Von den Lebenden und den Toten

  • 14. April 2004


    Kindergarten, Köln-Marienburg 10:35 Uhr



    Als Ben den Mercedes vor dem bunt angemalten Gebäude zum Stehen brachte, wimmelte es dort bereits von Polizisten in Uniform.

    Kurz nach ihnen fuhr auch ein weiteres Zivilfahrzeug der Polizei vor und zwei Kollegen des LKA kamen auf sie zu gelaufen.

    Donnerwetter, die waren wirklich zügig vor Ort, musste Ben neidlos anerkennen und frage sich zugleich was für Gefallen seine Vorgesetzte da eingeholt hatte. Klein, konnten die nicht gewesen sein.

    Der größere der LKA-Beamten, der sich ihm und Semir als Lutz Neumann vorstellte, trat als erstes auf die Chefin zu, die sich soeben von einem der uniformierten Beamten berichten ließ, was bis jetzt unternommen worden war.


    „Anna, das tut mir so leid! Wir sind so schnell es ging gekommen. Hat die Ringfahndung schon etwas gebracht?“ Die Chefin schüttelte verneinend den Kopf.


    „Bis jetzt noch nichts. Es wird weitergesucht und der Bereich von 10 auf 15 Kilometer erweitert.“


    „Gut...“ Neumann, der die Chefin offensichtlich ein wenig besser kannte, nahm sie beiseite und ging mit ihr gemeinsam in das Gebäude, wo sie einen leeren Raum fanden. Dort konnten sie sich, fernab des Trubels, ungestört und in Ruhe unterhalten.


    „Anna, hast du eine Ahnung wer Leonie entführt haben könnte?“


    „Nein... Ich verstehe es nicht!“ Sie schüttelte den Kopf, ihr Blick schweifte dabei durch den Raum und sie realisierte das sie in dem Raum waren, aus dem sie Leo nach ihrem Stunt vor zwei Tagen abgeholt hatte.

    Anna schluckte, fühlte gleichzeitig wie sich ihr die Kehle zuschnürte und sie versuchte sich wieder auf den Kollegen vor sich zu konzentrieren.


    „Irgendeiner der bösen Jungs, die du eingebuchtet hast und der sich rächen möchte?“


    „Theoretisch ist das möglich, aber ich wüsste nicht wer... Es war die letzten Monate recht ruhig bei uns...“


    „Fällt ihnen jemand ein?“ Die Frage galt Ben und Semir, die vor der Tür standen und warteten. Die Kommissare dachte kurz nach, schüttelten aber die Köpfe.


    „Es war in letzte Zeit wirklich sehr ruhig bei uns...“, antwortete Semir.


    Neumann nickte, und wies seinen Partner dennoch an, umgehend eine Liste, mit allen sich momentan auf freiem Fuß befindlichen Verbrechern zu erstellen, die die Chefin in ihrer Karriere hinter Gitter gebracht hatte.


    „Könnt der, oder die Entführer, aus deinem privaten Umfeld kommen?“, fragte Lutz vorsichtig und bekam sofort ein entschiedenes „Auf keinen Fall!“ als Antwort.


    „Also gut... Anna wir übernehmen ab hier. Du kannst dir absolut sicher sein, dass wir alles unternehmen werden, um deine Tochter so schnell wie möglich zu finden und unbeschadet zu dir zurückzubringen...“


    Die Engelhardt schüttelte jetzt energisch mit dem Kopf. „Ich werde jetzt ganz sicher nicht nach Hause gehen und dort Däumchen drehen!“


    „Chefin...“ versuchte es Semir vorsichtig, wurde aber ebenfalls mit einem strengen Blick abgestraft, der ihn sofort verstummen ließ. Ben versuchte es daraufhin nicht einmal. Auch wenn er es für das Beste hielt, sie umgehend aus der Schusslinie zu nehmen. Ansonsten konnte das Ganze womöglich in einem noch größeren Drama enden, als es das eh schon war.



    Auch Semir schien zu überlegen, wie er die Chefin davon überzeugen konnte das LKA und ihn und Ben ihren Job machen zu lassen, als das Handy der Engelhardt klingelte.

    Da sie die Nummer nicht kannte, wollte sie den Anruf schon wegdrücken, bis ihr eine Vermutung in den Sinn kam!

    Ein Stromstoß ging durch Annas Körper und ihr Geist war mit einem Schlag hellwach.

    Auch die übrigen Anwesenden erkannte sofort das etwas im Gange war. Die Chefin legte ihr Handy auf den Tisch im Raum und schaltete es auf Lautsprecher, ehe sie sich meldete.


    „Engelhardt?“


    „Frau Engelhardt, sie können sich mit Sicherheit denken, wer ich bin und warum ich sie anrufe.“ Die Stimme war Computer verzerrt, dennoch glaubte die Polizistin eine leichte Unsicherheit zu erkennen.


    Hatte sie also richtige gelegen, mit ihrer Vermutung...


    „Wo ist meine Tochter?!“, fragte sie sofort und konnte ein Zittern ihrer eigenen Stimme nur mit Mühe unterdrücken.


    „Sie ist bei mir und es geht ihr gut. Damit das so bleibt, müssen sie mir allerdings einen kleinen Gefallen tun...“


    „Wer sind sie und was wollen sie?“ Jetzt musste sie nicht nur ein Zittern, sondern auch Wut in ihrer Stimme unterdrücken.


    „Wer ich bin ist egal! Ich will bis morgen Mittag um 12:00 Uhr, die von Ihnen sichergestellten Diamanten, die sich momentan in der Asservatenkammer befinden, haben! Wann und wo die Übergabe stattfindet erfahren sie morgen. Wenn sie mir die Diamanten bringen, bekommen sie ihre Tochter zurück!“


    Ben, Semir und Anna rissen gleichzeitig ungläubig die Augen auf, während die Kollegen vom LKA ein wenig verwirrt wirkten.


    Annas Gedanken überschlugen sich mehrfach und sie hatte Mühe, auch nur einen vernünftigen Schluss daraus zu ziehen.

    Deswegen platzte ihr auch in einer Kurzschlussreaktion der Kragen und sie verlor die Nerven:


    „Jetzt pass mal auf du Penner! Wenn du meinem Kind auch nur ein Haar krümmst bringe ich dich eigenhändig um! Darauf kannst du dich verlassen! Und wenn es sein muss, werde ich dich dafür bis ans Ende der Welt jagen! Ich werde dich jagen und ich werde dich finden! Und es gibt nichts und niemanden, der dich vor mir schützen kann!“ brüllte sie in Richtung des Mikrophons, ehe einer der anwesenden Männer es verhindern konnte.


    Nach diesem Ausbruch war es Ben Jäger, der als erstes reagierte.

    Er packte seine Vorgesetzte recht unbeholfen, aber bestimmt und zog sie aus dem Raum heraus, während Kriminalrat Neumann vom LKA und Semir versuchten vernünftig mit dem Kidnapper zu reden.



    I dance in tune with what I fear,

    To do adrenaline!

    Cause' it's overrated how we underrate!

  • 14. April 2004


    Villa am Stadtrand von Köln, 10:50 Uhr




    Es hatte ein wenig gedauert, aber ‚Renard‘ hatte es geschafft, dass das Mädchen mehr oder weniger freiwillig, mit ihm in das Haus gegangen war, nachdem er recht glaubwürdig da gestellt hatte, dass er die Mutter wirklich kannte.

    Camille Berthold hatte es sich nicht nehmen lassen, trotz der kurzen Zeit, eins der Zimmer im Ersten Stock einigermaßen kindgerecht auszustatten.

    Ein bisschen Spielzeug, Mal- und Bilderbücher sowie zwei Kuscheltiere warteten dort auf sie.


    ‚Renard‘ hielt es der Französin auch zugute, dass ihr das schlechte Gewissen überdeutlich ins Gesicht geschrieben stand, als sie das Mädchen zu Gesicht bekam. Denn gerade sie sollte wissen, wie es war, wenn einem das Kind weggenommen wurde.


    Auf der anderen Seite verstand er, dass Camille verzweifelt war und eben alles tat, um ihr Kind wieder zubekommen. Das Problem war, das Leonis Mutter auch alles tun würde, um ihr Kind wohlbehalten wiederzubekommen...

    Das Ganze konnte also nur in einem riesengroßen Drama enden, wenn sie sich nicht schnell etwas einfallen ließen!


    „Wann kann ich denn zurück zu meiner Mama? Oder in den Kindergarten?“ die Fragen rissen ihn aus seinen Gedanken und er sagte lächelnd:


    „Mein Freund unten im Haus telefoniert gleich mit deiner Mama. Und dann schauen wir, wann wir uns treffen, okay?“ Die Kleine dachte einen Augenblick darüber nach, nickte dann aber leicht. „Okay...“


    „Magst du dir eins von den Büchern anschauen? Oder malen?“ Er deutete auf den kleinen Stapel Bücher, den sie bereits interessiert gemustert hatte.


    Noch etwas schüchtern ging Leonie auf die Kiste zu und zog bedächtig ein Buch nach dem anderen heraus. Schließlich entschied sie sich für ein Bilderbuch, das ‚Am Flughafen‘ hieß und auf dem ein buntes Flugzeug abgebildet war.


    „Mein Opa kann Flugzeuge fliegen! Der ist Pilot. Aber sein Flugzeug hat einen Buckel! Aber jetzt fliegt er nur noch kleine Flugzeuge.“


    „Aha, das ist ja toll!“ In der Zeit, wo die Kleine nach einem Buch gesucht hatte, hatte er Camille hereingeholt und sie gebeten kurz ein Auge auf sie zu haben.


    „Leonie, das ist meine gute Freundin Camille. Magst du ihr vielleicht ein bisschen vom Flughafen erzählen?“


    Mit einem breiten Lächeln setzte sich die Französin neben das Mädchen auf den Boden, wo Leonie begeistert anfing auf die Seiten im Buch zu deuten und aus ihrer Sicht zu erzählen, was am Flughafen alles passiert.

    Auch wenn Frau Berthold kein Wort von dem verstand, das gesagt wurde, nickte sie eifrig und deutete hin und wieder auf ein paar der abgebildeten Gegenstände.


    ***


    Im Erdgeschoss herrschte derweil Aufregung und es wurde heftig diskutiert.

    Albert hatte soeben Kontakt mit der Polizei aufgenommen und seine Forderung gestellt. Aus dem hitzigen Gespräch mit Araignée und Duvért entnahm er, dass es wohl nicht so glattgelaufen war, wie sie sich das in ihrem naiven Einfall gedacht hatten. Genau wie er es erwartet hatte. Die Polizei ließ sich eben nicht erpressen!


    „Habt ihr das Gespräch aufgenommen?“, die Frage war an das Computer Genie gerichtet, was der sofort mit einem Nicken bestätigte.


    „Je veux l'entendre!“


    Er schaffte es kaum, es zu verbergen, wie sehr es ihm durch Mark und Bein ging, als er erst die Stimme von Anna Engelhardt und danach erneut die von Semir Gerkhan hörte.

    Für den Moment konzentrierte er sich aber darauf, was gesagt wurde. Und das bestätigte nur seine Befürchtung, dass das alles nicht gut ausgehen würde...!

    Er ließ die Aufnahme ein zweites Mal abspielen und schüttelte danach resigniert den Kopf. Damit ihn nicht jeder verstand, sprach er auf Deutsch, sodass nur Albert ihn verstehen konnte:


    „Du solltest am besten wissen, zu was für Mitteln man greift, wenn das eigene Kind in Gefahr ist.“ Er deutet auf die Lautsprecher, aus denen vor gut einer Minute die unmissverständliche Drohung seiner ehemaligen Vorgesetzten zu hören gewesen war.


    „Und du hast ‚Mama-Bär‘ gehört! Glaub mir einfach, wenn ich sage, dass es sich bei ihr keinesfalls um eine leere Drohung handelt. Unser viel größeres Problem ist aber, das ‚Mama-Bär‘ eine ganze, schwerbewaffnete Polizei-Bären Armee hinter sich hat, die allesamt Blut geleckt haben. Denn man nimmt einem Rudelmitglied nicht ungestraft das Junge weg...!“


    Berthold schluckte schwer. Die sehr bildliche Beschreibung war recht einprägsam und durchaus passend.

    Er schien langsam zu begreifen in was für ein Hornissennest er da gestochen hatte...


    „Soweit ich mitbekommen habe, hat die Polizei in Windeseile einen ganzen Stadtteil abgeriegelt! Und der nette Herr vom LKA, mit dem du zum Schluss gesprochen hast, war ebenfalls in einer Rekordverdächtigen Zeit vor Ort. Du siehst also, wie ernst die Polizei das nimmt...!“


    „Ja... Ich meine es aber auch verdammt ernst! Hier geht es um das Leben meines Kindes! Und dem Mädchen wird nichts passieren! Wir machen weiter wie geplant und rufen Sie heute Abend wieder an!“ ‚Renard‘ erkannte deutlich den Mut und die Entschlossenheit der Verzweiflung, die da mitschwang und treibende Kraft hinter Alberts handeln war.


    Das war nicht gut!



    I dance in tune with what I fear,

    To do adrenaline!

    Cause' it's overrated how we underrate!

  • 14. April 2004


    Kindergarten, Köln Marienburg, 10:50



    Es hatte Ben, zu seinem leichten Erstaunen, einiges an Kraft gekostet, seine Chefin aus dem Raum und nach draußen zu verfrachten.

    Während er sie, mehr oder weniger sachte, aus dem Raum geschoben hatte, hatte sie sich mit einer Kraft gegen ihn gestemmt, die ihn kurz auf falschen Fuß erwischt hatte und ihn beinahe umgeworfen hätte.

    Dabei hätte er eigentlich durchaus damit rechnen sollen. Mit den, vom Laufen erlangten Muskeln in ihren Beinen, hatte sie sich massiv gegen das Hinausgebracht werde, gewehrt. Genau wie mit jedem anderen Muskel in ihrem Körper.

    Letztlich hatte ihm nur seine größere Körpergröße und größere Körpermasse geholfen, sie nach draußen zu bringen.


    Jetzt lehnte sie unter seinem wachsamen Auge an der Hauswand vor dem Eingang und schien sich langsam wieder zu beruhigen.

    Jäger machte ihr für den ziemlich unprofessionellen Ausbruch und die Drohungen allerdings keinerlei Vorwürfe.

    Es hatte jedoch deutlich gemacht, dass sie aus weiteren Ermittlungen von nun an besser ausgeschlossen werden sollte.

    Denn ihr Handeln und Denken war nicht mehr rational und dass einer Polizistin, sondern das einer Mutter, die sich in einer absoluten Ausnahmesituation befand.

    Ben war sich auch bewusst, dass sie das selbstverständlich anders sehen würde, aber es war jetzt seine und Semirs Aufgabe dafür zu sorgen, sie vor völlig unüberlegten Handlungen und deren möglicher Folgen zu schützen.

    Der junge Polizist sah auf als Semir und Neumann ebenfalls aus dem Gebäude traten.


    „Sie melden sich heute Abend wieder. Bis dahin sollen wir die Diamanten aus der Asservatenkammer beschafft haben.“ Verkündete der LKA-Beamte schließlich.


    „Ja und?! Was sollen wir jetzt zu tun?“ Anna stieß sich von der Hauswand ab und sah Neumann auffordernd, gleichzeitig wütend und ängstlich an.


    Sie kannte das oberste Prinzip der Polizei, sich nicht erpressen zu lassen, nur zu gut. Egal was passieren würde, die Diamanten würden die Asservatenkammer sicher nicht verlassen!


    Und das Wissen machte sie Krank vor Angst!




    Ben und Semir warfen sich einen Blick zu, der eindeutig fragte: „Du oder ich?“

    Einer von ihnen hatte jetzt die sehr undankbare und mit großer Wahrscheinlichkeit alles andere als einfache Aufgabe, der Engelhardt klar zu machen das es für sie kein ‚wir‘ geben würde und dass das Einzige, was sie jetzt noch tun würde, es war nach Hause zu gehen, beziehungsweise, gebracht zu werden.

    Gerkhan gab seinen Partner schließlich zu verstehen das er das machen würde. Er kannte die Chefin schon länger und war der Ranghöhere Beamte. Auch wenn er nicht glaubte, dass sie es weder Ben noch ihm, ankreiden würde, wenn sie in so einer Situation über die Stränge schlugen und sie vielleicht etwas im Ton vergriffen.


    „Frau Engelhardt, das Einzige, was sie jetzt noch tun werden, ist die Sache uns zu überlassen.“ Semir sprach ruhig, aber bestimmt.


    „Das werde ich ganz sicher nicht tun, Gerkhan! Hier geht es um meine Tochter!“


    „Und genau deswegen werden sie sich ab jetzt raushalten. Weil es um Leonie geht und sie befangen sind.“


    „Gerkhan...“ setzte Anna erneut aufgebracht an, aber Semir ließ sie gar nicht erst zu Wort kommen.


    „Nein! Sie sind befangen und für den Augenblick nicht diensttauglich. Das hat ihr irrationaler Ausbruch gerade eben deutlich gezeigt. Wären sie nicht so durch den Wind, wüssten sie, was eine derartige Drohung für Konsequenzen haben kann!“


    Ben zog leicht die Luft ein.


    Das war doch recht drastisch formuliert und die darin enthaltene, angedeutete Drohung, alles andere als nett.

    Er war sich allerdings auch sicher, dass etwas weniger Drastisches bei der Chefin im Moment nicht angekommen wäre. Dass die Ansage angekommen war, zeigte sich binnen weniger Sekunden in ihrem Blick, als auch in ihrer gesamten Körperhaltung.


    Jäger machte sich schon bereit einzuschreiten, als ein Ruf ihn sich umdrehen ließ.

    Vor einer der Absperrungen schickte sich ein hochgewachsener, schlanker Mann, den Ben auf Anfang bis mitten 60 schätzte, an, die Absperrung zu durchbrechen und wurde von gleich zwei Beamten daran gehindert.


    „Ist schon okay, lasst ihn durch!“, rief Semir hastig und Ben sah jetzt etwas fragend ihn an, während der Neuankömmling auf sie zu gerannt kam.


    „Ich habe mir schon gedacht, dass wir hier Verstärkung brauchen und schon vorhin Kontakt zu Engelhardt Senior aufgenommen.“ Raunte Semir seinem Partner zu, der daraufhin anerkennend nickte. Das war klug und vorausschauend gedacht gewesen.


    Und wie sich jetzt zeigte, das Beste, was sie hatten tun können.


    Die, durch Semirs Ansprache, eh schon ins Bröckeln gekommene Fassade der Chefin fiel jetzt mit einem Schlag komplett in sich zusammen, als der Vater bei ihr ankam und wortlos in eine feste Umarmung zog.

    Bei ihm machte sie sich nicht ansatzweise die Mühe, zu verstecken, wie groß ihre Angst, Verzweiflung und augenblicklich gefühlte Hilflosigkeit in Wirklichkeit war.

    Jegliche Form der Contenance war verschwunden und sie ließ den unzähligen Tränen an der Schulter des Vaters hemmungslos freien Lauf.




