Nicht Aufgeben!

  • Irgendwo in einer Penthouse-Wohnung in Düsseldorf


    Christian Wenzel saß am Frühstückstisch, den Alma, seine Haushälterin, heute Morgen auf der Dachterrasse gedeckt hatte. Von seinem Sitzplatz aus hatte er einen unvergleichlichen Ausblick auf die Skyline von Düsseldorf. Die Strahlen der Morgensonne verbreiteten eine angenehme Wärme. Der Wetterbericht versprach einen schönen Sommertag.


    Ein unerwarteter Besucher, Dr. Hans-Heinrich Hinrichsen, hatte ihm gegenüber Platz genommen. Normalerweise hasste Christian unangemeldete Besucher, doch ihm war auch klar, wenn der Rechtsanwalt schon zu solch früher Morgenstunde den Weg von Köln nach Düsseldorf gefahren war, hatte dies einen triftigen Grund. Nach der Begrüßung unterhielten sich die beiden Männer im Small-Talk über dies und das, warteten darauf, bis die Haushälterin das zweite Gedeck aufgelegt hatte, die Tür zur Dachterrasse schloss und im Inneren der Penthouse Wohnung verschwand. Schwach drang der Lärm des morgendlichen Berufsverkehrs an ihre Ohren, ansonsten herrschte Stille.


    „Was treibt dich zu solch früher Morgenstunde zu mir nach Düsseldorf, Heinrich?“, erkundigte sich der Christian Wenzel, während er sein Drei-Minuten-Ei köpfte und den ersten Löffel genussvoll zwischen die Lippen schob.
    „Deine verrückte Kroatin!“, entgegnete der Rechtsanwalt, der Mühe hatte seine Erregung zu verbergen. „Die raubt mir den letzten Nerv und den Schlaf!“
    „Gabriela?“, fragte Christian ein bisschen amüsiert, „Was ist mit ihr? Wir haben doch alle ihre Forderungen erfüllt. Brauer hat mir gestern Abend bestätigt, dass er sie mit einer neuen Identität und entsprechenden Papieren ausgestattet hat. Justin hat seine Schulden bezahlt. Diese neugierige Schnüfflerin von der Autobahnpolizei kann noch drei Tage in den Akten des BKAs stöbern, wird aber nicht den leisesten Hinweis finden. … Nicht den Hauch einer Spur, die in unsere Richtung führen könnte. Also wo liegt das Problem?“ Er schob sich den nächsten Löffel, gefüllt mit dem gekochten Ei in den Mund und schnalzte genießerisch mit der Zunge. „Alma ist eine Meisterin darin, das perfekte drei-Minuten-Ei zu kochen. Du solltest endlich mit dem Frühstück beginnen.“


    Dr. Hinrichsen ging nicht auf die Aufforderung ein und erwiderte mit einem scharfen Unterton: „Danke, mir ist der Appetit auf Frühstück vergangen! … Schaust du denn morgens keine Nachrichten?“

    Er hatte die Aufforderung seines Gastgebers verstanden, nippte an seinem Kaffee und begann das Toastbrot, welches vor ihm auf dem Teller lag, mit Honig zu bestreichen.
    „Nachrichten im Fernsehen? … Pfff….“, kam es ziemlich abfällig von Christian. „Das ist doch pure Zeitverschwendung und oft genug berichten die nur die halbe Wahrheit. Ich verlasse mich lieber auf meine eigenen Informationsquellen!“ und biss in sein mit Butter bestrichenes Toastbrot.
    „Dann schalte mal deinen Flatscreen an! Die Verrückte ist aufgeflogen. Ein SEK-Kommando hat vergangene Nacht die Villa in Köln, die ihr als Schlupfwinkel gedient hatte, gestürmt.“
    Christian Wenzel hielt mit dem Kauen inne und seine grauen Augen fingen an wütend zu funkeln. „Was meinst du mit aufgeflogen?“
    „Was ist an dem Wort Aufgeflogen nicht zu verstehen. Das SEK Kommando hat das Versteck in Merheim ausgehoben. …Verstanden!“ Mit einer entsprechenden Geste seiner Hände unterstrich der Rechtsanwalt seine Aussage.


    Der Geschäftsmann ließ seine Hand sinken und legte den angebissenen Toast zurück auf den Teller. Für einige Atemzüge herrschte Stille unter den beiden ungleichen Männern. Christian durchbrach das Schweigen. Er hatte sein übliches Pokerface aufgesetzt und sein Gesprächspartner versuchte vergeblich aus der Mimik etwas abzulesen.


    „Wozu zahlen wir ein kleines Vermögen an Brauer und Co, wenn wir nicht rechtzeitig gewarnt werden?“
    Mit knappen Sätzen berichtete der Hans-Heinrich Hinrichsen von den Ereignissen der vergangenen Nacht in Köln Merheim, soweit er sie den Presseberichten entnommen hatte und fügte erläuternd hinzu: „Das war ein Geheimkommando, das Staatsanwalt van den Bergh ohne Rücksprache mit seinen Vorgesetzten genehmigt hatte. Deswegen hat keiner etwas im Vorfeld gewusst.“


    Als der Rechtsanwalt verstummte, herrschte erneut Schweigen am Frühstückstisch. Mit einer Serviette tupfte sich Christian Wenzel die Lippen sauber und warf sie achtlos auf die Tischdecke. Er schob den Frühstücksteller in Richtung Mitte des Tisches. Ihm war der Appetit gründlich vergangen.


    „Und es ist sicher, dass Gabriela dabei umgekommen ist?“


    Der Rechtsanwalt nickte und zählte nochmals die Namen der Personen auf, die laut dem ersten Polizeibericht dem Feuersturm in der Villa entkommen waren. Fast schon mit einem ängstlichen Unterton fragte er sein gegenüber:

    „Was willst du unternehmen? Diese Russin und der Serbe, die im Krankenhaus liegen, haben mich mehrmals in der Villa gesehen, als ich mit der Kilic Gespräche führte. Die können eine Verbindung zwischen mir und Gabriela herstellen. Das sind lästige Zeugen!“
    „Und der entführte Polizist? …. Dieser Jäger? … Hat der dich auch gesehen?“
    „Nein! Weder er, noch diese Ärztin, haben mitbekommen, dass ich bei Gabriela zu Besuch in der Villa war und mehrmals mit ihr telefoniert hatte! Da bin ich mir sicher!“


    Der Geschäftsmann zündete sich eine Zigarillo an und inhalierte den Rauch tief in seine Lungen. Hinter seiner Stirn arbeitete es fieberhaft.


    Christian Wenzel war ein Mann, der die Öffentlichkeit und Presserummel scheute. Sein Firmengeflecht war über den ganzen Globus verstreut. Der Geschäftssitz seiner verschiedenen Holding-Gesellschaften war bevorzugt in Steueroasen, wo keine Behörde lästige Fragen stellte. Kaum jemand ahnte wie reich er tatsächlich war und in welche legalen und illegalen Geschäfte er weltweit verwickelt war. Einige der wenigen Menschen, die tiefere Einblicke in seine Geschäftsverbindungen hatten, waren Dr. Hans-Heinrich Hinrichsen und Gabriela Kilic. Die Kilic, so hoffte er insgeheim, hatte ihr Wissen mit ins Grab genommen. Und der Anwalt? … Er verwarf den Gedanken sofort wieder. Dr. Hinrichsen war zu wertvoll, um ihn einfach zu beseitigen.


