Von den Lebenden und den Toten

  • 05.April 2004


    PAST, 17:10 Uhr



    „Ist das nicht ein bisschen obsessiv?“


    „Bitte was?“ Semir blickte erstaunt auf, als sein Partner plötzlich hinter ihm stand.


    „Ich meine ich verstehe das Prinzip der Konfrontationstherapie ja, aber man kann es auch übertreiben...“


    „Der Konfron- Was...?“ Gerkhan war ernsthaft irritiert.


    „Ach, vergiss es.“ Ben winkte ab, fragte dann aber doch noch: „Stört es dich wirklich so sehr, dass die Kerle heute entkommen sind? Ich meine das passiert halt manchmal. Wir können ja nicht immer gewinnen...“


    „Ja, also ich meinen nein...“ Semir grinste leicht verlegen. „Es stört mich natürlich schon, aber nicht so schlimm wie du denkst. Es irritiert mich eher.“


    „Okay...“ Ben sah ihn jetzt aufmerksam an, keine Spur von Witz mehr auf seinem Gesicht.


    „Mir kommt die Fahrweise des Fluchtwagens irgendwie bekannt vor. Aber ich kann einfach nicht sagen warum, oder was mir so bekannt vorkommt. Vielleicht sehe ich auch einfach Gespenster...“


    „Zeig mir die Aufnahmen nochmal.“ Gemeinsam sahen sie sich die Aufnahme an und Ben kam nicht umher, seinem Partner recht zu geben:


    Auch ihm kam irgendetwas bekannt vor. Er spulte an verschiedene Stellen, die er sich dann mehrfach ansah, bis es ihm schließlich wie Schuppen von den Augen fiel, als er sich die Überquerung einer Kreuzung mehrfach hintereinander ansah.


    „Ich kann dir sagen was dir so bekannt vorkommt: Der Fährt wie ein Bulle.“


    Semir riss die Augen auf! Natürlich! Wieso hatte er das nicht gleich selber erkannt?


    „Chefin!“


    -


    „Die Art wie der Kerl auf die Kreuzung fährt und noch ein paar andere Stellen. Das ist eins zu eins das, was wir alle während unserer Ausbildung beim Fahrtraining gelernt haben. Die meisten fahren Blindlinks drauf los, wenn sie verfolgt werden, der Typ nicht. Der weiß genau was er tut!“


    Anna konnte dem nicht widersprechen und nickte anerkennend. Das hatten die Beiden sehr gut erkannt.


    „So, wie die Überfälle in den Akten der Kollegen beschrieben sind, können wir davon ausgehen, dass es sich sehr wahrscheinlich um dieselben Täter handelt. Wir können damit wohl auch davon ausgehen, dass es sich bei ihnen um Franzosen handelt.“


    Sie warf einen weiteren Blick auf den Fernseher. „Wenn der Fahrer wirklich Polizist ist oder war, gibt es in Frankreich ernstzunehmende Konkurrenz für sie, meine Herren.“


    „Naja... Also...!“ Semir und Ben blickten etwas pikiert drein, während ihre Chefin ihnen einen schönen Feierabend wünschte, da es für sie höchste Zeit wurde nach Hause zu fahren, wo ihr kleines Monster schon wartete.


    „Ein französischer Kollege der besser Autofährt als ich... Soweit kommt’s noch!“ brummte Gerkhan, als Anna zum Abschied winkte.






    06. April 2004


    Villa am Stadtrand von Köln, 06:05 Uhr



    Er schreckte atemlos aus dem Schlaf auf und sah sich kurz panisch in dem schwachbeleuchteten Raum um.

    In dem Zimmer war alles wie immer und er begriff langsam, dass die Geräusche, die ihn vermeidlich geweckt hatten, wohl in seinem Traum vorgekommen waren.

    Er atmete langsam und tief ein und aus, griff dabei nach einer Wasserflasche, die auf dem Nachtischchen stand und leerte sie mit wenigen Zügen zur Hälfte.


    Er kannte den Traum bereits, hatte er ihn doch schon einige Male aus dem Schlaf gerissen. Es war jedoch schon recht lange her, seit er ihn das letzte Mal heimgesucht hatte. Aber es war noch immer, mehr oder weniger, das Gleiche:


    Er jagte anscheinend ziellos mit hoher Geschwindigkeit über eine Autobahn. Die Szenerie änderte sich und er sah die Umrisse mehrerer, wie er glaubte, Büroräume. Fand sich dann vor einem Schreibtisch sitzend, neben ihm ein anderer Mann, dessen Gesicht er jedoch nicht wirklich scharf sehen konnte.


    Im Gegensatz dazu, war das Gesicht der Frau, die ihm gegenübersaß, deutlich zu erkennen. Er konnte nie hören was sie sagte, aber sie wirkte jedes Mal unterkühlt und streng.


    Kurz darauf war er jedoch mit derselben Frau in einer Wohnung und sie saß ihm lachend gegenüber. Ihre Augen leuchteten und jegliche strenge war aus ihrem Gesicht verschwunden. Anscheinend schienen sie sich besser zu kennen, denn das letzte Bild, was er immer von ihr sah, war ihre nackte Silhouette, die neben ihm lag.


    Danach änderte der Traum sich jedes Mal:


    Einmal hatte er Bilder eines Mannes gesehen, der aus einem Helikopter sprang, ehe er aufwachte. Ein anderes Mal hatte er ein Motorboot gesehen, das über das Meer schoss. Gerade eben, war es die Explosion eines Autos gewesen, die ihn aus dem Schlaf geholt hatte.


    Als er den Traum vor einigen Jahren das erst Mal gehabt hatte, hatte er wie von Sinnen versucht raus zu bekommen wer die Unbekannte aus seinem Traum war.

    Hatte sich gefragt, ob sie vielleicht seine Frau oder Freundin gewesen war. Beinahe wäre er daran zu Grunde gegangen. Mittlerweile war es ihm fast schon egal.


    Er hatte sich damit abgefunden, dass er sich nicht erinnern konnte. Das er nicht wusste, wer er bis vor ziemlich genau fast fünf Jahren gewesen war, als er sein Gedächtnis verloren hatte.

    Warum er ausgerechnet jetzt wieder diesen Traum gehabt hatte, irritierte ihn jedoch mehr, als er zugeben wollte.


    Insgeheim hoffte er wohl noch immer, irgendwann zu erfahren wer Sie war. Zu erfahren wer Er selber war. Oder gewesen war...

    Zudem fühlte er, dass es bei ihm unter der Oberfläche mächtig brodelte und hatte immer mehr den Eindruck, als versuche sich etwas aus seinem Unterbewusstsein an die Oberfläche zu kämpfen. Und dass schien sowohl mit der Stadt, in der er sich befand zu tun zu haben, als auch mit der Verfolgungsjagt vom gestrigen Morgen.


    Vor dem Fenster war die Sonne kurz davor sich über den Horizont zu schieben und da er eh nicht mehr schlafen konnte, stieg er in seine Sportsachen. Renard hoffte, dass er beim Laufen wieder einen etwas klareren Kopf bekommen würde.


    I dance in tune with what I fear,

    To do adrenaline!

    Cause' it's overrated how we underrate!

  • Samstag, 10. April 2004


    Haus von Semir und Andrea, Leverkusen 15:37 Uhr



    An diesem Samstagnachmittag hatten Semir und Andrea einige der Kollegen zu sich nach Hause eingeladen, um auf ihre Verlobung anzustoßen und die diesjährige Grillsaison einzuläuten.

    Es war zwar noch nicht besonders warm, aber die Sonne schien immerhin schon und Semir wollte unbedingt seinen neuen Weber Grill ausprobieren, den er gekauft hatte, als er mit Andrea vor gut vier Monaten in das kleine Reihenhaus gezogen war.


    Gedankenverloren wendete er jetzt die auf dem Grill liegenden Stücke Fleisch und beobachtete, wie sein Partner mit der Tochter seiner Chefin durch den Garten tollte.

    Semir wusste nicht genau was sie da trieben und konnte auch nicht erkennen, wer da wen jagte, aber Leo schien einen Heiden Spaß zu haben.

    Semir sah auf, als Anna neben ihn auf die Terrasse trat und Ben und Leonie mit hochgezogenen Augenbrauen beobachtete.

    Gerkhan grinste und sagte: „Ich glaube nicht, dass sie sich Sorgen um die Kurze machen müssen. Ben hat ein erstaunlich gutes Händchen mit Kindern.“ Die Chefin grinste jetzt ebenfalls.


    „Oh, um meine Tochter mache ich mir keine Sorgen! Ich mache mir eher Sorgen um ihren Partner!“ Semir gluckste und beobachtet wie Jäger einen kleinen Sandhaufen hochgescheucht wurde, der noch vom Bau der Terrasse übriggeblieben war.

    Ja, es war jetzt eindeutig wer da wen jagte.


    Leo schien wirklich so schnell nichts zu erschrecken und er war sich ziemlich sicher, dass seine Chefin ordentlich damit zu tun hatte, dass sie zwischendurch nicht über die Stränge schlug.

    Er hatte sich schon mehr als einmal gefragt, ob das wohl die Gene des unbekannten Vaters waren, die da durchschlugen.

    Die Engelhardt hatte zwar durchaus ebenfalls ein Temperament, das hin und wieder auf sehr einprägsame Weise zum Vorschein kam, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass sie als Kind auch nur ansatzweise so wild gewesen war, wie ihre Tochter jetzt.



    „Sie wirken den ganzen Nachmittag schon recht nachdenklich, Semir.“ Sagte Anna schließlich und kam damit zum eigentlichen Grund, warum sie zu ihrem Kommissar auf die Terrasse gekommen war.


    Gerkhan musste unwillkürlich lächeln.


    Das war eine der Eigenschaft, die er an seiner Vorgesetzten sehr zu schätzen wusste. Sie war unglaublich feinfühlig und verfügte über jede Menge Empathie, sodass sie immer recht schnell erkannte, wenn die Menschen um sie herum etwas bedrückte oder sie etwas brauchten.


    „Mir geht der Überfall einfach nicht aus dem Kopf.“ Antworte Semir deswegen wahrheitsgemäß, da leugnen eh zwecklos gewesen wäre.

    Seit ihnen zu Beginn der Woche die Juwelendiebe entkommen waren, waren sie diesbezüglich nicht wirklich weitergekommen.


    Am Mittwoch hatten sie zwar den völlig ausgebrannten Chrysler in einer Kiesgrube bei Frechen gefunden, aber das hatte sie auch nicht weitergebracht.

    Denn selbst das KTU Genie Hartmut hatte in dem Wrack nichts mehr finden können, was auf die Identität der Räuber hingedeutet hätte. Oder auch sonst irgendeine Spur gefunden.

    Sie konnten also nicht wirklich etwas anderes machen, als abzuwarten, bis die Täter wieder zuschlugen.

    Falls sie das überhaupt tun würden. Vielleicht lagen sie auch schon unter der karibischen Sonne und verprassten ihre Beute.

    Mal davon abgesehen, dass dies nicht schon frustrierend genug gewesen wäre, ließ ihm der Fahrer einfach keine Ruhe.


    „Was genau geht ihnen denn nicht aus dem Kopf?“ Die Chefin sah ihn mit recht neutraler, aber aufmerksamer Mine an.


    „Ich glaube nicht, dass mir der Fahrstil nur so bekannt vorgekommen ist, weil der Fahrer wahrscheinlich Polizist ist. Da ist noch irgendetwas anderes was mir von irgendwoher unglaublich vertraut vorkommt. Aber ich kann einfach keinen Finger in die Wunde legen... Verstehen sie was ich meine?“


    „Ja, ich glaube schon.“ Anna nickte langsam. „Helfen kann ich ihnen dabei allerdings leider nicht, Semir. Aber wenn sie glauben das es wichtig ist, dann bleiben sie da auf jeden Fall dran und vertrauen ihrem Instinkt. Dann fällt es ihnen früher oder später vielleicht doch noch ein.“ Semir nickte nachdenklich, bis ihn Bens Rufe um Gnade vom Sandhaufen ablenkten.


    „Ich glaube, ihr Partner braucht Verstärkung, Semir...“ Gerkhan kam nicht umher verschlagen zu grinsen. Leonie hatte anscheinend soeben herausgefunden, dass Ben fürchterlich kitzelig war.


    „Och, ich weiß nicht... Der schaut so aus, als ob er alles voll unter Kontrolle hätte.“


    Anna warf ihm einen Seitenblick zu.


    „Wenn das ihre Auffassung von Kontrolle ist, wundert mich das mit ihrem Dienstwagenverschleiß natürlich nicht mehr...“


    „Ja... Na ja...“ Semir grinste und legte den Kopf zur Seite, während Ben den kleinen Hügel hinunter kullerte. „Vielleicht sollte ich ihm doch ein wenig zur Hand gehen...“



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  • Montag 12. April 2004


    PAST, 08:50 Uhr



    „Guten Morgen!“ Am Montagmorgen betrat Semir gemeinsam mit Andrea, ausgeschlafen und wesentlich besser gelaunt das Revier.


    „Morgen, Semir!“ Die Chefin saß schon an ihrem Schreibtisch und lächelte ihn durch die offenstehende Bürotür freundlich an, als er vorbei ging. Ben betrat, bepackt mit einer Brötchentüte, keine fünf Minuten später die PAST.

    Auch er war gut gelaunt und pfiff fröhlich vor sich hin. Da beide Kommissare noch einiges an Papierkram zu erledigen hatten und es auf den Autobahnen erstaunlich ruhig war, verbrachten sie den Vormittag an ihren Schreibtischen.

    Gegen Mittag waren sie mit dem lästigen Geschreibe endlich fertig und Semir brachte ihre gesammelten Werke ins Büro nebenan, wo die Engelhardt schon darauf wartete.


    „Danke ihnen, leg-“ Sie wurde vom Klingeln des Telefons auf ihrem Schreibtisch unterbrochen. Ein Blick auf die Nummer im Display ließen ihre Augenbrauen gen Haaransatz wandern und sie nahm zügig ab.


    „Ja, Engelhardt?“ Semir konnte beobachten wie sich ihre Augen weiteten, während sie zuhörte, ehe sie ungläubig in den Hörer fragte: „Sie hat was gemacht?!“


    Sie lauscht für weitere Sekunden, fuhr sich dabei mit einer Hand über das Gesicht und sagte dann:

    „Ich mache mich sofort auf den Weg! Danke...“

    Noch während sie auflegte stand sie auf und griff nach ihrer Jacke. Dabei murmelte sie ungehalten: „Das Kind macht mich wahnsinnig!“


    An Semir gewandt sagte sie: „Das war Leos Kindergarten... anscheinend ist sie auf die glorreiche Idee gekommen mit einem Bobby-Car die Rutsche herunterzufahren und hat sich dabei wehgetan...“


    „Oh...“ Auch Semir bekam jetzt große Augen.


    „Ich weiß nicht, ob ich nachher noch mal ins Büro zurückkomme...“


    „Kein Thema Chefin! Kümmern Sie sich um Leonie. Wir kommen hier schon zurecht!“


    „Danke...“ Anna war schon auf dem Weg nach draußen.


    ***


    „Was hat sie denn?“ Ben war aus ihrem Büro getreten und sah fragend seiner Chefin hinterher, die fast schon aus dem Büro rannte.


    „Sie muss in den Kindergarten...“ Ben sah ihn weiterhin fragend an. „Leo ist wohl mit einem Bobby-Car die Rutsche runtergefahren und das ist nicht gut gegangen...“ Semir schüttelte halb ungläubig, halb belustigt den Kopf.


    „Das hat sie nicht gemacht!“ Ben klang ungläubig und wurde kurz darauf jedoch ein wenig blasser um die Nasenspitze, Erkenntnis in den Augen, was seinem Kollegen nicht entging.


    „Was denn?“, fragte Semir interessiert.


    „Na ja... Es wäre möglich, dass das kleine Monster und ich uns am Samstag über fliegende Autos unterhalten haben...“ Er schluckte. „Und über Sprungschanzen...“


    Gerkhan bekam große Augen und konnte sich ein Lachen nicht mehr verkneifen.


    „Lass das bloß die Chefin nicht erfahren...!“


    „Wer kann den ahnen das die Kurze das gleich ausprobiert?“ Ben schüttelte völlig ungläubig den Kopf.


    Semir wog belustigt den Kopf hin und her. „Ich weiß nicht, woher sie es hat, aber Leonie ist immer offen für jegliche Art von Blödsinn... Und Aktion!“ Er klopfte dem jungen Kollegen auf die Schulter. „Da wird schon nichts passiert sein. Schnapp dir lieber deine Jacke und auf geht’s!“


    Ben grinste und fragte schon wieder spitzbübisch: „Darf ich mit meinem Dienstwagen auch eine Rutsche runterfahren?“


    „Klar, wenn du das dann auch der Chefin erklärst...“



    ***



    Die beiden Kommissare waren noch keine Stunde in ihrem Revier auf Streife und wollte gerade einen Verkehrssünder anhalten, als sie etwas über Funk hörten, was sie den Rowdy binnen Sekunden vergessen ließen:

    Kollegen des 36. Reviers aus der Innenstadt waren durch Zufall in einen Juwelenraub geplatzt und verfolgten jetzt einen Mercedes Vito Stadt auswärts.

    Ben und Semir sahen sich kurz an und es war sofort klar, dass sie das Gleiche dachten:


    Das konnten die Typen von vor einer Woche sein!


    In einem waghalsigen Manöver steuerte Semir seinen Dienstwagen in letzter Sekunde auf die nächste Ausfahrt und hätte dabei beinahe einen Porsche abgeschossen.


    „Cobra 11 an Zentrale, ist mehr über die Flüchtigen bekannt?“, fragte Ben, während Gerkhan den BMW weiter beschleunigte.


    „Offenbar drei flüchtige Täter die einen Juwelier in Deutz überfallen haben. Sie fliehen in einem dunklen Mercedes Vito in östlicher Richtung Stadt auswärts. Täter sind bewaffnet und gefährlich.“


    „Das ist verstanden! Cobra 11 ist auf dem Weg, um die Kollegen zu unterstützen!“


    Semir neben ihm starrte grimmig auf die Straße und trat das Gaspedal durch bis zum Anschlag. „Den kauf ich mir!“






    12.April 2004


    Köln, B55 Stadtauswärts, 14:26 Uhr



    So ein verfluchter Mist!


    Natürlich hatte ausgerechnet heute etwas schiefgehen müssen! Warum um alles in der Welt war ausgerechnet ein Streifenwagen um die Ecke gebogen, als seine beiden Komplizen aus dem letzten Juwelier gestürmt waren?


