Winter(alb)traum

  • So, Ihr Lieben, es ist Samstag und wie versprochen geht es heute mit meiner kurzen Story los. Wie bereits erwähnt spielt sie zeitlich nach meiner Story "Angst und Vertrauen" und nach der Serienfolge "Nemesis".
    Ich wünsche Euch nun viel Spaß damit!


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    Winter(alb)traum


    Chris wusste, das seine unerbittlichen Verfolger dicht hinter ihm waren und er versuchte, getrieben von dem beunruhigenden Wissen, was mit ihm geschehen würde, wenn sie ihn erwischen würden, sein Tempo zu beschleunigen. Doch der knöcheltiefe Schnee, der seit einigen Tagen in dicken Flocken vom Himmel fiel und die Landschaft mit einer strahlend weißen Decke überzog, bereitete ihm massive Schwierigkeiten und erschwerte seine Flucht. Er kam einfach nicht so schnell vorwärts, wie er es gern wollte. Seine Kleidung, und ganz besonders seine Hose und Jacke, waren inzwischen vom Schnee ganz nass, klamm und schwer. Er spürte mit jedem Schritt, wie seine Kondition langsam nachließ und seine Beine von Minute zu Minute bleierner wurden. Doch er rannte so schnell es ging weiter. Während er immer schneller atmen musste, schnitt die klare, eisigkalte Luft mit jedem keuchenden Atemzug in seinen pumpenden Lungen und er hatte das Gefühl, dass sie jeden Augenblick bersten könnten…, doch er hielt im Laufen nicht inne. Er musste entkommen!


    Gehetzt bog er um eine Hausecke, hastete ein paar Meter weiter und wagte einen schnellen Blick über seine Schulter. Es war niemand zu sehen. Schwer atmend verlangsamte er seinen Lauf und blieb schließlich stehen. Er legte seine Hände an die Hüfte, beugte sich mit einem erschöpften Stöhnen nach vorn und versuchte seine rasselnde Atmung unter Kontrolle zu bekommen. Nach dem vierten, fünften hastigen Atemzug schaute er zurück in die Richtung, aus der er gekommen war. Für einen erleichterten Augenblick schloss er seine Lider und stieß mit einem befreienden Seufzen die Luft aus, als er erkannte, dass er seine Verfolger wohl abgehängt hatte… jedenfalls für den Moment.
    Doch er wusste, dass sie nicht so leicht aufgeben würden und ihm weiter auf den Fersen sein würden. Sie waren für ihre unermüdliche Hartnäckigkeit bekannt und mehr als einmal hatte er am eigenen Leib erfahren müssen, wie sie mit Verrätern umgingen… sie waren gnadenlos! Schließlich wussten sie, das er derjenige gewesen war, der alles zerstört hatte, was sie sich in mühevoller Arbeit aufgebaut hatten. Mit zornigen Stimmen hatten sie ihm für das, was er ihnen angetan hatte, Vergeltung geschworen und in ihren rachefunkelnden Augen war deutlich zu sehen gewesen, das sie nicht eher Ruhe geben würden, bis sie ihr Ziel erreicht hatten!


    ‚Verdammt, was hast Du Dir da nur wieder eingebrockt?’, schimpfte Chris in Gedanken mit sich selber. ‚Warum konntest Du die Sache nicht auf sich beruhen lassen? Warum musstest Du deine Nase auch da hinein stecken? Du wusstest, das so etwas passieren würde! Jetzt hast Du den Schlamassel…’
    Während Chris sich in Gedanken schalt, schweifte sein Blick verzweifelt suchend über die verschneite Umgebung. Was er dringend brauchte, war ein Versteck, damit er für ein paar Minuten verschnaufen und neue Kraft sammeln konnte. Und er brauchte etwas Zeit… wenigstens so viel Zeit, um überlegen zu können, was er tun konnte, um aus dieser prekären Situation wieder heraus zu kommen und um sich auf den nächsten Angriff vorbereiten zu können. Doch in der winterlichen Landschaft rings um ihn herum, mit seinen kahlen Büschen, Hecken und Bäumen, gab es kaum Möglichkeiten sich zu verstecken. Plötzlich fiel sein Blick auf einen mächtigen Baum, dessen dicker Stamm ihm zumindest für den Moment Deckung bieten würde.


