorge, das hier wird nur das Vorspiel sein.“, murmelte er und blickte dann erst in den Rückspiegel. „Mist, die kommen viel zu früh. Na dann...glaub mir, wir sehen uns wieder. Dieses Spiel hat für dich erst angefangen.“, lachte Jochen und zog seinen Opel auf die linke Spur, fuhr mit dem kleinen Mercedes auf gleicher Höhe und warf einen tödlichen, alles vernichtenden Blick zu dem Fahrer hinüber. „Ich kriege dich und dann wirst du für das, was du meiner Tochter angetan hast, büßen.“, fauchte er und schnellte vorbei, schnitt den Mercedes, sodass dessen Fahrer die Kontrolle verlor und über die halbe Autobahn schnellte, die mittlere Leitplanke durchbrach und in den Gegenverkehr geriet. Die Wagen hupten und wichen aus. Es war ein Wunder, dass der kleine Mercedes nicht getroffen wurde.
    „Oh verdammt...“, stieß Semir aus. „Cobra 11 an Zentrale...brauche dringend Feuerwehr und RTW zum Kilometer 38. Schwerer Unfall mit mehreren Beteiligten. Folgendes Kennzeichen zur Fahndung raus... K-LO 419...“, gab Ben per Funk durch. Semir parkte den Wagen und sofort sprang Ben raus, rannte durch die Öffnung in der Leitplanke und schnelle auf den im tiefer gelegenen Grünstreifen liegenden Mercedes zu. Semir sah nach den anderen Unfallbeteiligten, fragte, ob es ihnen gut ginge oder ob sie medizinische Hilfe brauchten. „Semir...Semir, komm mal her...“, hörte er plötzlich Bens Stimme. Sie klang panisch. Mit schnellen Schritten rannte Semir los, die Böschung runter und sah dann, was Ben so aufgeregt hatte. „Chefin...“


    Kim sah mit erschrockenen Augen auf ihre beiden Beamten. Auf ihrer Stirn zeichnete sich eine blutende Narbe ab. „Ben...helfen sie mir hier raus, bitte.“, forderte sie mit schockgetränkter Stimme. „Sofort Chefin...bleiben sie ganz ruhig. Ich hab sie gleich hier raus.“, meinte der junge Hauptkommissar und zog mit all seiner Kraft an der Tür. „Warte ich...“, wollte Semir sagen, ging dann aber der Länge nach zu Boden, als ihn der Ellenbogen von Ben direkt auf die Nase traf. „Oh...Sorry Semir, bin abgerutscht...“, entschuldigte sich Ben und half seinem Partner beim Aufstehen. „Au man...was habe ich dir denn getan?“, murmelte Semir. „Wollte ich ja nicht...jetzt hilf mir mal, die Tür aufzubekommen.“, forderte Ben. Gemeinsam schafften sie es dann, die eingebeulte Tür aufzuziehen. „Danke...haben sie den Wahnsinnigen wenigstens?“, wollte sie wissen und fuhr mit einer Hand zu ihrer Stirn. Sofort zuckte sie zurück, als sie die Beule und das Blut bemerkte. „Nein, wir haben uns erstmal um den Unfall gekümmert. Und um sie...“, erklärte Semir und versuchte, seine blutende Nase wieder zu richten. „Wissen sie, wer sie da so bedrängt hat? Haben sie das Gesicht des Fahrers gesehen?“, fragte Ben.
    Kim sah ihn mit festem Blick an und verneinte die Frage. „Tut mir Leid, nein. Bitte, fahren sie mich zur PASt. Ihr Wagen ist doch sicherlich noch in einem Stück, oder?“, fragte sie dann mit einem vielsagenden Blick. „Sicher, er steht gleich dort hinten. Am Besten fahre ich. Semir blutet ja noch vor sich hin.“, grinste Ben und half der Chefin beim Aufstieg der Böschung. Semir folgte den Beiden. Etwas in ihm sagte dem erfahrenen Hauptkommissaren, dass die Chefin etwas verbarg. Es muss mit dem Fahrer zu tun haben. „Konnten sie das Kennzeichen wenigstens erkennen?“ Kim drehte sich zu Semir um, der sich ein Stofftaschentuch vor die Nase hielt. „Nein...nein...das konnte ich nicht. Ich musste mich drauf konzentrieren, die Kontrolle nicht zu verlieren.“, erwiderte Kim schnell und stieg dann die letzten Schritte der Böschung hoch. Insgeheim wusste sie aber, was der Deutschtürke mit dieser Frage bezweckte. Lange konnte sie ihr Geheimnis vor den beiden Männern nicht geheim halten.


    ...

  • Der BMW bog in die Parkbucht der PASt ein. Die Drei Polizisten betraten die Station und sofort verabschiedete sich Kim in ihr Büro. „Wie sieht denn die Chefin aus? Ist ihr was zugestoßen?“, fragte Susanne die beiden Hauptkommissare. „Wie man es nimmt.“, meinte Ben nur und nahm sich eine Akte vom Tisch. „Sie wurde von einem Wagen bedrängt und ist durch die Mittelleitplanke geschossen.“, erklärte Semir schniefend. „Es war großes Glück dabei, dass sie nicht von einem Lastwagen erwischt wurde.“ Susanne sah ihn grinsend an. „Was ist denn mit dir passiert?“, fragte sie lachend. „Frag Ben...sein Ellenbogen ist abgerutscht.“, knurrte Semir nur. „Nein, meine Hand ist abgerutscht und weil du hinter mir standest, hast du halt was auf die Nase bekommen.“, meinte Ben mit einem Schulterzucken. Susanne lachte los, doch das Lachen wurde durch grellen Schrei erfüllt. Alle Köpfe folgten dem Geräusch. Die Augen starrten auf die Bürotür der Chefin. Sofort stürmten Semir und Ben los, rissen die Tür auf und sahen eine angstverstörte Kim Krüger hinter ihrem Schreibtisch sitzen, in der Hand eine Puppe mit Nadeln gespickt.
    „Was...was wollen sie denn hier?“, kam es nach einer Weile von der Chefin. „Sie...sie haben geschrieen, da sind wir gekommen.“, erklärte Semir und sah Ben fragend an. „Chefin, ist alles in Ordnung mit ihnen?“, wollte Ben wissen. „Ja, alles in Ordnung...bitte lassen sie mich alleine.“, forderte sie und legte die Puppe mit zittrigen Händen zurück in die Schachtel. „Frau Krüger, sie haben doch etwas. Warum sagen sie es uns nicht. Dann können wir ihnen helfen.“, bot Semir der Frau an. Doch sie funkelte nur mit ihren Augen und schlug auf die Tischplatte. „Bitte, lassen sie mich alleine und kümmern sie sich lieber um die ausstehenden Berichte. Und es wäre schön, wenn sie dieses Mal die Rechtschreibfehler auf einmal rausfiltern würden.“, kam es giftig von der Chefin zurück. Die beiden Hauptkommissare verließen das Büro. Endlich war Kim wieder alleine. Sie nahm wieder die Schachtel hervor, nahm vorsichtig die Puppe heraus und bemerkte erst jetzt den Zettel auf dem Boden der Papppackung. Sie zog einen weißen Handschuh aus der Schublade und nahm den Zettel vorsichtig heraus und faltete ihn auseinander. Ein Foto war zu sehen. Es zeigte ein neunjähriges Mädchen. „Ist sie nicht schön?“, fragte die Bildunterschrift. Kims Hände begannen zu zittern, sämtliche Bilder von damals stiegen in ihr wieder auf. Warum? Warum musste das damals alles so kommen? Sie wollte doch nicht das Mädchen treffen. Es war ein unverzeihlicher Fehler. Es war ihr erster Tag als Streifenpolizistin und der Mann rannte einfach auf den Spielplatz. Was sollte sie denn anderes machen? Und jetzt, jetzt grub jemand die Sache wieder aus und spielte ein psychopathisches Spiel mit ihr. Doch Kim wollte sich nicht so einfach unterkriegen lassen. Sie nahm Foto, Puppe und Schachtel und verließ zielstrebig das Büro, ohne jemanden zu sagen, wo sie hin wollte. Das musste sie in die eigene Hand nehmen.


    Jochen fuhr zurück in seine Wohnung und wollte den Erfolg dieser Runde gebührend feiern. Ja, es war geschafft. Kim Krüger war aufgespürt und vollkommen verunsichert durch seine Aktionen. Wenn er sie richtig einschätzte, würde sie bald nach ihm suchen. Das war es, was er wollte. Wenn sie ihn suchte, wenn sie zum Jäger werden würde, dann war sie die Gejagte. Doch noch war es nicht so weit. Jetzt musste erst einmal der nächste Schritt gemacht werden. Am Besten wäre eine kleine Schreckaktion. So, wie die Aktion mit dem Spiegel im Badezimmer von Kim. Doch was sollte er dieses Mal nehmen? Vielleicht sollte er ... Ja, das war es. Das würde er machen. Doch jetzt war es Zeit für seinen wöchentlichen Besuch. Er verließ wieder die Wohnung und fuhr mit der Straßenbahn zum Südfriedhof. Er schritt mit gesenktem Kopf durch die Reihen, fast bis ans Ende des großen Areals. Ein leichter Nieselregen setzte ein. Die Tropfen fielen langsam auf die getrübten Schultern des Mannes, die so viel Leid tragen mussten. Er verließ den Hauptweg und wanderte noch einige Meter auf einem kleineren Weg weiter. Schließlich führten ihn seine Schritte zu einem kleinen Grab unter einer Eiche. Die dichten Blätter schützten das Grab vor dem Regen und so konnte sich Jochen unter den Baum stellen und in aller Ruhe das Grab mit den am Friedhofseingang gekauften Pflanzen neu bestücken. „Ach meine Kleine, ich werde dich nie vergessen. Dein erster Schrei war die schönste Musik in meinem Leben und deine kleinen Füße bewegten sich so flink, dass man dich kaum einholen konnte.“, lächelte er stolz und sah auf den Grabstein, wo sich ein kleines Bild des Mädchens befand. Sie lachte und ihr goldblondes Haar war zu einem kecken Zopf zusammengebunden. Ihre kleine Zahnlücke gab ihr ein freches Äußeres. Jochen liefen die Tränen scharenweise über die Wangen. Warum musste seine Tochter sterben? Nur, weil diese Kim Krüger unbedingt schießen wollte. Dafür würde sie sich wünschen, nie geboren worden zu sein. „Ich schwöre dir, meine Melli, bald werde ich bei dir sein. Doch vorher werde ich dir Gerechtigkeit verschaffen.“, schwor er, küsste seine Hand und drückte den Kuss fest auf das Bild seiner Tochter. Langsam erhob er sich, kam unter dem Baum hervor und fuhr wieder nach Hause. Es wartete noch eine Menge Arbeit auf ihn. Der nächste Schritt stand an.


    „Man, die Krüger hat aber mal wieder eine Laune.“, knurrte Ben. Semir brummte nur zustimmend. „Hey, was ist denn mit dir? Hat dir die Chefin die Sprache ausgetrieben?“ „Nein, ich frag mich, was es mit der Puppe auf sich hat. Hast du die vielen Nadeln darin gesehen?“, wollte er wissen. „Sicherlich hab ich. Das wird irgendein Verrückter gewesen sein.“, meinte Ben. Für ihn war die Sache damit erledigt. „Ich denke nicht. Die Puppe sah der Chefin verdammt ähnlich. Nein Ben, ein Spinner war das nicht. Überleg doch mal, erst wird sie auf der Autobahn so bedrängt, dass sie fast unter die Räder kommt und dann diese Puppe. Ich sage dir, mein Magen rumort und wenn der sich meldet, dann ist da was faul.“, erklärte Semir. Ben lachte kurz auf, ließ sich in seinen Sitz fallen und legte die Füße auf den Tisch. „Semir, du solltest deinen Bauch mal lieber darauf verwenden, deinen ehelichen Pflichten nachzukommen.“, meinte er. Semir bekam große Augen. „Wieso? Hab ich einen wichtigen Tag vergessen? Hochzeitstag war doch erst und Andreas Geburtstag ist erst in drei Monaten.“, meinte er. Ben grinste fies. „Bist du dir da so sicher?“ Vollkommen irritiert und erschrocken suchte Semir in seinem Handy durch den Kalender. „Du Dreckskerl...“, fauchte Semir. „Es steht nix im Kalender. Und ich habe wirklich alles eingetragen.“, knurrte Semir, während sich Ben vor Lachen kugelte. „Ja, lach du nur. Bist du heute nicht mit Emily verabredet?“, fragte er schnippisch. „Erst am Abend und bis dahin ist noch genug Zeit, ihr ein paar Blumen und ein schönes Mitbringsel zu kaufen.“, erklärte Ben. „Schon klar, Herr Liebesversteher. Los, wir machen uns wieder auf die Tour.“


    ...

  • Hartmut sah von seiner Arbeit auf, als er einen Wagen aufs Gelände fahren sah. „Wer kommt denn da zu Besuch?“, fragte er seinen Mitarbeiter. Doch dieser zuckte nur mit den Schultern. „Das werden wir sicherlich gleich wissen.“, erwiderte dieser und brachte einige Kartons mit Beweisstücken in die Asservatenkammer. Hartmut kümmerte sich nicht weiter drum und widmete sich wieder seiner Arbeit, als er sah, wer da zu Besuch kam. „Frau Krüger, was...was kann ich denn für sie tun?“, wollte er erstaunt wissen. „Herr Freund...Hartmut, ich brauche ihre Hilfe in einer privaten Angelegenheit.“, erklärte sie und holte dann die Schachtel mit der Puppe hervor. „Was ist das? Ein Geschenk? Aber für Puppen bin ich schon zu alt und habe auch nicht das richtige Geschlecht.“, scherzte Hartmut, doch am Ausdruck in Kims Gesicht wusste er, dass Scherzen unangebracht war. „Finden sie die Fingerabdrücke auf dieser Puppe und dem Paket. Ich will wissen, wer dort seine Spuren hinterlassen hat. Meine eigenen sind drauf. Also müssen sie diese filtern. Aber alle anderen Spuren will ich haben.“, erklärte Kim mit fordernder Stimme. „Soll ich die Ergebnisse dann Semir und Ben mitgeben, wenn sie das nächste Mal kommen?“, wollte er wissen. „Nein, nein... bloß nicht...die Ergebnisse schicken sie gleich an meine Mailadresse. Ich selbst hole mir den Bericht dann auch ab. Niemand anderes darf oder wird davon erfahren. Haben wir uns verstanden?“ „Voll und ganz, Frau Krüger.“, erwiderte Hartmut. „Sehr gut...und nicht vergessen. Nur an mich.“, betonte sie noch einmal, ehe sie dann wieder verschwand und Hartmut seine Arbeit machen ließ.


    „Semir, halt den Wagen doch mal in der Spur. Ich kann sonst nicht schießen.“, schrie Ben, der sich weit aus dem Fenster lehnte, um zu schießen. „Ich halt ja die Spur, aber vor mir fahren auch noch andere Fahrzeuge.“, erwiderte Semir in der gleichen Lautstärke. Die Flüchtigen schnellten von einer Spur auf die andere. Dann kletterte der Beifahrer aus dem Wagen und schoss auf die Verfolger. „Wow...“, stieß Semir aus, musste bremsen und die Spur wechseln. Beinahe wäre Ben aus dem Fenster gefallen, konnte sich allerdings gerade noch festhalten. „Kannst du nicht ordentlich fahren?“, fauchte der junge Hauptkommissar. „Ich fahr der Situation entsprechend. Tu lieber was, damit die mir meinen Wagen nicht zu einem Käse umfunktionieren.“ „Ja, ja.“ Ben schoss und traf den hinteren Kotflügel des verfolgenden Fahrzeuges, eines grauen Ford Mondeos. „Wow...der schneit aus.“, kam es von Ben nur. Tatsächlich strömte aus dem geschossenen Loch weißes Pulver. „Los türkischer Hengst, fang den Wagen ein.“, forderte Ben. Endlich schaffte es Semir sich neben dem Wagen zu setzen, ihn an die Leitplanke zu drängen und so auszubremsen. „So, die Fahrt ist beendet. Polizei...alles sofort raus aus dem Wagen, die Hände aufs Dach und Beine spreizen.“, fauchte Ben, der sofort aus dem Wagen gesprungen war. Auch Semir zerrte den Fahrer des Wagens aus dem Auto und warf ihn auf die Motorhaube. „Ihr wolltet euch wohl eine goldene Nase verdienen, was? Ein bisschen weißes Kaffeepulver zum Schnupfen verkaufen. Tja, das bringt euch ein paar Jahre im Singsing ein.“, kam es von Semir. „Am Besten, wir bringen den Wagen gleich in die KTU. Mal sehen, ob Hartmut noch so ein paar versteckte Drogendepots findet.“, schlug Ben vor. „Machen wir. Und die beiden Ausflügler werden wir dann kräftig verhören.“
    Semir und Ben warteten, bis die Kollegen da waren und die beiden jungen Männer mitnahmen. Nun fehlte nur noch der Abschleppwagen, der den Wagen in die KTU brachte. „Was ist? Wollen wir erst was essen oder fahren wir gleich zur KTU?“, fragte Ben und sah Semir an, der noch immer nachdenklich in die Gegend starrte. „Hm?“, kam es ertappt von ihm. „Semir, denkst du etwa noch immer an das Geschehene mit der Chefin?“, fragte Ben. „Ja, was soll ich machen? Ich kann meinen Verstand nun mal nicht ausschalten.“ „Nicht? Ich dachte, das klappt bei dir super.“ „Was soll das denn heißen? Heute ist kein besonderer Tag.“, fauchte Semir zurück. „Wenn du meinst. Na los, ich spendiere dir ein Mittagessen.“, meinte Ben beruhigend und fuhr mit seinem Partner zur nahe gelegenen Raststätte, um sich dort ein üppiges Mittagessen schmecken zu lassen. Vor Semirs Nase stand ein Schnitzel mit Pommes und Jägersoße, Ben nahm ein Stück Hackbraten mit Rotkohl und Kroketten. „Na dann...lass es dir schmecken.“, meinte Ben und schob sich die erste Fuhre in den Mund. „Schon ein komischer Zufall, dass wir die Jungs so ohne weiteres herausfischen konnten.“ „Immerhin haben sie es doch drauf angelegt. Wer fährt aber auch mit 180 durch eine Baustelle und fährt dabei die ganzen Hütchen um.“, grinste Ben nur und ließ sich sein Hackbraten munden. Es dauerte nicht lange und die beiden Kommissare waren gesättigt und fuhren kurz darauf in die KTU.


