Kindheit in Trümmern

  • „Tut mir Leid.“, meinte Semir. Der Mann musste sich erst einmal fangen, verarbeiten, was er gerade unglaubliches gehört hatte. Sein Sohn sollte sexuell missbraucht worden sein? „Das kann nicht sein.“, stammelte er und hielt seine Frau noch fester an sich, aber nur, um nicht selbst in den Knien nachzugeben. „Ist das ... Ich meine, könnte sich deshalb mein Sohn...“ „Wir nehmen es an.“, erwiderte der Deutschtürke. Ben entfernte sich inzwischen und suchte das Zimmer des Jungen auf. Er hoffte, dort etwas mehr über das Umfeld des Jungen zu erfahren. Mit einem Blick gab er dies Semir zu verstehen und dieser nickte ihm nur zustimmend zu. Die Neukirchs ließen sich auf die Couch nieder. „Haben sie in den letzten Wochen eine Veränderung an Daniel festgestellt? Irgendwas, was anders an seinem Verhalten war?“, wollte der Hauptkommissar wissen.
    Wie in Trance schüttelte Doris Neukirch den Kopf. „Wir sind beide berufstätig, Herr Gerkhan. Mein Mann in seinem Verlag und ich in meiner Apotheke. Wir kommen meist sehr spät nach Hause.“ „Das Abendessen war das einzige Ritual, wo die ganze Familie am Tisch saß.“, fügte Hans Neukirch hinzu und starrte wieder auf die Fotos seines verstorbenen Sohnes. „Ist ihnen da nie etwas aufgefallen?“ „Nun, Daniel war wirklich in letzter Zeit ziemlich still, aber wir dachten, es lag daran, dass er sich von seiner Freundin getrennt hatte. Das war seine erste große Liebe.“, schluchzte Doris. „Haben sie mit ihrem Sohn darüber gesprochen?“, fragte Semir. „Ich habe es versucht.“, erwiderte Hans. „Doch immer hat er nur abgeblockt. Es schien, als wolle er alleine damit fertig werden. Hätte ich doch nur weiter gebohrt.“, warf sich der Vater vor und schlug mit der Faust gegen seine Stirn.


    Ben sah sich inzwischen das Zimmer des Jungen an. Es war ein Zimmer eines knapp Vierzehnjährigen: Einige Modellautos standen in einer Vitrine, ein Modell des Orient-Expresses zierte ein Wandregal, verschiedene Poster der angesagtesten Musikerinnen und Rockbands an der Wand und über dem Bett, in der Ecke eine Gitarre und ein, was Ben zuerst verwunderte, ein Florett, ein Fechtdegen.
    Der junge Ermittler setzte sich in den Bürostuhl am Schreibtisch, der mit allen möglichen Büchern und vollgeschmierten Zetteln zugekramt war und suchte in dem Chaos, bei ihm sah es ja manches Mal nicht viel besser aus, einige Anhaltspunkte, um sich ein Bild von Daniel machen zu können. Unter dem Berg von Papieren kam die Tastatur des Computers zum Vorschein, doch nichts interessantes war bei den Zetteln zu finden. Meist waren es Hausaufgaben, Aufsätze oder Notizen. Doch Ben ließ sich nicht beirren und suchte weiter. Es musste sich doch was finden lassen.
    Jetzt waren die Regale und Schränke dran. Alles voll mit Comicheften, Musikzeitschriften, Computermagazinen und Schulheftern. Dennoch fand Ben etwas, was seine Aufmerksamkeit erregte. Einige Briefe, die meisten geöffnet und gelesen, ohne Unterschrift. Eindeutig waren diese Briefe von Mädchenhand geschrieben worden. Sofort fiel ihm der Brief wieder ein, den er heute morgen im Briefkasten hatte. Zwar waren sie nicht von derselben Person, die Handschriften waren viel zu unterschiedlich, aber was, wenn hier eine unerfüllte Liebe im Spiel war? Eine Liebe, die aufgrund von Daniels Zurückgezogenheit durch den sexuellen Missbrauch eine Teilschuld am Selbstmord des Jungen hatte. Ben steckte die Briefe auf jeden Fall mit ein. Die Klassenlehrerin würde die Handschrift sicherlich kennen. Ben verließ das Zimmer wieder und ging nach vorne zu Semir, der mit der Befragung der Eltern soweit auch fertig war. Sie verabschiedeten sich und gingen zu ihrem Auto zurück.


    ...


    ein paar Feeds von euch wären schön ;) auch bei Ellis Story

  • „Und, hast du was interessantes gefunden, was uns weiterhelfen kann?“, wollte der Deutschtürke wissen. „Vielleicht. Ich habe im Zimmer die Briefe eines Mädchens gefunden, die an Daniel adressiert waren.“, erwiderte Ben. „Vielleicht hilft uns das in irgendeiner Weise weiter.“, fügte er hinzu. Als Semir etwas erwidern wollte, klingelte jedoch sein Handy. „Ja Gerkhan?“, meldete er sich.
    „Herr Gerkhan, hier ist Tim Weinbaum. Sie erinnern sich an mich?“, fragte Tim. „Ja, sicherlich. Ist dir noch etwas eingefallen?“, fragte Semir. Der Junge bejahte dies nur. „Können wir uns irgendwo treffen? Unter vier Augen am Besten.“, schlug der Junge vor. „Okay, wie du willst. Und wo?“, fragte der Hauptkommissar. „Kennen sie den Bolzplatz in der Südstadt?“, wollte der Junge wissen. „Kenne ich.“ „Sagen wir in einer Stunde.“, schlug Tim vor. „Okay, in einer Stunde.“, beendete Semir das Gespräch und stieg in seinen BMW ein. Ben sah ihn nur abwartend an. „Sollte ich irgendwas wissen?“, fragte er und setzte sich auf den Beifahrersitz. „Tim will sich mit mir treffen. Pass auf, ich setze dich an der Schule ab und du kannst herausfinden, wessen Handschrift das ist.“, schlug Semir vor. Ben nickte nur zustimmend. „Okay, dann mal los.“


    Nur eine halbe Stunde später hatte Semir Ben an der Schule abgesetzt und fuhr dann weiter in die Südstadt. Er parkte den Wagen und ging dann zum Bolzplatz, wo sich einige Jugendliche tummelten und Fußball miteinander spielten. Semir wartete davor, beobachtete seine Umgebung und wartete nun auf Tim. Er wusste nicht, was ihn der Schüler erzählen wollten. Vielleicht ging es um Daniel, oder es ging um Nicolas Zerbst oder aber um beide. Da musste er warten, bis Tim endlich auftauchte, dann würde er mit Sicherheit ein wenig klüger sein. Er hoffte, diesen Fall so schnell wie möglich abzuschließen.
    Fast eine geschlagene Stunde wartete Semir nun schon auf Tim. Hatte der Junge etwa einen Rückzieher gemacht? Leicht genervt sah Semir immer wider auf seine Armbanduhr und dann wieder in die Umgebung hinauf. Endlich kam Tim auf seinem Fahrrad um die Ecke geschossen und bremste scharf vor dem Hauptkommissar. Semir grinste leicht, musste er doch daran denken, wie Ben ihn bei ihrer ersten Begegnung geschnitten hatte. „Hallo, entschuldigen sie, dass es etwas später wurde.“, meinte der Junge Semir winkte nur ab. „Schon in Ordnung. Also, was wolltest du mir erzählen?“, fragte er gleich darauf.
    Tim sah bedrückt zu Boden. Ihm fiel es sichtlich schwer, darüber zu reden. „Wissen sie, Daniel und ich... Es war mehr als nur Freundschaft.“, kam es leise, jedoch verständlich von Tim. Semir sah ihn schief an. „Das soll nicht heißen, das wir was miteinander hatten.“, korrigierte er sofort seine Aussage, bevor der Hauptkommissar noch auf andere Gedanken kam. „Daniel und ich, wir waren wie Brüder. Wir hatten einfach eine mentale Verbindung zueinander, die er mit niemand anderes hatte.“, fing Tim an zu erzählen und saß betreten auf der Mittelstange seines Fahrrads. Semir hörte gebannt zu und notierte sich jede wichtige Einzelheit. „Tim, kannst du mir sagen, was Daniel so verändert hat?“, fragte er und sah den Jungen an. Dieser verstand nicht recht, was der Hauptkommissar von ihm zu wollen schien. „Ich meine, wenn ihr so einen guten Draht zueinander hattet, dann redet man doch auch miteinander, wenn es einem schlecht geht, oder?“ Tim nickte zustimmend. „Ich denke, es lag daran, dass er mit seiner Freundin Luise Schluss gemacht hat.“, erklärte Tim und sah dabei zu Boden, sodass Semir nicht wusste, ob er aufrecht zu ihm war.
    „Nur deswegen? Tim, dein Freund wurde sexuell missbraucht. Ich glaube kaum, dass er das so leicht vor dir verbergen konnte.“, Semirs Ton dem Jungen gegenüber war plötzlich scharf geworden, die Freundlichkeit aus der Stimme gewichen. Er zuckte leicht zusammen. „Ich glaube, es ist meine Schuld, was mit Daniel passiert ist.“, kam es vorsichtig von Tim und sofort erregte er damit die Aufmerksamkeit von Semir. „Was meinst du damit?“, fragte Semir leicht entsetzt und verwundert zugleich.