    Denn wenn es um Profit ging, kannte Christian Wenzel keine Hemmungen. Geld regiert die Welt und verlieh ungeahnte Macht. Sein Wahlspruch war, jeder Mensch hatte seinen Preis und wenn derjenige sich nicht mit Geld kaufen ließ, gab es noch andere Methoden, um jemanden gefügig zu machen oder wenn er im Wege stand, endgültig zu beseitigen. Wer für ihn und seine Geschäfte gefährlich wurde, hatte sein eigenes Todesurteil unterschrieben. Für solche Zwecke war jemand wie Gabriela Kilic eine sehr nützliche Helferin gewesen. Der stechende Blick aus seinen blauen Augen ruhte auf dem Rechtsanwalt, der seine Nervosität zu verbergen suchte.


    „Mach dir keine Sorgen Hans-Heinrich! Ich werde mich darum kümmern, dass die beiden Zeugen zum Schweigen gebracht werden. Und auch für diesen Polizisten Jäger und der Ärztin wird es im Falle eines Falles eine Lösung geben. Warten wir deren Zeugenaussage ab! Die kommen uns nicht in die Quere!“
    „Bist du verrückt, du kannst sie doch nicht alle umbringen lassen? Die Geschichte hat schon verdammt viel Staub aufgebwirbelt! Die ist in allen lokalen Nachrichtensendern. Dieser Polizist Jäger ist nicht irgendwer, sondern der Sohn von diesem Bauunternehmer Konrad Jäger! Versuche es wie sonst auch mit Bestechung … Drohungen oder …!“


    „Seit wann besitzt du solch eine zarte Seele, mein Freund? Wer mir gefährlich werden kann, stirbt!“, unterbrach ihn Christian mit einem süffisanten Unterton, der gleichzeitig eine unausgesprochene Drohung darstellte. „Außerdem … vielleicht bin ich es ja Gabrielas Andenken fast schuldig, dass ich ihren Erzfeind über die Klinge springen lasse.“


    Dr. Hinrichsen rang sich ein Lächeln ab, denn er wusste, dass es zwecklos war, mit seinem Geschäftspartner weiter darüber zu diskutieren.

  • Ben lag erschöpft mit geschlossenen Augen in seinem Bett auf der Intensivstation. Dank der verabreichten Medikamente verspürte er nur noch bei Bewegungen einen dumpfen Schmerz in seiner linken Seite. Tausend Gedanken schwirrten durch seinen Kopf. Vor allem die Erlebnisse in den letzten Stunden musste sein Geist, seine Seele erst einmal verarbeiten …. begreifen, was geschehen war.


    Anna war wie er in Sicherheit und schlief zwei Stockwerke unter ihm selig in ihrem Bett auf der Gynäkologischen Abteilung. Sie waren frei, seiner schlimmsten Widersacherin Gabriela Kilic entkommen, die vermutlich ab sofort die Radieschen von unten betrachtete. Irgendwie kam deswegen in Ben keine Genugtuung auf, denn der Preis dafür war hoch, zu hoch gewesen. Elena, die letztendlich durch ihren Mut und selbstlosen Einsatz ihm mehr als einmal das Leben gerettet hatte, lag lebensgefährlich verletzt in einem Kölner Krankenhaus. Niemand konnte ihm sagen, ob die junge Frau die schwere Schussverletzung überlebt hatte.


    Wenn er die Augenlider öffnete und zum Nachbarbett blickte, sah er seinen Freund und Partner, der beatmet wurde und so still und friedlich dalag, als würde er einfach nur schlafen. Gegensätzliche Gefühle wallten bei Semirs Anblick in ihm hoch. Zum einen war da diese unendliche Dankbarkeit, dass der kleine Türke alles riskiert hatte, um ihn und Anna zu retten. Zum anderen waren da Schuldgefühle, dass sein Freund nun schwer krank neben ihm im Krankenbett auf der Intensivstation lag. Während der Visite hatte ihm der behandelnde Chefarzt mehrmals versichert, dass Semir eine gute Prognose auf eine vollständige Heilung habe, Dank der guten Erstversorgung durch die Notärztin.


    Die Chefarztvisite hatte am späten Vormittag stattgefunden.

    Der Tross aus Ärzten, Studenten und Pflegepersonal hatte vor wenigen Minuten das Intensivzimmer verlassen. Ben war sich unter deren neugierigen Blicken wie die Attraktion in einer Varieté-Show vorgekommen. Der diensthabende Oberarzt mit dem komischen Spitzbart im Gesicht referierte regelrecht vor seinen Kollegen über das Ausmaß seiner Verletzungen und Laborwerte. Ben verstand bei all dem medizinischen Kauderwelsch nur Bahnhof und hätte in dem Augenblick einiges darum gegeben, wenn Anna im Zimmer anwesend gewesen wäre und ihm die medizinischen Fakten in verständlichen Worten erklärt hätte.


    Seine betreuende Intensivschwester zog ihm den grünen Krankenhauskittel aus und zwei der Studentinnen im Hintergrund entfuhr ein spitzer Aufschrei beim Anblick von Bens Oberkörper, was denen einen Rüffel des Chefarztes einbrachte. Mehrere Ärzte aus unterschiedlichen Fachrichtungen stellten sich nacheinander kurz vor, erklärten Ben immer, welche Untersuchungen sie gerade anstellten und gaben dann ihre Meinung vor dem Rest der anwesenden Ärzteschaft kund. Auch wenn jeder der Mediziner nur das Beste für den Patienten wollte, war Ben von der Situation irgendwann überfordert.


    Der Oberarzt, der dies an der Reaktion seines Patienten erkannte, dabei die traumatischen Erlebnisse von Ben im Hinterkopf hatte, gab seinem Chef einen unmissverständlichen Hinweis. Daraufhin wandten sich der Professor und sein Gefolge seinem Bettnachbarn Semir Gerkhan zu.


    Letztendlich war es der Oberarzt, Dr. Pohl, den Ben in Gedanken als König Drosselbart bezeichnete und der plastische Chirurg, die ihm verständlicher Form die weitere Behandlung erläuterten.


    Sein Hb-Wert, was auch immer das sein mochte, dachte sich Ben, lag im kritischen Bereich um 6.0. Man würde ihm vorerst keine Blutkonserven verabreichen, sondern angesichts seiner körperlichen Verfassung dies durch Infusionen mit Eisen-Konzentrat versuchen zu kompensieren, erklärte ihm der Oberarzt weiter. Die Blutung im Bereich der linken Niere schien von selbst zum Stillstand gekommen zu sein. Auch hier wollte man einen chirurgischen Eingriff vorerst vermeiden und zog eine konservative Behandlung mittels Bettruhe vor. So ging der Oberarzt Stück für Stück mit seinem Patienten dessen Verletzungen durch und beschrieb ihm die weitere Behandlung. Bis zum kommenden Morgen wollte man ihn weiter auf der Intensivstation überwachen und bei der Morgenvisite endgültig entscheiden, ob der junge Polizist auf Normalstation verlegt werden konnte.


    Nun kam der plastische Chirurg ins Spiel, der sich bisher dezent im Hintergrund gehalten hatte. Er untersuchte die Schusswunde am Bauch, die Brandwunden und die ehemals entzündeten Wunden am Rücken, die ihm Remzi mit der Peitsche zugefügt hatte. Kritisch beäugte der Chirurg jede tiefere Verletzung, tastete die Wundränder ab und brummte mehrmals:
    „Hmmm … Hmmm …. Naja …. Vor sich hin!“
    und trieb Ben damit am Rande der Verzweiflung. Schließlich erklärte er Ben seine Erkenntnisse und schlug dem Patienten vor, zeitnah vor allem die Brandwunden durch eine Hauttransplantation versorgen zu lassen und die Schusswunde am Bauch und die beiden großen Verletzungen an der linken Schulter nochmals operativ nachzubehandeln. Dr. Rieger wollte Ben keine Garantie geben, war sich aber sicher, dass diese Verletzungen so kaum sichtbare Narben hinterlassen würden.