    Noch einmal alle Kraftreserven aktivierend, setzte sich Chris in Bewegung, lief auf das wuchtige Gewächs zu und begab sich schutzsuchend hinter den Stamm. Sofort durchströmte ihn das befreiende Gefühl von Sicherheit und er stieß erleichtert die Luft aus. Mit einem erschöpften Stöhnen lehnte er sich gegen die kalte Rinde und legte für einen kurzen Augenblick die erhitzte Stirn dagegen. Sein Puls raste wie wild, während sein pochendes Herz hart in seiner Brust schlug und ihm kaum die Möglichkeit gab, seinen rasselnden Atem unter Kontrolle zu bekommen. Dann drehte er sich um und lehnte sich mit dem Rücken so gegen den Baumstamm, dass sich seine vom anstrengenden Laufen zitternden Beine etwas erholen konnten. Er atmete ein paar Mal tief ein und versuchte seine Gedanken zu sammeln.


    ‚Wo ist Semir, wenn man ihn braucht?’, dachte Chris plötzlich sehnsuchtsvoll bei sich und vor seinem inneren Auge erschien das freundlich-lächelnde Gesicht Semirs. Was würde er jetzt darum geben, könnte er seinen Partner anrufen und ihn um Unterstützung bitten! Er würde ihm bestimmt sofort zur Hilfe eilen und mit allen Mitteln unterstützen. Doch Chris wusste, dass das unmöglich war. Zum einen hatte er sein Handy im Haus gelassen, weil er bei einem entspannten Spaziergang durch die winterliche Landschaft nicht gestört werden wollte. Wie hätte er auch ahnen können, das er dabei in eine so ausweglose Situation geraten würde! Und zum anderen war Semir über das verlängerte freie Wochenende mit Andrea und Aida in die Seehütte seiner Schwiegereltern gefahren. Er war also zu weit weg, um ihm in irgend einer Weise helfen zu können.


    ‚Wahrscheinlich sitzen die beiden gerade vor dem warmen Kamin und genießen die Nähe des anderen’, seufzte Chris gedanklich. ‚Und ich...? Ich renne hier durch den Schnee und werde von drei Wahnsinnigen gejagt!’
    Ein Hauch von Bitterkeit mischte sich bei, als er grimmig weiterdachte: ‚Warum habe ich auch nicht auf Gaby gehört und ihr Angebot angenommen? Ich könnte jetzt bei ihr sein. Wir würden zusammen in ihrem schönen, gemütlichen Wintergarten sitzen, einen Kaffee trinken und den Kindern beim Spielen im Schnee zusehen.’ Für einen kurzen Moment trat ein wehmütiger Ausdruck auf sein Gesicht, als er sich die Szene vorstellte. ‚Ja, das wäre jetzt schön…’

  • Ein frostiger Windzug, der plötzlich durch Chris’ verschwitztes Haar streifte und einen eisigen Schauer seinen Rücken hinunter jagte, holte ihn mit einem unwilligen Schütteln seines Körpers in die Realität zurück. Sofort waren seine Gedanken wieder bei der vertrackten Situation und es fiel ihm siedend heiß ein, das er dringend neue Munition brauchte. In seinen Händen hielt er nur noch zwei Kugeln; den Rest hatte er bei seiner Flucht verschossen. Doch wie sollte er das machen? Zwar war es ihm ein leichtes, neue Kugeln zu beschaffen, aber wären sie auf seiner weiteren Flucht nicht hinderlich? Außerdem brauchte er unbedingt ein anderes, sichereres Versteck. Dieses hier würde ihm nur noch kurzen Schutz bieten, das wusste er. Was er brauchte war ein Ort, an dem er sich so lange versteckt halten konnte, bis die Gefahr vorbei war…


    Plötzlich riss Chris ein leises Knirschen im Schnee aus seinen Gedanken und augenblicklich waren seine Instinkte hellwach! Mit zum Kampf angespannten Muskeln hielt er unbewusst die Luft an und lauschte angestrengt nach allen Seiten.
    Waren das seine Verfolger?
    Hatten sie ihn gefunden?
    Da…, ein weiteres Knirschen!
    Mit aufkeimender Panik erkannte Chris, dass das zweite Geräusch aus einer anderen Richtung kam wie das erste. Er hockte sich hinter dem Baum nieder und hielt aus Angst, das seine Atemschwaden seinen Aufenthaltsort verraten würden die Luft an. Vorsichtig lugte er zu beiden Seiten um den Stamm herum. Mit aufwallendem Entsetzen erkannte er, das sich seine Häscher von zwei Seiten seinem Versteck näherten. Der größere der drei kam in leicht gebeugter Haltung und federnden Schritten von rechts und schnitt ihm somit die Flucht zurück zum Haus ab. Die anderen beiden Verfolger näherten sich mit katzengleichen Bewegungen von links und somit war ihm der Weg zur Strasse hin abgeschnitten.