    Zu allem Überfluss hatten sie sich dann auch noch einen Schusswechsel mit den Beamten geliefert, obwohl eigentlich ausgemacht war, von den Schusswaffen nur im absoluten Notfall Gebrauch zu machen.

    Es hätte völlig gereicht, wenn sie zu ihm in den Fluchtwagen gestiegen wären! Aber nein! Sie mussten in Wild-West Manie herumballern!

    Das einzig Positive momentan war, das der Abstand zwischen ihnen und dem Streifenwagen immer größer wurde und bis jetzt noch keine Verstärkung in Sicht war.

    Mit ein wenig Glück würde er sie abschütteln können.


    „Renard, Attention!“ Der erschrecke Ruf von Duvèrt neben ihm ließ ihn zur Seite blicken und seine Miene verfinsterte sich.


    Der silberne BMW war wieder da!


    Wo um alles in der Welt kam der jetzt so plötzlich her?


    Obwohl sie jetzt eindeutig ein größeres Problem hatten, kam er nicht umher ein aufkeimendes Gefühl von Nervenkitzel zu unterdrücken.

    Es war jetzt wieder ein Kampf auf Augenhöhe... Das konnte interessant werden!

    Renard umfasste das Lenkrad mit einem eisernen Griff und trat das Gaspedal des Vitos bis zum Anschlag durch!


    Der Fahrer des BMWs hinter ihnen tat jedoch genau dasselbe.


    Semir würde alles daransetzen, dass ihnen die Diebe dieses Mal nicht entkommen würden. Die Schmach würde er sich kein zweites Mal geben!

    Bens wild entschlossener Gesichtsausdruck auf dem Beifahrersitz zeigte deutlich, dass auch er alles daransetzen würde, die Kerle zu schnappen.


    Die Polizisten vermuteten berechtigterweise, dass die Flüchtigen versuchen würden auf die Autobahn A3 zu kommen, als sie jetzt die B55 entlangrasten. Mit einem geschickten Manöver sorgte Semir jedoch dafür, dass ihnen das nicht gelang. Weil er ihn abdrängte, zwang er den Fahrer des Fluchtwagens von der B55 abzufahren und auf die Waldecker Straße bei Buchforst zu biegen.


    Renard fluchte erneut. Der Fahrer des BMWs war gut, richtig gut! Es war wesentlich schwerer durch den dichteren werdenden Stadtverkehr zu fliehen als über die Autobahn!

    Aber gut! Er nahm die Herausforderung nur zu gerne an...

    Kurz darauf war das Glück dieses Mal jedoch nicht aufseiten der Diebe, sondern auf Ben und Semirs Seite:


    Als der Vito über eine Kreuzung schoss, trat unvermittelt ein Vater mit Kind an der Hand auf die Straße, die den Wagen, der bei Rot gefahren war, anscheinend übersehen hatten.

    Ben und Semir hielten vor Entsetzen die Luft an, und rechneten schon mit dem Schlimmsten, als der Fahrer des Mercedes das Steuer herumriss, um den Fußgänger auszuweichen.


    Das Fahrzeug geriet daraufhin ins Schlingern und kollidierte einige Meter weiter erst mit einem Zaun nur um dann in einer Litfaßsäule hängenzubleiben und endgültig zum Stehen kam.

    Unglücklicherweise mussten die Kommissare selber einem anderen Auto ausweichen, was sie wertvolle Zeit kostete.

    Als Semir den BMW neben dem demolierten Vito zum Stehen brachte, der jetzt die Straße versperrte, hatten die drei Täter schon zu Fuß die Flucht ergriffen.


    Gerkhan und Jäger warfen sich einen kurzen Blick zu und nickten.

    Während Ben hinter dem Mann herlief, der die Tasche mit der Beute bei sich hatte, setzte Semir dem Fahrer nach. Sie hofften, dass die Kollegen in Uniform, die nun ebenfalls eintrafen, dem dritten Mann folgen würden.


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  • 12. April 2004


    Köln Mühlheim, 14:39 Uhr



    „Stehen bleiben, Polizei!“ Ben setze dem Flüchtenden so schnell nach, wie es ihm möglich war. Stück für Stück wurde der Abstand zwischen ihnen geringer.

    „Arrêtes! Police!“ rief er jetzt auch noch auf Französisch. Auch wenn er ihn jetzt vermutlich verstanden hatte, schickte der Kerl sich noch immer nicht an stehenzubleiben.


    Zu dumm aber auch!


    Das Verbrechen nie das taten, was die Polizei von ihnen wollte... Immer dieses verfolgen, was dann meistens auch noch in einer Rangelei endete!

    Ben schüttelte kurz den Kopf, rannte aber unbeirrt weiter. Er hatte sich den Job ja schließlich freiwillig ausgesucht.

    Es war mittlerweile auch offensichtlich, dass der Typ sich nicht auskannte und keine Ahnung hatte, wo er hinlief. Diese Tatsache ließ Ben unvermittelt grinsen. Er kannte sich hier aus und wusste, wohin zu augenblicklich rannten.


    Und das machte er sich jetzt zum Vorteil!


    Jäger kannte eine Abkürzung, die er jetzt nahm und die dazu führte, dass der Verbrecher für einen Moment dachte das er den Polizisten schon abgehängt hatte, da er ihn hinter sich nicht mehr sehen konnte.

    Seine Freude darüber hielt jedoch nur sehr kurz an. Als er um die nächste Ecke bog, rannte er in die ausgestreckte Faust des Mannes, der gerade noch hinter ihm gewesen war und es wurde für ein paar Sekunden Schwarz um ihn.

    Als er wieder klarsehen konnte, lag er auf dem Rücken und blinzelte in den Lauf einer Waffe. Der junge Polizist kniete auf seiner Brust, ein breites Grinsen auf den Lippen.


    „Surpris, Gros con!“



    ***



    Während Ben ‚seinen‘ Bösewicht schon dingfest gemacht hatte, war sein Partner noch ziemlich hart am Arbeiten, beziehungsweise ziemlich schnell am Rennen.

    Wie sich herausstellte, war der Fahrer nicht nur ein ausgezeichneter Autofahrer, sondern auch noch flink wie ein Wiesel.

    Und schon wieder hatte Semir das Gefühl, das es ihm irgendetwas unglaublich bekannt vorkam...

    Er hatte jedoch keine Gelegenheit weiter darüber nachzudenken, da er kräftig damit beschäftigt war, mit dem Flüchtenden mitzuhalten.


    Da sie augenblicklich an eine recht belebte Straße entlangliefen, wollte Semir es auch vermeiden seine Pistole zu ziehen, da er unter keinen Umständen einen Unbeteiligten verletzen wollte.

    Als er um die nächste Ecke bog, rutschte der Fliehende aus, was dafür sorgte das Semir ein wenig Boden gut machen konnte. Hinzukam, dass sie sich jetzt in einer recht verlassenen Seitengasse befanden.

    „Langsam reicht’s mir mit dir!“, keuchte Semir vor sich hin und zog schließlich doch seine Waffe.


    „Polizei! Stehen bleiben oder ich schieße!“ brüllte er so laut er konnte.

    Etwas zu seinem Erstaunen blieb der Angesprochenen tatsächlich stehen.

    Und das sogar sehr abrupt.



    Bis jetzt hatte er sich nicht einmal die Mühe gemacht, sich auch nur kurz nach seinem Verfolger umzuschauen. Für ihn zählte nur davon zu kommen!

    Als er jetzt jedoch dessen Stimme hörte, die ihm barsch befahl, stehenzubleiben, durchfuhr es ihn bis tief ins Mark und er bleib wie von der Tarantel gestochen stehen!

    Er kannte die Stimme, daran bestand für ihn von der ersten Sekunde an keinerlei Zweifel, als er sie hörte.


    „Die Hände hoch und hinter den Kopf! Dann ganz langsam umdrehen!“ brüllte der Mann als nächstes.

    Er schluckte schwer und fühlte, wie sein Puls sich noch weiter beschleunigte. Was würde passieren, wenn er sich jetzt umdrehte? Würde er das Gesicht zur Stimme erkennen?


    Wenn ja, was würde dann sein?


    Was würde sein, wenn er den Polizisten, der ihn verfolgte, kannte? Würde der ihn vielleicht auch erkennen?

    Erst jetzt fiel ihm wieder ein, dass er ja noch immer eine Sturmhaube trug, bei der man nicht mehr sehen konnte als seine Augen.


    Eine ganz komische Mischung, aus Aufregung, Vorfreude und Angst, von der er keine Ahnung hatte, wo sie so plötzlich herkam, machte sich in seiner Brust breit und er kam der Aufforderung zögerlich nach, sich langsam umzudrehen.

    Als er dann in das Gesicht des recht kleinen Mannes sah, der mit seiner Waffe auf ihn zielte, setzte sein Herz für mehrerer Schläge aus.


    Er hatte ihn eindeutig schon mal gesehen, auch darin war er sich umgehend sicher. Verschiedenste Bilder strömten plötzlich, unaufhaltsam auf ihn ein und überrollten ihn wie ein Tsunami.


    Was zur Hölle passierte hier gerade?!


    Er schüttelte den Kopf und versuchte sich wieder auf den Mann vor sich zu konzentrieren, der ihm erneut etwas zurief. Es dauerte jedoch einen Moment, bis er dessen Stimme wieder hören konnte.


    „Get down on your knees!“


    Die Tatsache, dass der Polizist ihn jetzt auf Englisch ansprach, holte ihn ungewollt aus seiner kurzen Trance und zurück auf den Boden der Realität.

    Egal wer der Mann war und egal in was für einem Verhältnis sie in seinem früheren Leben vielleicht einmal zueinandergestanden hatten, hier und jetzt war er ihm nicht wohlgesonnen! Er war ein Dieb und der Andere ein Bulle! Also musste er schleunigst sehen, dass er von hier wegkam!



    Semir war das etwas komische Verhalten des Juwelendiebs nicht entgangen.

    Gepaart mit seinem ganz eigenen komischen Gefühl, dass hier irgendetwas eigenartig war, ließ ihn einen seiner seltenen vorkommenden Fehler machen:

    Er trat zu nah an den maskierten Mann heran.

    Dadurch lernte er ungewollt, dass der Unbekannte ein hervorragender Kampfsportler war.

    Gerkhan konnte gar nicht so schnell gucken wie seine Dienstwaffe klappernd auf dem Boden landete und ihn der erste Schlag hart am Kinn traf.


    Der folgende Kampf dauerte entsprechend kurz. Auch wenn Semir den ein oder anderen kräftigen Treffer landete, hatte er keine Chance gegen den gut trainierten, erfahrenen Kämpfer.

    Und so fand sich der kleine Polizist schon kurz darauf auf dem Rücken, auf dem Boden liegend wieder.

    Der Fahrer des Fluchtwagens kniete auf seiner Brust, bereit den entschiedenen Schlag zu landen.


    Doch er zögerte.


    Starrte Semir einen Augenblick lang an.


    Und Semir starrte zurück, anstelle das Zögern des Anderen zu seinem Vorteil zu nutzen.


    Starrte in die blauen Augen, die der einzige Teil des Gesichts war, den er erkennen konnte-

    Und hatte das Gefühl, dass sein Herz aufhörte zu schlagen!


    Seine eigenen Augen weiteten sich zu einer unvorstellbaren Größe, was dazu führte, dass die blauen Augen sich argwöhnisch verengten.

    Einen weiteren Herzschlag lang, sahen sie sich einfach nur an, bis der Kerl ausholte und es dunkel um Semir wurde...


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  • 12.April 2004


    Köln Mühlheim, 14:49 Uhr



    „Hey Partner...! Aufwachen!“


    Leichte Ohrfeigen und die besorgte Stimme von Ben Jäger holten Semir zurück in die Welt der Lebenden.

    Der Deutschtürke rappelte sich in einer erstaunlichen Geschwindigkeit auf und sah sich suchend um.

    „Ist er weg?“ Er klang gehetzt und sein Blick suchte unruhig die Umgebung ab. Außerdem war er kreidebleich.

    Sein Partner schob es für den Moment auf die etwas unglücklich geendete Verfolgungsjagd, bekam aber recht schnell mit, dass da noch etwas anderes war.


    „Was ist denn los? Geht’s dir gut?“ Ben fing an sich ernsthaft Sorgen zu machen. Vielleicht war er unglücklich gestürzt und hatte eine Gehirnerschütterung...?


    „Ja, ja... Geht schon! Hast du gesehen, wo der Typ hin ist?“ Jäger schüttelte verneinend den Kopf. „Als ich hier angekommen bin, war er schon weg. Die Fahndung läuft aber.“


    Semir nickte und drehte sich noch einmal um die eigene Achse.


    „Sicher das alles in Ordnung ist? Du schaust so aus, als ob du einen Geist gesehen hättest...“


    „Was...? Nein, ist alles gut.“ Gerkhan atmete tief ein und bemühte sich seine Gedanken zu sortieren. Dabei rieb er sich das schmerzende Kinn. „Was ist mit den andern Beiden?“, fragte er schließlich.


    „Ich habe einen der Kerle erwischt.“ Es war deutlich zu hören, dass da ein wenig Stolz mit in der Stimme des jungen Polizisten schwang „Und die Beute habe ich auch sichergestellt.“


    Semir nickt. Immerhin etwas.


    „Und der Dritte?“


    „Ist den Kollegen leider durch die Lappen gegangen.“ Das war ärgerlich, aber gerade er, sollte da im Augenblick wohl besser nichts zu sagen.


    Und wenn er ehrlich war, interessierte ihn das momentan sowieso nicht! Ihn beschäftigte etwas ganz anderes!



    ***



    Deswegen schwieg Semir auch nahezu während der gesamten Fahrt zurück auf die PAST, nachdem sie vor Ort alles geregelt hatten.

    Dort angekommen, bat er Ben, die Befragung des Mannes zu übernehmen, den er festgenommen hatte.

    Jäger kam das Verhalten seine Kollegen noch immer ziemlich komisch vor, aber er entschied sich dazu erstmal nichts zu sagen und der Bitte nachzukommen.

    Während Ben also in einen der Verhörräume ging, blieb Semir an seinem Schreibtisch sitzen und ließ das Geschehene Revue passieren.

    Hatte Ben mit seiner Aussage von vorhin womöglich recht gehabt? Hatte er wirklich einen Geist gesehen? Oder hatte ihm sein Gehirn schlicht einen Streich gespielt?


    Einen Bösen Streich!


    Semir schloss die Augen, rief die Bilder, die sich vor knapp drei Stunden in seine Netzhaut eingebrannt hatten, erneut ab.

    Sah den Unbekannten rennen, verglich es automatisch mit Bildern, die sich bereits vor einer gefühlten Ewigkeit in seine Erinnerung gebrannt hatten.

    Er kniff seine Augen ein wenig fester zusammen, sah das maskierte Gesicht, aus dem die Augen des Mannes deutlich herausstachen und ihn anstarrten.

    Ein eiskalter Schauer lief Gerkhan den Rücken hinunter und er musste schwer schlucken, als er die Augen wieder öffnete.


    Er stand mit zitternden Knien auf, und ging zu einer Magnetwand, die hinter seinem Schreibtisch an der Wand hing.

    Hinter ein paar Zetteln mit persönlichen Notizen hing, neben einem Foto von ihm und Tom Kranich, auch ein Foto von ihm und Toms Vorgänger.

    Semir griff danach und besah sich das schon etwas in die Jahre gekommene Bild.


    Es zeigte André und ihn wie sie vor der PAST auf der Motorhaube von Fux’s Dienstwagen saßen. Gerkhan musste unwillkürlich grinsen, als er an die Umstände zurückdachte, unter denen das Bild aufgenommen worden war.

    Schon im nächsten Moment wurde er jedoch wieder ernster und besah sich das Bild genauer.

    Er ging sogar so weit eine kleine Lupe aus seinem Schreibtisch zu holen. Mit leicht zitternden Händen legte Semir schließlich Lupe und Bild zurück auf seinen Schreibtisch und starrte eine ganze Weile einfach nur ins Nichts.


    Nein, das konnte nicht sein!


    André Fux war tot!


    Im Dienst, vor fast genau fünf Jahren, ums Leben gekommen! Er, Semir, hatte das mit eigenen Augen gesehen!

    Auf der anderen Seite war er sich aber auch ziemlich sicher, heute in die Augen seines ehemaligen Partners und Freundes geschaut zu haben!



    Semir stand auf, lief unruhig im Büro auf und ab.


    Aber das konnte nicht sein!


    Das war unmöglich!


    Wobei... War es das wirklich?

    Langsam fing sein Gehirn wieder an zu arbeiten und der Polizist in ihm übernahm das Denken.

    Man hatte bis heute keine Leiche gefunden und er hatte auch nie wirklich gesehen, dass André gestorben war.

    Hatte es eigentlich immer nur angenommen.


    Was unter den Umständen damals aber natürlich nur logisch gewesen war. Er hatte schließlich gesehen, wie er von dem Harpunen Pfeil getroffen worden war. Hatte das Blut gesehen und wie er vom Mittelmeer verschluckt worden war.


    Dennoch...


    Hätte man das überleben können? Vielleicht... Aber unwahrscheinlich.


    Der Kommissar stieß hörbar die Luft aus.

    Aber selbst wenn das sehr unwahrscheinliche eingetreten war und er das irgendwie überlebt hatte:

    Warum hatte er sich dann nicht gemeldet?

    Warum war er nie bei irgendwelchen Behörden aufgetaucht? Immerhin war recht lange nach ihm gesucht worden.

    Oder in einem Krankenhaus? Seine Verletzungen hätten auf jeden Fall behandelt werden müssen!

    Hätte man ihn heimlich behandeln können?


    Fragen über Fragen in seinem Kopf, auf die er von hier aus, ganz sicher keine Antwort finden würde, ließen Semir frustriert mit der flachen Hand auf seinen Schreibtisch schlagen.

    Dabei fiel ihm jedoch auf, dass er Blut unter den Fingernägeln hatte und seine Augen weiteten sich.


    Offensichtlich hatte er den Kerl während ihres kurzen Kampfes gekratzt!


    Routiniert griff er in eine weitere Schublade in seinem Schreibtisch und holte eins der kleinen in Plastik verpackten Wattestäbchen hervor, die sie für DNA-Proben nutzten.

    Sorgfältig ging er damit unter seine Fingernägel und sammelte so das getrocknete, rote Lebenselixier auf.