    Nach dem Untersuchungsmarathon war Ben fix und fertig und wollte nur noch seine Ruhe haben. Die verständnisvolle Intensivschwester hatte nach der Visite sein Bett näher an Semirs Bett herangeschoben und so konnte Ben dessen fixierte Hand umschlingen. Auch wenn sein Freund sediert war, tat dessen körperliche Nähe dem dunkelhaarigen Polizisten unheimlich gut. Nachdem die Krankenschwester das Zimmer verlassen hatte, wandte er seinen Kopf in Richtung der kleinen Türken, redete leise mit ihm, erzählte ihm, was ihn bewegte, was er durchlebt hatte und merkte nicht, wie er vor Erschöpfung eindöste.

  • Konrad Jäger saß im Wartebereich vor der Intensivstation und wartete darauf, zu seinem Sohn geführt zu werden. Auf seine Nachfrage über die Gegensprechanlage wurde ihm mitgeteilt, dass aktuell die Übergabe zwischen dem Frühdienst und dem Spätdienst stattfinde und er möchte sich bitte gedulden, bis der zuständige Pfleger ihn ans Krankenbett seines Sohnes holt.


    Die ersten Minuten war Konrad Jäger noch unruhig umhergewandert, doch zwischenzeitlich hatte er sich auf einem der Plastikstühle niedergelassen. Seinen Hinterkopf hatte er gegen die Wand hinter sich gedrückt und die Augen geschlossen. Viele Gedanken gingen ihm durch seinen Kopf. In den letzten Tagen hatte er viel nachgedacht und sich in den Stunden des Wartens auf eine Nachricht der Polizei gefragt, warum er so viele Fehler in seinem Leben begangen hatte.

    Warum war er so stur und selbstgerecht gewesen? Warum hatte er die vielen Gelegenheiten sich wirklich mit seinem Sohn Ben auszusprechen ungenutzt gelassen?
    Stattdessen hatte er auf seinem Standpunkt beharrt, nur die materiellen Dinge gesehen und so endeten alle Gesprächsversuche seines Sohnes über dessen Berufswahl in der Vergangenheit im Streit. Seine Gedanken schweiften weiter zurück in die Vergangenheit, als seine Frau noch gelebt hatte. Er hatte das Bild einer glücklichen Familie vor Augen und er fragte sich gleichzeitig, wo war die Zuneigung geblieben, die ihm sein Sohn einst als kleiner Junge entgegengebracht hatte, als er bewundernd zu seinem Vater aufschaute.
    Konrad wusste, der plötzliche Unfalltod seiner Frau hatte vieles verändert. In seiner Trauer war er ungerecht geworden, hatte Strafen ausgesprochen, wo diese nicht gerechtfertigt waren und letztendlich hatte das einen Keil zwischen ihn und Ben geschoben.


    In den endlos erscheinenden Tagen und Nächten, als er zusammen mit Anna Beckers Vater auf den erlösenden Anruf der Polizei gewartete hatte, dass man ihre entführten Kinder gefunden hatte, hatte er mit Johann Becker sehr tiefsinnige Gespräche von Vater zu Vater geführt. Beide Väter hatten erkannt, dass man als Eltern seinen Kindern nicht seinen Willen aufzwingen kann.


    Auch Annas Vater wollte unbedingt, dass seine Tochter Betriebswirtschaft studiert und in den elterlichen Weinbaubetrieb mit einsteigt. Jedoch fühlte sich die junge Frau dazu berufen Medizin zu studieren, hatte sich mit ihren Eltern überworfen und es in Kauf genommen, dass ihr Vater und ihre Familie ihr jegliche finanzielle Unterstützung während des Studiums verweigerten. Die junge Frau war den ganz harten Weg gegangen und hatte ihr angestrebtes Ziel erreicht, sie war Ärztin geworden. Dies zollte Konrad Jäger allen Respekt ab. In diesen Gesprächen hatte auch er begriffen, dass sein Sohn in dem Job als Polizist seine Berufung gefunden hatte, egal ob er bei seinen Einsätzen, um anderen Menschen zu helfen, sein Leben riskierte oder nicht. Konrad hatte verstanden, Ben würde niemals ein Manager werden, der eine Firma leitete und seinen Arbeitsalltag hinter einem Schreibtisch oder in endlos erscheinenden Besprechungen verbringen würde.


    Konrad Jäger gestand sich ein, er hatte Fehler gemacht …verhängnisvolle Fehler gemacht. Da war diese letzte Begegnung mit Anna Becker in seinem Büro vor vielen Tagen … dieses Bild einer verzweifelten jungen Frau, die seinen Sohn suchte. Ihre Worte, die sie ihm an den Kopf geworfen hatte: Was nutze ihm Konrad Jäger all sein Reichtum, sein Besitz, seine Macht, wenn er seinen einzigen Sohn tatsächlich verloren hätte. All das hatte sich in sein Gedächtnis eingebrannt, ihm die Augen geöffnet, dass diese Frau tatsächlich Ben liebte. Wie hatte er nur so blind sein können?


    Und dann war da noch der Auftritt von Julias Mann Peter an jenem denkwürdigen Nachmittag gewesen. Er, der Geschäftsmann Konrad Jäger, der sich einbildete Menschenkenntnis zu besitzen, war seinem Schwiegersohn Peter Kreuzer-Jäger in den letzten Monaten sprichwörtlich auf dem Leim gegangen, hatte jedes negative Wort über Anna, die es angeblich nur auf das Vermögen von Ben abgesehen hatte, als bare Münze abgekauft. Die wenigen Minuten in seinem Büro zeigten das wahre Gesicht von seinem Schwiegersohn, offenbarten ihm, wer die Intrigen tatsächlich spann, geldgierig und machthungrig war. Bens Vater gestand sich ein, dass er daran auch zu einem großen Teil selbst schuld war. Er hatte seinen Schwiegersohn gewähren lassen, wollte die Wahrheit nicht sehen und alles nur, weil er von dem Wunsch besessen war, einen würdigen Nachfolger für seine Firma zu finden.


    Würdiger Nachfolger … innerlich lachte er ironisch auf. Doch darum wollte sich Konrad zu einem späteren Zeitpunkt kümmern.


    Vor einer Stunde hatte er zusammen mit Johann Becker dessen Tochter Anna besucht und die Gelegenheit genutzt, sich bei der jungen Ärztin in aller Form zu entschuldigen. Zu seiner Überraschung hatte die junge Frau wahre menschliche Größe gezeigt und ihm einfach verziehen. Unbewusst war seine rechte Hand dabei in die Jackentasche gerutscht. Darin befand sich ein Ultraschallbild, welches ihm Anna in die Hand gedrückt hat, mit der Bitte es Ben zu überreichen. Voller Stolz streichelte er mit seiner Fingerkuppe darüber, in dem Wissen, dass er bald wieder Großvater werden würde. Er kam nicht dazu weiter über eine mögliche Zukunft nachzudenken, denn ein Pfleger der Intensivstation sprach ihn an und brachte ihn zu seinem Sohn.

