Skrupellos

  • "Verdammt nochmal, wir kommen einfach nicht weiter!" Semir knallte die Ermittlungsakte, in der er gerade geblättert hatte, auf den Schreibtisch und sprang vom Stuhl auf. Er sah aus dem Fenster und strich sich mit der Hand durchs Haar. "Seit zwei Wochen treten wir auf der Stelle - wir finden einfach nichts, wo wir ansetzen können. Mich macht das wahnsinnig."


    Tom sah seinen Partner an und seufzte. "Hast ja Recht, ich befürchte, dass dies einer unserer wenigen Fälle wird, die wir als ungeklärt zu den Akten legen." Er stand auf und goß sich einen Kaffee ein. Seit vierzehn Tagen brüteten sie über dem Fall und kamen keinen Schritt weiter. Das zermürbte auch ihn so langsam. Ausserdem war es draussen fast unerträglich heiss, was die Laune der beiden Kommissare auch nicht gerade hob.


    Semir drehte sich zu Tom um "Das wäre ja noch schöner! Von wegen ungeklärt zu den Akten! Wir erwischen das Schwein, und wenn wir Tag und Nacht arbeiten." Tom grinste Semir an. "Lass das mal nicht Andrea hören, die würde dir was husten - von wegen Tag und Nacht arbeiten...." In dem Moment ging die Bürotür auf und Petra kam herein. Sie blickte von Tom zu Semir und fragte verständnislos "Wer arbeitet hier Tag und Nacht....?"
    "Och niemand, Petra...." Tom legte den Arm um ihre Schulter und gab ihr schnell einen Kuss auf die Wange. "Was hast du denn für uns? Oder hattest du nur Sehnsucht nach mir?" fragte er hoffnungsvoll. "Quatsch..." Petra musste lachen. "hättest du wohl gerne! Nein.....Hotte und Bonrath haben auf einem Rastplatz eine hilflose Person gefunden. Sie sind grad unterwegs zum Krankenhaus..." Sie machte eine kurze Pause. "Und jetzt haltet euch fest: Der junge Mann wurde vor kurzem operiert.......an der Niere!"


    Semir und Tom sahen sich an. Frisch operiert? Das deckte sich doch mit ihrem aktuellen Fall. In den letzten 3 Wochen wurden drei tote junge Männer auf Rasplätzen gefunden - jeder wies eine frische OP-Narbe auf! Und jeder war so gut wie mittellos und ohne Angehörige. Das Ganze wies 100%ig auf Organhandel hin. Nur hatten sie bisher nicht die geringste Spur.


    Plötzlich waren beide hellwach. "Los, lass uns ins Krankenhaus fahren - er ist das erste Opfer, das die OP überlebt hat. Endlich ein Zeuge...!" Tom schnappte sich seine Waffe und beide verließen eilig das Büro. Im Vorbeigehen drückte Tom seiner Petra nochmal einen Kuss auf die Stirn. "Danke, mein Schatz!" und weg waren sie. Petra stand in der Tür und lächelte. Manchmal waren die beiden wie eine Fatamorgana - eben noch Realität und in der nächsten Sekunde verschwunden. Sie schüttelte den Kopf und machte sich wieder an ihre Arbeit.


    Auf dem Weg in die Klinik drehte Semir die Klimaanlage hoch. "Mann ist das ein Brutofen hier. Gott sei Dank hat uns Vater Staat wenigstens die Klimaanlage spendiert." Auch Tom hatte schon innerhalb der kurzen Zeit, die sie im Wagen saßen, Schweißtropfen auf der Stirn. Das Wetter war gut zum Urlaub machen, aber nicht um zu arbeiten.


    "Mann, mach hinne, du fährst doch sonst nicht wie eine Schnecke," frotzelte Tom und erntete von Semir einen Seitenblick, der einen das Fürchten lehrte. Schließlich kamen sie vor dem Eingang der Klinik an, wo Hottes und Bonraths Porsche parkte. Sie waren kaum durch die Eingangstür rein, da kamen ihnen die beiden schon entgegen. "Ihr braucht nicht so zu rennen," meinte Bonrath seufzend. "Der junge Mann ist soeben verstorben."

  • Semir sah Dieter entsetzt an. "Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder? Nun haben wir noch ein Opfer und immer noch keinen Zeugen!" Semir war etwas lauter geworden, als beabsichtigt.


    Bonrath blitzte ihn an. "Mann, Semir, brauchst nicht so zu schreien, ich kann ja nichts dafür." meinte er beleidigt. Dann fügte er zerknirscht hinzu: "Der Junge war nicht viel älter als mein Jochen....wenn ich daran denke, dann......." Semir tat es sofort leid, dass er Dieter so angefahren hatte. "Entschuldige, war nicht so gemeint, Dieter. Aber du weisst ja selbst, wie lange wir schon an dem Fall rumkauen, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen. Ich hatte so gehofft, dass wir diesmal weiterkommen..."


    Bonrath nickte. "Ist schon okay! Wir haben schon veranlasst, dass der Junge in die Gerichtsmedizin gebracht wird." Sie gingen gemeinsam zurück zu ihrem Wagen. Dieter holte vom Rücksitz einen schäbigen Rucksack und hielt ihn den beiden Cops hin. "Hier, das ist sein Gepäck, das er dabei hatte. Ist nicht viel...." Tom nahm den Rucksack entgegen. "Na ja, reich war der bestimmt nicht. Wir bringen das mal gleich zu Hartmut, vielleicht findet der was. Danke Dieter."


    Als sie wieder zusammen im Auto saßen, meinte Tom zu Semir. "Semir, den Dieter hättest du aber nicht so anzufahren brauchen, der war ja total geknickt." Semir nickte. "Ich weiß, aber es ist einfach mit mir durchgegangen - wenn wir nicht bald eine Spur haben, werd ich noch verrückt."


    Ein paar Stunden später saßen die beiden an ihren Schreibtischen und lasen den Bericht des Gerichtsmediziners durch. "Darius Finke, 22 Jahre alt, obdachlos, ahnscheinend ohne Angehörige," Tom legte die Mappe auf den Tisch. "Genau wie bei den anderen Opfern. Alle jung, mittellos und alleinstehend." Semir seufzte: "Na das ist ja nichts Neues, das kennen wir ja schon. Und ausserdem hatten alle eine größere Geldsumme bei sich - woher wohl?" Semir meinte das ironisch. Natürlich war den beiden inzwischen klar, dass es sich hier um Organhandel handelte. Die Opfer verkauften offenbar eine Niere und bekamen Geld dafür - und starben an den Folgen der OP, die diletantisch ausgeführt wurde.


    "Ich geh nochmal in die Gerichtsmedizin, kommst du mit?" Tom war aufgestanden und sah Semir fragend an. Vielleicht hat der Doc ja noch was für uns." Semir stand ebenfalls auf und meinte achselzuckend: "Wenn du meinst, was anderes fällt mir im Moment auch nicht ein."


    "Tja, meine Herren," der Gerichtsmediziner sah die beiden an. "Genau wie bei den anderen Opfern. Allen wurden eine Niere entfernt - und wenn sie mich fragen, von ein und demselben Arzt." Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: "Wenn man da überhaupt von "Arzt" reden kann. Semir war hellhörig geworden. "Was meinen Sie damit?"
    "Na ja, das hat kein ausgebildeter Arzt gemacht. Ich würde sagen, da reichen schon ein paar Semester Medizinstudium...."
    Nun blickte auch Tom fassungslos. "Wollen Sie sagen, dass jeder Medizinstudent eine Niere entfernen kann?"
    Der Doc ging um den Tisch, auf dem das Opfer lag, herum. "Eine Niere zu entfernen ist keine große Kunst. Die Kunst besteht eher darin, eine Niere zu transplantieren. Das ist schon schwieriger."
    "Dann hat also derjenige, der die NIeren herausgeschnitten hat, sie mit Sicherheit nicht einem anderen verpflanzt! Wollen sie das damit sagen?" Tom war nachdenklich geworden.
    "Genau, meine Herren. Der, der das hier verbrochen hat, hat wahrscheinlich seine Abnehmer und ist nur für die Lieferung zuständig."


    Tom und Semir verabschiedeten sich und gingen zum Ausgang, als ihnen der Doc nochmal nachrief. "Finden Sie den Kerl bald, damit diese Schlächterei aufhört, ja?" Auch ihm ging die Sache buchstäblich "an die Nieren", obwohl er einiges gewohnt war. Tom und Semir nickten und verließen die Gerichtsmedizin.

  • Als sie wieder im Büro eintrafen, sah Petra Tom erwartungsvoll entgegen. "Und? Habt ihr was?" Tom schüttelte resigniert den Kopf. "Leider nicht, der Junge ist gestorben, ehe wir mit ihm reden konnten. Wir sind genauso weit, wie vorher."


    Semir sah sich nochmal nachdenklich die Fotos der toten Jungs an. "Mann, die hatten alle ihr Leben noch vor sich. Wer macht denn sowas? Die nutzen die Notlage junger Menschen für ihre Zwecke aus. Was danach kommt, ist denen doch egal....ich könnte kotzen!" Angewidert wandte er sich ab. Tom sah Semir an. Dieser Fall nahm ihn offenbar ganz schön mit. Ihm ging es nicht anders. Obwohl sie fast täglich mit Gewalt und Tod konfrontiert wurden, konnte er seine Gefühle nicht ausschalten. Und dieser Fall machte auch ihm zu schaffen.


    Tom blickte nachdenklich vor sich hin. "Die kontaktieren ihre Opfer auf irgendeine Art und Weise, vielleicht an einem bestimmten Ort. Das müssen wir rausfinden." Er sagte das mehr zu sich selbst, als zu Semir, aber dieser hatte ihn verstanden. "Oh super, darauf wäre ich jetzt nicht gekommen. Mann Tom, das ist mir auch klar, aber wie?" Tom sah Semir missbilligend an. "Lass mich doch mal zu Ende denken und motz nicht rum. Was bist du denn so unausstehlich? Hast du deine Tage?" Beide sahen sich an und mussten plötzlich lachen. "Entschuldige, Tom, aber wenn nicht bald was passiert, raste ich aus."


    Tom lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. "Ich glaube, ich hab eine Idee." Semir sah ihn mit großen Augen an. "Und? Was für eine Idee?......Mann, lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!" Tom grinste Semir an. Ihm machte es Spass, ihn ein wenig zappeln zu lassen, obwohl das nicht gerade fair war.