    ...

  • und weiter gehts ;)
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    „Ich habe Daniel regelmäßig mit zum Fechten genommen, hab ihn überredet, in den Club einzutreten. Anfangs machte es ihm Spaß und er war auch hellauf begeistert, aber...“, der Junge hielt kurz inne, überlegte, ob er dieses Detail erzählen sollte. „Aber?“, fragte Semir und drängte den Jungen förmlich. Schließlich galt es hier, perfide Umstände aufzuklären, die zum Selbstmord eines Kindes geführt hatten. „Tim, du musst mir schon alles erzählen. Bitte.“, kam es bittend von Semir, dieses Mal wieder mit seiner sanften, beruhigenden Stimme. Der Junge nickte nur ergeben und fing an, weiterzuerzählen.
    „Vor ungefähr einem Monat wurde Daniel von unserem Trainer nach Hause gefahren. Beide waren allein, ich war an dem Tag krank, mein Handgelenk war verstaucht. Als ich Daniel am nächsten Tag in der Schule getroffen habe, sah er mich mit einem hilfesuchenden Blick an, als wolle er sagen: Wo warst du gestern?“, kam es von Tim. Seine Stimme zitterte dabei, als er dem Deutschtürken davon erzählte. „Danach änderte sich nicht viel am Verhalten von Daniel. Er wurde immer in sich gekehrter, verschloss sich gegenüber Annäherungsversuchen, selbst das Training wollte er unter keinen Umständen mehr besuchen.“, fügte Tim hinzu. In Semirs Kopf arbeitete es. Hatte das Erlebnis mit dem Trainer etwas mit der Wandlung und dem sexuellen Missbrauch des Jungen zu tun? Der Hauptkommissar wusste es nicht, aber es war eine Spur, der man nachgehen sollte.
    „Tim, kannst du mir den Namen eures Trainers geben?“, fragte Semir und der Junge sah ihn irritiert an. „Es ist eine Möglichkeit, die in Betracht gezogen werden muss.“, erwiderte der Hauptkommissar nur. Tim nickte und rückte mit der Adresse raus. „Gut, danke für deine Hilfe.“, verabschiedete sich Semir und stieg in seinen BMW ein. „Susanne, ich bin's. Ich brauch alles, was du über einen Roland Pohl herausfinden kannst. Vorstrafen, etc. klar?“, fragte Semir. „Alles klar, ich schick dir die Daten dann rüber.“, erwiderte Susanne und machte sich gleich an die Arbeit, während Semir nach Düsseldorf fuhr, um diesen Roland Pohl einen Besuch abzustatten.


    Derweil war Ben mit Frau Chan dabei, sämtliche Arbeiten nach der Handschrift durchzusehen, mit der die Briefe geschrieben worden sind, die Ben bei Daniel im Zimmer gefunden hatte. Ganz nebenbei konnte er auch vielleicht in Erfahrung bringen, wer den Brief geschrieben hat, den er heute morgen im Briefkasten hatte.
    „Ah, hier haben wir sie.“, meinte Frau Chan und zog eine Arbeit hervor, die exakt die gleiche Handschrift aufwies, wie die Briefe. Ben sah auf den Kopf der Arbeit, wo immer Namen und Datum vermerkt waren. „Luise Pfeifer.“, dachte er laut. „Wo ist Luise jetzt?“, wollte er wissen und die Lehrerin sah auf einen Stundenplan. „Im Moment hat sie mit den anderen zusammen Chemie.“, verkündete sie und sah Ben erwartungsvoll an. „Würden sie Luise bitte herholen. Ich würde gerne mit ihr reden.“, bat der junge Hauptkommissar die Lehrerin und diese verschwand sofort aus dem Lehrerzimmer, das zu dieser Zeit nur mit wenig Kollegen besetzt war.
    Nachdem Ben weitestgehend unbeobachtet war, zog er seinen Brief hervor, den er von seiner heimlichen Verehrerin geschickt bekommen hatte, und suchte in den Arbeiten nach der passenden Handschrift. Nach wenigen Minuten des Suchens war er am Ziel. „Bingo.“, stieß er aus und hielt eine zur Handschrift des Briefes passende Arbeit hoch. „Karoline Habicht.“, las er aus dem Kopf der Arbeit ab, notierte sich den Namen und steckte die Arbeit wieder zurück, als er den Schlüssel im Schloss drehten hörte.


    „Lu, Hauptkommissar Ben Jäger möchte mit dir sprechen.“, meinte Frau Chan mit fester Stimme und nickte Ben zu, als sie das Mädchen direkt vor ihn platziert hatte. „Könnten wir irgendwo unter vier Augen sprechen“, fragte Ben und sah sich um. Außer Frau Chan, saßen noch drei andere Lehrer im Lehrerzimmer. Zwar arbeiteten sie, doch neugierig waren die auch bestimmt. Frau Chan verstand Bens Anliegen und suchte auf dem Raumplan nach einem freien Zimmer. „Gut, wir gehen ein Stockwerk höher.“, meinte sie und wies Ben und Lu den Weg.


    ...