    Jochen Wehner sah auf sein Kunstwerk und stellte den letzten Handgriff ein. Dieses kleine elektronische Spielzeug würde die Bremsen des Wagens, unter den es geschnallt werden würde, außer Kraft setzen und die Geschwindigkeit unvermindert ansteigen lassen würde. Schnell versteckte er das kleine Spielzeug in seinem Rucksack und legte ihn in den Flur. Er musste nur mit einen kleinen Sender in der Nähe sein und den Auslöser drücken. Nun musste er sich nur noch eine anständige Verkleidung finden, die es ihm erlaubte, in die Nähe von Kims Wagen zu kommen. Er ging ins Badezimmer, nahm sich einen Schminkkasten vor und präparierte sich zum Ausgehen. Eine dicklichere Nase, ein grauer Vollbart und buschigere Augenbrauen gaben ihm ein vollkommen anderes und älteres Aussehen. „Wow...ich seh gut aus...“, dachte er nur laut und sah sich im Spiegel an. Er ähnelte jetzt mehr Sean Connery aus dem dritten Teil von Indiana Jones, als sich selbst. „So lässt sich doch auf die Straße gehen.“, grinste er, verließ das Bad und ging mit seinem Rucksack auf die Straße. Natürlich konnte er nicht seinen Wagen nehmen und so fuhr er mit dem Bus zu der Werkstatt, die, das hatte er schon recherchiert, für die Ausbesserung und Reparatur der Polizeidienstfahrzeuge verantwortlich war. Da es ein Großbetrieb war, schien es für Wehner nicht schwer zu sein, zumal er mit seinem Overall auch noch den Mechanikern verdammt ähnlich sah, in die Werkstatt zu kommen. Schnell war, dank einer Liste, Kims Wagen gefunden und das kleine Spielzeug aus dem Rucksack platziert. Nun musste Jochen nur noch auf eine Gelegenheit warten, die kleine Überraschung zu starten. Er würde sich auf die Lauer legen und Kim verfolgen, wenn sie ihren Wagen holen kam. Der Rest würde dann einfach sein.


    ...

  • „Hallo Hartmut, hast du dir den Wagen schon ansehen können?“, fragte Semir sofort, als sie die Werkstatt der KTU betraten. Hartmut drehte sich von seinem Scanner weg und blickte Ben und Semir an. „Jungs, ich hab den Wagen eben erst vor ein paar Minuten bekommen. Außerdem hab ich noch andere Dinge zu tun. Ihr könnt also gleich wieder kehrt machen. Ich rufe euch an, sobald ich etwas gefunden habe.“, meinte er leicht genervt. „Wie? Du hast noch nicht angefangen? Hartmut, das enttäuscht mich jetzt aber.“, versuchte Semir es mit Schmeicheleien. Ben grinste und stieg mit ein. „Hartmut, du weißt doch, dass du für uns immer die Nummer eins bist. Immerhin schafft es kein anderer, uns so schnelle und so saubere Ergebnisse zu liefern. Du bist ein wesentlicher Bestandteil der Aufklärungskette.“ Hartmut sah von einem zum anderen und wusste genau, dass die beiden Kommissare wieder mit seinem Ego spielten. „Lasst es...ich kann doch auch nicht hexen.“, meinte er und atmete dann tief ein. „Also gut, ich sehe ihn mir gleich an. Wenn ihr mich dann entschuldigen würdet. Ich rufe an, sobald ich etwas gefunden habe.“, meinte er dann. „Danke Hartmut, wir hören dann von dir.“, grinste Semir und wandte sich zum Gehen. Doch dann fiel sein Blick auf die Ablage neben dem Scanner.
    „Sag mal, die Puppe...hat das gerade unsere Chefin her gebracht?“ Semir ging zielstrebig auf die Ablage zu und nahm die Puppe vorsichtig an einen Zopf des falschen Haares hoch. Hartmuts Gesicht nahm mehr und mehr die Farbe seiner Haare an. Stammelnd sah der Techniker weg und wollte sich um etwas anderes kümmern, als sich Ben ihm in den Weg stellte. „Hartmut...sag schon, was du weißt.“, forderte der junge Hauptkommissar. „Ähm...ich soll...ich soll nichts sagen. Tut mir Leid.“ „Nichts sagen? Worüber sollst du nichts sagen?“, fragte Semir nun und kam mit der Puppe zu Hartmut und Ben. „Semir bitte...du bringst mich da in große Schwierigkeiten. Zwinge mich nicht, euch etwas zu verraten.“, forderte Hartmut. Semir fing an zu lächeln und legte die Puppe dann wieder zurück. „Okay Hartmut, ich werde dich nicht zwingen. Ich stelle dir nur einige Fragen und du antwortest nur. Hat unsere Chefin von dir gefordert, dass du die Puppe untersuchst?“ Hartmut blickte von Semir zu Ben und wieder zurück. Die beiden Polizisten drängten sich dicht um ihn, als wäre er ein Verbrecher im Verhör. Er nickte nur zaghaft. „Okay, und sie hat dir gesagt, du sollst ihr die Ergebnisse zusenden und mit niemanden darüber reden.“ Wieder ein Nicken von Hartmut. „Allerdings sagte sie, ich solle ihr eine Mail schicken und sie wolle sich den schriftlichen Bericht dann abholen.“, erklärte der Techniker. „Gut, das wirst du auch. Und du wirst an uns auch eine Mail schreiben mit den Ergebnissen im Anhang.“ „Aber das...das kann ich nicht...“ „Hartmut, du kannst. Und du wirst.“, forderte Ben mit drohender Stimme. „Okay....wisst ihr, dass es echt unheimlich ist, von euch verhört zu werden?“ Semir und Ben grinsten nur und machten sich dann auf den Rückweg zur PASt.


    Karsten Schmidt wartete am Treffpunkt. Nervös lief er immer wieder um sein Motorrad und schlug seine behandschuhten Hände zusammen. Zum achten Mal schon schob er den Ärmel seines schwarzen Lederkombis nach oben und sah auf seine Armbanduhr. Verdammt, die Beiden sollten doch schon vor über zwei Stunden hier sein, dachte er. Er schreckte auf, als sein Handy in der Armtasche vibrierte. „Ja?“, meldete er sich, als er endlich das Handy am Ohr hatte. „Hast du das Auto?“ „Nein, diese Idioten verspäten sich. Ich hab dir doch gleich gesagt, dass wir es nicht Amateuren überlassen sollten.“ „Das lass meine Sorge sein. Warte noch eine Stunde. Wenn sie dann noch immer nicht da sind, kommst du zurück.“, erklärte der Mann am anderen Ende der Leitung und legte dann auf. Karsten nickte nur und ließ sein Handy wieder in dem Ärmel verschwinden. Die Stunde verstrich langsam und als sie vorbei war und noch immer nichts vom Auto oder den beiden Kurieren zu sehen. Fluchend zog er sich den Helm über den Kopf, setzte sich auf die Maschine und rauschte davon. Kurze Zeit später kam er am Fitnessstudio an und ging geradewegs in das Büro hinauf. „Verdammt Jan, die beiden Penner sind nicht aufgetaucht. Wahrscheinlich sind sie mit unserem ganzen Stoff getürmt. Wir hätten das niemals diesen beiden Strichern anvertrauen dürfen.“, fauchte Karsten los. Doch Jan Finke saß nur in seinem Sessel und deutete auf den Fernseher an der Wand. Karsten drehte sich um. „...die Polizei konnte die beiden Raser mit einem Ausbremsmanöver zum Stehen bringen. Bei der Schießerei auf der Autobahn verteilten sich große Mengen von Heroin, dass sich im hinteren Kotflügel des Fahrzeugs befand und bei dem Beschuss getroffen wurde.“, hörte er die Stimme einer Reporterin. „Die Bullen haben unseren Wagen.“, fauchte Jan. „Und was jetzt?“, wollte Karsten wissen.
    „Jetzt? Jetzt sind wir leider raus. In dieses Geschäft haben wir unser letztes Geld gesteckt, um diesen Kredithai zu bezahlen, falls du dich erinnerst.“, knurrte Jan und stand auf, nahm vorsichtig die Hand seines Liebsten, die noch immer in den Lederhandschuhen steckte. „Ich liebe dich in diesem Outfit.“, gurrte er und strich kurz über den Arm seines Freundes. „Jan, lass das. Wir müssen einen Ausweg finden, wie wir an das Geld kommen.”, knurrte Karsten und riss sich kurz los. Einen Moment sah Jan seinen Liebsten entsetzt an, nickte dann aber. „Gut, ich denke, ich weiß schon einen Weg. Allerdings müssen wir dafür schnell sein“, erklärte er. „Erzähl ihn mir und dann kannst du das Outfit und den süßen Kerl darin zwei Stunden lang genießen.“, grinste Karsten und breitete die Arme aus.


    ...

  • „So Kollegen, jetzt mal Karten auf den Tisch. Ihr seid mit 180 Kilometern n der Stunde durch eine Baustelle, habt in der Folge über hundert Absperrschilder umgenietet und zu guter letzt wolltet ihr uns auch noch mit blauen Bohnen voll pumpen.“, zählte Ben auf seiner einzigartigen Weise auf. Semir blickte ihn grinsend an und dann zu den zusammen gesackten Jungs hinüber. „Was mein Kollege sagen will, ist, ihr habt mächtig Scheiße gebaut und das mit gerade einmal 19 Jahren. Wisst ihr eigentlich, was in dem Wagen war? Heroin...und zwar pures Heroin.“, erklärte Semir. Die beiden Jungs, Alex und Gregor, sahen sich erschrocken an. „Wir...wir wussten nicht, was da im Wagen ist.“, erklärte Alex mit heiserer Stimme. „Woher habt ihr den Wagen?“ „Wir sollten ihn für einen Kerl am Duisburger Hafen abholen und dann über die Autobahn nach Köln bringen.“, erklärte Gregor und sah die beiden Kommissare an. „Wohin?“, fragte Ben. „In das alte Industriegebiet. Da wollte ihn dann ein Motorradfahrer übernehmen und wir sollten pro Nase 500 Euro kriegen.“ „Für 500 Euro werft ihr euer Leben weg? Woher habt ihr die Waffe? War die auch im Wagen mit drin?“, wollte Semir wissen. „Nein...die...die ist von meinem Vater. Er...er ist im Schützenverein. Ich hab sie mitgenommen, weil...weil ich mir nicht sicher war, was passiert.“, erklärte Alex. „Und was wäre passiert, wenn ihr einen von uns damit getroffen hättet?“, fragte Semir mit väterlich-ermahnender Stimme. „Dann wärt ihr jetzt wegen Mordes dran. Seid froh, dass es nur beim Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz bleibt.“
    Dieter und Hotte führten die beiden Jungen ab. „Was meinst du? Stimmt ihre Geschichte?“, fragte Ben seinen Partner, als sie wieder alleine im Raum waren. „Ich denke ja. Du hast sie doch gesehen, wie sie hier saßen. Vollkommen in sich eingesunken. Nein, das sind nicht die typischen Dealer. Vielmehr interessiert mich jetzt, wer der Hintermann ist und wer den Stoff haben wollte. Ich hoffe, die Jungs können dem Zeichner eine gute Beschreibung liefern.“ „Hoffe ich auch. Momentan können wir eigentlich nur darauf warten, dass Hartmut etwas für uns findet.“, meinte Ben zustimmend. „Das hoffe ich auch. Na komm, lass uns den Bericht schreiben.“, meinte Semir und ging mit Ben ins Büro. Auf dem Rückweg sahen sie jedoch, wie Kim Krüger das Büro verließ und zum Parkplatz ging. „Wo will sie denn hin?“ Semir sah Ben an. Dieser zuckte mit seinen Schultern wahrscheinlich zu Hartmut oder so...“ „Fragen wir Susanne.“ Die beiden Hauptkommissare gingen vor zum Schreibtisch der Sekretärin. „Susanne, wo will die Chefin hin?“, fragte Semir sofort und ohne Umschweife. Susanne sah auf und zuckte kurz mit der Augenbraue. „Sie will nur ihren neuen Wagen aus unserer Werkstatt holen und dann gleich zu Hartmut fahren. Warum wollt ihr das denn wissen?“, fragte sie. „Och, nur so, Susanne. Nur so.“, grinste Ben und schob Semir ins Büro. „Vielleicht sollten wir hinterher.“, meinte Semir. „Ja, sicher. Wie sieht das denn aus? Wir beschatten unsere Chefin? Semir, dazu haben wir kein Recht. Also, halt die Füße still und schalte deine Hirngespinste aus.“, kam es bestimmend von Ben. Doch Semir konnte sich nicht davon lösen. Wenn er geahnt hätte, was passiert, dann wäre er seiner Chefin auch ohne Bens Unterstützung gefolgt.


    Jochen wartete direkt neben der Werkstatt in seinem Wagen, saß noch immer in seiner Verkleidung hinter dem Steuer. Er wartete wie eine Spinne auf die Fliege. Er wartete auf Kim Krüger. Wann würde sie denn endlich kommen? Doch sein Warten sollte in gerade dieser Minute belohnt werden. Vor der Werkstatt hielt ein Taxi und Kim Krüger betrat das Werkstattgelände, verschwand in der großen Halle. „Da bist du ja, Kim. Sieh dich ruhig noch einmal um. Ja, so ist es gut. Denn das hier werden deine letzten Momente sein.“, lachte Jochen Wehner und fuhr hinter Kims Wagen her, als sie aus der Werkstatt kam und auf die Autobahn fuhr. Schon bald waren sie aus der Stadt raus und befanden sich auf freier Autobahnstrecke. „So Kim, halt dich gut fest. Denn jetzt beginnen die letzten Minuten deines Lebens.“, lachte Wehner und holte die kleine Fernbedienung hervor. Doch noch musste er dicht auffahren. Seine Konstruktion besaß nur eine Reichweite von fünf Metern und noch waren drei Autos zwischen ihm und Kim. Doch schnell waren diese Hürden überwunden und er fuhr immer dichter auf den kleinen, silbernen Mercedes von Kim auf. „Und jetzt, sag bye bye...“, lachte er und drückte den Knopf. Das einzige, was er jetzt noch tun musste, war Kims Wagen zu beobachten. Also lenkte er wieder auf die rechte Spur rüber und bremste ab. Jetzt musste er nur noch alles genüsslich beobachten. Hier störte ihn niemand in seinem großen Vergeltungsaugenblick.
    Kim fuhr gemütlich auf der Autobahn entlang, als plötzlich ihr Motor verrückt spielte. Er heulte auf und ihre Geschwindigkeit schnellte von Sekunde zu Sekunde immer weiter nach oben. Die Tachonadel fand kaum ein Ende. Kims Augen weiteten sich ungeheuerlich. „Was ist...“, fragte sie sich und drückte das Bremspedal durch. Doch nichts passierte. Im Gegenteil, die Geschwindigkeit erhöhte sich noch weiter. „Verdammt...“, stieß sie aus und umklammerte das Lenkrad mit beiden Händen. Mit Lichthupe und lauter Hupe versuchte sie, die anderen Verkehrsteilnehmer auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Viele wichen erschrocken aus, als sie das silberne Geschoss in den Spiegeln bemerkten. Kim konnte jedoch nicht ewig so weiterfahren. Sie versuchte erneut zu bremsen, doch nichts passierte. Ihr Wagen schnellte über die Autobahn und dann passierte, was passieren musste. Ein Auto vor ihr konnte nicht mehr rechtzeitig auf die mittlere Spur ziehen. Kim trat das Bremspedal so heftig durch, wie sie nur konnte, versuchte runterzuschalten, doch es war zu spät. Mit einem lauten Knall fuhr sie auf, ihr Wagen flog hochkant in die Luft über die andere Fahrbahn und landete mit einem lauten Knall auf dem Dach. Bewusstlos und mit aus dem Mund laufenden Blut blieb Kim in ihrem zerbeulten und vollkommen demolierten Wagen liegen. Der gerammte Wagen schlidderte über sämtliche Spuren und wurde nochmals seitlich von einem Lkw gerammt und krachte dann in die mittlere Leitplanke. Der Lkw bremste vor Schreck ab, doch sein Hänger schlidderte und stellte sich quer. Drei Autos, die nicht mehr rechtzeitig bremsen konnten, wurde das Dach abrasiert, als sie unter den Hänger gerieten. Alle anderen Fahrzeuge stoppten. Nur einer fuhr einfach weiter. Jochen Wehner sah mit Zufriedenheit auf das qualmende Wrack im Grünstreifen. „Das war nur ein Vorgeschmack, liebe Kim.“, meinte er, als er sah, wie ein beherzter Helfer die Frau aus dem Metallklumpen zog. „Das Spiel geht weiter. Die Rache ist noch nicht vorbei.“


    ...

