Der Albtraum

  • Plötzlich hielt Markus entsetzt inne. Ihm war jetzt erst aufgefallen, dass Semir gesagt hatte, er hätte A positiv!!! Er starrte Semir entgeistert an. „Was hast du eben gesagt? Du hast A positiv?“ Semir nickte bestätigend. « Dann können wirs vergessen. Tom hat A negativ!“ Markus warf die Utensilien wieder in die Tasche zurück.
    „Wie? Oh Mann, positiv....negativ.....das hab ich schon immer verwechselt. Natürlich hab ich auch negativ. Da hab ich mich eben vertan ..... und nun mach weiter.....Tom braucht den Saft.“ Markus sah Semir zweifelnd an. „Semir....wenn...........“
    „Markus....vertrau mir, ich weiss ganz sicher, dass wir beide die selbe Blutgruppe haben. Und wenn du wegen den Blutkonserven Bedenken hast, dann sollen die da oben auf der Dienststelle anrufen und das abklären. In unseren Unterlagen ist das drin. Petra soll es raussuchen.“
    Markus nickte „Gut.....ich hoffe, dass du Recht hast. Aber eine andere Alternative haben wir sowieso nicht.“ Er warf einen besorgten Blick auf Tom und setzte die Vorbereitungen für die Bluttransfusion fort, nachdem er Anna die Anweisung gegeben hatte, sich bei Petra zu erkundigen.


    Zuerst legte er Tom einen Zugang und befestigte den kleinen Plastikschlauch daran. Dann desinfizierte er bei Semir die Einstichstelle in der Armbeuge und setzte die Nadel an. Semir sah demonstrativ zur Seite und zuckte beim Einstich kurz zusammen. Markus bemerkte es, sagte aber nichts. Nachdem er auch bei Semir den Plastikschlauch befestigt hatte, lief der lebensrettende Saft durch den Schlauch von Semir zu Tom. „Es funktioniert,“ Markus ließ Tom keinen Augenblick aus den Augen und sah deshalb nicht gleich, dass Semir käseweiss im Gesicht wurde. „Hey, dir wird doch nicht schlecht, oder?“ Semir schüttelte wenig überzeugend den Kopf und atmete hörbar ein und aus. Es war ihm peinlich, aber er konnte einfach kein Blut sehen. „Geht schon wieder.“ Er saß noch eine Weile mit geschlossenen Augen da, ehe er sich wieder traute, einen Blick auf das Geschehen zu werfen.


    „So, ich glaube, wir müssen jetzt aufhören. Für den Anfang muss es reichen.“ Stellte Markus nach einiger Zeit fest. „Nein, ein bisschen noch, es geht schon, bitte.“ Semir wollte Tom so viel Blut wie möglich geben, merkte aber schon, dass ihm etwas schwummerig wurde. Das sagte er Markus natürlich nicht. Nachdem dieser noch einen Moment gewartet hatte, zog er den Zugang aus Semirs Vene und klebte ein Pflaster drüber. „So, schön festdrücken. Es ist genug, sonst kippst du mir noch aus den Schuhen, und das kann ich jetzt beim besten Willen nicht gebrauchen.

  • Die Kollegen oben vor dem Aufzug wurden langsam ungeduldig. Nervös ging Anna Engelhardt auf und ab. „Wie lange dauert das denn noch?“ fragte sie den Mechaniker, der sich immer noch an dem Steuerungskasten zu schaffen machte. Sie wusste ja, dass sich der alle Mühe gab, den Aufzug wieder zum Laufen zu bringen, aber trotzdem konnte sie sich die Frage nicht verkneifen. Der Mechaniker drehte sich zu Anna um. „Wie ich vorhin schon sagte, junge Frau, ich kann nicht hexen. Und wenn Sie und Ihre Kollegen hier nicht so nervös rumtigern würden, dann ginge es vielleicht auch schneller.“ Er schielte über seiner Lesebrille hervor, die er auf der Nasenspitze trug und sah von einem zum anderen. Als er die besorgten Gesichter der Polizisten sah, fügte er etwas milder hinzu: „Aber ich denke, ich habs gleich, dann haben Sie ihren Kollegen wieder. Wir werden gleich mal versuchen, ob das Ding sich in Bewegung setzt.“ Anna atmete auf und lächelte dem Mann zu. Es wurde auch wirklich Zeit, aber das sagte sie nicht laut.