  • Tschuldigt, dass ihr so lange warten musstet, aber hier der nächste Teil ;)
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    Sie schloss den Raum auf und ließ Ben und Lu allein. „Lu, ich weiß, dass du die Freundin von Daniel Neukirch gewesen bist.“, fing Ben an. Das Mädchen ließ sich in Schräglage auf einen Stuhl fallen und klapperte mit ihren angemalten Fingernägeln auf der Tischplatte herum. „Und?“, erwiderte sie nur und sah den Kommissar respektlos an. „Ich würde gerne von dir wissen, warum ihr euch getrennt habt.“ „Was weiß ich. Der Kerl hat per SMS mit mir Schluss gemacht. Einfach so, ohne Erklärung.“, zischte sie. Wut und Trauer schwangen in ihrer Stimme mit. „Wann war das?“, fragte Ben. „Etwa vor drei Tagen.“, schnaubte Lu, immer noch sauer, wenn sie daran dachte. „Kann ich die SMS mal sehen?“ Ben streckte die Hand aus, doch das Mädchen verschränkte nur die Arme. „Hab ich gelöscht.“, kam es bockig von ihr. „Klasse.“, dachte Ben. „Weißt du dann wenigstens noch den Inhalt der Nachricht?“, fragte er und bekam nur ein genervtes Stöhnen als Antwort. Langsam verlor er die Geduld mit diesem maulfaulem Ding, doch er wusste, würde er jetzt losbrüllen, würde sie blocken und das alles wäre in einer Sackgasse verlaufen. „Er hat gesagt, ich würde ihn einengen. Ihm keinen Freiraum lassen und dass er ein Vogel ist, der seine Freiheit brauche. Der Typ hatte einen Vogel. Ich frage mich, wieso ich überhaupt auf ihn abgefahren bin.“, schimpfte sie und kippelte hin und her.
    „Wie lange wart ihr denn zusammen?“ „Was geht sie das an?“, kam es giftig von der Kleinen. „Jetzt pass mal auf, Daniel ist tot. Und ich will wissen, warum er Selbstmord begangen hat. Also mach endlich den Mund auf oder du kannst was erleben.“, schnauzte Ben das Mädchen an, dass entsetzt zusammenfuhr. „Daniel hat... hat Selbstmord begangen? Aber wieso?“, stammelte sie. „Das will ich herausfinden und deswegen brauche ich deine Hilfe.“ „Nicht lange. Wir waren erst seit drei Wochen zusammen.“, kam es leise von Lu, die ihre schwache Seite, die im Moment durch die Todesnachricht zu tragen kam, effektiv zu verbergen suchte, um keine Angriffsfläche zu bieten. „Was weißt du noch über Daniel? Hat sich sein Verhalten in den letzten Wochen verändert? Oder habt ihr euch gar nicht mehr gesehen?“, kam es von Ben nur so gesprudelt. Lu sah ihn an und schüttelte heftig mit dem Kopf. Der Schock über den Tod des Freundes ließ es wohl jetzt nicht zu, dass er sie weiter befragte.
    „Falls dir noch was einfällt, hier ist meine Karte.“, meinte der Kommissar. „Die werde ich gleich mal Karo geben. Die wird sich freuen.“, kam es aufmüpfig vom Mädchen. „Was soll das heißen?“ „Sie steht auf sie.“, erwiderte sie mit einem schmutzigen Grinsen. Der junge Hauptkommissar wusste nicht, was er auf diese Worte erwidern sollte. Dann stimmte es also doch. Mit schelmischem Grinsen im Gesicht verließ Lu den Raum und ließ einen völlig perplexen Ben zurück. Dieser wusste, dass er mit dem Mädchen sprechen musste. Am Besten sofort, bevor sie sich falsche Hoffnungen machen würde. So bat er Frau Chan, Karoline aus dem Unterricht zu holen und sie mit ihm alleine zu lassen.


    Karoline bekam einen roten Kopf, als sie durch die Tür schritt und mit den Augen auf ihren großen Schwarm sah, der ruhend auf einen Tisch saß und die Beine baumeln ließ. „Hallo.“, meinte die kleine Dame nur verlegen und sah zum Boden hinunter. „Karo, ich möchte mit dir sprechen.“, meinte Ben und nickte Frau Chan zu. Diese ließ ihre Schülerin mit Ben allein. Nachdem die Tür zu war, ging Ben zu ihr und stellte sich vor dem Mädchen auf. „Karo, du hast mir einen Brief geschrieben, oder?“, kam er gleich zur Sache und schlich regelrecht um das Mädchen rum, das nur schüchtern nickte. „Was soll ich davon halten? Ich meine, ich bin doch viel zu alt für dich.“, versuchte er es, dem Mädchen auszureden. Doch sie schüttelte nur heftig den Kopf. „Nein, das stimmt nicht.“, erwiderte sie plötzlich und sah in seine braunen Augen hinauf.
    „Karo, ich liebe dich nicht. Du bist viel zu jung.“, kam es forscher von Ben, doch noch immer wollte es die Kleine nicht einsehen. „Nein... nein, das ist mir egal.“, kam es dann energischer von ihr. Der Hauptkommissar schüttelte nur den Kopf. „Karoline, lass die Schwärmerei. Es wird dich nur ins Unglück stürzen. Such dir einen Freund in deinem Alter.“, meinte Ben einfühlsam und legte die Hand auf die Schulter des Mädchen, strich kurz über den Arm. „Bitte akzeptiere das. Ich weiß, du bist ein liebes Mädchen, aber du musst einsehen, dass ich dich nicht liebe.“, erklärte er und ging aus dem Raum hinaus mit der Hoffnung, alles nun geklärt zu haben. Doch dem war nicht so. Karoline stand da und weinte vor sich hin, still ohne das kleinste Geräusch von sich zu geben. Die Worte des Mannes, den sie liebte, trafen sie hart und schürten innerlich eine unbändige Wut. „Du liebst mich nicht?“, weinte Karo und drehte sich zur geschlossenen Tür um. „Das wirst du noch bitter bereuen.“, meinte sie und ihr Gehirn, zersetzt von momentaner Wut und aufkommenden Hass für die gerade gehörten Worte, grübelte gefährliche Gedanken aus, die Ben noch in Schwierigkeiten bringen sollten, wie er bald feststellen sollte.


    ...

  • Tim schwang sich von seinem Fahrrad, das noch rollte, als er absprang. Er war wieder zu Hause. Er hoffte, dass jetzt eine Nachricht oder ein Anruf auf ihn wartete. Und er hatte Recht. Im Briefkasten lag ein Umschlag. Er war an Tim adressiert. Sofort schmiss er sein Fahrrad in die Ecke und rannte die Treppen hinauf.
    Er schloss sich in seinem Zimmer ein und öffnete vorsichtig den Brief. Ja, er war von ihr. Das Mädchen, das er schon seit langem liebte. Er hatte endlich ein Mädchen gefunden, doch um was für einen Preis. Daniel hatte es herausgefunden und war bestürzt, ja enttäuscht, empfand ihn als Verräter. Tim hatte ihm gesagt, dass es nichts an ihrer Freundschaft ändern würde. Doch der Junge wollte davon nichts wissen, rannte aus dem Haus, als Tim es ihm erzählt hatte. War das vielleicht mit verantwortlich für den Selbstmord? Tim wollte nicht darüber nachdenken, doch Daniels Tod ließ ihn nicht los. Tim nahm sein Handy in die Hand und wählte die Nummer seines Herzens. „Hallo, ich bin's. Wie geht es dir?“, fragte er und lächelte dabei verliebt. „Ach was? Sag bloß?“, er lachte herzhaft. Seine Freundin am andere Ende erzählte ihm alles, was sie in den letzten Tagen erlebt hatte. Tim lachte und tänzelte in seinem Zimmer herum. Sein ganzer Körper fühlte sich so leicht an und dann auch wieder nicht. Denn dann hatte er wieder den kleinen Daniel vor Augen. „Tim, was ist los?“, fragte das Mädchen am anderen Ende der Leitung. „Was? Nichts. Ich musste nur an was denken.“, erwiderte er. „Wann kommst du aus Dublin wieder?“, fragte er, da seine Freundin gerade im Schüleraustausch war. „In drei Tagen. Dann sehe ich dich endlich wieder.“, erwiderte sie mit einem Schmachten in der Stimme. „Ich liebe dich.“, hauchte sie dann. „Ich dich auch.“, flüsterte Tim.