  • Ben löffelte in seinem Joghurt herum und sah zu Semir hinüber. „Du denkst ja immer noch an die Chefin, oder?“, meinte er mampfend, wobei ihm fast die Joghurtmasse aus seinen Mundwinkeln lief. „Schluck erst einmal, bevor du mit mir sprichst.“, grinste Semir nur und schrieb weiter an seinem Bericht. „Und ja, ich denke an die Chefin. Ich weiß nicht, wie du so unbeteiligt bleiben kannst.“, meinte er dann. „Bin ich doch nicht, aber noch können wir nichts machen. Erst muss sie ja von Hartmut die Ergebnisse holen.“, erklärte er und warf den leeren Becher in den Papierkorb. „Sie müsste doch eigentlich schon lange zurück sein oder zumindest müsste uns Hartmut anrufen.“ Semir nickte nur und sah auf das Telefon. Plötzlich stürmte Susanne ins Büro. „Der Wagen der Chefin...sie...sie ist in einen Unfall verwickelt worden.“, stieß sie aus.
    Sofort ließen Ben und Semir alles stehen und liegen und rannten hinaus zum Wagen. Mit eingeschaltetem Blaulicht rauschten sie zur Unfallstelle, die ihnen Susanne über Funke beschrieb. Schon sahen sie das Stauende und Ben lenkte sofort auf den Standstreifen rüber, rauschte auf diesem weiter Richtung Ziel. „Was glaubst du ist mit der Chefin passiert? Sie ist doch eigentlich eine gute Fahrerin.“, meinte Ben besorgt. „Das werden wir gleich sehen. Los, halt an. Da vorne ist es schon.“, kam es von Semir. Noch ehe der Mercedes stand, sprang Semir aus der Tür und rannte die Böschung hinunter. „Semir, sie ist hier...“, rief Hotte ihm außer Atem entgegen. Semir stoppte und drehte sich um. Etwas weiter, auf einem nahen Rastplatz, sah er Kim in einem Krankenwagen sitzen. „Ben...“, rief er nur und deutete an, dass sein Partner den Wagen dort hinbringen sollte. Dieser nickte und fuhr gleich rüber, während Semir sich langsam den Rettungswagen näherte. Hotte ging ihm voraus und stellte sich neben den großen Kastenwagen. „Chefin?“ Semirs Stimme drang leise und behutsam zu Kim hinüber, die in eine Decke eingehüllt dasaß und am ganzen Leib zitterte. Vorsichtig hob sie ihren Kopf. Sämtliche Wimperntusche war in langen, schwarzen Fäden über ihre Wangen verteilt. Langsam kniete sich Semir zu ihr hinunter und nahm ihre Hand, zwang sie dadurch, ihn direkt anzusehen. „Was ist passiert?“, wollte er wissen. Doch Kim war kaum in der Lage, ihm eine Antwort zu geben. „Hotte, hat sie euch was erzählt?“ Aber auch der dickliche Polizist konnte nur mit dem Kopf schütteln. „Als wir hier eintrafen, fanden wir sie hier vor, weinend und vollkommen unter Schock.“, erklärte Hotte und Dieter nickte zustimmend. „Ein Zeuge hat sie aus dem Auto gezogen und sie vom Wrack weggebracht. Der Arzt hat sie soweit verarztet. Sie hat sich bei dem Aufprall auf die Lippe gebissen und ihre Nase hat vom Airbag etwas abbekommen.“, fügte Dieter hinzu. „Bitte, ich muss die Frau jetzt in eine Klinik bringen. Sie sehen doch, wie fertig sie ist.“, fauchte der Notarzt und zog Semir unfreundlich aus dem Fahrzeug. „Hören sie mal, das ist meine Vorgesetzte und ich will wissen, was passiert ist.“, fauchte der Deutschtürke und riss sich aus dem Klammergriff des Arztes. Dieser schreckte kurz zurück, fing sich sehr schnell aber wieder. „Ich muss darauf bestehen, sie in ein Krankenhaus zu bringen. Was, wenn der Unfall schwerere Verletzungen nach sich gezogen hat, als sichtbar sind?“, knurrte er Semir an.


    „Gut, bringen sie unsere Chefin ins Marienkrankenhaus. Hotte, Dieter...ihr fahrt hinterher und weicht ihr keinen Zentimeter von der Seite.“, forderte Semir. „Klar, ist doch Ehrensache, Semir...“, erklärte Dieter und fuhr mit Hotte davon. Leicht geschafft ging Semir zu Ben zurück, der inzwischen einige Zeugen befragen konnte. „Und, was sagen sie?“ „Sieht nicht gut aus. Nach einer Zeugin beschleunigte die Chefin unkontrolliert und verschaffte sich durch Lichtsignalen und Hupe Platz. Dann, als ein Wagen nicht mehr rechtzeitig ausweichen konnte, passierte das hier.“, erklärte Ben und zeigte auf den Trümmerhaufen hinter sich. „Es gab vier schwer Verletzte.“, fügte er hinzu. „Verdammt, was war hier los? Und was sollte das Ganze?“, fluchte Semir nur. „Ist der Wagen der Chefin schon unterwegs in die KTU?“ Ben schüttelte den Kopf. „Davon war nicht mehr viel zu retten. Scheint so, als würden wir auf diesen Weg nicht rausfinden, was es war.“, erklärte Ben. Semir nickte. „Bleibt nur noch die Aussage der Chefin. Ich hoffe, sie ist in einigen Stunden wieder ansprechbar. Komm, lass das ausgebrannte Wrack dennoch zu Hartmut bringen. Vielleicht findet er ja doch noch etwas. Und wir beide fahren jetzt ins Krankenhaus.“, erklärte Semir.
    Jochen Wehner fuhr langsam vom Parkplatz und folgte dem Krankenwagen. Noch war es für einen weiteren Anschlag zu früh. Noch besaß er nicht alle Informationen, die er brauchte oder das passende Material. Die ganze Strecke war er dicht hinter dem Polizeiporsche, verhielt sich aber unauffällig. Immerhin wusste er, dass darin Kollegen von Kim saßen. Und die würden sich nicht so leicht täuschen lassen. Nein, er musste vorsichtig sein. Zu diesem Zweck lag neben ihm schon die passende Verkleidung. Mit seiner kleinen Tochter spielte er so gerne Verkleiden. Ein Talent, dass er jetzt für ihre Rache nutzte. Und es sollte ihm noch öfters nutzen. Die Wagen vor ihm bogen ab, er hinterher. Bald schon waren alle am Marienhospital. Jochen suchte sich einen günstigen Parkplatz dicht am hinteren Eingang gelegen. Unbeobachtet zog er sich die blau-weiße Krankenhausbekleidung an, nahm sich das Klemmbrett und schlich sich zum Eingang. Vorsichtig schlüpfte er hindurch und ging direkt in die Notaufnahme, wo er auf die beiden Polizisten traf, die mit der Bare und Kim gerade den Gang hinunter fuhren. Er blieb stehen, sah auf das Informationsbrett an der Wand und beobachtete die Gruppe aus den Augenwinkeln. Irgendwann wurde Kim in einen Behandlungsraum geschoben. „Hey...ich brauche sie im Schockraum...“, forderte plötzlich ein Arzt von ihm und zerrte ihn quasi am Arm mit sich zu genau dem Raum, wo sich Kim und die beiden Polizisten befanden. Eine brenzliche Situation konnte das werden, wenn er nicht genau aufpasste.


    Kim lag auf der Liege und nahm nichts wahr. Hotte und Dieter sahen sie an, sprachen sie an, doch sie reagierte einfach nicht. „Chefin? Können sie mich hören? Bitte, sagen sie doch etwas. Wir sind es... Herzberger und Bonrath. Bitte sagen sie was.“, forderte Dieter und sah hilfesuchend zu Hotte, doch auch er konnte nichts anderes machen, als stumm da zu sitzen und zuzusehen. Die Tür öffnete sich und zwei Männer kamen rein. „Hallo, ich bin Dr. Wachsmann. Schildern sie mit bitte kurz, was passiert ist.“, erklärte er und sofort schilderten die beiden Polizisten, was passiert war. Die Männer beachteten Jochen Wehner gar nicht. Er näherte sich Kim und blickte auf sein Opfer. Mit starren Augen drehte sie den Kopf und sah ihn direkt an. „Es ist noch nicht vorbei...“, formte er mit den Lippen. „Okay, wir machen einen Ultraschall und dann schieben wir sie durch die Röhre und legen sie unter das Röntgengerät, um sicher zu gehen, dass keine inneren Organe verletzt sind.“, meinte der Arzt und ließ sich von Jochen das Ultraschallgerät zurecht schieben. Glücklicherweise kannte Jochen die Handgriffe noch von der Schwangerschaft seiner Frau. Nachdem der Arzt fertig war und keine ersten Anzeichen von inneren Verletzungen festgestellt werden konnten, schob eine hinzugerufene Schwester Kim zum CT und zum Röntgen. Jochen blieb im Gang zurück. Er musste nur noch wissen, wo das Zimmer der Kriminalrätin war. Dann konnte er neue Pläne schmieden. Vorher ginge er hier nicht weg.


    ...

  • „Und, was ist deine Idee?“, wollte Karsten wissen und zog sich sein Shirt und seine Unterhose wieder an. „Ganz einfach...sicherlich werden die Drogen, also der Wagen, in die KTU gebracht. Heute nacht werden wir uns auf dem Gelände mal umsehen und uns unser Eigentum zurückholen.“, erklärte Jan seinem Freund. „Guter Plan, aber wie willst du das machen? Ich meine, da werden überall Kameras sein. Wie wollen wir die ausschalten?“, fragte Karsten und setzte sich wieder aufs Bett, strich seinem Liebsten über die nackte Schulter. „Da weiß ich schon was. Ich besorg mir heute noch einen Kabelschneider und dann gehen wir heute Abend auf Wanderschaft.“, grinste Jan. „Okay, und wo sollen wir suchen? Das Gelände ist sicherlich groß und wir haben nicht viel Zeit, ehe die Polizei kommt.“ „Lass das mal meine Sorge sein. Ich kenne da einen, der das weiß und der es für eine Kleinigkeit auch verrät.“ Jans Grinsen stieg ins Unverschämte, dass es Karsten eiskalt den Rücken runterlief. Er liebte seinen Jan, doch manchmal machte er ihm auch Angst. „Dann wollen wir uns mal noch um das Geschäft kümmern. Ein Fitnessstudio leitet sich ja nicht von alleine.“, grinste Jan. „Eins noch...an wen verticken wir das Zeug eigentlich, wenn wir es haben?“, fragte Karsten. „Na an unsere Kunden.“, grinste Jan nur. Damit war alles besprochen und man wollte sich erst am Abend wieder treffen.
    Karsten wartete auf seinem Motorrad und sah sich um. Jan stand am Elektrokasten und versuchte, ihn mit einem Stemmeisen aufzubrechen. Immer wieder beobachtete der junge Biker das Gelände, das vor ihnen lag. Keine Menschenseele war zu entdecken. Nicht einmal ein Wachmann, der mit seinem scharfen Schäferhund seine Runden drehte. „Hast du es jetzt bald?“, zischte er durch den Helm. Plötzlich stand er in vollkommener Dunkelheit da. Nichts war mehr zu sehen. Langsam gewöhnte er sich an die plötzliche Dunkelheit. „Beantwortet das deine Frage.“, grinste Jan nur und ließ Brecheisen und Kabelschneider wieder in seinem Rucksack verschwinden. „Okay, jetzt los. Suchen wir die Asservatenkammer und dann nichts wie weg hier.“, meinte er dann. Karsten nickte und schon standen die beiden Einbrecher mitten auf dem KTU-Gelände. „Wo ist denn jetzt diese Asservatenkammer?“, fauchte Karsten nur und sah sich um. Durch seinen Helm konnte er den Kopf nicht gut zur Seite drehen. „Gehen wir mal dort hin.“, meinte Jan und tatsächlich standen sie dann vor dem richtigen Gebäude. „Na also...Werkstatt, Labor und Asservatenkammer.“, las er vom Schild ab. Karsten zog den Helm ab. „Unter dem Ding ist es verdammt heiß, wenn man einen Bruch machen will.“, keuchte er. „Bist du dämlich? Was, wenn die Kameras noch funktionieren?“, zischte Jan. „Keine Sorge, hier habe ich was, was eine Erkennung verhindert.“, meinte Karsten und holte zwei Sturmhauben hervor. Schnell waren diese übergezogen und das Einbruchswerkzeug wieder hervor geholt.


    Hartmut war einer der letzten im Labor und hing über seinem geliebten Mikroskop. „Na, das ist doch was.“, lächelte er, als er die Drogen aus dem Wagen sich genauer unter die Lupe nahm. „Reines Heroin. Eine beachtliche Reinheit...fast 90 Prozent.“, murmelte der Techniker und rieb sich die Augen. Ein Blick auf seine Uhr verriet ihm, dass es schon lange nach halb eins war. „Oh verdammt. Wieso mache ich eigentlich für die Beiden immer wieder Überstunden?“, beschwerte er sich bei seinem Spiegelbild. Plötzlich fiel das ganze Licht aus und Hartmut saß in vollständiger Dunkelheit am Schreibtisch. „Was soll das denn?“, fauchte er und suchte nach der kleinen Taschenlampe an seinem Schlüsselbund. „Wo ist denn das verfluchte Ding?“, knurrte er und leuchtete die Gegend ab, doch plötzlich schlug eine Hand nach ihm. Der Rotschopf spürte seine Nase brechen und das Blut sein Gesicht benetzte. Durch eine Nebelwand aus betäubenden Schmerzen hörte er zwei Stimmen. „Shit, es ist noch jemand hier.“ „Na und? Dann sperren wir ihn ein und gut ist.“, hörte Hartmut nur. Wenig später wurden seine Arme nach hinten gezogen und mit irgendwas gefesselt. Danach waren die Füße dran und schließlich rollte man ihn in die Abstellkammer. Langsam kam er wieder vollends zu sich und versuchte, sich zu befreien. Die Fesseln saßen aber bombenfest. Draußen polterte es und das bestimmt noch eine halbe Stunde lang. Dann war es vollkommen still. Verdammt, die lassen mich hier sitzen bis zum Morgengrauen, dachte Hartmut und versuchte verzweifelt, die Fesseln zu lösen.
    Karsten und Jan packten sämtliche kleine Beute mit weißem Pulver in ihren Rucksack und verschwanden aus dem Gebäude. „Man, man, man...das war verdammt knapp.“, fauchte Karsten und riss sich die Maske vom Kopf. Jan tat es ihm gleich. „Reg dich ab, wir haben es doch geschafft.“, stieß Jan aus und setzte sich den Motorradhelm wieder auf. „Ja, und was, wenn die den nicht finden? Was, wenn ich zu hart zugeschlagen hab?“, kam es von Karsten. „Wenn es dich beruhigt, dann rufen wir gleich die Polizei. Nur jetzt sollten wir machen, dass wir hier weg kommen. Immerhin sind wir hier nicht gerade unauffällig.“, entgegnete Jan. Sein Freund nickte und gemeinsam schwangen sie sich dann auf die Maschine und fuhren zurück zu ihrer Wohnung, direkt über dem Fitnessstudio. Tatsächlich informierte Karsten noch in der Nacht die Polizei, anonym versteht sich. Ehe sie ihn zurückverfolgen konnten, knallte er den Hörer auf die Gabel und schlüpfte zu seinem Liebsten ins Bett. „Lass uns das nie wieder machen. Ich...ich glaube, ich bin nicht zum knallharten Gangster geboren.“, meinte Karsten. Jan lachte und nahm ihn zärtlich in den Arm. „Weißt du, ich glaube, ich bin auch keiner...wir verkaufen das Zeug in einem Stück weiter und dann machen wir uns auf den Kanaren ein wunderbares Leben.“ „Au ja...das wäre klasse.“


    ...

  • Jochen wartete in einer dunklen Ecke des Krankenhauses und sah dann endlich den Arzt aus einem Zimmer kommen. Er ging direkt zum Schwesternzimmer und pinnte eine Notiz an das Schwarze Brett. Danach war er wieder verschwunden, ging zu einer anderen Patientin. Freie Bahn für Jochen. Aus seinem Versteck sah er schon die beiden Kommissare, die Kim das erste Mal noch retten konnten. Ein weiteres Mal würden sie das aber nicht schaffen. Jochen folgte ihnen, bis er das Schwesternzimmer erreichte. Schnell war ein Blick auf die frisch aufgehängte Notiz geworfen und er verschwand wieder aus dem Krankenhaus. Jetzt musste er sich nur noch ein kleines, psychopathisches Spiel ausdenken, wie er sich bei Kim im Krankenhaus wieder ins Gedächtnis rufen konnte. Dann schoss ihm ein böser Gedanke durch den Kopf. Ja...das...das war es. Genial.
    Semir und Ben schnellten durch den Gang und suchten das Zimmer von Kim. „Hotte, wo ist sie?“, fragte der Deutschtürke, als er die beiden Kollegen vor einer Tür entdeckte. „Hier drin.“ „Ist sie in Ordnung? Was hat der Arzt gesagt?“, schoss Ben die Fragen ab. „Ihr geht es soweit gut. Drei Rippen sind angebrochen und sie hat eine leichte Gehirnerschütterung. Das Nasenbein ist leicht gestaucht. Aber, sie spricht nicht mit uns. Sie will uns nicht erzählen, was dort auf der Autobahn passiert ist.“, erklärte Dieter. „Dann werden wir das jetzt herausfinden.“, meinte Semir und umklammerte die Türklinke, als Bens Handy klingelte. Er wandte sich ab und telefonierte kurz. „Das war der Wachschutz...in die KTU ist eingebrochen worden. Auf dem Boden vor Hartmuts geliebtem Mikrodingsda ist Blut gefunden worden.“, erklärte der junge Hauptkommissar. „Okay, dann fährst du mit Hotte und Dieter hin und ich kümmere mich um die Chefin.“, meinte Semir. Ben nickte und nahm die beiden Polizisten mit sich. Semir wandte sich wieder zur Tür um, klopfte kurz und betrat dann das Zimmer. „Chefin?“, fragte er vorsichtig und näherte sich dem Bett. Kim lag in ihrem Bett und drehte vorsichtig den Kopf. „Semir? Was...sollten sie um die Zeit nicht zu Hause sein.“, kam es leise von ihr. Er winkte nur kurz ab. „Andrea versteht das. Chefin, bitte...wir sind jetzt ganz allein. Wollen sie mir nicht erzählen, was das mit der Puppe auf sich hat? Denn der Unfall heute war doch sicherlich kein Zufall oder?“, redete Semir drauf los. Kim ließ den Kopf sinken. „Also gut...“