  • An der Schiebetür zum Intensivzimmer blieb Konrad Jäger beim Anblick seines Sohnes und des Bettnachbarn wie angewurzelt stehen. Frau Krüger hatte ihm zwar mitgeteilt, dass es bei der Befreiungsaktion von Anna und Ben Tote und Verletzte gegeben hatte und dass sich unter anderem Semir Gerkhan unter den Verletzten befand. Jedoch hatte ihm niemand mitgeteilt, wie schwer der Kollege seines Sohnes tatsächlich verletzt wurde, dass er sogar auf einer Intensivstation behandelt werden musste.
    Konrads Blick wanderte zwischen den beiden Intensivbetten, die nahe beieinanderstanden, hin und her. Während Ben friedlich in seinem Bett zu schlafen schien, führten von ihm zahlreiche Kabel und Schläuche zu den Maschinen und den Infusomaten, die hinter oder neben seinem Bett standen. Die sichtbaren Verletzungen, Bens ausgemergelten Gesichtszüge ließen Konrad nur im Ansatz erahnen, was sein Sohn in den vergangenen Tagen durchlebt hatte.


    Auch der Anblick des kleinen Türken ging dem Geschäftsmann durch und durch. Auch unter dessen Bettdecke kamen zahlreiche durchsichtige Plastikschläuche und Kabel hervor, die mit dem Maschinenpark hinter dem Intensivbett verbunden waren. Unzählige weiße Verbände bedeckten dessen sichtbare Hautpartien im Gesicht und an den Armen. Darüber hinaus ragte ein Plastikschlauch aus dessen Mund in die Höhe und im Hintergrund erklang monoton das leise Zischen der Beatmungsmaschine.


    Konrad drehte den Kopf in Richtung des Intensivpflegers, der sich mit Rüdiger vorgestellt hatte und fragte diesen: „Was ist mit Herrn Gerkhan?“
    Dieser hob bedauernd die Schulter und gab zurück: „Tut mir leid Herr Jäger! Sie wissen doch! …Schweigepflicht … Datenschutz … Ich darf ihnen keine Auskunft über diesen Patienten geben. Wegen ihres Sohnes kommt später der Oberarzt auf Sie zu. Ich lass Sie mal alleine mit den beiden Herren. … Wenn etwas ist, bitte einfach klingeln!“


    Mit diesen Worten wandte sich Rüdiger, der Krankenpfleger, in Richtung Gang und verschwand im benachbarten Zimmer, wo er eine weitere Patientin an diesem Nachmittag zu betreuen hatte.
    Mit einem leichten Seufzen blickte Konrad wieder auf die beiden Patienten. Dann entdeckte er, dass Ben mit seiner linken Hand die Rechte seines Partners umschlungen hatte. Die Erkenntnis, welche enge Verbundenheit zwischen den Freunden bestand, versetzte ihm einen leichten Stich ins Herz. Es wurde wirklich Zeit, dass er sich mit seinem Sohn aussöhnte. Seine väterlichen Gefühle wallten in ihm hoch. Er zog den Besucherstuhl neben Bens freie rechte Bettseite und ergriff seinerseits dessen Hand und umschlang diese. Minute um Minute verging, wo ihm keine Regung des schlafenden Patienten entging.


    *****


    Als Ben erwachte, bemerkte er als Erstes, dass jemand seine rechte Hand umschlang. Anna, durchfuhr es ihm im ersten Moment freudig. Doch dann kam die Erkenntnis, diese Hand war größer und fühlte sich völlig anders an. Als er die Augen öffnete, war es für Ben als befände er sich einem seiner bizarren Alpträume. Wahrscheinlich hatte er Fieber und er halluzinierte, denn er bezweifelte seine Wahrnehmung. War das wirklich sein Vater, der neben seinem Bett saß und seine Hand umschlungen hielt? Er blinzelte mehrmals skeptisch. Normalerweise würde sein alter Herr von einem Geschäftstermin zum nächsten hetzen und keine Zeit damit verschwenden, am Krankenbett seines Sohnes zu sitzen.


    Entsprechend ungläubig entfuhr es Ben: „Papa! … Du?“


    „Ja, Ben! Mein Junge …!“, antwortete Konrad Jäger, dessen Kehle auf einmal wie zugeschnürt war. Vergessen waren all die hochtrabenden Worte, die er sich zu Recht gelegt, die er seinem Sohn sagen wollte. „Es tut mir leid! … So unendlich leid, was in den letzten Tagen und Wochen geschehen ist! …. Was ich zu dir gesagt habe? … Ich …!“


    Die nächsten Worte erstarben auf Konrads Lippen, die er krampfhaft zusammenpresste. Nur noch ein blasser Strich war zu sehen. So sehr sich Bens Vater auch bemühte, er konnte nicht verhindern, dass ihm die Tränen in die Augen schossen.
    Dies entging auch Ben nicht, der mit weit aufgerissenen Augen in seinem Bett lag und seinen Vater beobachtete. Er verstand auf einmal die Welt nicht mehr. Was war geschehen? Hatte jemand seinen Vater verhext? Verschwunden war der eiskalte Geschäftsmann mit seinem Pokerface, stattdessen saß da der Mensch Konrad Jäger, emotional aufgewühlt, der darum rang, seine Fassung nicht zu verlieren. Nach einigen tiefen Atemzügen hatte sich Konrad wieder einigermaßen gefangen. Als er fortfuhr, vibrierte dennoch seine Stimme.
    „Ben, mein Junge! … Ich kann die Vergangenheit nicht rückgängig machen, sondern dich einfach nur bitten, mir zu verzeihen. Gib mir eine zweite Chance und lass mich ein besserer Großvater sein, als ich es als Vater jemals war.“


    Ben schaute seinen Vater verwundert an, der das Ultraschallbild, das ihm Anna gegeben hatte, aus der Tasche zog und es an seinem Sohn weiterreichte. Wie gebannt, starrte der Dunkelhaarige das schwarz-weis Bild an, auf dem sogar er als Laie die Umrisse eines kleinen Babys erkennen konnte. Nun übermannten Ben seine Emotionen und ihm schossen die Tränen in die Augen, als er seinen zukünftigen Nachwuchs betrachtete. Ungewollt schluchzte er leise auf und nuschelte:

    „Oh mein Gott! … oh mein Gott! … Mein Baby!“ Zärtlich strich er mit der Kuppe seines Daumens über die Oberfläche des Bildes.
    „Es sind Zwillinge, soll ich dir von Anna ausrichten und den beiden Babys geht es gut! … Herzlichen Glückwunsch mein Junge!“, murmelte Konrad, beugte sich etwas über seinen Sohn und zog diesen zu sich heran.

    So gut es ging, richtete sich Ben in seinem Bett auf und Vater und Sohn lagen sich in den Armen, völlig gefangen in ihren Emotionen und ließen sie ihren Tränen freien Lauf. Als sich die beiden voneinander lösten, ließ sich Ben wieder zurück auf sein Kopfkissen sinken und fragte sich in dem Moment wieder, was war nur mit seinem Vater geschehen? Was hatte ihn so verändert seit ihrer letzten Begegnung in der Uni-Klinik? Schneller als erwartet, bekam er darauf eine Antwort.


