Zu viele Pferdestärken

  • Als Ben das nächste Mal wach wurde, war sein Blick klar und solange er sich nicht bewegte, waren auch die Schmerzen erträglich. „Wie spät ist es?“, wollte er wissen und als Semir ihm nun berichtete, dass es inzwischen drei Uhr geworden war, fragte er erstaunt: „Hat die Operation so lange gedauert?“, aber Semir schüttelte den Kopf. „Du bist schon seit drei Stunden wieder da und schnarchst mir was vor, aber Schlafen war ja schon immer neben Essen deine Kernkompetenz“, gab er frech zurück und jetzt musste Ben, der schon noch ein wenig blass um die Nase war, selber grinsen.


    Die Schwester der Nachmittagsschicht, die bei der Übergabe ihren Patienten einfach hatte schlafen lassen, kam jetzt herein, kontrollierte den straffen Verband auf Nachblutungen, hieß Ben seine Zehen bewegen und prüfte auch die Sensibilität im Fuß. „Alles in Ordnung, ich hänge ihnen gleich noch Ibuprofen gegen die Schmerzen als Infusion an und wenn sie möchten, dürfen sie bereits was trinken“, sagte sie und damit war Ben sehr einverstanden. Er bekam einen Becher Wasser hin gestellt mit der Ermahnung es langsam angehen zu lassen, aber als wenig später Sarah und Andrea, die zuvor noch gemeinsam auf einen Kaffee in der Cafeteria gewesen waren, die Intensivstation betraten, war der Becher leer und Ben verkündete, er habe jetzt Hunger. „Das gibt’s doch nicht- manche kotzen sich nach einer OP die Seele aus dem Leib und du kannst an nichts anderes als Essen denken!“, schalt ihn Sarah liebevoll, aber als sie es mit dem Stationsarzt abgeklärt hatte, holte sie ihm erst ein wenig Zwieback aus der Stationsküche und als er den vertrug, kapitulierte sie und wenig später aßen die beiden Freunde, liebevoll unterstützt von ihren Ehefrauen, jeder ein Stück Kuchen, den Andrea aus der Cafeteria geholt hatte.


    „Ich würde sagen es geht bei euch beiden steil aufwärts und wenn ich mir so anschaue, dass ihr eigentlich keine intensivmedizinische Behandlung mehr braucht, glaube ich eure Tage hier auf dieser Station sind gezählt“, erläuterte Sarah nach einem Blick auf den Infusionsbaum und die Perfusorleiste. „Bei Lucky geht es auch weiter aufwärts, er nimmt brav seine Medikamente, frisst und erledigt sein Geschäft, die in der Klinik meinen, wir können ihn vermutlich in ein bis zwei Tagen nach Hause holen und auch die Ponys befinden sich auf dem Wege der Besserung, wobei die sicher noch ein paar Wochen dort bleiben müssen“, berichtete sie von ihrem Telefongespräch mit der Tierklinik.
    „Gott was bin ich froh, dass auch unser Lucky noch mal von der Schippe gesprungen ist, wenn ich entlassen werde, kriegt er eine riesige Wurst von mir, immerhin hat er mir das Leben gerettet“, erklärte Ben und nun musste Sarah lachen. „Ja Liebe geht bei euch Männern einfach durch den Magen, bei Menschen wie Hunden“, neckte sie und als die nächste Blutgaskontrolle bei Semir und Ben stabile Werte zeigte und kein weiterer Blutverlust erkennbar war, machten sich die beiden Frauen erleichtert auf den Heimweg. „Ich vermute die beiden werden bald auf Normalstation kommen und dann können die Kinder sie endlich auch wieder besuchen, sind deine auch so aus dem Häuschen wegen ihrem Papa?“, fragte Sarah und Andrea nickte. „Ich werde gleich auch Jenny schreiben, dass soweit alles gut ist, dann soll sie das den Kollegen weiter geben, dann läuft bei mir nicht das Telefon heiß“, bemerkte sie und als sie sich auf dem Parkplatz voneinander verabschiedeten, hatte beide wieder Mut und konnten zuversichtlich in die Zukunft sehen.