    Ben, Hotte und Dieter kamen mit dem Cayenne an der KTU an. Die Kollegen waren schon dabei, sämtliche Spuren zu sichern. „Hallo Ben, wenn du Hartmut suchst, der ist drin und erholt sich von seinem Abenteuer.“, meinte Siggi und deutete auf das Labor. „Danke dir...“ Zielstrebig ging der junge Hauptkommissar auf das Gebäude zu und riss die Tür auf. „Hartmut, was ist passiert?“, wollte er sofort wissen. „Hallo Ben...danke, mir geht’s gut. Nur die Nase ist gebrochen.“, kam es klagend von Hartmut zurück. „Ja, ja... ist ja gut. Deine Nase ist doch noch im Gesicht oder? Also kann es nicht so schlimm sein. Fang dir erstmal eine Kugel ein und dann reden wir noch mal drüber.“, grinste Ben nur, klopfte dem Techniker dann aber freundschaftlich auf die Schulter. „Also, was ist passiert?“, fragte Ben noch einmal. „Ich saß hier und hab die Proben aus dem Wagen analysiert. Die waren gar nicht dumm. Die haben das Heroin direkt in die Hohlräume gepackt. Sicherlich wollten...“ „Hartmut...“ „Ach ja...das Licht ging irgendwann aus und ehe ich meine Taschenlampe fand, bekam ich auch schon einen Schlag ins Gesicht versetzt, wurde auf meinen Bürostuhl gefesselt und in die Abstellkammer geschoben.“, erklärte er. Ben nickte. „Konntest du dich selbst befreien?“ „Nein, ich hab so lange Krach gemacht, bis mich ich einer gefunden hat. War ziemlich anstrengend sag ich dir.“ „Gut, dann fahr jetzt nach Hause und ruh dich aus. Deine Kollegen werden die Spuren auch ohne dich auswerten können.“, meinte Ben und ging dann in den Technikraum, wo auch die Überwachungsmonitore standen.
    „Hallo Robert, haben wir irgendeine Videoaufzeichnung oder waren die Monitore von dem Stromausfall auch betroffen?“, fragte Ben, als er im Raum stand. Der Techniker drehte sich um. „Hallo Ben...nein, die Monitore und die Festplatten sind an eine eigene Stromquelle angeschlossen. Selbst wenn die ausfallen würde, gäbe es immer noch einen Batteriebetrieb für 24 Stunden.“, erklärte Robert. „Also haben wir Bilder. Zeig sie mir mal...“, forderte Ben und ließ sich sofort auf den Stuhl vorm Hauptmonitor fallen. Robert betätigte einige Knöpfe und schon tauchte der Eingangsbereich der KTU mit Sicht auf das Labor auf. „Hier...um 00.29 Uhr betreten zwei Gestalten das Gelände. Zum Glück haben unsere Kameras auch einen automatischen Nachtsichtmodus.“, murmelte Robert. Ben nickte und verfolgte die Aufzeichnungen. Dann stutzte er. „Hat der Typ da gerade sein Gesicht in die Kamera gehalten? Spul mal zurück und fahr näher ran.“, forderte der Hauptkommissar. Robert tat ihm den Gefallen und tatsächlich lugte einer der Männer direkt in die Kamera. „Druck mir das Bild aus. Ich will dieses Bild haben. Vergleiche es doch bitte mit der Datenbank und ...“ „Ben, wir hatten hier gerade einen Stromausfall. Sicherlich sind die Kabel draußen durchtrennt worden. Das wird einige Tage dauern, bis hier alles wieder funktioniert.“, stieß Robert aus. „Ich brauch das Bild aber sofort.“, quengelte Ben. „Damit kann ich aber nicht dienen. Allerdings kannst du die DVD mitnehmen und sie bei euch einscannen.“, grinste Robert. „Dann her damit.“


    Semir hörte aufmerksam zu, als Kim ihm die Geschichte erzählte. Mittlerweile saß er auf ihrem Bett und lauschte gespannt ihren Worten. „Es...es war ein bedauerlicher Unfall, Semir. Ich...ich wollte das kleine Mädchen nicht treffen. Nur den Bankräuber stellen. Das von damals war mein erster Einsatz und ich wollte alles richtig machen. Stattdessen hab ich das Glück einer ganzen Familie zerstört.“, weinte Kim und schlug die Hände vor das Gesicht. Ihr ganzer Körper bebte. Scheinbar war dies das erste Mal, dass sie einem Außenstehenden davon erzählte. „Und jetzt will sie der Vater fertig machen?“, fragte Semir. Kim nickte. „Ich...ich stehe das nicht mehr durch. Seit einer Woche dieser Psychoterror, die Botschaften an meinem Spiegel im Bad oder in der Post. Das...das schaffe ich nicht.“, klagte sie und ließ die Hände wieder sinken. Semir fielen ihre verweinten Augen auf. Fürsorglich reichte er ihr ein Taschentuch. Sie bedankte sich schluchzend. „Wissen sie noch den Namen des Mannes?“ Kim verneinte das. Tatsächlich wusste sie den Namen nicht mehr. Den Vorfall hatte sie doch so gut wie verdrängt gehabt. Warum muss das jetzt alles wieder hochkommen? „Aber wenn er ihren Spiegel beschmieren kann, dann muss er einen Schlüssel haben. Ist ihnen in letzter Zeit irgendetwas unerklärliches oder unheimliches passiert, Chefin?“, fragte Semir. Kim hob den Kopf, überlegte und nickte zaghaft.
    „Ja, da ... da war was. Als ich letztens meinen freien Tag in der Stadt verbrachte. Bein Einkaufen schien mir einer immer zu folgen. Einmal kam er dicht an mich heran, rempelte mich sogar an. Und später dann noch einmal. Oh nein...das...das war er.“, stieß Kim aus, als sie den Zusammenhang begriff. Semir nickte. „Sicherlich hat er sich in der Zwischenzeit einen Schlüsselabdruck gemacht und das Original beim zweiten Mal wieder zurückgesteckt. Chefin, ich denke, es ist besser, wenn sie die nächsten Tage nicht zum Dienst erscheinen. Vielleicht fahren sie zu ihrem Bruder oder...“, schlug Semir vor. „Oh nein...ich werde mich nicht vor diesem Kerl verstecken. Ich will ihn haben. Er hat mich einmal versucht abzudrängen und jetzt hat er mein Auto manipuliert. Dabei hätte ich Unschuldige verletzen können, vielleicht sogar schlimmeres.“, meinte Kim mit schwerer Stimme. Semir sah sie an und konnte ihre Entscheidung sogar verstehen. Er war in der Hinsicht auch nicht anders, wenn er oder seine Familie bedroht wurde. „Ich verstehe sie, Frau Krüger...Ben und ich stehen hinter ihnen, das ist klar.“, versicherte der Deutschtürke. „Danke Semir.“ In Kims Stimme lag Dankbarkeit. Dankbarkeit darüber, dass sie nun doch nicht ganz alleine war. Sie hätte die beiden Hauptkommissare von Anfang an einweihen sollen. Wieso musste sie nur so stur sein?


    ...

  • Ben bremste seinen Mercedes auf dem Parkplatz, sprang raus und rannte in die PASt. Schnell waren die Kollegen der Nachtschicht gegrüßt, ehe er dann ins Büro rannte und die DVD ins Laufwerk des PCs schob. Mittlerweile war es kurz nach drei Uhr in der Früh, doch Ben musste wissen, wer da auf dem Band war. Schnell war die entsprechende Frequenz gefiltert und Ben ließ das Bild durch die Datenbank laufen. Das dauerte seine Zeit. Da konnte Ben sich auch schlafen legen. Doch dann klingelte sein Handy. Auf dem Display erschien Emilys Bild. Ben grinste kurz und nahm das Gespräch an. „Hey meine Süße, wie geht’s dir?“, fragte er säuselnd und lehnte sich im Sitz zurück. „Ich dachte, du wärst zu Hause. Jetzt hab ich deinen Anrufbeantworter vollgesprochen.“, meinte Emily nur. „Wie geht es dir in Ottawa?“, fragte Ben. Seit drei Wochen war Emily mit der Theatertruppe auf Tournee durch Kanada und die US-Staaten an der Ostküste. Dementsprechend war der Zeitunterschied zu Köln. „Gut...gut...ich bin nur geschafft. Kafka auf englisch und in einem hallenden Theater zu spielen ist anstrengender, als in Köln zu joggen, wen Karneval ist.“, meinte sie nur und deutlich konnte Ben die Geschafftheit in der Stimme hören. „Wie lange seid ihr noch in Ottawa?“ „Noch morgen und dann geht es weiter nach Boston, New York ist dann die letzte Station. In einer Woche bin ich wieder bei dir.“, erwiderte sie mit einem leisen Anflug von Heimweh. „Ich vermisse dich so. Und Angus dich auch...“, hauchte Ben. „Ooooh, mein kleiner Angus. Ist er denn auch brav?“, wollte Emily wissen. „Ist er...er ist tagsüber bei meinem Vater und ich hole ihn abends ab. Heute allerdings bleibt er da, weil ich noch im Büro sitze.“, erklärte Ben. „Gib ihm einen dicken Kuss von mir, wenn du ihn wieder abholst.“, lachte Emily. Angewidert verzog Ben das Gesicht. „Mach ich...Komm mir schnell wieder.“, verabschiedete sich Ben und gab seiner Liebsten viele Luftküsse. Danach sah er auf den Monitor. Noch immer war nicht alles durchsucht. So beschloss er, sich in den Bereitschaftsraum auf die Liege zu legen und einige Stunden zu schlafen.


    Semir stieg um drei Uhr aus seinem BMW, ließ die Zentralverriegelung einschnappen und schlich sich leise ins Haus hinein. Schnell zog er sich die Schuhe aus, stellte sie in den Flur und sah erst nach seinen beiden Töchtern, ehe er sich dann zu Andrea ins Bett begab. Sie knurrte kurz verschlafen, als ihr Mann ihr einen Kuss auf die Stirn drückte und sich dann müde ins Kissen fallen ließ. Schnell kam der Schlaf, doch die Nacht war viel zu schnell vorbei. „Papa...Papa...aufstehen. Du musst mich in die Schule fahren.“, rief Ayda freudig und hüpfte vor dem Bett ihrer Eltern immer auf und ab. „Hmmm....ist doch noch etwas Zeit.“, kam verschlafen von Semir, der seine Tochter mit einem halb verschlafenen Auge ansah. „Nein, nein...du musst noch frühstücken...“, lachte Ayda und zog ihrem Vater die Decke weg. „Na gut, ich komm ja schon.“, gähnte Semir nur und hievte seinen Körper aus dem Bett. Wenig später war er geduscht und saß bei seiner Familie am Tisch. „Semir, holst du bitte vor Feierabend noch Milch, Butter und ein Dutzend Eier. Ich brauche das für Laylas Geburtstag am Wochenende.“, meinte Andrea. „Klar, mach ich...das hole ich schnell, bevor ich ins Büro gehe.“, meinte Semir und steckte den Zettel in seine Brusttasche. Kurz darauf waren Vater und Tochter auf den Weg zur Schule.
    „So Prinzesschen, aussteigen. Wir sind da.“, grinste Semir und half seiner kleinen Ayda, die so klein nicht mehr war, vom Rücksitz. „Hast du dein Pausenbrot?“ „Ja Papa...“, lächelte die Kleine mit den goldblonden Haaren und streckte sich ihrem Papa entgegen. Semir grinste und drückte seiner Tochter einen dicken Schmatzer auf den Mund. „Hab viel Spaß. Mama holt dich nachher wieder ab.“, rief er ihr nach. Kurz darauf war Ayda im Schulgebäude verschwunden und Semir fuhr weiter zum Supermarkt. Auch hier ging alles sehr schnell. Zum Glück war an der Kasse noch nicht so viel Betrieb und so verließ er mit Milch, Butter und Eiern den Laden sieben Minuten nach dem Betreten. Mit Vollgas ging es jetzt über die Autobahn, direkt zum Büro. Sicherlich war er der Erste. Ben war sicherlich noch nicht da, dachte Semir grinsend und lenkte seinen BMW auf den Parkplatz, wo ihm aber schon das Silber von Bens Mercedes ins Auge stach. „Wie? Ich bin Zweiter? Das kann doch nicht sein.“


    Ben lag auf der Couch und rutschte langsam zur Seite hinunter. Sein leichtes Röhren schienen die Kollegen im Gemeinschaftsraum nebenan nicht zu hören oder sie überhörten es. Nur das Poltern und den lauten Ausspruch „Verdammt“ konnten sie deutlich hören. Dieter, der gerade seinen Kaffe zu sich nahm, grinste nur. „Morgen Ben, gut geschlafen?“, fragte er, als er das Spiegelbild des Hauptkommissars in der Kaffeekanne sah. „Wie spät ist es?“, fragte Ben verschlafen. „Gleich halb neun. Du bist ja mal pünktlich zum Dienst.“, grinste er nur. „Ja, du mich auch.“, knurrte Ben, füllte zwei Tassen mit Kaffee und stiefelte dann zum Büro hinüber. „Morgen Susanne, Semir schon da?“, fragte er. „Da kommt er gerade.“, erwiderte Susanne und deutete mit dem Bleistift hinter Ben. „Morgen Partner...wie siehst du denn aus? Hast du auf einem Strohsack geschlafen?“, wollte Semir wissen und nahm Ben eine der Tassen ab. „Ich habe hier geschlafen, bin gar nicht nach Hause gefahren. Auf dem Videoband von gestern war einer ohne Vermummung und den hab ich heute morgen um drei noch durch die Datei gejagt. Müsste jetzt durch sein.“ „Vom Einbruch in die KTU? Dann sehen wir uns den doch mal an.“, meinte Semir und folgte seinem Partner.
    „Hier, das ist er.“, meinte Ben und deutete auf den großen Wandbildschirm. „Karsten Schmidt...kenn ich gar nicht.“, meinte Semir nur und ließ sich auf seinen Sessel fallen. „Ich auch nicht. Mal gucken, was er so auf dem Kerbholz hat.“, erklärte Ben und blickte in seinen PC. „Sieh mal an. Der Knabe hat schon mal gesessen. Allerdings wegen Betrugs. Von Rauschgift keine Spur.“, erklärte Ben. „Scheint, als ob er das Fach gewechselt hat. Betrug? Was oder wen hat er denn betrogen?“, wollte Semir wissen. „Ähm, ich gucke gerade... Ah ja, hier steht’s. Er hat im Internet Sachen zum Verkauf angeboten, das Geld eingestrichen, aber nicht geliefert. Das Geld ist allerdings nicht wieder aufgetaucht. Bis heute nicht.“, erklärte Ben. „Haben wir eine Adresse?“ „Nein, er scheint nirgendwo gemeldet zu sein. Vielleicht findet Susanne etwas heraus.“ „Okay, dann fahren wir jetzt erstmal zu Hartmut und dann zur Chefin ins Krankenhaus.“, erklärte Semir, trank seinen Kaffee und ging dann mit seinem Partner nach vorne. Susanne war schnell unterrichtet und schon waren die beiden Hauptkommissare verschwunden. „Hat dir die Krüger gestern noch erzählt, was das mit dem Unfall sollte?“, wollte Ben wissen. Semir nickte. Sein Blick verriet, dass es nichts gutes war. „Erzähl ich dir auf der Fahrt.“, erklärte er und startete den Motor.


    ...

  • Jochen Wehner wachte erschrocken auf. Wie spät war es denn? Schnell warf er einen Blick auf seinen Wecker. Mittlerweile war es 10 Uhr durch. Schnell sprang er aus dem Bett, wusch sich und schlüpfte in seine Jeans und sein schwarzes Hemd. Wieder setzte er sich an seine Werkbank Heute wollte er Kim ein ganz besonders Genesungsgeschenk ins Krankenhaus schicken. Doch dafür brauchte er etwas aus dem Zooladen. So fuhr er schnellstens in die Stadt und holte von einem dubios aussehenden Hinterhof eine kleine Schachtel ab. „Wo ist mein Geld?“, forderte der Asiate. Jochen zog ein Couvert hervor und reichte es dem Mann rüber. „Ist sie auch wirklich giftig?“, wollte Jochen wissen und nahm vorsichtig die kleine Schachtel in die Hand. „Oh ja...ein Biss von ihr und es ist in zehn Minuten aus, wenn keine Hilfe kommt.“, lachte der Mann, steckte das Geld ein und verschwand. Jochen sah in die Kiste, doch außer einen Sandhaufen sah er nichts. „Na hoffentlich wirst du mir gute Dienste tun.“, murmelte Jochen und fuhr wieder nach Hause. Dort präparierte er eine alte Springteufelschachtel mit dem Inhalt der Sandbox. „So, meine liebe Kim. Jetzt wird der nächste Schritt eingeleitet.“, lachte er und nahm dann ein Foto hervor. Es zeigte ein junges, blondes Mädchen mit fröhlichen, blauen Augen. „So treffe ich dich viel härter, als mit dieser kleinen Überraschung.“, lachte er und wickelte es in Geschenkpapier ein. Dann machte er sich auf den Weg zum Krankenhaus, gab die Schachtel ab und musste dann nur noch ein sehr gutes Versteck für die nächste Stufe seines Planes suchen.


    Hanna stieg aus dem Wagen. „Sehr schön gemacht, Hanna. Noch ein paar Stunden hinter dem Steuer und wir können dich zur Prüfung anmelden.“, meinte der Fahrschullehrer mit einem gewissen Stolz in der Stimme. Hanna lächelte leicht. „Jetzt schon? Aber wir haben doch erst acht Stunden auf der Straße verbracht.“, erklärte sie und rieb sich leicht an der Schulter. „Ja, aber du bist gut. Das weiß ich. Gut, die Nachtfahrt und die Autobahntour müssen wir noch machen. Alles andere haben wir schon hinter uns.“, erklärte er und reichte Hanna ihren Rucksack hinüber. „Danke...ich fühle mich aber noch nicht so sicher. Bitte, lassen sie uns noch einige Stunden machen.“, bat Hanna. Der Lehrer lächelte nur. „Okay, dann treffen wir uns morgen hier wieder. Du hast doch noch die ersten beiden Stunden frei, oder?“, fragte er. Hanna nickte nur. „Danke...dann bis morgen.“, verabschiedete sie sich. Der Mann setzte sich ins Auto und verschwand hinter der nächsten Biegung. Hanna war nur eine Straße von ihrer Schule entfernt. Dass ihr ein schwarz gekleideter Mann in Joggingsachen folgte, bemerkte sie nicht. Ihr Ipod schoss laute Musik in ihre Ohren und nahm jegliche Wahrnehmung. Ihre Augen sahen immer auf die Straße. Plötzlich wurde sie von zwei dicken Armen umschlungen, ein Lappen presste sich auf Mund und Nase. Sie wollte schreien, doch beim ersten Atemzug stieg ihr schon der beißende und betäubende Geruch in die Lungen. Nach wenigen Augenblicken verlor sie das Bewusstsein und hing wie ein nasser Sack in den Armen des Angreifers. Keiner war auf der Straße. Und als der Angreifer sie in einen kleinen Transporter schleifte und abfuhr, blieb nur ihr Ipod und ein grau-weißer Slipper zurück.