    Anfangs noch stockend, begann Konrad Jäger zu erzählen, was in den letzten Tagen passiert war. Seine Begegnung mit Anna in seinem Büro, die ihm die Augen geöffnet hatte … seine Ängste, die er während der Zeit der Entführung ausgestanden hatte und er begriffen hatte, wie sehr er seinen Sohn liebte.
    Ben lag einfach nur da und lauschte wie gebannt den Worten seines Vaters, der über seinen Krankenbesuch bei Anna sprach und dass er den Vater seiner Freundin kennengelernt hatte. Zum Schluss fiel ein Satz, von dem Ben glaubte, ihn niemals auf dem Mund seines Vaters zu hören.
    „Mein Junge, ich kann mir keine bessere Frau an deiner Seite als Anna Becker vorstellen. Wenn ihr heiraten möchtet, meinen Segen hast du und Anna wird mir als Schwiegertochter herzlich willkommen sein.“


    Diese Erklärung seines Vaters war Balsam auf das Seelenleben des jungen Polizisten und dennoch merkte Ben, wie sich sein Herzschlag und seine Atmung sich beschleunigten, die Emotionen in ihm hochkochten und seine Gefühlswelt sprichwörtlich Achterbahn fuhr. Mit tränenverhangenen Augen blickte er seinen Vater an. Mit seinem Daumen wischte Konrad die Tränen von den Wangen seines Sohnes und unterstrich seine Aussage nochmals. „Es ist mein voller Ernst, mein Junge. Ich bereue es zu tiefst, was in den letzten Monaten passiert ist, glaube es mir!“


    Konrad Jägers Blick wanderte zum Nachbarbett. Voller Sorge erkundigte er sich bei Ben nach dem Gesundheitszustand von Semir Gerkhan. Mit knappen Worten berichtete der Dunkelhaarige seinem Vater über Semirs Verletzungen und dessen kritischen Zustand, der zwar aktuell stabil war. Der Rest des Tages und der Nacht würde zeigen, ob Semir die Rauchgasvergiftung ohne Folgen überstehen würde. Die Sorgenfalten auf Konrads Stirn wurden tiefer.
    „Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, damit seine Frau so schnell wie möglich an seiner Seite ist. Versprochen Ben!“
    Bevor Vater und Sohn weitersprechen konnten, kam Rüdiger, der Krankenpfleger, ins Zimmer und bat Konrad Jäger dies zu verlassen, da er seine Patienten versorgen musste. Ben bat seinen Vater nochmals bei Anna vorbeizuschauen.

  • Vor dem Abendessen wurden Annas Vater und Konrad Jäger von der Oberschwester aufgefordert, das Zimmer der Patientin zu verlassen.


    Einige Zeit später lag Anna völlig frustriert in ihrem Bett und zappte gelangweilt durch das Abendprogramm in Fernsehen. Mit der Oberschwester der Frauenstation, Henriette Pfister, die von ihren Mitarbeitern den Spitznamen „der Drache“ erhalten hatte, hatte sie eine heftige Auseinandersetzung gehabt. Die Krankenschwester hatte sie dabei erwischt, wie sie während der Übergabe an die Nachtschicht sich heimlich aus der Station schleichen wollte, um Ben auf der Intensivstation zu besuchen. Das Wortgefecht, welches daraufhin zwischen den beiden Frauen entbrannte, zog die Aufmerksamkeit der ganzen gynäkologischen Station auf sich und Anna zog zum Schluss den kürzen. Der diensthabende Stationsarzt stellte sie vor die Wahl: freiwillige Bettruhe oder Beruhigungsmittel.


    Die letzten Bilder, die sie von Ben im Kopf hatte, waren die Szenen in der Notaufnahme gewesen, seine Verzweiflung … seine seelische Not. Trotz der beruhigenden Worte von Konrad Jäger konnte sie förmlich körperlich spüren, wie sehr Ben sie gerade in kommenden Stunden der Nacht brauchen würde. Auch in ihr brannte die Sehnsucht ihrem Freund. Liebevoll strich sie über ihren leicht gewölbten Bauch, in dem die Zwillinge heranwuchsen. Auch wenn ihr Konrad Jäger immer wieder erzählt hatte, wie emotional Ben auf das erste Ultraschallbild seiner Kinder reagiert hatte, hätte sie zu gerne diesen Moment mit ihrem Freund geteilt. Für einige Minuten bereute sie ihre Entscheidung. Wie oft hatte sie sich in den Tagen der Gefangenschaft vorgestellt, wie es sein würde, das erste Mal zusammen mit Ben, das Baby am Bildschirm des Ultraschallgeräts zu sehen. Seine Fieberträume kamen ihr in den Sinn und der Tag des Erwachens. Im gleichen Augenblick wusste sie, nicht nur ihre Liebe, sondern auch das Wissen Vater zu werden, hatten Ben den Willen gegeben, diese schweren Verletzungen zu überleben.


    Sie schloss ihre Augen und seufzte auf. Morgen früh, so schwor sie sich, würde kein Arzt der Welt sie daran hindern, Ben zu besuchen.


    *****


    Stunden später auf der Intensivstation


    Die Nacht war endgültig über Köln hereingebrochen.
    Auf der Intensivstation hatte mittlerweile die Nachtschicht ihren Dienst angetreten. Die beiden Intensivbetten standen wieder an ihrem ursprünglichen Bettenplatz. Ben und Semir wurden von einem älteren Krankenpfleger namens Klaus-Jürgen versorgt. Der Grauhaarige mit der Stirnglatze war ziemlich muffig und redete bei der Versorgung seiner Patienten kaum ein Wort. Als Ben den Wunsch äußerte, dass man die Betten wieder ein wenig näher zusammenschob, erhielt er vom Pfleger eine recht schroffe Antwort.
    „Wir sind hier nicht in einem Hotel oder auf einem Wunschkonzert, sondern auf einer Intensivstation.“ Dabei zog der Pfleger seine Stirn ärgerlich zu Falten zusammen. „Händchen halten können Sie zu Hause mit ihrem Freund. Ich schlage vor, sie schlafen!“


    Er überprüfte nochmals die Infusionen und die Einstellungen der Beatmungsmaschine, löschte die große Deckenbeleuchtung und verschwand aus dem Zimmer.


    Zurück blieb ein Ben, der körperlich völlig erschöpft war, aber durch seine innere Unruhe einfach nicht in den Schlaf fand. Zu viel war in den letzten vierundzwanzig Stunden geschehen. Unzählige Gedanken und Fiktionen geisterten durch seinen Kopf. Was der dunkelhaarige Polizist in diesen Stunden am meisten vermisste, war ein wenig menschliche Wärme und Zuneigung. Anna, warum konnte sie nicht hier sein? Er vermisste seine Freundin so sehr. In seiner Hand hielt er das Ultraschallbild von den Zwillingen. Im schummrigen Licht der Nachtbeleuchtung betrachtete er das Bild. Doch ein Foto konnte menschliche Zuwendung und Wärme nicht ersetzen. Ben wandte seinen Kopf in Richtung von Semirs Bett. Er hätte sonst was dafür gegeben, wenn er nur Semirs Hand hätte berühren können, um so dessen Anwesenheit zu spüren. So wälzte er sich unruhig in seinem Bett hin und her und verfiel ab und an in einen Dämmerschlaf, aus dem ihn seine Alpträume wieder weckten.


    Gegen Mitternacht, als Ben beschloss nach dem Pfleger zu klingeln und um eine Schlaftablette zu bitten, flammte die große Deckenbeleuchtung auf. Geblendet vom hellen Lichtschein hielt der Dunkelhaarige seine Augenlider geschlossen. Der Vorhang, der zwischen Bens und Semirs Bett angebracht war, wurde vom Krankenpfleger ohne Kommentar zu gezogen und Ben somit der Blick auf seinen Partner verwehrt.
    ‚War etwas mit Semir?‘, durchfuhr es ihn voller Schreck. Angespannt lauschte er auf die akustischen Signale der Monitore. Doch die waren alle ruhig, nur das gleichmäßige Zischen der Beatmungsmaschine war zu hören.