    Am nächsten Morgen wurde Ben schon an die Bettkante gesetzt und wenn es auch noch zwickte und man sein Bein auf einen Hocker legen musste, heute schmeckte das Frühstück und bei Semir wurde am Vormittag noch die Thoraxdrainage gezogen. Das war zwar schmerzhaft und ihm entfuhr trotz Opiat zuvor ein Aufschrei, aber als das Kontrollröntgen am Nachmittag keine weiteren Lufteinschlüsse in seinem Brustkorb zeigte, gab der Unfallchirurg grünes Licht für die Verlegung.
    Auch bei Ben waren die Blutwerte stabil, die Blutergüsse am Bauch und Brustkorb begannen sich grün und blau zu färben, aber es lief wohl nichts mehr nach und so reservierte man für die beiden für den nächsten Vormittag ein Doppelzimmer auf der Normalstation.



    In Rumänien hatten der Tierarzt und der ehemalige Pferdehändler sich inzwischen in der gemütlichen Jagdhütte in den Bergen häuslich eingerichtet. Es gab genügend Vorräte, draußen lagerte Brennholz, die Wasserversorgung war durch eine eigene Quelle gesichert und etwa eine halbe Stunde entfernt lag ein kleiner Ort in dem man Lebensmittel und alles was man zum Leben brauchte, kaufen konnte. Der Cousin des Tierarztes hatte ihnen zwei Jagdwaffen besorgt und der vormalige Pferdehändler entdeckte ein neues Hobby- die Jagd. In dem Dörfchen sprach nur der Tierarzt und erzählte in fließendem Rumänisch dem Krämer vor Ort, dass er sich nach einer schweren Erkrankung einige Monate erholen wolle und der glaubte das sofort, denn der ältere Mann sah blass und angegriffen aus. „Unsere gute Luft, das herrliche Wildfleisch und die Ruhe werden sicher die Gesundheit wieder herstellen“, sagte er freundlich. „Wenn sie etwas Besonderes brauchen, ich kann ihnen so ziemlich alles besorgen und jetzt wünsche ich eine gute Genesung!“, gab er mit auf den Weg und half noch die Einkäufe im Kofferraum des Corsa zu verstauen. Der jüngere Mann hatte keinen Ton gesagt, aber das war eigentlich nicht aufgefallen und so lag der Tierarzt die meiste Zeit zugedröhnt auf dem Sofa, während der Pferdehändler durch die Wälder streifte und abknallte, was ihm vor die Flinte kam. Er hatte das Waidwerk zwar nie gelernt, aber das Töten machte ihm Spaß und sie ernährten sich bald hauptsächlich von Fleisch, das die Natur ihnen hier im Überfluss bescherte.
    Der Tierarzt hatte aus Sibiu Antibiotika mitgebracht und futterte die, machte auch immer wieder frische Verbände um seinen Unterarm, aber eine Besserung wollte sich nicht einstellen. Dann aber setzte er sich den nächsten Schuss und es war ihm eigentlich egal, denn nun sah die Welt wieder rosarot aus und er hatte keine Schmerzen.