    Nachdem er die Probe versiegelt hatte, starrte er erneut gedankenverloren vor sich hin.


    Denn da war noch etwas anderes, das ihm aufgefallen war, als er sich das alte Foto unter der Lupe angesehen hatte.

    Und das, ließ ihn nun wieder fassungslos mit dem Kopfschütteln.


    War das möglich?


    Nach kurzem Überlegen kam er zu der Feststellung, dass es durchaus, theoretisch, möglich war.

    Semir stand auf und ging mit zielstrebigen Schritten in das Büro nebenan. Dort griff er nach dem Foto in dem bunten Bilderrahmen, dass die Chefin auf ihrem Schreibtisch stehen hatte.

    Es war eine recht aktuelle Aufnahme von Leonie, die ihn von dem Bild aus unbeschwert anstrahlte.


    Als er sich das Bild jetzt besah, konnte Semir es nicht fassen, dass ihm das bis heute noch nie aufgefallen war!

    Ihm blieb ernsthaft die Spucke weg und er schüttelte zum 1000 Mal in nur wenigen Stunden den Kopf.


    Wie bitte, hatte er das die letzten vier Jahre nicht sehen können?!



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  • 12. April 2004


    Büro Dienststellenleitung Autobahnpolizei, 17:10 Uhr




    „Semir?“ Andrea stand im Türrahmen und sah ihn irritiert an. „Was machst du da?“


    „Ähm... Bitte was?“ Er stellte ertappt das Bild zurück an seinen Platz und sah seine Verlobte fragend an.


    „Ist alles in Ordnung? Du siehst so aus, als ob du ein Gespenst gesehen hast...“


    Ja, heute schien genau sein Tag für Geister und Gespenster zu sein... Dennoch schüttelte er den Kopf.


    „Ach was ich...“ er stockte, wusste nicht, was er sagen sollte. Schließlich entschied er sich für einen Angriff nach vorne und fragte direkt:


    „Mein Schatz, hat die Engelhardt dir gegenüber mal irgendetwas erwähnt, wer Leonies Vater ist?“ Jetzt war es die Sekretärin, die große, fragende Augen bekam.


    „Bitte was? Wie kommst du denn jetzt darauf?“ Ihr Blick schweifte kurz zu dem Bilderrahmen und dann zurück zu Semir.


    „Ich kann dir das jetzt gerade nicht erklären, Andrea. Aber bald, versprochen! Kannst du bitte meine Frage beantworten?“


    Schäfer kannte Semir mittlerweile so gut, dass sie sofort erkannte, wie ernst es ihm war und das da irgendetwas Wichtiges im Gange war.

    Auch wenn sie noch immer komplett von der Frage überrumpelt war, antwortete sie nach kurzem Nachdenken:


    „Nein, das hat sie nicht. Ich habe aber auch nie gefragt, da ich von Anfang an das Gefühl hatte, das ich darauf sowieso keine Antwort bekommen würde.“ Semir nickte langsam.


    „Hast du jemals einen Verdacht gehabt, wer es sein könnte?“ Andrea dachte erneut kurz nach, schüttelte dann aber den Kopf, ehe sie sagte:


    „Es hat am Anfang natürlich ein bisschen Getratsche gegeben. Das Übliche eben. Kurz hat sich mal das Gerücht gehalten, dass der Vorgänger von Oberstaatsanwältin Schrankmann der Vater ist und er deswegen von Köln nach München gegangen ist. Um seine Ehe nicht aufs Spiel zu setzen.“

    Sie zuckte mit den Schultern.

    „Das habe ich aber nie geglaubt. Und als es dann kurz hieß, dass Polizeipräsident Weber angeblich der Vater sein könnte, war klar, dass es in immer hanebüchenere Richtungen abdriftete und ich habe nicht mehr hingehört, wenn etwas in die Richtung gesagt wurde.“

    Das konnte Semir ihr nicht verübeln. Auch er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Chefin jemals etwas mit einem von beiden Männern gehabt haben könnte.


    „Und da sie schon einen Grund haben wird, warum sie nichts dazu sagt, habe ich auch nicht weiter darüber nachgedacht. Zumal es uns auch wirklich nichts angeht. Das ist ihre Sache und das haben wir zu akzeptieren.“

    Auch in dem Punkt stimmte er seiner Zukünftigen voll und ganz zu.

    Jedenfalls eigentlich...


    Kurz überlegte er, ob er ihr doch von seinem Verdacht erzählen sollte, entschied sich aber im letzten Moment dagegen.

    Nein, er würde zuerst mit der Chefin selber sprechen, bevor er anfing irgendwelche Gerüchte zu streuen.


    ***


    „Was macht ihre im Büro der Chefin?“

    Jetzt war es Ben, der etwas irritiert im Türrahmen stand und von einem zum anderen sah.


    „Äh, gar nichts! Ich hatte hier nur... was hier hingebracht...“ beeilte sich Semir zu sagen und ging mit schnellen Schritten auf seinen Partner zu.

    Andrea folgte ihnen und schloss die Bürotür hinter sich.

    Jäger wirkte noch immer keinen Deut weniger misstrauisch, als sie jetzt vor Andreas Schreibtisch standen. Irgendetwas stimmte nicht. Und das hatte ganze eindeutig mit der Verfolgungsjagd vom Mittag zu tun. Irgendetwas war da vorgefallen.


    „Der Typ, den wir geschnappt haben, sagt nichts. Ich denke das wir ihn eine Nacht in einer Zelle schmoren lassen sollten und es morgen noch mal probieren sollten. Vielleicht ist er dann etwas gesprächiger.“


    „Ja, mach das.“ Gerkhan nickte, aber Ben vermutete das er auch hätte vorschlagen können ihn einfach laufen zu lassen. Die Antwort wäre dieselbe gewesen, da es offensichtlich war, dass sein Partner ihm nicht zugehört hatte.


    „Kannst du gleich bitte Andrea nach Hause bringe? Wir sind zusammengekommen und ich muss noch mal woanders hin.“


    „Äm, ja, klar kann ich das machen... Aber wohin...?“


    „Danke dir! Mein Schatz, bis später!“ Damit eilte Semir auch schon in Richtung Ausgang.


    „O-kay... Was war das jetzt?“ Ben sah fragend zu Andrea, die allerdings auch nicht aussah, als wüsste sie, was momentan in Semir vorging.


    „Ich bin mir nicht ganz sicher... Aber er wird es uns schon noch erklären.“ Die Sekretärin schüttelte leicht die Locken, ehe sie Ben anlächelte.


    „Hast du noch etwas zu erledigen, oder können wir fahren?“ Jäger lächelte zurück.


    „Lass mich eben meine Jacke holen, dann können wir fahren!“


    Als er an Semir Schreibtisch vorbei ging, hielt er kurz inne und warf einen Blick auf das Foto, das noch immer dort lag. Auf dem Bild hatte sein Partner noch keinen Bart und die Haare waren deutlich länger. Ben schmunzelte kurz ehe er sich den zweiten Mann auf dem Foto besah. Er hatte keine Ahnung wer das war, ging aber davon aus, dass es wohl ein ehemaliger Partner von Semir war. Tom Kranich war es nicht, so viel wusste er.


    Das Foto, Foto sein lassend, griff er nach seiner Jacke und machte sich auf den Weg in den Feierabend.



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  • 12. April 2004


    Wohnung der Chefin, Köln Marienburg, 17:55 Uhr



    Von der offenen Küche aus, beobachtete Anna ihre Tochter, die im Wohnzimmer auf dem Sofa saß und sich ein Bilderbuch ansah, während sie das Geschirr vom Abendessen in die Spülmaschine räumte.

    Leonie wirkte völlig unbekümmert und blätterte fasziniert von einer Seite zur nächsten.

    Sie hatten einen Großteil des Nachmittags wartend in der Notaufnahme der Kinderklinik verbracht, da Leonie sich bei ihrem Stunt mit dem Bobby-Car neben einer Schramme an der Wange und weiteren Schrammen an Knie und Ellenbogen, auch das Kinn aufgeschlagen hatte.


    Gott sein Dank, hatte der Zwerg dabei aber ganz eindeutig mehr Glück als Verstand gehabt, denn wie sich im Krankenhaus herausgestellt hatte, war die Wunde doch nicht so tief wie zuerst gedacht und sah schlimmer aus, als sie letztlich war. Es hatte nicht einmal genäht, sondern nur geklebt werden müssen.

    Annas maßlose Erleichterung darüber, dass nichts Schlimmeres passiert war, war recht schnell von dem Drang abgelöst worden, die Tochter zu erwürgen.

    Denn der erste Schreck, als sie ihr Blut überströmte Kind gesehen hatte, war ihr bis tief ins Mark gefahren und hatte sie gefühlt um 10 Jahre altern lassen. Und es war wirklich nur pures Glück, dass nicht mehr passiert war.


    Die Chefin schüttelte einmal mehr den Kopf. Sie hatte das kleine Monster ganz sicher nicht neuen Monate ausgetragen und zum krönenden Abschluss fast 18 Stunden mit ihr in den Wehen gelegen, das diese nun derart leichtsinnig und dumme Dinge tat!

    Auf die Frage, wie Leo auf die bescheuerte Idee gekommen war, mit dem Bobby-Car die Rutsche herunterzufahren, glaube sie leider auch schone eine Antwort zu kennen.

    Wenn sie ein ernstes Wörtchen mit der Tochter gesprochen hatte, würde sie sich auch ihre zwei Revier-Helden vorknöpfen müssen. Die sollten in der Gegenwart ihrer Tochter besser nichts mehr von ihren ‚Heldentaten‘ auf der Autobahn erzählen!

    Die Kindergärtnerin, die offensichtlich nicht mitbekommen hatte, wie Leo das Bobby-Car auf die Rutsche gehievt hatte war danach an der Reihe!


    Aber eins nach dem anderen...


    ***


    Ein wenig später hoffte die Leiterin der Autobahnpolizei inständig, dass Leonie wirklich verstanden hatte, dass so etwas nicht wieder vorkommen durfte, weil es gefährlich war. Zweifel hegte sie jedoch vor allem deswegen, weil Leonie ernsthaft gefragt hatte, ob sie vielleicht besser ein Dreirad hätte nehmen sollen, anstelle des Bobby-Cars. Oder den Tretroller.

    Nachdem sie ihre Stimme nach dieser Aussage wieder gefunden hatte, hatte Anna ihr erneut gebetsmühlenartig erklärt das man mit überhaupt nichts eine Rutsche runterrutschte, außer auf seinem Po. Kein Bobby-Car, kein Dreirad, kein Tretroller und auch sonst nichts.


    „Leonie das ist gefährlich. Und du hast dir heute weh getan, oder nicht?“ Ein bedächtiges Nicken war die Antwort.


    „Außerdem hast du mir einen ganz schönen Schreck eingejagt. Ich hatte Angst, dass dir etwas passiert ist.“


    Anna konnte daraufhin beobachten wie Leo angestrengt nachdachte und dabei auf ihrer Unterlippe kaute. Sie sah schließlich auf und fragte: „Weil du mich lieb hast...?“


    „Genau. Weil ich dich mehr liebhabe als alles andere auf der Welt und nicht möchte, dass dir jemals etwas Schlimmes passiert!“ Sie hob die Vierjährige auf ihren Schoß und hielt sie eine ganze Weile fest im Arm. Den Kopf an ihre Schulter gelehnt sagte die Tochter schließlich:


    „Ich rutsch nur noch auf dem Popo die Rutsche. Versprochen!“


    „Das ist gut, mein Schatz!“ Eigentlich hatte Anna noch etwas sagen wollen, wurde aber von der Klingel unterbrochen.

    Etwas irritiert darüber wer das sein könnte ging sie zur Gegensprechanlage und war nicht weniger überrascht, als sie hörte, war vor der Haustür stand.



    ***



    Semir hatte noch eine ganze Weile vor dem Haus, in dem sich die Wohnung seiner Chefin befand, im Auto gesessen und vor sich hin gegrübelt.

    Nach Leonis Geburt, hatte die Engelhardt ihre, mitten in der Stadt gelegene Maisonette Wohnung, gegen eine größere Wohnung in einen, grüneren und ruhigeren Stadtteil von Köln, getauscht.

    Semir wusste, dass ein Teil der Verwandtschaft in fußläufiger Nähe wohnte und auch der Kindergarten, in den die Kurze ging, nicht allzu weit entfernt war.


    Nachdem er in die Straße gebogen war und gegenüber dem Haus einen Parkplatz gefunden hatte, war er sich plötzlich nicht mehr so sicher gewesen, was er eigentlich hier tat.

    War er womöglich gerade dabei sich phänomenal in etwas zu verrennen?

    Schritt für Schritt ging er deswegen alles noch einmal im Kopf durch.


    Nein, nein er glaubte nicht, dass er dabei war sich komplett zu verrennen. Es passte einiges zusammen und erklärte zum Beispiel warum ihm der Fahrstil so bekannt vorgekommen war. Oder die Art, wie der Mann gerannt war.

    Jetzt wo er Zeit gehabt hatte darüber nachzudenken, glaubte er sogar die Art, wie der Maskierte gekämpft hatte, wieder erkannt zu haben.


    Allerdings wollte ihm seine zweite ‚Entdeckung‘ noch nicht so richtig in den Kopf gehen...


    Während der gesamten Fahrt hierher hatte er darüber nachgedacht, ob es irgendwann einmal Anzeichen gegeben hatte, das André Fux und Anna Engelhardt mehr gewesen waren als nur Kollegen.

    Sicher, sie hatten sich immer gut verstanden und er wusste, dass sie hin und wieder auch abseits der Arbeit gemeinsam etwas unternommen hatten, aber er hatte nicht den Eindruck gehabt, das da mehr gewesen sein könnte.

    Eventuell hatte er sich darin jedoch getäuscht.


    Die Schultern straffend stieg er schließlich aus seinem Auto aus.



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  • 12. April 2004


    Wohnung der Chefin, Köln Marienburg, 18:15 Uhr



    „Semir, was machen sie denn hier? Ist was passiert?“ Anna sah ihn ehrlich überrascht an, als er urplötzlich vor ihrer Wohnungstür stand.


    „Nein, eigentlich nicht... Wobei... Also irgendwie schon. Vielleicht...“ Er räusperte sich:


    „Haben sie einen Moment Zeit? Es gibt da etwas, dass ich mit ihnen besprechen muss.“


    Das Semir so herumdruckste kam ihr sofort merkwürdig vor, allerdings sagte sie nichts dazu, sondern bat ihn lächelnd herein.

    Es war offensichtlich, dass das, was immer er besprechen wollte, ihm wirklich wichtig war.


    „Ja, natürlich. Kommen sie rein.“


    „Hallo Onkel Semir!“ Der kleine Wirbelwind kam auch schon auf ihn zu gelaufen und begrüßte ihn fröhlich wie eh und je.


    „Hallo Leo... Was hast du denn gemacht?“ Semir begutachtete mit hochgezogenen Augenbrauen das recht große weiße Pflaster über dem Kinn der Kleinen und die Kratzer auf ihrer Wange. Die Nummer mit dem Bobby-Car war wohl kräftig in die Hose gegangen...


    Leonie warf ihrer Mutter einen kurzen Seitenblick zu und sagte dann:


    „Ich bin mit einem Bobby-Car die Rutsche gerutscht. Als Sprungschanze, damit ich fliegen kann!“ Ihre Augen leuchteten vor Schelm und Semir hatte in dem Moment keinen Zweifel mehr, woher er diesen Ausdruck kannte, als Leo weitererzählte:


    „Aber das hat nicht gut geklappt... Und das macht man nicht!“ fügte sie mit einem erneuten Seitenblick zur Mutter hinzu. „Die Rutsche rutscht man nur auf dem Popo.“


    Gerkhan vermutetet das da wohl schon jemand die Leviten gelesen bekommen hatte, allerdings beeilte auch er sich zu sagen:


    „Nein, das macht man wirklich nicht! Das ist gefährlich!“


    „U-hm...“ Leonie nickte und schaffte es danach kaum noch, ein Gähnen zu unterdrücken.


    „Haben sie so viel Zeit mitgebracht das ich Leo erst ins Bett bringen kann?“ Anna sah ihren Kollegen fragend an. „Ja, natürlich! Ich habe Zeit.“


    ***


    Während die Chefin die Tochter ins Bett brachte, wartete Semir geduldig im Wohnzimmer, und ließ seinen Blick über ein paar der Fotos, die im Regal standen, wandern.

    Er suchte nach weiteren ‚Beweisen‘ für seine Vermutung, fand in den Gesichtszügen des Mädchens jedoch keine weitere Ähnlichkeit zu seinem, vielleicht doch nicht toten, ehemalige Partner.

    Er stellte nur erneut fest, wie ähnlich sie der Mutter war.

    Von den Augen mal abgesehen.

    Als sein Blick über die Bilder schweifte, versuchte er sich zudem einen Plan in seinem Kopf zurecht zu legen, wie er das bevorstehende Gespräch beginnen wollte.

    Da der Tag für Leonie doch recht aufregend gewesen war, dauerte es nicht lange, bis sie im Bett lag und auch prompt einschlief.

    Und so saß Anna ihm schon recht schnell gegenüber und sah ihn aufmerksam an.


    „Was gibt es denn, Semir? Es scheint ja sehr wichtig zu sein.“ Gerkhan schluckte noch einmal. Jetzt gab es kein Zurück mehr...


    „Ja... Tut mir leid, dass ich sie hier so überfalle.“ Anna winkte ab. „Das tun sie nicht. Ich nehme an, dass es um den Überfall heute geht?“


    Sie hatte während der Wartezeit in der Kinderklinik kurz mit ihm telefoniert und wusste im Groben, was passiert war.


    „Ja, genau...“ Semir machte noch einmal eine kurze Pause und holte tief Luft.


    „Chefin, ich weiß, dass das, was ich jetzt sage, vermutlich völlig verrückt klingt...“


    „Okay...“


    „Ich hatte ihnen ja schon am Samstag gesagt, dass mir die Fahrweise des Fluchtwagens merkwürdig bekannt vorkommt und dass ich nicht glaube, dass es nur daran liegt, weil der Fahrer vermutlich Polizist ist.“ Die Chefin nickte.


    „Als ich den Fahrer heute zu Fuß verfolgt habe, war ich mir auch recht schnell sicher, dass mir seine Art zu laufen und sich zu bewegen bekannt vorkommt. Als ich den Täter eingeholt und gestellt habe, ist es vorhin zu einer kurzen Rangelei gekommen.“


    Anna hob erstaunt die Brauen. Von der Rangelei hatte Semir am Telefon nichts erwähnt.