    Wie gebannt lag, Ben auf der rechten Seite in seinem Bett und versuchte zu begreifen, was am Bett seines Freundes geschah. Er erwartete die Stimmen von Ärzten und Pflegekräften zu hören, stattdessen betrat jemand anderes den Raum.


    „Tut mir leid, nur Angehörige haben Zutritt. Ihre Freundin muss vor der Stationstür auf Sie warten Frau Gerkhan!“, brummte der Krankenpfleger, dessen Tonfall jegliches menschliche Mitgefühl vermissen ließ. „Und nur ein paar Minuten … Die Patienten brauchen ihre Nachtruhe! Und leise reden, der Patient im Nachbarbett schläft. … Im Übrigen, der Arzt erwartet Sie dann im Arztzimmer vorne rechts!“
    Die Schuhe des Pflegers gaben beim Laufen so ein merkwürdig klingendes quietschendes Geräusch von sich. Daran erkannte Ben, dass sich dieser aus dem Zimmer entfernte. In dem Moment, als er Andrea begrüßen wollte, erstarrte der junge Polizist förmlich unter seiner Bettdecke


    Von einem Aufschluchzen unterbrochen, sprach sie leise vor sich hin:
    „Semir! …. Oh mein Gott! … oh mein Gott, Semir! Was ist nur passiert? … Warum musst immer Du die Welt retten? … Ich kann nicht mehr! … Verstehst du Semir! … Ich halte das einfach nicht mehr aus! … Ich möchte einen Ehemann haben! … Was ist, wenn du das nicht überlebst, wie soll ich das nur den Kindern erklären? … Die brauchen keinen Helden, der die Welt rettet. Aida und Lilly brauchen ihren Vater!“ Die nächsten Worte gingen in einem Aufschluchzen unter.


    Ben hörte wie Andrea ihren Mann auf die Stirn küsste, leise vor sich hin schluchzte und dabei völlig aufgelöst vor sich hinbrabbelte. Er wollte sich bemerkbar machen, tröstende Worte an Andrea richten, doch irgendwie hatten ihn die vorwurfsvollen Worte von Semirs Frau mitten ins Herz und seine Seele getroffen … lähmten ihn wie ein Giftpfeil. Unbewusst fühlte er sich für Semirs Schicksal verantwortlich und blieb stumm.


    Klaus-Jürgen Beume, der Krankenpfleger, machte den fachlichen Teil seines Jobs als Pfleger vorbildlich, doch die zwischenmenschliche Komponente blieb bei ihm komplett auf der Strecke. Unter den Pflegekräften der Intensivstationen war er ein Einzelgänger, der bevorzugt Nachtdienste leistete, weil er dort am wenigsten mit Angehörigen Kontakt hatte. Er stand unter der Zimmertür und rollte genervt seine Augen nach oben, als er die weinende Frau seines Patienten beobachtete. Fehlte gerade noch, dass dieses heulende Weib den anderen Patienten aufweckte, dachte er bei sich. Entsprechend missmutig sprach er Andrea an:
    „Frau Gerkhan, ich denke, wir sollten ihren Mann weiterschlafen lassen. Wie gesagt, der Arzt wartet auf Sie und kann ihnen mehr zum Zustand ihres Mannes sagen. Wenn Sie mir bitte folgen würden!“


    Schniefend und schluchzend folgte Andrea dem Krankenpfleger. Das Licht erlosch und Ben war wieder allein mit sich und dem Chaos in seiner Gefühlswelt. Andreas Worte geisterten wie kleine Ungeheuer durch seinen Kopf. Ben fühlte sich in dieser Nacht inmitten dieser großen Klinik als der einsamste Mensch der Welt. Mit quälender Langsamkeit verging so Minute um Minute … Stunde um Stunde bis das Karussell in seinem Kopf endlich zum Stillstand kam und er in einen unruhigen Schlaf fiel.

  • Der Tag danach ….


    Auf dem Grundstück von Gabriela Kilic in Köln Merheim waren die letzten Einheiten der Feuerwehr endgültig abgerückt. Die Kriminaltechniker und Gerichtsmediziner hatten das Gelände übernommen, versuchten alle vorhandenen Spuren und Beweise zu sichern und zu dokumentieren.


    Stück für Stück wurde der Trümmerhaufen abgetragen, der die ehemals prächtige Villa gewesen war. Darin fanden die Forensiker menschliche Überreste, deren Identifizierung mit Hilfe eines DNA-Abgleichs sich noch über Tage hinziehen würde. Hartmut wurde die Ehre zu Teil, mit den Kollegen vom LKA die Beweise in der halbzerstörten Wohnung über der Garage und dem Carport zu sichern und auszuwerten. Dank der Unterstützung von Interpol wurde die Leiche ohne Namen, die vor dem Carport gelegen war, als Dragan Kovac identifiziert. Laut Interpol galt er als Mitglied einer Söldnergruppe, der unter anderem auch Remzi Berisha als führendes Mitglied angehört hatte. Das BKA stellte die Ermittlungsakte über Remzi Berisha zur Verfügung. Was natürlich niemand ahnte, Peter Brauer hatte diese vorher gesäubert und alle verfänglichen Dokumente aus der Akte genommen und vernichtet. Trotzdem fügte sich für die Ermittler des LKAs in Düsseldorf, der Kölner Polizei und der Autobahnpolizei so langsam ein Puzzle-Teilchen ins andere.
    Die Wogen im Innenministerium glätteten sich nach einem Anruf von Johann Becker merklich und Oberstaatsanwalt van den Bergh war weiterhin für die Ermittlungen im Großraum Köln verantwortlich. Für den Staatsanwalt gab es noch so viele offene Fragen und ungeklärte Details. Hendrik van den Bergh war klar, dass die Flucht von Gabriela Kilic von langer Hand geplant worden war. Er wollte an die Hintermänner ran, die Namen der Fluchthelfer wissen, wer aus den Justizbehörden an dem Komplott gegen Ben Jäger involviert war. Die Schuldigen sollten ihre gerechte Strafe bekommen.


    Der Oberstaatsanwalt begleitete zwei Hauptkommissare des LKAs, die mit der Vernehmung des Verdächtigen, Camil Musicz, beauftragt waren, ins Krankenhaus. Der Söldner, der mittlerweile ansprechbar auf der Intensivstation lag, verweigerte jedoch ohne Rücksprache mit einem Rechtsbeistand jegliche Aussage. Der Oberstaatsanwalt stellte ihm Strafmilderung in Aussicht, wenn er bei der Aufklärung der begangenen Verbrechen maßgeblich mitwirken würde. Der Serbe beharrte auf seinem Standpunkt.
    Ohne Anwalt, keine Aussage.


    Bei Elena dagegen hatte der Staatsanwalt kein Glück. Die behandelnde Oberärztin schirmte die junge Frau ab. Frühestens am kommenden Tag wollte man Frau Krüger einen Besuch und eine erste Vernehmung im Beisein eines Arztes gestatten. So trennten sich die Wege der Ermittler und des Oberstaatsanwaltes, der sich am Tatort in Köln Merheim einen Überblick verschaffen wollte. Die Kommissare kehrten auf ihre Dienststelle in Düsseldorf zurück.