    Hartmut hielt sich das Kühlpad an die Nase. Noch immer schmerzte es und an Schlaf war in dieser Nacht überhaupt nicht zu denken. „Hartmut, wir sind es.“, hörte er dann die Stimme von Semir durch die Halle schallen. Er drehte sich vorsichtig um und schon standen die beiden Hauptkommissare vor ihm. „Semir, was kann ich für euch tun? Habt ihr schon den Kerl von gestern Nacht gefunden?“, wollte Hartmut wissen. „Wir sind dran, aber jetzt brauchen wir erstmal die Ergebnisse der Proben, die du für Frau Krüger analysieren solltest.“, meinte Semir nur. „Die Proben? Was für...ach, du meinst die Schachtel und die Puppe. Sollt ihr das Frau Krüger bringen? Hat sie euch drum gebeten?“ Ben verdrehte die Augen. „Hartmut, glaub es uns einfach. Wir fahren gleich zu Frau Krüger. Gib uns einfach die Mappe oder sag uns wenigstens, was du herausgefunden hast.“, kam es stöhnend von Ben. „Okay, ich geb sie euch. Hab sie sowieso gerade fertig gemacht. Kommt einfach mit nach hinten.“, forderte der Techniker und ging vor.
    „Hier, das ist er. Jedenfalls laut den Fingerabdrücken.“, erklärte der Techniker etwas schniefend. „Jochen Wehner... hast du dazu auch die Adresse?“, fragte Semir. „Sicher, alles da. Wisst ihr, dass Frau Krüger Schuld am Tod seiner Tochter hat?“ „Wissen wir, außerdem war es ein Unfall.“, meinte Semir etwas schroff, nahm die Akte und verschwand dann. „So, und wohin jetzt?“, wollte Ben wissen. „Direkt ins Krankenhaus. Mal sehen, ob Frau Krüger etwas zu den Fotos einfällt. Vielleicht erkennt sie ja den Mann als Fahrer auf der Autobahn wieder. Immerhin waren die beiden Fahrzeuge auf Augenhöhe.“, erklärte Semir und ließ sich auf den Sitz fallen, startete den Motor und fuhr dann los. Keine dreißig Minuten später waren sie im Marienhospital und gingen den Gang zu Kims Zimmer hinunter. „Ob wir sie schon stören können?“ Bens Blick fiel dabei auf die Ärzte, die in den Zimmern Visite hielten. Plötzlich ein greller Schrei. Der Stimme nach war es Kim. „Ich glaub, da stört schon jemand.“, stieß Semir aus und riss die Tür auf. Ihm stockte der Atem, als er sah, was im Zimmer war.


    „Chefin...“ „Semir...sehen...sehen sie das Ding?“, stieß Kim aus und verhielt sich ganz ruhig. Vor ihr stand die Springteufelbox. Doch wo eigentlich der Kopf des Springteufels sein sollte, war das aufgerissene, mit scharfen, gebleckten Zähnen versehene Kopf einer aufgebäumten Kobra. „Lebt...lebt das Ding?“, fragte Ben und machte einen Schritt ins Zimmer hinein. „Ich...ich will es...es nicht wissen.“, stammelte Kim und zog die Decke nur weiter ans Kinn heran. Semir machte ebenfalls einen Schritt nach vorne, doch das Ding reagierte nicht. Vorsichtig nahm er das Kissen vom Nachbarbett, zog den Bezug ab und kam damit auf den Servierwagen zu. Schnell warf er den Bezug über das Ding, zog es vom Tisch und sackte es ein. Dann schlug er damit drei Mal gegen die Wand. „Nur zur Sicherheit. Die Spuren sind damit zwar hin. Aber besser, als das sie draufgehen.“, erklärte Semir leicht schwitzend und stellte den Beutel hin. „Semir, Ben...da...danke, dass sie hier sind.“, meinte Kim aufgelöst und sackte leicht im Bett hinunter. „Wir wollten eigentlich ihnen nur die Ergebnisse von Hartmut vorbei bringen und dann gleich weiter zu diesem Karsten Schmidt. Er ist der Mann, der auf den Überwachungsbildern der KTU zu sehen ist.“, erklärte Ben. „Kenne ich nicht. Was....was ist mit Jochen Wehner?“, fragte Kim. „Wir werden danach zu ihm fahren. Susanne sucht noch die Meldeadresse raus.“, erklärte Semir. „Gut...sehr gut.“ Kim schluckte schwer. „Ich...ich hoffe, dass ich hier schnell wieder raus bin.“ „Chefin, wenn sie es erlauben, würden Ben und ich gerne in ihre Wohnung. Sie haben doch gesagt, es gab anonyme Schmierereien. Und dann können wir ihnen auch ein paar Sachen mitbringen.“, meinte Semir. „Das...das wäre nett. Der Schlüssel ist in meiner Tasche.“ Sie deutete auf den Schrank. Semir nickte und nahm den Schlüssel raus. „Wir melden uns, wenn wir etwas haben.“, meinte der Deutschtürke und ging mit Ben zum Wagen. „Dann mal auf zu Karsten Schmidt.“


    ...

  • Karsten und Jan lagen noch im Bett. „Komm, wir müssen langsam aufstehen. Wir wollen doch das weiße Gold unter die Leute bringen.“, lächelte Jan und zog seinem Freund die Bettdecke weg. „Ich komme ja schon.“, knurrte Karsten gespielt und erhob sich. Schlurfend ging er ins Bad und duschte ausgiebig. Jan und er waren gerade beim gemeinsamen Frühstück, als es an der Tür klingelte. Kurz darauf pochte jemand heftig dagegen. „Polizei, machen sie bitte die Tür auf.“, rief eine Stimme. Die beiden Männer sahen sich erschrocken an und ergriffen sofort die Flucht. Die Tüten mit dem weißen Pulver ergriff Jan, doch in diesem Moment flog die Tür auf und ein kleiner Mann mit südländischem Aussehen warf sich auf ihn. „Keine Chance, Freundchen. Wir haben euch schon draußen poltern gehört.“, fauchte der ziemlich kräftige Kerl. „Karsten, hau ab...verschwinde.“, schrie Jan nur noch, als er sah, dass ein zweiter Kerl mit Struwelfrisur sofort auf Karsten losgehen wollte. Doch Jans Freund sprang durch die offene Balkontür und war außer Sichtweite. „Ist heut wohl nicht euer Tag, was?“, grinste Jan nur. „Die Witze hier reiße ich. Und hier ist ein echter Brüller, ich verhafte sie wegen Einbruchs mit Körperverletzung und Drogenhandels.“, erklärte der Südländer, ließ die Stahlfesseln um die Handgelenke von Jan einrasten und zog ihn auf die Füße. „Mein Kollege wird deinen Freund schon kriegen.“
    Karsten hechtete vom Balkon auf ein Vordach und sprintete weiter, ließ sich an der Regenrinne auf die Mülltonnen hinunter und rannte auf die Straße. Er wusste, dass seine Puste für ein Entkommen nicht ausreichen würde. „Hey, stehen bleiben.“, hörte er hinter sich nur seinen Verfolger rufen. Doch Karsten dachte nicht daran, so einfach aufzugeben. Er war zwar schwul und kriminell aber nicht blöd. Er rannte weiter und dabei auch fast einige Passanten um, was seine Geschwindigkeit und seinen Abstand deutlich verringerte. Immer wieder schnellte Karsten nach vorne, doch bald merkte er auch, wie seine Lungen brannten und Seitenstiche einsetzten. Er warf einen Blick nach hinten. Der Polizist mit den Wuschelhaaren und der hellbraunen Lederjacke war immer noch hinter ihm her. Karsten sah keine Rettung mehr. Bald würden ihm die Beine schlapp werden, doch da sah er eine neue Möglichkeit vor sich.


    Ben sah, wie der Mann die U-Bahntreppen hinunter hechtete. Hoffentlich trug er keine Waffe bei sich, dachte Ben nur und hoffte innerlich, dass kein Zug in der Station war. Ansonsten würde ihn dieser Kerl entkommen. Und das vertrug Bens Ego überhaupt nicht. „Halt, bleib stehen.“, rief Ben nur und zückte seine Waffe, doch es waren zu viele Passanten auf der Straße und einige sahen ihn schon entsetzt an. Okay, so kann ich es nicht machen, dachte er nur, steckte sie wieder ins Halfter und rannte weiter. Noch war der Mann nur ungefähr 10 Meter von ihm weg. Der Mann hechtete die Stufen hinunter, während sich Ben durch die Menge an Passanten kämpfte. Heute schien auch wirklich alles auf den Beinen zu sein. Er sah Karsten noch zu den Bahnen verschwinden, also hechtete er mit einem Sprung die Treppe hinunter. Er rollte sich ab und raffte sich sofort wieder auf. Er sah den Mann noch und hörte plötzlich einen Zug einfahren. „Oh nein, nicht mit mir, Freundchen...“, fauchte Ben und legte einen sensationellen Sprint hin. Sein Gegner war nur noch wenige Meter entfernt. Ben musste es wagen. Er stieß sich von der oberen Stufe ab und warf sich auf den Mann, riss dabei noch zwei andere Passanten mit sich zu Boden, doch das war ihm egal. Er hatte den Kerl. „Karsten Schmidt, ich nehme sie fest. Jetzt hat es sich ausgelaufen. Keiner entkommt Ben Jäger...“, keuchte Ben und legte dem jungen Mann die Handschellen an. „Was...was wollen sie überhaupt von mir? Ich habe nichts getan.“, stieß der Mann aus und verzog schmerzvoll sein Gesicht. Durch den Sturz hatte er Abschürfungen im Gesicht und an den Armen. „Ach nein? Und warum sind sie dann abgehauen? Glauben sie nicht, sie können mich verarschen. Keine Sorge...sie kommen jetzt erstmal mit mir und dann plaudern wir ein bisschen.“, grinste Ben und verließ mit Karsten im Schlepptau die U-Bahnstation.


    Semir sah Ben wiederkommen. „Wie siehst du denn aus? Hast du dich im Dreck gesuhlt?“, lachte Semir nur und wies auf Bens zerrissene und dreckige Hose hin. „Ich hab den Bahnsteig einer U-Bahnstation gewischt.“, erwiderte Ben nur und stieß Karsten auf den Deutschtürken zu, der ihn sofort auf den Rücksitz stieß. „So, die bringen wir erstmal zum Revier und dann fahren wir in die Wohnung von Frau Krüger.“, erklärte Semir. Ben nickte und stieg ein. Sie fuhren los und wenig später waren sie in der PASt und lieferten die beiden Männer ab. „So, wir sprechen uns gleich. Und machen sie sich auf ein paar ungemütliche Stunden gefasst.“, fauchte Semir, schlug die Tür des Verhörzimmers zu und ging zu Ben vor. „So, wollen wir los?“ „Sag mal, wollen wir die nicht gleich in die Mangel nehmen? Ansonsten sind die spätestens in 48 Stunden wieder draußen. Du weißt doch, wenn wir uns in eine Sache verbeißen, vergessen wir alles andere.“, schlug Ben vor. „Okay, dann machen wir aber schnell. Ich will noch heute in die Wohnung von Frau Krüger. Ich will ihren Schlüssel nicht ewig in der Tasche haben.“, meinte Semir und beide gingen dann zum Verhörzimmer zurück. Karsten und Jan blickten auf. „Okay, wollt ihr mir freiwillig verraten, was es mit den Drogen und dem Einbruch in die KTU auf sich hat oder müssen wir es erst aus euch herauskitzeln?“, fragte Semir bestimmend.
    Karsten sah zu Jan und nickte dann. „Okay, wir...wir reden mit ihnen. Ich sage ihnen alles.“, erklärte der mit mäßigen Muskeln ausgestattete Kerl, der auf die Kommissare eigentlich einen vernünftigen Eindruck machte. „Dann mach mal deine Schnute auf.“, forderte Ben. „Es...es war alles meine Idee. Jan trifft keine Schuld.“, erklärte er. „Nein Karsten, das...das stimmt nicht. Das Geld habe ich doch verloren und...“, kam es empört von Jan. „Wenn sie mit dem Schmierentheater aufhören, dann können sie uns vielleicht erklären, wo sie den Stoff hergehabt haben, den wir mitsamt dem Wagen sichergestellt haben.“, knurrte Semir. „Das war so. Ich hatte beim Spielen die Einnahmen für einen ganzen Monat verloren.“, fing Jan an. „Doch der Mann, an den ich verloren hab, bot mir an, mir die Schulden zu erlassen, wenn ich für ihn eine bestimmte Menge an Heroin in einem Wagen von Basel nach Köln bringe und da verkaufe. Aus dem Verkauf sollten wir 30 Prozent behalten dürfen. Das wären mehr als das Dreifache meiner Schuldensumme gewesen.“, erklärte Jan und sah zu Karsten. „Wir...wir haben zwei Jungs gefunden, die das Auto für uns nach Köln bringen. Hier wollte ich den Wagen übernehmen und die beiden dann dementsprechend bezahlen. Doch, sie kamen nicht. Durch die Nachrichten erfuhren wir dann, wo unser Stoff war. Der Rest war dann ganz einfach.“, meinte Karsten. „Die beiden Jungs hatten eine Waffe bei sich und haben auf uns geschossen. Haben sie ihnen die Pistole besorgt?“ „Nein, nein....wir haben mit Waffen grundsätzlich nichts am Hut. Wir...wir sind friedliche Menschen. Selbst, als wir in die KTU waren und dem Techniker einen Nasendämpfer verpasst haben, tat es uns leid.“ Semir nickte nur. „Gut, da sie geständig sind, denke ich, werdet ihr noch mal mit einem blauen Auge davon kommen. Es sei denn, ihr helft den Kollegen vom Drogendezernat, den Hintermann zu bekommen.“ Sofort nickten die Beiden. „Das...das machen wir...“


    ...

  • Kim lag im Bett und sah auf, als der Arzt zur Tür reinkam. „So Frau Krüger, ich denke, wir können sie entlassen. Die Rippen werden noch eine Zeitlang weh tun, aber dafür gebe ich ihnen ein Rezept für ein Schmerzmittel mit. Und dann ist hier ihre Krankschreibung.“, erklärte der Mediziner und reichte Kim ein kleines Zettelchen. „Danke, aber ich kann nicht zu Hause sitzen und mich auf der Couch langweilen.“, erklärte Kim und schlug die Bettdecke zurück. Der Arzt schloss seine Akte und ließ seinen Kopf auf die Brust sinken. „Frau Krüger, ich will ehrlich sein. Sie haben einen mächtigen Unfall verursacht. Es ist nur für ihr eigenes Wohl, dass ich sie weitestgehend beurlaube.“, erklärte der Arzt und verließ dann das Zimmer. „Was wissen sie schon...“, knurrte Kim und zog ihre Kleidung an. Plötzlich klingelte das Telefon auf ihrem Zimmer. Da sie Semir vermutete ging sie ran, sonst hätte sie es klingeln lassen. „Semir, was gibt es?“, meldete sie sich. „Tante Kim...bitte, bitte hilf mir...“, hörte sie ihre Nichte durch die Leitung schluchzen. „Hanna, was...was ist los?“, fragte Kim aufgeregt und umklammerte mit festen Händen den Hörer. „Hallo Kim...“, hörte sie plötzlich die Stimme von Jochen Wehner. „Wehner, was haben sie mit meiner Nicht gemacht? Lassen Sie sie sofort frei.“, fauchte sie. „Nein...sie haben meine Tochter auf dem Gewissen. Jetzt werde ich das Gleiche mit ihrer über alles geliebten Nichte machen. Doch noch haben sie eine Chance, sie zu retten. Kommen sie zum Zentralfriedhof, zum Grab meiner Tochter. Dann werde ich ihnen Hanna vielleicht wiedergeben.“, lachte der Mann und legte auf. Kim blickte den Hörer erschrocken an. „Verdammt...“, fluchte sie nur, streifte sich die restlichen Sachen über und war drauf und dran das Krankenhaus zu verlassen.


    Semir und Ben sahen den beiden Männern nach. „Na, die sind für immer bekehrt.“, lächelte Semir zufrieden. „Scheint so. Muss aber nichts heißen.“, erwiderte Ben und wollte in ihr gemeinsames Büro gehen, als Susanne sie aufhielt. „Jungs, da will euch jemand sprechen.“, meinte Susanne. „So, wer denn? Ist es einer dieser hochgestellten, Anzug tragenden Schimpansen aus dem Innenministerium?“, fragte Ben. „Also Ben...ich bitte dich.“, kam es von Semir. „Schimpansen sind wesentlich intelligenter.“ Die Kommissare grinsten sich an. „Er hat nicht gesagt, wer er ist. Anscheinend geht es aber um den Unfall von Kim.“, erklärte sie hinter vorgehaltener Hand. Beide Kommissare lugten hinüber zum Büro. „Sicher wollen die am Stuhl der Chefin sägen. Da bin ich mir sicher.“, grummelte Semir und schritt mit Ben auf die Tür zu.
    Semir klopfte kurz und öffnete dann die Tür. „Äh entschuldigen sie mal, was machen sie da?“, fauchte Semir sofort, als er einen jungen Mann am Schreibtisch der Chefin sitzen sah. Er war etwas jünger als Ben, sein Gesicht verriet aber Entschlossenheit und große Selbstsicherheit. Wahrscheinlich schien er auch arrogant zu sein. Jedenfalls verriet dies das aufgesetztes Lächeln. Der Mann ließ die Akte sinken und legte seine mit blank geputzten Schuhe versehenen Füße auf den Tisch. „Sie sind sicher die Kommissare Jäger und Gerkhan...nicht wahr?“, fragte er und ließ nicht von seinem Lächeln ab. „Gerkhan und Jäger...“, berichtigte Semir ihn und zeigte als erstes auf sich und dann auf Ben. Der Mann nickte zustimmend. „Und jetzt, wer sind sie? Und nehmen sie gefälligst die Füße von diesem Tisch. Der gehört nicht ihnen.“, fauchte Semir mit lauter Stimme. „Doch, das tut er. Jedenfalls bis auf weiteres.“, meinte der Mann, zückte aus seinem Jackett ein Schreiben und reichte es den beiden Kommissaren rüber. „Ich fasse mal zusammen, was dort steht. In Anbetracht des nicht geklärten Unfalls mit vier Schwer- und drei Leichtverletzten, verursacht durch die Kriminalrätin Kim Krüger, wird eben jene genannte Kriminalrätin bis auf unbestimmte Zeit vom Dienst freigestellt.“, erklärte der Mann. Semir nickte und war fassungslos. „Und wer...wer sind dann sie?“, fragte Ben. Der Mann erhob sich, zog sein Jackett gerade und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. „Mein Name ist Patrick Finke. Ich bin studierter Kriminologe und übernehme bis auf weiteres die Funktion von Kim Krüger.“, erklärte der Mann und lächelte spitzbubenhaft, ja fast siegessicher.