    Semir schluckte schwer und wandte sich ab, genau wie Ben und Neumann. Er konnte und wollte sich nicht ausmalen, was momentan in seiner Chefin vorging, war sich aber sicher, dass es die Hölle auf Erden sein musste!

    Umso entschlossener war er so schnell es ging zu Handeln. Das war aber leichter gesagt als getan.


    „Ich habe nicht den Eindruck, dass wir es hier nicht mit professionellen Entführern zu tun haben.“ Sagte Neumann schließlich und sah von Ben zu Semir, der dessen Vermutung mit einem Nicken bestätigte.


    „Das denke ich auch nicht. Jedes Kind weiß, das sich die Polizei nicht so einfach erpressen lässt! Und der Mann hat trotz verzerrter Stimme nervös geklungen... Außerdem...“ Semir hielt inne und überlegte, ob er dem LKA Beamten von André Fux erzählen sollte.


    „Außerdem?“, hakte der auch sofort nach.


    „Außerdem scheinen das ja Diebe zu sein und eben keine Entführer.“ Beeilte sich Semir zu sagen und gab Ben zu verstehen auch nichts von André zu sagen.


    „Ja... Die Frage ist nur, ob sie das weniger, oder mehr gefährlich macht.“


    Beide Autobahnpolizisten nickten bedächtig und Ben vermutete mit Unbehagen, das es sie vermutlich gefährlicher machte. Sie schienen aus irgendeinem Grund irrational zu handeln. Und das war nie gut, da es sie unberechenbar machte!


    Semirs Handy klingelte.


    Es war Hartmut, der verkündete das es unmöglich war den Anruf nachzuverfolgen, da er über einen Server in Asien verschlüsselt worden war.


    „Wer immer das gemacht hat, wusste genau was er tat! Ich bin aber trotzdem weiter dran und schaue, ob ich etwas über denjenigen herausbekommen kann!“


    Ben schüttelte den Kopf. Das Ganze wurde immer skurriler:


    Eine Diebesbande mit Computer-Experte, die spontan ein Kind entführten, um an ihre verloren gegangene Beute zu kommen... Da stimmte doch etwas nicht!

    Irgendetwas hatten sie übersehen, oder noch nicht gefunden!

    Den jungen Kommissar störte vor allem die Beteiligung von Semirs ominösen, für tot gehaltenen Ex-Partner. Konnte der sich wirklich an gar nichts mehr erinnern?

    Aber wenn, wäre er wirklich so dreist und, oder, blöd, die Tochter seiner ehemaligen Chefin zu entführen?

    Zumal er dann genau wissen sollte, dass sich die Polizei nicht erpressen lässt und das ihrer Forderung niemals stattgegeben würde.


    Viele Fragen, auf die sie schnellstens Antworten finden mussten!



    I dance in tune with what I fear,

    To do adrenaline!

    Cause' it's overrated how we underrate!

  • 14. April 2004


    Villa am Stadtrand von Köln, 11:00 Uhr




    Er ging die Treppe in den ersten Stock recht langsam hoch.


    Das konnte einfach nicht gut gehen!


    Das würde einfach nicht gut gehen!


    Davon war er ganz klar überzeugt. Nein, er war nicht nur überzeugt, er wusste es! Immerhin war er in seinem ‚vorhergingen Leben‘ verdammt noch mal Bulle gewesen!

    Auch wenn das Wissen darüber zum Teil noch tief in seinem Gedächtnis schlummerte und ungeduldige darauf wartetet wieder erweckt zu werden, wusste er das Alberts Plan spektakulär scheitern würde!


    Und Gott allein wusste, was das für Folgen haben konnte!


    Als er nun wieder in das Zimmer trat, in dem die Kurze noch immer begeistert erzählt und dabei durch das Bilderbuch blätterte, wusste er, dass er etwas unternehmen musste.

    Er wusste nur noch nicht was.


    „...und dann gehen die Piloten immer um das Flugzeug spazieren und gucken das kein Teil weg ist! Wenn was fehlt dürfen sie nicht fliegen.“ ‚Renard‘ musste unwillkürlich schmunzeln.

    Da wusste jemand schon ziemlich gut Bescheid.

    Als er in den Raum trat, sah das Mädchen in seine Richtung. „Hallo. Darf ich gleich zu Mama?“


    „Später, ja...“ An Camille gewandet sagte er, dass ihr Mann sie sehen wolle, eh er sich auch auf den Boden setzte und in dem Bilderbuch auf eins der abgebildeten Fahrzeuge zeigte. „Was ist das denn für ein Auto?“


    „Das bringt Essen!“ Die Ablenkung war ihm formidable geglückt und Leonie konzentrierte sich wieder auf das Buch und darauf, jetzt ihm, zu erzählen was man auf den Bildern alles sehen konnte.



    Während sie erzählte, musterte er das Mädchen zum ersten Mal genauer.

    Die dunkelbraunen Haare, hatten, soweit er sich erinnern konnte, genau dieselbe Farbe, wie die der Mutter.

    Allgemein glaubte er in ihren kindlichen Gesichtszügen schon jetzt eine sehr markante und ausgeprägte Ähnlichkeit zu seiner ehemaligen Vorgesetzten zu erkennen.


    „Was hast du denn eigentlich an deinem Kinn gemacht?“, fragte er unwillkürlich.

    Das auffällige Pflaster am Kinn, sowie die Schrammen in ihrem Gesicht, hatten ihn schon vorhin stutzig gemacht.

    Leo verzog etwas schuldbewusst den Mund, sagte dann aber rundheraus und mit einem schelmischen Leuchten in den Augen:


    „Ich bin mit dem Bobby-Car die Rutsche runtergefahren und habe mir Aua getan. Weil mit dem Bobby-Car macht man das nicht. Meine Mama hat gesagt ich darf die Rutsche nur noch auf dem Popo herunterrutschen! Aber ich wollte so fliegen wie Onkel Semir mit seinem Auto!“


    Er hatte die Erklärung kaum noch gehört!


    André Fux starrte noch immer wie vom Blitz getroffen in das Gesicht des Mädchens vor ihm, die ihn jetzt ein wenig fragend ansah.

    Genauer gesagt, starrte er in ihre blauen Augen, die einen ganz leichten Grünstich hatten und die noch immer einen schelmischen Glanz aufwiesen.


    Nein!


    Das war unmöglich! Das konnte nicht sein! Er musste sich irren...!


    Fux blinzelte heftig, sah noch einmal hin.


    Nein, es bestand kein Zweifel...


    Die blauen Augen mit dem ganz leichten Grünstich, die ihn noch immer fragend ansahen, kannte er nur zu gut!


    Aber wie...?!?


    In seinem Kopf begannen die Gedanken zu rasen und sich zu überschlagen.

    Neben ihrem Namen, wusste er, dass sie im Dezember 1999 geboren worden war. Er war kein Experte, rechnete aber grob zurück und schluckte erneut.


    April...


    Er war am 06. Mai auf Mallorca ‚verschwunden‘ und wenn seine Erinnerung ihm keinen Streich spielte, war es zwei oder drei Wochen vorher zu dem ‚Zwischenfall‘ mit seiner damaligen Chefin gekommen.


    Großer Gott! Das könnte passen...!


    „Leonie, was ist denn eigentlich mit deinem Papa...?“, fragte er vorsichtig und mit möglichst neutraler Stimme. Dafür aber mit wild pochendem Herz.


    „Der ist nicht da.“ Leo zuckte mit den Schultern. „Dafür habe ich meinen Opa Holger und meine Tante Tina! Und ich mache quatsch mit Onkel Semir und Ben! Onkel Semir und Ben sind auch bei der Polizei und müssen machen was meine Mama sagt. Meine Mama ist die Chefin!“


    André kam nicht umher kurz zu schmunzeln, wurde aber sofort wieder ernst. Ja, ‚Onkel Semir‘ war bei der Polizei und er wusste genau was er momentan tat:

    Auf der Suche nach Leonie jeden Stein in Köln und Umgebung umdrehen! Genau wie vermutlich die gesamte restliche Polizei auch...


    Er musste also jetzt etwas tun, und nicht noch länger darüber nachdenken!

    Die, für ihn, erschütternde Erkenntnis, dass dieses kleine Kind neben ihm, womöglich seine Tochter sein könnte, machte die ganze Situation nur noch mal um einiges verworrener.

    Und sein schlechtes Gewissen, das er nicht hatte verhindern können, dass man sie aus dem Kindergarten verschleppt hatte, wuchs ins Unermessliche.


    Dafür wusste er jetzt, was er tun würde!



    I dance in tune with what I fear,

    To do adrenaline!

    Cause' it's overrated how we underrate!

  • 14. April 2004


    Autobahn A4, in westlicher Richtung, 14:03 Uhr




    Ben Jäger jagte seinen Dienstwagen mit allem was dieser hergab über die Straße.


    Während Neumann und sein Team an einer Übergabe- und Zugriffsstrategie arbeiteten, konzentrierten sich Ben und Semir darauf, mehr über die Diebesband in Erfahrung zu bringen. Oder sie wollten es zu mindestens versuchen.

    Dafür waren sie momentan auf dem Weg in die JVA Ossendorf. Semir hatte sich fest geschworen, aus dem geschnappten Täter Informationen herauszubekommen. Und wenn er sie aus ihm hinausprügeln musste!

    Aber der Kerl würde jetzt endlich das Maul aufmachen! Dafür würde er schon sorgen...


    Was den kleinen Polizisten momentan jedoch noch mehr beschäftigte, war die Tatsache, dass sein ehemaliger Freund und Partner wohl in die Entführung involviert war.

    Selbst wenn er an Amnesie litt, konnte ein Mensch sich derart verändern?

    Vom Polizisten zum Kindesentführer war es schon ein ganz schönes Stück... Bei dem Gedanken daran, das André, ohne es zu wissen, sein eigenes Fleisch und Blut gekidnappt hatte, lief es ihm eiskalt den Rück hinunter!

    Noch schlimmer war jedoch die Vorstellung, dass er sich womöglich erinnern konnte und dies alles ganz bewusst tat...


    Auf das Ganze obendrauf kam noch die Sorge um den kleinen Wirbelwind, den er fest in sein Herz geschlossen hatte.

    Im Stillen konnte er Anna nur beipflichten:

    Sollte Leonie auch nur ein Haar gekrümmt werden, war er nur zu gerne bereit seine Chefin bei der Jagd nach den Verantwortlich zu unterstützen. Und auch er würde keine Gnade walten lassen...


    „Was für Feiglinge entführen ein Kind, um so Beute zu erpressen?“, fragte Ben laut und holte seinen Partner damit in das Hier und Jetzt zurück.


    „Die schlimmste Sorte von Feiglingen...“, brummte Gerkhan und schüttelte grimmig den Kopf. Sein Handy klingelte erneut und als er abnahm, hörten sie umgehend Hartmuts aufgeregt klingende Stimme:


    „Ich weiß, wer den Anruf verschlüsselt hat!“


    „Okay... Hilft uns das weiter?“ Semir klang nicht weniger aufgeregt. Die Antwort des Genies war jedoch recht ernüchternd:


    „Jein, das kann ich noch nicht genau sagen... Es handelt sich bei dem Kerl um einen echt bekannten Hacker, der sich ‚Araignée‘, als ‚Die Spinne‘ nennt! Der Typ ist eine Legende und hat schon den ein oder andere echt krassen Coup gedreht. Über seine für ich typisch Verschlüsslung bin ich...“


    „Hartmut, komm zum Punkt!“ unterbrach Gerkhan ihn barscher als beabsichtigt. Aber für die ausschweifenden Erklärungen von Einstein hatten sie gerade einfach keine Zeit.


    „Ich versuche jetzt herauszubekommen, mit wem der in letzter Zeit zu tun hatte.“


    „Gut, wenn du was weißt, melde dich!“ damit legte Semir auch schon wieder auf, da sie nicht mehr weit von der JVA entfernt waren. Mit knappen Worten erzählte er Ben was Hartmut ihm berichtet hatte.


    „Vielleicht bring uns das ja irgendwie weiter...“ Der junge Kommissar wurde ebenfalls unterbrochen, als Semirs Handy schon wieder klingelte.


    Semir legte kurz die Stirn ein wenig in Falten, da er die Nummer nicht kannte. Vermutlich war es aber Neumann oder ein anderer Kollege, weswegen er, ohne zu zögern, ran ging.


    „Ja, Semir hier?“


    Für einen Augenblick konnte er nur das Atemgeräusch des Anrufers hören. Die darauffolgende Stille, ließ ihn das Gespräch schon fast wieder beenden, als der Mann am anderen Ende der Leitung doch sprach und fragte: „Semir...?“



    Gerkhan traute seinen Ohren nicht und riss die Augen vor Schreck und maßlosem Erstaunen unglaublich weit auf, als er die Stimme hörte!

    Auch wenn es fast fünf Jahre her war, das er die Stimme zuletzt gehört hatte und bis vor kurzem auch niemals gedacht hätte, sie je wieder zu hören, erkannte er sie umgehend wieder.

    Da sein Mund mit einem Mal unglaublich trocken war, musste der kleine Polizist sich zweimal Räuspern, bis er es schaffte zu Antworten. Kurz zögerte er jedoch erneut, da er keine Ahnung hatte, wie er den Mann ansprechen sollte.

    Er entschied sich schließlich für den Namen, unter dem er ihn kannte:


    „André?“


    Als Ben den Namen hörte, trat er ungewollt recht kräftig auf die Bremse des Mercedes, sodass auch der nachfolgende Verkehr kräftig bremsen musste, was trotz des Blaulichts auf ihrem Dach, umgehend zu einem Hupkonzert führte.

    Weder Ben noch Semir, ließ sich davon jedoch auch nur im Geringsten beeindrucken.


    „André?“, fragte Gerkhan erneut und hoffte, dass der Andere nicht auflegen würde.


    „Ja, ich bin es. André. André Fux...“



    Semir war von diesen drei Worten und was sie implizierte, für einen Moment völlig übermannt.

    Sein ehemaliger Partner schien sich anscheinend doch erinnern zu können! Zu mindestens kannte er seinen vollständigen Namen, den er wohl nur kennen konnte, wenn er sich an irgendetwas erinnerte. Wusste er, was er da gerade tat?!


    Der Gedanke, dass André wusste, was er da gerade tat, ließ sofort Wut in Semir aufsteigen. Er kam jedoch nicht dazu, diese Wut in Worte zu fassen, da André bereits weitersprach und ihn dessen nächste Worte noch mehr erstaunten und verwirrten.


    „Wir müssen und treffen. Und das so schnell wie möglich. Ich kann jetzt nicht alles erklären, aber es ist nicht wie du und deine Kollegen denken. Und uns rennt die Zeit davon!“


    Wovon zur Hölle sprach Fux da?


    Semirs Verwirrtheit stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben, was auch Ben dadurch nicht verborgen blieb.


    „Schaffst du es in einer halben Stunde am Rhein-Energie Sportpark zu sein?“ Ungeduld schwang in Andrés Stimme mit.


    „Am Rhein-Energie Sportpark in einer halben Stunde...? Ja, das schaffe ich, aber...“


    „Es ist wirklich wichtig! Und ich übertreibe nicht, wenn ich sage das es um Leben und Tod geht. Und ich verspreche das ich alles erklären werde!“


    Semir schloss die Augen, da er noch immer ein wenig unentschlossen war, kam ihm das alles doch sehr merkwürdig vor. Schließlich sagte er jedoch:


    „Also schön! Ich werde da sein!“




    I dance in tune with what I fear,

    To do adrenaline!

    Cause' it's overrated how we underrate!

  • 14. April 2004


    Villa am Stadtrand von Köln 14:03 Uhr



    André legte das Handy beiseite, mit dem er soeben seinen ehemaligen Partner angerufen hatte.


    Vor ihm, ging Albert Berthold nervös auf und ab. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er sich nicht sicher war, das Richtige zu tun.

    Fux hatte die letzten knapp zwei Stunden auf ihn eingeredet und ihm die aktuelle Situation vor Augen geführt. Dabei hatte er ihm deutlich gemacht, dass sich die Polizei niemals auf einen Handel mit ihm einlassen würde.


    „Der deutsche Staat und damit die deutsche Polizei, lässt sich nicht erpressen, Albert! So etwas funktioniert nur im Fernsehen! Und Ich kann dir genau sagen, wie das Ablaufen wird:

    Sie werden dich zu einem Treffen locken, wo ein schwerbewaffnetes Sondereinsatzkommando auf dich warten wird, dessen Mitglieder alle sehr nervöse Zeigefinger haben werden! Die Diamanten, werden sie aber ganz sicher nicht dabeihaben!“

    An dem Punkt hatte André eine kurze Pause gemacht.


    „Und was willst du dann tun, hm? Wenn sie dir die Diamanten nicht geben? Willst du dann ein vierjähriges Mädchen, das mit der ganzen Sache überhaupt nichts zu tun hat, töten? Oder der Kleinen auch einen Finger abschneiden? Oder vielleicht besser gleich zwei Finger, um ganz sicher zu gehen?!“


    „Nein! Natürlich nicht... Ich habe nicht vor dem Mädchen irgendetwas zu tun! Ich bin doch kein Monster!“ Hatte Berthold umgehend mit einem entsetzten Gesichtsausdruck geantwortet, war dann jedoch stutzig geworden:


    „Und woher willst du eigentlich wissen, wie die Polizei solche Situationen handhabt?“


    Auch wenn er mit einer derartigen Frage gerechnet hatte, hatte sie ihn dennoch ein wenig auf kaltem Fuß erwischt und er war sich nicht ganz sicher gewesen, was er darauf antworten sollte.

    Nach kurzem Zögern hatte er sich schließlich für die ganze Wahrheit entschieden.

    Es war Zeit alles in die Waagschale zu werfen.


    Also hatte André nach dem nächsten Laptop gegriffen und erneut seinen Namen in einer Internetsuchmaschine eingegeben und den Artikel über sein Verschwinden auf Mallorca herausgesucht.


    „Ich weiß wie die Polizei arbeitet, weil ich einer von ihnen war.“ Mit den Worten hatte er Albert den Artikel gezeigt, welchen dieser völlig ungläubig gelesen hatte.


    ***


    In der nächsten halben Stunde hatte Fux ihm erklären müssen, wie es dazu gekommen war, dass er sich so urplötzlich wieder erinnern konnte.

    Zu Andrés Überraschung, schien es Berthold jedoch recht wenig zu stören, dass er mal Polizist gewesen war. Er hatte im Moment einfach andere Probleme und stand mit dem Rücken zur Wand.

    Was wohl auch der Grund dafür war, warum er Andrés Vorschlag schließlich zugestimmt hatte. Auch, wenn es ihm offenkundig sehr schwerfiel.


    „Bist du dir sicher, dass das, das Richtige ist? Was, wenn dieser Polizist nicht mitmacht? Dann ist Arnaud verloren!“


    „Er wird mitmachen und alles dafür tun, dass du deinen Sohn wiederbekommst! Glaub mir, ich kenne ihn!“


    „Du kennst ihn, ja? Einen Mann an den du dich bis vor ein paar Tagen nicht einmal erinnern konntest?!“ Es war deutlich, wie blank die Nerven bei dem Finanzexperten lagen.