    Gleichzeitig waren Kim Krüger und Jenny auf dem Weg zur Uni-Klinik Köln. Vor allem die Sorge um Ben und Semir trieb die beiden Frauen dorthin und sie hofften, dass die Ärzte gute Nachrichten für sie hatten.


    *****


    In der Uni-Klinik war Anna nach der Morgenvisite offiziell als Patientin der Gynäkologie aus dem Krankenhaus entlassen worden. Die Frauenärztin hatte ihr empfohlen, sich auch in den kommenden Tagen weiterhin zu schonen. Ihr Körper und auch ihre Seele würden unabhängig von der Schwangerschaft noch viele Tage benötigen, um sich von den Strapazen der Entführung und Flucht zu erholen.


    Ihre Freundin Anja, die Intensivschwester, hatte bei ihrem Besuch am frühen Morgen in weiser Voraussicht, nicht nur für Anna frische Kleidung und Hygieneartikel mitgebracht, sondern auch für Ben. Anja kannte ihre Freundin gut genug, um zu wissen, dass die junge Frau die kommenden Tage an der Seite des dunkelhaarigen Polizisten verbringen würde.


    Anna war zwischenzeitlich von ihren Kollegen darüber informiert worden, dass man Ben nach der Morgenvisite von der Intensivstation auf die normale Pflegestation verlegt hatte. Nun gab es für die junge Frau kein Halten mehr, sie wollte nur noch zu Ben. In Begleitung von Anja, die die Reisetasche auf Rollen hinter sich herzog, standen die beiden Frauen vor dem Aufzug und unterhielten sich. Gerade als mit einem Ping sich die Aufzugtür öffnete, erklang aus dem Hintergrund eine Frauenstimme, die Anna erstarren ließ.
    „Einen Moment bitte, Frau Dr. Becker! … Wir müssten dringend mit ihnen sprechen!“
    Leise seufzte Anna auf und drehte sich um. In der Durchgangstür von der gynäkologischen Abteilung zum Treppenhaus stand Kim Krüger in Begleitung von Jenny Dorn. Die Ärztin ahnte schon was kommen würde.
    „Guten Morgen!“, begrüßte sie knapp die beiden Polizistinnen. „Ich war auf dem Weg zu Ben!“, gab sie ihre Absicht kund.
    Kim Krüger nickte wissend. „Das dachte ich mir schon.“ Die Chefin der PAST wirkte dabei ein wenig verlegen in dem Moment und gleichzeitig hilflos. „Von der Pflegestation 3 kommen wir. Leider darf Herr Jäger auf ärztliche Anweisung keinen Besuch außer direkten Angehörigen empfangen. Dennoch benötigen wir dringend einige Informationen. Es geht unter anderem um den Haftbefehl gegen den Verdächtigen, Herrn Musicz.“


    Deutlich hörbar entwich Anna die Atemluft und mit einer Geste, die wie eine Kapitulation wirkte, meinte sie missmutig in Richtung ihrer Freundin: „Anja, bringst du bitte die Sachen zu Ben!“ Dabei deutete sie auf die Reisetasche. „Vielleicht kannst du auch arrangieren, dass das Beistellbett zu ihm ins Zimmer gestellt wird.“
    „Mach dir keinen Stress meine Liebe! Ich kümmere mich um alles. Mach du in Ruhe deine Aussage, damit diese Schweine, die dir und Ben das angetan haben, endgültig hinter Schloss und Riegel wandern!“ Die Intensivschwester umarmte Anna, verabschiedete sich und verschwand in der geöffneten Aufzugtür.


    Den Vorschlag von Frau Krüger die beiden Polizistinnen zu Dienststelle zu begleiten, um dort ihre Aussage zu machen, lehnte Anna kategorisch ab. Als Assistenzärztin teilte sie sich mit anderen Ärzten ein Arztzimmer auf der chirurgischen Station. Sie bot an, dass man dort in aller Ruhe ihre Aussage auf Band bzw. auf Handy aufnehmen könnte, aus welcher dann auf der Dienststelle ein schriftliches Protokoll als Nachweis erstellt werden konnte. Nach kurzem Zögern gab Kim Krüger nach und zusammen mit Jenny folgten sie der Ärztin durch das Gewirr aus Gängen und Treppenhäusern.


    Neben zwei Schreibtischen, diversen Büromöbeln und Schränken gehörte zur Einrichtung des Arztzimmers eine Sitzecke, bestehend aus einem Schlafsofa und zwei Sesseln. Während des Bereitschaftsdienstes nutzten die Assistenzärzte des Nachts das Sofa zum Schlafen. Auch die junge Ärztin hatte darauf schon manche Nacht verbracht.


    Anna ließ sich auf einem der Sessel nieder. Kim Krüger und Jenny nahmen auf dem Sofa gegenüber Platz. Zwischen ihnen befand sich ein Couchtisch aus Glas, auf der einige Mineralwasserflaschen und Trinkgläser bereitstanden. Kim Krüger hatte im Hinterkopf, was die Ärztin in den letzten Tagen durchlebt hatte. Entsprechend feinfühlig und rücksichtsvoll begann sie das Gespräch, erkundigte sich nach Annas Befinden und vergewisserte sich, ob die Zeugin sich mental stark genug für die Befragung fühlte. Jenny hielt sich im Hintergrund und nutzte ihr Handy als Aufnahmegerät.


    An Hilfe von Handyfotos identifizierte Anna die beiden Söldner, Camil Musicz und Remzi Berisha, als ihre Entführer, machte so weit wie möglich detaillierte Angaben zu den Begebenheiten an jenem Abend, zu den Verletzungen von Ben, wie sie ihn im Keller der Villa vorgefunden hatte. Bei ihren Beschreibungen wurden Kim und auch Jenny immer blasser um die Mundwinkel. Zwischendurch schloss Anna wiederholt ihre Augen und versuchte sich zu sammeln, wenn die Erinnerungen an diese schrecklichen Stunden zu Beginn ihrer Gefangenschaft sie zu überwältigen drohten. Mit einem Schlag waren alles wieder da … die Erniedrigungen durch Gabriela Kilic … die Notoperation im Keller … das Bangen um Bens Leben. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Aus ihren Augenwinkeln löste sich mehr als eine Träne, die sie mit dem Handrücken einfach wegwischte. Als Kim Krüger die Befragung abbrechen wollte, schüttelte Anna eigensinnig den Kopf. „Nein! … Nein! … Ich verstehe Sie ja! … Diese Zeugenaussage muss sein! Geben Sie mir einfach ein paar Minuten, dann habe ich mich wieder im Griff!“


    Die Ärztin schenkte sich aus der Mineralwasserflasche ein Glas Wasser ein und trank es schluckweise leer. Dabei fixierte sie ein Bild an der Wand, im dem auf einem Fotodruck der hippokratische Eid der Ärzteschaft abgebildet war. Irgendwie war dies für sie in dem Moment wie ein Fels in der Brandung, der ihr Halt gab. Nach einigen Minuten hatte sich das Gefühlschaos in ihrem Inneren wieder so weit beruhigt, so dass die Polizistin mit der Befragung fortfahren konnte. So gut es ging, beschrieb Anna die einzelnen Bewohner der Villa, nannte deren Namen und was ihr sonst in den Tagen der Gefangenschaft aufgefallen war. Sie betonte die besondere Rolle von Elena und was Ben und sie der jungen Russin zu verdanken hatte. Sie beschrieb die Flucht aus der Villa, die dramatischen Minuten im Park, die Verfolgung durch Remzi Berisha und dem verhängnisvollen Schusswechsel, bei dem der Söldner und Elena schwer verletzt wurden.