    Chris konnte in ihren triumphierenden Mienen erkennen, das sie wussten, wo er sich versteckte und ihn somit in der Falle wähnten. Dadurch, das sie sich ihres nahen Sieges bewusst waren, funkelten ihre Augen in dunkler Vorfreude.
    Und noch etwas sah er in ihren entschlossenen Gesichtern: Sie würden kein Erbarmen kennen! Auch wenn er sich jetzt ergeben und auf Knien um Gnade betteln würde, …sie würden ihn, ohne mit der Wimper zu zucken, wie einen tollwütigen Hund abschießen. Er hatte also keine Chance!
    Jedoch welche Erkenntnis ihn plötzlich, nachdem er sich noch einmal gehetzt umgeschaut hatte, wie ein Keulenschlag traf, war die, dass er einsehen musste, das er völlig verloren war! Denn selbst wenn er es schaffen sollte, an seinen Verfolgern vorbei zu kommen und nicht von ihren Kugeln getroffen zu werden… wohin sollte er sich wenden? Im Haus, an dem er eben vorbei gekommen war, konnte er jetzt keine Zuflucht mehr suchen. Die Gefahr, das die Bewohner in den Kampf mit hinein gezogen würden, war zu groß. Und sollte er es bis zur Strasse schaffen, würde ihm das auch nicht helfen. Denn sie führte direkt in einen Ort, wo seine Verfolger viele Verbündete hatten. Das wusste er ganz sicher. Es gab also keinen Ausweg…


    ‚Nein!’, schrie plötzlich eine trotzige Stimme in ihm auf. ‚Nein, das kann nicht sein! Es gibt immer eine Chance… Du hast schon schlimmere Situationen gehabt und nie aufgeben. Du hast immer einen Ausweg gefunden. Also wirst Du das auch dieses Mal schaffen!’
    Mit dem aufbrandenden Mut der Verzweiflung schaute sich Chris erneut um. Es musste einen Ausweg geben. Es musste einfach… Plötzlich hielt er inne. Was war das?
    Mit leicht zusammen gekniffenen Lidern bemühte Chris seinen Blick durch den leise rieselnden Schnee auf etwas in einiger Entfernung zu fokussieren. Seine Augen versuchten zu erkennen, dass das, was er hinter verschneiten Sträuchern zu sehen glaubte, auch der Wahrheit entsprach. Mit einem Mal war er sich sicher: Dort hinter den fast kahlen Büschen, deren dichte Zweige sich unter der Last einer dicken Schneeschicht bogen, war eine Mauer! Wenn er es schaffen würde, bis dorthin zu kommen, wäre er gerettet!
    Doch nach Sekunden der hoffnungsvollen Freude, mischten sich erste Zweifel in seine Gedanken: ‚Wie hoch ist wohl die Mauer? Komme ich überhaupt hinüber? Denn wenn ich es nicht schaffe, befinde ich mich in einer gottverdammten Sackgasse…’


    Chris ließ seinen Blick hastig die Mauer entlang wandern und hoffte einen geeigneten Punkt zu finden, um sie leichter überwinden zu können. Da blieb er mit seinen Augen an einem kleinen Vorsprung hängen, der sich etwas links befand. ‚Wenn ich es bis dorthin schaffe, kann ich das Hindernis ohne Probleme überwinden und meine Verfolger können mir nichts mehr anhaben!’, dachte Chris mit einem Anflug von Erleichterung.
    Gerade als sich weitere Bedenken in ihm melden wollten, um ihn darauf aufmerksam zu machen, das sich Schnee und Eis sowohl auf dem Vorsprung als auch auf der Mauer befanden und somit ein schnelles und leichtes Überqueren vereiteln könnten, nahm Chris ein weiteres Knirschen wahr… und dieses Mal war es verdammt nah!


    Jetzt hatte Chris keine andere Wahl mehr: Er musste die Flucht nach vorn antreten! Sich noch einmal schützend an den Stamm lehnend, schloss er für einen kurzen Moment seine Lider, konzentrierte sich und atmete dann tief durch. Als er seine Augen wieder öffnete, richtete sich sein Blick entschlossen auf den Punkt an der Mauer, wo er sie überqueren wollte und spannte seine Muskeln. Schließlich stieß er sich kräftig vom Baum ab und sprintete mit langen Schritten los...