    Hanna sah ängstlich auf den Mann. Ihre Hände und Füße waren mit silbernem Klebeband zusammengebunden, doch ihr Entführer ließ den Knebel und die Augenbinde weg. „Was...was haben sie mit mir vor?“, fragte sie vorsichtig und rührte sich nicht. Doch der Mann blickte sie nur an, ließ das Handy kreisen. „Keine Sorge, das erfährst du schon. Deine Tante wird dabei eine große Rolle spielen.“ „Meine Tante? Was...was hat Tante Kim damit zu tun?“, kam es erschrocken von Hanna. „Das wirst du noch früh genug erfahren und jetzt wird nicht mehr gefragt. Ich werde uns jetzt was zu essen machen und dann bist du ruhig. Ich will dich nur ungern knebeln müssen. Haben wir uns verstanden?“, fragte er mit gefährlich leiser Stimme. Sofort nickte Hanna. Sie wollte nicht geknebelt werden. Dieser Mann....was wollte er nur von Tante Kim?
    Jochen ging in den Nebenraum und atmete tief ein. Was war das? Sein Puls raste und sein Gehirn pochte ununterbrochen. Er öffnete die Tür einen Spalt und sah das Mädchen an. Es...es sah genau aus wie seine Melanie. So hatte er sie immer vor sich gesehen, als sie noch ein kleines Baby war. Immer wieder sagte er ihr, wie sie einmal aussah. Doch das konnte er jetzt nicht. Er konnte nicht dies Zeit mit seiner eigenen Tochter durchmachen. Wie sie den ersten Freund mit nach Hause bringt, den ersten Liebeskummer zu durchleben versucht. All das wurde ihm genommen. Und zwar, von Kim Krüger. Was war das bloß? Immer, wenn er einen Blick auf das Mädchen warf, tat ihm alles weh. Er...er musste hier raus. Nur für einen Augenblick. Jochen rannte den Gang entlang und gelangte ans Tageslicht. Heftig atmete er ein und wieder aus. Er brauchte einen kühlen Kopf. Was war los mit ihm?


    ...

  • Kim schloss die Tür des Zimmers. „Frau Kim Krüger?“, fragte plötzlich eine tiefe, vollkommen trocken klingende Stimme. Sie drehte sich um und blickte zwei große Männer an. „Ja bitte...“ „Frau Krüger, wir müssen sie bitten, mit uns zu kommen. Wir haben einen Haftbefehl gegen sie.“, meinte einer der Männer und zog ein Stück Papier hervor. „Was? Was, warum das denn?“, fragte Kim sofort. „Das kann ich ihnen sagen. Einer der Verletzten ist soeben seinen schweren Verletzungen erlegen.“ Für Kim war die Nachricht wie ein Schlag vor den Kopf. Sie...sie war Schuld am Tod eines Menschen. Das konnte doch nicht sein. „Kommen sie bitte mit.“, forderten die beiden Männer und nahmen Kim zwischen sich. „Nein. Hören sie, das....sie können mich nicht verhaften. Hören sie doch.“, stieß Kim immer wieder aus und versuchte sich aus dem Klammergriff zu befreien. Doch die beiden Beamten hielten sie fest wie ein Schraubstock ein Stück Holz. „Erzählen sie uns nichts. Sie saßen am Steuer, also sind sie auch gefahren.“ „Mein...mein Wagen wurde manipuliert. Ich...ich konnte nicht bremsen, sondern nur noch beschleunigen.“, versuchte Kim die beiden Männer von ihrer Unschuld zu überzeugen. „Ja sicher, haben sie dafür Beweise?“, verhöhnte sie einer der Beamten. „Mein Wagen...er...er muss untersucht werden.“ „Von ihrem Wagen ist nichts mehr übrig. Da gibt es nichts zu mehr zu untersuchen.“, erklärte der Mann und öffnete die hintere Wagentür. „Steigen sie ein.“, forderte er. „Kann ich wenigstens noch einen Anruf machen? Mir steht ein Anruf zu.“ „Sicher, aber das können sie auf der Wache machen.“, erklärte der Mann.


    Semir sah den Mann mit einem ungläubigen Gesicht an. „Sie? Sie übernehmen... Nein, das glaube ich nicht. Sie werden diese Station nicht übernehmen. Laut Polizeiverordnung hat bei Abwesenheit der Kriminalrätin der dienstälteste Hauptkommissar die Leitung der Station inne.“, fauchte Semir und sah den Mann an. Wieder kam nur ein höhnisches Lächeln und Patrick Finke zog einen weitere Zettel aus seiner Tasche und reichte ihn an Semir weiter. „Das ist eine Anordnung, unterschrieben vom Polizeipräsidenten und von Oberstaatsanwältin Isolde Maria Schrankmann.“, erklärte er und steckte seine Hände in die Hosentaschen. Semir und auch Ben wussten nicht, was sie sagen sollten. Ihre Chefin war verhaftet worden. „Sie sehen also, ich bin durchaus berechtigt, diese Stelle auszuüben. Und, ich weiß um ihre Verlustliste an Dienstwagen. Meine Vorgängerinnen scheinen in dieser Hinsicht immer sehr kulant gewesen zu sein. Seien sie sicher, ich bin es nicht. Hat ihr Dienstwagen auch nur einen Kratzer in der Seite, dann werden sie die restlichen Monate dieses Kalenderjahres zu Fuß Streife, und zwar die Rheinpromenade auf und ab.“, meinte er. „Glauben sie nicht, dass sie lange auf diesem Stuhl sitzen.“, fauchte Semir los. „Unsere Chefin ist unschuldig und wir werden es beweisen.“ „Einen Dreck werden sie. Für diesen Fall sind ab sofort die Kollegen vom LKA zuständig. Sollte ich sie bei einer Einmischung erwischen, dann können sie sich warm anziehen.“ Ohne ein weiteres Wort verließen Semir und Ben wütend das Büro und ließen den Mann einfach stehen.


    „Was denkt sich dieser arrogante, aufgeblasene Mistkerl? Dass wir unsere Chefin einfach im Stich lassen, das glaubt der doch wohl selbst nicht.“, zischte Semir und schlug die Tür hinter sich zu. Ben teilte Semirs Gedanken. „Was denken die sich eigentlich in der Chefetage?“, knurrte auch er los und ließ sich in seinen Stuhl fallen. Doch Ben konnte nur mit den Achseln zucken. „Du glaubst doch nicht wirklich, dass die denken, oder? Die entscheiden einfach und denken nicht an menschliche Schicksale.“, erwiderte der junge Hauptkommissar und lehnte sich zurück. Doch Semir sprang auf. Er wollte gerade zu Susanne vorgehen, als sein Handy klingelte. „Gerkhan?“ „Semir, hier ist Kim Krüger. Ich…ich wurde soeben verhaftet.”, hörte er die Chefin am anderen Ende der Leitung. „Ja Chefin, das...das wissen wir. Stellen sie sich vor, die haben uns schon ihren Nachfolger vor die Nase gesetzt. So ein kleiner Erbsenzähler, der sich wichtig nimmt und...“ „Semir, hören sie mir zu. Sie müssen mich hier raus holen. Wehner, er...er hat Hanna entführt. Ich muss mich mit ihm treffen. Ansonsten bringt er sie um.“ Trotzt der Schwere der Situation ließ sich Semir zu einem kurzen Grinsen verleiten. „Fordern sie mich etwa gerade zu einem direkten Regelverstoß auf?“ „Semir...“, knurrte sie nur. „Schon gut...Ben und ich sind auf dem Weg. Wir lassen uns etwas einfallen.“, meinte Semir und legte dann auf. Sein Partner sah Semir an. „Holen wir sie?“, fragte Ben. Semir nickte nur. „Dann mal los.“
    Der BMW schnellte über die Autobahn und kam wenig später vor dem LKA an. „Und wie wollen wir Kim rausholen?“, fragte Ben. Semir sah ihn an und erblickte dann die Einfahrt zur Tiefgarage. „Ich hab da schon eine Idee. Du löst auf der Etage Feueralarm aus, sobald ich dich anrufe und dann werden wir mit Kim in die Tiefgarage runterfahren und abhauen.“, erklärte Semir, während er in das Kellergeschoss fuhr. „Und du glaubst, die lassen uns dann so einfach ziehen? Semir, irgendwie gefällt mir dein Plan nicht.“, meinte Ben. „Hast du eine bessere Idee? Dann immer raus damit.“, forderte der Deutschtürke und parkte nahe den Aufzügen und der Tür. Ben überlegte kurz und drehte dann langsam seinen Kopf zu Semir. Sein breites Grinsen verriet seinem Partner, dass Ben eine bessere Idee im Kopf herumschwirrte. „Grins nicht so. Lass sie schon raus, bevor dein Kopf platzt.“, lachte der Deutschtürke. „Also pass auf...das mit dem Feueralarm ist ja nicht schlecht, aber wir müssen die beiden Kommissare irgendwie wegsperren. Jedenfalls so lange, bis wir mit der Chefin verschwunden sind.“, meinte Ben. „Das wird schwierig. Es sei denn, Kim sucht die Toilette auf. Dann könnte es einfacher werden.“ „Okay, so machen wir es.“, grinste Ben und stieg aus.


    ...

  • „Frau Krüger, geben sie doch zu, dass sie nicht nüchtern hinter dem Steuer saßen.“, fauchte Lutz Reichelt die Frau an, die still und abwartend auf einem Stuhl in der Mitte des Büros saß. Klaus Feger beobachtete jegliche Regung der Frau. In der Hand hielt er eine Akte mit Fotos. „Wollen sie mal sehen, was sie angerichtet haben?“, fragte er und legte dann die Fotos auf den Tisch. Immer eins neben das andere, manches schlimmer als das vorhergehende. „So, und jetzt sagen sie uns noch einmal, dass alles ein tragischer Unfall war.“, forderte er und sah Kim an. Müde sah Kim zu den beiden Männern auf. „Bitte, sie verhören mich jetzt schon seit zwei Stunden. Meinen Anruf durfte ich erst vor einer dreiviertel Stunde machen. Wissen sie, wie sehr anstrengend ihre Fragen sind?“, kam es nur von der Kriminalrätin. „Aus Erfahrung wissen wir das, ja. Aber sie weichen aus. Geben sie uns endlich eine Antwort.“, fauchte der Mann und schlug mit der Faust auf den Tisch. Kim zuckte zusammen. Es klopfte und wenig später standen Semir und Ben im Büro. „Sieh mal an, die Chaoskompanie von der Autobahn.“, grinste Reichelt und verschränkte die Arme vor der Brust. Semir zog die Mundwinkel kurz hoch und sah dann auf Kim. „Wie geht es ihnen, Chefin?“, wollte er wissen.
    Kim nickte nur und blickte Semir an. Er nickte kurz und legte ihr die Hand auf die Schulter. Kim fuhr mit der Hand zu seiner und zog sie dann wieder zurück. Unter der Handfläche hielt sie einen kleinen Zettel verborgen, den Semir ihr mit seiner Hand gab. „Kann ich...kann ich bitte mal auf die Toilette?“, fragte Kim nach. „Sicher, aber ich werde vor der Tür stehen bleiben. Nur als reine Vorsichtsmaßnahme.“, lächelte Feger und ging mit Kim und Ben nach draußen. Klaus sah Ben warnend an, dieser blieb zurück und zückte sein Handy. Kim betrat die Toilette und schloss sich ein. Schnell nahm sie den Zettel aus ihrem Ärmel und faltete ihn auseinander. „Täuschen sie einen Bauchkrampf vor. Alles andere überlassen sie Ben und mir.“, las sie nur. Was haben sich diese beiden Verrückten wieder ausgedacht, dachte Kim nur und sah sich um. Sie war allein auf der Toilette. Also ging sie dicht vor eine offene Kabine und ließ sich fallen. Kim begann daraufhin, zu schreien und zu stöhnen. Sie war überrascht, wie gut sie doch schauspielern konnte. Einen Augenblick später hörte man die Tür und Klaus Feger war über sie gebeugt. „Hey, alles in Ordnung mit ihnen? Frau Krüger...hören sie mich.“ Doch im nächsten Moment holte Kim aus und stieß den Mann in eine der Kabinen. Ben, der hinter Feger reingekommen war, zog die Tür rann und blockierte sie mit dem Stiel eines Mobs, der in der Ecke stand. „Und jetzt nichts wie raus.“, meinte er zu Kim. Plötzlich schrillte im Flur die Alarmglocke des Feueralarms los. „Das war Semir. Wir haben nur wenige Minuten.“ Im Flur trafen sie tatsächlich auf Semir, an dessen Ellenbogenärmel noch kleinere Glassplitter hafteten. „Jetzt schnell zur Tiefgarage.“, meinte er. „Was ist mit Reichelt?“, wollte Kim wissen. „Ich habe ihn in seinem Büro eingesperrt. Er war mächtig sauer, als ich ihm die Tür vor der Nase zuzog und mit seinem eigenen Schlüssel abschloss.“, grinste der Deutschtürke nur. Kim konnte nicht fassen. Doch sie war in diesem Augenblick froh, dass sie solche Leute in ihrer Truppe besaß.


    Jochen lief zum nahegelegen MacDonalds und holte vier Cheeseburger und zwei Packungen Chicken Nuggets. Das sollte reichen. Im Wagen waren noch zwei Flaschen Wasser. Immer wieder sah er sich um, ob ihm auch keiner folgte. Jochen, du wirst schon paranoid, schallte er sich und lief ohne Umwege zum Haus zurück. Er verschwand in der Ruine und ging geradewegs zum Raum hinüber, wo er Hanna eingesperrt hatte. Mit verweinten Augen sah sie auf und zuckte zusammen, als sie ihren Entführer in der Tür stehen sah. Seit zwei Stunden versuchte sie, das Klebeband am rostigen Rohr durchzuscheuern. Vergebens aber. Der Mann kam auf sie zu und kniete vor ihr. „Hier, ich habe dir was zu essen gebracht. Ich will ja nicht, dass du verhungerst.“, meinte er und hielt Hanna einen ausgewickelten Cheeseburger vor die Nase. Nur zögerlich näherte sich die Kleine mit dem Mund und biss dann in das Brötchen mit dem Fleisch und den wabbeligen Käse hinein. „Was...was wollen sie von meiner Tante?“, fragte sie, nachdem sie den ersten Bissen in ihrem Hals verschwinden ließ. „Keine Angst, dir wird nichts passieren. Kim und ich werden uns nur unterhalten. Da sie aber nie freiwillig zu mir gekommen wäre, musste ich dich leider entführen.“, meinte er und schien es ernst zu meinen. Hanna blickte in seine Augen. Sie sahen so traurig aus, doch da war auch etwas anderes. Etwas böses. Hanna musste extrem vorsichtig sein. Dieser Kerl wollte etwas von Kim. Wahrscheinlich wolle er sie töten...Nein, nein, das durfte Hanna nicht zulassen. Der letzte Burger war verdrückt und schon hielt der Mann ihr die Wasserflasche hin. Gierig trank sie und ließ das erfrischende Nass ihre Gurgel hinuntergleiten. „Keine Angst, wenn Kim hier ist, lasse ich dich frei.“, meinte er und verschwand wieder. Hanna sah ihm nach. Konnte sie ihm trauen?


    Semir, Kim und Ben rannten die Treppen in die Tiefgarage hinunter und sprangen in den BMW des Deutschtürken. Mit quietschenden Reifen machte er kehrt und fuhr auf die Ausfahrt zu. „Ob die uns freiwillig rauslassen?“, fragte Ben. „Sehen wir mal, aber wenn nicht, wird das ungemütlich für uns oder für die Schrankenstange.“, grinste Semir und fuhr direkt darauf zu, stoppte nicht. „Semir!!!“, stieß Ben aus und tauchte ab. Im letzten Moment ging aber die Schranke hoch und der BMW konnte ohne Kratzer aus der Tiefgarage fahren. „Was denn? Ist doch alles easy.“, grinste Semir nur und fuhr dann so schnell es die Straßenverkehrsordnung und der zäh fließende Verkehr zuließ vom LKA weg. Kim sah sich um. „Wo wollen sie mich unterbringen?“, wollte sie wissen. Ben drehte sich um. „Bei meinem Vater. Er ist momentan wieder in England und seine Villa steht leer. Da ist nur Willi, der langjährige Hausangestellte meines Vaters. Er ist zwar schon an die 60 Jahre alt, aber ein lieber und vollkommen verschwiegener Mann. Wenn ich ihn um etwas bitte, dann macht er es auch.“, erklärte Ben. Kim gefiel das ganz und gar nicht. „Ich werde mich nicht verstecken. Hanna ist von diesem Wahnsinnigen entführt worden. Mein Bruder wird mir nie verzeihen, wenn ich sie im Stich lassen.“, erklärte sie. Semir sah Ben an. „Aber wir müssen sie erstmal vor dem Zugriff der Kollegen und vor allem vor diesen Pinkel schützen.“, meinte Ben. „Der Kerl heißt Finke, aber ein Pinkel ist er auch.“, grinste Semir nur und fuhr raus ins Villenviertel zur Jägerschen Villa. Als der BMW abbremste, sprang Kim als erstes raus. „Das eine sag ich ihnen, ich lasse mich von ihnen hier nicht einsperren. Ich will diesen Kerl finden und Hanna wieder zu ihren Eltern bringen.“, fauchte sie, doch Semir und Ben brachten sie erstmal ins Haus. „Chefin, es ist wirklich sicherer, wenn sie hier bleiben. Überlassen sie Wehner uns.“, forderte Semir. Kim stieß nur einen Schnaufer aus, musste sich aber geschlagen geben. Doch hier würde sie niemand lange halten können.