    "Na ja, die Jungs waren allesamt obdachlos. Wo treiben sich Obdachlose häufig rum?" Als Semir nicht gleich antwortete fuhr er fort: "An Bahnhöfen, in der Fußgängerzone, es gibt da ein paar Plätze in Köln, die in Frage kommen. Ich dachte, ich werd mich da als Obdachloser unters Volk mischen und als potenzieller Organspender den Lockvogel spielen. Was hälst du davon?" Beifallheischend sah er Semir an. Dieser schwieg einen Moment. "Die Idee ist gar nicht so schlecht, aber wieso gerade du? Ich kann das doch auch machen?" Tom zuckte mit den Schultern. "Na, weil ich die Idee hatte, ganz einfach. Und maul jetzt nicht lange rum, ich mach das und basta. Nur so haben wir eine Chance, endlich in dem Fall weiterzukommen."


    "Na meinetwegen. Dann kannst du aber auch der Chefin dein Vorhaben plausibel machen.....und vor allem Petra. Die wird begeistert sein, glaub mir." Tom sah durch das Fenster zu Petra, die draussen am Schreibtisch saß und in die Arbeit vertieft war. "Freuen wird sie sich nicht gerade, aber das ist nun mal unser Job, das weiß sie. Und bei deiner Andrea würdest du auch keine offenen Türen einrennen, glaub mir."


    Nachdem die beiden der Chefin ihren Plan zurechtgelegt hatten, blickte diese ihre beiden Mitarbeiter nachdenklich an. "Gut, ich bin einverstanden, Tom , aber nur unter der Bedingung, dass sie sich dreimal am Tag telefonisch bei Semir melden. Und sobald es irgendwie brenzlig wird, wird das Vorhaben abgebrochen. Haben Sie mich verstanden?" Tom nickte. "Geht klar, Chefin. Glauben Sie mir, ich hab keine Lust, mich bei denen unters Messer zu legen."


    "Und noch etwas, Tom," die Chefin sah ihren Mitarbeiter von oben bis unten an. "Mit diesem Outfit gehen sie nicht als Obdachloser durch, da müssen sie noch was dran ändern." Sie lächelte. Irgendwie erheiterte es sie, sich Tom, der immer recht elegant gekleidet war, in Schmuddelklamotten vorzustellen. Tom sah an sich runter. "Ach ja, sicher. Muss mal sehen, ob ich noch irgendwo ne alte Jeans und ein Sweatshirt auftreiben kann. Aber vielleicht kann mir auch Semir was borgen?!?" Tom sah Semir angriffslustig an. "Sehr witzig," schmollte der, "wirklich sehr witzig, Tom."

  • Am nächsten Morgen kam Tom im "Schmuddeloutfit" ins Büro. Er hatte sich extra nicht rasiert, so dass kleine dunkle Bartstoppeln sein Gesicht zierten. Er trug eine zerrissene Jeans, ausgelatschte Turnschuhe und ein graues Kapuzensweat mit Jeansjacke. Die Haare hatte ihm Petra mit etwas Gel durchgewuschelt. Als Tom ihr am Abend erzählt hatte, was er vorhatte, war sie zuerst, wie erwartet nicht begeistert gewesen. Sie hatte Angst, dass Tom etwas zustossen würde. Aber schließlich hatte sie sich damit abgefunden. Tom war nun mal Polizist, daran konnte und wollte sie nichts ändern.


    "Wer ist das denn.......???" Dieter sah Tom mit großen Augen an und stieß Hotte in die Seite. Dann prusteten beide vor Lachen los. "Mann Tom, jetzt hätten wir dich beinahe nicht erkannt. Klasse siehst du aus." Hotte grinste breit zu Dieter.
    "Ja, lacht nur, ihr Beiden, ich werds mir merken..." Tom tat beleidigt, aber insgeheim musste auch er lachen. Irgendwie war es spannend, mal in eine ganz andere Haut zu schlüpfen. Er war gespannt, was auf ihn zukam. Als er ins gemeinsame Büro kam, stand Semir erst mal sprachlos vor ihm und musterte ihn von oben bis unten. Tom ließ den mitgebrachten Rucksack auf den Boden plumpsen, hob die Arme und drehte sich im Kreis. "Na? Gut so? Wie findest du mich?" Dann fing er an zu grinsen. "Wo hast du denn die Klamotten aufgetrieben? In der Kleiderkammer?"
    "So ähnlich. Im Fundus der Polizei. Ich habe leider keine so große Auswahl an solchen Sachen zu Hause, wie du." Semir ignorierte Toms Stichelei und schnüffelte an Tom. "Na wenigstens ist das Zeug gewaschen und müffelt nicht nach Mottenkugeln...."


    Die beiden besprachen, wie die Sache ablaufen sollte. Tom deponierte seine Dienstwaffe und seinen Ausweis in der Schreibtischschublade, nur das Handy behielt er. Es war ein zu großes Risiko, die Sachen bei sich zu haben. Dann packte er seinen Rucksack und meinte zu Semir: "So, dann kanns ja losgehen. Bringst du mich? Ich kann ja schlecht den Dienstwagen nehmen." Semir nickte, dann wurde er ernst. "Tom, pass auf dich auf. Und melde dich regelmäßig! Ich hab, ehrlich gesagt, kein gutes Gefühl bei der Sache.""
    "Semir, was soll da schon passieren. Ich bin schon groß und kann ganz gut auf mich aufpassen, wie du weisst...."
    "Ja, eben....." meinte Semir bedeutungsvoll.
    Dann marschierten die beiden durchs Büro an den Kollegen vorbei, die ihnen, immer noch grinsend und frotzelnd, nachsahen. Keiner von ihnen hatte auch nur die geringste Ahnung, worauf Tom da zusteuerte....!

  • Semir fuhr Tom in die Nähe des Hauptbahnhofs. Sie hatten beschlossen, die Aktion dort zu beginnen. Falls sich nach ein paar Tagen nichts tun sollte, konnte Tom den Standort immer noch wechseln. Aber irgendwo musste er ansetzen.


    "So, da sind wir Partner. Nun wirds ernst." Semir ließ den CLK ausrollen und stoppte. Er sah besorgt zu Tom rüber, der sich seinen Rucksack schnappte und im Begriff war, die Tür zu öffnen. "Na nun mach mal nicht so ein Gesicht, Semir. Du siehst aus, als ob ich zum Schaffott ginge...."
    "Na ja, ich hab eben ein schlechtes Gefühl bei der Sache, das hab ich dir doch schon mal gesagt."
    "Das schlechte Gefühl hast du doch immer. Was soll schon passieren? Ich ruf dich regelmäßig an und wenn ich auf was stoße, geb ich dir sofort Bescheid." Er klopfte Semir freundschaftlich auf die Schulter, und fügte dann hinzu: "Aber wahrscheinlich wurmt es dich nur, dass ich den Job mache und du im Büro schmoren musst...."
    Semir lächelte Tom zu. "O.K. mach, dass du raus kommst..........und vergiß nicht, dich immer zu melden, hörst du?" Tom nickte, stieg aus und ging über die Straße in Richtung Bahnhofsgebäude. Semir sah ihm noch einen Moment nachdenklich nach. "Paß bloß auf dich auf, Partner......" murmelte er vor sich hin, ehe er den Motor wieder startete und losfuhr. Aber das mulmige Gefühl im Bauch, blieb.


    Tom ging langsam weiter. Er musste sich erst mal orientieren. Vor dem Gebäude sah er schon ein paar Jungs, die auf dem Boden saßen und vor sich einen Pappbecher stehen hatten, in der Hoffnung, dass jemand sich erbarmen würde und ein paar Cent oder sogar Euro hineinwarf. Er wurde von seinen "Kollegen" mißtrauisch beobachtet und ab und zu auch angeschnauzt. Hier herrschte offenbar ein rauer Konkurrenzkampf. Irgendwann trieb es ihn zu Toilette. Neben ihm stand ein bärtiger, älterer Mann. Offenbar ein Penner, dem Aussehen nach zu urteilen. Er beäugte ihn und meinte dann: "Na, Jungchen, bist wohl neu hier, was? Ich beobachte dich schon seit einiger Zeit. Wenn du willst, dann kannst du ein paar Tage in meinem Kielwasser schwimmen, bis du dich hier auskennst. Ich war auch mal neu hier und kenn das. Ich heiße übrigens Konrad." Konrad streckte ihm die Hand hin. Tom lächelte ihm dankbar zu und nahm die Hand. "Nett von dir, Konrad, ich bin Tom. Eben aus Hamburg gekommen." Tom und Semir hatten sich eine Geschichte zurechtgelegt, die Tom jetzt zum Besten gab.


    "Meine Alte hat mich rausgeschmissen, jetzt soll ich Unterhalt zahlen. Aber das fällt mir überhaupt nicht ein. Dann arbeite ich eben gar nicht mehr." erzählte er Konrad seine angebliche Lebensgeschichte. Der hörte ihm aufmerksam zu. "Das kenn ich. Na dann komm mal mit, ich zeig dir unser "Hotel" für heute nacht." Tom packte sein Habe und ging neben Konrad her. In einer Ecke in der Unterführung zeigte Konrad auf den blanken Boden. "Bitte sehr, das ist unser Bett für heute nacht. Nicht grade komfortabel, aber einigermaßen warm und trocken. Er rollte einen alten Schlafsack aus und legte sich drauf. Dann musterte er Tom. "Hast du keinen Schlafsack dabei?" Tom zuckte mit den Schultern. "Ne, wozu auch, ist doch warm genug." Konrad lachte. "ja, warm schon, aber die "Matratzen" hier," erklopfte auf den harten Boden, "...sind nicht grad sehr weich." Dann kramte er einen alten Teppich aus seinem Packsack, der schon bessere Zeiten gesehen hatte und warf ihn Tom vor die Füße. "Hier, nimm das, bis du was aufgetrieben hast. Ich seh schon, dir muss man noch so einiges beibringen." Dann rollte er sich auf seinem Schlafsack zusammen und im nächsten Moment hörte Tom nur noch sein gleichmäßiges Schnarchen.


