Schwere Prüfung

  • So, nun will ich mal versuchen, meine "Schaffenskrise" zu beenden - oder wenigstens zu unterbrechen. Ich hab wieder eine story angefangen und möchte euch nun damit "qälen" :D:D:D . Sie ist zwar noch nicht fertig, aber mir wird schon was einfallen.


    Auf eure feeds, ob negativ oder positiv (ist mir natürlich lieber :P:);):D ) freu ich mich schon.


    Also, los gehts:


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    Schwere Prüfung



    Semir saß an seinem Schreibtisch und kümmerte sich um den Papierkram. Er hasste diese Arbeit, aber sie musste sein. Und jetzt, da Tom nicht da war, blieb natürlich alles an ihm hängen. „Immer auf die Kleinen....“, seufzte Semir , warf eine erledigte Akte in den Ablagekorb und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Sein Blick wanderte zur Uhr, wie so oft in den letzten Tagen. Es war bald wieder an der Zeit, dass Tom anrief. Sie hatten vereinbart, dass er sich zweimal am Tag telefonisch bei ihm meldete, damit er wusste, dass alles in Ordnung war.


    Tom hatte sich vor über zwei Wochen undercover in einen Rauschgiftring eingeschleust. Sie waren der Bande schon seit längerem auf der Spur, konnten sie aber nie richtig fassen. Obwohl die Chefin nicht begeistert gewesen war, hatten Tom und Semir sie überredet, die Aktion zu starten. Es war zwar extrem gefährlich, aber jetzt standen sie kurz davor, den Ring zu zerschlagen, dank Toms Einsatz! Offiziell war Tom zu einer Weiterbildung in Kiel und nur er und die Chefin wussten von Toms Einsatz – und natürlich die Staatsanwältin Schrankmann. Auch Petra hatte keine Ahnung.


    Wieder blickte Semir zur Uhr. Er wurde langsam unruhig und war jetzt schon heilfroh, wenn sein Partner wieder an seinem Platz ihm gegenüber sitzen würde. Dann könnte er vielleicht auch mal wieder eine Nacht durchschlafen und würde sich sicher nicht mehr Nacht für Nacht unruhig hin- und herwälzen, aus Sorge um Tom.


    Das Läuten des Telefons riss Semir aus seinen Gedanken. „Tom......?“
    „Ja, ich bins.....du klingst so aufgeregt, Semir. Was ist los?“
    Semir verdrehte die Augen, was Tom natürlich nicht sehen konnte.
    „Was los ist? Ich sitze hier wie auf glühenden Kohlen und warte auf deinen Anruf.“
    Tom konnte die Sorge aus Semirs Stimme heraushören. Ihm wäre es im gegenteiligen Fall auch nicht anders gegangen.
    „Es ging eben nicht früher. Ich bin fast nie allein,“ flüsterte Tom.
    Er saß auf dem geschlossenen Klodeckel in der Toilette und lauschte mit einem Ohr immer darauf, ob jemand kam.
    „Hör zu, ich muss mich kurz fassen. In den nächsten Tagen wird der Deal abgewickelt. Morgen kommt unser Kontaktmann. Sobald ich Genaueres weiss, rufe ich wieder an. Ach ja, noch was: sieh zu, dass du den Schreibkram erledigt hast, bis ich wiederkomme, ja?“
    Semir blickte etwas irritiert den Hörer an. Man „hörte“ Toms Grinsen buchstäblich. Na der hatte vielleicht Sorgen.
    „Mach dir mal darüber keine Gedanken – pass lieber auf dich auf.“ Aber Tom hatte schon aufgelegt. Offenbar war er gestört worden.


    Tom hörte, wie jemand in den Toilettenraum kam und unterbrach rasch das Gespräch. Er nestelte an dem Toilettenpapier herum und tat so, als ob er den Reissverschluss seiner Hose hochziehen würde. Dann drückte er die Spültaste und atmete noch mal durch, ehe er die Kabine verließ, wo er beinahe mit Jacko zusammengestossen wäre. Jacko war ein Schrank von einem Mann und musterte Tom misstrauisch. Er konnte den Neuen nicht leiden und wusste nicht, wie er ihn einschätzen sollte. Irgendwas war faul an dem Kerl, das spürte er fast körperlich. „Is was?“ fragte Tom lässig, während er sich die Hände wusch und an dem schmuddeligen Handtuch abtrocknete. Jacko – seinen richtigen Namen kannte Tom nicht – stand mit verschränkten Armen an der Tür gelehnt da und durchbohrte Tom mit seinen Blicken.
    „Du sollst zum Boss kommen – sofort!“
    „Wenn du mich vorbeilässt, dann gerne.“
    Mit diesen Worten schob Tom den Hünen beiseite und ging hinaus, spürte aber im Rücken immer noch die durchdringenden Blicke Jackos. Innerlich atmete er auf. Er hatte schon befürchtet, dass Jacko etwas von dem Gespräch mitbekommen hätte, dann wäre er geliefert gewesen. Tom war froh, wenn das hier vorbei war. Er saß hier wie auf einem Pulverfass, das jeden Moment hochgehen konnte, seine Nerven waren immer zum Zerreissen gespannt, aber nach außen musste er den Lässigen mimen.

  • Als er in den Büroraum kam, den sich die Bande als „Führungszentrale“ eingerichtet hatte, sah er einen dunkel gekleideten Mann beim Boss stehen. War das etwa schon der Kontaktmann? Ging die ganze Sache etwa früher als geplant über die Bühne? Dann musste er es irgendwie schaffen, Semir rechtzeitig Bescheid zu geben. Äusserlich ruhig ging er auf die beiden zu.
    „Was gibt’s, Boss?“
    Berger drehte sich zu ihm um.
    „Du fährst mit Jacko. Ihr holt den Wagen mit der Ware ab. Sofort!“
    Tom nickte.
    „Wieso jetzt schon? Ich denke, der Deal geht erst morgen oder übermorgen über die Bühne.“
    Der Boss sah ihn schneidend an.
    „Was geht es dich an. Tu was ich sage!“
    herrschte er Tom an und wandte sich wieder seinem Gesprächspartner zu. Jacko, der hinter Tom stand, zischte.
    „Du bist zu neugierig, das ist ungesund. Komm mit!“
    Tom drehte sich um und trabte hinter Jacko her. Fieberhaft überlegte er, wie er Semir informieren könnte. Er konnte nicht schon wieder vorgeben, zur Toilette zu müssen, das wäre wirklich zu auffällig gewesen. Er konnte nur hoffen, dass sich bald eine passende Gelegenheit ergeben würde, um zu telefonieren. Als sie vor die Tür traten, sah Tom einen Mann, der an einem schwarzen Benz lehnte und eine Zigarette rauchte. Er gehörte offenbar zu dem Kontaktmann, der gerade beim Boss war. Sie gingen an ihm vorbei und Tom bemerkte nicht, wie der Mann stutzte, als er ihn sah und ihnen nachstarrte. Als Tom mit Jacko weggefahren war, schnippte der Unbekannte die Kippe auf den Boden und ging in das verlassene Bürogebäude.


    Nach Toms Anruf ging Semir ins Büro der Chefin, um ihr zu sagen, was er erfahren hatte. Es war zwar nicht viel gewesen, aber sie wollte über jedes Telefonat unterrichtet werden.
    „Chefin, Tom hat eben angerufen.“
    Anna legte die Akte beiseite und sah Semir interessiert an.
    „Und? Gibt’s was Neues?“
    „Er meinte nur, dass der Deal in den nächsten Tagen über die Bühne gehen wird. Er wusste aber noch nicht, wann.“
    Anna Engelhardt lehnte sich in ihrem Bürostuhl zurück und drehte einen Kugelschreiber in den Händen.
    „Semir, ich bin froh, wenn das vorbei ist. Mir ist nach wie vor nicht wohl bei dem Gedanken, dass Tom durch irgendeinen dummen Zufall auffliegen könnte. Mit Berger ist nicht zu spaßen, das wissen Sie. Er würde kurzen Prozess machen.“
    Semir nickte.
    „Ja sicher, Chefin, aber wir haben nur diese Chance, um die Kerle auf frischer Tat zu ertappen. Und Tom macht so was nicht zum ersten Mal und weiss, was zu tun ist, wenn es brenzlig wird – außerdem sind wir ja auch noch da.“
    Semir beruhigte sich mit seinen Worten quasi selbst, denn auch ihm war nicht wohl in der Haut, aber da mussten sie jetzt durch. Die zwei oder drei Tage würde Tom noch schaffen. Anna seufzte und legte den Kugelschreiber vor sich auf die Tischplatte.
    „Ich hoffe mal, dass Sie recht haben, Semir. Wenn sich Tom morgen früh wieder meldet, wissen wir hoffentlich mehr.“

  • Berger reagierte etwas missmutig, als das Gespräch, das er führte, von dem zweiten Mann gestört wurde, der soeben das Büro betrat. Der ging zu seinem Chef und flüsterte ihm etwas ins Ohr, worauf dieser wütend Berger anblaffte:
    „Was soll das? Was hat ein Bulle hier zu suchen? Unser Geschäft ist gestorben.“
    Berger blickte sein Gegenüber verständnislos an.
    „Wieso? Was meinen Sie damit? Hier ist kein Bulle.“
    Nun mischte sich der zweite Mann ein.
    „Der Kerl, der eben hier rausmarschiert ist, war aber ein Bulle. Ein Autobahnbulle!“
    Berger hob beschwichtigend die Hand.
    „Moment mal, sie müssen sich irren, ich habe alle meine Leute strengstens kontrolliert. Das kann nicht sein.“
    „Ich irre mich nicht. Die Visage vergesse ich bestimmt nicht. Er hat mich mal bei einer Razzia hochgenommen. Er heisst Kranich.“
    Berger stand wie vom Blitz getroffen da und musste mit ansehen, wie sein Kontaktmann mit seinem Gefolgsmann das Weite suchte. Das war ihnen nun doch zu heiss. Langsam kroch Wut in ihm hoch. Er griff zum Telefon und wählte Jackos Nummer.


    Tom saß neben Jacko und zermarterte sich das Hirn, wie er es schaffen sollte, möglichst unauffällig Semir zu informieren. Die Zeit lief ihm langsam davon. Plötzlich läutete Jackos Handy und er nahm ab. Tom versuchte, etwas von dem Gespräch mitzubekommen, konnte sich aber aus dem, was Jacko von sich gab, keinen richtigen Reim machen. Der sagte nur wenige Worte und nickte, dann legte er wieder auf.
    „Und? Was ist los?“ fragte Tom und sah ihn fragend von der Seite an.
    „Wir sollen sofort zurückkommen, der Boss hat Neuigkeiten.“
    War die knappe Antwort Jackos. Um was für Neuigkeiten es sich handelte, darüber sagte er nichts. Und Tom ahnte in keinster Weise, dass er soeben aufgeflogen war und in absoluter Lebensgefahr schwebte. Und Jacko ließ sich nichts anmerken.