    „Ich bitte dich, mir zu vertrauen! Ich weiß wie Semir tickt! Und er würde deinen Sohn nie, niemals, seinem Schicksal überlassen! Auch nicht nach dieser scheiß Aktion, die Kleine zu kidnappen.“ Fux legte seinem Freund und Arbeitgeber eine Hand auf die Schulter.


    „Semir Gerkhan und sein Team sind Arnauds beste Chance!“


    „Also schön. Ich vertraue dir und bete, dass du wirklich weißt, was du tust!“



    I dance in tune with what I fear,

    To do adrenaline!

    Cause' it's overrated how we underrate!

  • 14. April 2004


    Rhein-Energie Sportpark, Köln 14:40 Uhr



    „Semir sei mir nicht böse, aber ich traue diesem Fux nicht über den Weg!“ Ben schüttelte entschieden mit dem Kopf. Ihm schmeckte dieses Treffen gar nicht.


    „Ja... Das kann ich dir auch nicht verübeln. Ich bin mir ja selber nicht sicher, ob wir hier das Richtige tun und was das soll...“

    Gerkhan spielte nervös mit dem Handy in seiner Hand. Dabei behielt er die Umgebung genauestens im Auge.

    Er wusste einfach nicht was er von der plötzlichen Entwicklung und der Bitte um ein Treffen halten sollte.

    Der Aussicht, dass er in sehr naher Zukunft seinen totgeglaubten, guten Freund, nach fünf Jahren wiedersehen würde, machten ihn zusätzlich nervös.


    „Ich glaube da kommt er...“ Ben deutete im Spiegel auf einen schwarzen Audi A6, der auf sie zufuhr und keine vier Meter hinter ihnen parkte.


    Während Semir schwer und nervös schluckte, entsicherte Ben seine Waffe. Man konnte ja nie wissen... Vielleicht war das hier auch eine Falle.


    „Bleib bitte kurz sitzen...“ Die Bitte seines Partners schmeckte ihn auch nicht wirklich, aber er konnte es nachvollziehen, weswegen Ben knapp nickte. Bei dem kleinsten Indiz, das etwas nicht stimmte, würde er aber sofort eingreifen!

    Semir atmete noch einmal tief ein und öffnete dann die Beifahrertür, durch die er dem Auto entstieg.

    Im Rückspiegel beobachtete Ben, wie auch die Fahrertür des Audis geöffnet wurde und der Mann, den er auf dem Foto in ihrem Büro gesehen hatte, stieg aus.





    Auch wenn er ihm zwar schon vor zwei Tagen begegnet war, war diese Begegnung ohne Maske, etwas ganz anderes und Semir konnte es noch immer nicht so richtig glauben!


    Aber da stand er, keine drei Meter von ihm entfernt und quick lebendig:


    André Fux!


    Und er hatte sich kaum verändert.


    Genau wie er selber war natürlich auch André ein wenig älter geworden, aber die Veränderung hielt sich eindeutig in Grenzen.

    Die Haare waren etwas länger als vor fünf Jahren aber seinen Drei-Tage-Bart trug er noch immer wie damals. Seine Haut hatte ein wenig mehr Farbe und schien Sonnen verwöhnt zu sein.


    „Semir...“


    „André...“


    „Du schaust gut aus.“


    „Das kann ich nur zurückgeben... Vor allem für einen Totgeglaubten.“ Fux schmunzelte, wandte sich dann jedoch ab, um eine der hinteren Türen des Autos zu öffnen.

    Diese Aktion rief Ben auf den Plan, der blitzschnell die Fahrertür des Mercedes aufstieß und sofort nach seiner Waffe griff, nur um diese umgehend wieder sinken zu lassen, als er sah, wen Fux da von der Rückbank hob.


    „Leo!“, stieß Semir auch schon ungläubig aus und stürmte sofort zu dem Mädchen, das recht fröhlich in seine Richtung sah und auf ihn zuging.

    „Hallo Onkel Semir!“


    Jäger sah ehrlich verwirrt von Leonie zu Semir, der sie soeben hochhob und dann zu André Fux, der mit den Händen in der Hosentasche zufrieden beobachtete, wie die Kleine Semir begrüßte. Was bitte geschah hier?!

    Ben war natürlich unendlich erleichtert, das dem Mädchen nichts passiert war und man sie offenkundig gut behandelt hatte, aber woher kam der plötzliche Sinneswandel sie einfach wieder frei zu lassen?


    „Leonie geht es dir gut?“ Gerkhan musterte sie kritisch, konnte aber keine Anzeichen dafür finden, das man ihr etwas getan hatte.


    „Ja... Aber die Masken-Männer waren doof! Aber dann haben André und ich ein Flugzeugbuch angeguckt! Und eins mit Baggern. Das durfte ich sogar mitnehmen!“ Sie deutete auf das recht große Bilderbuch, das Fux von der Rückbank des Audis holte und ihr reichte.


    „Es gibt Schaufelbagger die so groß wie Häuser sind!“ Als sie das sagte, hatte Leo ein begeistertes Leuchten in den Augen, was Semir ungemein erleichterte zur Kenntnis nahm.


    Nein, ihr ging es offensichtlich gut!


    Ben war in der Zwischenzeit auf seinen Vor-Vorgänger zugegangen und hatte sich vorgestellt.


    „Ich bin Ben Jäger, Semirs Partner. Und ich glaube das sie uns schleunigst einiges erklären sollten!“ Der Ton des jungen Polizisten war noch immer ein wenig unterkühlt, da er dem anderen noch immer nicht ganz traute.


    „Ja, das habe ich vor!“ André nickte ernst. „Es ist alles ein wenig anders, wie ihr vermutlich denkt.“ Er sah von Ben zu Semir. „Und ich brauche dringend eure Hilfe!“


    Die Kommissare warfen sich einen erstaunten, zugleich fragenden Blick zu, ehe Ben sarkastisch sagte: „Sollen wir ihnen bei ihrem nächsten Bruch helfen?“


    „Ganz sicher nicht!“ Fux klang leicht verärgert, sagte dann aber ruhiger:


    „Hört mir bitte einfach nur zu. Es geht hier nicht um mich, sondern um das Leben eines 10-jährigen Jungen.“ Das ließ sowohl Ben als auch Semir sofort hellhörig werden.


    Das was sie dann in den nächsten fünf Minuten zu hören bekamen, entsetzte sie und machte sie zugleich unglaublich wütend.

    Außerdem erklärte es in der Tat so einiges!

    Sie erkannten aber sofort, dass es vermutlich nicht genügen würde, wenn sie ihre Hilfe anboten. Dafür würden sie mehr Hilfe brauchen.

    Das allerwichtigste war es jetzt aber erst einmal Leonie nach Hause zu bringen! Dort konnten sie dann auch gleich mit der Chefin reden.


    „Leo, fährst du mit Ben mit?“ Semir wollte sich während der Fahrt ungestört mit seinem Ex-Partner unterhalten, weswegen er den Audi fahren würde.


    „Ja! Können wir mit Tatütata fahren? Und ganz schnell?!“ Leo sah Ben begeisterte an, der sie jetzt hochhob und zu seinem Dienstwagen ging.


    „Na klar! Mit Tatütata, Blaulicht und ganz schnell!“



    I dance in tune with what I fear,

    To do adrenaline!

    Cause' it's overrated how we underrate!

  • 14. April 2004


    Köln-Marienburg: Wohnung der Chefin, 15:00 Uhr



    Holger Engelhardt stand verloren in der Küche seiner älteren Tochter und war dabei einen Kessel mit heißem Wasser für Tee aufzusetzen.


    Einfach um irgendetwas zu tun.


    Das Warten und die Ungewissheit machten ihn wahnsinnig! Und er wusste nicht, was er noch machen konnte.

    Die Sorge und Angst um seine Enkelin war schon schlimm genug und kaum zu ertragen. Seine Tochter momentan so zu sehen und zu wissen, dass er kaum etwas tun konnte, um ihr zu Helfen oder die Situation erträglicher zu machen, zerriss ihm jedoch das Herz in der Brust!


    Für ihn war es sehr viel einfacher gewesen, im Kindergarten mit Annas Tränen und ihrem bitterlichen Flehen, das sie ihr Kind wiederhaben wolle, umzugehen, als mit dem Schweigen und der kompletten Lethargie, in die seine Tochter eingetaucht war, seit sie die Wohnung betreten hatten.

    Sie weinte nicht mehr und bewegte sich auch sonst so gut wie gar nicht. Seine Tochter saß einfach nur völlig regungslos auf der Couch im Wohnzimmer und starrte aus einem der Fenster. Ihre Beine hatte sie dabei fest an den Körper gezogen und umklammerte sie mit einem eisernen Griff.

    In der linken Hand hielt sie eins von Leonis Plüschtieren, ein mittelgroßer Stoff-Adler, der auf der Couch gelegen hatte.

    Auf seine letzte Frage, ob er irgendetwas tun könne, hatte sie gar nicht erst geantwortet, oder sie vermutlich nicht einmal gehört, schien sie doch im Augenblick in einer ganz anderen Welt zu sein.


    Holger schluckte schwer.


    Derart versteinert und in sich gekehrt hatte er Anna zuletzt erlebt, als er ihr vor bald 22 Jahren mitteilen musste, dass die Mutter nicht mehr am Leben war.

    Maria Engelhardt war im Juli 1982 von einem Betrunkenen angefahren worden und noch am Unfallort ihren schweren Kopfverletzungen erlegen.


    Er selber war an diesem Morgen gerade erst von einer fünftägigen Kette aus Nizza gekommen und in Frankfurt gelandet, als ihn im Crew-Keller der Anruf der Kölner Polizei erreicht hatte, die ihm die dramatischen Neuigkeiten mitteilte.

    Er konnte sich bis heute kaum an die Fahrt von Frankfurt nach Köln erinnern, wusste nur noch, dass er mehrfach geblitzt worden war und um ein Haar seinen Führerschein hätte abgeben müssen.


    Nachdem er die jüngere Tochter aus der Grundschule geholt hatte, war er noch am selben Nachmittag nach Münster an die Polizeiakademie gefahren, wo Anna zu dem Zeitpunkt ihr erstes Ausbildungsjahr fast hinter sich gebracht hatte und kurz vor dem ersten Praktikum auf einer Wache stand, um ihr persönlich zu sagen, was geschehen war.

    Er hatte ihr sofort ansehen können, dass sie wusste, das etwas passiert sein musste, als sie aus der letzten Unterrichtseinheit des Tages geholt worden war und auf die Stube gebracht wurde, wo der Vater wartete.

    Genau wie jetzt war sie völlig still geworden und hatte weder geweint noch sonst irgendeine Reaktion gezeigt.


    Sie hatte nach der Beerdigung das Jahr in Münster abgeschlossen und dann durchgesetzt, dass sie die nächsten zwei Jahre ihrer Ausbildung an der Akademie in Köln absolvieren konnte, um zu Hause für die jüngere Schwester dazu sein.

    Er hätte damals nicht gewusst was er ohne sie gemacht hätte, da er durch seinen Beruf nun mal recht viel unterwegs war und erst kurz vorher sein Upgrade zum Kapitän bekommen hatte.




    Als Anna ihm vor fünf Jahren aus heiterem Himmel eröffnet hatte, dass sie schwanger sei und die Umstände, wie es dazu gekommen war, vielleicht nicht ganz ideal waren, hatte für ihn sofort festgestanden, dass er jetzt genauso für sie da sein und sie unterstützen würde, wie sie es damals bei ihm und Christina getan hatte.

    Und so hatte er Ende 2000 das Angebot der Lufthansa, noch ein weiteres Jahr für sie zu fliegen, abgelehnt, um sich um seine Enkelin kümmern zu können und Anna so die Möglichkeit gegeben in Ruhe wieder anzufangen zu Arbeiten. Da er eh schon vier Jahre länger gearbeitet hatte, als ein Großteil seiner Kollegen, die bereits mit 55. in Rente gegangen waren, war dies überhaupt kein Problem gewesen.

    Hin und wieder arbeitete er jetzt noch als Fluglehrer für die Lufthansa und bildete Kollegen auf der Boeing 747 im Simulator aus. Ein netter Zeitvertreib, der zudem fürstlich bezahlt wurde.


    Das schrille Pfeifen des Wasserkessels riss Engelhardt Senior aus seinen Gedanken und er zog ihn eilig vom Herd.

    Etwas unentschlossen, welchen Tee er eigentlich aufgießen wollte, stand er vor dem Schrank in dem Anna diverse Teesorten aufbewahrte.

    Er entschied sich schließlich für eine Kräuterteemischung und machte zwei Tassen fertig. Mit beiden Tassen in den Händen ging er danach zum Sofa, auf dem seine Älteste noch immer vollkommen regungslos saß.


    „Anna, du solltest vielleicht wenigstens etwas trinken...“, sagte Holger vorsichtig und hielt ihr eine der Tassen hin.

    Sie griff danach, ohne ihn anzusehen und stellte die Tasse umgehend auf den gläsernen Couchtisch ab, ehe sie wieder dieselbe Position wie zuvor einnahm und weiter aus dem Fenster starrte.



    Dass sie das tat, lag vorwiegend daran, dass sie im Moment vollkommen gelähmt war und in einem unbarmherzigen Strudel aus Angst, Ungewissheit, Verzweiflung und kompletter Machtlosigkeit gefangen war.

    Sie kannte die Statistiken und wusste, dass es mit jeder Stunde, die verstrich, unwahrscheinlicher wurde, dass sie Leonie lebend wiedersehen würde.


    Verdammt noch mal!

    Sie war Polizistin und konnte nichts für das eigene Kind tun! War zu Untätigkeit verdammt worden!


    „Es wird alles gut werden…“, hatte Neumann ihr versichert, bevor ein Streifenwagen sie und ihren Vater nach Hause gebracht hatte.


    Wie oft hatte sie diesen Satz selber schon zu Angehörigen gesagt, nur um ihnen etwas später mitteilen zu müssen, dass gar nichts mehr gut war und sich ihr Leben grundlegend und auf meist grausame Art und Weise verändert hatte...

    Das Wissen, dass die Möglichkeit bestand, dass der leibliche Vater ihrer Tochter, auch wenn er vollkommen unwissend war, zu der Band gehörte, die hinter der Entführung steckte, trieb sie noch tiefer in den Wahnsinn.


    Anna hatte das Gefühl, auf ganzer Linie vollends versagt zu haben.

    Als Polizistin und in dem Moment noch viel schlimmer: Als Mutter.

    Sie hatte ihr eigenes Fleisch und Blut nicht ausreichend vor dem Bösen dieser Welt beschützt!


    Dass Leonie ein Unfall und nicht geplant gewesen war, hatte überhaupt nichts daran geändert, dass sie von der ersten Sekunde an gewollt war. Auch wenn sie im ersten Moment, als es keinen Zweifel mehr darangegeben hatte, dass sie schwanger war, durchaus etwas geschockt gewesen war, da ein Kind eigentlich nicht mehr auf ihrer Agenda gestanden hatte.

    Aber sie hatte die neue Herausforderung trotz der nicht unbedingt perfekten Umstände angenommen und war spätestens von dem Moment an Feuer und Flamme gewesen, als sie das erste Mal den Herzschlag des kleinen Wurms gesehen und gehört hatte.


    Auch wenn es abgegriffen und stereotyp klag:

    Leonie hatte sie vom ersten Moment an, als sie in ihr Leben getreten war, zu einem besseren Menschen gemacht.

    Die Vorstellung, dass sie den jetzt wichtigsten Teil ihres Lebens verlieren könnte, war unerträglich und Anna wusste nicht, ob ihr Leben dann überhaupt noch einen Sinn hätte.



    I dance in tune with what I fear,

    To do adrenaline!

    Cause' it's overrated how we underrate!

  • 14. April 2004


    Wohnung der Chefin, Köln Marienburg, 15:10Uhr




    „Anna! ANNA!“ Es dauerte eine ganze Weile, bis sie aus ihrem tranceartigen Zustand zurück in die Realität fand.

    Sie blinzelte mehrfach und war überrascht, dass ihr Vater breit lächelnd vor ihr kniete, das Telefon in der Hand.


    „Anna sie haben sie! Deine Kollegen haben Leonie und sind auf dem Weg hierher!“


    Keine 30 Sekunden vorher war Holger an das Telefon gegangen, das seine Tochter nicht einmal hatte, klingeln hören.

    Nachdem er sich gemeldet hatte, war Semir am anderen Ende der Leitung sofort auf den Punkt gekommen und hatte ihm die guten Neuigkeiten mitgeteilt.


    „Anna, sie haben Leonie! Sie ist in Sicherheit!“ Wiederholte Holger, da er sich nicht sicher war, ob sie ihn beim ersten Mal verstanden hatte.


    Das hatte sie, konnte aber nicht glauben was sie da hörte!


    „Semir Gerkhan und Ben Jäger haben Leonie gefunden und sind schon auf dem Weg hier her! Sie müssten jeden Moment hier ankommen!“


    Anna löste sich wie in Zeitlupe aus ihrer Erstarrung und setzte sich auf dem Sofa aufrechter hin

    Schon im nächsten Augenblick hatte der Vater sie in eine erleichterte Umarmung gezogen. Es war deutlich zu sehen, dass auch von ihm eine enorme Last abfiel.

    Die Chefin ließ die Stirn gegen seine Schulter sinken und hatte zum ersten Mal, seit sie am Morgen erfahren hatte, dass Leonie verschleppt worden war, das Gefühl wieder richtig Luft holen zu können.


    Als der auffällige Schein von blauem Blitzlicht in der Straße vor dem Haus zu sehen war, gab es für Anna kein Halten mehr!

    Nur auf Socken rannte sie aus der Wohnung, hinaus in den Flur und von dort weiter über den schmalen Weg, der zum Haus führte, bis auf den Gehweg.

    Als sie dort ankam, hatte Ben Leonie gerade aus seinem Dienstwagen gehoben.



    „LEONIE!“ Annas Stimme klang noch immer gehetzt und eine Nuance höher als normal. Jäger konnte gar nicht so schnell gucken, wie seine Chefin die Tochter wieder hochgehoben hatte und fest in ihre Arme schloss.

    Den Tränen der unendlichen, unbeschreiblichen Erleichterung, ließ sie dabei freien Lauf.

    Drückte die Vierjährige so fest es ging an sich, während sie mit einer Hand durch deren Haare fuhr und sie wieder und wieder küsste. Außerdem tastete Anna mit ihrem Blick sorgsam Leos Gesicht und Augen ab, auf der Suche nach Anzeichen, das es ihr nicht gut ging.

    Zu ihrer weiteren Erleichterung fand sie die aber nicht.


    „Mein Schatz, ich bin so froh dich wiederzuhaben!“


    „Weil ich weg war...? Musst du deswegen weinen?“ Leonie schien die Situation nicht ganz zu verstehen und wirkte etwas unschlüssig.