    Fast gleichzeitig betraten Semir und Ben das Büro. „Und, wie war das Gespräch mit der Kleinen?“, fragte Semir lächelnd. Ben winkte nur ab. „Frag nicht, es war das gleiche, was wir schon vorher gewusst haben. Aber ich weiß jetzt, wer mir den Liebesbrief von heute morgen geschrieben hat.“, lachte er triumphierend. Semir verschluckte sich fast am Kaffee. „Du hast einen Liebesbrief bekommen?“, hustete er. „Jap.“, meinte Ben. „Aber ich habe das mit der Kleinen schon geklärt. Stell dir vor, die kleine Karoline hat mir diesen Brief geschrieben.“ „Was? Eine der Schülerinnen ist in dich verschossen? Findest du keine Freundin in deinem Alter?“, spottete Semir mit frechem Grinsen auf den Lippen. „Sehr witzig, Herr Gerkhan, wirklich zum Schießen.“, erwiderte Ben.
    In diesem Moment klingelte das Telefon und der junge Hauptkommissar nahm das Gespräch ab. „Jäger, Kripo Autobahn?“, meldete er sich. „Ah hallo Doc. Der DNA-Abgleich ist negativ?“, dachte Ben laut und war ein wenig enttäuscht darüber. Noch immer gab es kein Ergebnis im Fall mit dem Jungen. „Gut, danke.“, beendete er das Gespräch. „Und?“, fragte Semir. „Tja, die DNA-Probe von Sebastian ist noch nicht fertig.“, erklärte er und ließ sich in seinen Sessel fallen. „Tja, dann müssen wir ihn wohl vorerst gehen lassen.“, dachte Semir laut und leitete das Nötige in die Wege. Nun standen sie wieder bei Null und hatten keinen Hauptverdächtigen. „Hast du was herausgefunden?“, wollte Ben wissen.
    „Wie man es nimmt. Tim hat mir erzählt, dass er Daniel mit zum Fechten genommen hat. Dort soll er wohl einige unangenehme Begegnungen mit dem Trainer gehabt haben.“, erklärte Semir. „Dann sollten wir doch mal mit dem Trainer reden, oder?“, meinte Ben und wollte gerade aufstehen, als Kim ins Büro kam. Ihre Miene verriet, dass es eine ernste Angelegenheit war. „Meine Herren, ich müsste mit ihnen sprechen.“, verkündete sie. „Eigentlich wollten wir gerade weg.“, meinte Semir und sah sie an, doch er sah, dass es keinen Sinn hatte, ihr zu widersprechen. „Herr Jäger, bitte kommen sie mit mir mit.“, kam es bestimmend von Kim. Ben warf Semir nur einen kurzen Blick zu. „Ist gut, ich mach das mit dem Trainer und du kommst einfach nach.“, wies er seinen Partner an. Dieser nickte und verschwand dann mit Kim in ihrem Büro.


    ...

  • Ben sah Kim abwartend an, die sich still und ernst in ihren Stuhl setzte. „Ben, ich frage sie jetzt ein einziges Mal und sie antworten mir offen und ehrlich.“, fing sie an und sah ihren Hauptkommissar mit strengem, fast enttäuschten Blick an. „Haben sie die Schülerin Karoline Habicht unsittlich berührt?“, fragte sie. Ben fiel aus allen Wolken. Diese Worte von seiner Vorgesetzten zu hören, war einer der grausamsten Momente in Bens Karriere. „Wie bitte? Ich soll was getan haben?“, fragte er und dachte, er hätte sich verhört. „Frau Krüger, ich habe... die Kleine hat mir einen Liebesbrief geschrieben. Ich habe ihr nur klar gemacht, dass sie nichts von mir zu erwarten hat.“, erklärte Ben stammelnd und hatte auf einmal feuchte Hände. Er wusste nicht, ob diese Erklärung zu seiner Entlastung beitrug. „Es tut mir Leid Ben, aber es wird eine Untersuchung geben. Das verstehen sie sicherlich.“, meinte Kim mit schwerer Stimme und sah zu Ben, der unruhig in seinem Stuhl hin und her rutschte. „Werde ich weiter Dienst machen können?“, fragte er. „Das liegt nicht in meiner Hand. Aber eines... versuchen sie nicht, mit dem Mädchen zu sprechen. Es könnte als Einschüchterung zu ihren Ungunsten ausgelegt werden.“, bat Kim ihren Beamten eindringlich. Ben nickte und verließ dann verstört das Büro. Dieses kleine Balg log sicherlich. Auch wenn er es Frau Krüger gerade versprochen hatte, er würde dennoch mit Karoline reden und sie zur Vernunft bringen, das schwor er sich. Er ließ sich nicht seine Karriere so einfach kaputt machen.


    Semir kam inzwischen an der Trainingshalle an und stieg aus seinem Wagen aus. Die Halle befand sich in einer belebten Gegend. Vor der Halle fuhren Bus und Trambahn im etwa Zwölf- bis Acht-Minutentakt. Ein paar Jungs in Trainingsanzügen standen an der Haltestelle, Sporttaschen über ihren Schultern oder auf den Rücken geworfen, und unterhielten sich lauthals lachend und herumalbernd. Semir grinste, ging weiter und betrat mit leichten Schritten die Halle.
    „Hallo, möchten sie sich zu einem Sportkurs anmelden?“, fragte eine junge, blonde Frau mit freundlichem Grinsen. Semir grinste zurück. „Leider nicht.“, lachte er und zog seinen Ausweis hervor. „Gerkhan, Kripo Autobahn.“, stellte er sich vor. Die Frau sah ihn verwundert an. „Oh? Na, dann wollen sie vielleicht einen Gruppenkurs anmelden? Wir führen auch Gruppenunterricht durch.“, erwiderte sie und zückte sofort ihr Klemmbrett hervor. Wieder lachte Semir. „Nein vielen Dank, ich will eigentlich nur mit Roland Pohl sprechen. Wo kann ich ihn finden?“, fragte er die Frau. „Herr Pohl, unser Fechtlehrer? Der hat heute seinen freien Tag. Sie treffen ihn in der Zunftgasse 84 in Düsseldorf an.“, entgegnete sie und schrieb Semir die Adresse noch einmal auf einen Zettel auf, reichte ihm dem Hauptkommissar. Dieser nahm sie dankend an. „Sagen sie mal, wie viele Schüler hat Herr Pohl eigentlich in seiner Gruppe?“, wollte Semir wissen. „Oh, da muss ich nachsehen.“ „Tun sie das bitte.“, lächelte Semir freundlich.
    Die Frau tippte einige Zeit auf ihrer Tastatur herum, klickte einige Male mit der Maus hin und her und war dann am Ziel. „Herr Pohl hat 12 Schüler in seiner Gruppe.“ „Gut, könnten sie mir die Namen bitte ausdrucken.“, bat Semir. „Warum das denn? Hat Herr Pohl irgendwas angestellt?“, fragte die Frau, doch Semir schwieg und bat nur nochmals um die Liste. Widerwillig händigte sie ihm diese aus. Danach fuhr der Deutschtürke in die Zunftgasse 84 nach Düsseldorf, um Herrn Pohl zu befragen.


    Ben saß im Büro und dachte nach. Die kleine Karoline war ganz schön raffiniert. Sie bekam nicht das, was sie wollte und behauptet jetzt, dass Ben sie sexuell berührt habe. Das konnte ihn so oder so seine Karriere kosten. Auch wenn er unschuldig war, der Ruf, sein Ruf, würde darunter mehr leiden, als er es damals beim Komplott gegen ihn getan hatte. Wer würde einen Polizisten glauben, der im Verdacht stand, eine junge Schülerin sexuell belästigt zu haben? Er musste mit ihr reden. Auch wenn es die Chefin verboten hatte. Aber er konnte wenigstens mit der Lehrerin reden. Ja, Frau Chan würde ihn doch sicherlich helfen, dieses Missverständnis aus der Welt zu schaffen.


    ...