    Jacko brachte den Wagen vor dem Gebäude zum Stehen und stieg aus. Tom tat es ihm gleich. Irgendwie fühlte er, dass etwas passieren würde, aber er konnte es nicht einordnen und ging neben Jacko her ins Gebäude. Als sie den Büroraum betraten, stand Berger mit dem Rücken zu ihnen und sah aus dem Fenster. Neben ihm standen zwei weitere „Gorillas“ mit verschränkten Armen. Tom fühlte sich unwohl. Er spürte plötzlich die Gefahr, aber es war zu spät. Berger drehte sich zu ihnen um und gab Jacko durch ein fast unmerkliches Kopfnicken ein Zeichen. Wie aus dem Nichts schnellte Jackos Faust vor und rammte sich in Toms Magen. Tom klappte zusammen und schnappte japsend nach Luft. Er stand zusammengekrümmt vor Berger und hielt sich den Leib. Als er sich einigermaßen von dem Schlag erholt hatte, und sich aufrichten wollte, kam der zweite Hieb, dann der dritte.....! Jacko schlug immer und immer wieder zu, bis Tom schließlich auf dem Boden lag und nur noch damit beschäftigt war, gegen die drohende Ohnmacht zu kämpfen.

  • Berger ging vor ihm in die Hocke, sah ihn eine Weile mitleidlos an.
    „Tom Kranich von der Autobahnpolizei,“
    zischte er plötzlich gefährlich leise. Tom stockte das Blut in den Adern. Er war aufgeflogen! Was jetzt kam, konnte er sich denken. Und er hatte nicht den Hauch einer Chance gegen die Kerle, zumal er bereits halb tot geschlagen worden war.
    „Du hast also allen Ernstes geglaubt, mich hinter Gitter bringen zu können. Tststs....! Das war keine gute Idee, Tom Kranich, aber ich fürchte, es war deine letzte Idee.“ Berger stand seufzend auf.
    „Du hast mir das Geschäft vermasselt, Tom Kranich – das kann ich so nicht hinnehmen.“ Er machte eine kurze Pause.
    „Das wirst du doch verstehen, oder?“
    Tom versuchte immer noch durch tiefes Durchatmen, was ihm wahnsinnige Schmerzen bereitete, bei Besinnung zu bleiben.
    „Ich hab dich was gefragt, Bulle!“ schrie Berger plötzlich wütend und verpasste Tom einen heftigen Tritt in die Seite. Tom unterdrückte ein Stöhnen und krümmte sich zusammen, abermals durchzog ein heftiger Schmerz seinen sowieso schon gepeinigten Körper.


    „Was sollen wir mit ihm machen, Boss?“ Jacko hatte sichtlich Freude daran, dass sein Misstrauen gerechtfertigt gewesen war und er Tom nun fertig machen konnte. Er hatte den Typen von Anfang an nicht leiden können. Berger drehte sich wieder zum Fenster.
    „Liquidieren – aber nicht hier! Schafft ihn weg.“ kam seine knappe Antwort. Dann drehte er sich um und verließ den Raum.


    In Toms Kopf überschlugen sich die Gedanken. Er musste es unbedingt schaffen, Jacko zu entkommen, sonst war er verloren. Er musste es einfach schaffen. Jacko gab seinen Kumpanen einen Wink und die beiden hoben Tom auf die Füße und nahmen ihn zwischen sich. Die pure Verzweiflung ließ Tom noch einmal seine letzten Kraftreserven mobilisieren, ließ ihn für einen Augenblick seine Schmerzen ignorieren. Blitzschnell trat er dem einen in den Unterleib, tat eine halbe Drehung und rammte dem anderen den Ellbogen in den Magen. Für einen kurzen Moment waren die beiden mit sich selbst beschäftigt, aber noch ehe sich Tom wieder umdrehen konnte, um sich Jacko zu widmen, schlug ihm dieser die Fäuste ins Kreuz und Tom brach stöhnend zusammen. Er hatte das Gefühl, als ob Jacko ihm das Rückgrat gebrochen hätte. Kurzzeitig hatte er kein Gefühl in den Beinen. Aus! Es war endgültig aus! Er hatte verloren!

  • So, meine Lieben........ich will ja mal nicht so sein. Ihr bekommt noch einen Teil. Ist ja so ein schöner Sonntag heute! :D
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    „Verdammter Bulle!“ Jacko kniete sich auf Tom und band ihm die Hände mit Kabelbinder auf dem Rücken zusammen. Er zog die Dinger so fest zusammen, dass Tom sich sicher war, sie würden sich ins Fleisch schneiden. Tom ließ es willenlos geschehen. Er hatte keine Kraft mehr, sich zu wehren. Er hatte es versucht, aber gegen drei Gegner hatte er in seiner Verfassung absolut keine Chance. Brutal wurde er auf die Beine gezerrt und zum Wagen geschleift. Jacko setzte sich hinters Steuer, die beiden anderen nahmen Tom auf dem Rücksitz in die Mitte.


    Während der Fahrt versuchte Tom, nur flach zu atmen. Zu stark waren die Schmerzen, wenn er die Lungen mit Luft voll pumpen wollte. Ihm war übel, Angst kroch in ihm hoch. Plötzlich hielt der Wagen und Tom blickte nach draussen. Obwohl es schon fast dunkel war, erkannte er, dass sie am Rheinufer waren. An einer Stelle, die nur selten von Spaziergängern frequentiert wurde. Er ahnte, was jetzt hier passieren würde – und er hatte Angst! Jacko und die beiden anderen stiegen aus dem Wagen und zerrten ihn vom Rücksitz.
    „Los Bulle, wir machen einen kleinen Spaziergang. Wird dir gut tun,“ lachte Jacko hämisch. Die beiden Gorillas packten Tom unter den Armen und schleiften ihn ans Ufer, wo zwischen einigen Sträuchern ein kleiner, freier Platz war, weitgehend geschützt vor neugierigen Blicken. Aber zu dieser Zeit war hier sowieso kaum jemand unterwegs, der dem Treiben hätte Einhalt gebieten könne. Tom bekam einen Stoß und landete auf den Knien im Sand. Rechts und links von ihm bauten sich die beiden „Gorillas“ auf, die bis jetzt noch kein einziges Wort gesprochen hatten. Jacko griff unter sein Jacket und förderte eine Pistole zu Tage. Mit der anderen Hand holte er aus der Jackentasche einen Schalldämpfer, den er langsam und grinsend aufsteckte. Toms Kehle wurde trocken. Er wusste, dass es hier kein Entkommen gab, aber er wollte wenigstens mit Würde sterben und nicht vor den Kerlen wimmernd und flehend um sein Leben betteln. Genützt hätte das sowieso nichts, das wusste er. Er hätte sich nur noch zusätzlich erniedrigt. Aber trotz allem musste er sich zusammenreissen, um die Kerle nicht merken zu lassen, welche Angst er vor dem hatte, was nun kommen sollte. Ihm war bewusst, dass seine letzten Minuten angebrochen waren – dass er hier und jetzt sterben würde. Tom blickte Jacko an, der neben ihm stand und mit der Waffe auf seinen Kopf zielte. Dabei vermied er es, in den Lauf der Waffe zu blicken.
    „Dafür werdet ihr bezahlen, ihr alle.“ Tom versuchte, seiner Stimme Festigkeit zu geben, aber er war sich nicht sicher, ob ihm das gelang. „Mein Partner wird nicht eher Ruhe geben, bis er euch alle hinter Gitter gebracht hat.“ Dann sah er nach vorne und schloß die Augen. Seine letzten Gedanken galten Semir, Petra und den anderen...!


    Jacko antwortete nicht. Er hob die Waffe - sein Zeigefinger krümmte sich langsam um den Abzug bis der Druckpunkt erreicht war. Er genoß diesen Augenblick, in dem er Herr über Leben und Tod war. Er stand breitbeinig da und sah verächtlich auf Tom hinunter, der mit auf dem Rücken gefesselten Händen und geschlossenen Augen vor ihm im Sand kniete. Eigentlich hätte er erwartet, dass der um sein Leben betteln würde, das hätte das Ganze noch interessanter gemacht, aber den Gefallen tat ihm Tom nicht. Dieser Scheißbulle brachte es sogar in seinen letzten Sekunden noch fertig, ihn, Jacko, zu provozieren. Jacko spürte die Wut darüber in sich hochsteigen - dann zog er den Abzug durch!


    Es war nur ein leises „Plop“ zu hören, als der Schuss abgefeuert wurde, der Tom in den Kopf traf. Die Wucht des Projektils warf Toms Körper zur Seite in den Sand, an seiner Schläfe war ein kleines, rundes Loch zu sehen, aus dem etwas Blut sickerte.

  • Berger sah Jacko an, als dieser mit seinen beiden Komplizen den Raum betrat.
    „Habt ihr es erledigt?“ Jacko baute sich vor ihm auf und setzte abermals sein überhebliches Grinsen auf.
    „Der ist Geschichte, Boss. Liegt mit einer Kugel im Kopf am Rheinufer.“ Berger nickte zufrieden.
    „Gut – gut für dich Jacko. Wenigstens du hast begriffen, dass es nicht gut ist, wenn man sich meinen Anweisungen widersetzt, oder versucht, mich zu hintergehen.“ Jacko nickte. Er hatte den Wink Bergers verstanden. Aber ihm wäre auch niemals der Gedanke gekommen, gegen Berger zu handeln. Dazu hing er viel zu sehr an seinem Leben, was ihn aber keinesfalls davon abhielt, es anderen ohne irgendwelche Skrupel zu nehmen.


    „Hat sich Tom schon gemeldet, Semir?“ Die Chefin hatte an diesem Morgen gerade das Büro betreten und wollte wissen, ob es Neuigkeiten gab. Semir stellte die Kaffeetasse ab, aus der er gerade getrunken hatte.
    „Nein, bisher noch nicht, aber langsam könnte er mal anrufen, er ist überfällig.“
    Anna Engelhardt lächelte.
    „Na das ist ja bei Tom nichts Neues, oder? Sagen sie mir sofort Bescheid, wenn er sich meldet.“ Semir nickte und wollte sich gerade seiner Arbeit widmen, als Petra ins Büro kam.
    „Chefin, eben kam ein Anruf von einem jungen Mann. Er war heute morgen mit seinem Hund am Rheinufer spazieren und hat eine Leiche gefunden. Die Spurensicherung hab ich schon verständigt.“


    „Danke Petra,“ Anna Engelhard sah Semir an.
    „Fahren sie da hin und nehmen sie Bonrath mit.“ Auf Semirs fragenden Blick, bezüglich Toms erwarteten Anrufs, nickte sie nur und meinte. „ich gebe Ihnen dann Bescheid.“ Petra wusste ja nichts von Toms Einsatz und durfte nichts von seinen Anrufen erfahren. Semir schnappte sich seine Jacke und verließ das Büro.
    „Bonrath – Einsatz!“ rief er seinem Kollegen zu, der sofort aufsprang und Semir hinterher eilte. Auf halbem Weg drehte er sich noch mal um, um seine Sonnenbrille aus der Schreibtischschublade zu holen. Soviel Zeit musste sein. Zu Hotte meinte er nur.
    „Tut mir leid Hotte, du musst den Schreibkram alleine erledigen, ich hab Einsatz mit Semir. Das geht vor.“ Hotte rutschte beinahe die Brille von der Nase, ihm blieb der Mund offen stehen, aber noch ehe er etwas erwidern konnte, war Dieter schon verschwunden.
    „Schöner Freund bist du....,“ murmelte Hotte, ehe er sich über den Stapel Akten beugte, die sich auf seinem Schreibtisch türmten.