    In Köln waren derweil Semir und Ben auf die Normalstation verlegt worden, gleich am Nachmittag kamen ihre Kinder zu Besuch und beide Väter lachten befreit mit ihrem Nachwuchs, es ging steil aufwärts!
    Am nächsten Tag durfte Sarah Lucky abholen und der fiepte und schrie fast vor Entzücken als sein Frauchen erschien und zur Leine griff. „Lassen sie es ruhig angehen mit ihm, Spaziergänge momentan nur an der Leine. Er wird sicher noch viel schlafen, aber ansonsten hat er Alles gut überstanden. Zweimal täglich bekommt er für insgesamt vier Wochen noch seine Antikonvulsiva, die Mittel zur Krampfvermeidung, dann schleichen sie sie bitte aus. Wiedervorstellung wöchentlich und falls irgendetwas auffällig ist, melden sie sich bitte sofort“, sagte der Kleintierspezialist.
    Sarah hatte zuvor noch im Großtiertrakt der Klinik mit den Stallungen die Ponys besucht und wenn die Schnitte und Verletzungen auch noch nicht ganz abgeheilt waren und täglich unter Sedierung gespült und versorgt werden mussten, wirkten die beiden munter und holten sich zutraulich die mitgebrachten Apfelstücke. „Das sind vielleicht zwei kleine Wildfänge, aber sie sind klug und lernen schnell“, lachte die Pferdepflegerin. „Ich würde die beiden wenn es ihnen besser geht, gleich noch kastrieren lassen, dann haben sie es leichter“, riet sie und Sarah nickte gedankenverloren. Ja wegen der Ponys musste sie sich noch was einfallen lassen, im Augenblick hatte sie keinen Kopf dafür, irgendwelche Baumaßnahmen zu planen und zu beaufsichtigen und irgendwo mussten die ja hin, wenn sie entlassen wurden. Aber kommt Zeit kommt Rat, dachte sie sich dann und als sie Lucky im Fond ihres Wagens verstaut hatte, wo er mit einem eleganten Satz in seinem riesigen Hundekäfig Platz genommen hatte, fuhr sie erst mal frohgemut nach Hause.

  • Jake ritt auf seinem schwarzen Hengst bergauf. Um den Hals des Pferdes lag lediglich ein Halsring, keine Zäumung behinderte die Atmung, aber dennoch waren Tier und Reiter eins und das Tier bemühte sich freudig, die sanften Kommandos seines Herrn zu verstehen und um zu setzen. Als er in einen leichten Galopp fiel, begannen die Sorgen für einen Moment von ihm ab zu fallen. Er war gesund, sein Pferd ebenfalls, aber der Grund, warum er in die Heimat zurück gekehrt war, war ein Trauriger. Sein kleiner einjähriger Neffe, der geliebte Sohn seiner Schwester war schwer erkrankt. Würden ihm die Ärzte helfen können? Er lag im Provinzkrankenhaus in der nächsten Stadt, seine Mutter war bei ihm, aber noch wurden Untersuchungen gemacht.
    „Jake – du musst nach Hause kommen und mit den Ärzten sprechen. Du kennst dich aus in der Welt, aber wir haben das Gefühl, die Ärzte und Schwestern wissen entweder nicht was dem kleinen Josef fehlt, oder sie wollen es uns nicht sagen. Was ist, wenn er eine teure Behandlung braucht, vielleicht ist das der Grund warum die nicht mit uns reden wollen, du kannst das sicher organisieren“, hatte seine Schwester ihn an gefleht und so hatte er bei seinem Chef um Urlaub gebeten, der ihm aber nicht gewährt wurde. „Was denkst du dir?“, hatte der los gepoltert. „Die Saison hat begonnen und du weißt genau, dass ich dich als Darsteller nicht so leicht ersetzen kann. Wenn du jetzt gehst, brauchst du gar nicht wieder zu kommen!“, hatte er ihn angebrüllt. Jake hatte sich wortlos umgedreht. Wenn jemand nicht verstehen konnte, wie wichtig die Familie war, dann würde er hier auch nicht glücklich werden.
    So hatte er den kleinen älteren Geländewagen mit seinem Hab und Gut beladen, den Pferdetransporter angehängt und seinem Hengst völlig frei bedeutet ein zu steigen, was der freudig tat. Drinnen hatte er einen großen Heusack auf gehängt, es würde eine lange Fahrt werden, aber gemeinsam hatten sein Pferd und er schon viele Veränderungen überstanden, es würde schon irgendwie weiter gehen.