    „Nein, ich weine, weil ich so glücklich bin das du da bist...“ Daraufhin lächelte das Mädchen, auch wenn es offensichtlich war, dass sie noch immer nicht ganz begriff was hier vor sich ging.

    Die Chefin sah jetzt, mit einem unendlich dankbaren Ausdruck in den Augen, zu Ben.


    „Ben ich weiß nicht, wie ich ihnen danken kann...!“


    Jäger hob sofort abwehrend die Hände. „Oh nein, nein, nein! Das ist ganz sicher nicht nötig! Das war selbstverständlich!“


    „Mama, Ben ist ganz schnell und mit Tatütata gefahren!“ Leonies Augen leuchteten begeisterte und sie schien völlig vergessen zu haben, dass es erst wenige Stunden her war, dass sie von maskierten Männern verschleppt worden war. „Können wir das auch mal machen? Mit Tatütata fahren?“



    ***


    Semir hatte den Audi, mit André auf dem Beifahrersitz, ein ganzes Stück hinter dem Dienstwagen seines Kollegen geparkt.

    Von dort hatten sie mit gebührendem Abstand das Wiedersehen von Mutter und Tochter beobachtet.

    Während der Fahrt hatte André seinem ehemaligen Partner bereits einen kurzen Überblick über die letzten fünf Jahre seines Lebens gegeben.

    Ein Seitenblick verriet Semir jetzt, dass Fux das schlechte Gewissen überdeutlich ins Gesicht geschrieben stand. Zeitgleich schien er die Situation fasziniert zu beobachten.


    Und genau das tat er auch.


    Schon von Weitem konnte André sehen, dass sich seine ehemalige Chefin in den letzten Jahren verändert hatte. Auch wenn er seit gestern wusste, dass sie ein Kind hatte, hatte er sie sich nicht so richtig als Mutter vorstellen können. Das passte irgendwie nicht zu der Frau, an die er sich mehr und mehr erinnerte und mit der er zusammengearbeitet hatte.


    Diese Einschätzung musste er allerdings umgehen revidieren.


    Die Frau die da gute 20 Meter vor ihm auf dem Gehweg stand, passte wunderbar in diese Rolle und schien voll und ganz in ihr aufzugehen.

    Erst jetzt bemerkte Fux, das Gerkahn in interessiert beobachtete. Also räusperte er sich und sagte:


    „Ich will wirklich nicht drängen, aber wir haben nicht mehr viel Zeit...“ Semir nickte und öffnete auch schon die Tür. „Wie gesagt: Warte erst einmal hier. Ich melde mich dann.“

    Damit stieg er aus und ging hinüber zu der kleinen Gruppe, die sich langsam anschickte ins Haus zurückzugehen.


    Erst als sie Semir auf sich zukommen sah, bemerkte die Chefin, dass er nicht mit bei Ben im Auto gesessen hatte. Ein wenig verwirrt sah sie jetzt in seine Richtung.


    „Semir, wo kommen sie denn her...?“


    „Chefin können wir hereingehen? Ich weiß das es jetzt vermutlich der schlechteste Zeitpunkt überhaupt ist... Aber wir müssen dringend mit ihnen sprechen.“


    I dance in tune with what I fear,

    To do adrenaline!

    Cause' it's overrated how we underrate!

  • 14. April 2004


    Köln Marienburg, Wohnung der Chefin 15:15 Uhr




    In der Wohnungstür wartete Holger Engelhardt bereits ungeduldig darauf, seine Enkelin ebenfalls in die Arme schließen zu können.

    Während er genau das tat, nachdem die Gruppe in die Wohnung getreten war, ging Anna kurz ins Badezimmer, wo sie sich mit kaltem Wasser versuchte, die Spuren der letzten Stunden, so gut es ging von ihrem Gesicht zu waschen.

    Der Erfolg hielt sich jedoch in Grenzen, aber immerhin sah sie jetzt nicht mehr aus wie ein Panda. Und das kalte Wasser tat ihr gut!

    Allerdings konnte das kühle Nass nichts, gegen das noch immer vorhandene Zittern ihrer Hände tun.

    Der Schreck und die ausgestandene Angst steckte ihr noch immer tief in den Knochen. Auch wenn sie Leonie wieder hatte und die Tochter im Augenblick im Wohnzimmer unbeschwert plappern hörte, fühlte Anna deutlich, dass die Anspannung nur ganz langsam nachließ und ihr Herz noch immer raste.


    Sie griff nach einem Handtuch und während sie sich das Gesicht und die Hände abtrocknete, fing auch ihr Kopf langsam wieder an normal zu denken.

    Es gab unzählige ungeklärte Fragen, auf die sie schnellsten eine Antwort haben wollte.

    Und sie konnte sich vorstellen, dass Semir und Ben einige dieser Antworten bereits hatten.

    Bevor sie zurück ins Wohnzimmer ging, wo Ben, Semir und ihr Vater noch immer den Erzählungen ihrer Tochter lauschten, stoppte sie kurz im Schlafzimmer, wo sie die Bluse vom Morgen, die von ihrem verlaufenen Mascara unschöne dunkle Flecken am Kragen aufwies, gegen ein schlichtes, weißes Sweatshirt mit V-Ausschnitt tauschte.

    Im selben Aufwand wechselte sie auch gleich noch die Socken, die von ihrem Ausflug nach draußen, dreckig und unangenehm feucht waren.

    Mit gestrafften Schultern trat die Chefin schließlich ins Wohnzimmer, wo Semir und Ben schon ungeduldig warteten, ihr aber die Zeit zum Durchatmen gegeben hatten.


    „Leo, hast du Hunger?“ War allerdings ihre erste Frage, die mit einem heftigen Nicken beantwortet wurde.


    „Soll dir der Opa was zu essen machen?“ Dabei warf sie Holger einen bittenden Blick zu, den dieser mit einem breiten Lächeln beantwortete.


    „Auja! Können wir Milchreis machen, bitte?“ Anna hatte eigentlich an etwas anderes, vernünftiges, gedacht, sagte aber dieses Mal nichts dazu.


    „Na sicher doch! Mit Zimt und Zucker?“ Während Opa und Enkelin in die offene Küche gingen, deutete die Chefin auf eine Tür zu ihrer rechten, die vom Wohnzimmer ab ging.


    „Gehen wir in mein Arbeitszimmer? Ich denke nicht, dass das, was sie mir zu erzählen haben, für Kinderohren geeignet ist, oder?“


    Ben und Semir nickten eifrig. Nein, das war es ganz sicher nicht!


    ***


    „Chefin, da ist einiges nicht ganz so wie wir gedacht haben...“ fing Semir schließlich an, nachdem er und sein Partner auf dem Zweiersofa, das im Arbeitszimmer stand, Platz genommen hatten.

    Soviel hatte sie sich schon selber gedacht, sagte aber nichts dazu.


    „Das waren nicht einfach nur Raubüberfälle, bei denen es darum ging, sich zu bereichern. Und auch das die Bande Leonie entführt hat, war eine pure Verzweiflungstat, die sie sehr schnell bereut haben...“


    Anna hatte keine Ahnung wovon Semir da sprach, der letzte Satz brachte ihr Blut jedoch zum Kochen, ohne das sie es verhindern konnte. Der Schreck und die Angst wurden peu à peu von Wut abgelöst.

    Es war ihr egal, warum jemand ihr Kind verschleppt hatte. Alleine die Tatsache das sie es getan hatten, zählte! Und dafür würden sie büßen!

    Gerkhan war bei seinen nächsten Worten recht nervös und er wusste nicht so ganz wie er das Nächste am besten formulieren sollte.


    „Chefin, ich glaube, das Ganze sollte ihnen jemand anderes erklären. Er war es auch, der Leo so schnell zu uns gebracht hat.“


    Die Engelhardt kniff argwöhnisch die Augen zusammen, bis sie begriff!


    Natürlich... Fux!


    Bevor sie weiter darüber nachdenken konnte fuhr Gerkhan fort:


    „André hat in den letzten Tagen angefangen sich zu erinnern. Er weiß wieder einigermaßen wer er ist, und wer wir sind. Und ich kann ihnen garantieren, dass er mit der Entführung nichts zu tun hatte! Im Gegenteil: Als er davon erfahren hat, hat er alles versucht, um es zu verhindern.“ Er zuckte mit den Schultern. „Aber da war es schon zu spät.“

    Es war deutlich zu sehen, dass die Leiterin der Autobahnpolizei große Mühe hatte, das Gehörte in den Kopf zu bekommen.


    „Es wird leichter zu verstehen, wenn sie die ganze Geschichte kennen.“ Erklärte Ben und sein Partner nickte bekräftigend.


    „André wartet ganz in der Nähe. Wenn das für sie in Ordnung ist, dann würde ich ihn anrufen und...“ Der kleine Polizist brach ab, da der Ruck, der durch den Körper seiner Vorgesetzten ging und deren weit aufgerissenen Augen, eine eindeutige Sprache sprachen.


    „Chefin... Ich weiß das das alles nicht einfach ist... Aber es geht hier wirklich um viel...“ Unternahm Semir einen letzten Versuch.


    „Es geht um das Leben eines 10-jährigen Jungen.“ Sagte Jäger und hatte damit ihren letzten, wenn man es so nennen wollte, Trumpf ausgespielt.


    Die Worte gaben letztlich tatsächlich den entscheidenden Ausschlag. Auch wenn es ihr ganz und gar nicht passte, seufzte Anna schwer und nickte Semir zu.

    „Also schön, rufen sie ihn an.“


    ***


    André fragte sich, ob er in seinem Leben jemals so nervös gewesen war, wie in diesem Moment, als er die Treppen in den ersten Stock hinauf ging.

    Als er nach der Hälfte um die Ecke bog und den Blick hob, hätte er aus Reflex beinahe kehrt gemacht.


    Anna Engelhardt stand mit vor der Brust verschränkten Armen in der Tür zu ihrer Wohnung und starrte ihn mit einem Ausdruck an, den er überhaupt nicht zu deuten wusste.

    Er glaubte, neben anderen Dingen, Unglauben, Überraschung, Unbehagen und Wut zu erkennen, war sich jedoch nicht sicher.

    Er schluckte schwer und mit jedem Schritt, den er näher auf sie zuging, schlug sein Herz wilder gegen seine Rippen.


    Und dann stand er keinen Meter von ihr entfernt, während sie ihn zu mustern schien und keine Anstalten machte beiseite zu treten, um ihn in die Wohnung zu lassen.

    Er hatte seine ehemalige Vorgesetzte zwar vorhin schon von Weitem gesehen, nutzte die Zeit aber um sie von Nahem zu betrachten.

    Auch äußerlich hatte sie sich verändert. Die dunklen Haare waren deutlich länger und fielen in lockeren Stufen ein ganzes Stück über ihre Schultern.


    Auch wenn sie, wie sie alle, älter geworden war, wirkten ihr Gesichtszüge entspannter und weicher.

    Zudem wirkte sie insgesamt wesentlich agiler und frischer und auch die Kleidung war lockerer und nicht mehr so zugeknöpft.


    Er kam nicht umher festzustellen, dass sie gut aussah.


    Das Einzige, was sich nicht verändert hatte, waren ihre Augen, die ihn noch immer abschätzend musterten.

    Fux räusperte sich nervös und brachte schließlich ein „Hallo...“ hervor. Er grinste unbeholfen. „Ist eine ganze Weile her...“

    Der letzte Satz bewirkte das die Brauen der Chefin gen Haaransatz wanderten und sie mit einem leichten Kopfschütteln schließlich beiseite trat, dass er in die Wohnung treten konnte.


    Als Leonie André erspähte, winkte sie ihm kurz zu und sagte: „Hallo André...“

    Holger Engelhardt glaubte unterdes nicht richtig zu sehen und ihm klappte die Kinnlade herunter, da er natürlich wusste, wer da soeben die Wohnung betreten hatte. Und dass es eigentlich nicht hätte möglich sein sollen!


    „Ich erklär dir das später...“, murmelte seine Tochter im Vorbeigehen, woraufhin er mit, noch immer offenstehendem Mund, nickte.


    Auf die Erklärung, warum der eigentlich tote Erzeuger seines Enkelkindes plötzlich lebendig hier auftauchte, war er mehr als gespannt!

    Und noch viel interessanter war, dass eben jene Enkelin ihn auch noch zu kennen schien!

    Die auf dem Herd überkochende Milch holte ihn schließlich aus seiner Erstarrung und er zog eilig den Topf vom Herd.


    Was zum Henker ging hier vor sich?!


    I dance in tune with what I fear,

    To do adrenaline!

    Cause' it's overrated how we underrate!

  • 14. April 2004


    Wohnung der Chefin, Köln Marienburg, 15:30 Uhr



    Anna hätte vor Nervosität aus der Haut fahren können, während sie in der Wohnungstür stand und hörte, wie eine Etage tiefer die Haustür ins Schloss fiel.

    Sie hörte die Schritte näherkommen, verschränke fest die Arme vor der Brust um nicht nervös mit den Händen zu spielen

    Dabei fühlte sie deutlich den Herzschlag in ihrer Brust und 1000 Fragen jagten durch ihren Kopf.


    Wie würde er auf sie reagieren?


    Wie würde er jetzt aussehen?


    An was konnte er sich erinnern?

    Wusste er, dass sie vor fünf Jahren zusammen im Bett gelandet waren? Und wenn, hatte er vielleicht sogar schon Schlüsse bezüglich Leonie gezogen…?


    Und dann trat ihr totgeglaubter Kollege um die Ecke und die Chefin fühlte, wie ihr Herz einen kleinen Satz machte.


    Sie konnte nicht leugnen, dass sie sich unglaublich freut, ihn tatsächlich gesund und munter auf sich zukommen zu sehen. Zeigen, konnte sie es in dem Moment jedoch nicht, so nervös und unsicher war sie augenblicklich.

    Ihn genau zu mustern, ließ sie sich dann aber doch nicht nehmen.

    Er sah nicht viel anders aus, als vor fünf Jahren. Die Haut hatte ein bisschen mehr Farbe und seine Haare waren ein klein wenig länger. Ansonsten war er genau der Mann, an den sie sich erinnerte.

    Als er sie ansprach, hob sie überrascht die Augenbrauen und versuchte die Überraschung abzuschütteln, brachte aber keinen Ton heraus. Stattdessen trat sie einfach nur bei Seite und ließ André in die Wohnung.




    Kurz darauf war die Luft im Arbeitszimmer zum Zerreißen gespannt und Ben Jäger sah nervös zwischen den drei Anderen hin und her, darauf wartend, dass einer von ihnen den ersten Schritt wagte.

    Momentan beäugten sie sich jedoch einfach nur kritisch und jeder schien sich seinen eigenen Teil zu denken.

    Er wusste nicht was es war, aber Ben spürte, dass es hier noch um etwas anderes ging als die Tatsache, dass man sich nach fünf Jahren zum ersten Mal wiedersah. Und das, nachdem man geglaubt hatte, sich in dieser Konstellation nie wiederzusehen. Schon gar nicht unter diesen Umständen!

    Nein, da war noch etwas anderes, was jetzt jedoch warten musste und unausgesprochen zwischen ihnen hang.


    „Semir sagte, dass sie uns etwas zu erzählen haben?“ brachte Anna schließlich hervor und sie fühlte wie umgehen wieder Wut in ihr aufstieg, der die Freude über das Wiedersehen ganz krass dämpfte. Was auch deutlich zu hören war, als sie weitersprach:


    „Ich bin ganz Ohr, da es mich wirklich brennend interessiert, wie es dazu gekommen ist das meine Tochter heute Morgen aus ihrem Kindergarten entführt wurde!“ Sagte sie mit schneidender Stimme, die keinen Zweifel daran ließ, dass in ihren Worten auch eine eindeutige Drohung mitschwang.


    Weder Semir noch André entging dabei die unmissverständliche Betonung die auf ‚meine Tochter‘ lag. Fux schluckte zusätzlich.

    Oh ja, Mama-Bär war noch immer stinksauer und sinnt nach Rache...


    Deswegen fing er damit an zu beteuern, dass er nichts von dem Plan gewusst hatte, Leonie zu entführen und er ganz sicher nicht von ihm gestammt hatte!

    Er erzählte auch in knappen Worten, dass er es wegen der Migräne Attacke, ausgelöst durch die zurückkommenden Erinnerungen, nicht hatte verhindern können, was ihm zutiefst leidtat.

    Seine ehemalige Chefin schien ihm zu glauben und er atmete innerlich ein wenig auf. Vermutlich würde sie ihm, fürs Erste, nicht an die Kehle gehen.

    Zu mindestens hoffte er das.



    „Ich habe die letzten fünf Jahre in Montpellier verbracht und für Albert Berthold als eine Art Bodyguard für dessen Frau Camille und den gemeinsamen Sohn Arnaud gearbeitet. Berthold war es auch, der mich aus dem Meer gefischt hat, nach dem das auf Mallorca passiert ist. Wie Semir schon gesagt hat, konnte ich mich all die Jahre an nichts erinnern, was vor dem Unfall passiert ist. Die Erinnerung hat erst langsam eingesetzt, als ich vor knapp zwei Wochen hier nach Köln gekommen bin. Richtig schnell ging es dann, nachdem ich Semir begegnet bin.“


    „Das ist alles wirklich interessant, es erklärt aber noch nicht, wie sie dazu kommen plötzlich Schmuckläden auszuräumen, Fux!“ warf Anna ungeduldig ein.


    Der Angesprochene schaffte es nicht ein Schmunzeln zu unterdrücken. In dem Punkt hatte sie sich kein bisschen verändert.


    „Berthold ist ein ziemlich erfolgreicher deutscher Finanzexperte, der damit einen Haufen Kohle gemacht hat. Mir war es bis vor einem halben Jahr nicht so richtig bewusst, aber einige der Dinge, die er tut, sind wohl nicht ganz legal. Ich kenne mich damit nicht aus, denke aber das es um Insiderhandel geht, da er mit einem Hacker zusammenarbeitet. Mir war auch lange nicht bewusst, dass seine Geschäftspartner durchaus mit großer Vorsicht zu genießen sind. Ich weiß nicht was passiert ist, aber Anfang März diesen Jahres muss etwas fürchterlich schiefgegangen sein und Berthold hat das ihm anvertraute Vermögen eines Kunden nahezu komplett verloren, weil er sich verspekuliert hat.“


    „Von was für einer Summe reden wir hier?“, fragte Ben.


    „Mehrere hundert Millionen Euro.“


    Jäger stieß einen Pfiff aus. „Alter Schwede... Das ist eine Menge Knete!“ Dem konnten Semir und Anna nur beipflichten.


    „Allerdings... Es wird leider noch besser. Der Kunde, ein deutscher Bankier namens Richard Van Beust, ist auch nicht der eigentliche Besitzer des Geldes gewesen.“


    „Sondern wer?“, war es nun Semir der sprach.


    „Ein Chinesischer ‚Geschäftsmann‘ für den Van Beust das Geld waschen sollte. Nach allem was der Hacker, mit dem Berthold zusammenarbeitete, herausbekommen konnte, ist der Kerl Mitglied der chinesischen Mafia.“


    „Oh shit!“, entfuhr es Ben, ehe er etwas dagegen tun konnte.