    Wilhelm Martenstein, von allen nur Willi genannt, sah auf die Ausfahrt hinaus. „Na das ist ja eine Überraschung.“, stieß er aus und rannte zur Tür. „Ben, das ist ja eine Freude. Wen hast du denn da mitgebracht? Dein Vater ist übrigens nicht da.“, erklärte der alternde Hausangestellte. Ben grinste nur. „Das weiß ich. Willi, es geht auch um etwas anderes. Meine Chefin braucht für einige Tage eine sichere Unterkunft und du könntest vielleicht Gesellschaft gebrauchen.“, meinte Ben und umarmte den kleinen Mann, der etwa einen Kopf größer als Semir war. „Gesellschaft kann ich immer gebrauchen.“, lächelte er und sah dann Kim an, reichte ihr die Hand. „Hallo, ich bin Wilhelm Martenstein, aber bitte sagen sie Willi zu mir. Das tun alle.“, erklärte er und fummelte in seiner Weste nach der Taschenuhr. „Ihr sied ja gerade richtig. Das Teewasser hat schon gekocht. Kommt alle rein. Übrigens siezen gibt es bei mir nicht. Wer bist du?“, fragte er nun an Semir gewandt. „Semir...Semir Gerkhan. Ich bin Bens Dienstpartner.“, erklärte er und lächelte den Mann freundlich an. „Semir und Kim...na dann kommt mal rein in die gute Stube. Ich werde gleich ein Zimmer für die junge Dame vorbereiten.“, meinte Willi. „Das kann ich doch machen.“, wandte Ben ein. Willi blieb stehen und sah Ben entgeistert an. „Du willst Betten machen? Ben, die junge Dame soll sich hier wohl fühlen und sich nicht wie auf einem Strohsack fühlen.“, grinste Willi. „Hey, ich habe mein Bett immer selbst gemacht.“, empörte sich Ben. „Ja, und ich durfte es dann noch einmal richten.“, grinste Willi. Semir und Kim waren kurz davor, vor Lachen auf dem Boden zu liegen. „Was lacht ihr da?“, knurrte Ben. „Sorry Ben, aber es hat sich an dir nichts geändert. Und deswegen lachen wir mit dir und nicht über dich.“, grinste Semir. „Ja, mach dich nur lustig. Ich bin halt kein Ordnungsmensch und dennoch finde ich alles in meiner Wohnung und auf meinen Schreibtisch.“ „Die Frage ist nur, was die anderen dann noch alles finden, wenn sie in ihrer ‚Ordnung’ suchen.“, entgegnete Kim lächelnd. Sie gingen ins Haus und ließen sich von Willi mit Tee und kleinen Köstlichkeiten bewirten, ehe Ben und Semir dann wieder zur PASt aufbrachen.


    ...

  • Patrick Finke sah sich sämtliche Unterlagen durch, die er in den Schubladen vorfand. Was für eine Berichtführung, dachte er nur kopfschüttelnd. Plötzlich klingelte sein Handy. „Finke? Oh Hallo...ja, ich sitze hinter ihrem Schreibtisch. Ich sag dir, das wird ein hartes Stück Arbeit, die beiden Kommissare in die Richtlinien zu zwingen. Vor allem muss ich sie daran gewöhnen, dass ich jetzt für immer hier sitzen werde.“, meinte Finke. „Sei vorsichtig. Du musst geschickt vorgehen. Ich habe dich nicht umsonst auf diesen Stuhl gesetzt.“, kam von seinem Gesprächspartner. „Gerade diese beiden Polizisten tanzen mir dauernd auf der Nase herum. Sie biegen sich die Vorschriften so wie sie die eben brauchen.“, erklärte der Mann. „Keine Sorge, wenn ich mit ihnen fertig bin, werden sie die Vorschriften in- und auswendig können und befolgen.“, lachte Patrick Finke. „Bist du dir da sicher? Also, ich warte auf deine Ergebnisse und wenn du belastendes Material gegen Frau Krüger finden kannst, dann immer her damit.“ Damit war das Gespräch beendet. „Worauf du dich verlassen kannst. Den Stuhl werde ich nicht mehr freiwillig verlassen.“, grinste Patrick Finke böse und griff zum Telefon. „Frau König, bringen sie mir bitte alle Akten der Fälle, an denen Frau Krüger selbst beteiligt war.“, bat er und legte dann wieder auf. Denen werde ich es schon zeigen, dachte er und wühlte dann weiter in den Schubladen herum.
    Susanne sah nachdenklich und alarmiert auf den Telefonhörer. „Jungs, kommt mal her.“, sprach sie Semir und Ben an, als sie wieder in die PASt kamen. „Susanne, kannst du mal bitte...“, fing Semir an. „Nein, hört mir erstmal zu. Der Neue, dieser Finke, will von mir alle Fälle haben, an denen Kim persönlich mit gearbeitet hat.“, erklärte sie. Semir sah Ben an. „Was will er denn damit?“ „Sicherlich will er die Grube der Chefin noch tiefer machen. Weißt du was? Die in der Chefetage wollen sie loswerden. Und zwar auf die ekelhafteste Weise.“, knurrte Semir. Bens Gesicht verfinsterte sich sofort und seine Faust ballte sich. „Da kann er mit uns nicht rechnen. Dem werden wir einen Strich durch die Rechnung machen. Susanne, kannst du dafür sorgen, dass er damit eine Weile beschäftigt ist.“, meinte Ben. „Keine Sorge Jungs...das mach ich schon. Was kann ich denn für euch jetzt tun?“, wollte sie wissen. „Such mal bitte alles raus, was du über Jochen Wehner findest. Und dann brauche ich einen Umgebungsplan von Hannas Schule.“, forderte Semir. Susanne sah von ihrem Block auf. „Von Hannas Schule?“ „Hanna ist entführt worden, von diesem Wehner. Aber bitte, kein Wort zu den anderen.“ „Geht klar Semir.“


    Kim sah sich in ihrem Zimmer um. Es war groß, größer als ihr eigenes Wohnzimmer. Doch hier wollte sie nicht bleiben, so lange Hanna in Gefahr war. Sie lauschte an der Tür, aber der Hausangestellte war scheinbar noch unten. Schnell schlich sie aus dem Zimmer und suchte in den angrenzenden Räumen nach einer Waffe. Im Arbeitszimmer fand sie schließlich, was sie suchte. Schnell verschwand die kleine Handfeuerwaffe in ihrem Hosenbund und Kim verschwand aus der Jägerschen Villa. Sie „lieh“ sich ein Auto aus der näheren Umgebung und fuhr zum Südfriedhof. Immer wieder musste sie darauf achten, dass sie keine Streife auf sich aufmerksam machte. Auf ihrem Weg begegnete sie einigen Polizeiwagen, doch ohne Verdacht zu schöpfen fuhren sie alle an Kims gestohlenem Wagen vorbei. Gegen Nachmittag erreichte sie den Friedhof, stellte den Wagen in einer uneinsehbaren Seitenstraße ab und ging auf den Friedhof. Das Grab war schnell gefunden. Sie musste vorsichtig sein. Immer wieder sah sie sich um, lauschte nach jedem Geräusch. Dennoch merkte sie nicht, wie sich der Mann von hinten näherte. „Hallo Kim...ich habe schon auf dich gewartet.“, hörte sie plötzlich die Stimme. Erschrocken drehte sie sich um, griff nach ihrer Waffe, doch Jochen war schneller. Er schlug mit seiner geballten Faust zu. Kim zog sich zusammen. Ihr ganzer Körper krümmte sich vor Schmerzen. Schlagartig ließ sie die Waffe fallen. Jochen beugte sich runter, nahm die Pistole auf und schlug dann mit dem Knauf in den Nacken der Frau. Leblos lag Kim vor Jochen. „Jetzt gehörst du mir.“, hauchte er leise und strich ihr durchs Haar. Dann schulterte er sie und verschwand vom Friedhof. Niemand sah ihn kommen oder weggehen. Wie ein Geist bewegte er sich über die Gräber hinweg zum kleinen, weißen Transporter hinüber, warf seine Beute hinten hinein und fuhr davon.


    Das Telefon auf Bens Schreibtisch klingelte. „Hallo Ben? Hier ist Willi.“ „Hallöchen, was kann ich für dich tun? Gibt es Probleme?“, fragte Ben mit lässiger Stimme nach und blickte auf die chaotisch geordneten Akten, die über seinem Tisch verteilt waren. „Es...es geht um eure Freundin oder eure Chefin. Sie ist verschwunden und die Tür zum Arbeitszimmer deines Vaters ist offen gewesen.“, erklärte der Hausangestellte. Das Lächeln aus Bens Gesicht verschwand. „Sag mir bitte nicht, dass Vaters Waffe fehlt.“ Semir horchte auf. „Doch, genau das und zwei Auffahrten weiter wurde ein Auto gestohlen. Ben, ich...ich konnte nichts machen.“, erklärte Willi. „Schon gut, wir hätten sie besser anketten sollen. Danke trotzdem, alter Freund.“ Wütend ließ Ben den Hörer auf die Gabel knallen. „Hey, das ist nicht dein Telefon. Oder bist du wütend auf das Ding?“, scherzte Semir, doch das verging ihm, als er Bens Gesichtsausdruck sah. „Die Chefin ist abgehauen. Wahrscheinlich will sie Wehner alleine stellen.“, stieß er aus. „Verdammt, warum wartet sie nicht und lässt uns das machen?“, stieß Semir aus, sprang von seinem Stuhl hoch und schnappte sich seine Jacke. Ben sah ihn kurz und eindringlich an. „Würdest du es anders machen? Du würdest doch auch nicht auf deinem Hintern sitzen, wenn es Andrea oder den Kindern an den Kragen ginge oder?“ „Stimmt...aber wo wollen wir suchen?“ „Jungs, ich hab hier was. Das ist nicht viel, aber vielleicht hilft es euch.“, meinte Susanne und reichte den beiden Kommissaren etwas ins Büro. „Danke Susanne...schreib bitte Wehner zur Fahndung aus. Alle Streifen sollen nach ihm suchen und die Augen offen halten.“ Semir nahm den Zettel und warf einen prüfenden Blick drauf. „Und? Was ist es?“ „Die Adresse von Wehners Eltern. Vielleicht wissen die ja, wo ihr Sohn steckt. Wir fahren sofort hin.“, erklärte Semir und warf sich seine Jacke über. Gezielt steuerten er und Ben ihren Wagen an, als die Tür zum Büro aufging und Patrick Finke die Beiden erblickte. „Moment, Herr Jäger und Herr Gerkhan, ich brauche sie in meinem Büro. Eben kam ein Anruf vom LKA, sie hätten bei der Befreiung von Kim Krüger geholfen. Was denken sie sich eigentlich dabei, wo wir hier sind?“, fauchte er los. Doch Semir und Ben hörten einfach nicht hin. Sie ignorierten den Mann, der wie ein wildes Nashorn hinter ihnen tobte. Hier ging es um das Leben von Kim und Hanna.


    ...

  • Langsam wachte Kim wieder auf. Ihre Hände konnte sie nicht bewegen und ihre Füße auch nicht. Ihr Kopf schmerzte und alles um sie herum bewegte sich. Der Nebel um sie herum lichtete sich langsam wieder. Natürlich...Wehner schlug sie nieder. Sie hob langsam ihren Kopf und blickte auf den Mann, der hinter dem Steuer saß. So verrückt sah er nicht aus. Verrückt war er vielleicht nicht, aber verzweifelt. Alles von damals kam wieder hoch. Die Bilder der Verhandlungen. Das Geschrei des Mannes, als das Urteil gesprochen wurde...Freispruch. „Mich werden sie nie wieder los, Krüger. Das schwöre ich ihnen.“, stieß er damals aus. Kim sah alles vor sich. Er musste von den Gerichtsdienern derart zu Boden gedrückt werden, dass die Männer ihm zwei Rippen brachen. Trotzt aller Drohungen glaubte Kim nie daran, dass er es wahr machen würde. Doch jetzt wurde sie eines besseres belehrt. Der Wagen bremste ab und kam schließlich auf einem kiesigen Untergrund zum Stehen. Sie sah, wie Jochen ausstieg und wenig später öffneten sich die hintere Türen. Die Silhouette des Mannes war bedrohlich. „Du bist ja schon wach. Sehr schön...dann muss ich dich nicht ins Haus tragen. Es sieht auch so unfreiwillig aus.“, lachte er und zog sie nach vorne, schnitte ihre Fußfesseln durch und stellte sie auf die Beine. „Wehner, was soll das? Lassen sie meine Nichte frei.“, forderte Kim und blickte den Mann in seine Augen. Sie waren kalt und voller Hass. Die blauen Augen funkelten Kim an. Jochen Wehner zog sie über den Kiesboden zum Haus rüber und stieß die halb verfallene Tür auf. „Du hast meine Tochter erschossen. Dafür wirst du büßen.“, stieß er aus und zückte eine Waffe, presste sie unter Kims Kinn. Sie fuhr zusammen. Jeder Muskel verspannte sich. „Das...das können sie nicht tun.“ „Warum nicht? Du hast mir alles genommen, was ich liebe. Meine Tochter und meine Frau. Da ist es doch nur gerecht, wenn ich mir jetzt von dir alles nehme, oder? Zuerst kümmere ich mich um deine kleine Hanna und dann bist du dran.“


    Semir und Ben fuhren auf der Autobahn Richtung Aachen. „Dieser Typ...dieser Finke geht mir langsam auf die Nerven. Wenn der jedoch die Drohung wahr macht...“, meinte Ben. „Dazu wird er sicherlich nicht kommen. Wenn wir beweisen können, dass Kims Unfälle mit Vorsatz manipuliert wurden, dann sind wir diesen Typen schneller los, als er piep sagen kann. Wir müssen diesen Wehner nur erwischen, bevor er der Chefin und Hanna was antun kann.“, erklärte Semir und fuhr die nächste Ausfahrt raus. „So, hier in der Nähe muss es sein.“ Semir folgte der Wegbeschreibung von Susanne und bremste den BMW vor einem Holzgatter ab. „Das ist das Haus?“, fragte Ben ungläubig. „So steht es hier jedenfalls.“ Sie standen vor einem großen Bauernhof und einem verschlossenen Gatter. „Na, dann wollen wir doch mal nach den Wehners suchen.“ Gemeinsam stiegen die beiden Polizisten aus und suchten nach einer Möglichkeit, sich bemerkbar zu machen. „Siehst du hier ne Klingel?“ „Nö...scheint keine da zu sein.“, erwiderte Ben und reckte den Arm über das Tor. „Dann müssen wir uns selbst einlassen.“, grinste er und drückte die Klinke hinunter. Knarrend öffnete sich das Tor und im nächsten Moment hörten sie ein drohendes Bellen. „Was ist das?“, stieß Ben aus und ahnte nichts gutes.
    Und tatsächlich kam kurz nach dieser Aussprache ein wütend bellender Dobermann um die Ecke gebraust und hechtete auf die beiden Kommissare zu. „Shit...schnell...bring dich ins Sicherheit.“, stieß Semir aus und sprang aufs Dach seines Wagens. Ben riss die Augen auf, rannte um den Wagen und sprang vom Kofferraum ebenfalls aufs Dach. Der Dobermann schäumte, bellte und fletschte die Zähne. „Hey, wer sind sie und was wollen sie hier?“, rief ein gebückter Mann in kariertem Hemd und Kordhose. „Herr Wehner...bitte, nehmen sie den Hund weg.“, forderte Semir. „Warum sollte ich? Wer sind sie denn?“, rief er und ließ sich nicht von seiner Schubkarre weglocken, während der wütende Dobermann immer wieder ums Auto rannte, mit den Pfoten sich ans Auto lehnte und nach den Füßen der Kommissare schnappte. „Wir sind von der Polizei und wollen mit ihnen sprechen. Es...es geht um ihren Sohn. Und bitte, nehmen sie endlich den Hund weg.“, forderte Semir. „Ja, ich komme ja...und dann erklären sie mir, was sie von meinem Sohn wollen.“


    Der Mann nahm den Dobermann weg, sperrte ihn ein und kam dann zu den beiden Besuchern zurück. „So, sie wollen mit mir über Jochen sprechen? Was wollen sie denn von meinem Sohn?“ „Er hat ein junges Mädchen entführt und wahrscheinlich auch unsere Chefin.“, erklärte Semir, nachdem er sich vorgestellt hatte. „Jochen hat was?“ „Ja, er hat Frau Krüger und ihre Nichte Hanna entführt.“, präzisierte Ben. „Wie war der Name? Krüger? Kim Krüger?“, fragte der Bauer nach. „Ja genau.“ „Dann können sie von mir keine Hilfe erwarten. Diese Frau hat unsere Familie zerstört. Nein, ich werde ihnen nicht helfen.“, fauchte Bernd Wehner und kehrte den beiden Männern den Rücken. Doch Ben ließ sich das nicht gefallen. „Hey, sie machen sich strafbar, wenn sie uns nicht helfen. Wenn ihr Sohn einen Doppelmord begeht, werde ich dafür sorgen, dass sie mit einwandern.“, fauchte er den alten Mann an. Doch dieser ließ sich nicht einschüchtern, packte Bens Hand und drehte ihm den Arm um. „Denkst du Grünschnabel, du kannst mich einschüchtern?“, zischte Wehner senior und drehte weiter. Ben stieß einen geballten Schmerzschrei aus. Sofort kam Semir dazu und zückte seine Waffe. „Hey, lassen sie meinen Kollegen los. Sofort...“, schrie er und zielte mit der Waffe auf Vater Wehner. Dieser fixierte Semir und zwang Ben noch immer in die Knie. „Wird’s bald?“, fauchte der Deutschtürke und machte einen Schritt auf Wehner zu. „Na schön...“ Er löste den Griff um Bens Hand und dieser rieb sich sein schmerzendes Gelenk. „Sie haben ganz schön Kraft in den Armen.“ „Ich habe früher Traktorreifen gestemmt. Mit so einem Hämpfling wie ihnen würde ich es immer noch aufnehmen.“ „Verstehe. Werden sie uns helfen oder wollen sie gleich mitkommen?“, fragte Ben dann wieder dienstlich.