    Tom setzte sich auf den Teppich und lehnte sich mit dem Rücken an die kalte Wand. Na, das konnte ja heiter werden. Er würde heute nacht bestimmt kein Auge zutun. Wenn er daran dachte, dass er jetzt neben Petra im warmen Bett liegen könnte.....! Stattdessen lag ein schnarchender Penner neben ihm, der nicht gerade nach Lavendel roch. Aber immerhin war Konrad nett und half ihm dabei, den Einstieg in diese Welt zu finden, die ihm gänzlich fremd war.

  • Am nächsten Morgen taten Tom sämtliche Knochen weh. Er hatte fast nicht geschlafen, was nicht nur am schnarchen seines Nachbars, sondern auch an der harten Unterlage und den ungewohnten Geräuschen um ihn herum, lag. Er sah zu Konrad, der neben ihm lag und immer noch schnarchte. Beneidenswert, dachte Tom und reckte sich. Jetzt musste er sich erst mal einigermaßen frisch machen. Dass er hier eine Dusche finden würde, darüber machte er sich keine Hoffnung. Dann musste eben eine Katzenwäsche im Herrenklo reichen. Und er musste Semir anrufen und ihm sagen, dass alles in Ordnung war.


    Die nächsten zwei Tage verliefen ereignislos. Tom verfluchte diesen Job inzwischen und sehnte sich eine Dusche herbei. Ihm war es ein Rätsel, dass Menschen so für längere Zeit leben konnten. Er fühlte sich unwohl und schmutzig. Er wusch sich zwar jeden Tag am Waschbecken, aber das ersetzte natürlich nicht die tägliche Dusche. Ausserdem hatte er keine Wäsche zum Wechseln. Langsam ekelte er sich vor sich selber. Irgendwo musste er eine Möglichkeit ausfindig machen, wo er seine Klamotten waschen konnte. Er nahm sich vor, bei nächster Gelegenheit Konrad danach zu fragen, obwohl er sich nicht sicher war, dass der ihm helfen konnte. Es war sicher schon eine ganze Weile her, seit Konrads Kleider mit Wasser in Berührung gekommen waren.


    Tom hatte sich mit Semir verabredet. In zwei Stunden wollten sie sich treffen. Also musste er Konrad irgendwie abwimmeln. "Ich schau mir mal die Stadt an," meinte er beiläufig. "Hm. tu das, wirst schon nicht verloren gehn," brummte Konrad hinter seinem Bart. Tom merkte schon den ganzen Tag, dass er schlechte Laune hatte. Ihm fehlte das Geld für die nächste Flasche Schnaps.


    Am verabredeten Treffpunkt sah Tom Semir schon von weitem stehen. Er ging auf ihn zu und klopfte ihm von hinten auf die Schulter. Semir fuhr erschrocken herum. "Mann, Tom, muss das sein? Ich hab mich erschrocken." Dann musterte er seinen Freund und meinte: "Mann, du siehst ja vielleicht aus....und entschuldige, dass ich das so sage: du stinkst!" Tom verzog das Gesicht. "Na du bist mir vielleicht ein Freund. Klar, stinke ich, ich hatte ja auch schon drei Tage keine Gelegenheit mehr, mich richtig zu duschen." Toms Laune war auf dem Nullpunkt. "Wir können ja gerne tauschen," bot er Semir an. Er hatte langsam die Schnauze voll. Nun waren schon drei Tage vergangen und immer noch hatte er keine Spur. Semir grinste schadenfroh. "Ne, ne, mein Lieber, du wolltest das machen, jetzt ziehst dus auch durch." Tom verdrehte nur die Augen. Sie redeten noch eine Weile, bis Semir sich wieder verabschiedete. "Grüß Petra von mir," rief ihm Tom noch nach. "Ja, mach ich. Ruf mich morgen wieder an." Und schon war er weg. Tom warf ihm noch einen neidvollen Blick hinterher und trottete zurück.


    Sein Magen machte sich bemerkbar. Er hatte heute noch nicht viel gegessen. Er kramte in seiner Hosentasche und förderte noch ein paar Münzen zutage. Für eine Bockwurst und ein Bier würde es reichen. Er hatte absichtlich nicht mehr mitgenommen, um nicht unglaubwürdig zu wirken. Schließlich war er mittellos. Er steuerte den Imbiss an, der in der Nähe des Bahnhofs stand und den Obdachlosen als Treffpunkt diente. "Ne Bockwurst und ein Bier....wenns reicht," fügte er hinzu und legte die Münzen auf die Theke.


    "Na bist wohl knapp bei Kasse, was?" Tom drehte sich um. Ein junger Mann stand hinter ihm und grinste ihn an. "Na, so wie du aussiehst, gehts dir aber auch nicht anders," entgegnete Tom. Wieder grinste der Junge. Er griff in die Hosentasche und förderte ein Bündel Geldscheine zu Tage. "Ich lad dich ein," meinte er großzügig. Tom war sofort hellwach. Das viele Geld passte nicht zu der Erscheinung des Mannes. "Hast wohl im Lotto gewonnen?" fragte er gespielt überrascht. "Ne, das hab ich mir verdient." kam es stolz zurück. Tom musterte sein Gegenüber, während er auf seiner Bockwurst kaute. "Und womit, wenn ich fragen darf. Ich könnte auch so einen Job gebrauchen, bin total abgebrannt."
    Sein Gegenüber lachte. "Kein Job, wer wird sich denn das Leben mit Arbeit versauen? - Ne, ich hab was verkauft." Nun musste Tom auch lachen. "Verkauft? Was hattest du denn zu verkaufen, was so viel Kohle bringt?" Tom spürte, dass er auf dem richtigen Weg war. Er musste an dem Jungen dranbleiben. Lässig zog dieser sein Shirt aus der Hose, drehte sich seitlich zu Tom und zeigte mit der rechten Hand auf eine Narbe an seiner Seite. "Hier, damit! Ich hab eine Niere verkauft! Das bringt mächtig Kohle. Und man kann auch mit einer leben, sagt der Doc." Nun jubelte Tom innerlich. Bingo! Er hatte jemanden gefunden, der die Tortur überlebt hatte. Er musste sich beherrschen, dass er nicht mit der Tür ins Haus fiel.


    Mit gespieltem Erstaunen starrte er auf die noch relativ frische Narbe, die ihm rot entgegen leuchtete. "Eine Niere verkauft? Wie geht das denn?" Sein Gegenüber zog genüßlich an seiner Zigarette und kostete den Augenblick des Triumphes aus, ehe er fortfuhr. "Na, da kam so ein Typ und hat mich gefragt, ob ich Kohle gebrauchen kann. Ich hab natürlich ja gesagt. Da hat er mich mitgenommen und der Deal war perfekt. Hab 2000 Mäuse dafür bekommen." Nach einem weiteren Zug an der Zigarette fügte er hinzu. "Schade nur, dass man nur zwei von den Dingern hat, das wär ein super Geschäft." Er lachte über seinen eigenen Witz.


    Tom sah sein Gegenüber nachdenklich an. "Das wär auch was für mich. Ich brauch wirklich dringend Kohle. Und wenn du sagst, dass man auch mit einer Niere leben kann....."
    "Klar doch, siehst es ja an mir." Er hob die Arme und drehte sich vor Tom um die eigene Achse.
    "Und wo kann ich diesen Typ finden?" fragte Tom hoffnungsvoll.
    "Keine Ahnung. Er kommt immer mal wieder hier vorbei. Müsste eigentlich bald mal wieder auftauchen. Hab ihn schon eine Weile nicht mehr gesehen. Bleib einfach die nächsten Tage hier in der Nähe, er wird schon kommen. Ist so ein geschniegelter Typ mit Anzug und Krawatte - den erkennst du sofort."


    Als Tom wieder zurück bei Konrad war, verzog er sich gleich auf die Toilette, um Semir von den Neuigkeiten zu berichten. Endlich tat sich was - da waren sogar die Nächte auf dem harten Boden und die mangelnde Körperhygiene zu verschmerzen. Mit etwas Glück war das Ganze morgen oder übermorgen schon ausgestanden.

  • Tom ging in eine Toilettenkabine und schloß ab. Dann rief er Semir an.
    "Oh, hallo Tom! Na endlich," kam es von Semir mit leichtem Vorwurf in der Stimme.
    "Wurde auch Zeit, ich hab mir schon Sorgen gemacht...."
    "Ging leider nicht eher, tut mir leid." entschuldigte sich Tom und berichtete Semir in kurzen Worten, was er in Erfahrung gebracht hatte und dass er hoffte, morgen oder übermorgen den Kontaktmann zu treffen.
    "Gut. Aber sobald du was genaueres weisst, rufst du an. Wir lassen dich dann beschatten, um schnell eingreifen zu können. Geh bloß kein Risiko ein....!" Semir machte sich Sorgen um Tom und war jetzt schon froh, wenn die Sache ausgestanden war.
    "Keine Angst Partner.....ich hab wirklich keine Lust, Ersatzteillager zu spielen, glaub mir. Sobald ich den Treffpunkt weiss, sag ich Bescheid. Plötzlich hörte Tóm die Tür gehen. Jemand kam in den Toilettenraum.
    "Du, ich muss Schluss machen, bis morgen," verabschiedete er sich leise von Semir, schaltete das Handy ab und ließ es in der Hosentasche verschwinden. Dann drückte er die Spültaste und ging wieder raus zu Konrad.


    Semir legte auf. Endlich tat sich was. Wenn sie den oder die Kerle dingfest gemacht hatten und Tom wieder hier war, dann war ihm wohler. Aber nun musste er zuerst die Chefin informieren. Er hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da kam Petra herein.
    "Hast du was von Tom gehört, Semir? Gehts ihm gut?" Semir merkte, dass auch Petra sich Sorgen machte.
    "Ja, hab eben mit ihm telefoniert, es geht ihm gut. Wenn wir Glück haben, dann ist die Sache bald ausgestanden. Ich soll dir Grüße ausrichten." Dann fügte er lachend hinzu: "Ich glaube, wenn du ihn wieder hast, musst du ihn erstmal in der Wanne einweichen - im Moment duftet er nämlich nicht grade angenehm."
    Nun musste auch Petra lachen. "Das werd ich machen, danke für den Tip."