    Semir beübte seine Arme und Hände fleißig und wenn auch noch alles ganz verschwollen war, die Motorik funktionierte und spüren konnte er ebenfalls alles. Das Husten und Bewegen tat zwar noch weh, aber mit einem guten Schmerzmanagement war es aus zu halten.
    Bei Ben war es in etwa genauso und auch wenn sie es vielleicht nie zugegeben hätten, das Beste was ihnen passieren konnte, war das Zusammensein. Sie waren so vertraut, dass sie sich nebeneinander in ihren Betten liegend, völlig entspannen konnten und gute Gespräche, immer wieder ein Scherz dazwischen, trugen ihren Teil zur Genesung bei. Ben durfte das Bein noch überhaupt nicht belasten und auch seine Blutergüsse sahen imponierend aus, aber dafür waren seine Arme und Hände unverletzt, so dass er seinem Freund und Partner die Brote schmierte und ihn auf der ganzen Linie unterstützte. Semir hingegen konnte ja problemlos laufen und so hatte er den Part, Dinge zu holen oder das Fenster zu öffnen und zu schließen.
    Nach und nach kamen auch die Kollegen zu Besuch und oft verwandelte sich das Patientenzimmer beinahe in eine Außenstelle der PASt, denn natürlich wollten die beiden Verletzten auch über den Fall, der sie ja nun beide absolut direkt betraf, informiert werden. Leider waren der Tierarzt und sein Gehilfe wie vom Erdboden verschluckt und auch der Corsa wurde nicht gefunden.


    „Inzwischen habe ich den Spider genauestens untersucht, er ist eindeutig das Mordfahrzeug, mit dem der Familienvater tot gefahren wurde und Drogenspuren habe ich drinnen ebenfalls gefunden“, berichtete Hartmut.

    „Die Tierarztfrau scheint wirklich keine Ahnung zu haben und distanziert sich deutlich von den Taten ihres Mannes. Sie hat gemeinsam mit ihren Kindern und Enkeln ein Beileidsschreiben an die Familie des Verstorbenen verfasst und Geld beigelegt. Gut, wenn wir den Täter finden wird er sowieso zu Schadenersatz verpflichtet, aber immerhin ist das ein Zeichen des guten Willens“, erzählte die Chefin.


    Ben konnte ganz gut mit Krücken kurze Strecken laufen, aber als die Schwester ihnen einen Rollstuhl brachte, leuchteten seine Augen. „Semir- denkst du gerade dasselbe was ich denke?“, fragte er grinsend und der nickte gottergeben. „Das war ja klar, dass ich jetzt deinen Motor spielen und dich durch die Landschaft schieben kann“, polterte er los. Aber wenig später ließen sich die beiden zum ersten Mal seit zweieinhalb Wochen wieder den Wind um die Nase wehen und hielten sich eine halbe Stunde im Krankenhauspark mitten in Köln auf.


    Beide waren inzwischen sämtliche Drainagen, Katheter und Zugänge los, nahmen ihre Medikamente als Tropfen oder Tabletten und auch die intensiven Physiotherapieeinheiten, die sehr anstrengend waren, fanden inzwischen in der entsprechenden Abteilung im Untergeschoß statt, wohin Semir Ben dann schob. Sein Bein lag dabei gerade nach vorne ausgestreckt und mehr als einmal hätten sie beinahe jemanden gerammt oder von den Beinen geholt. „Semir renn nicht so schnell, das hier ist nicht die Autobahn!“, grinste Ben, aber die Erleichterung war beiden anzusehen, sie würden vermutlich in einigen Wochen bis Monaten gemeinsam ihr altes Leben wieder aufnehmen können.

  • Jake schüttelte den Kopf. Er hatte bei seinem Ausritt entlang des Wegs mehrere erlegte Tiere gesehen. Sie waren nur teilweise und das auch unsachgemäß aufgebrochen, man hatte wenige Stück Fleisch wie Keulen oder Filet mit genommen und den Rest einfach liegen gelassen. Freilich labten sich daran Wölfe und Bären, aber Jake sah auch, dass die Tiere nicht waidgerecht mit Blattschuss getötet, sondern irgendwie dahin gemetzelt worden waren und sicher teilweise noch gelitten hatten. Eine große Wut packte ihn deswegen. Er aß auch Fleisch, aber wenn ein Tier getötet wurde, sollte es allen Respekt erfahren und der bedeutete nicht nur einen schnellen schmerzlosen Tod, sondern auch eine Verwertung des kompletten Kadavers.