  • So fuhr er wieder in die Schule und traf Frau Chan vor dem Gebäude an, sie schien sich mit dem Hausmeister zu unterhalten. Schnell stieg er aus und rannte auf beide zu. „Frau Chan, kann ich sie bitte sprechen.“, bat Ben und sah, dass die Frau einen tief enttäuschten Blick aufgesetzt hatte. „Herr Jäger, ich glaube, wir beide haben uns nichts mehr zu sagen.“, zischte sie und ging an ihm vorbei, ohne auf eine Erklärung von ihm zu warten. „Bitte, Frau Chan, hören sie mich an. Egal, was ihnen Karoline erzählt hat, es stimmt nicht.“, meinte er und stellte sich der kleinen, zierlichen Asiatin in den Weg. „Herr Jäger, wie konnten sie nur? Ich hätte sie nicht mit Karo alleine lassen dürfen. Bitte gehen sie mir aus dem Weg.“, bat sie mit tiefer, warnender Stimme.
    Doch Ben ließ sich nicht von seinem Vorhaben abbringen. „Hören sie, Karoline hat mir einen Liebesbrief geschrieben. Ich hatte ihr klar gemacht, das ich nichts für sie empfinde. Jetzt erzählt sie diese Lüge über mich. Bitte, ich könnte einem Kind nie so etwas antun.“, meinte der Polizist flehend. Frau Chan war stehen geblieben und hatte ihm genau zugehört. „Sie hat ihnen einen Liebesbrief geschrieben? Sie hat sich in sie verliebt?“, fragte die Pädagogin noch einmal nach. Ben nickte. „Und sie haben ihr gesagt, dass sie Karo nicht lieben?“ Wieder nickte Ben. Scheinbar hatte er die Frau von seiner Unschuld überzeugt, denn sie schien angestrengt nachzudenken. „Das könnte ich mir durchaus bei Karoline vorstellen. Gut, ich werde mit ihren Eltern im Beisein ihrer Chefin und ihnen darüber reden. Wir werden uns morgen Abend hier in der Schule treffen.“, erklärte sie. Ben fiel ein Stein vom Herzen. „Danke, ich danke ihnen sehr.“, meinte er nur.
    „Haben sie schon etwas neues über den Tod von Daniel in Erfahrung bringen können?“, fragte sie dann. Ben sagte ihr, dass bisher einige Verdächtige in Betracht kämen, sagte aber nicht, wer dies sei. „Sie verstehen sicherlich, wenn ich zu den laufenden Ermittlungen keinen allzu direkten Kommentar abgeben darf.“ „Sicherlich.“, meinte sie nur und begnügte sich damit. Erleichtert stieg Ben in seinen Wagen und saß nur so da, dies eine ganze Weile. Er überlegte, was er nun tun sollte. Da fiel ihm ein, dass er ja noch einmal mit Nicolas Zerbst reden konnte. Immerhin hatten sie von ihm noch keine DNA-Probe geholt und das wollte der Hauptkommissar doch noch tun.


    Derweil parkte Semir seinen Wagen vor der Zunftgasse 84 in Düsseldorf und klingelte bei dem Namen Pohl. Der Summer wurde betätigt und Semir gelangte ins Haus, stieg die drei Treppen hinauf und stand vor einer zierlich wirkenden Frau, die mit müdem Blick auf den Kommissar sah.
    „Kann ich ihnen helfen?“, fragte sie vorsichtig und zog an ihrem viel zu großen, weißen T-Shirt. „Frau Pohl?“, kam es von Semir, die Frau nickte zustimmend. „Mein Name ist Semir Gerkhan, Kripo Autobahn. Ich müsste dringend mit ihrem Mann sprechen. Ist er zu Hause?“, wollte Semir wissen und hielt ihr seinen Ausweis unter die Nase, den sie interessiert ansah. „Polizei? Ist etwas passiert?“, kam die Standartfrage aus ihr heraus. „Das würde ich gerne mit ihrem Mann bereden.“, erwiderte Semir und die Frau gab den Durchgang zur Wohnung frei. Beide gingen ins Wohnzimmer, wo ein Bügelbrett aufgebaut war und zwei Berge von Wäsche, einer durcheinander und der andere gut geordnet und zusammengelegt, auf dem Sofa lagen.
    „Frau Pohl, wo ist ihr Mann?“, fragte Semir und sah sich dabei im Wohnzimmer um. An einer Wand stand eine Vitrine mit Pokalen und Mannschaftsfotos. Interessiert sah sich der Deutschtürke diese Vitrine an und erblickte ein Foto von Tim und einem Mann, den er als Herrn Pohl identifizierte. Ein anderes Bild zeigte Daniel, der neben seinem Trainer mit eher unglücklichem Gesicht stand, fast so, als wäre es ihm unangenehm, in der Nähe dieses Mannes zu stehen. „Mein Mann ist kurz einkaufen, er müsste aber gleich wiederkommen.“, meinte die schlanke Frau mit dem Pferdezopf und betrachtete den Polizisten von der Seite, während sie weiter ihre Wäsche bügelte. „Frau Pohl, kennen sie Daniel Neukirch?“, fragte Semir dann nach einer Weile des Wartens. Sie überlegte kurz und sagte dann, dass ihr Mann mit dem Jungen des öfteren zu tun hatte. „Aber da müssten sie mit meinem Mann sprechen.“, meinte sie dann und hielt kurz inne. „Warum fragen sie mich das eigentlich?“, wollte Frau Pohl dann wissen. Doch Semir schwieg. „Das kann ich ihnen nicht sagen, tut mir Leid.“, entschuldigte er sich.


    ...

  • Dann war ein Klacken in der Tür zu hören und schwere Schritte. „Liebling, ich bin's.“, rief eine tiefe Stimme aus dem Flur ins Wohnzimmer. „Roland, hier ist jemand, der dich sprechen möchte. Ein Polizist.“, erwiderte sie den Ruf ihres Mannes. Die Schritte hielten inne. Dann hörte Semir nur noch ein Klacken und dann kamen die Schritte auf ihn zu. Durch die Tür trat ein mittelgroßer, schlanker, athletisch gebauter Mann. Er schien einige Jahre älter, als Semir zu sein. Sein blond gelocktes, schulterlanges Haar hing ihm teilweise ins Gesicht und verdeckte sein rechtes Auge. „Polizei?“, fragte er und holte tief Luft. Der Deutschtürke schritt auf den Trainer zu. „Herr Pohl, es geht um eine etwas delikate Angelegenheit.“, fing er an und bat den Sportler zu einem Gespräch unter vier Augen.


    Beide gingen ins weiter hinten gelegene Arbeitszimmer und Roland Pohl schloss die Tür. „Was kann ich für sie tun, Herr?“ „Gerkhan, Kripo Autobahn.“, stellte sich Semir noch einmal vor. „Herr Gerkhan, worum geht es?“, wollte der Mann wissen. „Es geht um einen ihrer Schüler... Daniel Neukirch.“, fing Semir an und hatte die Arme hinter seinem Rücken verschränkt. „Daniel? Hat er was angestellt?“, fragte der Sportler und setzte sich auf seinen Bürostuhl. „Er ist tot.“, kam es ruhig, aber betroffen von Semir. Irgendwie gefiel ihm sein Gesprächspartner nicht. Er wusste noch nicht, wieso, aber er hatte so ein Gefühl. „Tot?“ Geschockt richtete sich der Lehrer auf und schaute zu einige Fotos hinüber, die hier an einer Pinnwand hingen. „Aber, wie ist das passiert?“, fand er dann nach einiger Zeit die Sprache wieder.
    „Der Junge hat Selbstmord begangen.“, erklärte Semir und beobachtete jegliche Reaktion seines Gegenübers. „Was? Aber warum?“ „Unser Gerichtsmediziner hat Spuren von sexuellem Missbrauch am Jungen festgestellt.“, erklärte der Deutschtürke und sah, wie das Gesicht des Mannes in Entsetzen zusammenfiel. „Oh Gott, der arme Junge. Wissen sie schon, wer es war?“, fragte er voller Betroffenheit. Zu viel Betroffenheit für Semirs Geschmack. Es kam ihm fast so vor, als würde ihn der Sportleiter eine Show vorspielen. „Herr Pohl, Daniel war Mitglied in ihrer Fechtgruppe.“ „Das stimmt. Er war einer der begabtesten Schüler, die ich jemals hatte.“, erklärte er mit ein wenig Wehmut in der Stimme. „Was ist mit Tim Weinbaum? Er ist doch auch einer ihrer Schüler.“, kam es von Semir. „Ja, das stimmt. Tim ist ebenfalls sehr begabt, ein guter, exzellenter Fechter. Mit seinem Talent könnte er es bis in die Olympiamannschaft schaffen.“, erzählte Roland Pohl mit Stolz in seiner Stimme.
    „Sie scheinen bei den Jungen sehr beliebt zu sein, oder? Ich meine, wenn ich die Fotos so sehe.“, stellte Semir fest und riss eines der Fotos von der Wand. „Die Jungs vertrauen mir und ich vertraue ihnen.“, erwiderte der Lehrer mit einem komischen Ton in der Stimme, den Semir leicht irritierend fand. „Ich bräuchte dann noch eine DNA-Probe von ihnen.“, forderte Semir und hatte schon das nötige Utensil aus seiner Jackentasche gezogen, schraubte das Röhrchen auf und hielt den Wattestab Roland entgegen. Dieser sah mit einem skeptischen Blick auf das kleine Wattebäuschchen und dann wieder zu Semir. „Es kann ihnen nur helfen und sie helfen uns, einen Täter auszuschließen.“, erklärte er freundlich. Der Sportler nickte und ließ die Prozedur über sich ergehen. Der Hauptkommissar packte das Stäbchen ins Röhrchen zurück, beschriftete es und steckte es wieder in die Jackentasche. „Falls ihnen noch etwas einfallen sollte, hier ist meine Karte.“, Semir reichte Herrn Pohl die Karte und dieser steckte sie an seine Pinnwand. Immer noch mit einem unguten Gefühl über diesen Mann, verließ der Deutschtürke die Wohnung und fuhr in die PAST zurück.