    „Ist ihnen etwas passiert, Semir?“ Sie musterte ihn, leichte Besorgnis im Blick.


    „Ne, alles gut.“ Wehrte er sofort ab. Allerdings entging seiner Vorgesetzten nicht, dass er sich automatisch an die Stelle am Kinn faste, wo ihn die Faust erwischt hatte.

    Semir sah die Chefin jetzt direkt an als er weitersprach:


    „Der Mann war zwar maskiert, aber während der Rangelei konnte ich seine Augen sehr gut sehen. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich den Mann erkannt habe. Seine Augen auf jeden Fall...“


    „Das ist doch optimal! Ist er schon zur Fahndung ausgeschrieben?“


    „So einfach ist das leider nicht...“ Semir fuhr sich nervös mit einer Hand über den Nacken.


    „Chefin, ich glaube das ich heute André Fux gesehen habe...“


    Nun war es passiert!


    Er hatte seinen Verdacht zum ersten Mal laut ausgesprochen!




    Die Reaktion der Engelhardt war in etwa so, wie Semir es sich vorgestellt hatte.

    Maßloses Erstaunen und Unglauben spiegelte sich in ihrem Gesicht und eine erschrockenes:

    „Bitte was? Was sagen sie da?“ entfuhr ihr, ehe sie etwas dagegen tun konnte.


    „Ja... Ich weiß! Das klingt völlig abwegig und verrückt!“ beeilte sich Semir zu sagen dabei mit dem Kopf schüttelnd.

    „Ich kann das selber nicht richtig glauben... Und habe gedacht das ich komplett spinne! Aber dann habe ich mir ein altes Bild angesehen und...“ Gerkhan schüttelte erneut mit dem Kopf. „Und ich bin mir mittlerweile recht sicher, dass ich heute Nachmittag André in die Augen gesehen habe! Auch, wenn das eigentlich unmöglich ist...“


    Anna starrte ihn weiterhin an, als hätte er drei Köpfe.

    Er konnte ihr Ansehen, wie die verschiedensten Gedanken in ihrem Kopf umher rasten und sie keinen wirklich greifen konnte.


    „Semir, André ist tot...“, murmelte sie, stand von der Couch auf und fing an wie ein Tiger im Käfig, auf und abzugehen.


    „Ich weiß...“ Er hielt einen Moment inne und fügte dann hinzu:


    „Aber was, wenn nicht? Was wenn er das irgendwie überlebt hat?“


    Die letzte Frage hing schwer, wie Blei im Raum und Semir entging nicht, wie der Blick seiner Chefin kurz zum Regal glitt, in dem die Bilder von Leonie standen, die auch Semir sich vorhin angesehen hatte.

    Dann sah sie jedoch wieder zu Boden als sie weiter durch den Raum lief und Semir war sich sicher, dass sie dieselben Überlegungen anstellte, die auch ihm vorhin im Büro durch den Kopf gegangen waren.

    Als sie ihn nach einer ganzen Weile wieder ansah, schien sie auch zum selben Schluss gekommen zu sein wie er:

    Es war sehr, sehr unwahrscheinlich, aber nicht vollkommen unmöglich.


    „Sie glauben wirklich, ihn erkannt zu haben?“


    „Ja, das glaube ich wirklich.“ Seine Stimme war ruhig, sachlich und frei von jeglicher Emotion.


    Anna schluckte, setzte sich wieder auf die Couch ihm gegenüber und der kleine Polizist konnte sehen, dass sie sich nicht sicher war, was sie von dieser Möglichkeit halten sollte.

    Deswegen zögerte er auch, seine nächste Frage zu stellen. Gleichzeitig wusste er, dass er nicht darum herumkommen würde.


    „Chefin, mir ist dabei heute noch etwas anderes aufgefallen... Auch, wenn es mich eigentlich nichts angeht...“ nuschelte er und auch sein Blick wanderte für den Bruchteil einer Sekunde erneut in Richtung der Fotos.


    Sie musste ihn aber verstanden haben und auch seinen Blick gesehen haben, da sich ihre Augen argwöhnisch verengten.

    Da sie nicht dumm war, wusste sie wohl auch schon, was er damit andeutete, weswegen Semir nicht länger um den heißen Brei herumredete, sondern direkt fragte:


    „Ist André Fux Leonis Vater?“


    Anna zögerte mit der Antwort noch einen kurzen Moment, auch wenn sie wusste, dass Leugnen zwecklos war.

    Schließlich nickte sie bestätigend und sagte mit fester Stimme: „Ja, das ist er.“


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  • 12. April 2004


    Wohnung der Chefin, Köln Marienburg, 18:56 Uhr



    Auch wenn er es eigentlich schon gewusst hatte, war die offizielle Bestätigung seiner Vermutung ein kräftiger Paukenschlag, den er erst einmal verdauen musste.

    Ungewollte fragte sich Semir sofort erneut, wie er das nicht schon viel früher hatte sehen können und ob er damals, in Bezug auf das Verhältnis zwischen seinem Partner und seiner Chefin, genauso blind gewesen war.

    Die war in der Zwischenzeit aufgestanden und zu einer gläsernen Vitrine gegangen, aus deren obersten Fach sie eine, mit goldbrauner Flüssigkeit gefüllte Kristallene Karaffe, holte.


    Anna sah fragend in Semirs Richtung und der nickte eifrig.

    Egal was sich in der Karaffe befand, er war sich sicher, dass es Alkohol enthielt. Und davon konnte er jetzt gut etwas gebrauchen!

    Kurz darauf stellte er fest, dass es sich dabei um einen Scotch handelte, der angenehm leicht in seiner Kehle brannte.

    Anna musste kurz schmunzeln, als sie ihren Kollegen beobachtete.

    Es war mehr als offensichtlich, dass ihm einige Fragen ganz arg unter den Fingernägeln brannten, er sich aber nicht traute, sie zu stellen.


    „Semir fragen sie, bevor sie platzen.“ Der Kommissar grinste ertappt, stellte aber wie aus der Pistole geschossen, die Frage, die ihn am meisten interessierte:


    „Waren sie beide zusammen? Also, ein Paar...?“


    Seine Vorgesetzte schüttelte sofort entschieden mit dem Kopf. „Nein, waren wir nicht.“


    Sie überlegte kurz was sie noch preisgeben wollte, da es erneut offensichtlich war, dass sich die Rädchen in Semirs Kopf drehten.


    „Es ist für sie wohl nichts Neues, wenn ich sage, dass André und ich uns immer gut verstanden haben und den jeweils anderen gut leiden konnten. Und wir haben uns, einmal zu etwas hinreißen lassen, was wir vermutlich nicht hättet tun sollen...“ Sie zuckte unschuldig und verlegen, mit den Schultern. „Das Ergebnis von unserem recht unbedachten Handeln schläft nebenan.“


    Semir nickte, doch ein wenige erleichtert, dass ihm damals keine heimliche Beziehung entgangen war. Ganz blind auf beiden Augen war er also doch nicht. Eine weitere Frage beschäftigte ihn aber doch noch.


    „Wusste André...?“ mehr musste er gar nicht sagen, denn Anna schüttelte bereits wieder mit dem Kopf.


    „Nein. Ich habe es selber erst erfahren, als...“ Sie überlegte, was sie aufgrund der neuen Erkenntnis, dass er vielleicht am Leben sein könnte sagen sollte und entschied sich schließlich für: „Nach den Ereignissen auf Mallorca.“

    Eine Pause entstand, in der keiner etwas sagte, sondern das Gehörte und neu Gelernte verarbeitete.


    „Semir, wenn sie richtig liegen und André wirklich am Leben ist, wie soll es dann jetzt weiter gehen?“


    „Ich habe keine Ahnung...“ Er grinste. „Deswegen bin ich hier...“


    Auch seine Chefin grinste, war jedoch keinen Deut schlauer als er.

    Die Tatsache das der, womöglich nur totgeglaubte Polizist, jetzt Fluchtwagen bei Raubüberfällen fuhr, warf unendlich viel Fragen auf! Genau wie die pure Tatsache das er noch am Leben sein könnte.


    „Ich denke, dass wir als Erstes rausfinden müssen, ob ich wirklich recht habe.“ verkündete Semir schließlich.


    „Das ist leichter gesagt als getan...“


    „Nicht unbedingt...“


    „Ach?“ Anna sah ihn etwas erstaunt an, da sie sich nicht vorstellen konnte, was er plante zu tun.

    Gerkhan griff in seine Jackentasche und zauberte eine kleine Plastiktüte hervor, die sie sofort als eine Tüte aus der KTU erkannte.


    „Ich habe den Mann während unseres Kampfes gekratzt und hatte seine DNA unter den Fingernägeln...“ erklärte Semir.

    Anna nickte, überlegte dann aber kurz, woher Semir Vergleichsmaterial nehmen wollte, bis bei ihr der Groschen fiel.

    Semir reichte ihr einen zweiten, der kleinen Beutel, die der Beweissicherung dienten und bekam ihn kurz darauf, mit ein paar dunklen Haaren gefüllt, wieder.


    „Ich sorge dafür, dass Hartmut das auf schnellstem Weg und unterm Radar erledigt.“


    „Machen sie das. Und dann sehen wir weiter...“


    Anna brachte Semir kurz darauf zur Tür und wünschte ihm noch einen schönen Abend.


    „Grüßen sie Andrea. Und Semir?“ Der Angesprochen hielt inne.


    „Ja?“


    „Ich wäre ihnen sehr dankbar, wenn das erst einmal unter uns bleiben würde...“


    „Natürlich! Das ist doch selbstverständlich!“ Er lächelte. „Gute Nacht!“






    12. April 2004


    Köln, Nähe Ebertplatz, 21:37 Uhr



    Der Bass aus den Boxen fuhr rhythmisch durch seinen Körper und betäubte ihn genauso, wie es der Alkohol tat, der bereits in großzügigen Mengen in seinem Blutkreislauf zirkulierte.

    Er leerte ein weiteres Glas, das mit irgendeinem billigen Fusel gefüllt war und das Zeug brannte in seiner Kehle.

    Aber es half ein wenig die fremdartigen Bilder in seinem Kopf zu vertreiben, die dort seit seiner Begegnung mit dem kleinen Polizisten tobten und ihn an den Rand des Wahnsinns trieben.


    Was in Gottes Namen ging hier vor sich?


    Nach der mehr oder weniger missglückten und dann doch noch geglückten Flucht, war er eine ganze Zeit ziellos umhergelaufen, bis er schließlich in dem, in die Jahre gekommenen Club gelandet war. Er war sich mittlerweile zu 100 % sicher, dass er den Polizisten kannte, der ihn heute beinahe erwischt hätte.

    Erst hatte er vermutet, dass der Bulle ihn vielleicht schon mal verhaftet hatte und er sich nicht daran erinnern konnte. Dazu passten die schemenhaften, vereinzelten Erinnerungen jedoch nicht, die hier und da in seinem Kopf aufblitzenden.

    Es schien fast so, als ob sie befreundet gewesen waren. Aber egal wie er sich das Hirn zermarterte, er kam weder auf den Namen des Mannes noch darauf, woher sie sich kennen konnten.

    Ein Bild irritierte ihn dabei besonders:

    Er, wie er neben dem Polizisten im Auto saß und ihn anzufeuern schien ‚dran zu bleiben‘.



    Renard winkte dem jungen Ding hinterm Tresen, die ihn schon den ganzen Abend bedient hatte und ihm schöne Augen machte, erneut zu, damit sein Glas wieder füllen konnte.


    „Liebeskummer?“, fragte die Schwarzhaarige Barkeeperin mit einem wissenden Grinsen und er sah sie zum ersten Mal etwas aufmerksamer an.


    Er schätzte sie auf Ende zwanzig. Vielleicht auch jünger. Sie war keine Schönheit, aber auch nicht hässliche. Wobei ihn ihre unzähligen Tätowierungen irritierten.


    „Ne. Ein scheiß Tag auf der Arbeit.“ Sagte er schließlich und leerte auch das gerade erst gefüllte Glas wieder in einem Zug.


    „Das hätte ich als zweites vermutet...“ Ihr Grinsen wurde anzüglicher und sie musterte ihn jetzt mit offenkundigem Interesse.


    „Ich habe in einer halben Stunde Feierabend... Vielleicht magst du mir dann ja von deinem Tag erzählen. Ich bin eine sehr gute ‚Zuhörerin‘...“ Renard musterte sie von oben bis unten und sein Blick blieb kurz auf ihren doch sehr üppigen Brüsten hängen.


    Ja, das war sie ganz sicher...



    ***



    40 Minuten später fand er sich jedoch noch nicht in den Armen der tätowierten Unbekannten wieder, von der er jetzt immerhin wusste, dass sie Sina hieß, sondern war über den Motor von deren alten Toyota gebeugt, der nicht anspringen wollte.

    Obwohl er alles andre als nüchtern war, fand er den Grund dafür recht schnell:

    Ein Kabel von der Batterie war leicht locker.


    „Probiere es jetzt noch mal!“ Er wartete, doch nichts passierte, was dazu führe, dass er hinter der Motorhaube hervorlugte. „Was ist?“


    „Das Schloss klemmt ein bisschen...“, murmelte die Frau, schaffte es dann aber doch im nächsten Moment den Schlüssen zu drehen und der Motor sprang ächzend an.


    Das bekam er jedoch kaum mit.


    Erneut erschienen Bilder vor seinen Augen, ohne dass er etwas dagegen tun konnte.


    Er war im Wald auf einer Lichtung.


    Die geöffnete Motorhaube, hinter der er hervorschaute, hatte eine andere Farbe und hinterm Steuer saß eine andere Frau. Ohne Tattoos und mit kürzeren, nicht ganz so tiefschwarzen Haaren.

    Aber auch sie sagte: „Das Schloss klemmt mal wieder...“ und schüttelte dabei genervt den Kopf. Es war dieselbe Frau, die er in seinem Traum schon mehrfach gesehen hatte...



    „Hey! Kommst du?“ Die laute, fragende Stimme riss ihn aus den Gedanken und holte ihn zurück in die recht frische April Nacht.

    Mit einem Knall schloss er die Motorhaube und ließ sich schwer in den Beifahrersitz fallen, möglichst bemüht an nichts anderes zu denken als das Vergnügen, das ihm bevorstand.


    Der Gedanke sich gleich den Kopf frei vögeln zu können, war überaus verlockend und kam genau zur richtigen Zeit!


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  • Dieser Teil ist FSK: 16




    12. April 2004


    Köln, Nippes, 22:51 Uhr



    Keine 10 Minuten später stolperte Renard durch die Tür der kleinen Einzimmerwohnung, in der die Barkeeperin wohnte und zerrte ungeduldig an deren T-Shirt.

    Schon im nächsten Moment lag das Shirt auf dem Boden neben der Tür und sie stolperten gemeinsam weiter in die Wohnung, heiße, gierige Küsse austauschend.

    Sina zerrte an seinem eigenen Pullover, der binnen kürzester Zeit ebenfalls auf dem Fußboden landete.


    „Wouh... Scheiße! Was ist das denn?“ die Frau hielt kurz inne und starrte auf die auffällige, große Runde Narbe, die seinen Bauch zierte.

    Auch wenn er diese Reaktion bereits kannte, verdrehte er etwas genervt die Augen und sagte seinen Standardspruch auf:


    „Arbeitsunfall... War aber halb so wild. Trotzdem rede ich da nicht gerne drüber.“


    Es war eine Erklärung, die dafür sorgte, dass meist keine weiteren, lästigen Fragen gestellt wurden.

    Da er nicht genau wusste, wie er sich vor fünf Jahren die Verletzung zugezogen hatte, wusste er natürlich auch nicht, wie viel Wahrheit in der Aussage lag.


    „Okay...“ mehr konnte die junge Frau nicht mehr dazu sagen, da sein Mund schon wieder auf ihrem war. Er schob sie weiter ungeduldig in Richtung des Schlafsofas, dabei verlangend mit den Händen über ihren mittlerweile nackten Oberkörper tastend.


    Ein kehliges Stöhnen drang über die vollen roten Lippen, als er mit der Hand eine ihrer Brüste umfasste und dabei mit den Fingern ihre Brustwarze umspielte.

    Renard löste sich von ihr, schubste sie sacht in Richtung des Sofas, während er seinen Gürtel öffnete, um aus seiner schwarzen Jeans zu steigen.

    Währen er das tat, schälte sich die junge Frau aus ihrer eigenen Jeans, einen verführerischen Ausdruck auf dem Gesicht.


    Er musterte sie, wie sie nur mit einem knappen String bekleidet vor ihm lag.

    Die Tätowierungen, die in der Tat einen Großteil ihres Körpers bedeckten, gefielen ihm noch immer nicht.

    Außerdem war es ziemlich eindeutig, dass sie etwas an der Brust hatte machen lassen, da Ihre Proportionen nicht wirklich zusammenpassten und unnatürlich wirkten.


    Er schloss für einen Wimpernschlag die Augen, sah einen anderen Körper vor sich.

    Mit makelloser Haut ohne Tätowierungen, kleineren, natürlichen Brüsten und sinnlich, weiblichen Proportionen die wunderbar zusammenpassten...


    Seine Augen flogen auf und er ließ sich nach vorne fallen, zwischen die wartenden Schenkel der ihm, mehr oder minder, unbekannten Frau, rieb sich an ihr.

    Ein weiteres, kehliges Stöhnen drang zwischen den vollen Lippen hervor, die wohl auch schon mal einen Chirurgen gesehen hatten.

    Renard presste sich enger an den Körper unter sich und stöhnte seinerseits auf, als eine Hand der Frau unter den Bund seiner Shorts wanderte.


    Er schob es jetzt auf das Blut, das sich bereits in seinen Lenden sammelte und deswegen nicht mehr seinem Hirn zur Verfügung stand, dass sich das Gesicht der Frau, die ihn im Augenblick mit ihrer Hand in Ekstase versetzte, vor seinem inneren Auge, in das einer anderen verwandelte.


    Und er konnte einfach nichts dagegen tun!


    Das Gesicht war einfach da... Mit seinen etwas schmaleren Lippen, tiefbraunen, ausdrucksstarken Augen, der markanten Nase und anmutigen Zügen.


    Er schüttelte kaum merklich mit dem Kopf, scheuchte das Bild mit purer Willenskraft einmal mehr beiseite und küsste den tätowierten Hals vor sich, um sich abzulenken.