    Aus der Ferne sah er eine Jagdhütte deren Kamin rauchte, davor stand ein älterer Corsa. Eigentlich ein Paradoxon, denn Leute die sich eine Jagdhütte leisten konnten, fuhren meistens andere Autos, aber prinzipiell ging ihn das ja nichts an. Er nahm sich nur vor vorsichtig zu sein, wenn er in dieser Ecke ausritt, dieser Heckenschütze war nicht ganz sauber, nicht dass sein Pferd und er auch irgendwann tot oder schwer verletzt neben dem Weg lagen.


    Seine Gedanken schweiften in die Klinik. Am Vortag hatte er seinen Neffen besucht und sich einen ersten Eindruck verschafft. Seine völlig verzweifelte Schwester wich nicht von seiner Seite, aber der Kleine hatte blass und teilnahmslos in dem Kindergitterbettchen gelegen, den ganzen Körper von Ausschlag bedeckt. Er hatte Fieber und war sehr schwach. Immerhin war eine Infusion gelaufen, aber als er versuchte mit einem Arzt zu sprechen, hatte man ihn hin gehalten und erst einige Zeit warten lassen, um ihm dann mit zu teilen, dass der Arzt zu einem Notfall außerhalb der Klinik gerufen worden war und heute nicht mehr zu sprechen wäre. Eine junge Schwester hatte die Infusion gewechselt und sich liebevoll um den Einjährigen, der ja noch viel mehr Baby als Kleinkind war, gekümmert. Aber auch sie hatte auf die Frage, was es denn für eine Diagnose gäbe, nur die Schultern gezuckt. „Die Untersuchungen laufen noch“, hatte sie knapp gesagt, aber man merkte ihr an, dass sie mehr wusste, aber das wohl nicht sagen durfte. Jake versuchte sie zu überreden oder in die Enge zu treiben, aber ohne Erfolg.


    Seine Gedanken schweiften in die Vergangenheit. Früher war die Medizin staatlich gelenkt gewesen und die Versorgung war in Ordnung und für alle gleich gewesen. Aber nachdem Ceausescu entmachtet worden und Rumänien kein sozialistischer Staat mehr gewesen war, hatte sich vieles verändert. Die Ärzte die nicht stark an der Heimat hingen, waren in den Westen ausgewandert wo ihre Arbeit honoriert wurde, während sie sich hier wie auch die Pflege, mit Minigehältern zufrieden geben mussten. Geblieben war, wie es sein Schwager ausdrückte - nicht die Elite. Dazu gab es zwar eine Pflichtversicherung, aber es floss im Gegensatz zu Deutschland nur ein minimaler Prozentsatz des Bruttoinlandprodukts ins Gesundheitswesen. Allerdings gab es auch in Rumänien, wie wohl überall in der Welt, reiche Leute und für diese hatten sich private westliche Klinikketten breit gemacht, die Spitzenmedizin boten, aber das eben nur für Selbstzahler. Das wäre ja alles kein Problem gewesen, aber Jake war nicht reich, sondern hatte immer gerade so viel verdient, seitdem er in den Westen gegangen war, dass er selber gut leben, sein Pferd unterhalten und jeden Monat ein bisschen Geld in die Heimat schicken konnte. Jetzt hatte er kein Einkommen mehr und so war guter Rat teuer und das im wahrsten Sinne des Wortes.



    Lucky war von der Tierklinik nach Hause gekommen und sozusagen unmittelbar zur Tagesordnung über gegangen. Die Kinder und auch Hildegard und Frederik hatten ihn freudig begrüßt, er war kurz an der Leine durch den Garten marschiert, wie um zu sehen ob sich etwas verändert hatte, aber dann hatte er sich auf seiner weichen Matte in einer Ecke der Küche zusammen gerollt, zufrieden geseufzt und gedöst. Nur sein Herrchen war nicht da, aber das würde sicher bald eintreffen. Die nächsten Tage war Lucky immer unruhig durchs Haus gewandert, wenn die Zeit nahte, zu der Ben normalerweise von der Arbeit nach Hause kam. Als Sarah nach einem Besuch bei ihrem Mann seine getragene Wäsche in einer Sporttasche zum Waschen mit nach Hause genommen hatte, hing Lucky wie eine Klette an ihr und schnüffelte und fiepte. „Lucky bald kommt dein Herrchen wieder heim, der vermisst dich genauso wie du ihn!“, versuchte Sarah den grauen Riesen zu trösten, aber er wirkte danach wie deprimiert und lag teilnahmslos in der Ecke. „Ach wenn man euch nur erklären könnte was geschehen ist, dann wäre vieles einfacher“, seufzte Sarah und steckte die Klamotten in die Waschmaschine.