    Als Semir mit Bonrath am Tatort ankam, sah er schon von weitem einen jungen Mann neben der Straße stehen, an der Leine einen noch recht jungen Schäferhund, der ungeduldig an der Leine zerrte. Offenbar wollte er wieder zu seinem Fund und diesen genau unter die Lupe nehmen. Fast zeitgleich mit Semir und Bonrath kamen die Kollegen der Spurensicherung an und holten ihre Utensilien aus dem Wagen. Semir ging auf den jungen Mann zu.
    „Sie haben eine Leiche gefunden?“
    Der Mann nickte nur. Man sah ihm an, dass ihm das Ganze nicht gleichgültig war. Man fand ja nicht jeden Tag eine Leiche im Gebüsch.
    „Na ja, eigentlich hat Arko ihn gefunden. Er ist noch sehr verspielt und muss überall rumschnüffeln. Da hinten liegt er...“
    Er deutete in Richtung des Gebüschs.
    „Ist kein schöner Anblick. Sieht aus, als ob er hingerichtet worden wäre. Furchtbar so was.“
    Semir nickte nur. Selbst ihn ließ der Anblick einer Leiche nicht kalt, obwohl er es inzwischen gewohnt war, wie musste sich dann jemand fühlen, der damit normalerweise nicht konfrontiert wurde.


    „Dieter, du befragst den Zeugen, ich seh mir mal die Leiche an.“
    Semir drehte sich um und ging Richtung Fundort, während Dieter diensteifrig begann, den Zeugen zu befragen. Semir bahnte sich einen Weg durch die Büsche – und blieb plötzlich wie angewurzelt stehen.

  • „Neeeeiiiin!“
    Ein Schrei bahnte sich den Weg aus Semirs Kehle. Es war zu unfassbar, was er da sah. Nein, das konnte nicht sein – das war unmöglich! Diese Jacke, die Haare – die Leiche sah aus wie Tom, obwohl Semir das Gesicht nicht sehen konnte, da der Mann auf der Seite lag und ihm den Rücken mit den gefesselten Händen zuwandte, griff plötzlich eine eiskalte Hand nach seinem Herzen. Er war wie gelähmt, unfähig, sich zu bewegen. Erst als die Kollegen der Spurensicherung ebenfalls hinzukamen, erwachte er aus seiner Starre. Er rannte die letzten Meter, er musste sich Gewissheit verschaffen, die Gewissheit, dass es nicht Tom war, der da lag, sondern nur jemand, der eine ähnliche Figur hatte, ähnliche Haare und ähnliche Kleidung. An diese Hoffnung klammerte sich Semir in den wenigen Sekunden, die er brauchte, um zu dem leblosen Körper zu kommen, der da im Sand lag. Er fasste den Mann bei den Schultern und drehte ihn zu sich um – und prallte entsetzt zurück. Seine Befürchtung wurde zur Gewissheit! Es war Tom! Es war wirklich und wahrhaftig Tom! Er hatte die Augen geschlossen, an seiner Schläfe war ein kleines Loch zu sehen, aus dem ein dünner Blutfaden rann. Semir nahm seine Umgebung nicht mehr wahr. Er sah nur noch seinen bestens Freund, der da vor ihm im Sand lag.


    Bonrath, der durch Semirs Schrei aufmerksam geworden war, trat hinter ihn.
    „Semir, was............oh mein Gott, nein!“
    entfuhr es ihm.
    „Ich dachte, Tom ist in Kiel......“
    Semir fiel neben Tom auf die Knie. Ihm war es vollkommen egal, was die Kollegen von der Spurensicherung von ihm dachten. Er konnte seine Tränen nicht mehr zurückhalten. Behutsam nahm er Toms Kopf in seine Hände, strich fast zärtlich über sein Gesicht.
    „Tom.....Tom.......!“
    Plötzlich stockte er. Er hatte schon viele Leichen angefasst, sie fühlten sich kalt und wächsern an. Tom aber war warm. Fahrig suchte er an der Halsschlagader nach einem Puls. Und tatsächlich, er spürte ein schwaches Pulsieren! Nicht stärker, als der Flügelschlag eines Schmetterlings, aber er spürte es. Neue Hoffnung keimte in Semir auf – die Hoffnung, dass Tom noch lebte, dass er gerettet werden könnte.
    „Er lebt....“ flüsterte er. „Er lebt.....“ Plötzlich schrie er es hinaus: „ER LEBT........EINEN NOTARZT.......SCHNELL!!!“
    Die Umstehenden starrten ihn verständnislos an und Bonrath war der erste, der zum Telefon griff und einen Arzt rief. Semir schnitt mit einem Messer den Kabelbinder durch und befreite Tom von den Fesseln, die tiefrote Striemen an den Handgelenken hinterlassen hatten. Bonrath stand stumm und hilflos neben dem Zeugen, der entsetzt murmelte:
    „Mein Gott.....ich dachte doch, dass er tot ist.......mit einem Kopfschuss kann man doch nicht überleben.....Ich hätte doch sofort einen Krankenwagen gerufen.“
    Der Mann war fix und fertig. Bonrath legte ihm die Hand auf die Schulter:
    „Machen Sie sich keine Vorwürfe,“ murmelte er tonlos, „immerhin haben sie ihn gefunden......wenn er durchkommt, dann hat er es ihnen zu verdanken.“
    Verschämt wischte er sich eine Träne weg, die ihm über die Wange lief. Semir kniete neben Tom im Sand und redete unaufhörlich auf ihn ein.
    „Tom.....gib nicht auf, hörst du?.........Du darfst jetzt nicht aufgeben, du schaffst das........ich weiss das........bleib hier.......wir alle brauchen dich............gib nicht auf......bitte!“

  • na gut, lass ich mich eben breitschlagen.......aber dann ist Ruhe!
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    Tom zeigte zwar keine Reaktion, aber Semir war sich sicher, dass er ihn hören konnte. Irgendwo im Unterbewusstsein! Nach endlos erscheinenden Minuten traf endlich der Notarzt ein und kümmerte sich um Tom. Semir wurde zur Seite geschoben und stand nun mit hängenden Armen da, hörte die Befehle, die der Arzt seinem Assistenten in knappen Worten zurief.......und hörte sie doch wieder nicht. Irgendwie war alles um ihn herum wie in Watte gepackt. Im Moment hatte er absolut keinen Bezug zur Realität – für ihn zählte nur Tom! Er musste leben! Gleichzeitig stieg eine stumme Wut in ihm hoch. Eine Wut auf die Kerle, die Tom das angetan hatten, die ihn hier brutal hingerichtet hatten. Denn nichts anderes war es gewesen: eine Hinrichtung! Wenngleich Tom noch lebte – noch! Und zugleich mit der Wut machten sich Schuldgefühle in ihm breit. Er fühlte sich schuldig, weil er Tom hatte ins Unglück rennen lassen. Wenn sie das ganze nicht angeleiert und die Engelhardt dazu überredet hätten, dann läge Tom jetzt nicht hier mit einer Kugel im Kopf.....!


    „Semir, komm ich fahr dich in die Klinik,“
    Semir zuckte zusammen. Er bemerkte erst jetzt, dass Tom eben auf einer Trage an ihm vorbeigetragen wurde – umringt vom Arzt und den Sanitätern. Bonrath hatte ihm die Hand auf die Schulter gelegt und murmelte:
    „Kommst du?“
    Semir wischte sich mit der Hand über die Augen.
    „Ich muss der Chefin Bescheid geben....und Petra.“ Er nestelte sein Handy aus der Tasche und wollte gerade anrufen.“
    „Lass mal, Semir, das hab ich schon getan, sie kommt auch gleich in die Klinik – mit Petra.“
    Semir nickte. Er war dankbar, dass Dieter das erledigt hatte, aber zugleich hatte er auch Angst, jetzt Petra gegenüberzutreten. Wie würde sie reagieren? Sicher würde sie ihm große Vorwürfe machen – und das zu Recht. Er straffte die Schultern und ging hinter Dieter her zum Wagen. Während der ganzen Fahrt sah er nur stumm aus dem Fenster und dachte an das, was passiert war. Es war einfach noch zu unrealistisch, um es glauben zu können. Bilder von seiner Zeit mit Tom liefen wie ein Film vor seinem inneren Auge ab – Bilder von schönen und schweren Zeiten. Was hatten sie nicht alles schon miteinander durchgestanden. Bei dem Gedanken daran, musste Semir leicht lächeln. So eine Freundschaft wie mit Tom, die gab es wahrscheinlich im Leben nur einmal! Und das sollte jetzt alles vorbei sein?

  • Auch Dieter schwieg. Er hatte zwar viele Fragen, die ihm auf den Nägeln brannten, aber er sah, dass Semir jetzt nicht in der Lage war, ihm irgendwelche Fragen zu beantworten. Irgendwann würde er schon erfahren, was es mit der Tatsache auf sich hatte, dass Tom eigentlich in Kiel sein sollte und nun hier um sein Leben kämpfte.


    Auf der PAST legte Anna Engelhard geschockt den Hörer auf. Sie musste erst einmal ihre Gedanken ordnen. Sie konnte kaum glauben, was Bonrath ihr eben gesagt hatte. Bei der „Leiche“, die gefunden wurde, handelte es sich um Tom! Er lebte zwar noch, aber seine Chancen standen mehr als schlecht. Sie stand auf und blickte durch die Glasscheibe ihres Büros nach draußen zu den anderen. Petra saß an ihrem Platz und war in irgendeine Arbeit vertieft und lächelte vor sich hin. Tom und sie waren seit einiger Zeit ein Paar und passten wunderbar zusammen. Wie um alles in der Welt, sollte sie ihr jetzt beibringen, dass Tom in der Klinik um sein Leben kämpfte und diesen Kampf mit aller Wahrscheinlichkeit verlieren würde? Am liebsten hätte sie es noch einmal hinausgeschoben, aber es musste sein. Sie musste Petra alles sagen, auch auf die Gefahr hin, dass diese schreiend zusammenbrechen würde. Anna reckte sich und legte die Hand auf den Türgriff. Dann ging sie mit raschem Schritt auf Petra zu. Diese sah lächelnd auf, als sie Anna kommen sah.
    „Petra.....ich....ich muss mit Ihnen reden.“
    Anna atmete tief durch, ehe sie fortfuhr:
    „....es geht um Tom.“
    Petra sah sie an, immer noch lächelnd. Nur langsam wich dieses Lächeln blankem Entsetzen, als sie zuerst Annas ernsten Gesichtsaudruck sah und dann ihre Worte hörte. Petra stand stumm da und sah durch Anna hindurch. Sie wurde kalkweiss im Gesicht und wenn Anna nicht so nah bei ihr gestanden hätte, wäre sie sicherlich hart auf dem Boden aufgeschlagen, als sie zusammensackte. So konnte Anna sie gerade noch halten. Anna Engelhard kniete auf dem Boden und legte ihre Arme um Petra, die zusammengekauert dasaß und heulte, wie ein kleines Kind.
    „Rufen Sie ihren Bruder an, Hotte, ich glaube, sie braucht ihn jetzt....!“
    Hotte nickte betroffen. Er hatte alles mitbekommen und war nicht weniger geschockt, als die anderen Kollegen, die sich noch im Raum befanden.