    ...

  • Ben war derweil ein weiteres Mal bei Nicolas Zerbst vorgefahren und klingelte. Da aber weder er noch Sebastian zu Hause zu sein schienen, wandte sich der junge Hauptkommissar schon zum Gehen. Doch auf der Hälfte des Weges hielt er inne. Wenn die Beiden schon nich zu Hause sind, dann könnte er sich doch ungestört im Haus umsehen, dachte er bei sich und holte sein Werkzeug aus der Jackentasche hervor. Mit wenigen Handgriffen hatte er die Tür auf und schlich sich in das Haus hinein. Wo fange ich jetzt an, dachte er und sah sich im Flur um. Am Besten im Arbeitszimmer, da kann man bestimmt nichts falsch machen, waren seine nächsten Gedanken.
    Ohne viel Umschweife ging der Ermittler in das mit Büchern, Schriftordnern und Regalen vollgestellte Zimmer und fing an, es zu durchsuchen. Noch immer galt für ihn Nicolas Zerbst als Hauptverdächtiger. Für ihn sprach einfach zu viel für den Nachhilfelehrer, zum einen die Vorstrafe, zum anderen hatte er immer die Möglichkeit und die Autorität, dem Jungen etwas anzutun. Ben brauchte nicht lange zu suchen und er fand, wonach er gesucht hatte. Einige Ausdrucke einschlägiger Internetseiten waren hinter einem dicken Biologiebuch versteckt, nur durch Zufall hatte Ben sie gefunden. „Bingo.“, stieß er aus und steckte die Drucke in die Innentasche seiner Jacke, stellte das Buch wieder an Ort und Stelle und wartete im Wagen auf die Rückkehr von Nicolas Zerbst.
    Dieser ließ auch nicht lange auf sich warten. Mit einem großen Paket unter dem Arm kam Zerbst die Straße entlang und steuerte schnurstracks auf sein Haus zu. Ben stellte sich ihm in den Weg. „Herr Zerbst, ich müsste noch einmal mit ihnen reden.“, fing er sofort mit forschem Ton in seiner Stimme an. „Was wollen sie denn schon wieder?“, fauchte Nicolas zurück. „Eine DNA-Probe zum Abgleich zum Beispiel und eine Erklärung dafür.“, erwiderte Ben in genau dem gleichen, wütenden Ton und hielt dem Lehrer die Ausdrucke unter die Nase. Dieser schluckte. „Wo haben sie das her?“, stammelte er und griff nach den Blättern. „Das ist Nebensache.“, meinte Ben und zog sie schnell wieder zu sich. „Gut, kommen sie bitte.“, meinte der Lehrer und bat den Hauptkommissar in sein Haus.
    Nicolas und Ben gingen in das Haus. Ben hielt immer noch die Ausdrucke fest in seiner Hand und folgte dem Nachhilfelehrer ins Wohnzimmer. „Nun, wo bleibt ihre Erklärung dafür?“, fragte der Hauptkommissar und schmiss die Ausdrucke der Internetseiten auf den Tisch vor ihm. Nicolas sah ihn mit gemischten Gefühlen an. „Okay, wenn sie nicht wollen. Dann erklär ich es ihnen. Ich denke mal, dass sie sich schon eine ganze Weile dieses perverse Zeug angesehen haben und irgendwann dachten sie sich: Hm, warum nich mal selbst ausprobieren?“, fing Ben an und erhob seine Stimme wie zu einem Gewitter. Der Lehrer saß da und rieb sich nervös die Hände.
    „Und sie brauchten sich ja nicht mal Mühe machen. Ihre Schüler kamen ja wie die Fliegen zur Spinne. Sie brauchten nur zu warten und dank ihrer Autorität würde sie niemals jemand verraten.“, fauchte Ben wütend und knallte mit der Faust auf den Tisch. Nicolas zuckte zusammen. „Jetzt machen sie endlich das Maul auf.“, schrie der Ermittler. „Okay, hören sie.“, fing Zerbst an. Ben sah ihn mit Zornesröte im Gesicht an. „Das... das kann ich erklären, bitte.“, forderte Zerbst und sah zu Ben auf. „Da bin ich aber gespannt.“, fauchte dieser nur herablassend. Er konnte diesen Typ nicht ab und dass er diese Papiere gefunden hatte, bestätigte Ben in seinen Verdächtigungen nur. „Ich schreibe einen Bericht in einem Magazin über das Thema Kinderpornographie und deshalb habe ich mir diese Ausdrucke besorgt. Das sind Sichtungsmaterialien.“, verteidigte sich Nicolas. Ben stand da, hörte einen Moment zu und lachte dann kurz auf. „Sichtungsmaterial?“, fragte er lachend, wurde jedoch sofort wieder ernst. „Jetzt hör mal zu, du perverses Schwein. Willst du mich für dumm verkaufen? Du kommst jetzt mit aufs Revier, ich nehme eine DNA-Probe und wenn du es warst, dann sorge ich dafür, dass du im Gefängnis keine ruhige Minute mehr hast“, schrie Ben, packte dem Mann am Arm, drehte ihn auf dessen Rücken und ließ die Handschellen einrasten. Ruppig packte er ihn am Kragen und schleifte ihn regelrecht zum Wagen. Ohne ein Wort mit ihm zu wechseln, startete Ben den Motor und fuhr auf direktem Weg zur PAST zurück.


    ...

  • Semir kam indessen auf dem Hof der Gerichtsmedizin an, in der Hand das Röhrchen mit der DNA-Probe des gerade besuchten Roland Pohls. „Hallo Doc, ich habe hier was für dich.“, begrüßte der Hauptkommissar den Gerichtsmediziner, der zwischen zwei auf den Seziertischen aufgebahrten Leichen seine Mittagsstunde abhielt. Semir verschlug es regelrecht die Sprache. Boa, wie kannst du hier nur etwas essen?“, fragte er mit Ekel in der Stimme, der deutlich hörbar war. Wenn er hier den ganzen Tag unten sein müsste, würde er doch wenigstens zum Essen diese Katakomben verlassen. „Ich hab Hunger.“, raunte der Mann im weißen Kittel und grünem Operationsanzug mit vollem Mund zurück. „Seid heute um vier nichts mehr gegessen.“, kam die Erklärung hinterher, dann warf er sein Wurstbrot auf den Teller zurück und reichte Semir zur Begrüßung die Hand.
    „Was hast du denn da für mich?“, fragte der Pathologe und spülte den Rest seines Bisses mit einem Schluck Apfelsaft aus einer kleinen Glasflasche hinunter. „Eine DNA-Probe. Vergleich sie doch bitte mal mit dem gefundenen Material.“, bat Semir. „Hm, mach ich, aber da musst du warten.“, meinte der Doc. „Wieso?“ „Es gab heute Nacht eine Schießerei und ich soll erstmal aus den Opfern hier“, er deutete auf die beiden Leichen auf dem Tisch, „die Kugeln entfernen und zur Ballistik schicken. Außerdem habe ich dann noch einen Giftmord. Du siehst, eine Menge Arbeit.“, lachte er. Semir schüttelte den Kopf. „Bitte, es ist dringend, ich brauche die Ergebnisse recht bald.“, mahnte der Deutschtürke. „Gut, ich seh, ob ich dich irgendwie zwischenschieben kann.“, meinte er und nahm das Röhrchen an sich. „Danke.“, entgegnete Semir. „Hast du die DNA-Probe von Sebastian Zerbst schon fertig untersucht?“, fragte er dann. „Wie gesagt, ich hatte eine Menge zu tun.“ „Alles klar, bis später und guten Appetit.“, verabschiedete sich Semir.