  • Kaum bemerkten Chris’ Häscher, dass er zu fliehen versuchte, stießen sie gellende, markerschütternde Schreie aus. Augenblicklich nahmen sie die Verfolgung auf und bemühten sich, an ihm dran zu bleiben.
    Angetrieben durch das wütend laute Geschrei und seinem unbändigen Wunsch zu überleben, rannte Chris so schnell er konnte. In der Hoffnung, die Meute wenigstens für ein paar Sekundenbruchteile einzuschüchtern und sich somit für ihn vielleicht die minimale Chance auftat seinen Vorsprung etwas zu vergrößern, wandte sich Chris nach einigen Metern schnell um und feuerte seine letzten zwei Kugeln ab. Ohne zu überprüfen, ob sie ihr Ziel erreichten, hetzte Chris weiter. Jedoch ohne die Möglichkeit, genauer zielen zu können, verfehlten die zu hastig abgeschossenen Kugeln leider seine unerbittlichen Jäger.


    Als Antwort auf seinen missglückten Angriff riefen die drei Verfolger spöttische Bemerkungen und verfielen in ein hämisches Lachen. Angestachelt durch die Aussicht auf den greifbaren Sieg erhöhten sie sogar noch ihr Tempo und Chris hörte, wie sich der Abstand zwischen ihm und seinen Häschern immer mehr verringerte. Plötzlich flogen zwei Kugeln dicht an Chris vorbei und verfehlten ihn nur um Haaresbreite. Sie schlugen mit einem leisen Geräusch in den Schnee und hinterließen dort ein kaum sichtbares Loch. Für einen Moment war Chris erschrocken, doch dann lief er, in der Hoffnung seinen Gegnern ein schlechteres Ziel zu bieten, im unregelmäßigen Zick-Zack weiter. Und seine Taktik schien aufzugehen, denn die nächsten zwei Kugeln sausten im weiten Abstand an ihm vorbei.


    Gerade als Chris mit einem grimmigen Lächeln begann darüber zu frohlocken, dass seine Verfolger offensichtlich so miserable Schützen waren, spürte er mit einer Mischung aus Überraschung und Entsetzen den ersten harten Einschlag: Eine Kugel hatte ihn an der linken Schulter getroffen!
    In der Tiefe seines Bewusstseins registrierte er mit leisem Erstaunen, dass er keinen Schmerz verspürte und er ahnte, dass das Endorphin in seinen Adern diese Empfindung wohl überdeckte. Allerdings brachte ihn der Aufprall für den Bruchteil einer Sekunde ins Straucheln. Kaum hatte er sich jedoch einigermaßen gefangen, knallten zwei weitere Kugeln gleichzeitig an seinen Körper: Die eine prallte genau zwischen seine Schulterblätter und die andere traf seinen linken Oberschenkel mit voller Wucht.
    Plötzlich brandete starker Schmerz in ihm auf und durch den heftigen Aufprall wurde Chris nach vorn geschleudert. Er kam aus dem Tritt und verlor endgültig das Gleichgewicht, als er über einen vom Schnee bedeckten Ast stolperte. Aus vollem Lauf fiel er schlitternd auf den Boden, so dass der pulverige Schnee in einer großen Wolke aufgewirbelt wurde.


    Prustend wischte sich Chris den kalten Schnee aus seinem glühenden Gesicht und versuchte sich zu orientieren.
    Da… da war die Mauer!
    So schnell es ihm möglich war, rappelte er sich auf seine Knie, um seine Flucht fortzusetzen. Doch er bekam keine Möglichkeit vollends aufzustehen, denn zwei weitere Kugeln trafen ihn: eine am rechten Oberarm und eine andere oberhalb des linken Rippenbogens. Schmerzhaft schrie er auf und fiel zurück in den Schnee. Verzweifelt versuchte er hoch zu kommen, um weiter laufen zu können, doch seine Füße fanden auf dem glatten Untergrund keinen Halt. Ebenso versagte ihm sein ausgelaugter, malträtierter Körper den Dienst. Er war von seiner anstrengenden Flucht inzwischen zu erschöpft und seine Kraft reichte einfach nicht mehr aus.
    Stöhnend drehte er sich schließlich auf den Rücken, presste seine rechte Hand auf die Stelle, wo ihn die letzte Kugel getroffen hatte und ein kehliges Zischen erklang zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen.
    Er wusste, dass er verloren hatte…
    Er erkannte, dass er keine Chance mehr hatte …
    Sein Glück hatte ihn verlassen…
    Hier würde es also enden…
    Seine Seele bäumte sich verzweifelt auf. Sie konnte und wollte die Tatsache, das es vorbei war nicht akzeptieren. Doch Chris’ Verstand sagte ihm, dass es aus war…
    Mit einem tiefen Stöhnen, welches einem unterdrückten, verzweifelten Aufschrei glich, streckte er sich ausgepowert im Schnee aus und ergab sich seinem unabwendbaren Schicksal.