    In der Schublade eines kleinen Tischchens neben der Schlafcouch tastete eine genauso tätowierte Hand nach einem Kondom, wurde schließlich fündig und ‚verpackte‘ sein bestes Stück mit geübten Handgriffen.

    Ungeduldig, fast grob vereinte er ihr Körper, genoss das Gefühl der Wärme um seinen Schafft. Sina hatte überrascht aufgekeucht, folgte aber sofort seinen Bewegungen. Ihre Hände gruben sich in seine Haare, fuhren seinen Rücken entlang, wobei ihre Nägel leichte Spuren hinterließen.


    Er schloss erneut die Augen, verlor sich in dem Gefühl. Dabei reiste sein Geist jedoch zum gefühlt hundertsten Mal an diesem Tag, an einen anderen Ort und in eine andere Zeit.

    Dieses Mal wehrte er sich aber nicht dagegen, sondern ließ es geschehen und tauchte vollends in die Erinnerung ein:



    Der Raum, in dem er sich befand, war größer, aufgeräumt und geschmackvoll eingerichtet.

    Das von einem Deckstrahler abgegebene spärliche, aber warme Licht, erzeugte ein faszinierendes Spiel aus Licht und Schatten in dem Zimmer.

    Hände fuhren sanft über seinen Rücken, hinauf bis in seine Haare, wo sie sich vergruben und ihn animierten den Kopf zu senken, was er nur zu gerne und umgehend tat.


    Er küsste die weichen Lippen und seine Zunge neckte sich mit Ihrer, erstickte so ein wohliges Seufzen, das von seiner Hand ausgelöst wurde, die ihren Körper hinauf glitt und sie berührte.


    Ein eigenartiges Gefühl tobte in seiner Brust, von dem er nicht genau sagen konnte, woher es kam. Auf der einen Seite fühlte sich das, was er da tat gut an.

    Es fühlte sich richtig an.

    Zeitgleiche wusste er, dass es nicht richtig war. Dass er etwas tat, was er nicht tun sollte. Und dieser innere Konflikt irritierte ihn für einen Moment.


    Jedoch nur so lange, bis Sie sich ihm entgegenbog und er noch tiefer in sie eindrang.


    Gott... Das brachte ihn um den Verstand!


    Sie brachte ihn um den Verstand!


    Er beschleunigte den Rhythmus ein wenig während ihrer beider Hände ineinander glitten und sich ihre Finger fest umschlungen.

    Er sah sie an, blickte in Lust verhangene, leuchtende, tiefbraune Augen, als er sie mit seinem gesamten Körpergewicht in das Sofa drückte und er mit einem letzten, kräftigen Stoß zum Höhepunkt kam, sich dabei tief in ihr ergoss.


    Dabei huschte scheu ein Name über seine halb geöffneten Lippen: „Anna...!“


    ***


    Renard riss erschrocken die Augen auf, keuchend und für einen kurzen Augenblick orientierungslos.

    Er war nicht mehr in der großen Wohnung, wo Licht und Schatten sanft miteinander spielten, sondern in dem kleinen, grell beleuchteten Zimmer.

    Die Augen, in die er jetzt sah, waren blau und zu Schlitz verengt, die ihn missmutig ansahen.


    „Anna?! Dein fucking Ernst?“


    Oh, shit... offensichtlich hatte er das laut gesagt...


    „Wer zur Hölle ist das?!“ Die junge Frau, dessen Name ihm gerade nicht einfiel, die aber anscheinend ganz eindeutig nicht ‚Anna‘ hieß, sah ihn angefressen an.


    Auch wenn er ihr keinerlei Rechenschaft schuldig war, zuckte er mit den Schultern und sagte ehrlich: „Keine Ahnung...“


    „Alter! Sieh zu, das du Land gewinnst!“ Sie wurde jetzt richtig sauer, schob ihn von sich weg und er hielt es für das Beste, ihrer Aufforderung zügig nachzukommen.


    Keine zwei Minuten später stolperte er auf den dunklen Flur vor der kleinen Wohnung und zog sich zu Ende an.

    Während er das tat, musste er unwillkürlich schuldbewusst schmunzeln. Auch wenn ihm seine kurze Bekanntschaft ziemlich egal war, war es sicher nicht einer seiner besten Momente gewesen, den Namen einer anderen Frau zu stöhnen, während er mit ihr zusammen gewesen war.

    Aber, es war passiert und daran konnte er nichts mehr ändern.


    C’est la vie! Sie würde es überleben.


    Ihn interessierte jetzt mehr denn je, wer die Frau aus seinen Träumen war, von der er jetzt wohl immerhin den Vornamen kannte.

    Zuallererst musste er aber sehen, wie er zurück in sein Quartiert kam. Sein Boss, würde vermutlich schon recht lange auf ihn warten und war mit Sicherheit nicht happy.


    Zurecht, wie es ihm jetzt in den Sinn schoss. Es stand zu viel auf dem Spiel.

    Leicht fluchend und mit schnellen Schritten verließ er das Haus und machte sich auf die Suche nach einem Taxi.

    Er hätte nicht so trödeln dürfen!



    I dance in tune with what I fear,

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  • Dienstag, 13. April 2004


    KTU, Köln 06:55 Uhr



    „Guten Morgen, Hartmut!“


    Der Angesprochene überlegte kurz, ob er zurück in sein Auto steigen sollte, um die Flucht zu ergreifen.

    Es konnte nicht gutes bedeuten, wenn Semir Gerkhan vor ihm an der KTU war und um kurz vor 07:00 Uhr bereits ungeduldig auf ihn wartete...


    „Äh, Morgen...“, antwortete der Rotschopf und fügte murmelnd hinzu: „Ob der gut wird, bin ich mir noch nicht so sicher...“


    „Hartmut, ich brauche deine Hilfe.“


    Und da waren sie auch schon: Die fünf, unschuldig klingenden Worte, mit denen jedoch meistens jede Menge Ärger für ihn begann...


    „Jaaaa...“, sagte er langgezogen und schluckte. „Das habe ich mir schon gedacht...“


    „Es ist wirklich wichtig.“


    Einstein stutzte und seine Augenbrauen wanderten gen Haaransatz.

    Etwas war hier anders. Diesen Satz hatte er zwar auch schon des Öfteren gehört, aber nicht so. Meistens klang es anders.

    Er glaubte plötzlich nicht mehr, dass Semir mit irgendeiner hanebüchenen Idee um die Ecke kommen würde. Und selbst wenn, dann ging es hier um mehr als nur eine, für die zwei Autobahn Polizisten übliche Abkürzung, die sie gerne mal gingen und es dabei mit den Vorschriften nicht ganz so genau nahmen.


    „Okay, um was geht es?“ Die beiden Männer gingen nebeneinanderher in die KTU und Semir erklärte:


    „Ich brauche eine DNA-Analyse.“ Hartmut war positive überrascht. Wenn das alles war...


    Gerkhan griff in seine Tasche und brachte zwei kleinen Plastikbeutel zum Vorschein.


    „Ich will wissen, in welchem Verwandtschaftsverhältnis die Leute stehen, denen ich die Proben entnommen habe. Oder ob sie überhaupt miteinander verwandt sind.“


    „Aha...“ Jetzt wurde es doch interessant. „Das ist jetzt aber kein illegaler Vaterschaftstest oder so etwas, oder?“


    Gerkhan wog den Kopf hin und her. Doch eigentlich war es genau das. Laut sagte er jedoch: „Na ja.... Sowas in der Art. Aber nicht illegal.... Also nicht so richtig.“ Er blieb stehen und hielt Freund am Arm fest.


    „Es ist, wie gesagt, wirklich wichtig! Und das Ganze muss unter uns bleiben, verstanden? Du sagst niemandem was davon und das Ergebnis geht auch nur an mich persönlich.“ Er überlegte kurz. „Oder an die Engelhardt.“


    Nun wurde Hartmut doch sehr misstrauisch. „Die Engelhardt weiß, was du hier machst?“

    Das war ja mal etwas ganz Neues!


    „Ja. Und es ist von ihr Abgesegnet.“


    „Hmm...“ Einstein grübelte kurz. Das war entweder sehr gut... Oder überhaupt nicht gut. Er seufzte schwer, hoffte auf ersteres und nahm die Tütchen entgegen.


    „Danke! Und bitte so schnell es eben geht!“


    „Wie immer...“ Semir grinste leicht verlegen. „Du hast was gut bei mir!“


    „Ja, schreib's auf meinen Deckel!“





    13. April 2004


    PAST, 09:00 Uhr



    Der Vormittag verging unglaublich schleppend und jede Minute zog sie zäh wie ein Kaugummi dahin.


    Und dass, obwohl sie eigentlich einiges zu tun hatten. Genau wie Semir recht früh im Büro war, war auch die Chefin überpünktlich. Die leicht geröteten Augen sprachen dafür, dass sie wohl genauso schlecht geschlafen hatte wie Semir.

    Ben Jäger staunte nicht schlecht, als er zur gewohnten Zeit das Revier betrat und seinen Partner nach kurzer Suche bereits im Vorraum eines ihrer Vernehmungszimmer fand.

    In dem kleinen Raum der in kaltes, grelles Licht getaucht war, saß bereits der von ihm geschnappte Juwelendieb.

    Ihm gegenüber saß, mit einem genervten Gesichtsausdruck, keine andere als die Chefin persönlich, die ihm soeben auf Französisch fragte, ob er für jemanden arbeitet und wer seine Komplizen waren.

    Genau wie bei ihm gestern sagte der Mann jedoch keinen Ton.


    „Morgen! Hat es ein Memo gegeben, von dem ich nichts mitbekommen habe und in dem gesagt wurde, dass jetzt schon mitten in der Nacht Dienstbeginn ist?“


    Ben grinste verschmitzte und reichte Semir einen der zwei Kaffeebecher in seinen Händen, die er in weiser Voraussicht mitgebracht hatte.


    „Morgen! Danke dir!“ Semir nahm die Tasse dankbar entgegen und trank gierig den ersten Schluck das heißen Wachmachers, den er dringend brauchte, da er die ganze Nacht grübelnd wachgelegen hatte.


    „Ne, das Memo hat es nicht gegeben...“, sagte er schließlich und erklärte:


    „Ich war die Nacht bei der Engelhardt und wir habe kaum geschlafen. Deswegen sind wir schon so früh...“


    Er hielt inne, ließ das Gesagte noch einmal in seinem Kopf Revue passieren und verstand schlagartig, warum sein junger Partner ihn ansah wie in Auto.


    Ein Auto mit großen Augen.


    Er hatte sich, seinem übermüdeten Geist sein Dank, wohl ein wenig unglücklich ausgedrückt und grinste jetzt dementsprechend verlegen, was dazu führte das Ben laut auflachte.


    „Faszinierend! Erzähl ruhig mehr! Ich will jedes schmutzige Detail wissen...“


    „Blödmann...!“ Semir rollte mit den Augen. „Ich wollte eigentlich sagen: Ich war gestern Abend noch bei der Chefin, weil ich dringend etwas mit ihr besprechen musste. Und das Gespräch hat mir keine Ruhe gelassen. Weswegen ich kaum geschlafen habe und deswegen schon so früh hier bin.“


    „Ah, verstehe... Das ist natürlich etwas anderes. Aber bei weitem nicht so pikant...“ Ben schmunzelte noch immer, wurde aber gleich wieder ernst und nickte in den Verhörraum.


    „Das Gespräch scheint ja nicht nur dich ziemlich beschäftigt zu haben...“


    „Nee...“ Gerkhan schüttelte den Kopf und überlegte, was er Ben sagen sollte, da er dessen fragende Blicke deutlich fühlen konnte. Sollte er ihm schon von seinem Verdacht erzählen, oder warten bis sie von Hartmut Gewissheit hatten?

    Er grübelte vor sich hin, als der Räuber im Verhörraum zum ersten Mal den Mund aufmachte und der Engelhardt ein paar Worte an den Kopf warf, die dafür sorgten, dass sie wütend die Augen zusammenkniff.


    „Was hat er gesagt?“, fragte Semir und sah Ben erwartungsvoll an.


    „Meine gute Kinderstube verbietet mir das zu übersetzen... Es war nicht nett und hat eine sexuelle Handlung beinhaltend...“ sagte Ben mit hochgezogenen Brauen.


    Ah. Semir verdrehte genervt die Augen. Der Kerl schien wirklich nicht reden zu wollen.


    Das schien auch die Chefin erkannt zu haben, da sie das Aufnahmegerät ausschaltete, es sich aber nicht nehmen ließ, dem Mann danach ihrerseits etwas an den Kopf zu werfen, was dazu führte, dass er wütend von seinem Stuhl aufsprang.


    Ben gluckste belustigt und sagte an Semir gewandt, der wieder fragend in seine Richtung sah: „Das, was sie gesagt hat, war noch sehr viel weniger nett...“

    Gerkhan grinste. Ja, das war auf dem Gesicht des Mannes, der soeben abgeführt wurde, deutlich zu sehen...


    ***


    Als Ben und Semir zurück in das Hauptbüro traten, war die Chefin gerade dabei Bonrath und Herzbergen damit zu beauftragen, den Kerl zeitnah dem Haftrichter vorzuführen. In der Staatsanwaltschaft wusste man schon das sie kommen würden.


    „Komm mal mit.“ Semir sah Ben an und nickte zum Büro der Dienststellenleitung, in dem die Engelhardt soeben wieder verschwunden war.

    Er war zu dem Entschluss gekommen, dass es nicht schaden konnte Ben schon jetzt von seinem Verdacht zu erzählen und ihn mit ins Boot zu holen.


    „Chefin?“ Er klopfte kurz an den Türrahmen und trat dann, gefolgt von Jäger, ein, dem er bedeutete die Tür hinter sich zu schließen.


    „Ich würde Ben gerne von unserem Gespräch gestern Abend erzählen und seine Meinung dazu hören...“


    Anna sah ihn kurz an, einen etwas unschlüssigen Ausdruck in den Augen, nickte dann aber. Semir hatte recht, das konnte wirklich nicht schaden.


    Also deutete sie auf die zwei Stühle vor ihrem Schreibtisch. „Natürlich. Bitte, setzten sie sich.“



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  • 13. April 2004


    Büro der Dienstellenleitung, PAST




    In den nächsten gut zwanzig Minuten berichtete Semir von seinem Verdacht, in einem der Räuber seinen totgeglaubten, früheren Partner erkannt zu haben.

    Außerdem erzählte er ein wenig von André und was vor fünf Jahren grob auf Mallorca passiert war. Wie versprochen, erwähnte er Leonie aber mit keinem Wort.

    Der junge Polizist lauschte dem Bericht aufmerksam und machte sich danach seine eigenen Gedanken dazu.


    Es stand außer Frage das Semirs Verdacht schon recht heftig war, aber nach allem, was er gehört hatte, war es nicht unmöglich, dass er recht hatte.

    Je länger er darüber nachdachte, desto mehr Sinn machte es.

    Semirs Bauchgefühl, bezüglich des Fahrstils, das ihn einfach nicht in Ruhe gelassen hatte, machte so erheblich mehr Sinn.

    Jetzt wusste er außerdem was das Foto auf Semir Schreibtisch, das ihm gestern aufgefallen war, zu bedeuten hatte.


    „Was ich noch nicht ganz verstehe ist das mit der DNA.“ Sagte Ben schließlich und sah dabei fragend in die Runde. „Womit willst du die Probe vergleichen? Ich meine Hartmut ist ein Genie, aber ohne Vergleichsprobe kann auch er nicht viel machen...“


    „Ich habe eine alte Baseball-Kappe von André bei mir zu Hause. Mit ein bisschen Glück kann Hartmut da noch DNA finden...“ Semir sah kurz zu Chefin, die kaum merklich, aber dankbar nickte. „Wenn Hartmut in der Kappe nichts findet, müssen wir weiterschauen.“


    „Ich vertraue da voll und ganz auf Einstein... Der findet bestimmt was!“ Ben grinste zuversichtlich. Semir, der wusste das Einstein in jedem Fall etwas finden würde, nickte dennoch ebenso zuversichtlich.

    Jäger überlegte daraufhin noch einen Moment und frage dann:


    „Angenommen der Fahrer ist wirklich dieser André Fux. Was ist dann? Ich meine: Hilft uns das irgendwie weiter die Band zu schnappen?“


    Semir zuckte hilflos und unwissend mit den Schultern.

    „Das ist eine sehr gute Frage... Keine Ahnung. Vermutlich aber wohl nicht... Das wirft ehre nur noch mehr Fragen auf, als es Antworten gibt.“ Er schüttelte entschieden den Kopf.

    „Ich mein: Wie kommt ein totgeglaubter deutscher Polizist in eine französische Diebesbande, die einen Juwelenraubzug durch gefühlt halb Europa unternimmt?“


    Ben überlegte angestrengt und sagte dann schulterzuckend:

    „Na ja, es ist vielleicht ein wenig weit hergeholt, aber soweit ist Mallorca vom französischen Festland nicht entfernt. Außerdem sind Marseille und Montpellier große Hafenstädte, in denen viel Fischerei betrieben wird. Wenn dein Kollege damals von einem, von ihnen aus dem Wasser gezogen wurde, könnte das vielleicht immerhin schon mal erklären, wie er in Frankreich gelandet ist. Aber wie gesagt, das ist weit hergeholt. Und er klärt das mit den Raubzügen kein bisschen.“


    Auch wenn sie es zu dem Zeitpunkt noch nicht wussten, sollte Ben mit seiner Theorie gar nicht weit daneben liegen.


    „Ja... Aber warum hat er sich dann nie gemeldet? Telefone gibt’s in Frankreich ja schon.“ Jetzt war es die Chefin, die darauf antwortete, da es, neben unzählig weiteren, genau diese Frage gewesen war, die sie nicht hatte schlafen lassen.


    „Genau das hat mich heute Nacht auch umhergetrieben. Semir, sie hatten doch gesagt, dass sie nicht den Eindruck hatten das der Mann, mit dem sie gekämpft haben, sie wirklich erkannt hat, oder?“


    „Ich bin mir nicht sicher, glaube aber nicht, nein.“


    „Fux ist doch damals verletzt ins Meer gestürzt. Ich habe die letzte Nacht einiges über die Möglichkeiten gelesen, ob und wenn wie, man so etwas überleben kann.“




    Sie machte eine kurze Pause, in der sie einen Schluck aus der Kaffeetasse nahm, die sie die ganze Zeit über in der Hand gehalten hatte, während sie erst Semir und dann Ben zugehört hatte.