    Am nächsten Tag hielt sich Tom immer in der Nähe des Imbisses auf. Er wollte nicht das Risiko eingehen, dass der Typ hierher kam und er nicht da war. Aber den ganzen Tag tat sich nichts. Er sah auch immer wieder den jungen Mann, der ihm den Tip gegeben hatte. Auch er lungerte immer in der Nähe herum. Tom wurde den Verdacht nicht los, dass er für eventuelle "Organspender", die er ausfindig machte, eine Prämie kassierte.Tom wollte schon seinen Rucksack nehmen und für heute Schluß machen, als er plötzlich einen Mann im Anzug auf sich zukommen sah. Das musste der Typ sein. Endlich!


    Der Typ kam direkt auf ihn zu und sprach ihn an. "Ich hab gehört, du brauchst Kohle und bist bereit, dafür was zu verkaufen?" Er musterte Tom von Kopf bis Fuß.
    "Ja, wenns möglich wäre. Ich könnte eine kleine Finanzspritze gebrauchen." Tom versuchte, sich betont lässig zu geben. Aber innerlich wuchs die Anspannung.
    Der Mann ging einmal um Tom herum, wie um ein Stück Vieh, das man kaufen will.
    "Bist du gesund?" fragte er herablassend. "Kein Aids oder sonstwas...?" Tom zuckte mit den Schultern. "Nicht dass ich wüsste. Mir gehts gut." Sein Gegenüber nickte zufrieden. "Gut, dann komm mit!" Er fasste Tom bei der Schulter und wollte ihn mit sich ziehen. Tom war einen Moment lang perplex. Dass das so schnell gehen würde, hätte er nicht gedacht. Wenn er jetzt mitging, hatte er nicht einmal mehr die Möglichkeit, Semir anzurufen.
    "Jetzt schon? Kann ich nicht nochmal zurück und mich von meinem Kumpel verabschieden?" versuchte Tom einen Zeitaufschub zu bekommen.
    "Entweder gleich, oder gar nicht," blaffte der Kerl. "Es gibt genug von deiner Sorte, die Geld brauchen. Wir sind nicht auf dich angewiesen."
    Tom saß in der Zwickmühle. Entweder er ging mit, ohne dass Semir Bescheid wusste, oder die Sache war geplatzt. Was sollte er jetzt tun? Er musste das Risiko einfach eingehen, sonst war alles umsonst gewesen und sie mussten wieder von vorne anfangen. Es ergab sich bestimmt noch eine Möglichkeit, Semir anzurufen.
    "O.K. Ich komm mit."


    "Na bitte, geht doch," murrte sein Begleiter und schob ihn vor sich her zu einer schwarzen Limousine mit getönten Scheiben, die in einiger Entfernung am Straßenrand stand. Er öffnete die hintere Tür und Tom setzte sich auf den Rücksitz. Dort saß noch ein zweiter Mann, offenbar ein Komplize, der ihn bereits erwartet hatte.
    "Und wo fahren wir jetzt hin?" Tom sah den Mann fragend an. Der grinste nur und meinte: "Das braucht dich nicht zu interessieren. Es ist besser für dich und für uns, wenn du so wenig wie möglich weisst - die Sache ist ja immerhin nicht ganz legal." Er hatte plötzlich eine Augenbinde in den Händen. "Ich verbinde dir die Augen. Wenn wir in der Klinik sind, nehm ich dir das Ding wieder ab. Ist nur zu deiner eigenen Sicherheit." Tom blieb nichts anderes übrig, als sich die Augen verbinden zu lassen. Die Kerle dachten aber auch an alles. Der Rest der Fahrt verlief schweigend. Tom spürte das Handy in seiner Tasche und war zuversichtlich, dass er es noch schaffen würde, Semir zu informieren. Er war gespannt, wie es jetzt weitergehen würde.

  • Tom schätzte, dass sie etwa 45 Minuten unterwegs waren, als der Wagen stoppte. "So, aussteigen, aber vorsichtig...." dirigierte ihn sein Begleiter aus dem Wagen. Er trug immer noch die Augenbinde und wurde am Arm geführt. Es ging einen Kiesweg entlang, wie Tom am Knirschen unter seinen Schuhe feststellen konnte. Dann hörte er das Quietschen einer schweren Tür. Tom spürte die Kühle des Gebäudes, als sie es betraten. Die Sommerhitze blieb draussen auf der Straße.


    Sie gingen noch ein Stück einen Flur entlang, als Tom die Augenbinde abgenommen wurde. Er blinzelte, um sich wieder ans Licht zu gewöhnen. Mit einem raschen Blick stellte Tom fest, dass es sich hier offenbar wirklich um eine Klinik handelte. Das Gebäude war zwar alt und ziemlich heruntergekommen, aber es sah aus, wie in einem Krankenhaus. "So, hier rein." Sein Begleiter öffnete eine Tür und schob Tom in ein Zimmer. Es war ein karg und altmodisch eingerichtetes Krankenzimmer. An der Wand stand ein altes Eisenbett, in der Ecke ein kleiner Tisch und ein Stuhl. Hinter einem Vorhang in der anderen Ecke befand sich ein Waschbecken.
    "Leg deinen Rucksack ab, und komm gleich mit. Der Doc wartet schon auf uns." Tom tat, wie ihm geheißen und ging hinter dem Mann her den langen Klinikflur entlang. Es war irgendwie unheimlich. Das hier war zwar augenscheinlich ein Krankenhaus, aber man hörte und sah niemanden auf dem Flur. Weder Patienten noch Pflegepersonal. Wieder wurde er in ein Zimmer geschoben. Sein Begleiter aber blieb draußen und schloß die Tür. Jetzt erst bemerkte Tom den Mann, etwa Mitte dreißig, der im weißen Kittel an einem Schreibtisch saß.
    "Herzlich willkommen, Herr......" er streckte Tom die Hand hin.
    "Tom Schäfer." stellte sich Tom vor. Er hatte absichtlich nicht seinen wirklichen Namen genannt. Man konnte ja nie wissen......und in der Eile fiel ihm nur Andreas Nachnahmen ein. Der Arzt schüttelte ihm die Hand. Er deutete auf den Stuhl, der vor dem Schreibtisch stand. "Bitte nehmen sie doch Platz. Es freut mich, dass sie sich entschlossen haben, anderen Menschen zu helfen, indem sie eine Niere spenden...." Tom musterte den Arzt. Er war ihm sofort unsymphatisch. Die Freundlichkeit wirkte aufgesetzt und war es mit Sicherheit auch. Aber Tom spielte das Spiel mit - was blieb ihm im Moment auch anderes übrig.


    "Ich werde ihnen jetzt Blut abnehmen, um ein paar Tests zu machen. Ihre Niere muss schließlich auch auf den Empfänger passen. Tom ließ die Prozedur über sich ergehen. "So, fertig," der Arzt legte die 3. Ampulle mit Toms Lebenssaft in eine Petrischale. Nun lasse ich sie zurück in ihr Zimmer bringen, dort können sie sich frischmachen. Wenn ihre Werte in Ordnung sind, dann können wir vielleicht morgen schon operieren." Tom wurde etwas mulmig. Das ging ja hier verdammt schnell. Es wurde höchste Zeit, dass er Semir erreichte, bevor ihm die Sache hier über den Kopf wuchs.
    "Und was ist mit meinem Geld?" fragte er. Schließlich tat er das hier offiziell nur wegen des Geldes. Würde er gar nicht danach fragen, machte er sich nur verdächtig. Der Arzt, wenn er denn einer war, lächelte süffisant. "Keine Angst, sie bekommen ihr Geld. Wenn alles vorüber ist."


    Als Tom den Raum verließ, wartete draußen schon sein Begleiter. Offenbar achtete man hier sehr darauf, dass die Patienten keinen Schritt ohne Bewachung taten. Es würde schwierig werden, unauffällig zu telefonieren.

  • Auf der PAST saß Semir hinter seinem Schreibtisch und trommelte nervös mit den Fingern auf der Tischplatte. Zwischendurch stand er immer wieder auf und ging auf und ab. Anna Engelhardt, die draußen bei Petra stand, beobachtete ihn eine ganze Weile durch die Scheibe, ehe sie hineinging. "Semir, was ist los mit ihnen? Sie rennen hier rum, wie ein Tiger im Käfig. Haben sie nichts zu tun?" fragend blickte sie ihren Beamten an.


    Semir sah seine Chefin entschuldigend an. "Natürlich hab ich zu tun, aber ich kann mich auf nichts richtig konzentrieren......Toms Anruf ist schon einige Stunden überfällig......ich mach mir einfach Sorgen." Insgeheim verfluchte er sich, dass sie diese Aktion überhaupt gestartet hatten. "Wenn er in einer Stunde nicht angerufen hat, fahr ich los und such ihn....." Anna Engelhardt konnte die Angst um Tom in Semirs Augen sehen und versuchte, ihn zu beruhigen.


    "Semir, er wird sich schon noch melden. Er kann eben nicht immer und überall telefonieren, geben sie ihm Zeit." Sie verstand Semir ja, aber man konnte es auch übertreiben. Sie nickte ihm noch einmal zu und verließ wieder das Büro. Draußen lächelte sie vor sich hin. Die beiden waren wie Zwillinge - war einer mal nicht da, machte sich der andere gleich Sorgen! Aber eben auch deshalb klappte die Zusammenarbeit der beiden auch so gut - wenn sie sie auch manchmal fast zum Wahnsinn trieben.


    Tom wurde wieder zurück auf sein Zimmer gebracht. Auf dem Bett fand er einen frischen Jogginganzug und einige Waschutensilien. "Wasch dich und zieh das hier an. Deine Klamotten nehm ich nachher mit, die werden gewaschen." blaffte sein `Bewacher´ und brachte ihn über den Flur zum Bad.


    Als sich die Badtür hinter Tom geschlossen hatte, ließ er die Dusche laufen. Er freute sich darauf, sich endlich wieder mal richtig zu waschen. Das musste jetzt einfach sein. Anschließend würde er Semir anrufen, bevor er wieder zurück ins Zimmer ging. Er stand eine ganze Weile unter der heißen Dusche, ehe er sich abtrocknete und den Jogginganzug anzog. Danach griff er zum Handy und wählte Semirs Nummer.