    In der Zwischenzeit kamen die Verfolger schnell herangelaufen und blieben schließlich bei ihm stehen. Chris hob mit schmerzverzerrter Miene seinen Kopf und sah, wie sich die Drei triumphierend um ihn herum stellten und ihn mit ihren Waffen bedrohten. Von seiner unterlegenen Position aus und gegen das Licht betrachtet wirkten seine Verfolger riesig, furchteinflößend und noch bedrohlicher. Unwillkürlich musste Chris schwer schlucken.
    Der Ältere der drei Häscher blickte siegessicher zu ihm herunter und meinte mit einem grollenden, ja fast schon schadenfrohen Unterton: „Haben wir Dich endlich!“
    Schwer atmend ließ Chris seinen Kopf zurück fallen und murmelte ergeben: „Ja, ihr habt mich.“
    „Jetzt wirst Du bezahlen!“, stellte der großgewachsene, junge Mann mit einem harten Lächeln fest. „Jetzt bekommst Du, was Du für Dein Verbrechen verdienst!“
    Aus den Augenwinkeln nahm Chris wahr, wie sich die drei Häscher stumme Blicke zuwarfen. Plötzlich nickte die Person in der Mitte bestimmend. Fast gleichzeitig hoben sie ihre Arme und zielten auf ihn.
    „Bettelst Du jetzt um Gnade?“, fragte der, der genickt hatte erwartungsvoll und fügte mit einem hinterhältigen Blitzen in seinen Augen hinterher: „Dann verschonen wir Dich vielleicht.“
    Chris’ Kopf ruckte etwas nach oben. Seine Angst verbergend schaute er jedem Einzelnen ins Gesicht, schüttelte dann leicht den Kopf und brummte mit grimmiger Miene: „Ich bettle niemals! Noch nicht einmal um Gnade!“
    „Dann nimm, was Dir zusteht!“, grollte die dritte Person, holte aus und feuerte ihre Kugel ab...

  • Übrigens..., hatte ich erwähnt, das Ihr die Story mit einem Augenzwinkern ;) lesen sollt?!?
    :D:P


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    Instinktiv riss Chris seine Arme nach oben und hielt sie sich schützend vors Gesicht. Keinen Augenblick zu spät, denn im nächsten Moment traf der Schneeball mit voller Wucht seine Unterarme und zerstob in feines Pulver. Reflexartig rollte er sich schnell auf die Seite, zog die Beine an und versuchte sich möglichst klein zu machen. Denn auch die anderen Beiden feuerten nun ihre Kugeln auf Chris mit triumphierendem Jubel ab und für Sekunden befand er sich in einem nicht enden wollenden Kugelhagel aus Schneebällen.
    Als sich ihr Vorrat an „Munition“ dem Ende neigte, bückten sich Jakob, Richard und Johanna schnell und formten mit ihren flinken Händen neue Bälle aus dem Schnee. Die kurze Feuerpause ausnutzend, begann nun auch Chris mit Schneebällen nach den Kindern zu werfen und innerhalb kürzester Zeit war eine wilde Schneeballschlacht im Gange. Hin und her flogen die weißen Geschosse, jedoch verfehlten die meisten ihr Ziel. Wenn jedoch ein Ball sein Ziel mit einem dumpfen Aufprall traf, wurde das mit einem frenetischen Jubelschrei des jeweiligen Schützen kundgetan.


    Allerdings hatte Chris gegen die drei schneeballschlachterprobten Kinder, die ihn von verschiedenen Seiten bombardierten, kaum eine Chance. Immer wieder versuchte er den heranfliegenden Kugeln auszuweichen oder Deckung zu suchen, weshalb er selber so gut wie nie dazu kam welche abzufeuern. Ohne Unterlass prasselten die Schneebälle aus ihn ein und nachdem ihn einer mitten auf der Brust traf, griff er sich theatralisch an die „Schussverletzung“ und warf sich mit einem gespielt gequälten Aufschrei zurück in den Schnee. Er hob beide Arme, winkte müde und rief erschöpft: „Ich ergebe mich!“