    „Genau, sie sagen es! Als Van Beust mitbekommen hat, dass das Geld weg ist, hat er sofort zu überaus rabiaten Mittel gegriffen:


    Er hat Bertholds Sohn entführen lassen und gedroht das Kind zu töten, sollte er nicht innerhalb von drei Wochen die gesamte Kohle wiederbekommen.“ Fux schüttelte niedergeschlagen den Kopf.


    „Das ist natürlich viel zu wenig Zeit eine derartige Summe aufzutreiben, zumal Albert bei dem Deal im März selber einen beträchtlichen Teil seines Vermögens verloren hat. Und weil er sich nicht anders zu helfen wusste, hat er eine Truppe zusammengestellt und finanziert, die ihm die benötigte Summe in Form von Diamanten beschafft.“



    Die Chefin nickte bedächtig langsam begann sich ein Bild abzuzeichnen, das einiges erklärte...! Gefallen, tat ihr das Bild jedoch überhaupt nicht!

    „Wir müssen nicht darüber reden, dass das eine scheiß Idee war und ist, aber in Frankreich und Belgien sind die Überfälle ohne Probleme vonstattengegangen... An denen ich übrigens nicht beteiligt war!“ betonte er.


    „Warum dann hier in Köln?“, fragte Anna und sah ihn herausfordernd an. Fux zuckte mit den Schultern. „Weil ich gut Autofahren kann und die Sprache spreche.“ Daraufhin schnaubte Anna abfällig, sagte aber nichts weiter.


    „Glaube sie ich weiß nicht, dass das alles eine riesen Scheiße ist? Aber es geht hier verdammt noch al um einen 10-jährigen, der absolut nichts dafürkann und der als Motivation für seine Eltern mit Schlafentzug gefolterte wird!“ brauste André auf, hatte sich danach aber wieder recht schnell im Griff, als die drei ihn entsetzt anstarrten.


    „Ja... Er hat vor ungefähr einer Woche ein Video geschickt... Wenn ihr es sehen wollt, kann ich es besorgen.“


    Es war den Polizisten anzusehen, dass sie alle gut und gerne darauf verzichten konnten, es aber vielleicht in der Tat sehen müssten.


    „Wie auch immer... Es hat alles gut ausgesehen, dass wir die Steine zusammenkommen. Bis zu dem ersten Raub hier in Köln. Bei dem Juwelier waren viel weniger Diamanten im Safe als wir gedacht hatten. Und dann auch noch die Verfolgungsjagd...“ André sah zu seinem ehemaligen Partner. „Du hättest uns beinahe erwischt!“


    „Ja, hätte ich!“


    „Und wegen der fehlenden Diamanten, der zweite Raub hier in Köln, eine Woche später?“ warf Jäger ein.


    „So ist es. Van Beust hat Berthold eine Gnadenfrist eingeräumt. Er hatte bis Dienstagabend, also bis gestern Abend, Zeit, die Diamanten zu übergeben... Was aber natürlich nicht möglich war.“


    „Wie hat Van Beust darauf reagiert?“ Anna war bei der Frage unbehaglich, ahnte sie doch nichts Gutes...


    „Als er mitbekommen hat, dass es bei dem Überfall zu Komplikationen gekommen ist, hat er den Eltern einen abgeschnittenen Finger ihres Sohnes geschickt und gedroht, weitere Körperteile zu schicken, sollten alle Diamanten, nicht bis spätestens morgen Nacht bei ihm sind.“


    I dance in tune with what I fear,

    To do adrenaline!

    Cause' it's overrated how we underrate!

  • 14. April 2004


    Wohnung der Chefin, Köln Marienburg, 15:40 Uhr




    Die Chefin schnappte hörbar entsetzt nach Luft und auch Semir und Ben waren nicht weniger entsetzt!


    „Er hat was gemacht?!“ Ben konnte und wollte es nicht glauben!


    „Ja... Ich bin mir ziemlich sicher, dass Van Beust der Hintern auf Grundeis geht! Wenn die Triade spitzbekommt das er ihr Geld verloren hat, werden sie mit Sicherheit auch nicht zimperlich sein!“


    Fux sah jetzt Anna direkt an und erklärte:


    „Ich weiß das es nicht zu entschuldigen ist, aber Albert Berthold hat, nachdem er den Finger bekommen hat, in einer Panik- und Kurzschlussreaktion spontan entschieden Leonie zu entführen, weil er einfach nicht mehr weiterwusste. Und er hätte ihr niemals etwas getan. Ganz sicher nicht!“

    Sie nickte, durchaus mit ein wenig Verständnis im Blick.

    Aber es ändere nichts daran, dass sie Berthold vermutlich den Hals umdrehen würde, sollte sie ihm begegnen.


    „Gut... Wir wissen jetzt warum all die Dinge passiert sind... Aber was genau erwarten sie jetzt von uns?“ fragte die Chefin schließlich und traf den Nagel damit auf den Kopf.


    „Ich brauche eure Hilfe. Denn ich weiß nicht, wie wir Arnaud sonst finden sollen!“


    „Verstehe... Bevor wir uns darum kümmern, sollten sie mir allerdings sagen, was ich dem Kollegen Neumann vom LKA gleich erzählen werde, wo Leonie so plötzlich wieder hergekommen ist.“ Anna sah von einem der Männer zum anderen.

    Wenn sie die ganze Wahrheit sagen würde, würde man Fux umgehend verhaften und auch bei den Übrigen kurzen Prozesse machen.

    Entführtes Kind hin oder her.

    Dafür kannte sie das LKA mittlerweile gut genug und wusste das Neumann zwar ein netter Kerl war, mit dem sie gerne zusammenarbeitete, aber leider auch ein Bürokraten-Reiter.

    Semir sah zu André, während Ben sich geflissentlich raushielt. Das sollten die zwei Ex-Kollegen unter sich klären.




    Auch Anna wollte sich da nicht einmischen und verließ sogar den Raum. Am Tisch im Essbereich saß mittlerweile Leonie und löffelte den frisch gemachten Milchreis.


    „Mama magst du auch Milchreis? Ich habe geholfen den zu machen!“ Leo hielt ihr einen vollen Löffel entgegen, den sie dann natürlich auch probieren musste.


    „Das ist sehr lecker! Das hast du wunderbar gemacht. Darf ich noch einen Löffel haben?“ Dieses Mal griff sie allerdings selber nach dem Löffel und kratze unauffällig einen Großteil des Zuckers von der Oberfläche des Milchreis, während sie ihrem Vater einen leicht vorwurfsvollen Blick zuwarf. Bei der Menge Zucker würde das kleine Monster bis spät in die Nacht wach bleiben.

    Im nächsten Moment musste Anna jedoch selber mit dem Kopf schütteln. Das war heute eigentlich auch egal.

    Also setzte sie sich neben die Tochter und strich ihr gedankenverloren über den Kopf, währen Leonie weiter den Reis aß.


    „Habe ich da gerade richtig gesehen? Mir war als würde ein Geist durch deine Wohnung schleichen...“ Ihr Vater sah unschuldig drein.


    „Opa, es gibt doch gar keine Gespenster!“ Verkündete Leo sofort, sah dann aber doch fragend zur Mutter. „Da hast du recht mein Schatz. Gespenster und Geister gibt es nicht.“ Anna warf Holger einen mahnenden Blick zu, sagte dann aber doch:


    „Du hast schon richtig gesehen. Ich weiß selber erst seit knapp zwei Tagen, dass er am Leben ist und kann es noch immer kaum glauben...“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich kenne selber noch kaum Details... Er hat den Vorfall damals überlebt, aber seine Erinnerung verloren.“


    Holger nickte, fragte aber seinerseits: „Und warum ist er jetzt hier?“


    „Weil da im Hintergrund einiges passierte ist, was im Zusammenhang mit einem Fall steht an dem Semir und Ben gerade arbeiten. Ich kann dir dazu im Moment nicht mehr sagen, tut mir leid. Wenn ich es kann, werde ich dir alles erklären. Versprochen.“

    Wie auf Kommando trat Semir aus dem Arbeitszimmer und sah in ihre Richtung.




    Fünf Minuten später erklärte die Chefin dem LKA Kollegen, dass die Entführer allem Anschein nach, kalte Füße bekommen hatten und Semir hinter dem Rücke der LKA Beamten kontaktierte hatten.


    „Auf dem Parkplatz hat dann meine Tochter gestanden und gewartet. Gerkhan und der Kollege Jäger haben sie dann sofort nach Hause gebracht. Ich kann dir nicht sagen, was da passiert ist und was die ganze Nummer sollte. Leonie geht es gut und sie haben ihr nichts getan.“ Anna wusste selber, dass die Erklärung recht dürftig war und sie da ganz klar noch einmal nacharbeiten musste, für den Moment, reichte es und verschaffte ihnen hoffentlich genug Zeit.


    „Also schön. Wie soll es jetzt weiter gehen?“ Anna sah in die Herrenrunde vor sich, die nicht wirklich den Eindruck erweckten, dass sie schon eine Idee hatten.


    „Ich denke wir sollten mit Herrn Berthold und seiner Frau persönlich reden.“ Sagte Semir schließlich, nach einer etwas längeren Pause. „Lässt sich das Einrichten?“, die Frage war an Fux gerichtet.


    „Ja, ich denke schon.“ André zückte sein Handy und war schon dabei Bertholds Nummer zu wählen.


    I dance in tune with what I fear,

    To do adrenaline!

    Cause' it's overrated how we underrate!

  • 14. April 2004


    Bundesstraße 265 bei Brühl: 17:15 Uhr




    Eine halbe Stunde später steuerte Ben seinen Dienstwagen über die Landstraße hinter dem Audi A6, in dem Fux saß, her.

    Neben ihm saß Semir, der hin und wieder einen verstohlenen Blick in den Rückspiegel warf, wo er die Rückbank des Mercedes sehen konnte.

    Nach einer kurzen, aber hitzigen Diskussion hatte die Chefin durchgesetzt, dass sie mitkommen würde, was Semir für gar keine gute Idee hielt und auch Ben sich nicht sicher war, was er davon halten sollte.


    Man hatte deutlich gemerkt, dass die Engelhardt hin- und hergerissen war, da sie offensichtlich eigentlich lieber zu Hause bei der Tochter geblieben wäre.

    Allerdings wollte sie auch dem Mann in die Augen schauen, der es gewagt hatte ihr das Wichtigste im Leben zu nehmen. Auch, wenn es nur für einen Augenblick gewesen war.

    Ausschlaggebender Grund war letztlich jedoch der entführte Junge selber gewesen.

    Das Kind tat ihr unendlich leid und sie wusste, dass sie wohl jede nur erdenkliche Hilfe brauchen würden, wollte sie ihn rechtzeitig finden.


    Außer ihnen, war auch noch Hartmut auf dem Weg in die Villa in der Berthold und seine Leute residierten.

    Wobei es außer Camille und Albert Berthold nur noch der Hacker war, der sich in der Villa aufhielt. Die Übrigen hatten fluchtartig Villa und Land verlassen, als Fux von seinem Plan erzählt hatte die Polizei mit ins Boot zu holen.

    Aber die Juwelendiebe waren ihnen im Moment sowieso ziemlich egal.




    Villa am Stadtrand von Köln 17:30 Uhr



    Albert Berthold war unendlich nervös, als die zwei Wagen vor dem Haus zum Stehen kamen.

    Er wusste noch immer nicht, ob er da richtige tat oder nicht.

    Obwohl das jetzt eigentlich auch egal war, da er nichts mehr daran ändern konnte. Er betete, dass Renard, oder wie er auch immer hieß, wusste, was er tat.

    Berthold trat aus dem Haus und erkannte die drei Polizisten der Autobahnpolizei sofort, als sie aus dem Mercedes stiegen. Erst vor ein paar Minuten hatte er sich erneut kurz ihre Personalakten angesehen.

    Er musste unwillkürlich schlucken, als er sie jetzt auf sich zukommen sah. Insbesondere als sein Blick den von Hauptkommissarin Engelhardt traf.


    „Es tut mir leid! Ich wollte das nicht!“ sprudelte es sofort aus ihm heraus, aber auch diese Entschuldigung konnte das Nächste nicht verhindern.


    Ehe Semir, Ben oder André es verhindern konnten, hatte Anna dem Mann einem Schlag ins Gesicht verpasst, der sich durchaus sehen lassen konnte, ihm eine blutige Nase verpasste und ihn umgehend in die Knie gehen ließ.


    Schon in der nächsten Sekunde kniete die Polizistin neben ihm, die Waffe im Anschlag, sodass der Lauf nur wenige Zentimeter von Alberts Stirn entfernt war.


    „Du solltest André Fux auf Knien dafür danken, das er so schlau war mir meine Tochter so schnell wiederzubringen! Denn ansonsten wärst du jetzt ein toter Mann und dein Sohn seinem unschönen Schicksal geweiht!“ zischte Anna bedrohlich, während Semir und Ben völlig perplex danebenstanden, die Hände zwar an ihren eigenen Waffen, aber total unschlüssig was sie jetzt tun sollten.

    So kannten sie ihr Vorgesetzte beim besten Willen nicht!

    Im nächsten Moment sicherte Anna ihre Pistole jedoch schon wieder und stand auf.


    André hatte das Geschehen recht gelassen beobachtet und sagte mit vor der Brust verschränkten Armen:

    „Respekt für so eine Rechte! Geht’s jetzt besser?“ Die Chefin nickte langsam. Ja, das hatte in der Tat gutgetan. Auch, wenn ihre Hand bereits leicht anfing weh zu tun.


    Auch Berthold rappelte sich wieder vom Boden auf, sagte aber nichts zu dem kurzen Intermezzo, sondern wischte sich die blutende Nase mit dem Ärmel seines Pullis ab. Die kurze Abreibung hatte er wohl verdient...


    „Zeigen sie uns alles was sie über diesen Van Beust haben. Und wir müssen sehen, was er ihnen geschickt hat.“ Warf Semir ein, um so alle Anwesenden daran zu erinnern, warum sie eigentlich hier waren.



    ***



    Keine zehn Minuten nach ihnen tauchte auch Hartmut an der Villa auf und stand mit fragendem Blick vor seinen Kollegen.


    „Okay, was soll ich hier?“ Er wusste das hier schon wieder eine Aktion im Gang war, die ganz sicher nicht von Oben abgesegnet war und in die Kategorie: ‚Alleingang Autobahnpolizei‘ gehörte.


    Ben war es, der ihm erklärte, was passiert war und worum es ging. Hartmut hörte aufmerksam zu und bekam Augen groß wie Tennisbälle.

    Schließlich deutete er auf den Mann, der in dem großen Wohnzimmer vor mehreren Computerbildschirmen saß.


    „Dann ist das da Araignée? Der Hacker?“ Ben sah etwas verwirrt von Hartmut zu dem Mann am PC. War das etwa Ehrfurcht in der Stimme von Einstein?


    „Ja, das ist der Spinnen-Hacker...“ Freunds Augen wurden noch größer und Ben war sich jetzt sicher auch Ehrfurcht in seinem Blick zu sehen.


    „Soll ich ihm nach einem Autogramm für dich fragen?“, feixte Jäger, was dazu führte das Einstein mit glühenden Wangen den Kopf schüttelte. Bemüht die Schultern zu straffen, ging er doch noch recht schüchtern auf Araignée zu um am Tisch neben ihm sein eigenes, mitgebrachtes Equipment aufzubauen.


    Während Hartmut noch einen auf schüchternen Fan-Boy macht, gingen die drei Polizisten weiter die Informationen durch, die Berthold mithilfe von Araignée bezüglich Van Beust zusammengetragen hatte.

    Es war zwar durchaus einiges, aber bei der ersten Durchsicht fand keiner von ihnen einen wirklichen Ansatzpunkt wie genau sie an Van Beust herankommen konnten, ohne den Junge zu gefährden. Es gab auch überhaupt nichts zu einem möglichen Aufenthaltsort des Kindes.





    „Wir haben Van Beust versucht so gut es ging zu beschatten. Aber er selber scheint mit der Entführung von Arnaud nichts am Hut zu haben, sondern hat die Drecksarbeiten andere machen lassen. Wir haben aber nicht herausfinden können wen er damit beauftragt hat...“, erklärte André. „Und es ist nicht leicht an ihn heranzukommen, da er immer zwei Leute von seinem Wachschutz dabeihat. Plus seinen Fahrer“


    „Er muss mit den Leuten ja irgendwie in Kontakt treten. Kann euer Computer Genie sich nicht einfach in seinen PC hacken und E-Mails und sowas lesen?“ fragte Ben.


    „Hat er gemacht. Allerdings nur am privaten Computer. In das Firmennetzwerk ist er nicht reingekommen. Das ist extrem gut gesichert und hat keinen Ausgang an Externe Server. Darüber kann die Kommunikation also auch nicht stattgefunden haben.“ War es Hartmut, der aus dem Hintergrund antwortete.


    Er und Araignée unterhielten sich bereits recht angeregt und schienen Ideen auszutauschen.


    „Okay... Hast du eine Idee, Einstein?“


    „Wir denken beide, dass sie schlicht über Handy Kontakt halten. Da kommen wir aber nicht so einfach ran, da wir die Nummern nicht haben und es sich vermutlich um Pre-Paid-Modelle handelt.“


    „Was wäre, wenn sie an eins der Handys drankommen würden? Würde das helfen?“ war es nun die Chefin, die fragte.


    „Ja klar! Wir könnten es Klonen und mit den Nummern im Telefonbuch oder Wahlspeicher einiges anstellen, denke ich.“


    „Hmm... Und wie lange bräuchten sie, um ein Handy zu klonen?“ Hartmut tauschte sich kurz auf Englisch mit Araignée aus und sagte schließlich:


    „Circa zwei Minuten.“


    Anna nickte, während sie angestrengt nachdachte und dann fragend zu Fux und Berthold sah. „Während sie den Kerl beschattet haben... Wann hat Van Beust meistens Feierabend gemacht?“


    „Nie vor 19:00 Uhr.“


    „Und er fährt auf dem Weg nach Hause immer dieselbe Strecke?“


    „Ja, das tut er. Warum?“ André schien nicht ganz zu verstehen, auf was sie hinauswollte. Semir und Ben hingegen schon, weswegen Semir fragte:


    „Hartmut habt ihr alles Equipment, um ein Handy zu klonen da?“ Nach einer erneuten Absprache mit dem französischen Hacker nickte Einstein. „Ja, er hat alles!“


    „Habt ihr eine Ersatzkelle im Auto?“ Anna sah zu Ben.


    „Klar, steht ja so in den Vorschriften...“ Der junge Kommissar grinste.


    Jetzt begriff auch André was sie vorhatte zu tun. Clever!

    Sie waren nicht nah genug an Van Beust herangekommen. Für die Polizei würde es jedoch kein großes Problem darstellen.


    „Packen sie alles zusammen, was sie für das Klonen der Handys brauchen, Hartmut. Und dann kommen sie mit mir.“ An Fux gewandt sagte Anna. „Ich brauche ihren Wagen.“



    I dance in tune with what I fear,

    To do adrenaline!