    Währenddessen machte sich Tim zu seiner Übungsstunde bei Nicoals Zerbst auf, doch dieser schien nicht zu Hause zu sein. Tim stand vor der Tür und klingelte Sturm, doch es machte niemand auf. Gerade, als er wieder gehen wollte, kam Sebastian ihm entgegen, auf dem Gesicht ein fies scheinendes Grinsen. „Na, mein liebster Bruder lässt dich wohl nich rein, was Kleiner?“, lachte er gehässig. „Was willst du denn?“, fauchte Tim zurück und zog den Kragen seiner Jacke hoch. „Zum Beispiel wissen, inwieweit die Polizei die Wahrheit über dich und Daniel kennt.“, erwiderte er. „Ich weiß nicht, was du meinst.“, kam es von Tim, der sich zu Sebastian umdrehte, seine Augen funkelten den dreiundzwanzigjährigen an. Sebastian hielt den Jungen am Arm fest. „Tu nicht so, du und Daniel habt euch wegen eines Mädchens gestritten. Ich hab’s gehört. Vielleicht war das der Grund, warum er gesprungen ist.“, konkretisierte Sebastian und traf damit einen wunden Punkt von Tim.
    Denn dieser sprang auf ihn zu, packte ihn am Kragen, er war, trotzt des Altersunterschiedes, einen Kopf größer als Sebastian und um einiges stärker. „Jetzt pass mal auf, du kleines, perverses Dreckschwein. Ich kann der Polizei auch gerne stecken, dass du kleinen Jungen nachstellst. Die Ausdrucke im Bücherregal hinter dem Lexika sind doch von dir. Was meinst du, was passiert, wenn die Polizei davon erfährt. Ich wette, sie haben deine DNA genommen und untersuchen sie gerade.“, zischte Tim und stieß den Kerl zurück. Fast wäre Sebastian zu Boden gefallen und sah ihn geschockt an. „Versuch nicht, dich mit mir anzulegen.“, schrie Tim und drohte ihm mit der blanken Faust. Dann ging er.


    Ben hatte sich derweil Nicolas zur Brust genommen und saß mit ihm im Verhörraum. „So Freundchen, ich hab gerade ein sehr aufschlussreiches Telefonat geführt.“, fing Ben an und setzte sich vor Nicolas auf den Tisch, sah ihn dabei mit scharfen, vorwurfsvollen und durchbohrenden Blicken an. Für Ben stand in diesem Moment fest, dass der Lehrer schuldig war. „Sie haben weder eine Anstellung als freier Journalist, noch schreiben sie für sonst ein Käseblatt.“, fauchte Ben. „Wenn sie mich jetzt weiter verarschen wollen, sind sie schneller im Knast, als dass sie mir die Quadratwurzel aus 25 sagen können.“, meinte er nur, als Nicolas ihm antworten wollte.


    ...

  • „Es ist nicht so, wie sie denken.“, kam es vorsichtig von dem Lehrer. „So? Was denke ich denn?“, fragte Ben wütend. „Sie haben das Leben eines Jungen auf dem Gewissen. Die DNA-Probe wird es beweisen.“, meinte er siegessicher. „Machen sie mit ihrem Gewissen reinen Tisch und sagen sie endlich, was sie sagen sollen.“, forderte der Ermittler bedrängend von dem Lehrer. „Ich habe nichts mit dem Tod von Daniel zu tun. Herrgott, er ist ein Schüler. Glauben sie wirklich, ich würde mich an kleinen Jungs vergreifen?“, schrie Zerbst plötzlich begehrend auf. „Das sehe ich anders.“, fauchte Ben und stieß den Kerl in seinen Stuhl zurück, aus dem er sich vorgelehnt hatte. „Für mich sind sie schuldig, es ist nur noch eine Frag der Zeit, das zu beweisen. Ich werde ihr Haus komplett auf den Kopf stellen lassen und wenn wir weiteres Material finden, fahren sie für lange, lange Zeit ein, das verspreche ich ihnen.“, zischte Ben und ging aus dem Raum hinaus. Er brauchte jetzt erst einmal frische Luft und einen Kaffee, bevor er weitermachte.
    Es tat ihm gut, endlich einen Verdächtigen zu haben. Und bei ihm passte auch noch alles so schön ins Bild. Er kannte den Jungen, war eine Autoritätsperson und konnte sich so den nötigen Respekt verschaffen. Und in seinem Haus hatte er sämtliche Möglichkeiten. Die meisten Sexualstraftäter übten auf ihre Opfer autoritäres Verhalten aus, um sie zu sexuellen Handlungen zu zwingen. Wie lange nur muss Daniel das ertragen haben? Ben ging dieser Fall sichtlich nahe, doch nun stand er kurz vor der Aufklärung. Die DNA-Probe würde seine These sicher untermauern und dann konnte er alles der Staatsanwaltschaft übergeben und den Eltern des Jungen den Verantwortlichen für den Selbstmord ihres Sohnes liefern. Hastig trank er seine Tasse Kaffee aus und wollte dann wieder zu Nicolas Zerbst gehen, als Semir ins Büro kam.


    „Hallo Ben, wie sieht’s aus?“, wollte Semir wissen und nahm sich ebenfalls einen Kaffee. „Hallo, ich hab den Täter.“, meinte Ben triumphierend. „Wie? Du hast den Täter?“, fragte Semir und hing seine Jacke über seinen Bürostuhl. „Na, ich habe den Täter und verhöre ihn gerade. Ist nur noch eine Frage der Zeit.“ Ben war sich seiner Sache ziemlich sicher. Semir war da eher zurückhaltender. „Wer ist denn dein Super-Verdächtiger?“, wollte er wissen und setzte sich.
    „Nicolas Zerbst.“, erwiderte Ben und lächelte vielsagend. „Zerbst?“, fragte Semir nochmals nach. „Ja, Zerbst. Ich habe bei ihm diese Ausdrucke gefunden.“, entgegnete Ben und warf seinem Kollegen die Blätter vor die Nase. Semir sah sich die Dinger an. Erschrocken sah der Deutschtürke auf die Blätter. „Dieses Schwein ist echt das allerletzte.“, stieß Semir aus und warf die Dinger vor sich hin. „Okay, wie weit hast du ihn?“, fragte Semir dann und Ben grinste. „Kurz vor dem Gestehen.“, erwiderte der junge Hauptkommissar und ließ sich ebenfalls in seinen Stuhl fallen. „Okay, dann wollen wir mal.“, meinte Semir und wollte gerade aufstehen, als das Telefon klingelte.