    Allerdings verzog sie umgehen das Gesicht, da der Kaffee in der Zwischenzeit eiskalt geworden war.

    Die Tasse wegstellend lehnte sie sich in ihrem Stuhl nach Vorne und stützte die Unterarme auf den Schreibtisch.


    „Die Wassertemperatur kann Anfang Mai auf Mallorca bereits um die 20 Grand Celsius betragen. Der März, April und Mail 1999, waren allerdings ungewöhnlich kühl und das Meer hatte sich Anfang Mai erst auf etwas über 10 Grad Celsius erwärmt.

    Ich sage ihnen beiden nichts Neues, das der Körper bei 10 Grad warmen Wasser sehr schnell auskühlt. Hypothermie hat dafür aber den praktischen Effekt der Blutstillung und das allgemeine Runterfahren des Kreislaufs, was den Betroffenen eine etwas größere Überlebenschance gibt. Die aus dem Runterfahren des Kreislaufs entstehende Hypoxie, kann wiederum eine Retrograde Amnesie bei den Betroffenen verursachen.

    In den meisten Fällen kommt die Erinnerung zwar recht schnell zurück, es kann aber auch Jahre dauern. In selten Fällen erinnert sich der oder die Betroffene auch gar nicht mehr. Hinzukommt, dass es ein traumatisches Ereignis war. Auch hier reagiert unser Hirn häufig mit vergessen.“



    Ben und Semir warfen sich einen leicht beeindrucken Blick zu, als die Chefin zu Ende gesprochen hatte.

    Jäger grinste und nickte anerkennend. „Das war jetzt aber schon so eine Hartmut-Nummer... Frau Engelhardt, ich bin beeindruckt!“


    Anna lachte kurz. „Hin und wieder hab auch ich einen hellen Moment... Unser KTU Genie hätte ihnen allerdings Daten und Statistiken zum Temperaturverlauf im Mittelmeer der letzten 100 Jahre nennen können.“ Alle Drei lachten, wurden aber schon im nächsten Moment von eben jenem Genie unterbrochen.


    Wie als hätte er geahnt, dass man über ihn sprach, klopfte es an der Bürotür und Einstein persönlich schob seinen Kopf herein.


    „Mahlzeit...“ Hartmut sah fragend und unentschlossen von Semir, zur Chefin, weiter zu Ben, bis sein Blick wieder auf der Chefin hängen blieb.


    „Hartmut, kommen sie doch rein!“ Anna lächelte freundlich in seine Richtung.

    Bei genauem Hinsehen, war es jedoch offensichtlich, dass sie von der einen auf die andre Sekunde merklich nervöser war. Auch Semir saß plötzlich kerzengerade in seinem Stuhl und sah gespannt zu dem KTU Techniker hinüber.


    Der schien nicht so ganz sicher zu sein, was er aus Bens Anwesenheit machen sollte, da Semir es am Morgen mehr als deutlich gemacht hatte, dass das Ergebnis seines kleinen Extraauftrags nur für sein, oder die Ohren und Augen der Chefin bestimmt war.


    „Ist das die Analyse?“ Die Chefin deutete auf die Mappe in Hartmuts Hand.


    „Äm, ja... Genau...“


    „Sie können sie mir geben.“ Sagte sie und streckte auffordern eine Hand aus. Hartmut erkannte sofort, dass es keine Bitte war, sondern eine eindeutige Aufforderung, der er sich besser nicht widersetzen sollte.


    Hastig trat er weiter in das Büro und reichte der Chefin die Mappe, die sie umgehen aufschlug, um den Inhalt zu lesen.

    Binnen Sekunden sah sie wieder auf und dem Rotschopf direkt in die Augen.


    „Sie sind sich ganz sicher?“


    „Ja! Ich habe den Test zweimal gemacht. Und ich bin mir ganz sicher. Die Proben stammen ohne Zweifel-“ weiter kam er nicht, da er freundlich, aber bestimmt, unterbrochen wurde.


    „Danke Hartmut! Das wäre erstmal alles. Ich nehme an, dass wir uns, wie immer, auf ihr Diskretion verlassen können?“


    „Selbstverständlich... Wie immer...“ beeilte er sich zu sagen, da auch diese eindeutig keine Frage gewesen war.


    Ben hatte das gesamte Spektakel interessiert, zugleich fasziniert beobachtet. Er war sich nicht ganz sicher, wovon genau er soeben Zeuge geworden war, aber da war noch etwas im Busch, von dem weder sein Partner noch die Chefin, ihm bis jetzt etwas gesagt hatte...


    Für den Moment hütete er sich jedoch davor, etwas dazu zu sagen.


    Die Reaktion seiner Vorgesetzten hatte eine eindeutige Sprache gesprochen. Stattdessen konzentrierte er sich auf deren nächsten Worte:


    „Sie hatten recht Semir. Die Proben passen zusammen. André Fux ist am Leben.“


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  • 13. April 2004


    Villa am Stadtrand von Köln, 09:37 Uhr




    Renard schreckte nach nur wenigen Stunden, unruhigen Schlafs auf und wusste erst nicht, was genau ihn geweckt hatte.

    Bereits im nächsten Moment hörte er jedoch die aufgebrachten Stimmen, die aus dem Erdgeschoss zu ihm hinauf drangen. Etwas schien geschehen zu sein.

    Hastig zog er sich Hose und T-Shirt an und ging mit zügigen Schritten in Richtung der aufgebrachten Stimmen.


    Als er um kurz nach Mitternacht wieder in der alten Villa am Stadtrand von Köln angekommen war, hatte noch reges Treiben geherrscht.


    Sein Chef, Albert Berthold und dessen Frau Camille, waren am frühen Abend frisch aus Frankreich angekommen und hatten mit Bestürzung festgestellt, dass beim letzten Überfall etwas schiefgegangen war und sich einer der angeheuerten Diebe, genauso wie die Beute, in Obhut der Polizei befand.


    Mit Erleichterung hatten sie immerhin festgestellt, dass neben Alain Duvért auch er, Renard, der Polizei entkommen war. Dennoch war insbesondere Camille Berthold völlig aufgelöst und brach in regelmäßigen Abständen in Tränen aus.


    Was nicht unbegründet war, wie Renard wusste.


    Die Zeit lief ihnen davon und ohne die Diamanten hatten sie ein nahezu unüberwindbares Problem. Noch immer vom Alkohol leicht benommen hatte er sich gegen 04:00 Uhr morgens kurz aufs Ohr gehauen, um den Rest seines Rauschens auszuschlafen.

    Keiner von den anwesenden Männern und Frauen, die Berthold angeheuert hatte, hatte eine Idee, wie es weiter gehen sollte.




    Er hatte die Treppe zur Hälfte genommen, als ein schriller Schrei zu hören war, der ihn die letzten Stufen in zwei Sätzen nehmen ließ und er eilig ins Wohnzimmer stürzte, von wo der Schrei gekommen war.

    Camille Berthold hatte den Schrei ausgestoßen und saß jetzt kreide bleich und unkontrolliert weinend auf einem der großen Sofas. Ihr Mann stand, genauso bleich und einen Zettel in den Händen haltend, neben dem massiven Esstisch, auf dem ein Päckchen lag, dessen Inhalt sich Duvért mit angewidertem Gesichtsausdruck besah.

    Zielstrebig ging er zum Tisch hinüber, um selber einen Blick in das Päckchen zu werfen.


    Sofort schreckt er jedoch zurück und musste kurz die Augen schließen, sich dabei konzentrierend, dass er sich nicht an Ort und Stelle übergab.

    Tief einatmend besah er sich den Inhalt schließlich noch einmal und unbändige Wut flammte in ihm auf.


    Denn es handelte sich um einen abgetrennten, kleinen Finger, einer Kinderhand.


    Diese elenden Schweine!






    Fünf Jahre zuvor, 06. Mai 1999:



    „Mon père, mon père! Tu Vois!“ Der fünfjährige Arnaud Berthold deutete aufgeregt auf das Wasser Steuerbord seitig.


    Albert Berthold, ein sehr wohlhabender in Südfrankreich lebender, deutscher Geschäftsmann, der sein Reichtum jedoch mit sehr fragwürdigen Geschäften und Kunden auf dem Finanzmarkt gemacht hatte, sah etwas gelangweilt von seinem Buch auf. Vermutlich hatte sein Sohn einen weiteren Schwarm Fische entdeckt.

    Nichtsdestotrotz erhob er sich von dem Sonnendeck der knapp 20 Meter langen Yacht, mit der sie Momentan vor der mallorquinischen Küste vor Anker lagen und trat an die Reling.

    Schon im nächsten Moment rief er aufgeregt nach einem Crew Mitglied!


    Da trieb doch glatt ein Mann im Wasser!


    Ohne groß zu zögern, sprang er in das, für die Jahreszeit noch erstaunlich kalte Wasser und schwamm die wenigen Meter zu dem leblos im Wasser treibenden Körper.

    Albert befürchtete schon das Schlimmste, als er den Mann erreichte und die klaffende Wunde in seinem Bauch sah. Er schleppte ihn dennoch zum Boot, wo schon zwei Crew Mitflieger warteten, die ihm halfen, den Mann an Bord zu hieven.


    Zum Erstaunen Aller, war der Fremde tatsächlich noch am Leben.

    Wenn auch nur geradeso.


    Da sie auf der Rückfahrt von einer längeren Tour waren, bei der sie unter anderem den Atlantik überquert hatten, hatten sie neben der normalen Besatzung auch einen Arzt an Bord, was sich jetzt als Glücksfall für den Bewusstlosen herausstellte.

    Der kleine Arnaud hatte die Rettungsaktion fasziniert beobachtet und obwohl seine Mutter Camille, ihn anwiese es nicht zu tun, folgte der Junge den Männern, die den Geretteten Unterdeck und in eine der Kajüten brachten, wo sich der Arzt sofort seiner annahm.



    Während der Bewusstlose auf dem Deck gelegen hatte, hatte sich Albert dessen Wunde bereits genauer angesehen. Für eine Schussverletzung war sie eigentlich zu groß. Dennoch sah es stark danach aus.

    Und das ließ in misstrauisch werden, was vermutlich seinem Umgang mit doch recht zwielichtigen Gestalten zu verdanken war.

    Vielleicht war es aber auch einfach nur eine Eingebung oder sein 7. Sinn gewesen, der ihn veranlassen ließ, dass man der Küstenwache erste einmal nicht von ihrem Fund berichten würde. Und die Yacht auch nicht umgehend den nächsten Hafen ansteuerte.


    Es war eine Entscheidung, die er bis in die Gegenwart noch nie bereut hatte.


    Der Fremde hatte unglaublich Glück gehabt, da das, was immer in verletzt hatte, keine wichtigen Organe und auch keine großen Blutgefäße getroffen hatte.

    Schon am Mittag des nächsten Tages war er das erste Mal kurz zu sich gekommen. Als sie am Abend im Hafen von Montpellier eingelaufen waren, hatte er das Bewusstsein für etwas länger erlangt.


    Dabei hatte sich herausgestellt, dass er keine Ahnung hatte, wer er war und sich auch nicht erinnern konnte was geschehen war.

    Interessanterweise sprach er deutsch, was Albert als Ironie oder aber, einen Wink des Schicksals auffasste.

    Und sein Sohn hatte, aus welchem Grund auch immer, in kürzester Zeit einen Narren an dem Mann gefressen.

    Also nahmen sie ihn mit in ihre Finca im Hinterland von Montpellier, wo er sich in Ruhe auskurieren konnte.



    Und seither war er bei ihnen geblieben, denn wie sich mit der Zeit herausgestellt hatte, war er ein begnadeter Kampfsportler und Berthold hatte recht schnell sein Potenzial als Aufpasser für seinen Sohn und seine Frau erkannt.

    Und da sich der Mann, den sie ‚Renard‘ getauft hatten, auch nach geraumer Zeit nicht erinnern konnte, wer er war und wo er hingehörte, war er nur zu gerne geblieben.


    Zumal es ihm immer komisch aufgestoßen war, dass er halb Tod im Meer getrieben hatte, als die Bertholds ihn gefunden hatten.

    Irgendjemand schien ihm wohl nach dem Leben zu trachten. Und er konnte nicht ausschließen das diejenigen wieder versuchen würden ihn zu töten, sollten sie erfahren das er am Leben war.

    Deswegen hatte er Französisch gelernt und sich seiner neuen Aufgabe als Bodyguard gestellt. Etwas das er sehr gerne tat, da er sich ausgezeichnet mit Arnaud verstand.


    Zeit verstrich und Renard war mittlerweile mehr ein guter Freund der Familie als ein Angestellter. Er war äußerst zuverlässig und immer zur Stelle wen man ihn brauchte. Und in neuster Zeit waren seine Dienste mehr denn je gebraucht!

    Bertholds Geschäftspartner waren in den letzten fünf Jahren skrupelloser und gieriger geworden, was dazu führte, dass auch dessen Methoden skrupelloser und riskanter geworden waren...

    Zu riskant, wie Albert Berthold Anfang März 2004 auf sehr drastische Art und Weise lernen musste.

    Und das kam ihm jetzt teuer zu stehen!




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  • Heute, Dienstag 13. April 2004


    Villa am Stadtrand von Köln 09:40 Uhr



    „Was steht auf dem Zettel?“ Renard sprach Deutsch, als er an Albert Berthold herantrat, der noch immer wie paralysiert, den mit dem Paket gekommenen Zettel, in Händen hielt.

    Als er keine Antwort bekam, griff er selber nach dem Blattpapier und las die darauf gedruckte Botschaft:



    Letzte Warnung!


    Der gesamte Betrag hat in Form von Diamanten bis spätestens 23:00 Uhr am 15. April bereitzustehen!

    Für jede Stunde Verzögerung kommt ein weiterer Körperteil!“



    Er fluchte, warf den Zettel beiseite und sah seinen Chef fragend an.


    „Ich habe gestern Abend um mehr Zeit gebeten...“ stammelte der noch immer völlig aufgelöst Vater. „Wir habe ja nicht genug Diamanten!“


    Nein, das hatten sie nach der missglückten, geradezu katastrophalen Flucht gestern nicht mehr.

    Aber er war sich ziemlich sicher, dass es ein Fehler gewesen war, bereits um mehr Zeit zu bitten. Aber es war passiert und nun mussten sie sich schleunigst etwas einfallen lassen!

    Gott, er hätte sofort hierherkommen müssen anstelle sich zu besaufen und durch die Weltgeschichte zu vögeln!

    Aber auch das war jetzt passiert und er konnte es nicht mehr ändern!

    Er wandte sich an seinen Komplizen von den Überfällen und fragte auf Französisch:


    „Wer hat das Paket gebracht?“


    „Ein Kurier. Hat sich den Empfang bestätigen lassen und ist sofort wieder gefahren. Ich denke nicht, dass er etwas damit zu tun hat.“


    Wohl eher nicht, nein...

    Er war vermutlich wirklich nur der Überbringer, der schlechten Nachrichten.


    Camille war in der Zwischenzeit von ihrem Platz auf dem Sofa aufgesprungen und schrie hysterisch, dass sie ihr Kind wieder haben wolle und sie endlich etwas tun sollten!

    Das war überaus verständlich, war aber leider leichter gesagt als getan.

    Neben den Bertolds, Renard und Alain Duvért befanden sich noch zwei Brüder, die Albert angeheuert hatte, um seinen Sohn wieder zubekomme, in dem großen Haus.


    Außerdem sein langjähriger Kompagnon Luce Delon, den aber alle nur ‚Araignée‘, die Spinne, nannten, da er sich unter diesem Synonym als Hacker einen Namen gemacht hatte.

    In Kombination mit dem Finanzexperten Albert Bertold waren sie mit geschicktem Insiderhandel zu großen Summen Geld gekommen und hatten daraus ein lukratives Geschäftsmodell entwickelt.

    Ein Geschäftsmodell mit dem sie sich spektakulär verzockt hatten... Und dass ausgerechnet bei Menschen, die diesbezüglich keinerlei Spaß verstanden und denen jedes Mittel Recht war, ihr Geld wieder zubekommen!


    Nach einem hitzigen hin und her, bei dem allerdings nicht wirklich etwas rumgekommen war, wurden Renard und Duvért trotzdem losgeschickt, um den Rest des Tages, mögliche Juweliere auszukundschaften, wo sie zügig an die noch benötigten Diamanten kommen konnten.


    Auch wenn beide Männer wussten, dass es mehr als unwahrscheinlich war, fügten sie sich der Anweisung.


    Vielleicht geschah ja doch ein Wunder...





    PAST, 12:14 Uhr



    André Fux war am Leben.


    Sein Freund und ehemaliger Partner war am Leben!


    Der Gedanke kreiste unaufhaltsam und völlig Wild in seinem Kopf, sodass Semir Gerkhan für einen Moment an nichts anderes mehr denken konnte.


    Und trotzdem konnte er es noch immer nicht begreifen!


    Mit eiserner Willenskraft zwang er sich dazu, sich wieder auf das hier und jetzt zu konzentrieren, wo es einiges zu tun gab!


    „Wie gehen wir denn jetzt vor?“, fragte Ben und sah zwischen seinem Partner und seiner Chefin hin und her, die beide gedanklich in ihrer eigenen Welt zu sein schienen.


    „Bitte was?“ Die Engelhardt blinzelte und sah den jungen Kommissar leicht irritiert an.


    „Na ja, ich bin mir nicht so sicher wie das Standardverfahren aussieht, wenn man einen totgeglaubten zur Fahndung ausschreiben möchte...“ Er grinste.


    „Muss man den erst wieder für lebendig erklären, oder kann man das auch nach dem Ausschreiben zur Fahndung machen?“

    Seine Kollegen schienen wieder aus ihren Gedanken zurückgekommen zu sein und schmunzelten jetzt.


    „Da müsste ich auch noch mal nachlesen, wie genau man einen Wiederauferstandenen zur Fahndung ausschreibt.“ Gab Anna zu, fügte aber umgehend hinzu:


    „Ich denke aber nicht, dass wir ihn momentan überhaupt zur Fahndung ausschreiben sollten.“


    Semir nickte zustimmend. Er ging sogar noch einen Schritt weiter als er sagte:

    „Ich glaube es wäre vielleicht sogar besser, wenn es erstmal unter uns bleibt, dass André am Leben ist...“ Nun war es die Chefin, die zustimmend nickte. Das war vermutlich wirklich erstmal das Beste, da hatte Gerkhan recht.


    „Okay... Aber was machen wir dann?“ Ben war etwas unschlüssig und sah wieder zwischen seinen Kollegen hin und her.