    Semir saß immer noch nervös hinter dem Schreibtisch, als endlich das Telefon klingelte. "Tom - endlich! Ich......." weiter kam er nicht. "Semir, ich hab keine Zeit, um lange zu reden. Die bewachen mich hier, wie in einem Gefängnis," unterbrach ihn Tom. "Hör zu: ich wurde in eine Art Klinik gebracht, die....."
    "Waaas? Ich dachte, du rufst vorher an?"
    "Semir, das ging nicht, glaub mir. Und nun lass mich reden, der Kerl kann jeden Moment reinkommen." Tom sprach sehr leise. Er war sich sicher, dass der Kerl vor der Tür stand.
    "...also, ich weiß nicht, wo die Klinik ist. Es ist auch keine richtige Klinik, ich glaub, ich bin hier der einzige Patient. Wir sind etwa 45 Minuten gefahren, bis......"
    Plötzlich ging die Tür auf und der Gorilla stand vor ihm. Tom wollte schnell das Handy auf dem Rücken verschwinden lassen, aber der Kerl war schneller. Ehe er sichs versah, hatte Tom einen Schlag kassiert, der ihn durch das Badezimmer torkeln und auf die Fliesen krachen ließ. Er wollte sich hochrappeln, aber der Kerl stand schon über ihm und verpasste ihm den nächsten Kinnhaken, der Tom ins Land er Träume beförderte.


    Am anderen Ende der Leitung hörte Semir alles mit. Er hörte ein Poltern, ein Stöhnen und schließlich gar nichts mehr, weil die Verbindung unterbrochen worden war. Einen Moment starrte er entsetzt auf sein Handy, ehe er wie von der Tarantel gestochen aufsprang und ins Büro der Chefin stürmte.

  • Da ich nicht weiss, ob und wann ich heute abend zum schreiben komme, lege ich noch ein Stückchen nach - wo ihr doch so am fiebern seid! =)


    Bin ich nicht nett? Bin ich doch, oder? =) :P :D :rolleyes: ;)
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    Erstaund blickte Anna auf, als Semir ins Büro gerannt kam. "Chefin, Tom hat eben angerufen....".
    "Na sehen sie, dann ist ja alles in bester Ordnung."
    "Nichts ist in Ordnung - Tom sitzt in der Klemme." Semir schilderte ihr, was Tom gesagt hatte. Als er fertig war, fügte er hinzu. "Da ist was oberfaul......ich habs doch gleich gewusst. Was machen wir denn jetzt?"
    Erst jetzt bemerkten beide, dass Petra in der Tür stand und sie entsetzt anblickte. Als sie Semir so aufgeregt hierher hatte laufen sehen, war sie ihm gefolgt.
    "Tom - was ist mit ihm?" fragte sie ängstlich.
    Die Chefin ging auf sie zu. "Petra, das erklären wir ihnen später - jetzt ist es wichtig, dass sie versuchen, Toms Handy zu orten. Beeilen sie sich." Petra nickte und verschwand. Sie war froh, irgendwas tun zu können, das Tom half, denn so viel hatte sie schon mitbekommen: Tom war in Gefahr! Aber schon nach kurzer Zeit kam die enttäuschende Nachricht, dass Toms Handy ausgeschaltet war und somit keine Signale senden konnte. Dass es von Toms Angreifer zerstört worden war, konnten sie ja nicht wissen.


    "Und was jetzt, Chefin? Ohne Handyortung ist das doch wie die Suche im Heuhaufen. Tom hat gesagt, dass sie etwa 45 Minuten gefahren sind - die können überall sein. Das ist doch ein riesengroßer Umkreis!" Semir war verzweifelt. Sie mussten Tom schnellstens finden - nur wie?


    Als Tom wieder zu sich kam, fand er sich auf dem Metallbett in seinem Zimmer wieder. Seine Arme und Beine waren jeweis mit Ledergurten am Bettgestell fixiert. Er war zu keiner Bewegung fähig und lag da, wie auf einer Folterbank. Die Lederbänder waren so festgezurrt, dass sie die Blutzirkulation behinderten. In Toms Kopf schwirrte ein ganzer Bienenschwarm,der Kerl hatte eine verdammt gute Handschrift.


    "Sieh, da, unser Gast ist ja wieder wach," hörte er plötzlich die spöttische Stimme des Arztes, der an Toms rechter Bettseite saß. Auf der anderen Seite stand der Gorilla und grinste ihn blöd an.
    "Wer bist du und mit wem hast du telefoniert?" herrschte ihn der Arzt mit schneidender Stimme an.
    "Das wisst ihr doch ganz genau, was soll der Scheiss? Geht man so mit seinen Patienten um? Und im Übrigen geht es euch einen Dreck an, mit wem ich telefoniere." Tom spielte den Ahnungslosen. Wenn die hier rausbekamen, dass er Bulle war, na dann gute Nacht.....!


    "Das würd ich so nicht sagen, das geht uns sehr wohl was an. Also, wer bist du und mit wem hast du telefoniert?" Die Stimme klang gefährlich leise. Tom sagte nichts und funkelte den Arzt nur an. Er hätte sich sonstwohin beissen können, dass er sich so hatte überrumpeln lassen, aber nun wars nicht mehr zu ändern. Er musste das beste daraus machen.
    Plötzlich fuchtelte der Arzt mit einem Skalpell vor Toms Augen herum. Dann fuhr er damit an Toms Hals entlang. "Na los, entweder du sagst, wer du bist, oder ich schlitze dir damit hier und jetzt den Hals auf - und ich mache keine Scherze, glaub mir." Tom brach der Schweiss aus. Er bezweifelte absolut nicht, dass der Kerl seine Drohung wahr machen würde. Nun saß er richtig in der Klemme....hoffentlich hatte Semir es noch geschafft, das Handy orten zu lassen, das war seine einzige Chance. Er musste nur Zeit schinden, bis Semir hier war.


    "Na, wie sieht es aus?" Tom spürte zur Bekräftigung der Frage die Spitze des Skalpells seine Haut aufritzen. Warmes Blut lief an seinem Hals hinunter.
    Tom beschloss, die Flucht nach vorn anzutreten.


    „O. K! Ist ja gut! Du kannst dein Spielzeug wegnehmen, ich sag euch alles.“ Ich bin Polizist und an eurer Stelle würde ich mich hier losbinden. Mein Kollege wird jede Minute mit dem SEK hier auftauchen und diesen Schlachthof hier ausheben. Ihr habt nicht den Hauch einer Chance.“ Gespannt wartete er auf die Reaktion der beiden. Aber der Kerl blieb völlig gelassen. Er griff in die Tasche seines Kittels und förderte Toms Telefon zu Tage. „Wenn du meinst, dass man deinen Standort orten konnte, dann liegst du falsch. Das Handy ist hinüber – war also nichts mit deinem Kollegen und dem SEK.“ Er lachte höhnisch. Tom hatte plötzlich ein flaues Gefühl in der Magengegend. Nun sah die Sache für ihn gar nicht mehr gut aus. Was sollte er jetzt tun? Der Gehilfe von Frankenstein meldete sich nun auch zu Wort. „Soll ich ihn kaltmachen, Chef? Wäre mir ein Vergnügen.“ Er grinste Tom blöde an. Dieser konnte sich einen Kommentar nicht verkneifen: „Dich hat doch keiner gefragt, du Affe,“ konterte er. Er handelte jetzt nach dem Prinzip ´Angriff ist die beste Verteidigung`. Viel aussichtsloser als jetzt konnte seine Lage ja nicht mehr werden. Der Kerl wollte sich auf Tom stürzen, aber der andere hielt ihn zurück. „Stop! Lass ihn! Er ist hierher gekommen, um eine Niere zu spenden, also wird er eine Niere spenden. Warum sollten wir kostbares Material verschwenden? Außerdem passt seine Blutgruppe genau zu einem Patienten auf unserer Warteliste.“ Fies grinsend setzte er hinzu: „Und da er sie ja nachher nicht mehr braucht, wird er sogar zwei Nieren spenden! Wir werden ihn sofort operieren und danach hier verschwinden, bevor die Bullen auftauchen. Auf den Patienten brauchen wir ja keine Rücksicht mehr zu nehmen, dann geht’s umso schneller. Bis die hier sind, sind wir über alle Berge.“ Er drehte sich zu Tom um und fügte grinsend hinzu: „Das einzige, was die hier noch finden werden, ist ein toter Bulle....“ Die beiden verließen den Raum. Tom musste schlucken. Die Lage wurde zusehends brenzliger. Es musste irgendwas passieren! Es konnte doch nicht sein, dass dieser Metzger ihn quasi ausschlachtete und einfach hier liegen ließ.....! Wo blieb nur Semir? Semir würde ihn bestimmt rechtzeitig finden, er durfte die Hoffnung nicht aufgeben...! Wütend zerrte er an seinen Fesseln, aber die Gurte waren so fest um seine Gelenke gezurrt, dass er die Hände keinen Millimeter bewegen konnte.

  • Auf der Past war inzwischen der Teufel los. Jeder verfügbare Kollege war damit beschäftigt, geeignete Lokalitäten im Umkreis von ca. 45 Fahrminuten vom Bahnhof ausfindig zu machen, in denen man eine Klinik unterbringen konnte. Landkarten wurden gewälzt und Telefonate geführt. Es ging zu, wie in einem Ameisenhaufen. Sämtliche Streifenwagen waren unterwegs, um die Angaben, die sie aus der Zentral erhielten, zu überprüfen. Bisher leider ohne Erfolg.