    Hildegard war mit Frederik heim gegangen und der Alltag hatte überall wieder Einzug gehalten. Wenige Tage später wurden Semir und Ben entlassen und wenn ihnen auch eine Reha angeboten worden war, hatten alle beide das abgelehnt. „Wir wollen jetzt nur nach Hause, Physiotherapie kriegen wir auch ambulant“, hatten sie erklärt und sowohl Sarah als auch Andrea hatten für ihre Männer schon mit Physiopraxen in der Nähe Termine vereinbart. Semir konnte dorthin laufen und zu Ben würde der Therapeut jeden Tag nach Hause kommen.

    Als Ben sich aus dem Wagen schälte und nach seinen Krücken griff, um noch ein wenig vorsichtig wegen der ganzen abheilenden Blutergüsse ins Haus zu humpeln, ohne das Bein zu belasten, schrie Lucky vor Entzücken auf und wich ihm danach nicht mehr von der Seite. Ben hatte Tränen in den Augen und streichelte und liebkoste seinen treuen Gefährten. „Lucky du wenn nicht gewesen wärst, dann wäre ich jetzt nicht mehr am Leben!“, sagte er gerührt und wenig später lag er völlig zufrieden auf dem historischen und sehr bequemen Kanapee in ihrer geräumigen Gutshausküche und Lucky presste sich eng an ihn, obwohl der ja normalerweise nicht aufs Sofa durfte. Die Kinder, die natürlich mit zum Abholen gefahren waren und ganz wichtig auch jeder ein kleines Gepäckstück herein getragen hatten, erzählten lachend dem Papa von ihren Erlebnissen im Kindergarten und begannen dann zu spielen. Als Sarah, die inzwischen die Krankenhaussachen ausgeräumt hatte, wieder in die Küche kam, waren Ben mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen die Augen zu gefallen und er gönnte sich ein kleines Erholungsschläfchen.

  • Der Zustand des kleinen Joseph hatte sich ein bisschen stabilisiert. Er hatte zwar kaum Appetit, aber er begann dennoch wieder ein wenig zu essen und als er zwei Tage ohne Infusion war, teilte der behandelnde Arzt seiner Mutter kurz angebunden mit, dass er entlassen werden könne. „Herr Doktor, was war es denn jetzt und ist er auch wirklich wieder gesund?“, fragte die junge Mutter, aber der Arzt zuckte die Schultern. „In diesem Alter haben Kinder gerne mal Virusinfekte, die auch das Blutbild durcheinander bringen können. Aber wie sie sehen - wir haben ihn gut behandelt, mehr können wir nicht für ihn tun“, teilte er kurz angebunden mit und eilte zum nächsten Patienten. Die junge Frau roch eine Alkoholfahne als er nach draußen hastete, aber dennoch war sie froh, dass sie beide nach Hause durften. Auch ihr Bruder hatte die letzten Tage das Gespräch mit dem Arzt gesucht, der ihn aber sehr herablassend behandelt und ihm vorgeworfen hatte, einen kleinen Infekt bei einem Kleinkind zu überdramatisieren. Gut sie waren ja alle medizinische Laien und als sie im Internet nachgelesen hatten wie viele Virusinfekte es gab und da auch einige Symptome passten, waren sie zufrieden.