    Semir wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Dieter plötzlich den Wagen vor der Klinik mit quietschenden Reifen zum Stehen brachte.
    „Wir sind da,“
    besorgt sah er zu Semir, der nickte und die Wagentür öffnete, um auszusteigen. Irgendwie hatte Semir Angst, jetzt da hinein zu gehen. Er fürchtete sich vor dem, was die Ärzte sagen würden. Würde Tom leben oder war es zu spät? Aber dann ging er doch mit raschen Schritten neben Dieter her in Richtung Klinikeingang. Sie hatten den Eingangsbereich gerade betreten, als ihnen Markus eilig entgegenkam. Als er Semir sah, blieb er stehen.
    „Markus? Weißt du schon, was mit Tom ist?“ Semir sah ihn flehend an.
    „Sie haben ihn gerade eingeliefert.......ich muss zu Petra.....Hotte hat angerufen.......sie ist zusammengebrochen, als sie davon gehört hat.“
    Semir musste schlucken.
    „Markus....sag mir nur eins: hat Tom eine Chance? Kann er es schaffen?“ Semir hatte Markus am Arm angefasst und sah ihm in die Augen.
    „Semir, ich weiss es nicht, ich hab ihn ja noch gar nicht richtig gesehen, aber meine Kollegen tuen alles, um ihm zu helfen, glaub mir. Aber ich muss jetzt zu Petra. Wir reden nachher, ja?“
    Semir ließ Markus Arm los und nickte.

  • Es verging eine endlos scheinende Zeit, bis endlich ein Arzt zu Semir und Dieter kam. Semir sprang auf.
    „Doktor, wie geht es ihm?“
    Der Arzt sah die beiden an.
    „Ich bin Dr. Kress. Sind sie Verwandte von Herrn Kranich?“
    „Nein, aber Kollegen und........Freunde,“ flüsterte Semir.
    „Mein Name ist Gerkhan. Was ist mit ihm?“
    „Na ja,“ der Arzt räusperte sich.
    „Wir haben ihn gerade geröntgt, um zu sehen, wo die Kugel steckt.“
    „Sie haben noch nicht operiert?“ Semir konnte es nicht fassen.
    Dr. Kress schüttelte den Kopf.
    „So schnell geht das nicht, Herr Gerkhan. Ein Kopfschuss ist keine einfache Sache. Normalerweise überleben die Opfer so was nicht. Es ist schon ein kleines Wunder, dass er nicht sofort tot war. Nur in zwei bis drei Prozent der Fälle........“
    „Doktor,“ unterbrach Semir die Ausführungen des Arztes.
    „Bitte sagen Sie mir, ob er überlebt.“
    Dr. Kress sah Semir einen Moment an.
    „Das kann ich ihnen leider nicht sagen. Wir haben einen Spezialisten aus Hamburg bestellt, der ihren Kollegen operieren soll. Er ist ein Meister in der Mikrochirurgie. Ihr Kollege hat eine kleine Chance – aber einfach wird es nicht. Und selbst, wenn er überlebt, dann kann man nicht sagen, welche Folgeschäden auftreten werden. Wir müssen jetzt abwarten, bis der Kollege aus Hamburg eintrifft, der kann ihnen dann mehr sagen. Tut mir leid, dass ich keine besseren Nachrichten für sie habe.“
    Er gab Semir die Hand und verschwand wieder auf der Intensivstation.


    Semir stand da, wie ein begossener Pudel. Er hasste es, wenn die Ärzte so um den heissen Brei herumredeten.
    „Verdammt noch mal. Tom liegt da drinnen und keiner weiss, was wird........und anstatt was zu tun, warten die seelenruhig auf einen Kollegen aus Hamburg.“
    Wütend trat Semir gegen die Wand. Dieter trat hinter ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter.
    „Mensch Semir, nun wirst du aber ungerecht. Die tun hier alles, um Tom zu helfen, glaub mir. Die Ärzte wissen sicher genau, was zu tun ist.“
    Semir nickte. Dieter hatte ja Recht, aber er hasste es einfach, hier untätig rumzusitzen und nicht zu wissen, was mit Tom war.
    „Ich schwör dir, Dieter, dass ich das Schwein finde, das Tom das angetan hat.“
    Er ballte die Fäuste und fügte hinzu: „....und wenn es das letzte ist, was ich tue – ich finde ihn!“


    Markus betrat das Büro der PAST und sah sich suchend um. Hotte hatte ihn zuerst bemerkt und deutete auf das Büro von Anna.
    „Sie ist da drin, bei der Chefin. Sie ist zusammengebrochen, als sie das von Tom erfahren hat. Was ist denn genau mit ihm?“
    Hotte blickte Markus fragend an.
    „Ich weiss bis jetzt nur, dass es nicht gut aussieht. Er hat einen Kopfschuss!“
    „Oh mein Gott, nein,“ war alles, was Hotte heraus brachte. Betroffen stand er da und blickte Markus nach, der in Annas Büro verschwand.


    Markus schloss die Tür und nickte Anna zu, die neben Petra saß und einen Arm um sie gelegt hatte. Seine Schwester sah furchtbar aus. Sie war fix und fertig.
    „Na Schwesterherz, was machst du denn für Sachen?“
    Anna war aufgestanden und machte Markus Platz, der sich neben seine Schwester setzte und sie in den Arm nahm. Petra sah ihn aus tränenverschmierten Augen an.
    „Markus ......Tom.........er........was ist mit ihm?“
    Schluchzend warf sie sich ihm an den Hals. Markus strich ihr liebevoll über die Haare.
    „Schsch.........! Er lebt Petra, das ist im Moment das Wichtigste.“
    Anna bemerkte seinen sorgenvollen Blick, sagte aber nichts. Im Moment war es erst mal wichtig, dass Petra sich wieder beruhigte.
    „Kann ich zu ihm?“
    Petra sah ihren Bruder flehend an.
    „Später Schwesterherz. Jetzt geb ich dir erst mal etwas, damit du ein bisschen zur Ruhe kommst. Anschließend fahren wir in die Klinik.“
    Markus kramte eine Einweg-Spritze und eine kleine Ampulle aus der Tasche.
    „Das wird dir gut tun.....“ Er klopfte mit dem Zeigefinger leicht an die Spritze und desinfizierte Petras Armbeuge. Petra ließ alles willenlos geschehen. Sie spürte nicht einmal den Stich der Spritze, als die Nadel in ihre Haut stach.
    „So, fertig. Und nun legst du dich hier in den Bereitschaftsraum und ruhst dich etwas aus. Später fahren wir zu Tom.“
    Am Arm von Markus ging Petra zur Liege im Bereitschaftsraum und legte sich darauf. Wenige Minuten später war sie eingeschlafen. Markus streichelte ihr liebevoll über die Wangen.
    „Dein Freund hat wirklich einen beschissenen Job.....“
    An Anna gewandt fügte er hinzu: „Kann jemand bei ihr bleiben, bis sie wieder wach wird? Ich würde gerne in die Klinik fahren und mich nach Tom erkundigen.“
    Anna nickte. „Das ist kein Problem, ich werde mich um sie kümmern. Und ..... Herr Schubert.......wenn irgendwas mit Tom ist, rufen sie mich doch an?“
    Markus nickte und verließ die PAST.

  • Am späten Nachmittag traf der Spezialist aus Hamburg ein. Semir war die ganze Zeit über unruhig immer wieder hin und her gelaufen. Zwischendurch durfte er einmal kurz zu Tom, der blass und an diverse Apparate angeschlossen, im Bett lag. Die Schusswunde am Kopf war mit einer Kompresse abgedeckt. Semir konnte nur stumm vor dem Bett stehen, und schon nach kurzer Zeit wurde er von der resoluten Stationsschwester wieder nach draußen geschickt. Seitdem saß er auf einem der Stühle oder tigerte unruhig auf dem Flur auf und ab. Dieter war inzwischen zurück zur PAST gefahren, es machte ja keinen Sinn, dass auch er hier wartete.


    Als Dr, Neubert, so hieß der Arzt, die Untersuchung beendet hatte, trat er auf Semir zu, der ihn erwartungsvoll ansah.
    „Herr Gerkhan?“
    Dr. Neubert streckte Semir seine Hand zur Begrüßung entgegen.
    „Ja – wie geht es Tom? Wird er durchkommen?“ Semir sah Dr. Neubert angsterfüllt an.
    Der Arzt räusperte sich. „Nun, ihr Kollege hat wirklich großes Glück gehabt. Einen Kopfschuss überleben nicht allzu viele Menschen! Wir werden ihn sofort operieren. Wie ich auf dem Röntgenbild sehen konnte, hat die Kugel die Gehirnmasse nicht verletzt, oder nur gering - was aber nicht heisst, dass sie keine Schäden hinterlassen hat......“.
    Semir unterbrach den Arzt: „Was für Schäden....?“
    „Nun ja,“ wieder räusperte sich der Arzt und sah vor sich auf den Boden.
    „Der Kopf, und speziell das Gehirn ist ein komplexes System. Da kann schon der kleinste Eingriff irreparable Schäden hinterlassen, die nicht vorhersehbar sind....“
    Er machte eine kurze Pause, Semir starrte ihn nur an, ohne etwas zu sagen.
    „Es können Sprachausfälle auftreten, oder Lähmungen – oder der Sehnerv wurde verletzt, dann ist der Patient blind.“
    Als der Arzt Semirs entsetztes Gesicht sah, versuchte er ihn zu beruhigen:
    „Herr Gerkhan – das alles muss nicht eintreten, ich will ihnen aber auch keine falschen Hoffnungen machen. Das Wichtigste ist jetzt erst einmal, dass wir die Kugel herausholen können, ohne allzu viel zu zerstören. Danach müssen wir abwarten, bis ihr Freund aufwacht. Und jetzt müssen Sie mich entschuldigen, ich muss mich auf die OP vorbereiten.“
    Dr. Neubert nickte Semir kurz zu und verschwand wieder im OP-Bereich.


    Semir war wie vor den Kopf geschlagen! Er fühlte sich, als ob ihm jemand den Boden unter den Füßen weggezogen hätte.
    „Tom......,“ flüsterte er, „du musst wieder gesund werden.“


    Die Operation dauerte etliche Stunden. Semir war irgendwann erschöpft auf einem Stuhl eingeschlafen und träumte wirres Zeug. Er sah Tom auf sich zukommen – mit einem Einschussloch im Kopf. Er sah ihn blaß in einem Sarg liegen – dann wieder ging er ihm fröhlich lachend entgegen. Schließlich wachte Semir schweißgebadet auf. Zuerst wusste er nicht, wo er war und was passiert war, bis plötzlich eine Krankenschwester neben ihm stand und ihm lächelnd einen Becher Kaffee reichte.
    „Hier trinken sie das, sie sind ja völlig fertig.
    Semir nahm dankbar das heiße Getränk an, und noch ehe er fragen konnte, antworte ihm die junge Schwester: „Doktor Neubert ist mit der OP fertig,“ sie lächelte Semir an. „Soweit ich weiss, ist er ganz zufrieden mit dem Ergebnis.“

  • Auf der PAST herrschte inzwischen eine gedrückte Stimmung. Alle waren geschockt von dem, was mit Tom passiert war und in Gedanken mehr bei dem Kollegen, als bei der Arbeit. Anna Engelhardt rief Bonrath und Herzberger in ihr Büro.
    „Sie beide nehmen sich noch zwei weitere Kollegen und observieren mir diesen Berger rund um die Uhr. Ich will über jeden seiner Schritte unterrichtet werden.“
    Dieter nickte dienstbeflissen.
    „Geht klar Chefin!“
    Anna war aufgestanden und sah aus dem Fenster, ehe sie fortfuhr.
    „Notieren Sie alles, was er macht. Mit wem er sich trifft, wer bei ihm ein und aus geht – aber unternehmen sie sonst nichts. Ich will nur wissen, wo er ist...........damit wir zuschlagen können, sobald Tom wieder ansprechbar ist und uns sagen kann, was passiert ist.“
    Sie machte eine kurze Pause.
    „Sobald wir wissen, wer ihm das angetan hat, werden wir reagieren. Ich hoffe nur.........“ sie räusperte sich und fügte leise hinzu: „......dass uns Tom noch sagen kann, wer es getan hat.“
    Herzberger musste schlucken.
    „Chefin, Tom.....der schafft das, ganz bestimmt. Machen Sie sich keine Sorgen.“
    Anna Engelhardt nickte und lächelte den beiden zu.
    „Ja, er wird das schaffen, da bin ich mir ganz sicher.“
    In ihrem Innersten musste sie sich aber eingestehen, dass sie sich gar nicht so sicher war.