    Mit keinem Wort erwähnte die Ärztin den Besuch des Rechtsanwalts Dr. Hinrichsen. In den Tagen vor der Flucht hatte sie mit Ben darüber gesprochen und ihr Freund meinte damals: „Kannst du beweisen, dass es dieser Anwalt war? Hast du ihn gesehen?“
    Als ihr Ben erklärte, wie schnell ein Anwalt, speziell dieser Anwalt, ihre Aussage vor Gericht als haltlose Vermutung zerpflücken würde, verstand sie seinen Rat, lieber zu schweigen.
    Die Vernehmung zog sich länger hin, als die Beteiligten erwartet hatten. Um die Mittagszeit trennten sich die Wege der Frauen. Frau Krüger und Jenny fuhren zurück zur Dienststelle und Anna kannte nur noch ein Ziel: das Krankenzimmer von Ben.

  • Währenddessen …


    Ben konnte seine Enttäuschung nicht verbergen, als Anja alleine sein Krankenzimmer betrat. Sie erzählte ihm von der Begegnung mit seiner Chefin im Treppenhaus und dass er auf Anna noch ein wenig warten müsste. Der Polizist in ihm wusste, wie wichtig Annas Aussage bei den Ermittlungen seiner Kollegen sein konnte, doch nach der vergangenen Nacht verzehrte er sich fast vor Sehnsucht nach seiner Freundin. Da half es auch nicht viel, dass Anja ihm hoch und heilig versprach, dass es Anna und dem zukünftigen Nachwuchs gut ginge.


    Die erfahrene Intensivschwester erkannte relativ schnell, wie psychisch angeschlagen der Patient war, was nach dem Erlebten der vergangenen Wochen nur verständlich war. In Gedanken suchte sie fieberhaft nach einer Idee, um den dunkelhaarigen Polizisten während der Wartezeit ein wenig aufzumuntern.
    Auf Anregung von Anja, die die Gewohnheiten und Vorlieben des jungen Mannes, seit er mit Anna befreundet war, kennengelernt hatte, durfte Ben mit Unterstützung eines Pflegers duschen und rasieren. Man hatte zwar den Patienten auf der Intensivstation so gut es ging mit Wasser und Seife gewaschen, doch das war Nichts im Vergleich zu einer Dusche mit dem eigenen Duschgel, das so vertraut roch.


    Stundenlang hätte Ben auf seinem Duschhocker sitzen bleiben können, als so angenehm empfand er den warmen Wasserstrahl. Jeder Wassertropfen, der über seine Haut rann, nahm ein wenig von dem Schmutz mit, den die Folterungen und Demütigungen von Remzi und Gabriela auf seinem Körper hinterlassen hatten. Er fühlte sich, wie ein anderer Mensch, als er zwar erschöpft, bekleidet mit einem seiner Lieblingsshirts und in Shorts in seinem Krankenbett lag. Als er anschließend zum Mittagessen neben einer Brühe, noch Kartoffelbrei und eine Hackfleischsoße bekam, lag er satt und zufrieden in seinem Bett und döste ein.
    Mit einem zufriedenen Lächeln verließ Anja das Krankenzimmer. Die Zeit drängte, denn sie hatte heute Spätdienst und musste sich beeilen, um auf ihre eigene Station zu kommen.


    Einige Zeit später …
    Vorsichtig öffnete Anna die Zimmertür. Volker, der Krankenpfleger, meinte, dass der Patient wohl schlafen würde. Zu ihrer Freude lag Ben wach im Bett und starrte die Decke an. Als er sie bemerkte, wanderte sein Blick in Richtung der Tür und ein Lächeln überzog sein Gesicht.


    „Hey, Du! … Auch schon wach?“, sagte sie und trat näher.
    „Anna!“
    Nur ihren Namen sagte er und die Art und Weise, wie er ihn aussprach sagte mehr als alle Worte. Seine Augen fingen an zu leuchten. Anna setzte sich zu ihm auf die Bettkante. Liebevoll strich sie ihm über die Wangen.
    „Kann es sein, dass du jemanden brauchst, der dich ein wenig verwöhnt … verarztet und auf dich aufpasst. Ich würde mich gerne um diese Stelle bewerben.“
    Ben lächelte. „Du hast die Stelle.“
    Mit einer Hand griff er in ihr Haar und zog ihren Kopf zu sich herunter, bis sich ihre Lippen trafen. Zärtlich küsste er sie. Als sie sich voneinander lösten, wollte er wissen:
    „Wie geht es dir mein Schatz? ...Den Babys? … Was ist mit Semir? … Was ist denn überhaupt in diesem Park gestern Nacht passiert? …. Und vor allem, weißt du etwas über das Schicksal von Gabriela Kilic? “
    „Immer schön der Reihe nach!“, gab sie zurück und küsste ihn wieder. Sie richtete sich ein wenig auf und strich ihm liebevoll eine seiner widerspenstigen Haarsträhnen aus dem Gesicht. Nach und nach zwischen vielen Küssen beantwortete Anna ihm alle Fragen, erklärte ihm was nach der Ankunft von Frau Krüger mit der SEK-Einheit passiert war. Gemeinsam betrachteten die beiden werdenden Eltern das Ultraschall-Bild von den Zwillingen. Voller Zärtlichkeit strich Ben über ihre kleine Babykugel, die sich unter ihrem engen Shirt deutlich abzeichnete. Ein wahres Glücksgefühl durchströmte Anna in diesen Minuten und sie blinzelte ein paar Tränen der Rührung weg. Für einige Atemzüge herrschte Stille im Raum und Anna betrachtete jede Regung in seinem Gesicht.
    „Wie fühlst du dich? … Ehrliche Antwort, mein Schatz!“
    Ben lauschte einen Moment in seinen Körper hinein und gab spontan zur Antwort. „Spitzenmäßig!“ Die verabreichten Schmerzmittel taten ihre Wirkung. Nach den Tagen voller Schmerz und Pein war dies für ihn ein Traumzustand und vor allem Anna war endlich an seiner Seite. Dementsprechend erwiderte er: „Ging mir noch nie besser. Sieht man das nicht!“ Dabei zog er die Zudecke ein wenig zur Seite, deutete mit einem schelmischen Grinsen auf die Schiene, die man an sein gebrochenes rechtes Bein angelegt hatte und die verschiedenen Verbände. „Und das Wichtigste: Du bist bei mir!“
    Er umschlang ihren Nacken, zog sie zu sich heran. „Wir haben es geschafft Anna! … wir haben es wirklich geschafft und sind frei!“

    Mehrmals wiederholte er diesen Satz, während seine Lippen die ihren fanden und sie sich innig küssten. Mit einem Mal löste er sich von ihr und ließ sich auf das Kopfkissen zurücksinken. Von einer Sekunde zur anderen verschwand der freudige Ausdruck auf seinem Gesicht.


    „Du hast mir eine Frage noch nicht beantwortet. … Was ist mit Semir?“, fragte Ben nach.
    „Geduld mein Schatz!“, erwiderte Anna und stand auf. Wie auf ein geheimes Zeichen öffnete sich die Zimmertür und Volker schob einen Rollstuhl ins Zimmer.
    „Soll ich Dich und Herrn Jäger begleiten?“, fragte der Krankenpfleger.
    Anna schüttelte den Kopf und bedankte sich, während Bens Blick fragend zwischen den beiden hin- und herwanderte. Erklärend für Ben fügte sie hinzu: „Wir machen einen kleinen Ausflug zur Intensivstation. Ich denke, du willst Semir sehen oder?“

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