    Jauchzend liefen die Kinder zu ihm, vollführten einen Siegestanz um ihn herum und sangen mit heller Stimme: „Wir haben gewonnen! Wir haben gewonnen!“
    Schließlich kniete sich Johanna neben ihren Vater, lehnte sich auf seinen Oberkörper und sah ihn mit leuchtenden Augen an. „So, jetzt wo wir Dich besiegt haben, musst Du unseren Schneemann wieder aufbauen!“, forderte sie energisch.
    „Und was ist, wenn ich es nicht mache?“, fragte Chris mit einem schelmischen Blitzen in den Augen.
    „Dann…“, antwortete Richard drohend und kniete sich ebenfalls neben Chris, „werden wir Dich einseifen!“ Wie um seine Worte zu unterstreichen, griff er in den Schnee, nahm eine Handvoll und hielt sie seinem Onkel dicht vor die Nase.
    Abwehrend hob Chris eine Hand, schob die kalte Bedrohung zur Seite und lachte gutmütig: „Nee, nee…, lasst mal! Ich kann nicht mehr und tue alles, was Ihr von mir verlangt.“
    Die beiden Kinder erkannten, das es ihm mit seiner Aussage ernst war und ließen endlich von ihm ab. Sie standen auf und stellten sich neben Jakob. Dieser hatte die Szene mit einem verstohlenem Lächeln beobachtet und hielt nun versöhnlich seinem Vater die rechte Hand hin, um ihm aufzuhelfen. „Na, dann komm und mach Deine Schandtat wieder gut“, grinste er.
    Chris ergriff die dargebotene Hand, erhob sich und klopfte sich den Schnee von der Kleidung. Während er sich die letzten Schneereste aus den Haaren wuschelte, sah er anklagend von einem zum anderen und meinte schließlich: „Ihr wisst aber schon, das es nicht meine Absicht war Euren Schneemann zu zerstören. Es war ein Versehen.“
    Protestierend schnaubten die Kinder und Johanna meinte anklagend: „Versehen…? Nee, nee, Papa, das hast Du mit Absicht gemacht! Wir haben es genau gesehen.“ Zur Bestätigung ihrer Aussage nickten die Jungs eifrig mit dem Kopf.


    Obwohl er die ganze Sache etwas anders sah, gab sich Chris mit einem geseufzten Kopfschütteln geschlagen: Das die Kinder immer gleich aus einer Mücke einen Elefanten machten!
    Schließlich hatte er doch nur nach den Kindern sehen wollen, die schon den halben Tag draußen gewesen waren und im Schnee gespielt hatten. Vom Haus aus hatte er beobachtet, wie sie dabei waren, einen Schneemann zu bauen und war zu ihnen nach draußen gegangen, um sich ihr Werk näher anzuschauen. Die Kinder waren so in ihre Tätigkeit vertieft gewesen, das sie sein Kommen zuerst nicht bemerkten. Als er fast hinter ihnen stand, hatte sich Jakob plötzlich umgedreht und war über das unbemerkte Auftauchen seines Vaters dermaßen erschrocken, das er vor Schreck einen Satz nach hinten machte und in den gerade errichteten Schneemann gestolpert war. Die erst kurz vorher aufgesetzte Kugel, die den Kopf markierte, war mit einem platschenden Geräusch herunter gefallen und auseinander geborsten. Gleichzeitig war die mittlere Kugel von der untersten herunter gerutscht und ebenfalls zerbrochen, so das von dem mit kindlichen Eifer errichteten Meisterwerk nur noch ein elendiger, verwüsteter Schneehaufen übrig geblieben war.
    Zuerst hatten die Kinder entsetzt auf die Bescherung geschaut, doch ihr Blick hatte sich in Empörung gewandelt, als Chris sich aufgrund der bedröppelten Mienen nicht mehr halten konnte und anfing zu kichern. Glucksend hatte er versucht sich zu entschuldigen, aber die Kinder glaubten, das er sich über sie lustig machen wollte. Mit finsteren Blicken und kampfeslustigen Mienen hatten sie ihn angeschaut. Beschwörend hatte er die Hände gehoben und beteuert, das es nicht seine Absicht gewesen war die Kinder zu erschrecken und das er sie jetzt nicht auslachen würde. Doch noch immer hatten sie ihm nicht geglaubt und er hatte gespürt, das er trotz seiner flehentlichen Schwüre gegen die felsenfesten Überzeugungen der drei Kinder nichts ausrichten könnte. Also war ihm letztendlich nichts anderes übrig geblieben, als Hals über Kopf die Flucht zu ergreifen…