    Semir hatte gerade den Kaffe ausgetrunken, als Petra mit Markus den Flur entlang kam. Ohne ein Wort zu sagen, nahm er sie in den Arm und sah Markus über Petras Schulter hinweg an.
    Markus hatte Semirs fragenden Blick bemerkt.
    „Der Kollege Neubert kommt gleich vorbei und wird mit euch reden.“
    Er hatte den Satz gerade beendet, als der Arzt auf sie zutrat und aufmunternd lächelte. Man sah ihm die Strapazen der Operation deutlich an. Er wirkte müde und erschöpft.
    „Die Operation ist soweit ganz gut verlaufen, jetzt müssen wir abwarten, bis er aufwacht, aber das kann dauern.“
    „Kann ich zu ihm?“ Petra sah ihn flehend an.
    „Natürlich,“ Dr. Neubert lächelte sie an. Dann sah er auf Semir, dem man die letzten Stunden deutlich ansah. Er hatte Ringe unter den Augen und einen Stoppelbart.
    „Und sie fahren jetzt besser nach Hause und nehmen eine Mütze voll Schlaf. Es reicht, wenn immer einer an seinem Bett Wache hält. Sie können sich ja abwechseln.“
    Semir leistete keinen Widerstand, er wäre ja gerne sofort zu Tom gegangen, aber er war hundemüde und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten.
    „Petra, ich geh nach Hause und schlaf ein paar Stunden, dann löse ich dich ab, ja?“
    Petra nickte und ging mit Markus zur Intensivstation. Als sie Tom da liegen sah, schlug sie beide Hände vor den Mund. Tom lag blass im Bett, der Kopf war mit einem dicken Verband umwickelt.....er sah so hilflos aus.


    Semir schlief volle acht Stunden durch und fuhr anschließend wieder ins Krankenhaus, um am Bett seines Freundes zu sitzen und auf sein Aufwachen zu hoffen. Drei Tage wechselte er sich mit Petra am Krankenbett ab. Anna Engelhardt hatte ihn freigestellt, damit er bei Tom sein konnte. Berger wurde von den Kollegen Tag und Nacht überwacht, er konnte keinen unbeobachteten Schritt machen.
    Am dritten Tag, als Semir wieder an Toms Bett saß, hoffend, dass er endlich aufwachen würde, bemerkte er plötzlich, wie Toms Augenlider flatterten. Semir war sofort hellwach, er beugte sich über seinen Freund. Ja, da war es wieder, Toms Lider flatterten leicht......und plötzlich öffnete er die Augen. Semir spürte, wie ihm vor Erleichterung ein ganzer Felsblock vom Herzen fiel.
    „Tom, hey.......da bist du ja endlich wieder....wurde auch langsam Zeit.“,
    flüsterte er Tom zu, dessen Blick an ihm vorbei ging. Semir lächelte ihn erleichtert an.
    Tom schloß wieder die Augen, um sie im nächsten Moment wieder zu öffnen.
    „Semir..........“ es war nur ein Flüstern, das Tom herausbrachte.
    Semir beugte sich über ihn.
    „Tom.......ich bin hier.......du hast es geschafft!“ Semirs Stimme bebte.
    „Semir.......wieso........“ Tom unterbrach sich, das Sprechen strengte ihn noch sehr an.
    „.......wieso.........ist es hier so dunkel........?“
    Semir erstarrte! Im Zimmer war es ganz und gar nicht dunkel, im Gegenteil, die Sonne schien durchs Fenster, es war taghell. Sollte das heißen, dass........? Er bemerkte, wie Toms Hand suchend über die Bettdecke glitt und griff nach ihr. Tom umklammerte Semirs Hand sofort. Immer noch sah er an Semir vorbei. Seine Augen bewegten sich suchend hin und her.
    Dann plötzlich begriff er: „Semir......ich.....ich kann nichts sehen........ich bin blind!!!!!“
    Toms Stimme verriet seine ganze Panik und seine Angst. Semir saß nur da und umklammerte Toms Hand. Im Augenblick wusste er nicht, was er zu Tom sagen sollte. Er dachte an die Worte von Dr. Neubert: „.........oder der Sehnerv wurde verletzt, dann ist der Patient blind.“
    Tom wurde immer aufgeregter und murmelte ununterbrochen: „...ich bin blind......ich bin blind......Semir, so hilf mir doch!........Ich kann nichts sehen......!“

  • Das Piepen der Überwachungsgeräte wurde immer hektischer! Semir bekam es mit der Angst zu tun.
    „Tom, beruhige dich doch – alles wird gut!“
    Beruhigend strich er Tom über den Arm, aber Tom geriet förmlich in Panik. Die Tatsache, dass er nichts mehr sehen konnte, ließ ihn ungeahnte Kräfte entwickeln. Obwohl er eben erst aus der Narkose erwacht war, versuchte er, sich aufzubäumen. Semir hatte alle Hände voll zu tun, Tom daran zu hindern.


    Plötzlich ging die Tür auf und Dr. Neubert kam zusammen mit einer Krankenschwester in den Raum gelaufen. Mit einem Blick erkannte er, was geschehen war. Er gab der Schwester eine kurze Anweisung, worauf die nickte und eine Spritze aufzog, die sie Dr. Neubert reichte.
    „Tun sie doch was, Doc........“ Semir war am Verzweifeln.
    Dr. Neubert setzte die Spritze an den Zugang auf Toms Handrücken, was gar nicht so einfach war, weil der so unruhig und fahrig war. Erst als Semir die Hand festhielt, gelang es dem Doktor , den Inhalt der Spritze in den Zugang zu spritzen. Es dauerte keine 30 Sekunden und Tom wurde ruhig und war auch schon eingeschlafen. Semir saß noch immer da und hielt Toms Hand fest. Er konnte immer noch nicht richtig begreifen, was passiert war: Tom war blind!
    „Er.......er ist aufgewacht.......und konnte nichts mehr sehen..........“ murmelte Semir und sah Dr. Neubert an. Der Arzt prüfte die Geräte, ehe er sich Semir zuwandte.
    „Ich habe so etwas befürchtet,“ antwortete er und steckte die kleine Lampe wieder in die Tasche, mit der er Tom in die Augen geleuchtet hatte.
    „Wahrscheinlich drückt das geschwollene Gewebe auf den Sehnerv – eine Verletzung des Nervs kann ich jedenfalls ausschließen.“
    In Semir keimte etwas Hoffnung auf.
    „Dann wird er wieder sehen können, wenn die Schwellung zurückgeht?“
    Dr. Neubert räusperte sich. „Das kann man nicht mit Sicherheit sagen. Es kommt darauf an, wie lange das dauert. Wir hatten schon Fälle, wo der Patient nach einigen Wochen wieder einwandfrei sehen konnte, aber es gab auch Patienten, die für immer blind blieben. Wir können nur abwarten.“
    Semir starrte den Arzt entsetzt an.
    „Abwarten??? Was soll ich ihm denn sagen, wenn er wieder aufwacht? - Tom, es kann sein, dass du blind bleibst, mach dir nichts draus???“
    Semir steigerte sich in seiner Verzweiflung in eine Wut hinein, die er an Doktor Neubert ausließ. Die ganze angestaute Angst um Tom bahnte sich einen Weg und prallte in Form von harten Worten an Dr. Neubert. Der hörte Semir zu und ließ ihn sich alles von der Seele reden. Als erfahrener Arzt wusste er, was in Semir vor sich ging und nahm ihm das nicht übel. Als Semir fertig war und ihn wütend anstarrte, legte er ihm eine Hand auf die Schulter.
    „Herr Gerkhan, ich verstehe ihre Reaktion nur zu gut, glauben Sie mir. Aber es bleibt uns wirklich nichts anderes übrig, als abzuwarten. Und die Chancen stehen wirklich nicht schlecht, dass er wieder sehen kann, aber mit Sicherheit kann ich es eben nicht sagen. Wir können froh sein, dass er keine weiteren Schäden davon getragen hat. Er könnte auch als Schwerstpflegefall im Wachkoma liegen – vielleicht jahrelang!“
    Semir stand da und sah zu Tom . Plötzlich tat es ihm leid, was er dem Doc an den Kopf geworfen hatte. Er hatte nicht das Recht dazu. Der Arzt hatte alles Menschenmögliche für Tom getan.
    „Entschuldigen Sie, es war nicht so gemeint.....es ist nur..........ich weiss nicht, wie er damit fertig werden wird. Er war so verzweifelt.“ Wieder sah er seinen Freund an.
    Dr. Neubert lächelte.
    „Glauben Sie mir, Herr Gerkhan, wenn er wirklich nicht mehr sehen kann, wird er sich damit abfinden. Es wird dauern, aber er wird es schaffen. Aber er braucht Freunde, die zu ihm stehen – aber wie ich sehe, hat er den besten Freund, den er sich wünschen kann.“
    Er schüttelte Semir die Hand und verließ das Zimmer.
    Semir verspürte plötzlich den Drang, ebenfalls das Zimmer zu verlassen und an die frische Luft zu gehen. Er musste den Kopf freibekommen. Als er vor die Tür trat setzte er sich auf einen der Stühle und schlug die Hände vors Gesicht. Die Erschöpfung breitete sich sekundenschnell in ihm aus. Er war fix und fertig. Einige Minuten saß er so da und weinte leise in sich hinein.