    Die schienen aber auch nicht so richtig zu wissen was sie als nächstes tun sollten.


    „Machen sie weiter wie bisher und behandeln es als normalen Fall. Wissen wir schon etwas über den zweiten Mann, der entkommen konnte?“ fragte die Chefin nach einer kurzen Pause.


    „Bis jetzt so gut wie nichts, nein. Wir haben Aufnahmen von umliegenden Kameras bekommen, die wir uns ansehen wollten. Vielleicht können wir so in Erfahrung bringen, wohin er gelaufen ist.“ Antwortete Ben.


    „Gut, machen sie das. Hat die KTU in dem Fluchtwagen etwas gefunden?“


    „Wir warten noch auf den Bericht.“ War es jetzt Semir, der antwortete. „Also gut. Bleiben Sie da dran. Und geben sie mir umgehend Bescheid, wenn sie etwas finden.“



    ***



    Unglücklicherweise war da nicht viel was sie fanden.

    Der am Nachmittag eintreffende Bericht aus der KTU verriet ihnen nur, dass der Wagen voller Fingerabdrücke war, man aber nicht sagen konnte, ob von den Räubern auch welche dabei waren.


    Die Nummernschilder waren geklaut, genau wie vermutlich der Wagen selber. Wo der Vito entwendet worden war, konnten sie noch nicht sagen, da die nicht passenden Nummernschilder es komplizierter machten und auch die Identifikationsnummer unkenntlich gemacht worden war.


    Bei der Durchsicht der diversen Videos von Kameras rund um die Unfallstelle konnten sie zwar einen Teil der Strecke nachvollziehen, die der Flüchtige dritte Mann genommen hatte, nach dem die Kollegen in Uniform ihn verloren hatten, allerdings verlief auch das recht schnell im Sand.


    Kurz vor Feierabend fuhren Ben und Semir deswegen, mehr oder weniger aus Verzweiflung und weil sie nicht wussten, was sie noch tun konnten, in die JVA nach Ossendorf, wo der geschnappte Dieb mittlerweile in U-Haft saß.


    Nur um erneut festzustellen, dass der Mann weiterhin eisern schwieg!



    Während sie in der Schleuse warten, dass sich das Tor hinter ihnen schloss, damit sich das Tor vor ihnen in die Freiheit öffnen konnte schüttelte Ben frustriert den Kopf.

    „Der Kerl ist wirklich sehr, sehr schweigsam! Das kommt mir fast ein bisschen komisch vor.“


    Damit sprach der junge Polizist etwas an, was auch Semir schon zum Nachdenken gebracht hatte.

    Laut den französischen Kollegen lebte der Mann in Montpellier und war dort als arbeitslos gemeldet. Davor hatte er in der Armee gedient.


    „Vielleicht sind seine Komplizen ja ehemalige Kameraden und er sagt deswegen nichts? Ehre unter Soldaten?“ spekulierte Ben weiter.


    „Ja, möglich... Oder sein Auftraggeber zahlt so gut, dass er es verkraften kann ein paar Jahre abzusitzen...“


    „Oder er hat schiss und weiß, dass er es nicht überleben würde, wenn er redet.“ Semir wog den Kopf hin und her.


    „Macht er auf dich den Eindruck das er schiss hat?“ Ben dachte kurz darüber nach, während Semir aus der Schleuse fuhr.


    „Ne, macht er eigentlich nicht. Hast recht.“ Er zuckte mit den Schultern. „Dann sollten wir uns morgen früh mal versuchen eine Liste mit ehemaligen Kameraden zu bekommen.“


    Gerkhan nickte zustimmend, gab aber zu bedenken, dass dies wohl nicht ganz einfach werden würde. „Und wer weiß... Vielleicht ist es ja auch was völlig anderes, warum er nicht redet...“


    I dance in tune with what I fear,

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    Cause' it's overrated how we underrate!

  • 13. April 2004


    Köln, 17:36 Uhr



    Genau wie die Kommissare Gerkhan und Jäger waren auch Renard und Duvért ziemlich frustriert, als sie am Abend in den ‚Feierabend‘ fuhren.

    Wie sie es sich schon gedacht hatten, würde es unmöglich sein auf die schnelle einen Juwelier ausfindig zu machen, der über ansatzweise genügend Rohdiamanten verfügte, wie die beiden, die sie bereits überfallen hatten.

    Die allerwenigsten Geschäfte hatten derart große Mengen auf Vorrat.


    Sie hatten diskutiert und sich die Köpfe zermartert. Wenn nicht einen Juwelier konnte sie dann einfach mehrere hintereinander überfallen? Sie hatten schnell eingesehen, das dies ganz klar zum Scheitern verurteilt war. Und in der ihnen noch verbleibenden Zeit niemals klappen würde.

    Duvért hatte sogar vorgeschlagen einen Abstecher nach Antwerpen zu machen, wo es Diamanten in Hülle und Fülle gab.

    Da es dort aber eben Diamanten in Hülle und Fülle gab, waren die Sicherheitsvorkehrungen dementsprechend und auch die Idee wurde schnell verworfen.

    Letztlich blieb ihnen nur die Erkenntnis, dass sie vor einem riesengroßen Problem standen und ihnen schlicht weg die Zeit fehlte es zu lösen.

    Beziehungsweise ihnen einfach die eine, geniale Idee nicht einfallen wollte, mit der sie das Steuer herumreißen könnten.



    In der angemieteten Villa in der Nähe von Pulheim hatte man diese, vermeintlich, geniale Idee indes gehabt.

    Jean Roussaux, einer der beiden Brüder, die Berthold angeheuert hatte, war die fixe Idee gekommen und er hatte es nicht ganz ernst gemeint in die Runde geworfen.

    Sein Bruder Jerome und das Computer-Genie Araignée hatten die Idee jedoch als gar nicht so dumm empfunden und deren Potenzial erkannt.


    Dank Araignée Möglichkeiten und Fähigkeiten am Computer hatten sie recht zügig ausreichend Informationen zusammengesammelt, auf deren Grundlage sie bis zum Abend einen Plan entwickelt hatten, der, ihrer Meinung nach, durchaus funktionieren konnte.

    Als sie damit an ihren Chef herantraten, war dieser erst sehr skeptisch gewesen und die Idee erzeugte einiges Unbehagen bei ihm.


    „Wir wissen, dass es nicht schön ist... Aber es ist vermutlich unsere einzige Möglichkeit!“ Hatte sein Freund und Geschäftspartner mit ruhiger Stimme erklärt.


    Albert blätterte durch die Papiere die Araignée ihm gegeben hatte. „Können wir nicht jemand anderes...?“ Er sah fragend auf.


    „Theoretisch, ja. Aber so ist es vermutlich am effektivsten.“ Berthold schluckte schwer. Ja, das war es mit Sicherheit!


    „Also schön. Macht es. Aber seid um Gottes willen vorsichtig!“ Der letzte Satz war an die Roussaux Brüder gerichtet, die nickten.

    Albert verachtete sich für das, wofür er soeben sein Einverständnis gegeben hatte. Aber er würde alles tun, um seinen Sohn aus den Fängen von Richard Van Beust zu holen!


    ***


    Alain Duvért und Renard waren etwas überrascht, als sie auf dem Weg zurück in die Villa angerufen und beauftragt wurden, umgehend einen weiteren Van mit Schiebetür von irgendwoher zu besorgen.

    Auf Renards Frage wofür, bekam er nur die Antwort, dass sie eine Idee hatten.

    Da sie nicht einfach in eine Autovermietung gehen konnten, stellte sich die Aufgabe als etwas langwieriger heraus, als sie es gedacht hatten, da sie nicht sofort fündig wurden.

    Schließlich fanden sie aber doch noch einen VW Sharan, der in einer recht abgelegenen Seitenstraße parkte und der sich einfach Kurzschließen ließ.


    Als sie um kurz vor Mitternacht in der Villa ankamen, waren die Männer von dem emsigen Treiben überrascht, das im Haus herrschte.


    „Nous avons une idée!“, verkündete Araignée, als Renard und Alain in das Wohnzimmer traten.

    Duvért ging gespannt durch den Raum zu dem Hacker und den Roussaux Brüdern, die um den großen Esstisch versammelt saßen. Auf dem Tisch lagen ein Stadtplan und mehrere Bilder.


    Renard kam gar nicht so weit.


    Er war auf halbem Weg, von einer neben dem Computer des Hackers liegenden, aufgeschlagenen Mappe, abgelenkt worden.

    Seine Stirn war in Falten gelegte als er danach griff und auf der ersten Seite das Wort ‚Autobahnpolizei‘ las. Das Wort war es auch, dass seine Aufmerksamkeit erregt hatte.


    Automatisch blätterte er eine Seite weiter-


    Und erstarrte, wie vom Blitz getroffen!



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  • 13. April 2004


    Villa am Stadtrand von Köln, 19: 27 Uhr



    Es handelte sich bei dem Blatt um einen Auszug aus einer Personalakte.

    Der Personalakte des kleinen Polizisten, der ihn am Tag zuvor beinahe geschnappt hätte.


    Kriminalhauptkommissar Semir Gerkhan‘ las er und seine Lippen formten dabei stumm den Namen. „Semir... Semir Gerkhan...“


    Es war, als ob der Name, in Verbindung mit dem dazugehörigen Bild, wie ein Schlüssel war, der eine Tür in der hintersten Ecke seines Gehirns aufsperrte.

    Die Tür flog mit einem lauten Knall auf und eine Flut aus lang vergessenen Bildern und Erinnerungen strömte auf ihn ein.


    Er stand mit Semir vor einer kleinen Currywurst Bude, diskutierte heftig mit ihm über ein Fußballspiel...


    Dann sah er sich und den Polizisten gemeinsam scherzen und lachen, saß neben ihm im Auto, während sie mit waghalsigen Manövern einen weißen VW Golf auf der Autobahn verfolgten...


    Im nächsten Moment kletterten sie aus einer demolierten, dunkelblauen Mercedes C-Klasse und er hörte Semir Gerkhan in seinem Kopf deutlich sagen: „Na das hat ja super funktioniert! Das mit dem Dienstwagen erklärst ganz sicher du der Chefin!“


    Chefin...



    Er blinzelte hektisch, rieb sich die Schläfe, die unangenehm zu Pochen begann.

    Trotzdem schlug er die Augen auf und blätterte wie in Trance weiter durch die Mappe.


    Die Nächste Seite zweigt einen jungen Mann, von dem er glaubte, ihn neben Semir im Auto gesehen zu haben, der ihm aber nichts sagte. Kriminalkommissar Ben Jäger...


    Nein, bei dem Namen tat sich nichts.


    Weiter zur nächsten Seite, auch wenn die Schmerzen in seinem Kopf schlimmer wurden und er wusste das er einen Migräneanfall bekam. Etwas das er hin und wieder hatte.

    Grelle Lichtblitze zuckten vor seinen Augen und er musste sich konzentrieren, den Inhalt der Seite klar zu sehen.


    Als das Bild und die geschriebenen Worte auf dem Blattpapier scharf wurden und er etwas erkennen konnte, blieb ihm die Luft weg.


    Erste Kriminalhauptkommissarin Anna Engelhardt, Leiterin der Kölner Autobahnpolizei.


    Anna...


    Die Frau auf dem Bild in der Personalakte war eine exakte Kopie der Frau, die er in seinen Träumen gesehen hatte und die die letzten Tage, immer wieder durch seinen Geist gespukt war...

    Renard ließ die Mappe fallen, schlug sich beide Hände vor den Kopf, als könne er so die erneute, noch viel heftigere Flut von Bildern und Erinnerungen aufhalten, die ihn jetzt zu übermannen drohte.


    Er saß vor ihrem Schreibtisch und holte sich gemeinsam mit Semir Gerkhan einen gewaltigen Anschiss ab...


    Stand im Wald vor der geöffneten Motorhaube, um die er herum sah und beobachtete, wie sie versuchte den Wagen zu starten...


    Kniete plötzlich neben der Fahrertür, nur um im nächsten Augenblick mit ihr durch die Luft zu fliegen, während es brennende Trümmerteile regnete...


    Saß lachend vor ihr, während sie belustigt die Augen verdrehte, nur um im nächsten Augenblick stumm in die braunen Augen zu blicken und die letzten Zentimeter zu überwinden, die ihre Geschichte trennten...


    Lag neben ihr im Bett und strich gedankenverloren über ihren blanken Rücken, während sie schlief...


    Und dann war er wieder in dem Büro, wo sie ihn von hinter ihrem Schreibtisch ansah, Besorgnis im Blick und in der Stimme, als sie sagte: „Und passen sie bloß auf sich auf, André!“



    Seine Beine gaben endgültig nach und er ging in die Knie. Sein Schädel fühlte sich an, als würde er jeden Moment zerspringen.

    Camille Berthold kniete sich besorgt neben ihn und er hörte sie wie aus weiter Ferne fragte, was los sei.

    „Migräneanfall...“ presste er mühsam auf Französisch hervor, woraufhin sie verstehend nickte. Auch Camille wusste, dass er hin und wieder an Migräne litt.


    Mit der Hilfe von Duvért schaffte er es die Treppe hinauf und in sein Zimmer, wo die Frau seines Chefs ihm zwei Schmerztabletten und ein Glas Wasser reichte.

    „Merci...“, murmelte er, ehe er den Kopf in die Kissen seines Bettes sinken ließ und angestrengt die Augen zusammenkniff.


    Zum Teil wegen der Schmerzen, aber auch um der immer noch reißenden Flut von Erinnerungen Herr zu werden, die weiterhin unbarmherzig auf ihn einströmte und erst abriss, als er kurz darauf vor totaler Erschöpfung in einen unruhigen Schlaf driftete.



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  • Mittwoch, 14, April 2004


    Villa am Stadtrand von Köln, 08:56 Uhr



    Als ‚Renard‘ am darauffolgenden Morgen wach wurde, fühlte er sich trotz der knapp neun Stunden, die er geschlafen hatte, immer noch wie gerädert.

    Der Schlaf war nur wenig erholsam gewesen und er hatte sich die ganze Nacht über unruhig von einer auf die andere Seite gewälzt, da sein Geist kontinuierlich weitergearbeitet hatte und die wiedergewonnenen Erinnerungen in seinen Träumen versucht hatte zu verarbeiten.


    Immerhin waren die Kopfschmerzen wesentlich besser erträglich, auch wenn sie noch nicht komplett verschwunden waren.

    Eins der letzten Dinge, die ihm gestern in den Sinn geschossen waren, bevor er vor Erschöpfung eingeschlafen war, war ein Name gewesen.

    Und obwohl er wusste, dass er eigentlich andere Dinge zu tun hatte, konnte er dem Drang nicht widerstehen, nach seinem, auf dem Nachttisch liegenden Laptop zu greifen und ihn aufzuklappen.

    Schnell gelange er auf die Seite einer Suchmaschine und tippte den Namen ein:


    André Fux.


    Binnen Sekunden wurden einige hundert Ergebnisse ausgespuckt und nach kurzer Suche fand er einen Zeitungsartikel.



    „Deutscher Polizist bei Einsatz auf Mallorca verschollen“



    Neben der Überschrift prangte ein Bild und er schluckte schwer, als er in sein eigenes Gesicht blickte. Er las den Artikel und konnte nicht glauben was da geschrieben stand!

    Er las den Artikel ein zweites Mal, konnte es noch immer nicht richtig glauben, wusste aber gleichzeitig tief in seinem Innern, dass das, was da geschrieben stand, die Wahrheit war und es sich so zugetragen hatte.

    Mit schweißnassen Fingern klickte er schließlich auf einen weiteren Artikel.



    „Vermisster Polizist für tot erklärt“



    Der Artikel fasst die Geschehnisse auf Mallorca erneut kurz zusammen und erklärte, dass Kriminalhauptkommissar André Fux von der Autobahnpolizei Köln, also das er, nach erfolgloser Suche im Mittelmeer, zum großen Entsetzen seiner Kollegen, für tot erklärt worden war.

    Für mehrere Minuten starrte er auf den Bildschirm vor sich, las die Artikel wieder und wieder, bis er sie fast Wort für Wort auswendig kannte.


    „Der Hubschrauber und das Motorboot!“, schoss es ihm plötzlich in den Sinn.


    Gleichzeitig berührte er unwillkürlich die Stelle an seinem Bauch, wo sich die auffällige Narbe befand.

    Er merkte wie seine Kopfschmerzen drohten wieder schlimmer zu werden. Also schloss er den Browser, löschte den Suchverlauf und klappte schließlich den Laptop zu.


    Im Badezimmer kramte er Schmerztabletten aus einem kleinen Kulturbeutel, die er ohne Wasser herunterschluckte und anschließend kurz unter die Dusche trat.

    Dabei stellte sich ihm permanent eine Frage: Was zur Hölle sollte er jetzt machen?


    ***


    Als er kurz darauf eilig die Treppe ins Erdgeschoss herunterging, arbeitete sein Gehirn, dank der kalten Dusche, jedoch wieder ein wenig besser und eine ganz andere Frage stellte sich ihm:


    Warum hatten sein Chef und seine Mitstreiter Informationen über die Belegschaft der Autobahnpolizei eingeholt?!


    Im Wohnzimmer angekommen stellte er sofort fest, dass die Stimmung angespannt war und die Roussaux Brüder nicht anwesend waren.

    Hier ging eindeutig etwas vor sich!


    „Renard! Comment ça va?“ Albert auf ihn zu, ein schmales Lächeln auf den Lippen. Es war jedoch deutlich zu sehen, dass er nervös war.


    „Très bien, merci! Que se passe t-il ici?“ Er sah kurz in die Runde. Berthold schluckte und sah schuldbewusst zu Boden, was ihn argwöhnisch die Augen zusammenkneifen ließ.


    Was immer hier vor sich ging, es konnte nicht gut sein!


    „Et...?“ bohrte er ungeduldig nach. Was sein Chef ihm dann sagte, verschlug ihm die Sprache!


    „Putain de merde!“, fluchte André ungehalten und sah seinen Freund und Chef entsetzt an. Machte er Witze?


    Wie waren sie bitte auf eine derart beschissene Idee gekommen?!


    „Une petite fille?! Vous êtes fous ou quoi?!“ Stieß er wütend hervor und konnte es noch immer nicht glauben, was ihm da soeben erzählt worden war.Denn es ging ganz eindeutig zu weit!

    Viel zu weit!