    Cause' it's overrated how we underrate!

  • 14. April 2004


    Autobahn 555 in Richtung Bonn, Parkplatz Herseler See, 19:47 Uhr




    Anna brachte den Audi, den sie sich von Fux ausgeborgt hatten, einige Meter hinter der dunklen Limousine zu stehen, die Ben und Semir soeben herausgewunken und auf den kleinen Parkplatz gelotst hatten.

    Ein Blick in den Rückspiegel verriet ihr, dass der Jeep, den sie und Freund aus dem Verkehr gezogen hatten, hinter ihnen zum Stehen kam.

    Der KTU-ler neben ihr war sichtlich nervös.


    „So eine allgemeine Verkehrskontrolle sollten sie doch noch von der Polizeischule kennen, oder nicht?“ Die Chefin lächelte ihm aufmunternd zu.


    „Ja. Schon...“


    „Na also! Überlassen sie einfach mir das Reden.“ Damit stieg sie aus und ging mit einem neutralen Gesichtsausdruck auf den Fahrer des Jeeps zu, der schon das Fenster heruntergelassen hatte.


    „Schön guten Abend, Engelhardt von der Kripo Autobahn. Allgemeine Verkehrs- und Personenkontrolle. Steigen sie bitte beide aus dem Wagen aus?“



    Ein paar Meter weiter vorne hatte Ben die Insassen des ersten Fahrzeugs gebeten dasselbe zu tun.


    „Was soll das denn? Haben wir etwas falsch gemacht?“ Richard Van Beust entstieg der Limousine und sah sofort genervt zu Ben.

    Der musste sich extrem am Riemen reißen, freundlich zu bleiben. Van Beust Art, sein Äußeres und das Wissen darüber, was er getan hatte, deklarierten ihn einfach nur als schmierigen Widerling!


    „Wie schon gesagt, handelt es sich hier um eine Allgemeine Verkehrs- und Personenkontrolle. Gehören sie zusammen?“ Jäger nickte in Richtung des zweiten Wagens.


    „Ja, das ist mein Wachschutz.“


    „Verstehe. Wo kommen sie gerade her?“


    „Von der Arbeit und ich will nach Hause.“


    „Natürlich. Wir haben sie unter anderem angehalten, weil es in der Stadt heute Nachmittag zu einer Schlägerei mit anschließender Unfallflucht gekommen ist. Und Zeugen haben zwei dunkle Fahrzeuge vom Tatort fliehen sehen. Tragen sie irgendwelche Waffen bei sich?“


    „Nein tu ich nicht!“ Van Beust hielt kurz inne. „Mein Fahrer schon. Selbstverständlich hat er dafür aber eine Genehmigung!“

    Sofort legte Ben eine Hand auf seine Dienstpistole und wies den Fahrer an die Waffe mit zwei Finger langsam auf den Boden zu legen.

    Im Hintergrund konnte er hören, wie die Chefin dasselbe tat.


    „Wenn sie beide jetzt bitte ihre Taschen komplett leeren möchten? Den Inhalt können sie hier in die Kiste tun.“


    „Muss das sein?“ Van Beust wurde immer ungehaltener.


    „Ja, das muss sein! Und je schneller sie das machen, desto eher kommen sie auch nachhause!“ Auch Bens Ton wurde nun rauer.

    Nachdem die Männer ihre Taschen geleert hatten, tasteten Semir und Ben die beiden Männer ab um sich so vergewissern, dass die Taschen auch wirklich leer waren.


    „Gut, wenn sie sich bitten hinter das Auto zu ihren Begleitern stellen möchten. Wir würden uns jetzt noch gerne ihren Wagen anschauen, um zu sehen, ob er Unfallspuren aufweist. Mein Kollege wird in der Zeit ihre Papiere überprüfen.“


    Während Semir so tat, als untersuche er das Auto, brachte Ben die Kiste mit den Tascheninhalten zu Hartmut, der schon wieder in dem Audi saß und bereits das erste Handy von einem der Wachleute klonte.

    Die Chefin behielt unterdessen eben jene Wachleute im Auge und betrieb dabei oberflächlichen Smalltalk, wodurch die Männer Hartmut keinerlei Beachtung schenkten.

    Dabei musterte Anna die Männer aufmerksam. Ihre Körpersprache und Körperhaltung ließen darauf schließen, dass sie es hier mit Schlägern erster Klasse zu tun hatte. Die ein deren andere Narbe in deren Gesichtern verstärkte den Eindruck nur noch mehr.


    Sie war sich ziemlich sicher, das sie hier auf der richtigen Spur waren…


    Gut zehn Minuten und einiges Gemotze von Van Beust später, fuhren die zwei Wagen auch schon wieder von dem Parkplatz und ließen äußerst zufriedenen dreinblickende Polizisten zurück.






    Villa am Stadtrand von Köln, 20:55 Uhr



    Hartmut machte sich nach ihrer Rückkehr zusammen mit Araignée umgehen daran, die erbeuteten Daten auszuwerten und zu schauen, was sie damit anfangen konnten.

    Es folgte jedoch recht schnell ein wenig Ernüchterung, da sie wohl etwas länger an der Aufgabe sitzen würden.


    So einfach wie sie es sich gedacht hatten, war es leider nicht.


    Während Ben und Semir beschlossen die Nacht in der Villa bei Hartmut zu bleiben, wollte Anna dann doch wenigstens für ein paar Stunden zurück nach Hause und zur Tochter.


    „Melden sie sich jeder Zeit, wenn sich etwas tut.“


    „Machen wir. Soll ich sie nach Hause fahren?“ bot Semir an, wurde aber von André unterbrochen. „Das kann ich auch machen...“


    Die Chefin beäugte ihn etwas überrascht, nickte aber schließlich, da es ihr durchaus recht war. Früher oder später würde sie sich sowieso unterhalten müssen.


    Warum also nicht schon jetzt?



    I dance in tune with what I fear,

    To do adrenaline!

    Cause' it's overrated how we underrate!

  • 14. April 2004


    Landstraße L34, östliche Richtung, 21:04 Uhr




    Die ersten Minuten der Fahrt verliefen in vollkommener Stille.


    Fux wusste nicht so richtig wie er das Gespräch beginnen sollte ohne gleich mit der Frage, die ihm seit dem Mittag am meisten unter den Fingernägeln brannte, ins Haus zu fallen und Anna hatte noch immer ein wenig Mühe zu begreifen, dass André wirklich am Leben war. Auch, wenn er direkt neben ihr saß.

    Schließlich entschied Fux sich, das Gespräch mit einer weiteren Entschuldigung zu beginnen:


    „Ich kann nur noch mal sagen wie leid es mir tun, was heute passiert ist!“


    „Ja... Aber ich glaube ihnen, wenn sie sagen, dass sie nichts davon wussten. Es ist also nicht ihre Schuld.“ Erneut herrschte kurz Schweigen.


    „Ich war ehrlich gesagt ziemlich überrascht, als ich gelernt habe, dass sie eine Tochter haben...“, sagte André vorsichtig, während er auf die Landstraße bog, die nach Rodenkirchen führte.


    Anna schloss kurz die Augen und fragte sich erneut, an was er sich alles erinnern konnte. Insbesondere ob er sich an die eine Nacht im April erinnerte...


    „Ja... Sie wurde nach ihrem Verschwinden geboren.“ Antwortetet sie schließlich. Etwas Besseres fiel ihr im Moment nicht ein, was sie dazu sagen sollte.


    „Hmm...“ er nickte langsam „Sie scheint ein unglaublich aufgewecktes Kind zu sein. Und ich war erstaunt, wie ähnlich sie ihnen sieht. Bemerkenswert.“ Fux machte eine kurze Pause und fragte dann: „Sie hat Ende Dezember Geburtstag, oder?“


    Ah. And here we go...


    Sie warf ihm einen kurzen Seitenblick zu.

    Er schien sich also auch an die Nacht zu erinnern... Und anscheinend hatte er nicht, wie sein ehemaliger Partner, vier Jahre gebracht, bis ihm das offensichtlich ins Auge gesprungen war...


    „Leonie hat am 30. Dezember Geburtstag. Und wenn ihnen aufgefallen ist, wie ähnlich sie mir sieht, dann ist ihnen mit Sicherheit auch aufgefallen, dass ihre Augen nicht von mir sind, oder?“

    Anna sah ihn jetzt kontinuierlich an und auch er nahm den Blick kurz von der Straße, um ihr ins Gesicht zu sehen, als er direkt fragte: „Ist sie von mir?“


    „Ja, ist sie.“ Kam prompt die knappe, aber eindeutige Antwort. Denn was würde es bringe, lange um den heißen Brei herumzureden?


    Nach dieser Bestätigung herrschte erneut einige Zeit Stille, in der Fux versuchte seine Gedanken zu sortieren.

    Auch wenn er es schon geahnt hatte, war die Bestätigung aus ihrem Mund nochmal etwas anderes und es fühlte sich mit einem Mal sehr viel realer an.


    Er hatte also eine Tochter!


    Ein Tsunami aus Fragen und Gedanken brach über ihn hinein, die er am liebsten alle sofort laut ausgesprochen hätte, aber nicht einmal wusste, womit er hätte anfangen sollen.

    Seine Beifahrerin schien jedoch etwas in der Art zu ahnen und sagte:


    „Ich weiß das sie unendlich viele Fragen haben müssen. Und es ist auch ihr gutes recht, dass ich einen Großteil dieser Fragen beantworte. Aber es ist in den letzten Tagen unglaublich viel passiert und ich weiß gerade nicht, wo mir der Kopf steht. Ich bitte sie, sich noch ein wenig zu gedulden und dass wir uns in naher Zukunft ganz in Ruhe zusammensetzen, wenn das alles hier ausgestanden ist. Einverstanden?“



    Auch wenn es ihm unglaublich schwerfiel, nickte André, da er einsah, dass es so vermutlich am besten war. Eine Frage, musste er ihr jedoch jetzt noch stellen:


    „Wussten sie schon, dass sie schwanger, sind als Semir und ich nach Mallorca geflogen sind?“


    „Nein. Ich habe es erst eine Woche nach ihrem Verschwinden erfahren, André.“


    Anna beobachtete, wie er langsam nickte und seine Schultern sich ein wenig entspannten. Sie hatte eine starke Vermutung, was ihm durch den Kopf ging.

    Denn sie selber hatte sich in den fünf Jahre gut ein dutzend Mal die Frage gestellt, ob es etwas geändert hätte, hätte sie es früher gemerkt, oder vielleicht auch nur den Verdacht gehabt.


    Möglich gewesen wäre es.


    Als die Beiden nach Mallorca aufgebrochen war, war sie bereits den fünften Tag überfällig gewesen, was sie hätte stutzig werden lassen müssen, da sie immer eine sehr regelmäßige Periode hatte, nach der man die Uhr stellen konnte.

    Sie wusste nicht mehr, ob sie es einfach nur nicht im Blick gehabt hatte, oder es ignoriert hatte.

    Letztlich war es eh eine müßige Frage...

    Denn es war alles nun mal so passiert wie es passiert war und sie konnte es nicht mehr ändern.


    Und dennoch...


    Anna schüttelte leicht den Kopf und sah wieder auf die Straße, die im Scheinwerferlicht an ihr vorbeiflog.




    „Stimmt es das Leonie mit einem Bobbycar die Rutsche runtergefahren ist?“, fragte Fux unvermittelt und ließ die Chefin erneut schnauben.


    „Allerdings. Vorgestern, nachdem sie am Wochenende bei Ben oder Semir etwas von einer Sprungschanze und fliegenden Autos aufgeschnappt hat. Wie man in ihrem Gesicht sehen kann, ist das ziemlich schiefgegangen.“ Anna schüttelte missbilligend den Kopf und fügte hinzu:


    „Wir waren den halben Nachmittag in der Kinderklinik und abends fragt das kleine Monster doch ernsthaft, ob sie vielleicht einfach ein Dreirad hätte nehmen sollen. Anstelle des Bobbycars...“


    André neben ihr schaffte es nicht ein Lachen zu unterdrücken, bemühte sich aber sofort wieder ein ernstes Gesicht zu machen, was ihm kläglich misslang.


    „Warum wundert es mich nicht, dass sie das lustig finden?“


    „Ich finde es eher ziemlich beeindruckend. Ich bin erst mit sieben Jahren mit einem Bobbycar die Rutsche auf dem Schulhof runtergefahren und hab mir dabei einen Arm gebrochen.“


    Jetzt warf Anna ihm einen langen, prüfenden Blick zu.


    „Ist das so?“, fragte sie nach einer ganzen Weile und Fux hielt ihr seinen rechten Arm hin. „Ich habe noch eine Narbe von den Schrauben...“


    „Dann kann ich also froh sein, dass es nur ein paar Kratzer und ein blutiges Kinn war, ja?“


    Er wog den Kopf hin und her, während er in die Straße bog, in der die Chefin wohnte. „Vielleicht hätte ich damals auch besser ein Dreirad nehmen sollen...“ Bei der Aussage musste Anna dann doch ein wenig schmunzeln.




    Als André keine 20 Sekunden später vor dem Haus anhielt, wandte er sich seiner ehemaligen Vorgesetzten zu.


    „Danke das sie helfen, ohne viele Fragen gestellt zu haben und nach allem was passiert ist. Ich weiß das Berthold viel Mist gebaut hat, genau wie ich auch. Und wir werden uns dafür verantworten. Aber Arnaud ist ein guter Junge, der für das alles nichts kann! Er hat jede Hilfe verdient, die er kriegen kann.“


    Anna nickte langsam, sagte dann aber:

    „Danke sie vor allem Semir und Ben. Ich war heute Nachmittag alles andere als objektiv.“

    Sie schnallte sich ab, hielt dann aber noch einmal inne und musterte Fux einen kurzen Augenblick. Recht unvermittelt beugte sie sich schließlich vor und umarmte ihn.


    „Auch wenn ich das heute Nachmittag nicht so zeigen konnte, freue ich mich wahnsinnig, dass sie am Leben sind, André! Die unterkühlte Begrüßung tut mir leid! Aber es war einfach ein bisschen viel auf einmal.“


    Er hatte die Umarmung erwidert und schüttelte verständlich grinsend den Kopf. „Ist schon okay, wirklich.“

    Anna lächelte und wünschte ihm eine gute Nacht, ehe sie aus dem Audi stieg und den schmalen Weg zum Haus ging.


    Fux sah ihr nach, bis sie durch die Haustür verschwunden war.

    Auch wenn sich das alles hier noch sehr neu und ungewohnt anfühlte und er sich noch nicht an jedes Detail seines Lebens von vor dem Unfall erinnern konnte, glaubte er schon jetzt zu erahnen, wie er sich damals dazu hatte hinreißen lassen, mit ihr zu schlafen.


    Er schmunzelte, als er den Motor startete. Sein ‚Altes-Ich‘ hatte einen guten Geschmack gehabt...



    I dance in tune with what I fear,

    To do adrenaline!

    Cause' it's overrated how we underrate!

  • 14. April 2004


    Villa am Stadtrand von Köln, 21:05 Uhr



    Nach dem Ben ein paar Worte mit Camille Berthold gewechselt hatte, ging er auf den breiten Balkon, der sich vor dem Wohnzimmer befand und auf dem Semir über die Reling gebeugt in die hereinbrechende Nacht sah.


    „Ganz schön krasser Tag heute...“ begann Jäger schließlich, was Semir ein amüsiertes Schnauben entlockte.


    „‘Ganz schön krass‘ fängt es nicht mal an es zu beschreiben, würde ich sagen...“


    Ben grinste nun ebenfalls. Ja, damit hatte sein Partner wohl recht. „Wie geht es dir?“, fragte er schließlich und lehnte sich neben Semir gegen das Geländer, da es deutlich zu sehen war, dass Semir seit geraumer Zeit am Grübeln war.


    „Ich bekomme es einfach noch nicht so richtig in den Schädel, das André am Leben ist.“ Gab der kleine Polizist rund heraus zu.


    „Okay, aber das ist mehr als verständlich. Es passiert nicht allzu oft, das totgeglaubte plötzlich wieder vor einem stehen.“


    „Ja... Das stimmt schon. Es ist nur...“ Semir brach ab und überlegte kurz, wie er seine aktuelle Gefühlslage am besten beschreiben konnte.


    „Weißt du, ich war damals da. Ich habe gesehen wie André von der Harpune getroffen wurde und ins Meer gestürzt ist. Ich bin hinterher und habe ihn im Wasser gesucht. Aber ich habe ihn nicht gefunden. Anscheinend habe ich nicht gründlich genug gesucht und ihm dadurch seinem Schicksal überlassen...“

    Ben beobachtete seinen Partner und Freund aufmerksam. Daher wehte also der Wind. Semir machte sich Vorwürfe...


    „Was ist denn damals eigentlich genau passiert?“, fragte der junge Mann schließlich, da Gerkhan, seit sie zusammenarbeiteten, schon das ein oder andere Mal von Tom Kranich erzählt hatte, von André Fux jedoch nie.

    Semir blinzelte etwas überrascht und sah Ben einen Moment lang an, ehe er wieder in die Nach hinausstarrte.


    „Wir sind durch Zufall in die BKA ‚SOKO Mallorca‘ hineingeraten, die dem Waffenhändler Carlos Berger auf den Fersen war. Ein paar Tage vor dem Unfall, sind André und ich zufällig Zeuge einer versuchten Entführung geworden. Bergers Sohn und Ex-Frau haben in Köln gelebt und er hatte ein paar seiner Schergen losgeschickt, die seinen Sohn zu ihm nach Mallorca bringen sollten. Das ist jedoch fürchterlich schiefgegangen und einer der Männer hat den Jungen aus Versehen erschossen. André hat sich große Vorwürfe gemacht, dass er das nicht hatte verhindern können.“ Gerkhan zuckte mit den Schultern.


    „Die Chefin hat ihre Kontakte spielen lassen und uns freigestellt, sodass wir vor Ort der unterbesetzten SOKO zur Hand gehen konnten und gleichzeitig den Mörder des Jungen jagen konnten. André war kurz Undercover bei Berger in der Bande, ist dann aber aufgeflogen und nur um Haaresbreite entkommen. Wir haben ihn gemeinsam verfolgt, aber nach einem Kampf habe ich es nicht mehr in das Motorboot geschafft, mit dem Berger fliehen wollte. Fux schon...“


    Semir stoppte wieder und Ben konnte deutlich sehen, dass er sich dafür noch immer Vorwürfe machte.


    „Als ich sie mit dem Heli eingeholt habe waren sie schon auf dem offenen Meer und ich konnte nicht mehr verhindern das Berger mit der Harpune auf André schoss. Ich habe eine Woche lang nach ihm gesucht...“


    „Das klingt für mich aber nicht so, als hättest du ihm einfach seinem Schicksal überlassen. Für mich klingt da so, dass du alles getan hast, was du tun konntest. Es ist einfach nur richtig beschissen gelaufen.“ Sagte Jäger und klopfte seinem Kollegen aufmunternd auf die Schulter.