    Als er an seine Flucht vor den Kindern dachte, musste Chris unwillkürlich erneut seufzen. ‚Was ist nur aus mir geworden?’, dachte er kopfschüttelnd. ‚Ich war mal ein hartgesottener, unbarmherziger und gefürchteter verdeckter Ermittler des LKA. Und jetzt…? Jetzt laufe ich vor Kindern weg!’
    Das fröhliche Lachen der Kinder und ihre glücklichen Mienen ließen ihn jetzt jedoch die „falschen Anschuldigungen“ vergessen und er konnte mit einem Augenzwinkern über die „Ungerechtigkeit“ hinweg sehen. Gemeinsam ging er mit den Kindern um das Haus herum zurück in den Garten und sie begannen einen neuen, größeren Schneemann zu bauen.


    Eine knappe Stunde später traten alle einen Schritt zurück und betrachteten voller Stolz ihr gemeinsam erschaffenes Werk. Während sie ihre Blicke über die hoch aufragende Figur mit dem lachenden Gesicht schweifen ließen, hörte Chris, wie jemand ihre Namen rief. Er drehte sich um und sah seine Schwester Gaby auf der Terrasse stehen. Sie winkte ihnen zu und fragte: „Wollt Ihr nicht reinkommen und Euch bei einer Tasse Kakao oder Kaffee aufwärmen? Ich habe auch Waffeln gebacken.“


    Das ließen sich die Kinder nicht zweimal sagen. Geschwind liefen sie zum Haus, streiften vor der Terrassentür ihre Schuhe ab und trugen sie schnell durch den Wintergarten und das Wohnzimmer in den Flur. Aufgeregt schwatzend zogen sie ihre nassen Schneeanzüge aus, warfen sie auf die Garderobe und rannten anschließend in ihre Zimmer, um sich trockene Kleidung anzuziehen. Nachdem sie sich schnell das Gesicht und die Hände gewaschen hatten, gingen sie hinunter ins Esszimmer...

  • In der Zwischenzeit war auch Chris hinter den Kindern zurück zum Haus gegangen. Als er auf der Terrasse ankam, blickte seine Schwester ihn verschmitzt von der Seite an und meinte mit leichtem Erstaunen in der Stimme: „Du siehst abgekämpft aus.“
    „Ist ja auch kein Wunder, wenn mich die Rasselbande durch den ganzen Garten jagt und dabei die ganze Zeit versucht, mich mit Schneebällen abzuschießen“, verteidigte sich Chris mit anklagender Stimme, zog die völlig durchnässten Schuhe aus und betrat den Wintergarten.
    „Was hast Du ihnen denn getan?“, lachte Gaby leise auf und schloss hinter ihnen die Terrassentür. Mit verstecktem Spott fragte sie hinterher: „Hast Du etwa den Schlitten zu Schrott gefahren?“
    Chris’ Kopf flog zu ihr herum und er schaute sie tadelnd an. Obwohl Gaby versuchte ein unschuldiges Gesicht aufzusetzen, konnte sie den ironischen Zug nicht verbergen, der sich um ihre skeptisch hochgezogene Augenbraue und den vorwurfsvoll zusammen gepressten Lippen legte. Als seine Schwester so vor ihm stand und ihn anschaute, erinnerte ihn die Mimik und der Tonfall an die Engelhardt, wenn sie sich eine zynische Bemerkung zu denen von ihm und Semir verursachten ‚Unfällen’ nicht verkneifen konnte.
    „Du hörst Dich schon wie meine Chefin an!“, maulte er schließlich leicht beleidigt.


    Für einen Augenblick hielt Gaby dem strafenden Blick ihres Bruders stand, doch dann konnte sie sich nicht mehr halten und kicherte los. „Chris Ritter! Lenk jetzt nicht vom Thema ab“, neckte sie ihn und hob tadelnd den Finger. „Also, komm, was hast Du getan, um Dir den „Zorn“ der Kinder auf Dich zu ziehen?“
    „Nichts…“, grummelte Chris und bückte sich schnell, um mit umständlichen Handgriffen seine nassen Socken auszuziehen. Auf diese Weise versuchte er etwas Zeit zu schinden, um dem bohrenden Blick seiner Schwester ausweichen zu können.
    Mit skeptischer Miene beobachtete Gaby ihren Bruder bei seinem Tun. „Du hast doch nicht etwa wirklich den Schlitten kaputt gemacht, oder?“, wollte sie in gut gespielter Fassungslosigkeit wissen.
    „Nein!“, wehrte Chris protestierend ab und stopfte seine Socken in die Schuhe. „Es war nur der Schneemann…“, murmelte er verlegen hinterher, griff sich das Paar Schuhe und stapfte barfuss durch das Haus.
    Jetzt konnte sich Gaby überhaupt nicht mehr zurück nehmen und prustete lauthals los.
    „Oh Chris,“ gluckste sie nach einigen Sekunden und wischte sich eine Lachträne aus den Augenwinkeln, „Du änderst Dich wohl gar nicht mehr!“
    „Aber es war ein Versehen!“, versuchte sich Chris vehement zu verteidigen. „Ehrlich…, nur ein Versehen!“
    Lachend schob Gaby ihren Bruder in Richtung Badezimmer, damit er seine nasse Kleidung wechseln und sich frisch machen konnte.