  • „Verdammt noch mal, wieso steht immer noch nichts in der Zeitung übe den toten Bullen?“
    Berger knallte wütend die Zeitung auf den Schreibtisch. In ihm kochte es. Jacko stand etwas hilflos vor ihm und versuchte, sich zu rechtfertigen.
    „Das weiss ich auch nicht, Boss. Aber er ist tot. Ich hab ihm doch eine Kugel in den Kopf gejagt, das überlebt keiner. Die beiden waren doch dabei.“ Jacko deutete auf die beiden Komplizen, die neben ihm standen. Ihm war gar nicht wohl in der Haut. Er wusste nur zu genau, was es bedeuten konnte, wenn der Boss wütend war. Und jetzt war er wütend!
    „Vielleicht.......vielleicht haben sie ihn nur noch nicht gefunden. Kann doch sein.“ Versuchte Jacko erneut, sich zu verteidigen.
    „Nicht gefunden?“ Berger blaffte Jacko an.
    „Das glaubst du wohl selbst nicht.“
    Er war aufgesprungen und stand mit dem Rücken zu Jacko überlegend da. Plötzlich drehte er sich abrupt herum.
    „Finde heraus, was los ist. Egal wie, ich will wissen, was mit dem Bullen ist. Ruf meinetwegen auf dem Revier an, wenn dir nichts besseres einfällt, aber finde es heraus.“
    Jacko nickte und wollte sich schon abwenden, als Berger fortfuhr: „Und wenn er noch lebt, dann sorg dafür, dass das nicht mehr für lange ist. Verstanden?“
    Leise zischend fügte er hinzu: „Niemand führt mich ungestraft hinters Licht – NIEMAND! Und schon gar kein Bulle!“
    Jacko verließ den Raum. Er musste jetzt so schnell wie möglich rausfinden, was mit diesem Kranich war. Aber wie? Er konnte doch nicht einfach da anrufen.....! Plötzlich musste er grinsen. Ja, das wars, das könnte funktionieren! Seine Freundin Silvie würde da anrufen! Sie könnte sich für eine Bekannte Kranichs ausgeben und nach ihm fragen. Das wäre harmlos und unverdächtig! Zufrieden mit sich und seiner cleveren Idee, griff er zum Handy, um Silvie zu sagen, was sie zu tun hatte.


    In der PAST läutete das Telefon. Da Petra nicht da war, ging Hotte an den Apparat.
    „Hallo, hier spricht Marlies Schütte,“ meldete sich eine junge Frauenstimme, als Hotte seinen Spruch abgespult hatte. „Kann ich bitte Tom Kranich sprechen? Ich bin eine alte Freundin von ihm und grad in der Stadt, da wollte ich ihn fragen, ob wir uns vielleicht mal treffen könnten.“ Silvie machte ihre Sache gut. Sie hörte sich völlig harmlos und unbefangen an, so dass Hotte nicht auf die Idee kam, dass mit ihr etwas nicht stimmen könnte.
    „Tut mir leid, Frau Schütte, aber Tom ist nicht da.“
    „Und wann kommt er wieder?“ fragte die Frau mit der sympathischen Stimme.
    Hotte schluckte. „Das weiss ich leider nicht, Tom......äh......Herr Kranich liegt im Krankenhaus. Er wurde im Dienst verletzt.“ Hotte trieb es bei diesen Worten beinahe die Tränen in die Augen.
    „Oh nein.....“ Sylvie spielte die Besorgte.
    „Wie geht es ihm? Wo liegt er denn? Kann ich ihn besuchen?“ Sie bombardierte Hotte mit Fragen.
    Hotte räusperte sich. „Er liegt in der Uni-Klinik, aber ich glaube kaum, dass das jetzt geht.....“
    „Ich danke Ihnen, ich melde mich dann später noch einmal.“
    Hotte legte auf. Im selben Moment kam Dieter zur Tür herein und legte ihm eine Akte vor die Nase. „Hotte, sieh dir das mal an...“ Minuten später hatte Hotte das Telefongespräch schon wieder vergessen.

  • So, nun musstet ihr lange auf eine Fortsetzung warten. Tut mir leid, aber ich hatte in den letzten Tagen wenig Zeit, aber nun kommt wieder was. Ich hoffe mal, dass ihr mir trotzdem treu bleibt.....! :)
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    Markus kam den Flur entlang und sah Semir wie ein Häufchen Elend auf dem Stuhl sitzen. Er hatte eben von Dr. Neubert erfahren, was mit Tom war. Obwohl er fast damit gerechnet hatte, war er zuerst auch sehr geschockt gewesen. Er setzte sich neben Semir, der ihn erst jetzt bemerkte. Hastig wischte der sich mit dem Handrücken über die Augen. Ihm war es peinlich, dass Markus sah, dass er geweint hatte.
    „Markus....ich.....,“ stammelte Semir, holte ein Taschentuch hervor und schnäuzte sich. Markus legte ihm die Hand auf die Schulter.
    „Ist schon gut...ich weiss, wies in dir aussieht. Ich habe eben mit Dr. Neubert gesprochen.“ Eine Weile saßen die beiden Männer schweigend nebeneinander, ehe Semir fortfuhr.
    „Markus....er....er war so verzweifelt.......wie soll es denn jetzt weitergehen?“
    Wieder schwieg Markus einen Weile.
    „Semir, es ist nicht gesagt, dass Tom blind bleibt.....und wenn doch, dann muss er sich damit abfinden. Er hatte schon großes Glück, dass er das überhaupt überlebt hat.“ Nach einer kurzen Pause fügte er gedankenverloren hinzu: „Ihr habt wirklich einen beschissenen Job.“ Dann stand er auf. „Ich fahr jetzt jedenfalls zu Petra, irgendwer muss es ihr ja sagen.“ Semir nickte dankbar. Insgeheim hatte er sich davor gefürchtet, mit Petra zu reden.
    „Und ich fahr in die Past und sag den Kollegen Bescheid, nachher seh ich noch mal nach Tom.“


    Als Semir die Kollegen unterrichtet hatte, machte sich eine große Betroffenheit breit. Anna bat ihn in ihr Büro.
    „Hat Tom etwas gesagt, als er aufgewacht ist, über das was passiert ist?“ Semir schüttelte den Kopf. Toms Reaktion wurde wieder vor seinem inneren Auge lebendig, aber er sagte nichts zu Anna.
    „Gibt es etwas Neues von Berger?“, fragte er stattdessen. Anna nahm einen Schluck aus ihrer Teetasse. „Wir beobachten ihn Tag und Nacht. Sobald wir mit Tom reden können und etwas Konkretes erfahren, werden wir handeln. Mir wäre wohler, wenn wir wüssten, wer Tom angeschossen hat. Ich habe ein ungutes Gefühl bei der Sache.“ Dann lächelte sie Semir an. „Sie fahren jetzt auf jeden Fall nach Hause und schlafen sich mal richtig aus. Anschließend sehen Sie nach Tom, ich glaube, er braucht sie jetzt mehr denn je.“


    Als Silvie Jacko berichtete, was sie am Telefon erfahren hatte, musste der erst mal schlucken. Der Bulle lebte also tatsächlich noch. Es war kaum zu glauben, der Kerl musste mehrere Leben haben. Bei dem Gedanken an Berger stellten sich seine Nackenhärchen auf und ihn fröstelte. Er musste seinen Fehler jetzt so schnell wie möglich ausmerzen, sonst brauchte er sich über seinen Lebensabend keine Gedanken zu machen. Er brauchte einen Plan, einen perfekten Plan! Einen weiteren Fehler durfte er sich nicht mehr erlauben.


    Tom wachte auf. Er öffnete die Augen und sah nichts als eine undurchdringliche Dunkelheit. Schlagartig wurde ihm wieder bewusst, was geschehen war. Er war blind! Er versuchte, die Panik, die sich wieder in ihm ausbreiten wollte, zu unterdrücken. Immer wieder schloss er die Augen, um sie gleich darauf wieder zu öffnen, in der Hoffnung, dass alles nur ein Traum gewesen war und er wieder sehen könnte. Aber es war kein Traum, er konnte nichts mehr sehen! Stück für Stück erinnerte er sich daran, was geschehen war. Er sah Jacko vor sich stehen, mit der Waffe im Anschlag, hörte das leise „Plop“ des Schusses – und dann war da nichts mehr. Vorsichtig tastete er mit der Hand nach seinem Verband, den er um den Kopf trug und registrierte fast gleichzeitig, wie sich ein pochender Kopfschmerz in seinem Gehirn breit machte.

  • Hallo! Bin nach meinem Wochenendtrip wieder heil zu Hause gelandet und möchte euch einen neuen Teil nicht vorenthalten. Habt ja soooo lange warten müssen!
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    Silvie betrat das Krankenhaus. Jacko hatte sie geschickt. Sie sollte auskundschaften, was mit dem Bullen war. Vielleicht war er ja so schwer verletzt, dass er doch noch abkratzen würde, dann könnte er sich die Arbeit sparen. Zuerst wollte er selbst gehen, aber eine Frau fiel weniger auf. Allerdings hatte sich Silvie strikt geweigert, dem Bullen das Lebenslicht auszublasen, falls sich eine günstige Gelegenheit ergeben würde. Das musste er schon selbst machen. Sie wollte nur die Lage peilen und ihm Bericht erstatten. Zielstrebig ging sie den Flur entlang zu den Aufzügen. Sie hatte vorher hier angerufen und so herausbekommen, wo dieser Kranich lag. Es konnte also nicht allzu schwierig sein, ihn zu finden. In der 3. Etage trat sie aus dem Aufzug, sah sich kurz um und huschte in das Schwesternzimmer, nicht ohne sich vorher vergewissert zu haben, dass niemand da war. Nachdem sie sich kurz umgesehen hatte, öffnete sie einen Schrank und nahm einen weißen Kittel heraus, den sie sich überzog. Bei dem regen Betrieb hier, würde keinem auffallen, dass sie hier nicht hingehörte. Sie nahm sich noch ein Tablett mit diversen Pillendosen, das auf der Anrichte stand und ging mit raschem Schritt Richtung Zimmer Nr. 311. Niemandem, der ihr begegnete, fiel auf, dass sie hier nichts zu suchen hatte. Eine Wache saß schon mal nicht vor dem Zimmer, das würde Jacko freuen! Sie sah sich noch einmal kurz um und betrat dann das Krankenzimmer. Sofort fiel ihr Blick auf den Mann, der im Bett lag. Er hatte einen dicken Kopfverband und schlief offenbar. Einen Augenblick betrachtete sie ihn. Er sah außerordentlich attraktiv aus. Unter anderen Umständen hätte er ihr durchaus gefallen können. Aber dieser Kranich konnte Jacko gefährlich werden – und deshalb musste er sterben. Plötzlich öffnete er die Augen. Silvie erschrak, stellte aber in dem Moment fest, dass er sie nicht wirklich ansah. Seine Augen starrten geradeaus an die Wand.
    „Ist jemand hier?“ fragte der Bulle mit matter Stimme.
    Silvie brauchte nur einen kurzen Moment, um zu erkennen, dass er nichts sehen konnte, er war offenbar blind. Sie räusperte sich: „Ich bin Schwester Marlies und wollte nur sehen, wie es ihnen geht.“
    „Wie soll es mir schon gehen.....?“ murmelte Tom.
    Silvie drehte sich um und verließ das Zimmer. Innerlich jubelte sie. Das wurde ja immer besser. Wenn der Kerl nichts sehen konnte, war es umso leichter für Jacko, an ihn ranzukommen, ohne dass er ihn erkennen würde.


    Tom wollte noch etwas zu der Schwester sagen, merkte aber, dass sie anscheinend das Zimmer schon wieder verlassen hatte.
    „Schöner Service ist das hier“, murmelte er. Er hätte nämlich dringend zur Toilette gemusst. Er beschloss, zu warten, bis wieder jemand nach ihm sah. Wieder lag er da und starrte in die gnadenlose Dunkelheit, die ihn umgab.