    ...

  • Hanna blickte auf, als die Tür geöffnet und Kim hineingestoßen wurde. „Hanna...“ „Tante Kim...bitte hilf mir. Der…der Mann ist wahnsinnig.”, weinte die Schülerin. Erst jetzt bemerkte sie, dass auch Kim Fesseln trug. „Wahnsinnig? Nein, das nicht...nur zerfressen von Rache.“ „Wehner...es...es tut mir leid, was mit ihrer Tochter passiert ist. Aber bitte, das ist eine Sache zwischen ihnen und mir. Sie können Hanna da nicht mit hineinziehen. Bitte, lassen sie das Mädchen gehen.“, forderte Kim. Jochen beugte sich wütend zu ihr hinunter und versetzte der Kriminalrätin einen geballten Fausthieb mitten ins Gesicht. Ihr Kopf flog nach hinten und ihre Lippe platzte auf. „Du hast meine Melanie getötet und wagst jetzt Reue zu heucheln? Du wirst bitter führ ihren Tod bezahlen. Und mit Hanna werde ich anfangen. Darauf kannst du Gift nehmen.“, stieß er aus und schlug noch einmal zu. Hanna schluchzte und schrie, er solle aufhören. Doch dafür bekam sie eine schallende Ohrfeige. „Sei ruhig...“, fauchte er und verließ dann den Raum. Kim kam langsam wieder zu sich und leckte sich über die Lippen. Der süßlich-kupferne Geschmack von Blut erfüllte ihren Mund. „Hanna...bist du...bist du in Ordnung?“, wollte sie wissen. „Ja...er...er hat mir nichts getan. Bis auf jetzt eben.“, erklärte das Mädchen. Kim nickte und richtete sich vorsichtig wieder auf. „Komm, versuchen wir, uns gegenseitig von den Fesseln zu befreien und dann verschwinden wir von hier.“, meinte sie und robbte dicht an Hanna heran. Das Mädchen nickte und begann sofort damit, Kims Fesseln zu ertasten und mit ihren Fingern auseinander zu reißen. „Ich kann nicht. Das...das Klebeband ist zu fest.“, meinte sie. „Versuch es weiter...oder warte. Da...da ist ein altes Rohr. Probieren wir dort unser Glück.“, stieß sie aus und gemeinsam robbten sie über den Boden an das Rohr heran und zogen immer wieder das Klebeband über eine scharfe Kante. Würden sie sich befreien können?
    Nach einer gefühlten Ewigkeit zog Kim die Arme auseinander und war frei. „Komm, ich helfe dir.“, meinte sie dann zu Hanna. Wenig später war auch sie frei und befreite ihre Füße. „Wo geht es hier raus? Tante Kim, der Kerl wird uns sicherlich umbringen.“, kam es von Kim. „Nein, das wird er schon nicht. Weil wir verschwinden werden. Komm, ganz...ganz leise.“, meinte Kim und ging zur Tür, drückte die Klinke runter und zog an der Tür. Sie war offen! „Komm, ganz leise...“, meinte sie und zog ihre Nichte hinter sich her. Das große Haus war verwinkelt. Sie gingen eine Treppe hoch und standen in einem langen Korridor. „Da hinten ist Licht. Da müssen wir raus.“ Kim guckte um sämtliche Ecken, ehe sie sich weiterbewegten. Sie stieß die Tür auf und stand wirklich im Freien. „Hey, stehen bleiben.“, hörten sie plötzlich hinter sich. Jochen Wehner kam durch eine Tür, als er Schritte auf dem Flur hörte. „Lauf Hanna...“, stieß Kim nur aus und rannte mit ihrer Nichte los. Jochen zückte seine Waffe, doch die beiden waren schon zu weit weg, als dass er treffen würde. „Fuck...“, fluchte er und rannte los. Auf keinen Fall durften sie zur Straße fliehen. Wenn er es schaffte, sie in die Schule zu drängen, wo gerade renoviert wurde und daher kein Unterricht stattfand, dann hatte er sie. Schnell nahm er die Abkürzung zur Straße und rannte um den ganzen Block. Dass ihn dabei Menschen mit der Waffe sahen, war ihm vollkommen gleich.


    Bernd ging vor und geleitete die beiden Kommissare in sein Wohnhaus. Er stellte Semir und Ben ein Glas Wasser hin. „Entschuldigen sie die Aktion von vorhin, aber ich bin auf diese Frau nicht gut zu sprechen.“, erklärte der Mann. „Wir wissen, was damals passiert ist. Aber es war ein Unfall. Frau Krüger wollte ihre Enkelin nicht töten.“, versicherte Semir. „Und doch hat sie geschossen. Wissen sie, wie das ist, wenn man seine eigene Enkelin verliert? Glauben sie mir, ihre...Chefin...hat wesentlich mehr Schaden angerichtet, als sie auf den ersten Blick erkennen mögen. Die Ehe meines Sohnes zerbrach daran, meine Frau war zu der Zeit schwer krank und der Kummer hat ihren Lebenswillen derart geschwächt, dass sie kurz darauf gestorben ist. Können sie da nicht verstehen, dass ich Gerechtigkeit möchte. Und wenn ich ihnen jetzt helfe, meinen Sohn zu fangen, dann stelle ich mich dieser Gerechtigkeit in den Weg.“, erklärte der alte Bauer. Ben sah Semir an. Beide konnten diese Einstellung verstehen, doch jetzt war das Verständnis nebensächlich. Außerdem war es ein Unfall bei einem Einsatz. „Herr Wehner...können sie uns wirklich nicht sagen, wo ihr Sohn ist?“ Bens Telefon klingelte. Er entfernte sich, nahm ab und nickte einige Male. „Semir, eine Streife hat Wehner gesehen. An der Schule in der Konrad-Adenauer-Straße.“, erklärte Ben. „Dann lass uns sofort hinfahren.“, stieß Semir aus. Gerade, als sie die Tür aufmachten, stand dort der bedrohliche Dobermann, knurrte die beiden Polizisten an und fletschte die Zähne. „Tut mir Leid, aber ich kann sie nicht weglassen.“, meinte Bernd Wehner und nahm von der Wand die alte Schrotflinte, legte auf die Beiden an. „Sie werden sich der Gerechtigkeit nicht in den Weg stellen. Dafür sorge ich.“


    Kim und Hanna waren fast an der Straße, als sich ihnen Wehner entgegenstellte. „Ihr geht jetzt schön zurück ins Haus.“, forderte er und legte auf Kim an. Sie stoppte sofort und hob abwehrend die Arme, während sie sich schützend vor Hanna stellte. „Wehner, hören sie doch bitte auf. Sie können mich haben, aber bitte lassen sie Hanna gehen.“, forderte Kim erneut. Ihr Atem ging heftig und der Puls raste wie ein Schnellzug auf freier Strecke. Doch Jochen verzog keine Miene. „Das kann ich nicht machen.“, meinte er und krümmte langsam seinen Finger. Hanna kniete sich unmerklich hin, griff nach einem Stein und warf ich nach dem Angreifer. Jochen verzog die Waffe. Ein Schuss löste sich, der Kim nur um Haaresbreite verfehlte. Sie schnappte sich Hanna und rannte in das Schulgebäude. Jochen grinste und blieb eine Weile stehen. Jetzt saßen sie in der Falle. Langsam ließ er die Waffe sinken und ging dann den Beiden nach. So Kim, bereit oder nicht...ich komme...grinste er und verbarrikadierte den Eingang hinter sich. Schon hörte er die schnellen Schritte der beiden Frauen auf der Treppe. „Ah, da seid ihr. Na wartet. Ich finde euch schon.“ In der Ferne hörte er jedoch die ersten Polizeisirenen. Ein Zeichen, dass er sich beeilen musste, wenn er mit seiner Rache erfolg haben wollte.
    Kim rannte mit Hanna die Treppen immer weiter nach oben. „Kim, wie kommen wir hier wieder raus? Wir sitzen in der Falle.“, stieß Hanna aus und sah sich um. Alles war hier mit Schutzfolie verhangen. „Nein, wir werden hier schon wieder rauskommen. Hier, schnell in den Raum hinein und dann ganz ruhig.“, erklärte sie und rüttelte an einer Tür, doch die war verschlossen. Auch die nächste und die übernächste waren dicht. Dann endlich fand sich eine offene Tür. „Schnell, da hinein.“, forderte sie und schob ihre Nichte durch die Tür, zog sie schnell wieder hinter sich zu und versteckte sich mit Hanna. Sie selbst kroch dicht unter den Schreibtisch, während Hanna hinter dem dicken Aktenschrank Deckung suchte. Schon hallten die langsamen Schritte ihres Verfolgers auf dem Flur an den Wänden wieder. Die Gefahr kam näher. Durch das Fenster drangen aber wie ein Hoffnungsschimmer die Polizeisirenen in ihre Ohren. Semir und Ben kamen sicherlich gleich und würden diesen Verrückten verhaften und nach ihnen suchen, dachte Kim hoffnungsvoll. Doch da sollte sie sich irren. Semir und Ben saßen im Moment anderswo in der Patsche.


    ...

  • Langsam hoben sie die Hände, nachdem sie ihre Pistolen auf den Tisch legen mussten. „Herr Wehner, was soll der Unsinn? Lassen sie das doch. Sie kommen in große Schwierigkeiten, wenn sie nicht sofort wieder die Waffe runternehmen.“, fauchte Semir ihn an. „Halten sie ihr loses Maul. Los, die Handys auf den Tisch und dann raus.“, forderte Bernd Wehner und stieß die beiden Kommissare mit seiner Schrotflinte in den Rücken. Während der Dobermann die Beiden von vorne bewachte und wie ein mürrischer Hütehund um deren Beine tänzelte, trieb Wehner senior die Kommissare zum großen Stall hinüber. „Herr Wehner, lassen sie doch den Unsinn. Damit helfen sie ihrem Sohn auch nicht mehr.“, versuchte Ben es erneut. Doch der alte Mann ließ sich nicht umstimmen, nahm von der Stallwand einige schwere Eisenketten und zog den beiden Hauptkommissaren dann die Handschellen aus den Gürteln. „Sie sollen das Maul halten. Jetzt stellen sie sich gegen den Pfeiler und nehmen die Hände über den Kopf hinter den Pfeiler.“, forderte er Ben auf. Dieser folgte dem Befehl und konnte nichts anderes tun. Er folgte dem Befehl und sah dann zu Semir. Schmerzhaft wurden die Handschellen um seine Gelenke geschlossen. „Und jetzt du. Stell dich auf die andere Seite und nimm die Hände vor seinen Bauch.“, knurrte der Bauer Semir an und stieß ihn in Bens Richtung. „Wehner, das wird sie teuer zu stehen kommen. Sie machen sich hier gerade der schweren Freiheitsberaubung an zwei Beamten und des Widerstandes gegen die Staatsgewalt schuldig.“ „Du sollst keine Reden halten, sondern dich dazu stellen, wenn du nicht möchtest, dass Hasso dir dein bestes Teil abbeißt.“, stieß Vater Wehner aus und presste Semir die Flinte in den Magen, drückte ihn gegen den Pfeiler und zwang dann seine Hände nach hinten. Sie reichten gerade soweit, dass er die Handschellen schließen konnte. Doch um Bens Hüfte wurde es eng, sehr eng. „Und jetzt können euch eure Kollegen suchen. Es wird zu spät sein.“, fauchte Wehner und verließ den Stall.
    Semir sah dem Mann nach und versuchte an seinen Fesseln zu ziehen. Ein Stöhnen kam von Ben. „Hey, lass das sofort. Du schneidest mir ja meinen Bauch ein.“, keuchte der junge Hauptkommissar nur. „Entschuldige, aber irgendwie muss ich die Dinger ja wieder los werden.“, kam es sofort von Semir. Seine Hände versuchten, irgendwie an das Schloss zu kommen, dabei streiften sie jedoch unglücklich das, was unterhalb der Gürtellinie lag. „Hey...pass doch auf und nimm deine Finger da weg. Das ist ein Strafraum. Nur für befugte Personen Zutritt.“, stieß Ben sofort aus. Er verkrampfte sich. Diese Art der Fesselung war extrem unangenehm. „Keine Sorge, da unten ist nichts, was von Bedeutung wäre.“, erwiderte Semir nur. „Wie soll ich das denn jetzt verstehen? Meine Emily kann davon gar nicht genug bekommen.“, knurrte es von der anderen Seite des Pfeilers. „So war das auch nicht...ich meinte für mich als Mann von Bedeutung. Verdammt, was soll ich denn in deinem Strafraum? Es sei denn, du bewahrst da unten den Ersatzschlüssel für deine Handschellen auf.“, erklärte sich Semir und kam dabei selbst ins Schwitzen. „Da nicht, aber in meiner kleineren Tasche. Der Kerl hat sie ja zum Glück nicht gefunden.“ „Dann tut mir das folgende jetzt schon leid und wir verlieren darüber kein einziges Wort mehr. Verstanden?“, fragte Semir. „Abgemacht, aber such auch an der richtigen Stelle nach dem Schlüssel.“, knurrte Ben nur und versuchte, das unangenehme Gefühl auszublenden, als die Hände seines Partners nach der Hosentasche tasteten.


    Jochen ging die nächsten Stufen hinauf. Die Waffe immer fest umklammert. „Kim, Hanna...wo seid ihr?“, rief er und stellte sich in den nächsten langen Gang hinein. Unten waren schon die ersten Schritte zu hören. „Er ist oben. Alle Ausgänge besetzen.“, schrie ein Beamter. Viele schwere Schritte hallten durch die Gänge. Die Polizei war zu schnell. Doch noch war er hier nicht fertig. Seine Tochter war noch nicht gerächt. Er musste Kim töten. Mit schnellen Bewegungen zog er jede Tür auf, die aufzuziehen war. Die anderen trat er einfach ein. Viel Zeit zum sauberen Durchsuchen der Räume blieb ihm nicht. Also musste ein flüchtiger, aber gründlicher Blick genügen. Gerade, als er die letzte Tür aufreißen wollte, kamen die ersten Beamten in den Flur gerannt. „Shit...“, fluchte er und nahm die andere Treppe zur Flucht nach unten. Die Schritte verfolgten ihm, doch er hörte keine Stimme, die nach den Kollegen rief. Im nächsten Stockwerk presste er sich in eine unübersichtliche Baunische. Die Schritte des Polizisten kamen näher und näher. Jochen konnte die Silhouette genau erkennen. Seine Waffe war nicht gezogen und auch Jochen steckte seine vorsichtig in den Hosenbund. Wie eine Schlange schnellte er mit den Armen vor, presste seine starke Hand auf Nase und Mund des Mannes und umschlang mit der anderen den Hals des Polizisten. Der ganze Überfall dauerte nur wenige Sekunden. Dann verschwand Jochen mit seinem Opfer wieder in der Nische. Einige Minuten dauerte es und ein Polizist kam aus der Nische zum Vorschein. Er überprüfte den Sitz der Uniform, zog sich die Mütze tief ins Gesicht und verschwand dann nach draußen.


    Kim und Hanna kauerten immer noch in ihren Verstecken, als sie die rettenden Stimmen hörten. „Hallo...hier ist Obermeister Ritter. Ist da wer?“, wollte er wissen. „Ja...ja...wir sind hier.“, stieß Kim aus und verließ ihr Versteck. Auch Hanna kam unter dem Tisch hervor. „Kim Krüger...Kripo Autobahn. Danke, dass sie uns gefunden haben. Wo sind die Kollegen Jäger und Gerkhan?“, wollte sie wissen und nahm Hanna dicht an ihre Seite. Der Mann sah die Kriminalrätin an und stutzte. „Nein, nur wir. Unser Polizeioberkommissar ist der höchste Dienstgrad da unten.“, erklärte der Mann. „Dann bringen sie uns doch bitte zu ihm und meiner Nichte hier bringen sie zu einem Arzt.“, forderte sie. „Kim bitte...ich...ich bin in Ordnung. Bitte, ich will jetzt nur noch zu Papa und Mama.“, wiegelte sie ab. „Okay, dann bringen sie meine Nichte bitte nach Düsseldorf, in die Kantstraße.“ Der Mann nickte und geleitete Hanna nach draußen, während Kim das Fenster aufriss und die Luft tief einatmete. Endlich war es vorbei. Doch war auch Wehner den Kollegen ins Netz gegangen? „Entschuldigen sie...haben sie den Mann mit der Waffe festnehmen können?“, fragte sie einen anderen Polizisten, als sie in den Gang hinaus trat. „Was? Nein...nein, noch nicht. Aber im Moment vermisse ich auch meinen Kollegen. Er war dem Mann hinterher. Doch er meldet sich nicht mehr über Funk.“ „Okay, suchen sie weiter. Wo geht es hier nach draußen?“, wollte Kim wissen. „Gleich die Treppe runter und dann durch die Abdeckplane.“, meinte der Beamte. Kim bedankte sich und stand wenig später wirklich in der freien Natur. Blaulichter blitzten ihr in die Augen und sie musste zum Schutz ihre Hand hochnehmen. „Stellen sie doch mal diese Lichtanlagen ab.“, fauchte sie und suchte nach ihrem Telefon. „Susanne, ich bin es. Wo sind Semir und Ben? ... Ah okay. Gut, ich fahre hin. Schicken sie mir bitte Herzberger und Bonrath hin, sobald diese frei sind.“, bat Kim und legte auf. Noch ahnte sie nicht, dass sie damit in ihr eigenes Verderben rannte.


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