    „Ja, vielleicht habe ich das... Vielleicht aber auch nicht...“ Semir zuckte mit den Schultern. „Ändern kann ich es aber eh nicht mehr!“


    „So ist es. Deswegen bring es auch nichts, wenn du dir weiter selber ein schlechtes Gewissen machst.“


    Der Ältere grinste jetzt. „Hat dir schon mal jemand gesagt das du zwischendurch ein ganz schöner Klugscheißer sein kannst?“


    „Du hast ja keine Ahnung wie oft!“ Ben lachte, sah ihn dann jedoch wieder fragend an.


    „Sag mal... Vermutlich geht es mich nichts an, aber was geht da zwischen dir, Fux und der Chefin ab? Ich hatte schon gestern im Büro der Engelhardt den Eindruck, dass ihr etwas verheimlicht, als Hartmut das DNA-Ergebnis gebracht hat.“


    Semirs Miene verdüsterte sich ein bisschen.


    Auf der anderen Seite hatte er schon gewusst, dass es seinem Partner wohl nicht verborgen geblieben war, dass sie etwas vor ihm verheimlichten. Dafür war er, in dem Fall, leider, viel zu aufmerksam und intelligent.

    Gerkhan kaute unschlüssig auf seiner Unterlippe. Er wusste das sein Partner eh keine Ruhe geben würde, bis er es herausgefunden hatte. Auf der anderen Seite hatte er der Chefin versprochen nichts zu sagen.

    Er saß also an dem schönen Ort, den der Englänger: ‚Between a rock and a hard place‘ nannte...


    „Wenn ich dir das sage, musst du mir versprechen, es für dich zu behalten! Und ich meine das wirklich ernst, Ben! Kein Sterbenswörtchen zu irgendjemanden oder diese Hände“, er hielt Ben seine Hände vor das Gesicht, „werden dich erst verprügeln und dich dann erwürgen.“


    Jäger wäre fast ein „Na das will ich sehen!“ herausgerutscht, schaffte es aber den Impuls im letzten Augenblick zu unterdrücken. Stattdessen nickte er ernst.

    Semir sah sich kurz um, dass auch niemand in Hörweite war, bevor er leise sagte:


    „André ist der Vater von Leonie.“


    Jägers Augen sprangen beinahe aus ihren Höhlen, soweit riss der junge Mann sie auf, ehe ihm ein langgezogenes, tonloses „Oooooh...“ entfuhr.


    „Wie gesagt: Keinen Ton zu niemandem!“ mahnte Semir erneut eindringlich und Ben nickte entschieden mit dem Kopf.


    Er würde ganz bestimmt seine Klappe halten!

    Was aber weniger an Semirs, nicht ganz ernstgemeinter Drohung lag, als an der Vorstellung, was seine Vorgesetzte mit ihm machen würde, sollte er damit hausieren gehen.

    Die Chefin hatte heute eindrucksvoll bewiesen, dass sie einen ziemlich kräftigen Faustschlag hatte... Und er würde sich auch ziemlich anstrengen müssen, wollte er vor ihr weglaufen.

    Nein, er würde ganz eindeutig seine Klappe halten! Also fast...


    An Semir gewandt musste er dann doch noch fragen:

    „Weiß Fux das er eine Tochter hat...?“ Gerkhan wollte eigentlich schon mit dem Kopf schütteln, sagte dann aber doch: „Ich weiß es nicht.“


    Im selben Moment hörten sie wie vor dem Haus ein Auto vorfuhr und kurz darauf die Haustür geöffnet wurde. Ben sah feixend zu Semir.


    „Ich glaub da ist er. Ich kann ihn ja gleich mal fragen gehen...!“


    „Untersteh dich!“, polterte Gerkhan sofort, erkannte dann aber das sein Partner ihn nur ärgern wollte. Also fügte er „Blödmann!“ hinzu.


    Auf der anderen Seite interessierte ihn die Antwort, auf die Frage, selber brennend.


    „Lass uns mal schauen, ob die beiden Computer Genies schon etwas bewirkt haben.“ Schlug Ben schließlich vor und trat vom Balkon zurück in das Wohnzimmer, wo auch André mittlerweile angekommen war.




    I dance in tune with what I fear,

    To do adrenaline!

    Cause' it's overrated how we underrate!

  • Donnerstag, 15. April 2004


    Wohnung der Chefin, Köln Marienburg, 00:50 Uhr




    Obwohl sie recht müde war, konnte Anna auch die dritte Nacht in Folge nur schlecht einschlafen und lag noch immer wach.

    Während sie an die Decke des Schlafzimmers starrte, strich sie immer wieder gedankenverloren über den Kopf von ihrer Tochter, der auf ihrer Brust lag. Gleichzeitig fühlte sie den ruhigen, gleichmäßigen Atem des jetzt friedlich schlafenden Kindes, an ihrem Hals.


    Als sie um kurz nach halb zehn nach Hause gekommen war, hatte Leo schon geschlafen.

    Auch wenn sie es eigentlich nicht vorgehabt hatte, hatte sie sich noch eine gute Stunde mit ihrem Vater unterhalten und ihm einige von den Dingen, die seit Montag passiert waren, erzählt. Schlicht, weil sie jemanden zum Reden brauchte und das Erzählen der Geschehnisse sie ein wenige realer machte.

    Sie hatte sogar ansatzweise versucht die ausgestandene Angst vom Vormittag in Worte zu fassen, was ihr jedoch mehr schlecht als recht gelungen war.


    Die Unterhaltung war jäh unterbrochen worden, als Leonie mit verweinten Augen und ihrem Stoff-Adler unterm Arm barfuß aus dem Kinderzimmer gekommen war.

    Sie hatte schlecht von Männern mit Masken geträumt.


    „Mama kann ich in deinem Bett schlafen...?“


    „Natürlich kannst du das, mein Engel!“


    Ihr Vater war danach zwar nach Hause gegangen, hatte aber mehrfach betont das Anna jederzeit anrufen konnte, wenn sie etwas brauchte. Da er selber nur zehn Gehminuten entfernt wohnte, konnte er innerhalb kürzester Zeit da sein.



    Leonie bewegte sich im Schlaf ein wenig und Anna nutze die Gelegenheit sie vorsichtig auf das Kopfkissen neben sich zu legen, um kurz aufzustehen und leise in die Küche zu gehen, wo sie sich ein Glas Wasser nahm.

    Während sie an der Arbeitsplatte lehnte und einen weiteren Schluck trank, fiel ihr Blick auf die Digitaluhr auf dem Küchentresen gegenüber, die neben der Zeit auch das Datum anzeigte.


    15. April... unwillkürlich musste sie leicht erstaunt mit dem Kopf schütteln.


    Wow!


    Fux hatte wirklich ein erstaunliches Timing, genau jetzt von den Toten aufzuerstehen.

    Es war einige Jahr her, dass sie das letzte Mal an die Nacht, vor auf den Tag genau, fünf Jahren gedacht hatte. Sich gefragt hatte, wie es dazu gekommen war.

    Jetzt, wo sie darüber nachdachte, war sie sich sicher, dass sie vor vier Jahren das letzte Mal wirklich darüber nachgedacht hatte, als sie ähnlich wie jetzt, nachts wach gewesen war.


    Damals hatte sie allerdings nicht wach gelegen, weil sie nicht einschlafen konnte, sondern weil das vier Monate alte kleine Bündel Leben gestillt werden wollte.


    Sie war schon vor vier Jahren zu der Einsicht gekommen, dass sie André besser hatte leiden können, als sie es sich zu seinen ‚Lebzeiten‘ eingestehen wollte und es vermutlich nur eine Frage der Zeit gewesen war, bis das, was dann passiert war, passieren musste.

    In dem Zusammenhang hatte sie sich auch dir Frage gestellt, was wohl geschehen wäre, wenn er von Mallorca zurückgekommen wäre...

    Darauf hatte sie allerdings nie eine Antwort gefunden, außer, dass es wohl fürchterlich kompliziert geworden wäre.


    Und genau so war es jetzt ja auch:

    Fux war nach all der Zeit von Mallorca zurückgekommen und es war unglaublich kompliziert!

    Wenn auch etwas anders, als sie es sich vorgestellt hatte.

    Anna seufzte und leerte das Wasserglas in einem Zug, ehe sie es in die Spüle stellte und zurück ins Schlafzimmer ging, wo Leonie mittlerweile quer im Bett lag.


    Sie hob amüsierte die Augenbrauen.


    Ein weiteres Mysterium dieser Welt! Wie schaffte es ein kleines Wesen, das noch nicht mal ganz einen Meter groß war, derart viel Platz einzunehmen?





    Villa am Stadtrand von Köln, 00:10 Uhr




    20 Kilometer Luftlinie von der Wohnung in Marienburg entfernt, konnten auch die Kommissare und André Fux nicht schlafen.

    Während Hartmut und Araignée im Wohnzimmer arbeiteten, saßen die anderen Drei in der Küche.


    „Sind Bonrath und Herzberger noch bei der Autobahnpolizei?“, fragte Fux interessiert.


    „Allerdings! Es hat sich eigentlich kaum etwas verändert. Drei Kollegen sind in Rente gegangen und der Grünschnabel hier“ Semir grinste Ben an „ist dazu gekommen.“


    André sah kurz zu Ben und grinste ebenfalls. „Auf mich macht der junge Mann gar nicht einen so grünschnäbeligen Eindruck...“


    Gerkhan wog gespielt nachdenklich den Kopf hin und her, während Jäger triumphierend grinste und sagte:


    „Hör gut zu Semir! André hier scheint ein sehr kluger Mann zu sein!“


    „Ja, ja... Ich sag ja: Noch völlig grün hinter den Ohren und hat keine Ahnung...“ feixte Gerkhan jetzt.


    „Ist Andrea auch noch da?“, fragte Fux und unterband damit ein weiteres Hin und Her zwischen den Polizisten.


    Semir grinste breit und antwortete höchst zufrieden: „Du meinst Andrea, die zukünftige Frau Gerkhan?“


    Nun war es André, der große Augen bekam. „Nein! Nicht dein Ernst!“


    „Oh doch!“


    „Hmm... Hast dann aber schon ganz schön lange gebraucht...“ Er lachte, fügte aber sofort hinzu: „Das freut mich wirklich für euch!“ Er lächelte Semir an, wurde aber Stück für Stück nachdenklicher und sagte schließlich: „Ganz schön viel passiert...“


    Das war für Ben wie ein Stichwort und er sah kurz zwischen den ehemaligen Kollegen hin und her, ehe er aufstand und in Richtung Wohnzimmer deutete.

    „Ich schau mal was Einstein da so treibt...“ Damit gab er ihnen die Gelegenheit sich in Ruhe unter vier Augen zu unterhalten.



    „Ja... Es ist ganz schön viel passiert...“ Sagte jetzt auch Semir und wirkte dabei genauso nachdenklich wie Fux, bis er diesen fragte:


    „Was ist vor fünf Jahren passiert? Wir... Ich habe lange nach dir gesucht...“


    „Ja ich weiß. Ich habe davon in einem Zeitungsartikel gelesen. Was genau passiert ist, kann ich dir nicht sagen. Also nicht alles. Nachdem ich ins Meer gefallen bin, muss ich wohl abgetrieben sein oder so etwas. Albert Berthold hat mich noch am selben Abend aus dem Meer gefischt.“


    Fux erzählte von seiner Rettung und wie er letztlich bei den Bertholds gelandet und geblieben war.


    „Ich konnte mich an überhaupt nichts erinnern und wusste nicht, wo ich hingehöre. Ich wusste nur, dass mich wohl jemand tot sehen wollte und es vielleicht gefährlich sein könnte, weitere Nachforschungen über meine Identität anzustellen. Also habe ich es bleiben lassen. Wenn ich gewusst hätte das...“ er brach ab und warf Semir einen prüfenden, gleichzeitig fragenden Blick zu.


    „Wenn du was gewusst hättest?“, fragte sein Gegenüber auch gleich nach und André versuchte einzuschätzen wie viel Gerkhan wusste.


    Semir tat genau dasselbe bei ihm.

    Auch er versucht einzuschätzen, was sein Ex-Partner schon alles wusste und keiner traute sich etwas preiszugeben.


    „Na ja, wenn ich gewusst hätte, dass ich eigentlich ein ganz anständiges Leben hatte, in das es sich gelohnt hätte, zurückzukehren.“ Sagte André schließlich ziemlich ausweichend.


    „Hmm...“ Es war Semir anzusehen, dass er es ihm nicht abnahm, dass er das hatte sagen wollen.


    Leicht unangenehmes Schweigen machte sich in der Küche breit, bis Fux schließlich möglichst beiläufig sagte:


    „Ich war ziemlich überrascht, als ich erfahren habe das die Chefin, also ich meine die Engelhardt, eine Tochter hat...“


    „Hmm...“ machte Semir wieder, fügte dann aber hinzu: „Ich war vor fünf Jahren ziemlich überrascht, als sie erzählt hat, dass sie schwanger ist...“


    „Hmm...“ war es nun von André zu hören. „Ja, das glaube ich dir. Kam wohl recht unerwartet...“


    Es war mittlerweile recht deutlich, dass sie beide um den heißen Brei herumtanzten. Semir war es, der schließlich der als erstes hinter seiner Deckung hervorkam:


    „Noch viel geschockter war ich, als ich erfahren habe, wer der Vater des Kindes ist...“


    „Ja, ich auch!“ pflichtete Fux sofort bei.



    Die Männer sahen sich einen Augenblick lang an, ehe sie sich ein belustigtes Schmunzeln nicht mehr verkneifen konnten und gleichzeitig mit dem Kopf schüttelten und Semir mit hochgezogener Augenbraue fragte:


    „Ich meine: Dein Ernst? Sie war deine Vorgesetzte...!“


    André hob recht unbeeindruckt die Schultern. Er wusste zwar, dass sie damals eine Grenze überschritten hatten, sagte aber trotzdem:


    „Naja das stimmt schon. Aber wenn es anderes herum gewesen wäre und ich ihr Vorgesetzter, hätte es niemanden wirklich interessiert, oder? Dann wäre es allgemein akzeptiert worden.“


    In dem Punkt konnte Semir ihm tatsächlich nicht widersprechen. Da wurde in der Tat noch immer mit zweierlei Maß gemessen.

    Gerkhan nickte und lehnte sich etwas weiter aus dem Fenster, als er frech sagte:


    „Aber selbst das hast du nicht ‚Unfallfrei‘ hinbekommen... Was bei deiner damaligen Unfallquote natürlich nicht verwunderlich ist...“


    „Offensichtlich nicht... Aber ich kann mich da an keine Details mehr erinnern, nur noch das es nach dieser Taxi-Nummer war. Wenn du zum ‚Unfallhergang‘ mehr wissen willst, musst du wohl deine Chefin fragen...“ konterte Fux schlagfertig, wobei es eine Lüge war. Er wusste genau was damals passiert war...


    „Die Unterhaltung würde ich dann allerdings sehr gerne bezeugen...“ fügte er noch breiter grinsend hinzu, während Semir ziemlich heftig mit dem Kopf schüttelte, dann aber doch innehielt.


    „Nach der Taxi-Nummer, ja?“ Gerkhan blickte jetzt ziemlich schelmisch drein. „Wenn Hotte das damals gewusst hätte, dass du die Situation derart ausnutzt, hätte er dich vermutlich auf der Stelle vergiftete...“


    „Was nicht ist, kann ja noch werden... Ist er immer noch in sie verknall, ja?“ grinste Fux.


    „Verliebt wie ein kleiner Schuljunge...“


    I dance in tune with what I fear,

    To do adrenaline!

    Cause' it's overrated how we underrate!

  • 15. April 2004


    Wohnung der Chefin, Köln Marienburg, 07:49 Uhr




    „Mama... Mama!“


    Anna brauchte etwas länger, bis sie schläfrig blinzelte und die kleinen Kinderhände registrierte, die sachte an ihrer Schulter wackelten.

    Erst jetzt hörte sie auch das Handy, das auf dem Nachtisch klingelte und das Leonie lange vor ihr gehört hatte.
    Ein wenig unbeholfen tastete sie nach dem Telefon und schaffte es schließlich auf den grünen Hörer zu drücken.


    „Ja?“, fragte sie und schaffte es dabei nicht ein Gähnen zu unterdrücken.


    „Morgen Chefin, Semir hier. Entschuldigung das ich so früh störe, aber Hartmut und dieser andere Kerl habe vielleicht etwas.“


    „Nein, ist schon okay... Ich hatte ja gesagt sie sollen sich jederzeit melden.“ Wehrte die Chefin ab, während Leo kichernd neben ihr hockte und mit ihren Haaren spielte.


    Sie fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht und fügte hinzu: „Ich komme so schnell wie möglich...“

    Wenn Leo ihr allerdings weiter Knoten in die Haare machte, konnte das eine Weile dauern...


    Letztlich schaffte sie es dann aber doch, sich in Rekordzeit fertig zu machen, darum zu kümmern das ihr Vater vorbeikam, damit die Tochter versorgt war und hatte Leonie auch noch Frühstück gemacht.

    Eine gute Stunde nach dem Anruf parkte sie bereits vor der Villa bei Pulheim.


    Im Haus stellte sie fest, dass ihre Kollegen und Fux so müde aussahen, wie sie sich fühlte. Die sechs Becher frischen Kaffee, die sie auf dem Weg noch besorgt hatte und jetzt in einem Pappbecherhalten balancierte, fanden deshalb reißenden Absatz. Für Hartmute hatte sie sogar extra an einen Latte Macchiato gedacht, den dieser mit großen Augen entgegennahm.


    „Danke...“


    „Dafür nicht. Was haben sie herausgefunden?“


    „Wir hatten gehofft, dass sich die Kerle vielleicht Nachrichten mit dem Standort oder Hinweisen darauf geschickt haben- So dumm waren sie leider nicht, was die Sache ein wenig komplizierter gemacht hat. Insbesondere, weil die Handys auch über keine GPS-Empfänger verfügen.“ Hartmut nahm einen Schluck Kaffee und kratzte sich ein wenig unschlüssig am Kopf, wie er am besten weiter machen sollte.


    „Wir haben noch ein paar andere Dinge ausprobiert, das will ich jetzt aber nicht alles erklären. Letztlich sind wir mit der guten alten Triangulierung weitergekommen.“ Er tippte ein paar Befehle in seine Tastatur und der Bildschirm vor ihm zeigte im nächsten Moment eine Karte, auf der sich zig Punkte in verschiedenen Farben befanden.


    Auch Ben, Semir und André standen mittlerweile hinter Hartmut und besahen sich das Werk der Computer-Genies.


    „Die verschiedenen Farben stehen für die unterschiedlichen Benutzer der Handys. Rot ist Van Beust, Blau sein Fahrer. Grün und Gelb die Leute vom Wachschutz. Da es triangulierte Positionen sind, sind sie natürlich nicht ganz genau. Aber es fällt auf, dass die Kerle vom Wachschutz regelmäßig in diese Gegen fahren.“


    Freund deutet auf einen Bereich auf dem Monitor, der abseits der anderen lag. „Hier, in den Rheinbach Wald südwestlich von Bonn.“ Er wischte sich über die müden Augen.