    „Ja, Gerkhan?“, meldete sich Semir. „Semir? Ich habe gerade ein wenig Zeit gefunden und die DNA-Analyse fertig gemacht. Wenn ihr rüberkommen würdet, kann ich euch die Ergebnisse persönlich mitteilen.“, meinte der Gerichtsmediziner. „Ist gut, wir sind gleich da.“, beendete Semir das Gespräch. „Was ist? Machen wir mit dem Verhör weiter?“, wollte Ben wissen und war schon auf dem Sprung in den Verhörraum. „Nein, der Doc hat gerade angerufen. Wir sollen sofort zu ihm kommen.“, meinte Semir und legte den Hörer auf. „Und was machen wir mit unserem Verdächtigen?“, fragte Ben leicht enttäuscht. „Der läuft uns schon nicht weg.“, lachte Semir und nahm sich seine Jacke, wie es auch Ben tat und gemeinsam fuhren sie zur Gerichtsmedizin, wo der Doc sie schon erwartete.
    „Ah, da seid ihr ja.“, begrüßte sie der Mediziner und reichte beiden die Hand. „Was ist los? Ich war doch erst vorhin hier und hab dir eine Probe gebracht?“ „Ja, und ich habe ihm erst vor einer Stunde eine geschickt.“, fügte Ben Semirs Worten hinzu. „Tja, mit einem bisschen guten Willen und einer super Maschine geht das alles.“, lachte der Doc nur und setzte sich auf seinen kleinen Laborantenstuhl. „Okay, Glückwunsch zu deiner Technik, aber wir haben in unserem Büro einen Verdächtigen sitzen und würden auch gerne diesen Fall zum Abschluss bringen.“, maulte Semir. Dieser Fall ging ihn nervlich an die Substanz. Er freute sich schon darauf, endlich wieder mit harmlosen Verbrechern zu tun zu haben. Nicht mit diesen durchgeknallten Pädophilen.


    ...

  • „Okay, ich mache es kurz für euch. Wen habt ihr denn im Büro sitzen?“, wollte der Pathologe wissen. „Nicolas Zerbst.“, entgegnete Ben verwundert. „Tja, den müsst ihr dann wohl laufen lassen.“, kam es vom Doc. „Die DNA von ihm ist nicht identisch mit dem bei Daniel Neukirch gefundenem Material.“, erklärte er und sah, wie die Kommissare ihn dann gebannt ansahen. „Und von wem ist es dann?“, fragte Ben grummelnd, hatte er sich doch auf diesen neunmalklugen Nachhilfelehrer so eingeschossen. „Von diesem Roland Pohl.“, entgegnete der Pathologe. „Was? Vom Fechtlehrer?“, kam es erstaunt von Semir. „Die DNA lügt nicht.“, meinte der Doc. „Okay, schreib uns einen Bericht für die Staatsanwaltschaft und wir werden uns diesen Typen dann holen.“, meinte Semir, verließ mit Ben wieder die Pathologie und stieg in den Wagen.


    „Weißt du, was ich nicht verstehe.“, fing Ben plötzlich an und drehte sich zu Semir hin. „Wenn Zerbst nicht der Täter ist, was sollen dann diese Ausdrucke bei ihm.“, fragte sich der junge Hauptkommissar. „Keine Ahnung... fragen wir ihn einfach und machen uns dann auf zu diesem Pohl.“, erwiderte Semir und steuerte den Wagen wieder auf den Parkplatz der PASt zu, schaltete den Motor aus und ging mit Ben in den Verhörraum, wo sie Zerbst wieder hatten hinbringen lassen.
    „So, Herr Zerbst, nur eines will ich von ihnen wissen.“, begann Semir und setzte sich vor ihm hin. Der Lehrer sah auf und tippte nervös mit seinem Fingernagel auf der Tischplatte herum. „Diese Ausdrucke, die haben sie doch nicht gemacht, oder? Ich wette, es war ihr Bruder.“, mutmaßte Semir, doch der Mann vor ihm schwieg. „Herr Zerbst, es kann ihrem Bruder nur helfen, wenn sie jetzt reden.“, forderte Ben mit Nachdruck in seiner Stimme. Nicoals schwankte innerlich. Obwohl er kein gutes Verhältnis zu seinem Bruder hatte, so konnte er ihn doch nicht verraten. Es war immerhin sein Bruder, der Sohn seines Vaters. „Ich war es.“, kam es plötzlich aus seinem Mund geschossen. „Ich habe Daniel missbraucht. Mein Bruder hat damit nichts zu tun.“, gestand er.
    Ben und Semir sahen sich nur an. „Herr Zerbst, wir wissen, dass sie es nicht waren und auch ihr Bruder nicht, aber diese Ausdrucke sind doch von ihrem Bruder, oder?“, fragte Semir fauchend. Er hatte keine Lust, sich mit diesem Mann hier noch weiter herum zu streiten. „Hören sie, mein Bruder ist ein wenig ... eigenartig ja, aber er tut keinem etwas. Er nimmt zwar Drogen, doch bis vor einigen Tagen war er schon seit drei Monaten clean.“, erklärte Nicolas Zerbst. „Dennoch... ihr Bruder hat sich strafbar gemacht und bei so was verstehen wir keinen Spaß.“, meinte Ben und ging mit Semir aus dem Raum hinaus. „Komm, lass uns diesen Fall zu Ende bringen.“, meinte er zum Deutschtürken und beide fuhren dann, mit zwei weiteren Streifenwagen, zur Wohnung von Roland Pohl.


    Roland hörte schon die Sirenen nahen. Er wusste genau, dass sie seinetwegen kommen würden. Seine Frau war nicht daheim und so hatte er ihr einen Abschiedsbrief hinterlassen. Um nichts in der Welt wollte er für diese abscheuliche Tat, die er begangen hat, ins Licht der Öffentlichkeit geraten. Schnell verschwand er aus seiner Wohnung, hörte aber schon die schnellen Schritte der Polizisten im Treppenhaus, wie sie immer näher und näher kamen. „Hey, stehen bleiben.“, schrie Ben, als er ein paar Beine die Treppe hinaufflitzen sah. Sofort nahmen Semir und Ben die Verfolgung auf, rannten hinterher und gelangten schließlich auf das Dach, wo Roland Pohl am Abgrund stand.
    „Bleiben sie stehen.“, schrie er die Polizisten an. Sofort machten Semir und Ben halt und versuchten die Situation zu entschärfen. „Herr Pohl... machen sie keinen Unsinn.“, rief Semir dem Mann zu. „Lass ihn doch springen.“, flüsterte Ben und kassierte dafür einen scharfen Blick von Semir. „Ich gehe nicht ins Gefängnis. Ich nicht.“, schrie Roland Pohl und machte einen Satz nach vorne. Sofort stürmten Ben und Semir zum Rand des Daches, doch es war zu spät. Unten lag er, auf dem Asphalt aufgeschlagen. Sofort waren zwei Polizisten bei ihm und fühlten den Puls, doch man sah sofort, das nichts mehr zu retten war. „Verdammt.“, stieß Ben aus. Semir sah leicht auf. „Vielleicht ist es besser so. Dann müssen wenigstens die Eltern nicht in die Augen dieses Mannes sehen.“, meinte er und Ben stimmte zu.


    Am Abend trafen sich dann noch Ben, Kim und die kleine Karoline Habicht mit ihren Eltern. Kleinlaut saß sie vor dem Schreibtisch von Kim und hatte die Hände auf ihre Knie gelegt. Bevor Ben oder Kim etwas sagen konnten, fing Karo auch an, zu erzählen. „Es tut mir Leid, was ich da erzählt habe.“, meinte sie kleinlaut und sah kurz auf. Scheinbar hatte ihr Vater ihr die Geschichte nicht geglaubt. „Meine Tochter hat mir davon erzählt und ich weiß aber, dass sie gern Geschichten erfindet, um ihren Kopf durchzusetzen. Ich habe mit Frau Chan gesprochen und wir drei haben uns lange unterhalten.“, meinte der Vater und Ben nickte nur. Er war erleichtert, dass diese Sache nun auch aus der Welt war.




    ENDE



    Doch Semir und Ben ermitteln weiter ... „Unlösbar?“

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