    In dem ganzen Trubel merkte Semir nicht, dass Markus, der Bruder von Petra, in die Dienststelle gekommen war. Er hatte dienstfrei und da er wusste, dass Tom momentan nicht da war, wollte er mit seiner Schwester essen gehen. "Was ist denn hier los?" irritiert blickte er sich um. Er war schon ein paar Mal hier gewesen, aber so einen Zirkus hatte er bisher hier noch nicht erlebt. Dann sah er Petras Gesicht, mit den rot verweinten Augen. "Ist was mit Tom?" fragte er vorsichtig. Petra nickte nur und begann wieder haltlos zu schluchzen. Sie war nicht fähig, ihrem Bruder zu sagen, was los war. Markus strich ihr tröstend über den Rücken und als er Semir bemerkte, der wild gestikulierend in seinem Büro stand, ging er zu ihm. "Semir, sag mal, was ist denn hier los? Petra ist total durch den Wind und hier herrscht das totale Chaos. Kann ich vielleicht irgendwie helfen?" Semir sah Markus an. "Wo kommst du denn her?" fragte er überflüssigerweise.
    "Na von draussen, von wo sonst. Was ist los hier?"
    "Tom - er ist verschwunden und mit ziemlicher Sicherheit sitzt er richtig in der Klemme. Wir müssen ihn schnellstens finden." Semir erklärte Markus kurz, worum es ging. Der nickte nur immer wieder und als Semir fertig war, meinte er: "Na, dann lass uns loslegen, ich helfe euch. Lass mal sehen....." Er beugte sich über die Karte, in dem der mögliche Umkreis angezeichnet war. Markus sah sich alles genau an und in Gedanken ging er die Möglichkeiten durch. Er kannte die Gegend wie seine Westentasche, das machte es leichter. Plötzlich tippte er mit dem Zeigefinger auf eine Stelle der Karte. "Hier - hier könnte es sein!" Semir starrte auf die Stelle und sah Markus fragend an. "Hier war mal eine Privatklinik. Wurde vor Jahren geschlossen, weil der Betreiber krumme Geschäfte gemacht hat. Soweit ich weiss, steht sie seither leer. Das Gebäude ist nicht sehr groß, aber ich denke, das könnte es sein. Ich bin mir aber natürlich nicht sicher. In Semirs Augen leuchtete sowas wie Hoffnung auf. Es war eine Möglichkeit, zwar eine von vielen, aber immerhin.
    "Ich fahr da hin und seh mir das an. Ihr macht hier weiter. Es ist ja nicht sicher, dass es ein Treffer ist. Hotte kommt mit.
    "Ich fahr auch mit, vielleicht könnt ihr ja einen Arzt brauchen...." Semir nickte nur und alle drei verließen im Laufschritt die PAST und waren in der nächsten Minute auf der Straße.


    Nach einiger Zeit, in der Tom wiederholt vergeblich versucht hatte, seine Fesseln zu lockern, kam der falsche Arzt wieder ins Zimmer, hinter ihm, wie immer, sein Kumpan. In der Hand hielt er eine Spritze. „So, es ist alles vorbereitet! Leb wohl, Bulle....,“ mit diesen Worten stach er in Toms Vene und verabreichte ihm das Narkosemittel. Tom sah entsetzt auf die Spritze. Er versuchte, sich aufzubäumen, irgendwie Gegenwehr zu leisten, aber er hatte keine Chance. Er musste zusehen, wie die Flüssigkeit langsam in seinen Körper gedrückt wurde und konnte nichts tun. Er war seinen Peinigern hilflos ausgeliefert. Fast augenblicklich merkte er, wie er immer schlaffer wurde. Sein Körper entspannte sich, seine Augenlider wurden schwer. Er hörte, wie der eine sagte: „Wird das Narkosemittel reichen? Mehr haben wir nicht mehr.“ Der falsche Arzt erwiderte gleichgültig: „Klar wird es reichen. Er darf sich nur nicht mehr bewegen, damit ich in Ruhe arbeiten kann. Los, bringen wir Ihn in den OP.“


    Tom spürte, wie sein Bett weggerollt wurde. Er lag da und wartete darauf, dass er vollständig wegtreten würde. Aber das war nicht der Fall. Tom wunderte sich. Es war nicht seine erste Narkose, er wusste, dass man nach der Injektion in Sekunden eingeschlafen war. Aber das war hier nicht der Fall. Er konnte sich zwar nicht mehr bewegen, weder seine Arme und Beine, noch seine Augenlider heben, aber er hörte alles, was um ihn herum gesprochen wurde und spürte auch, als ihn die Beiden offenbar auf den OP-Tisch hoben und auszogen. Panik breitete sich in ihm aus. Er erinnerte sich, dass er mal von solchen Fällen gelesen hatte, wo Patienten die Operation bei vollem Bewusstsein, aber ohne sich irgendwie bemerkbar machen zu können, miterleben mussten, weil das Narkosemittel falsch berechnet worden war. Das musste grauenhaft sein. Sollte er jetzt etwa alles mitbekommen, was die beiden mit ihm anstellten....? Die nackte Angst stieg in ihm hoch.


    Semir steuerte den Wagen mit nicht ganz angepasster Geschwindigkeit durch den Verkehr. Sie hatten mindestens eine halbe Stunde zu fahren, mit Musik und Blaulicht und Semirs Fahrstil vielleicht etwas weniger. Während der Fahrt war jeder der drei in Gedanken bei Tom. Hoffentlich waren sie auf der richtigen Spur und fanden ihn - und hoffentlich nicht zu spät!


    Tom wurde auf die Seite gelegt und mit einem Tuch abgedeckt, das nur den OP-Bereich freiließ. „Fangen wir mit der rechten Seite an,“ hörte er den „Arzt“ sagen. „Wir müssen uns beeilen. – Aber wir sparen uns ja die Wundversorgung, das beschleunigt die Sache.“ Tom war immer noch bei Bewusstsein. Ihm war jetzt klar, dass seine Befürchtungen zutrafen. Er würde alles spüren! Sie würden ihm bei lebendigem Leib und bei vollem Bewusstsein beide Nieren entfernen und ihn dann einfach liegen lassen – wie ein Stück Abfall. Er wollte um sich schlagen, sich wehren, aber sein Körper gehorchte ihm einfach nicht. Es war, als ob er in seinem eigenen Körper eingesperrt wäre, der ihm jeglichen Gehorsam verweigerte. Wenn er schon sterben musste, warum dann auf so grausame Art und Weise...? Wieso kam Semir nicht endlich? Er hatte ihn doch schon aus den brenzligsten Situationen gerettet – warum nicht auch diesmal? Er wollte schreien, aber sein Mund blieb stumm, was schrie, war sein Gehirn...!“

  • Noch nie waren Semir 30 Minuten so lang vorgekommen. Jede rote Ampel, jedes Hindernis, das ihn zum anhalten zwang, machten ihn verrückt. Nervös trommelte er mit den Fingern auf dem Lenkrad. Gab Gas, dass die Reifen quietschten, sobald er weiterfahren konnte und bremste dann wieder aprubt ab. Für seine Mitfahrer war die Fahrt kein Vergnügen. Hotte sah Semir von der Seite an, sagte aber nichts. Auch Markus, der auf dem Rücksitz saß und zwischen den beiden Sitzlehnen hervorsah, schwieg.


    "Wir müssen gleich da sein." Markus deutete nach vorn. "Da vorne rechts, dann ist es vielleicht noch ein Kilometer. Er war nervös. Niemand wusste, ob sie Tom finden würden - und vor allem nicht, ob sie ihn lebend finden würden. Wieder musste Semir stoppen, weil ein LKW die Straße versperrte. Wütend schlug er auf das Lenkrad und auf die Hupe. "Verdammt, fahr doch zu. Wir haben nicht ewig Zeit." Der LKW-Fahrer tippte sich an die Stirn und reihte sich in den Verkehr ein. Und endlich, endlich kam das Gebäude in Sicht. "Da ist es, da vorne, das alte Gemäuer." Markus zeigte auf einen alten Ziegelbau, der wohl früher mal ein imposantes Gebäude gewesen war, an dem jetzt aber ganz offensichtlich der Zahn der Zeit gewaltig nagte. Die drei Männer stiegen aus und rannten auf den Eingang zu. Semir und Hotte zogen ihre Waffen. Semir drehte sich zu Markus um "Bleib du hier, das ist viel zu gefährlich." Markus schüttelte bestimmt den Kopf. "Nein, ich komm mit, vielleicht braucht Tom einen Arzt....." Semir nickte und gemeinsam betraten sie das Haus.


    Tom spürte den kalten Stahl des Skalpells auf seiner Haut. Die Angst machte ihn beinahe verrückt. Es musste doch einfach möglich sein, sich zu bewegen - warum ging das einfach nicht? Der Kerl, der sich ´Arzt´nannte, setzte zum Schnitt an. Das Skalpell war messerscharf und glitt mühelos durch Toms Haut. Zuerst spürte Tom fast nichts, aber als er ansetzte, um den Schnitt zu vertiefen, als das Messer in Toms Fleisch schnitt, war der Schmerz nicht auszuhalten. Panisch versuchte Tom, sich bemerkbar zu machen, zu schreien, aber es war sinnlos.....! Der Schmerz und die Gewissheit, dass er verloren war, raubten ihm beinahe den Verstand.

  • Semir, Hotte und Markus gingen langsam den Flur entlang. Die beiden Polizisten hatten die Waffen im Anschlag, immer bereit, schnell zu reagieren. In dem Gebäude roch es ziemlich muffig, man merkte, dass es schon lange leer stand. Überall hingen noch die Hinweisschilder für Schwesternzimmer, Toiletten, Teeküche, usw. Semir ging zielstrebig in Richtung OP. Er hatte das untrügliche Gefühl, dass er hier richtig war. Tom musste einfach hier sein!


    Als sie wenige Schritte von der Tür des OP-Saales entfernt waren, hörten sie Stimmen. Tom sah Hotte an und gab ihm mit den Augen und einer Kopfbewegung zu verstehen, dass er sich auf die andere Seite der Tür stellen sollte. Semir sah vorsichtig durch die Glasscheibe, die im oberen Teil der Tür eingelassen war. Ihm stockte fast der Atem. Er sah zwei Männer in grünen Kitteln, die über einen OP-Tisch gebeugt und offenbar mitten in einer Operation waren. Der Mann, der da gerade operiert wurde, war..........TOM! Einen Moment starrte er fassungslos auf die Szenerie, die sich ihm bot. Auch Hotte hatte jetzt gesehen, was da drin los war . Im selben Moment stürmten die beiden mit vorgehaltener Waffe in den OP. "Hände hoch - Skalpell fallen lassen," brüllte Semir und richtete seine Waffe auf den Arzt. Der starrte ihn einem Moment an und hob die Hand mit dem Skalpell - bereit, es Tom in den Leib zu rammen.


    "Denk nicht mal dran - du hast schneller eine Kugel im Kopf, als du glaubst. Es wird mir ein Vergnügen sein." Semir musste sich mühsam beherrschen. Offenbar erkannte der Kerl, dass Semir es bitterernst meinte. Er ließ das Skalpell fallen und hob die Hände. Semir legte ihm Handschellen an, während sich Hotte mit dem anderen beschäftigte.