    Kurz darauf Chris betrat das Esszimmer, wo die Kinder schon ungeduldig auf ihn warteten und mit hungrigen Blicken auf den voll beladenen Teller mit verführerisch duftenden Waffeln schauten. Gaby, die gerade dabei war, heißen Kakao oder Kaffee auszuschenken, reichte ihrem Bruder seine Tasse und setzte sich an den Tisch. Mit einer einladenden Geste forderte sie die Kinder und Chris auf, tüchtig zuzulangen. Das taten sie auch sogleich und ließen sich das leckere Gebäck schmecken.
    Es herrschte eine muntere Stimmung während des Kaffeetrinkens. Wieder und wieder erzählten die Kinder mit glänzenden Augen von ihrem glorreichen Sieg über Chris, während der Besiegte immer wieder schmunzelnd und mit einem versteckten Augenzwinkern betonte, das er ja in der Unterzahl gewesen sei und somit auch keine Chance gehabt hätte.


    Nachdem alle Waffeln verspeist und die warmen Getränke getrunken waren, begab sich Chris mit den Kindern ins Wohnzimmer. Zusammen mit den beiden Jungs zündete er den Kamin an, in dem kurz darauf ein knisterndes Feuer prasselte. Anschließend machten sie es sich auf der Couch gemütlich und genossen die wohlige Wärme, die alsbald den Raum erfüllte.


    Gaby, die noch in der Küche war, um das Geschirr vom Kaffeetrinken in die Spülmaschine zu räumen, bemerkte nach einiger Zeit plötzlich, das es nebenan sonderbar still war. Vorsichtig schaute sie um die Ecke hinüber zum großen Ecksofa, auf dem sich Chris und die Kinder ausgebreitet hatten.
    Rechts und links, in den Ecken der Seitenlehnen zusammen gerollt, lagen Jakob und Richard und schlummerten friedlich. Chris saß auf dem Eckteil der Couch; seine Beine lang auf der Sitzfläche ausgestreckt. Er hielt Johanna in seinem linken Arm, die sich eng an ihn gekuschelt hatte und deren Kopf auf seiner Brust ruhte. Auch sie beide schliefen fest, wie Gaby an den geschlossenen Augen und den gleichmäßigen Atemzügen erkennen konnte.
    Eine Weile beobachtete sie die friedliche Szene. Sie ließ ihren liebevollen Blick über die einzelnen Gesichter der Kinder schweifen, deren durch das Spielen an der frischen Luft gesunder Teint noch durch die Wärme des Kamins verstärkt wurde.


    Anschließend richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf Chris und sah, dass sein Kopf leicht zur Seite gekippt auf der Schulter lag. Ahnend, dass das auf Dauer nicht bequem sein konnte, ging sie leise zu ihm hin. Sie nahm ein kleines Kissen vom Sessel, legte es ihm in den Nacken und bettete vorsichtig seinen Kopf so darauf, das er in einer angenehmeren Position lag. Chris schlief so fest, das er von Gabys Aktion nichts mitbekam.
    Ein zufriedenes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, als sie ihren Bruder noch einen Moment im Schlaf beobachtete. Es freute sie von ganzem Herzen, Chris so entspannt zu sehen und das er seelenruhig weiterschlafen konnte. Noch vor einem Jahr wäre er bei dem kleinsten Geräusch aufgeschreckt oder bei der leisesten Berührung zusammengezuckt.
    ‚Doch die Zeiten sind Gott sei Dank vorbei!’, dachte sie mit einem Lächeln.
    Als sie auf Zehenspitzen das Wohnzimmer verließ, sah sie nicht mehr, wie über Chris’ schlafende Miene ein glücklicher, zufriedener Ausdruck huschte, während er von wilden Schneeballschlachten mit seinen Kindern träumte…


    ENDE

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