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  • 14. April 2004


    PAST, 09:05 Uhr



    „Morgen Chefin!“, wurde die Angesprochenen vom breit grinsend Ben begrüßt, als sie gerade einmal einen Fuß in die PAST gesetzt hatte. „Semir und ich haben nachgedacht und uns ist eine Idee gekommen!“


    Anna schloss kurz die Augen und atmete tief ein.

    Na, der Arbeitstag ging ja gut los... Jäger und Gerkhan hatten also eine von ihren Ideen.


    Und das ausgerechnet nach einer weiteren Nacht, in der sie so gut wie nicht geschlafen, sondern über die neusten Ereignisse nachgedacht hatte und was diese womöglich für Folgen haben könnten.

    Außerdem hatte die Tochter, mit durchgehendem quengeln und motzen, ihre Nerven am heutigen Morgen bereits kräftig strapaziert.


    „Guten Morgen, Ben!“ Begrüßte sie ihn dennoch freundlich und ging weiter zu ihrem Büro, wo auch schon Semir ungeduldig wartete.


    „Morgen Chefin! Ben und ich...“ „...haben eine Idee, ich hab’s schon gehört!“ Anna lächelte.


    „Genau... Kaffee?“ Gerkhan hielt ihr grinsend eine dampfende, frische Tasse Kaffee entgegen.


    Das ließ Anna dann endgültig misstrauisch werden... Was hatten die Zwei nun schon wieder ausgeheckt?

    Die Chefin hängte ihre Jacke an die Garderobe neben der Tür und nahm auf dem Weg hinter ihren Schreibtisch, dankend die Tasse mit dem koffeinhaltigen Heißgetränk entgegen, die Semir ihr reichte. „Na dann, schießen sie mal los!“

    Die Kommissare erzählten von ihrem Verdacht, dass der geschnappte Räuber vielleicht so beharrlich schwieg, weil er mit einem ehemaligen Kameraden die Raubzüge begangen hatte.


    „Das könnte durchaus eine plausible Erklärung sein.“ Stimmte die Chefin ihnen zu, erkannte aber auch sofort wo vermutlich das Problem lag. Bens nächste Worte bestätigten ihren Verdacht:


    „Jetzt müssen wir nur noch an eine Liste mit seinen ehemaligen Kameraden kommen...“


    „Die das französische Militär aber nicht so einfach rausrücken wird.“


    „Na ja... Wir könnten ja mal wenigstens nett nachfragen...“ Jäger sah sie unschuldig mit seinen großen, braunen Reh Augen an.


    Dabei schob er einen Zettel über den Schreibtisch, auf dem ein Name und eine Telefonnummer stand.


    „Das ist der zuständige Major aus dem Personalbüro in Paris...“


    „Worauf warten sie denn dann noch? Ihr französisch sollte dafür allemal ausreichen, Ben. Ich sehe nicht wie ich ihnen da helfen kann.“


    „Jaaa... das ist ja ein Offizier... Und keine Offizierin...“ Ben sah sie verschlagen, gleichzeitig unschuldig an. Etwas, das so nur er zustande brachte.


    Ah. Daher wehte der Wind also.


    „Oh là là...“ Anna schüttelte amüsiert den Kopf. Jäger war und blieb eben einfach ein kleines Schlitzohr!


    Aber er hatte damit durchaus recht.

    Die Chancen standen vermutlich eh schon nicht gut, dass sie an die Unterlagen bekommen würden. Da konnte es nicht schaden, mit allen Tricks zu kämpfen...

    Aber obwohl die Chefin sich über eine Viertelstunde wirklich Mühe gab und alle Register zog, blieb der französische Major leider hart. Auch, wenn er sich dafür gefühlt 1000-mal entschuldigte. Aber die Regeln waren diesbezüglich eindeutig.


    „No, no pas de problème, tout va bien! Alors, merci! Bonne journée!“ Anna legte auf und sah entschuldigend zu Ben und Semir, die die ganze Zeit über vor ihrem Schreibtisch gesessen hatten und das Telefonat fasziniert beobachtet hatten.


    „Tut mir leid! Da ist leider nichts zu machen...“


    „Also von mir hätten sie alles bekommen! Chiracs Handynummer, die Atomcodes, Schlüssel zum Élysée-Palast...“ Ben wirkte noch immer etwas baff, aber durchaus beeindruckt.

    Wer hätte gedacht, dass die Engelhardt auf eine so überaus charmante Art, derart manipulativ sein konnte, wenn sie es musste.


    „Danke Ben, das ist gut zu wissen.“ Sie lächelte ihn mit einem dramatischen Augenaufschlag an. „Dann weiß ich jetzt, was ich das nächste Mal tun muss, wenn sie mit ihren Berichten im Verzug sind...“ Jäger hob abwehrend die Hände und tat gespielt entsetzt.


    „Wouh...! Also es gibt schon noch Grenzen... So einer bin ich nicht! Berichte schreiben... Das geht jetzt echt ein bisschen weit! Ein bisschen Würde habe ich schon noch, ja?“


    Semir neben ihm, fiel vor Lachen fast vom Stuhl und auch die Chefin konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, während Ben spitzbübisch grinste.


    „Nach dem wir das geklärt haben, fürchte ich, müssen sie wohl leider nach einem neuen Ansatz suchen. Tut mir leid! An die Arbeit, meine Herren.“



    ***



    Jäger und Gerkhan hatten noch nicht lange grübelnd in ihrem Büro gesessen, als Andrea zu ihnen kam.

    Selbstverständlich hatte Semir ihr von André erzählt, da er wusste, dass auf sie verlass war und sie nichts sagen würde.

    Allerdings hatte er auch ihr gegenüber nichts von dessen Verbindung zu Leonie erzählt, da dies etwas war, was ihm nicht zustand.


    „Mein Schatz, hast du was für uns?“ Semir strahlte sie verliebt wie eh und je an.


    „Vielleicht. Auf dem 40. Revier ist ein dunkler Mercedes Vito als gestohlen gemeldet worden. Das könnte eventuell euer Fluchtwagen von Vorgestern sein...“


    „Oh, okay. Kannst du uns die Adresse und den Namen...“ Semir stoppte, da die Sekretärin bereits mit einem kleinen Zettel winkte. „Alles schon erledigt.“


    „Andrea, du bist ein Schatz!“ Ben war schon von seinem Platz aufgestanden und auf dem Weg aus dem Büro. Im Vorbeigehen drückte er der Blonden einen sachten Kuss auf die Wange.


    „Ey! Das ist meine Aufgabe!“ Beschwerte sich deren Verlobter prompt aus dem Hintergrund und hatte es mit einem Mal auch eilig aufzustehen. Im Vorbeigehen drückte er Andrea einen vollen Kuss auf die Lippen.

    Sein junger Kollege war schon wieder im Büro der Chefin, um kurz Bescheid zu geben, das Semir und er, dank Andrea, eine mögliche neue Spur hatten und der umgehend nachgehen wollten.


    „Sehr gut, machen sie das! Und wenn möglich, ohne Chaos anzurichten...“ Ihr Telefon klingelte und beim Blick auf das Display verdüsterte sich ihre Miene umgehen.

    Es war erneut die Nummer von Leonies Kindergarten.

    Was hatte das Kind nun schon wieder angestellt?! Vielleicht Bungee-Jumping vom Klettergerüst...?

    Sie nahm ab und meldete sich, während Ben sich abwandte, um aus dem Büro zu gehen.


    Im Türrahmen drehte er sich noch einmal um, um die Tür hinter sich zu schließen. Dabei nickte er der Chefin zum Abschied zu-


    Und stockte.


    „Was ist, kommst du?“, rief Semir hinter ihm, der schon auf dem Weg nach Draußen war. Ben rührte sich jedoch nicht vom Fleck.


    Etwas stimmte nicht.


    Er wusste nicht, mit wem die Engelhardt gerade telefonierte und was gesagt wurde, aber es stand für ihn außer Frage, dass etwas nicht in Ordnung war.

    Je länger er sie beobachtete, desto offensichtlicher wurde es von Sekunde zu Sekunde, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war.

    Das erkannte auch Gerkhan sofort, als er einen Moment später neben ihm auftauchte und fragend in das Büro sah.


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  • 14. April 2004


    Büro der Dienststellenleitung Autobahnpolizei, 10:13 Uhr




    Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang gehetzt, schrill und außer Atem.

    Zudem war die Frau kaum in der Lage einen vollständigen Satz zu formulieren. Sie sprach Stakkato artig und es waren nur vereinzelte Worte die Anna verstand.

    Aber es genügte, damit ihr das Blut in den Adern gefror!


    Draußen. Auto. Maskierter Mann. Leonie. Mitgenommen. Alles so schnell!


    Danach hatte die Frau, eine der Kindergärtnerinnen, angefangen hysterisch zu schluchzen und kein vernünftiges Wort mehr zustande gebracht.


    Maskierter Mann. Leonie. Mitgenommen!


    Die Worte hallten in ihrem Kopf und liefen in einer penetranten Dauerschleife. Mit jeder Wiederholung hallten die unheilverkündenden Worte lauter und lauter, bis sie nur noch ein hohes Pfeifen hörte und reflexartig für einen kurzen Moment die Hände über ihre Ohren schlug.

    Es stand außer Frage, dass es ihr die Beine unterm Körper weggerissen hätte, hätte sie nicht gesessen.


    Chefin... Chefin!


    Das hohe Pfeifen wurde ein wenig leiser und Anna glaubte, langsam auch wieder etwas anderes zu hören.


    Frau Engelhardt!


    Das Pfeifen in ihren Ohren wurde jetzt von einem beständigen, monotonen Rauschen abgelöst.


    „ANNA!“


    Sie riss die Augen auf, obwohl sie sich nicht daran erinnern konnte, sie überhaupt geschlossen zu haben. Zeitgleich zog sie scharf Luft ein.

    Unbewusste hatte sie wohl auch den Atem angehalten, seit sie den Hörer abgenommen hatte. Der frische Sauerstoff strömte in ihre Lungen, wurde von da in ihrem Körper verteilt und gierig von den einzelnen Zellen aufgenommen.


    Das Rauschen in ihren Ohren wurde leiser und verschwand schließlich komplett. Erst jetzt fing sie wieder an, ihre Umwelt wahrzunehmen.

    Anna konnte nicht sagen wie viel Zeit vergangen war, aber Semir stand vor ihr und hatte den Bürostuhl, auf dem sie noch immer saß, ein Stück vom Schreibtisch weggeschoben.

    Neben ihr am Telefon stand Ben, der seinem Gesprächspartner oder Partnerin am andern Ende der Leitung, eindeutige, schnelle Anweisungen gab.


    „Dunkler VW Sharan, vermutlich zwei männliche Insassen. Ich will, das in einem Umkreis von 10 Kilometer um den Kindergarten alles dicht gemacht wird und eine Ringfahndung eingeleitet wird! Ein aktuelles Bild von dem Kind für die Fahndung schicken wir gleich!“ Damit legte Jäger auf und sah halb grimmig, halb besorgt zur Seite.



    Der junge Kommissar war umgehend zurück in das Büro gestürmt, als seine Vorgesetzte den Telefonhörer hatte fallen lassen und ein Stück in ihrem Stuhl zusammengesackt war.

    Während sein Partner sich um die Chefin gekümmert hatte, die anscheinend einen Totalaussetzer hatte, hatte er nach dem Hörer gegriffen, aus dem man die fragende Stimme einer Frau hören konnte.

    Diese hatte ihm einigermaßen gefasst berichtet was passiert war, während man im Hintergrund das hysterische Schluchzen einer zweiten Frau hören konnte.


    Ben war heiß und kalt zu gleich geworden und er hatte schwer schlucken müssen.

    Der Polizist in ihm hatte aber sofort das Ruder übernommen und der Frau ein paar Anweisungen gegeben und ihr versichert, dass er sich um alles weitere kümmern würde und sie so schnell es möglich war da sein würden.

    Danach hatte er im zuständigen Polizeipräsidium angerufen und dem Beamten vor Ort barsche Anweisungen gegeben.


    Semir hatte aus den gehörten Wortfetzen sofort verstanden, um was es ging. Schock und Entsetzen waren auch ihm in die Knochen gefahren, aber genau wie Ben, schaffte er es, diese hinten anzustellen und sich nur darauf zu konzentrieren, was sie jetzt tun mussten.

    Derselbe Mechanismus schien auch schlagartig bei der Chefin wieder einzusetzen.

    So plötzlich der Aussetzte gekommen war, so plötzlich verschwand er jetzt anscheinend auch wieder.



    Sie stand abrupt auf und ging mit energischen Schritten, die Semir ihr in dem Moment nicht zugetraut hätte, in das Großraumbüro, wo sie die versammelte in schneidendem Befehlston zusammenrief.

    An der Karte von Köln und Umgebung deutete sie auf bestimmte Verkehrsknotenpunkte um den Bereich herum, wo sich der Kindergarten ihrer Tochter befand und befahl diese abzuriegeln. Mit grimmigem Nicken und ohne Fragen zustellen stürmten die Kollegen zu ihren Dienstfahrzeugen, um dem Befehl Folge zu leisten.



    Während Ben seinen Dienstwagen mit unglaublicher Geschwindigkeit durch die Straßen in Richtung Kindergarten jagte, telefonierte Anna vom Rücksitz aus und holte einige Gefallen ein, die sie im Laufe ihrer Karriere gesammelt hatte.

    Innerhalb von einer Viertelstunde war der komplette Kölner Stadtteil Marienburg, in dem sie lebte und wo auch der Kindergarten ansässig war, hermetisch abgeriegelt.

    Unglücklicherweise hatte die Erzieherin, die Leonies Entführung gesehen hatte, nicht sofort die Polizei, sondern in ihrer Panik erst die Mutter angerufen, was dazu führte, dass die Täter wertvolle Minuten Vorsprung hatten, die sie geschickt zu nutzen wussten.



    I dance in tune with what I fear,

    To do adrenaline!

    Cause' it's overrated how we underrate!

  • 14. April 2004


    Villa am Stadtrand von Köln, 10:25 Uhr



    „Albert, ich bitte dich! Das ist purer Wahnsinn! Blas die Aktion ab! Du willst doch nicht wirklich ein kleines Kind entführen!“

    ‚Renard‘ gab sich allergrößte Mühe seinen Chef zur Vernunft zu bringen. Denn es war eindeutig, dass dieser keine Ahnung hatte, was er gerade dabei war anzurichten und in Gang zu setzen.

    Zeitgleich hätte er Araignée und die beiden Roussax Brüder gerne erdrosselt.

    Immerhin waren sie es gewesen, die auf die Idee gekommen waren! Wie bescheuert konnte man sein?


    Glaubten sie ernsthaft, dass ihr Plan klappen würde?


    Ein Plan, bei dem sie die kleine Tochter der Dienststellenleitung der Autobahnpolizei entführten, um sie so zu erpressen, ihnen die Diamanten aus der Asservatenkammer der Polizei zu besorgen und gegen das Kind einzutauschen!


    Es war offensichtlich, dass sie keine Ahnung hatten, wie es bei der Polizei lief und man nicht mal eben in die Asservatenkammer laufen konnte, um gemütlich ein paar Beweismittel mitzunehmen!

    Als Berthold ihm ihr Vorhaben gebeichtet hatte, hatte ihn zuerst erstaunt, dass Anna Engelhardt anscheinend ein Kind hatte.

    Er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, dass sie damals schon eins gehabt hatte.

    Was aber natürlich nichts heißen musste. Und den Gedanken verdrängte er auch recht schnell, da es aktuell wichtigere Dinge gab.


    „Glaubst du, mir macht das Spaß? Aber wie sollen wir sonst an die benötigte Menge Diamanten kommen?“ Offene Verzweiflung schwang in Alberts Worten mit. „Und ich kann die Aktion nicht mehr abblasen... Sie haben das Mädchen schon und müssten jeden Moment hier sein...“ fügte er Kleinlaut hinzu.


    Oh Fuuuck...!


    ‚Renard‘ trat vor einen in der Nähe stehenden Stuhl, der daraufhin ein paar Meter weit flog.

    Er raufte sich durch die Haare und versuchte nachzudenken, was er jetzt tun konnte und sollte.

    Da in seinem Kopf aber noch immer das Chaos tobte und er seine neugewonnenen Erinnerungen noch nicht ganz unter Kontrolle hatte, fiel es ihm schwer vernünftig nachzudenken.



    Das Geräusch von Reifen, die über Kieselsteine die Auffahrt hinauffuhren, lenkte ihn endgültig ab und er eilte in Richtung Eingangstür.

    Als er vor dem Haus ankam, waren die zwei Roussax Brüder bereits aus dem Auto gestiegen, das völlig verängstigte Mädchen saß jedoch noch auf der Rückbank des VWs und weinte bitterlich.

    Jerome wollte sie schon aus dem Auto heben, als ‚Renard‘ ihn auf Französisch anblaffte er solle die Finger von ihr lassen und verschwinden.


    „Die Ski Masken machen ihr noch mehr Angst, siehst du das nicht? Idiot!“ zischte er dem Älteren der Brüder zu.


    „Aber sie soll unsere Gesichter nicht sehen...“, sagte dieser etwas unbeholfen.


    „Das wird euch auch nicht mehr helfen...“ dachte ‚Renard‘ leise bei sich und scheuchte die Zwei mit einer eindeutigen Geste ins Haus, allerdings nicht, ohne anklagend auf die Schrammen und das Pflaster im Gesicht des Kindes zu deuten.


    „Wart ihr das? Wenn ja, breche ich euch die Arme!“ Die Brüder schüttelten entschieden mit dem Kopf. „Das hatte sie schon! Wie versprochen, waren wir vorsichtig!“

    ‚Renard‘ nickte.

    Die Beiden waren clevere und rücksichtslose Diebe, die im Großen und Ganzen aber eigentlich keine schlechten Menschen waren.


    Er atmete tief ein und aus und setzte ein freundliches, offenes Lächeln auf. Dann ging er langsam auf das Auto zu, vor dessen geöffnete Tür er sich hinhockte.

    Aus den Unterlagen, die Araignée zusammengetragen hatte, kannte er ihren Namen.


    „Hallo Leonie, ich bin ein Freund deiner Mama und du musst keine Angst mehr haben.“


    „Ich will zu meiner Mama!“ Leo weinte noch immer und sie wischte sich mit einem Ärmel ihres Pullovers Tränen und Rotz aus dem Gesicht.


    „Ich weiß! Und ich verspreche dir, dass ich dich auch wieder zu deiner Mama bringe. Aber magst du jetzt nicht erst mal mit mir ins Haus gehen?“




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