    Markus, war währenddessen zu Tom gegangen. Der lag bewusstlos auf dem OP-Tisch. An seiner Seite klaffte eine große Wunde. Mit Erleichterung stellte er fest, dass die Kerle ihr Werk nicht hatten vollenden können. In dem Moment sah ihn Semir ängstlich an. "Was ist. ......haben die....?" Er schluckte. Markus schüttelte den Kopf. "Nein, zum Glück noch nicht, aber wir sind keine Minute zu früh gekommen." Semir atmete erleichtert aus. Markus wandte sich wieder Tom zu. Er schob ein Augenlid Toms nach oben ........und prallte entsetzt zurück. Hastig prüfte er den Puls. Semir hatte es bemerkt. Er fühlte Panik in sich aufsteigen. "Was ist mit ihm? Sag schon.... ist er...?" Angstvoll starrte er Markus an. "Tom ist bei Bewusstsein..., ich sehe es an seinen Augen. Auch sein Puls ist viel zu schnell. " brachte Markus geschockt hervor.
    "Aber er schläft doch," Semir verstand nicht, was Markus meinte.
    "Nein, er hört uns, er ist wach. Er kann sich nur nicht bemerkbar machen....o mein Gott! - Die haben ihm zu wenig Narkotikum gespritzt - er hat alles gespürt."
    Semir starrte auf Markus, dann auf Tom. Es dauerte einen Moment, bis ihm bewusst wurde, was das hieß. Tom musste furchtbare Schmerzen haben.
    "Tu doch was, du bist doch Arzt," flehte er Markus an.
    "Wir müssen ihm Narkotikum nachspritzen. Wo ist es?." Markus war auf den ´Arzt´zugegangen und packte ihn am Kragen. "Wo ist es?" Seine Stimme überschlug sich fast. Doch als Reaktion kam nur ein müdes Grinsen. Nun konnte Semir seine Wut nicht mehr im Zaum halten. Er schoss auf die beiden zu, packte den, der Tom operiert hatte und schüttelte ihn. "Sag sofort, wo das Zeug ist, oder....." Seine Augen funkelten. Am liebsten hätte er dem Kerl den Hals umgedreht.


    "Wir haben nichts mehr," kam es plötzlich von dem Komplizen. "Es war der Rest." Er wies mit dem Kopf in die Richtung seines Kumpels. "Er meinte, es reicht."
    Semir gab dem Kerl einen Stoß, dass er unsanft gegen die Wand prallte . "Lass sie wegbringen, Hotte, mir wird schlecht, wenn ich sie noch länger ansehen muss.


    Dann ging er zu Tom. Er nahm dessen Hand, die sich eiskalt anfühlte. "Tom - halt durch, es ist vorbei. Gleich kommt Hilfe."


    Markus hatte in der Zwischenzeit einen RTW angefordert und war nun dabei, die offene Wunde steril abzudecken. Mehr konnte er im Moment für Tom nicht tun.

  • Semir stand neben Tom und hielt immer noch dessen Hand. Es war ein komisches Gefühl: er lag da, als ob er schlafen würde und nichts mitbekäme, aber trotzdem sollte er alles hören, alles spüren? Markus prüfte immer wieder Toms Puls. Nervös sah er auf die Uhr. "Wo bleiben die denn? So lange kann das doch nicht dauern."


    Plötzlich merkte Semir einen leichten Gegendruck von Toms Hand. Auch seine Lider zitterten unmerklich. "Markus - ich glaube, er hat sich grad bewegt." Markus strich Tom über den Kopf. "Tom? Hörst du mich? Kannst du dich wieder bewegen?" Gespannt starrte Semir seinen Freund an. Da - für einen kurzen Moment hatte er die Augen geöffnet. Dann stöhnte Tom leise. Sein Gesicht verzog sich schmerzerfüllt. Offenbar ließ die Wirkung des Narkotikums schon nach und Tom konnte sich wieder bemerkbar machen. Semir nahm Toms Hand mit beiden Händen. "Meine.......Nieren......?" Semir konnte Tom fast nicht verstehen.
    "Es ist in Ordnung Tom - die Kerle haben es nicht geschafft - bleib ganz ruhig - gleich kommt der Notarzt.


    Semir hatte alle Mühe, die Tränen zu unterdrücken. Er konnte es einfach nicht fassen, was die mit Tom gemacht hatten. Den Gedanken, was gewesen wäre, wenn sie auch nur eine halbe Stunde später gekommen wären, wagte er gar nicht zu Ende zu denken.....! Wieder verzerrte sich Toms Gesicht, er war kreidebleich. "Hoffentlich kippt er uns jetzt nicht noch weg, ehe die Kollegen da sind - verdammt, wieso hab ich nicht meine Tasche mitgenommen?" Markus beugte sich zu Tom runter. "Tom, atme gleichmäßig, hörst du? Konzentrier dich ganz aufs atmen....."


    Da hörten sie auch schon die Sirene des Rettungswagens und eine Minute später stand Hotte, der die beiden Komplizen inzwischen den Kollegen übergeben hatte, mit dem Notarzt und den Sanitätern im Raum. Angstvoll blickte er zu Tom.


    Markus informierte den Notarzt kurz über Toms Zustand. "Ihr müsst ihm sofort ein starkes Schmerzmittel spritzen, er hat schon genug gelitten." Semir hielt immer noch Toms Hand, während der Arzt die Spritze mit dem erlösenden Medikament in die Vene stach. Es dauerte keine halbe Minute, und Tom war sanft eingeschlafen. Tom wurde auf eine Trage gelegt und mit Blaulicht ins Krankenhaus gefahren, begleitet von Markus.


    Als Tom weggebracht worden war, stand Semir noch eine Weile im Raum vor dem OP-Tisch, sah die blutigen Tücher, das Skalpell.....! Wütend ballte er die Fäuste. Hotte stand neben ihm und wusste nicht so recht, was er sagen sollte, ihm fehlten einfach die Worte. "Wer tut sowas....?" murmelte er nur.


    Plötzlich erwachte Semir aus seiner Starre. "Hotte komm, wir fahren ins Präsidium - ich will mir die Schweine vorknöpfen....." Semir wusste, dass Tom in guten Händen war. Markus hatte ihm versichert, dass keine Lebensgefahr bestand. Im Moment konnte er im Krankenhaus doch nichts tun, als zu warten. Er würde später zu Tom fahren - zuerst wollte er Auge in Auge diesen Schlächtern gegenüber stehen....!

  • Semir stürmte ins Büro. Hotte konnte kaum Schritt halten. "Wo sind die Kerle? Im Verhörzimmer?" brüllte Semir, noch ehe er den Raum ganz betreten hatte. Die Kollegen drehten sich nach ihm um. Die meisten wussten schon, was mit Tom passiert war, und konnten Semirs Wut verstehen.


    Gerade als Tom das Verhörzimmer betreten wollte, wo der falsche Arzt, der Tom beinahe eine Niere herausgenommen hatte, unter Bewachung auf sein Verhör wartete, stellte sich ihm Anna in den Weg. "Semir - beruhigen sie sich doch, so lasse ich sie da nicht rein." Sie fasste Semir an der Schulter und hielt ihn zurück.


    "Ich soll mich beruhigen?----Chefin, der da drin....," er deutete auf die Tür, "...er wollte Tom bei vollem Bewusstsein beide Nieren herausschneiden und ihn dann wie Dreck liegen lassen. Und er hätte es geschafft, wenn wir nicht rechtzeitig gekommen wären.....und ich soll mich beruhigen?" Semir war lauter geworden, als beabsichtigt.


    "Semir.....!" Anna Engelhard zeigte mit dem Kopf in Petras Richtung. Die saß wie erstarrt am Schreibtisch, bisher hatte ihr noch niemand Einzelheiten erzählt, sie wusste nur, dass Tom im Krankenhaus war, und nun das....! Semir sah zu Petra und hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen. "O Gott..." murmelte er. "was bin ich doch für ein Idiot." Anna nickte nur vorwurfsvoll. Die Tatsache, dass Petra von ihm so schonungslos die Wahrheit erfahren hatte, brachte Semir wieder zurück auf den Boden. Er ging zu Petra und legte einen Arm um ihre Schulter. "Es tut mir leid, Petra, ich wollte nicht....." Petra schluchzte kurz auf. "Ist das wahr, Semir, was du eben gesagt hast? Tom hat alles mitbekommen?" Ihre Augen sahen Semir voller Entsetzen an. Semir fasste Petra bei den Schultern.


    "Petra, ja es ist wahr, aber Tom ist in Sicherheit, er wird wieder gesund. Markus ist bei ihm. Und glaub mir, diese Schweine werden ihre Strafe bekommen, dafür sorge ich." Er blickte hinter sich auf die Scheibe, hinter der er den Kerl sitzen sah. Wieder kochte die Wut in ihm hoch.

  • Während des Verhörs musste sich Semir gewaltig zusammenreißen, dass er nicht handgreiflich wurde. Das impertinente Grinsen des Verbrechers brachte ihn fast zur Weißglut. Er hatte schon viele Verbrecher erlebt und dingfest gemacht. Aber dass jemand in der Lage war, andere Menschen quasi „auszuschlachten“ – das konnte er immer noch nicht begreifen. Dass manche Opfer den Eingriff überlebt hatten, hatten sie ausschließlich ihrer guten Konstitution und einer großen Portion Glück zu verdanken, bei der Operationsmethode des „Arztes" und den hygienischen Verhältnissen in dem OP-Saal.


    Im Verlauf des Verhörs packte der Handlanger des falschen Arztes aus. Er verriet dem Kommissar auch den Abnehmer der Organe: Eine piekfeine Privatklinik, in der vor allem Prominente und sehr reiche Patienten behandelt wurden. Die Patienten fragten natürlich nicht danach, wie es möglich war, so schnell ein geeignetes Spenderorgan zu finden. Sie waren froh, wenn sie wieder gesund waren und bezahlten jeden Preis. Es war ein verdammt gutes Geschäft. Die „Spender“ wurden mit einer kleinen Summe abgespeist und manche bezahlten zudem noch mit ihrem Leben. Die Ärzte und ihre Helfer kassierten dagegen Unsummen.


    Als das Verhör endlich beendet war, war Semir fix und fertig. Er veranlasste, dass die Privatklinik ausgehoben wurde. Dem menschenunwürdigen Treiben musste schnellstens ein Ende gemacht werden.