    Einige Zeit später hielt er es nicht mehr aus. Wenn niemand kam, würde er eben alleine versuchen, die Toilette zu finden. Langsam richtete er sich auf, sofort verstärkten sich seine Kopfschmerzen. Fahrig tastete er mit den Händen am Bettrand entlang, ertastete den Nachtschrank und setzte sich langsam auf die Bettkante. Er musste einen Moment so sitzen bleiben, weil ihm schwindlig war. „Na wenigstens kann sich nicht alles um mich herum drehen, wenn ich nichts sehen kann,“ murmelte er in einem Anflug von schwarzem Humor vor sich hin. Er hielt sich am Bett fest und stellte sich langsam auf die Füße. Vorsichtig tat er einen Schritt nach vorne und stieß prompt gegen irgendwas.
    „Verdammt!“ Leise fluchend versuchte Tom, sich weiter vorzutasten. Er hatte keine Ahnung, in welche Richtung er ging und langsam merkte er, dass ihm schlecht wurde. Ein zweiter und dritter Schritt und er stieß wieder gegen ein Hindernis, strauchelte und knallte auf den Fußboden. Er schaffte es einfach nicht! Er setzte sich auf und lehnte sich an die Wand. Wütend schlug er mit der Faust auf den Fußboden. Aber schnell verwandelte sich die Wut in pure Verzweiflung. Eine Verzweiflung, die ihm die Tränen in die Augen trieb!
    Er war hilflos!
    Er konnte keinen Schritt ohne Hilfe machen.
    Er saß hier in dieser verdammten Dunkelheit und wusste nicht einmal mehr, wo sein Bett stand.
    Warum hatte er überhaupt überlebt?
    Um für den Rest seines Lebens so zu vegetieren?
    Warum war er nicht tot?
    Alles wäre besser, als das hier.
    Langsam rutschte er seitlich an der Wand auf den Fußboden, krümmte sich zusammen wie ein kleines Kind und weinte hemmungslos.

  • Semir ließ seinen Dienstwagen auf dem Parkplatz der Klinik ausrollen. Er stieg aus und ging auf den Eingang der Klinik zu, wo er beinahe mit einer jungen Frau zusammenprallte, die nur ein hastiges „Tschuldigung“ murmelte und schnell um die Ecke verschwand. Semir betrat den Eingangsbereich und steuerte auf den Aufzug zu, der ihn in die Etage brachte, in der Toms Zimmer lag. Als er das Zimmer 311 erreicht hatte, blieb er kurz stehen und atmete tief durch. Insgeheim fürchtete er sich davor, Tom gegenüber zu treten. Was sollte er zu ihm sagen? Toms Schicksal tat ihm unsagbar leid. Wie konnte er ihm nur helfen? Semir klopfte leise an und betrat das Zimmer. Überrascht stellte er fest, dass Toms Bett leer war. Wie konnte das sein? Was war mit seinem Freund? Er wollte sich schon wieder abwenden, als er plötzlich ein Geräusch vernahm, er blickte zur Seite und erschrak. Tom lag auf dem Fußboden des Krankenzimmers und weinte. Semir war es, als legte sich ein Eisenring um seine Brust. Sein bester Freund, den so schnell nichts aus der Fassung brachte, lag hier und weinte hemmungslos. Er hatte noch nicht einmal bemerkt, dass er das Zimmer betreten hatte. Schnell schloss Semir die Tür und eilte zu Tom, ging neben ihm in die Hocke. Er drückte nicht den Knopf, mit dem er Hilfe holen konnte. Er wollte nicht, dass jemand Tom so sah. Tom wäre das unsagbar peinlich gewesen.
    „Hey Tom....ich bins, Semir!“ Behutsam berührte er Toms Schulter.
    Erst jetzt bemerkte Tom, dass jemand im Raum war.
    „Semir......ich......ich schaff das nicht. Ich halte diese Dunkelheit nicht aus.“ Wieder erzitterte Toms Körper. Semir streichelte ihm über den Rücken.
    „Na komm, wir packen dich erst mal wieder ins Bett, dann können wir reden, o.k? Muss ja nicht jeder mitkriegen, was hier passiert ist.“
    Tom nickte dankbar. Semir war eben ein Freund, auf den man sich verlassen konnte. Er tastete suchend nach Semirs Hand, der ihm half aufzustehen. Vorsichtig dirigierte er Tom zum Bett zurück. Als Tom schließlich wieder im Bett lag, war er fix und fertig. Er atmete schwer und Semir wartete, bis er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte.
    „Was ist denn passiert?“, wollte er dann wissen.
    Tom atmete noch ein paar Mal tief durch, ehe er antwortete.
    „Da war diese Schwester....Schwester Marlies....ich wollte ihr noch sagen, dass ich zur Toilette muss, da war sie schon wieder verschwunden. Dann hab ich’s eben selbst versucht........aber nicht einmal das schaff ich alleine.“ Toms Hand schlug auf die Bettdecke, er drehte den Kopf zur Seite und presste die Lippen aufeinander. Semir sagte zuerst einmal nichts.
    „Tom, das wird schon. Der Arzt sagte, dass du Geduld brauchst und mit großer Wahrscheinlichkeit wieder sehen können wirst. Aber das geht nicht so schnell. Er meinte, du hättest großes Glück gehabt, dass du das überlebt hast.“
    Toms Gesicht nahm einen spöttischen Ausdruck an.
    „Glück? Das nennst du Glück? Ich liege hier und starre den ganzen Tag nur in pechschwarze Dunkelheit und kann vielleicht nie mehr sehen............ja, da hab ich wirklich Glück gehabt!“
    Tom hatte die Worte kaum ausgesprochen, da wurde ihm bewusst, dass er Semir Unrecht tat. Er konnte ja nichts dafür.
    „Entschuldigung.....ich hab das nicht so gemein, aber.......“
    Semir nahm Toms Hand.
    „Ist schon in Ordnung, Partner. Kannst du dich denn daran erinnern, was passiert ist? Ich meine, ehe du angeschossen wurdest.?“
    Tom überlegte einen kurzen Moment und nickte dann. Er erzählte Semir alles, woran er sich erinnern konnte. Er machte mehrere Pausen, weil ihn das Reden noch immer sehr anstrengte, bis er zum Ende kam.
    „....dann haben die Kerle mich fertiggemacht und sind mit mir ans Rheinufer gefahren. Dieser Jacko hat einen Schalldämpfer aufgeschraubt und auf mich angelegt......den Rest kennst du ja.“
    Leise fügte er hinzu: „Semir......ich hatte wirklich mit dem Leben abgeschlossen.“
    Semir ballte die Fäuste.
    „Ich werde diesen Jacko finden und dingfest machen. Er wird dafür büßen. Genauso wie dieser Berger. Nun können wir ihn endlich festnehmen. Wir beobachten ihn, seit wir dich gefunden haben. Es dürfte also kein Problem sein, ihn zu verhaften.““

  • So, nun habt ihr schon wieder so lange warten müssen. Tut mir wirklich leid, hab aber im Moment wirklich etwas Stress, ging leider nicht schneller!
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    Plötzlich hörte Semir ein leises Klopfen an der Zimmertür. Er drehte sich um und sah, wie die Tür langsam geöffnet wurde und Petra den Raum betrat. Fragend sah sie Semir an und dieser nickte ihr zu. Tom würde es gut tun, wenn sie jetzt bei ihm war. Auch Tom hatte bemerkt, dass jemand den Raum betreten hatte.
    „Wer ist da, Semir?“
    „Jemand, der mich hier überflüssig sein lässt,“ antworte Semir lächelnd und stand vom Stuhl auf.
    „Aber ich sollte mich vielleicht auch mal wieder im Büro blicken lassen. Die Arbeit macht sich ja nicht von alleine. Wenn mein Partner sich hier schon faul im Bett lümmelt, dann muss wohl wenigstens ich etwas arbeiten – ich seh später noch mal nach dir, Tom.“ Er legte Tom kurz die Hand auf den Arm und ging. Petra stand zuerst etwas hilflos vor Toms Bett. Sie hatte einen Kloß im Hals, als sie Tom da so liegen sah. Er drehte den Kopf leicht in ihre Richtung, aber seine wunderschönen Augen blickten an ihr vorbei.
    „Petra....?“
    Tom flüsterte beinahe. Er war sich sicher, dass es Petra war, die gerade den Raum betreten hatte. Wie hatte er sich nach ihr gesehnt. Und doch hatte er insgeheim fast schon Angst vor der ersten Begegnung mit Petra gehabt – der ersten Begegnung seit er blind war.
    Wie würde sie reagieren?
    Würde sie seinen Anblick verkraften?
    Würde sie trotzdem zu ihm stehen?
    Konnte er ihr eine Zukunft an seiner Seite überhaupt zumuten?
    Diese Fragen waren ihm in den letzten Stunden immer wieder durch den Kopf gegangen. Um seine Unsicherheit und Furcht zu überspielen klopfte er auffordernd neben sich auf die Matratze.
    „Na komm, setz dich zu mir – wenn ich dich schon nicht mehr sehen kann, will ich dich wenigstens spüren.“
    Petra ging zaghaft die paar Schritte bis zum Bett und setzte sich zu Tom. Sie sagte nichts, nahm nur seine Hände in die ihren.
    Tom spürte die Wärme, die von ihr ausging.
    „Petra......ich.......,“ weiter kam er nicht. Petra legte ihren Kopf auf seine Brust und umarmte ihn.
    „Tom....Gott sei Dank, dass du lebst.“
    Tom erwiderte die Umarmung. Er klammerte sich an Petra wie ein Ertrinkender, roch den Duft ihrer Haare und schloss glücklich die Augen. Plötzlich bemerkte er, dass Petra weinte.
    „Hey......Schatz.....das ist doch kein Grund zum Weinen.“
    Er streichelte ihr übers Gesicht und spürte die Feuchtigkeit ihrer Tränen.
    „Ich werde bestimmt wieder sehen können, der Arzt meinte, ich hätte gute Chancen, ich brauche nur Geduld.“
    Er hörte seine eigenen Worte und fragte sich, ob es wirklich so sein würde, oder ob er sich selbst etwas vormachte. Aber im Moment war das auch nicht wichtig. Petra war hier und nur das zählte. Petra wischte sich mit dem Ärmel die Tränen ab und nahm Toms Gesicht in beide Hände.
    „Ich weine ja nicht, weil du blind bist, ich weine aus Freude, weil du das alles überlebt hast. Ich werde dich immer lieben – egal ob du sehen kannst oder nicht, das spielt überhaupt keine Rolle.“ Sie beugte sich über ihn und küsste ihn. Tom erwiderte den Kuss lange und leidenschaftlich. Und plötzlich war er sich ganz sicher, dass sich alles zum Guten wenden würde, auch wenn es lange dauern sollte. Petra würde ihm die Kraft geben, daran zu glauben.