    „Tom? Hörst du mich?“ Markus beugte sich über Tom und versuchte, ihn zum Aufwachen zu bewegen. „Eigentlich müsste er langsam wieder zu Bewusstsein kommen. Der Puls fühlt sich jedenfalls schon wieder kräftiger an.“ Meinte er zu Semir, während er Toms Wange tätschelte. Semir saß indes immer noch auf dem Boden und sah zu Tom rüber. So langsam ging es ihm wieder etwas besser, aber er hätte nicht gedacht, dass ihn so eine kleine Blutspende so schlauchen würde. Plötzlich gab es einen Ruck, der Aufzug setzte sich zuckelnd nach oben in Bewegung. „“He, das Ding geht wieder, endlich kommen wir hier raus.“ Semir war heilfroh darüber, aber schon im selben Moment gab es wieder einen Ruck und der Kasten hing wieder fest. „Verdammt noch mal, was machen die denn da?“ Plötzlich hörten sie ein leises Stöhnen von Tom. Er kam wieder zu sich. „Hey Tom – mach die Augen auf.....“ Toms Augenlider flatterten schwach, ehe er mühsam die Augen öffnete. Wieder entrang sich ihm ein Stöhnen. Offenbar hatte er Schmerzen. Irritiert sah er zu Semir und dann zu Markus. „Markus........?“ kam es schwach und fragend über seine Lippen. „Was....machst.....du denn.....hier?“ Markus lächelte. „Na was schon? Ich sorge mal wieder dafür, dass Petra nicht Witwe ist, ehe ihr verheiratet seid. Mann, Tom, was machst du nur für Sachen?“ Tom versuchte ebenfalls ein Lächeln, aber es gelang ihm nicht so recht. Wieder spürte er mit Macht die Schmerzen im Bein und in der Schulter. „Markus.......der......verdammte.......Pfeil........“ Markus legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. „Keine Sorge, du kommst gleich in die Klinik, dann holen wir das Ding raus. Und bis dahin......“ er griff in die Tasche und zog eine Spritze auf, „.........geb ich dir was, damit es einigermaßen erträglich bleibt.“

  • Inzwischen hatte Petra auf der PAST keine Ruhe mehr. Sie musste wissen, was mit Tom und Semir war. Sie bearbeitete Hartmut so lange, bis dieser sich bereit erklärte, sie mit Lucy zum Lagerhaus zu fahren. Keine Minute länger hätte sie noch mit dieser Ungewissheit ausgehalten.


    Anna Engelhard sah Petra zuerst, wie sie die Stahltreppe heraufkam, und ging auf sie zu. „Petra.......was machen Sie denn hier?“
    „Ich will zu Tom. Wo ist er? Was ist mit ihm?“ Anna Engelhardt merkte, dass Petra kurz davor stand, in Tränen auszubrechen und nahm sie in den Arm. Ein tadelnder Blick traf Hartmut, aber der zuckte nur mit den Schultern. „Was hätte ich denn tun sollen? Sie war nicht aufzuhalten.“ Die Chefin erklärte Petra kurz den Sachverhalt und fügte hinzu: „Es kann nicht mehr lange dauern, dann funktioniert der Aufzug wieder, dann holen wir die beiden nach oben. Übrigens ist Markus bei Tom und Semir und kümmert sich um die beiden.“ Petra nickte und wartete nun, genau wie alle anderen, ungeduldig darauf, dass der Mechaniker mit seiner Arbeit endlich Erfolg hatte. Plötzlich kamen Dieter und Lutz dazu, der einen kleinen Koffer trug, in dem sich die Blutbeutel befanden. „Ich hab das Blut.........sind die immer noch da unten?“ fragte er, als er die wartenden Leute vor dem Aufzug bemerkte. Dann beugte er sich über den Rand des Schachts und rief Markus zu: „Hey, Markus, das Blut ist da. Soll ich runter kommen?“