    „Ich weiß natürlich nicht, ob das wirklich eine Spur ist, aber wir haben alle anderen Orte mit bekannten Adressen von ihnen oder von Kunden von Van Beust abgeglichen. Und das ist der einzige Bereich, der keinen Sinn ergibt, warum sie dahinfahren sollten. Sie machen es übrigens auch erst seit kurzem. In etwa der Zeit, seit der Junge entführt worden ist.“


    „Das ist fantastische Arbeit, Hartmut!“, lobte Anna ehrlich beeindruckt und auch Ben pfiff anerkennend. „Respekt, Einstein!“


    „Gibt es in dem Waldgebiet irgendwelche Häuser oder so etwas?“, fragte Semir.


    „Da sind wir noch dran... Bis jetzt haben wir noch nichts Auffälliges gefunden.“


    „Habt ihr eine detaillierte Karte von dem Gebiet?“, fragte Ben.


    „Ja, kann ich euch fertig machen.“





    Albert Berthold hatte sich bis jetzt vollständig im Hintergrund gehalten, trat jetzt aber zu ihnen ins Wohnzimmer.

    „Worauf warten sie noch? Wenn es auch nur den Hauch einer Chance gibt, das mein Sohn da irgendwo ist, dann müssen wir ihn sofort suchen gehen!“


    „Das haben wir vor zu tun, aber erst müssen wir zwei uns noch mal unterhalten!“ Die Stimme der Chefin nahm beim Anblick von Berthold sofort einen unglaublich scharfen Ton an und Fux spekulierte schon darauf, dass sie ihm noch mal eine verpassen würde.


    „Kann das nicht warten bis-“


    „Nein!“


    Ben, Semir und André machten sich schon mal daran, sich die Karten, die Hartmut ihnen soeben ausgedruckt hatte, genauer anzuschauen, während die Chefin mit Berthold in der Küche verschwand.


    „Kann man die da so alleine lassen...?“, murmelte Ben und warf einen kurzen Blick in Richtung Küche.


    „Willst du dich da einmischen?“, frage Semir und grinste schief.


    „Ne... Ich dachte da eher an dich, Partner.“ Semir schnaubte und zeigte seinem Jungen Kollegen einen unmissverständlichen Vogel.


    „Feiglinge... Alle beide!“ kommentierte Fux prompt mit einem süffisanten Grinsen auf den Lippen.


    „Ah, schau an! Ein Freiwilliger...“ konterte Ben schlagfertig.



    ***



    Nachdem sie die Küchentür hinter sich geschlossen hatte, kam Anna ohne Umschweife zum Punkt.

    Eine Sache, über die sie bis um 04:00 Uhr in der Früh nachgedacht hatte, war, wie es nach dem ganzen Mist hier weiter gehen würde.

    Und wie sie es auch drehte und wendete, für André sah es nicht gut aus, hatte er sich doch einiges zuschulden kommen lassen.

    Auch, wenn es in bester Absicht gewesen war.


    „Ich weiß nicht, was André Fux in den letzten fünf Jahren alles getan hat, während er anscheinend für sie gearbeitet hat und nicht wusste, wer er war oder ist. Und eigentlich ist es mir auch egal. Was mir nicht egal ist, ist das er durch ihre Fehler in die beschissene Lage gekommen ist, wo wir uns jetzt befinden!“


    Anna deute mit dem Finger in Richtung Wohnzimmer.


    „Der Mann da draußen, der sich langsam wieder daran erinnert, wer er bis vor fünf Jahren war, hätte so einem bescheuerten Plan niemals zugestimmt und eine bessere Lösung gefunden! Und er hat es nicht verdient, dass sie ihn jetzt mit in den Abgrund reißen!“


    Albert Berthold nickte mit gesenktem Kopf.

    Er wusste zwar nicht, wer ‚André Fux‘ war, aber ‚Renard‘ war ein guter Mensch, der ihm mehr als einmal geholfen hatte.


    „Nein, das hat er wirklich nicht verdient...“, murmelte der Geschäftsmann.


    „Gut für sie, dass wir uns in dem Punkt einig sind.“ Die Chefin wartete, bis er ihr wieder ins Gesicht sah und fuhr dann fort:


    „Und deswegen werden sie alles Schuld auf sich nehmen und Fux aus allem raushalten.“ Albert sah sie etwas ungläubig an.


    „Es ist mir egal wie sie es anstellen, aber sie werden es so aussehen lassen das André weder von den Überfällen wusste noch daran beteiligt war! Haben sie das verstanden? Sollte es noch andere, illegale Dinge geben, die auf Fux zurückfallen könnten, werden sie auch dafür die Schuld auf sich nehmen!“ Berthold starrte sie mit offenem Mund an.


    „Wenn sie das tun, werde ich dafür sorgen, dass auch ihre Frau aus der ganzen Sache herausgehalten wird und man sie nicht belangt. Sie wird mit ihrem Sohn das Land verlassen könne. Sollten sie sich allerdings weigern, wird genau das Gegenteil passieren und ich werde dafür sorgen, dass sie für alles mitverantwortlich gemacht wird und gemeinsam mit ihnen in den Bau wandert! Was dann aus ihrem Sohn wird, können sie sich ja denken... Ich bin mir sicher, dass die französischen Kinderheime ebenso trostlos sind, wie die deutschen!“


    Dass dieser Deal alles andere als fair war, ganz im Gegenteil, sogar ziemlich mies und gemein, war der Chefin durchaus bewusst.

    Dass sie niemals so skrupellos war und so weit gehen würde, einem Kind ein derartiges Schicksal aufzuzwingen, brauchte Berthold in dem Moment auch nicht zu wissen...

    Ihre Wut auf ihn war noch immer recht ordentlich und diente als perfektes Cover.


    Der Mann starrte sie noch einen Augenblick lang an und versuchte einzuschätzen, ob sie es tatsächlich ernst meinte.

    Aber genau wie Anna es gehofft hatte, missdeutete er die Wut in ihren Augen als bittere Entschlossenheit und Kaltherzigkeit.


    Also nickte er schließlich niedergeschlagen.


    „Wunderbar. Schön zu sehen, dass sie immerhin in dem Punkt vernünftig sind.“



    I dance in tune with what I fear,

    To do adrenaline!

    Cause' it's overrated how we underrate!

  • 15.April 2004


    Rheinbach Wald, 11:30 Uhr



    Noch in der Villa hatte es eine kurze Diskussion gegeben, ob Fux mit den drei Polizisten fahren würde oder nicht. Wobei es mehr eine pro Forma Diskussion gewesen war, da es sehr schnell feststand, dass er natürlich mitkommen würde.

    Camille und Albert Berthold würden sie ein Stück des Weges begleiten, damit sie, sollte der Junge sich tatsächlich in der Gegen aufhalten, wovon sie stark ausgingen, zügig dazu stoßen konnten, wenn das Kind in Sicherheit war.

    Bei der Suche würden sie allerdings nicht dabei sein, da man nicht zu 100 % ausschließen konnte, dass Leute von Van Beust, die Bertholds im Zweifelsfall erkennen könnten, sollten sie gesehen werden.


    Sie hatten sich das von Hartmut markiertes, infrage kommende Gebiet angeschaut und bereits einen Teil für eher unwahrscheinlich markiert, da es dort einen großen Parkplatz und viel genutzte Wanderwege gab.

    Trotzdem war das etwas weiter abseitsgelegene Waldstück, das infrage kam, noch immer recht groß und vor allem recht unübersichtlich.

    Sie parkten die Wagen am Rande eines Waldwegs, der etwas breiter war als die anderen.

    Um Bens Dienstwagen versammelte sich die vierer Gruppe, um einen letzten Blick auf die Karte zu werfen und ihr Vorgehen ein letztes Mal zu besprechen.


    „Wir sollten uns aufteilen.“ Schlug Semir vor und zeigte auf zwei unterschiedliche Bereiche der Karte. „So kommen wir schneller voran und können mehr Boden gut machen.“


    „Also schön, aber keine Alleingänge! Wenn sie etwas finden, machen sie Meldung und warten!“ mahnte die Chefin.


    „Jaaa...“ kam es unisono von Ben und Semir, die zusammen losziehen würden.


    „Ich meine das ernst! Keine. Alleingänge!“ Die Kommissare nickten erneut, während Fux im Hintergrund in ihre Richtung feixte. Das stellte er jedoch sofort ein, als sich die Chefin zu ihm umdrehte.



    ***



    Ben und Semir waren eine gute halbe Stunde in die eine Richtung unterwegs gewesen, als der Waldweg, auf dem sie liefen, so eng wurde, dass es für ein Auto kein Durchkommen mehr gab.


    „Ich glaube nicht, dass wir hier weitersuchen müssen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie ein Versteck gewählt haben, das man nicht mit dem Auto erreichen kann.“ Verkündete Ben und deutete hinter sich.


    „Da war vor ein paar hundert Metern eine Abzweigung. Lass es uns da mal versuchen.“


    Semir nickte zustimmend und lief weiter neben seinem jungen Partner her.


    „Ganz schön beschissene Situation...“, sagte Ben schließlich.


    „Was meinst du genau?“


    „Na ja, in der Haut von diesem Berthold will ich nicht stecken. Aber auch für deinen ehemaligen Kollegen sieht es nicht rosig aus. Immerhin war er an den Raubüberfällen beteiligt.“ Ben sprach damit etwas an, über das Semir schon die letzte Nacht gegrübelt hatte. „Ne, das ist alles ziemlich bescheiden...“ stimmte er zu.


    „Glaubst du, wir können ein gutes Wort für ihn einlegen?“ Bei den Worten musste Semir unwillkürlich lächeln.

    Ben kannte Fux erst seit ca. 48 Stunden und war dennoch bereits bereit ihm zu helfen. Eine Eigenschaft, für den man ihn einfach nur mögen und ihm vor allem großen Respekt zollen musste.


    „Mal schauen, was wir tun können. Wir sollten uns jetzt-“ Semir brach abrupt ab, als Jäger ihn plötzlich am Arm festhielt und von dem Weg tiefer in den Wald hineinzog.

    In der nächsten Sekunde hörte Semir, was Ben ein paar Sekunden vor ihm gehört hatte. Das Motorengeräusch eines Autos.


    „Ist hier nicht eigentlich autofreie Zone?“, fragte Ben und sah sich um. Dabei versuchte er zu hören, von wo das Geräusch kam.


    „Eigentlich schon, ja! Vielleicht der Förster?“ Gerkhan glaubte seinen eigenen Worten jedoch nicht so recht. Das wäre ein komischer Zufall und er vermutete eher, dass es jemand anderes war.


    „Da drüben!“ Ben deutet auf einen an Semir vorbei zwischen den Bäumen hindurch.


    In knapp 100 Metern Entfernung konnte er einen Geländewagen erkennen, der einen dort verlaufenden Weg entlangfuhr. Die Polizisten sahen sich kurz an und nickten zeitgleich. Entschlossen setzten sie dem Wagen nach.

    Der nasse, rutschige Boden, der über und über mit Moos und umgefallenen Bäumen oder abgebrochenen Ästen übersät war, machte ihnen das Vorankommen recht müßig.

    Dadurch war der Gelände wagen schon wieder außer Sichtweite, als sie endlich den Weg erreichten, auf dem das Auto fuhr.

    Ben und Semir waren den Weg erst wenige Meter weit gelaufen, als sie erschrocken zusammenfuhren!


    Mehrere Hundert Meter vor ihnen fielen Schüsse!


    Ohne zu zögern begannen die Kommissare so schnell zu rennen, wie es ihnen möglich war. Allerdings schaffte es Semir dabei wie ein Rohrspatz zu schimpfen:


    „Klar! Keine Alleingänge!“ äffte er mit etwas höherer Stimme als normal. „Wetten das war André? Der ist nämlich Experte für die dümmsten Alleingänge, die du dir vorstellen kannst! So ein Idiot!“



    I dance in tune with what I fear,

    To do adrenaline!

    Cause' it's overrated how we underrate!

  • 15. April 2004


    Rheinbach Wald, 12:05 Uhr



    Keine 10 Minuten zuvor, waren Fux und die Chefin bei ihrer Suche ein wenig erfolgreicher gewesen als ihre zwei Kollegen.

    Sie waren einem Weg gefolgt, der zu einer recht verborgenen, kleinen Waldhütte führte. Vermutlich eine Jagd- oder etwas größere Schutzhütte.

    Sie waren vom Weg abgegangen und hatten sich vorsichtig durch das Unterholz genähert.


    „Scheint jemand da zu sein...“ André deutete auf den Rauch, der aus dem Schornstein kam und den man auch deutlich riechen konnte.

    Anna nickt und hatte schon nach ihrem Handy gegriffen, nur um festzustellen, dass der Empfang so gut wie nicht vorhanden war und der Anruf nicht zu Semir durchging.

    Das erklärte auch, warum Hartmut das Gebiet nicht näher hatte eingrenzen können...


    So ein Mist!


    „Wir sollten ein bisschen näher ran...“, murmelte Fux und spähte durch die Zweige.


    „Das halte ich für keine gute Idee! Wie wollen sie das anstellen?“ Die Chefin schüttelte mit dem Kopf, aber André war bereits eine Idee gekommen.


    „Wie heißt unser Hund?“


    „Was?“


    „Unser entlaufener Hund, wie soll der heißen?“ er grinste verschwörerisch und Anna begriff was er vorhatte. „Das ist keine gute Idee...“


    „Na kommen sie... Nur mal kurz gucken. Vielleicht ist ja auch doch niemand da. Ein Auto sehe ich nämlich nicht...“

    Anna war noch immer nicht begeistert, ließ sich aber von Andrés Tatendrang anstecken und nickte schließlich.


    „Also schön... Balto. Der Hund heißt Balto.“ Das war der erste Name, der ihr einfiel, da es ein Kinderbuch mit dem Titel gab, aus dem sie Leonie erst vor Kurzem vorgelesen hatte.


    „Gefällt mir. Balto unser entlaufener Schäferhund Welpe... Dann lass uns den mal Suchen gehen... Schatz!“


    Ohne zu zögern, griff er nach ihrer Hand und zog sie auf den Weg zurück, der zu der Hütte führte. Schon im nächsten Moment rief er laut: „Balto! Balot komm her!“

    Anna musterte ihn einen weiteren Moment ziemlich skeptisch, insbesondere ihre ineinander geschlungenen Hände, ließ sich mit einem letzten Kopfschütteln dann aber auch auf das Theater ein und rief ebenfalls nach ‚ihrem entlaufenen Hund‘...




    Sie mussten nicht lange auf eine Reaktion warten, schon als sie noch gut 15 Meter von der Hütte entfernt waren, öffnete sich, angelockt von ihren Rufen, die Tür und ein Mann trat heraus.

    Schon auf den ersten Blick wirkte er recht grobschlächtig und einfach gestrickt. Trotzdem hatte Anna kein gutes Gefühl bei der Sache. Sie und Fux sahen nicht wirklich aus, als ob sie einen Waldspaziergang geplant hatten.


    Sie hatte heute Morgen zwar auf einen Hosenanzug verzichtet und stattdessen zu einer weniger formalen und bequemen dunkelblauen Jeans, sowie einem einfachen hellen Langarmshirt gegriffen, aber ihre flachen Lederschuhe waren eigentlich ganz eindeutig nicht für einen Waldspaziergang tauglich.

    Außerdem musste sie aufpassen, dass man ihre Waffe nicht unter der kurzen Übergangsjacke sah.

    Und auch Andrés Schuhe und der Rest seiner Kleidung sahen nicht wirklich nach Waldspaziergang aus...


    „Ah, hallo!“ ging Fux im nächsten Augenblick aber schon auf den Mann zu und hob eine Hand zum Gruß. Dabei zog er sie mit sich, da er noch immer ihre Hand festhielt.


    „Können sie uns vielleicht helfen? Meine Frau und ich suchen unseren Hund.“


    „Ich habe keinen Hund gesehen.“ Brummte der Fremde und musterte sie.


    „Oh nein! Sind sie sicher? Ein kleiner Schäferhund, Balto...“


    „Ich habe nichts gesehen.“ Wiederholte der Kerl und schien bereits ein wenig genervt zu sein. André ließ sich jedoch nicht beirren und ging noch ein Stück weiter auf ihn zu, dabei erklärte er gespielt verzweifelt.


    „Wir haben ihn noch nicht so lange und er hört noch nicht so gut. Er war das Geburtstagsgeschenk für unseren zweitältesten Sohn, Ben. Der ist vor zwei Wochen 12 geworden.“


    Die Chefin schaffte es nur mit großer Mühe und gerade soeben, einen verräterischen Laut zu unterdrücken.

    ‚Balto‘ war also ein Geburtstagsgeschenk für den kleinen Ben...

    Fux redete weiter wie ein Wasserfall und hatte dadurch die Aufmerksamkeit von dem jetzt offensichtlich genervten Kerl, der noch immer vor der offenen Tür stand.


    „Ich weiß überhaupt nicht, wie wir ihm das erklären sollen, wenn er nachher aus der Schule kommt und wir den Hund nicht gefunden haben!“ Er fuhr sich dramatisch durch die Haare.


    „Und die beiden kleinsten erst! Die Mädchen sind erst drei und fünf und werden mit Sicherheit untröstlich sein!“

    André sah kurz zur Seite und Anna machte jetzt auch ein sehr betretenes Gesicht.


    Die armen Kleinen...


    „Selbst der Älteste, Se-bastian wird da ganz schön dran zu knabbern haben...“


    „Das tut mir leid, aber ich habe keinen Hund gesehen!“ Der Typ schüttelte entschieden mit dem Kopf. Hinter ihm bewegte sich etwas und nun trat auch ein zweiter Mann aus der Hütte, der fragend in ihre Richtung sah.


    André wollte auch ihn nach dem Hund fragen, als sie das Geräusch eines sich zügig nähernden Wagens hörten.

    Alle vier Augenpaare sahen den Waldweg hinunter, auf dem sich jetzt ein Jeep näherte.


    Oh. Nein!


    Die Chefin drückte alarmiert Andrés Hand. Es war der Jeep, den sie am Abend zuvor angehalten hatte! Als er Sekunden später vor ihnen zum Stehen kam, erkannte sie auch die beiden Wachleute wieder. Und leider erkannten die sie auch sofort...

    Sie hatten keine drei Schritte gemacht, als die Beifahrertür aufflog und einer der Wachleute eine Pistole auf sie richtete.


    Um zu zeigen, das er es bitterernst meinte, schoss er in den Boden, keinen Meter von ihnen entfernt. Der Fahrer verkündete derweil an seine Komplizen vor der Hütte gewandt, dass sie ‚eine scheiß Bullenschlampe sei‘!


    Wie charmant...


    André neben ihr murmelte derweil: „Jetzt wäre Lassie ganz praktisch, die Hilfe holt...“


    I dance in tune with what I fear,

    To do adrenaline!

    Cause' it's overrated how we underrate!

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!