    Wenig später betrat Semir die PAST und sah sich den fragenden Gesichtern der Kollegen gegenüber. Dieter kam auf ihn zu. „Wie geht’s Tom? Sag schon.“
    Semir sah in die Runde.
    „Tom geht’s soweit gut, würd ich sagen. Petra ist jetzt bei ihm.“
    Man konnte die Erleichterung unter den Kollegen fast körperlich spüren.
    „Na ja, dann will ich mal hoffen, dass diese Marlies nicht gerade jetzt zu Tom kommt, wenn Petra da ist,“ ließ Hotte verlauten und grinste dabei unübersehbar.
    Semir stutzte.
    „Die Krankenschwester? Warum sollte Petra da was dagegen haben?“
    Hotte sah Semir etwas bedeppert an.
    „Wieso Krankenschwester?“
    „Na du hast doch eben von einer Marlies gesprochen und da gibt es eine Krankenschwester, die so heißt.“
    „Ach so....ne......dann gibt’s eben noch eine Marlies. Aber ich meine die Marlies, die heute hier angerufen hat und nach Tom fragte. Er kennt sie wohl von früher. Ich habe ihr gesagt, dass Tom in der Klinik liegt und sie meinte, sie würde ihn besuchen.“
    Bei Semir läuteten sämtliche Alarmglocken.
    „Hotte, bist du dir da sicher, oder verwechselst du etwas?“
    Hotte baute sich vor Semir auf und stemmte die Arme in die Hüften.
    „Na hör mal, Semir, ich bin zwar nicht mehr der Jüngste, aber bestimmt nicht senil......Marlies Schütte hieß die nette Dame am Telefon, das weiss ich genau!“
    Im selben Moment dämmerte ihm, dass hier eventuell etwas oberfaul war.
    „Semir....du glaubst doch nicht, dass.......?“ Hotte fühlte sich plötzlich unwohl in seiner Haut.
    Semir sah nachdenklich vor sich hin.
    „Ich weiss nicht, Hotte, aber es könnte sein dass mit dieser Marlies etwas nicht stimmt. Ich red mal mit der Chefin.“
    Hotte sah Semir nach, der mit raschen Schritten Anna Engelhardts Büro ansteuerte.
    „Oh mein Gott, was hab ich getan?“ murmelte Hotte und ließ sich auf seinen Stuhl sinken.

  • Anna Engelhard sah auf, als Semir das Büro betrat. „Ah.... Semir. Wie geht’s Tom?“
    „Ganz gut soweit. Wenigstens körperlich.....psychisch geht’s ihm nicht so gut,“ meinte Semir, während er sich auf den Stuhl vor Annas Schreibtisch setzte. Anna sah nachdenklich vor sich hin.
    „Das kann ich mir vorstellen. Es muss furchtbar sein, nichts mehr sehen zu können – vor allem für einen Mann wie Tom.“
    Semir schluckte, sagte aber nichts dazu. Er wollte Toms Zusammenbruch hier nicht zur Sprache bringen, das war eine Sache zwischen Tom und ihm. Stattdessen erzählte er Anna von seinem Verdacht wegen dieser mysteriösen Marlies.
    „Sie meinen, dass Tom in Gefahr ist? Dass diese Marlies nur vorgeschickt wurde, um herauszufinden, wo Tom liegt und ob er aussagen kann?“
    Anna Engelhard sah Semir fragend an.
    „Ja, das meine ich. Wenn Tom eine Freundin mit Namen Marlies gehabt hätte, dann wüsste ich das.“
    Nun musste Anna lächeln. „Also bitte Semir. Tom wird ihnen sicher nicht seine ganze Vorgeschichte, was Frauen betrifft, erzählt haben. Sie kennen sich schließlich erst ein paar Jahre und Tom wird vorher auch nicht abstinent gelebt haben,“ meinte Anna schmunzelnd. „Es kann ja sein, dass diese Bekanntschaft schon Jahre her ist.“
    Semir begehrte auf. „Chefin, Tom und ich sind nicht nur Partner sondern auch sehr gute Freunde. Ich glaube, ich kann behaupten, dass ich so ziemlich alles von ihm weiss......“
    Anna unterbrach Semir. „Sie sagen es: so ziemlich....aber eben nicht alles.“
    Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Aber ganz auszuschließen ist ihre Theorie nicht. Ich schlage vor, sie fahren heute abend nocheinmal zu Tom und fragen ihn einfach, dann wissen wir, woran wir sind.“


    „Wie bitte? Der Bulle ist blind?“ Jacko konnte sein Glück nicht fassen. Da war es ja ein Kinderspiel, an ihn ranzukommen. Sylvie saß im Sessel vor Jacko und schlug lasziv die Beine übereinander, wobei ihr kurzer Rock mehr zeigte, als verbarg.
    „Genau, mein Schatz. Er kann absolut nichts sehen und was das Beste ist: vor seiner Tür sitzt nicht ein einziger Bulle. Du hast also völlig freie Bahn.“
    Jacko grinste, setzte sich auf die Sessellehne und ließ seine Hand an Sylvies Schenkel hochgleiten.
    „Dann werde ich das heute noch erledigen – aber jetzt habe ich erst noch was anderes vor.“ Er beugte sich über seine Freundin und küsste sie leidenschaftlich.


    Zwei Stunden später machte sich Jacko auf den Weg zur Klinik. Er hatte sich von Sylvie genau erklären lassen, wo er den Bullen finden würde. Wenn er den Job erledigt hatte, konnte er sich wieder bei Berger blicken lassen, ohne Angst um sein eigenes Leben zu haben. Aber es würde sicher nicht schwer werden, Kranich das Lebenslicht endgültig auszublasen. Er hasste den Kerl abgrundtief und er würde es genießen, ja, er freute sich darauf. Schließlich hatte ihn der Bulle in ganz schöne Schwierigkeiten gebracht und dafür würde er bezahlen.


    Jacko betrat den Eingangsbereich des Krankenhauses, sah sich kurz um und steuerte auf den Aufzug zu. Da es schon Abend war, war hier nicht mehr allzu viel los.


    Semir schnappte sich seine Jacke von der Stuhllehne. „Ich fahr dann noch mal zu Tom. Mal sehen, ob er wirklich eine Marlies kennt.“
    Hotte hielt Semir am Arm zurück. „Semir.....wenn....ich meine, wenn es diese Marlies nicht gibt, dann ruf mich bitte an. Ich setz mich dann vor Toms Krankenzimmer und pass auf, das bin ich ihm schuldig.“
    Semir, der Hottes Nöte verstehen konnte, legte ihm kurz die Hand auf die Schulter.
    „Hotte, es ist ja noch nicht raus, ob da was faul ist. Aber falls doch, dann hätte das jedem passieren können, du konntest das ja nicht wissen. Aber ich ruf dich an, versprochen.“ Semir verließ das Büro und Hotte murmelte niedergeschlagen: „Ich hätte das aber wissen müssen, ich bin lange genug Polizist....“.
    Dieter, der neben ihm stand, klopfte seinem Freund aufmunternd auf die Schulter. „Na komm, machen wir unsere Arbeit. Semir bringt das schon in Ordnung.“


    Jacko stieg aus dem Aufzug, und ging zielstrebig in Richtung Zimmer Nr. 311. Davor blieb er kurz stehen um zu sehen, ob irgend jemand in der Nähe war, der ihn beobachtete. Aber ausser einer Putzfrau, die am anderen Ende des Flurs den Boden wischte, war niemand zu sehen. Leise öffnete er die Tür und betrat den Raum, der im Halbdunkel lag. Es standen zwei Betten in dem Raum und in dem Bett, das am Fenster stand, lag der Bulle und schlief.

  • So meine Lieben, bevor ich mit meinem Motorrad zu einem Ausflug in unsere schöne Heimat starte, setze ich noch einen kleinen Teil hier ein!
    Bin ich nicht lieb zu euch??? ;)
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    Semir hatte sich in den Wagen gesetzt und lenkte ihn durch den dichten Abendverkehr in Richtung Klinik. Diese Marlies ging ihm einfach nicht aus dem Kopf. Tom hatte diesen Namen noch nie erwähnt, aber das musste nichts heißen. Die Chefin hatte schon recht mit der Aussage, dass Tom ihm nicht von allen seinen früheren Freundinnen erzählt hatte, aber trotzdem wurde er das ungute Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmte. Als Semir vor sich plötzlich die roten Bremslichter des Vorderwagens aufleuchten sah, wurde er aus seinen Gedanken gerissen und stieg selbst in die Eisen. Ein paar Zentimeter von der Stoßstange seines Vordermannes kam er zum stehen. Vor ihnen hatte sich ein Stau gebildet. Ungeduldig trommelte Semir mit den Fingern auf dem Lenkrad. Sein ungutes Gefühl verstärkte sich plötzlich und sagte ihm, dass er so schnell wie möglich weiter musste, aber vor ihm war die Straße dicht, keine Chance für ein Durchkommen. Semir drehte sich um und bedeutete dem Fahrer hinter ihm, zurückzustoßen. Der tippte sich zuerst an die Stirn und fuchtelte mit den Armen. Erst als Semir das Blaulicht aktivierte, kam er in Bewegung und ließ seinen Wagen ein kleines Stück zurückrollen. Das reichte Semir schon. Er knallte den Rückwärtsgang rein, fuhr ein kleines Stück zurück und schlug nach links ein. Er legte den ersten Gang rein und gab Gas. Der Wagen wendete auf dem Grünstreifen, die Grasbüschel flogen nur so durch die Gegend und Semir setzte seine Fahrt auf der Gegenfahrbahn fort.
    „Wofür doch so ein bisschen Licht und Musik gut ist.....“ murmelte er, während er einen Gang nach dem anderen einlegte und das Gaspedal malträtierte. Mit jedem Meter, den er zurücklegte, spürte er fast schmerzlich, dass Tom in großer Gefahr war.


    Jacko schloss leise die Tür und schnappte sich im Vorbeigehen das Kopfkissen, das auf dem freien Bett lag. Tom, der nicht geschlafen hatte, sondern nur vor sich hindämmerte, hörte, dass jemand im Zimmer war.
    „Dr. Neubert? Sind sie das?“
    Als nicht gleich eine Antwort kam, ahnte Tom, dass irgendetwas nicht stimmte. Er wollte sich aufrichten, aber eine Hand, die sich wie eine Zentnerlast auf seine Schulter legte, drückte ihn wieder nach unten.
    „Ich bin nicht Dr. Neubert, Bulle. Aber ich werde dafür sorgen, dass du gleich keine Schmerzen mehr hast.“
    Aus Jackos Stimme troff der pure Hohn.


    Toms Herz setzte fast aus. Die Stimme kannte er doch! Das war Jackos Stimme! Und noch ehe er den Gedanken zu Ende gedacht hatte, spürte er etwas Weiches auf seinem Gesicht. Ein Kissen! Tom wehrte sich mit aller Kraft. Im ersten Moment gelang es ihm sogar, Jacko abzuwehren, aber sofort spürte er wieder das Kissen, das ihm die Luft zum Atmen nahm, auf seinem Gesicht. Verzweifelt schlug er um sich, versuchte, sich gegen Jackos Gewicht zu stemmen, das auf seiner Brust lag. Aber er hatte einfach keine Chance, zumal ihm langsam aber sicher die Luft ausging.


    Noch vor wenigen Stunden hatte er sich gewünscht, lieber tot zu sein, als ein Leben in ewiger Dunkelheit zu fristen. Aber nun wollte er leben! Das Leben war wertvoll, auch wenn er vielleicht nie mehr würde sehen können. Er hatte nur dieses eine Leben, und das wollte er mit Petra verbringen! Verzweifelt kämpfte er um die Luft zum Atmen. Aber es war aussichtslos. Seine Bewegungen wurden immer fahriger und schwächer. Er bekam keine Luft mehr und merkte, wie ihm die Sinne schwanden.


    Jacko drückte das Kissen mit aller Kraft auf Toms Gesicht. Grinsend wartete er, bis die Gegenwehr des Bullen immer schwächer und kraftloser wurde, bis er sich schließlich nicht mehr rührte.

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