    Markus sah nach oben und rief seinem Kollegen zu: „Warte noch etwas, vielleicht funktioniert die Kiste gleich wieder, grade hat sie sich etwas bewegt.“ Und wie zur Bestätigung ging wieder ein Ruck durch die Kabine und sie bewegte sich langsam nach oben. Und dieses Mal wurde die Fahrt nicht wieder unterbrochen. Markus atmete innerlich auf. Es wurde höchste Zeit. Semirs Blutspende hatte Tom zwar vor dem Schlimmsten bewahrt, aber nun musste er dringend in den OP – der Bolzen musste entfernt werden. Ausserdem hatte Tom immer noch starke Schmerzen und er konnte ihn nicht für längere Zeit mit diesem Mittel voll pumpen.


    Als der Aufzug oben ankam und die Tür sich öffnete, standen alle mit gemischten Gefühlen da. Einerseits waren sie froh, dass es endlich geschafft war, andererseits wussten sie nicht, welches Bild sich ihnen bieten würde, wie es Tom ging. Anna stand einen Moment da und ihrer Kehle entrang sich ein kurzes „O mein Gott....“ Petra hatte die Hände vors Gesicht geschlagen. Alles was sie im ersten Moment sah, war Tom, der in einer großen Blutlache lag. Markus sah ihr entsetztes Gesicht und ging kurz zu ihr. „Petra, es sieht schlimmer aus, als es ist. Er wird es schaffen.......aber nun müssen wir ihn so schnell wie möglich hier weg bringen.“ Er wandte sich wieder von Petra ab, die immer noch wie versteinert da stand und zusah, wie sich Markus und der Sanitäter Lutz um Tom bemühten. Tom wurde auf die bereitgestellte Trage gelegt und hochgehoben. Auch Semir hatte sich aufgerappelt und machte Anstalten, ebenfalls den Aufzug zu verlassen. Aber schon nach den ersten zwei Schritten schwankte er. Markus, der es bemerkt hatte, winkte Hotte zu sich. „Kümmert euch um Semir und bringt ihn runter in den RTW, er fährt mit in die Klinik.......“ Hotte nickte und half Semir, der sich nach anfänglichem Sträuben gerne von Hotte helfen ließ. Sein Kreislauf war nämlich bei weitem noch nicht in Ordnung.

  • Erst als sie Tom an Petra vorbei zur Treppe trugen, erwachte sie aus ihrer Erstarrung. Sie lief hinterher. „Markus.....darf ich mitfahren?.....Bitte!“ Flehend sah sie ihren Bruder an. Markus nickte. „Natürlich Schwesterchen, du kannst mitfahren. Tom hat bestimmt auch nichts dagegen.“ Dabei sah er zu Tom, der schwach lächelte. Im Krankenwagen setzte sich Petra neben die Trage und hielt Toms Hand. Semir, der ebenfalls in den RTW verfrachtet worden war, machte ihr Mut. „Das wird schon wieder, Petra, er hat das schlimmste überstanden.“