    Er selbst fuhr nicht mit zu dem Einsatz. Er wollte nach Tom sehen. Auf dem Klinikflur traf er Markus. "Oh hallo Semir - du willst sicher zu Tom," stellte der Arzt fest. Semir nickte. "Ja, wie gehts ihm denn?" Markus stand vor ihm, hatte die Hände in den Taschen seines Kittels vergraben und blickte nachdenklich auf den Boden. "Nun ja, physisch sehe ich keine Probleme. Die Wunde wurde fachgerecht versorgt und genäht. Das wird wieder." Er machte eine Pause.
    "Aber.....?" fragte Semir und sah Markus auffordernd an.
    Markus räusperte sich, ehe er weitersprach. "Seine Psyche macht mir mehr Sorgen. Er hat etwas furchtbares erlebt, das will verarbeitet werden. Die Hilflosigkeit, mit der er all dem ausgeliefert war, wird ihn noch lange belasten. Es kann gut sein, dass er Hilfe braucht, um damit fertig zu werden, damit sich das Ganze nicht zu einem Trauma entwickelt."
    Semir nickte. "Kann ich zu ihm?"
    "Ja sicher. Er liegt auf der 23, da vorne." Markus zeigte den Flur entlang. "Semir....." Markus sah Semir ernst an. "...hab Geduld miit ihm, ja?"
    "Ja sicher," erwiderte Semir, ehe er das Zimmer betrat.


    Tom lag, noch ziemlich blass, im Bett. Er starrte geistesabwesend aus dem Fenster. Er bemerkte nicht einmal, dass jemand das Zimmer betreten hatte. Erst als Semir ihn mit einem munteren „Hallo“ begrüßte, fuhr er erschrocken herum. „Oh, hallo Semir!“ begrüße er seinen Partner. Semir nahm sich einen Stuhl und setzte sich an Toms Bett. „Wie geht’s dir denn, Tom?“ „Mir geht’s ganz gut, danke.“ Aber Semir sah sofort, dass es ihm ganz und gar nicht gut ging. "Mann Tom, ich seh doch, dass es dir beschissen geht. Wenn du reden willst - ich höre zu." Einige Sekunden herrschte Schweigen zwischen den beiden Freunden.


    Tom blickte Semir an. Dann fing er an zu reden „Semir, es war einfach grauenhaft. Ich lag da, ich konnte alles hören, alles spüren! Ich konnte klar denken! Aber ich war nicht fähig, mich zu bewegen, mich bemerkbar zu machen. Und dann haben diese Tiere angefangen, mich aufzuschneiden.....“ Tom musste um Fassung ringen. „Das war schlimmer, als alles, was ich bisher erlebt habe, viel schlimmer! Und wenn du nicht in letzter Sekunde gekommen wärst, dann .....“ Tom beendete den Satz nicht. Semir saß da und strich schweigend über Toms Arm.

  • Er merkte, wie Tom zitterte. Auch an ihm ging das alles nicht spurlos vorbei, wenn er daran dachte, was gewesen wäre, wenn.......!


    Eine ganze Weile saßen beide so da und schwiegen. Es brauchte auch keine Worte, es reichte, dass Semir bei ihm war.


    "Weisst du, Semir...." fing Tom plötzlich wieder zu reden an. "......als die angefangen haben, mich aufzuschneiden........da wurde mir plötzlich bewusst....." Tom musste sich räuspern. ".....da wurde mir bewusst, dass unser Job......dass er uns irgendwann das Leben kosten wird."


    Semir starrte Tom an.
    "Was redest du da? Bisher haben wir uns immer gegenseitig rausgehauen - und das wird auch so bleiben." In Semir kroch Angst hoch! Angst, dass Tom seinen Beruf in Frage stellen würde. Er hatte ihn noch nie so erlebt, wie grade jetzt.


    Tom sah Semir ernst an und schüttelte langsam den Kopf. "Nein, Semir - irgendwann wird es mal nicht reichen. Entweder bei dir oder bei mir. Ich ...... ich weiss nicht, ob ich das alles noch will." Tom sah wieder zum Fenster. Semir saß da und suchte nach Worten. Er konnte ja verstehen, dass Tom im Moment ziemlich durcheinander war. Wenn er ihm doch nur helfen könnte.


    "Tom - du weisst, ich bin dein Freund.Und egal, was du tust oder wofür du dich entscheidest, das wird immer so bleiben." Semir sprach langsam. "Aber du wirst über all das hier wegkommen, glaub mir. Du wirst es schaffen." Er wollte noch hinzufügen: "....und ich hoffe, wir werden noch lange zusammen arbeiten." Aber er tat es nicht. Er wollte Tom nicht überreden. Er hatte kein Recht dazu. Er konnte ihn unterstützen, aber die Entscheidung, die Tom letztendlich treffen würde, musste er akzeptieren - ganz egal, wie sie ausfallen würde.


    Semir stand auf und legte Tom die Hand auf die Schulter. "Ich geh jetzt, ich schau später nochmal bei dir rein. Überleg es dir und schlaf nochmal drüber. Bis später ..... Partner!" Tom nickte geistesabwesend und Semir verließ das Zimmer.


    Draussen auf dem Gang ging er ein paar Schritte und lehnte sich dann mit dem Rücken an die Wand. Er starrte zur Decke, rieb sich mit beiden Händen die Augen. Was wäre,wenn Tom sich tatsächlich entscheiden würde, den Beruf an den Nagel zu hängen? Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, ohne Tom zu arbeiten.


    "Semir? Ist dir nicht gut?" Er hatte gar nicht bemerkt, dass Markus und Petra neben ihn getreten waren. Markus sah ihn besorgt an.
    "Ist was mit Tom?" Petra befürchtete schon das Schlimmste.
    Semir schüttelte den Kopf. "Nein, du kannst reingehen, er ist wach."
    Petra betrat das Krankenzimmer und Markus wandte sich wieder Semir zu.
    "Nun mal raus mit der Sprache, was ist los? Hast du ein Gespenst gesehen?"

  • Semir schüttelte den Kopf.
    "Tom.....er will den Job schmeißen. Er hat Angst, dass es irgendwann einen von uns erwischt.....!" Semir sah Markus. an. "Mensch, ich kann ihn ja gut verstehen, aber was wird dann?"


    Markus legte Semir eine Hand auf die Schulter. "Nun mal langsam. Er steht noch unter Schock, das musst du verstehen. Ich bin mir sicher, dass er sich das nochmal überlegt. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass er das wirklich tut." Markus machte eine kurze Pause, ehe er fortfuhr. "Und wenn doch, dann musst du das akzeptieren, es ist schließlich sein Leben." Aufmunternd klopfte er Semir nochmal auf die Schulter, ehe er sich zum Gehen wandte. "Ich muss dann mal. Du wirst sehen, morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus." Semir nickte und verließ das Krankenhaus. Er wollte Tom Zeit geben, um sich zu entscheiden. Ausserdem war jetzt Petra bei ihm, da wollte er nicht stören.



    Auch Petra merkte, dass Tom irgendwas im Kopf rumging. Sie hatte versucht, ihn aufzumuntern, aber ohne Erfolg. Irgendwie war er mit seinen Gedanken woanders. Behutsam versuchte sie, ihm zu entlocken, was ihm auf der Seele brannte. Schließlich fing er an zu reden. Er schilderte Petra, was in ihm vorgegangen war, als er in der Gewalt der Verbrecher gewesen war. Er hatte sich zwar vorgenommen, sie nicht damit zu belasten, aber es musste einfach raus. Als er schließlich fertig war, standen Petra Tränen in den Augen. Tom hatte Furchtbares durchgemacht. Sie beugte sich zu ihm und umarmte ihn stumm.


    "Petra, ich weiss nicht, was ich machen soll," Tom hielt Petras Hände und sah sie an. "Ich hab es Semir gesagt - irgendwann wird es nicht mehr so gut ausgehen. Ich liebe meinen Beruf, ich kann mir nichts anderes vorstellen, aber vielleicht......vielleicht häng ich den Job an den Nagel. Ich will sowas nie wieder erleben, verstehst du?" Petra sah Tom in die Augen.


    "Ich verstehe dich, Tom, sehr gut sogar. Aber überstürz nichts. Überleg es dir in Ruhe. Und egal, wofür du dich entscheidest, ich stehe hinter dir."
    Tom lächelte. "Das hat Semir vorhin auch gesagt."
    "Siehst du - du hast eben Freunde, auf die du dich verlassen kannst. Aber ich muss jetzt gehen, ich komm morgen wieder vorbei." Sie gab ihm einen langen Kuss und winkte zum Abschied nochmal, ehe sie die Tür hinter sich schloß.


    Tom lehnte sich zurück und schloß die Augen. Jetzt hatte er Zeit, sich die Sache noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Er dachte lange darüber nach und irgendwann schlief er ein.


    Am nächsten Tag stand Semir vor der Tür des Krankenzimmers und atmete noch einmal tief durch, ehe er eintrat. Er fürchtete sich vor Toms Entscheidung.


    "Guten Morgen Tom. Na, wie gehts dir heute?" Tom saß im Bett und sah ihm entgegen. Semir bemerkte sofort sein ernstes Gesicht und musste schlucken.
    "Semir, hallo! Komm setz dich. Ich muss mit dir reden."
    Semir setzte sich auf die Bettkante, sagte aber nichts. Er konnte sich schon denken, was jetzt kam. Und eigentlich wollte er es gar nicht hören.
    "Semir....." begann Tom ernst. "....es tut mir leid, aber....." Semir konnte Tom nicht ansehen, er starrte zum Fenster, während Tom sprach.
    "......aber ich fürchte, du musst mich weiterhin als Partner ertragen." beendete Tom den Satz und lächelte. Semir starrte ihn ungläubig an. "Was? Wie?" Dann war der Groschen endlich gefallen. "Mensch Tom......" Semir umarmte seinen Freund. "Ich hab die ganze Nacht kein Auge zugetan......Mann, was bin ich froh!"
    Dann wurde er etwas ernster. "Tom, du machst das aber nicht meinetwegen, oder?" Tom grinste. "Klar doch, ich kann doch nciht verantworten, dass man dich alleine auf die Menschheit loslässt." Beide mussten lachen. Das Eis war wieder gebrochen.



    Tom erholte sich von der Op und war nach 14 Tagen wieder im Dienst. Er hatte die Sache ganz gut weggesteckt, wenn er auch in gewissen Situationen immer mal wieder daran dachte. Aber das erzählte er niemandem.



    ENDE!!!

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