    Anna Engelhardt stand noch eine Weile auf dem Hof und sah aufatmend dem RTW nach. Das war ja noch mal gut gegangen. Um sie herum wimmelte es von Kollegen der Spurensicherung, die sich den Tatort ansehen sollten. Dabei wurde sie nicht mehr gebraucht. Sie wollte gerade in ihren Wagen steigen, als ihr Handy klingelte. „Engelhardt?“ meldete sie sich. Sie hörte eine Weile schweigend zu, dann hellte sich ihre Mine auf. „Das ist ja wunderbar, Siggi, danke. Ich wird das gleich Semir und Tom mitteilen.“ Hotte und Dieter sahen die Chefin fragend an. „Meine Herren, Siggi und die Kollegen haben Blessing am Flughafen festgenommen. Er hatte den letzten Deal abgewickelt und war im Begriff, das Land zu verlassen. Der Fall ist abgeschlossen!“ Seufzend setzte sie hinzu: „Und ich fahr jetzt erst mal in die PAST und gönne mir einen Tee........den brauch ich jetzt dringend. Die Art und Weise, wie Tom und Semir ihre Fälle lösen, ist doch ziemlich anstrengend.“ Lächelnd setzte sie sich in ihren Wagen und fuhr davon.


    Im Krankenhaus wurde Tom sofort in den OP gebracht, wo man ihm den Armbrustbolzen entfernte. Der Arzt hielt den Bolzen kurz in die Höhe und betrachtete ihn, ehe er ihn in die Petrischale legte, die ihm die OP-Schwester hinhielt. „So was hatten wir bisher noch nie.......aber es gibt immer ein erstes Mal. Heben sie das Ding auf, ich bin mir sicher, Herr Kranich wird ihn als Andenken in Ehren halten.“



    Es klopfte an der Tür seines Krankenzimmers. Tom sah zur Tür. „Komm ruhig rein,“ rief er und lachte, als Semir ins Zimmer kam. „Woher hast du denn gewusst, dass ich es bin?“ wunderte sich Semir.
    „Na, ja, Intuition – so klopft nur einer.“ Semir setzte sich an Toms Bett und wurde ernst. „Wie geht’s dir denn, Partner? Du hast uns ja ganz schön in Atem gehalten.“
    „Eigentlich schon wieder ganz gut......und das hab ich dir zu verdanken. Ohne dich läge ich jetzt wohl woanders.....danke!“ Semir sah Tom etwas verdutzt an. „Woher weißt du?“
    „Markus hats mir erzählt......ich selbst hab das ja nicht mitbekommen.......tja, jetzt sind wir wohl so was wie Blutsbrüder, oder?“ Tom lächelte verschmitzt. Semir winkte ab. „Hab ich doch gern getan. Und ausserdem.........ausserdem konnte ich mich so wenigstens ein wenig revanchieren.“ Semirs Blick fiel auf den Nachtschrank neben Toms Bett. Darauf lag der Armbrustbolzen. Semir nahm ihn in die Hand und sah ihn sich genau an. „Mann, der ist nicht von schlechten Eltern....wenn du nicht gewesen wärst, dann hätte das Ding mich erwischt.“ Er legte den Bolzen zurück und sah Tom ernst an. „Aber ganz im Ernst, Tom, was du getan hast, das..........das kann ich nie wieder gutmachen.“ Tom wiegte den Kopf hin und her. „Na, ich denke, ich wüsste schon was.......“ meinte er vielsagend.


    „Ja? Dann raus damit, ich werd mein Bestes tun.....“Semir sah seinen Partner erwartungsvoll an.
    Tom zögerte noch einen Augenblick, ehe er grinsend fortfuhr: „Na ja, du versprichst mir, ab sofort deine Alpträume sofort bei mir zu melden – und zwar JEDEN! Auch wenn du träumst, dass mich jemand mit Wattebällchen erschlägt – egal - du sagst es mir und ich werde mich vorsehen. Versprochen!“ Tom hob die Hand zum Schwurzeichen. Einen Augenblick herrschte Stille, aber in der nächsten Sekunde prusteten plötzlich beide los. Sie konnten sich einfach nicht beherrschen und lachten, bis ihnen das Wasser aus den Augen lief.


    ENDE !

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