    Jake holte sie mit seinem Geländewagen ab, aber kurz bevor sie die Station verließen, kam die junge freundliche Schwester noch zu ihnen. Sie blickte sich vorsichtig um, ob der Arzt oder die Stationsschwester nicht in der Nähe waren. „Bitte beobachten sie ihren Sohn und Neffen genau, freilich geht es ihm aktuell besser, aber ich bin mir nicht so sicher, ob das wirklich nur ein Virusinfekt war!“, flüsterte sie ihnen zu, aber da ertönte schon eine barsche Stimme, die sie rief und mit einem unglücklichen Blick zurück, eilte sie zu ihrer Chefin. Sobald sie es sich leisten konnte von zu Hause aus zu ziehen, würde sie von hier verschwinden, sie hatte nämlich nicht das Gefühl, dass gerade Kinder in dieser Klinik suffizient behandelt wurden und das Betriebsklima war unterirdisch. Als sie allerdings Jake angesehen hatte, war ihr warm ums Herz geworden, was für ein Traummann, aber der war sicher schon vergeben, vermutete sie bedauernd, als sie um die Ecke bog.


    Auch Jake warf einen sehnsüchtigen Blick zurück, jetzt hatte er gar keine Möglichkeit mehr, jeden Tag die hübsche junge Frau zu sehen und ein paar Worte mit ihr zu wechseln. In den wenigen vergangenen Tagen hatten sie schon ihre gemeinsame Liebe zu Pferden entdeckt und nachdem er klar gestellt hatte, dass er nur der Onkel und nicht der Vater des kleinen Patienten war, hatte er immer das Gefühl gehabt die engagierte Schwester fände ihn auch nicht ganz unsympathisch, aber jetzt musste er erst mal seine Familie nach Hause bringen.


    Als er am nächsten Tag mit einer Tafel Schokolade auf die Station ging, um sich bei der jungen Frau zu bedanken und vielleicht ihre Telefonnummer zu kriegen, riss die ältere Stationsschwester ihm die Tafel regelrecht aus der Hand und schnauzte ihn an, als er sich nach der Pflegerin erkundigte. „Lassen sie gefälligst meine Schwestern zufrieden, hier wird gearbeitet und nicht geflirtet, außerdem ist sie bereits in festen Händen!“, gab sie ihm zornig zu verstehen und traurig und mit gesenktem Kopf verließ er das Krankenhaus. Was er nicht wusste - als die junge Schwester nach ihrer Ausbildung in Hermannstadt angefangen hatte hier in ihrem Heimatort zu arbeiten, war sie verlobt gewesen und sie hatte mit ihrem Partner auch begonnen zu bauen, aber die Beziehung war in die Brüche gegangen als sie gemerkt hatte, dass ihr Verlobter sie nach Strich und Faden mit anderen Frauen betrog. Sie hatte stumm gelitten, aber einen Teufel getan der alten Schrapnelle, wie sie ihre Chefin innerlich nannte, davon zu erzählen, je weniger die über ihr Privatleben wusste, desto besser!



    Der Tierarzt und sein Gehilfe hatten sich den Sommer über in der Hütte gut eingerichtet. Der vormalige Pferdehändler genoss die Freiheit und streifte jeden Tag jagend durch die Wälder. Es war klar, dass die Zeit für sie arbeitete, wenn der Fahndungsdruck kleiner wurde, würden sie es auch wagen, wieder nach Deutschland ein zu reisen. Falsche Papiere und eine neue Identität waren hier leichter zu bekommen als anderswo und der Tierarzt hatte genügend Geld gebunkert, damit sie gut leben konnten. Nur sein Arm wollte und wollte nicht heilen, er futterte immer noch Antibiotika und hatte jetzt schon so ziemlich alle Wirkstoffgruppen durch. Er war auch schwach, hatte Schmerzen und litt immer wieder unter Fieberschüben, aber wenn er sich dann seine Drogen rein pfiff, vergaß er sein Befinden und dämmerte glücklich vor sich hin. Dass die Finger bereits eine unnatürliche Farbe hatten und dabei waren ab zu sterben, ignorierte er und wickelte lieber einen Verband drum.



    Bei Semir und Ben ging die Genesung in Riesenschritten voran. Sie telefonierten fast jeden Tag miteinander, jeder bemühte sich, bei der Physiotherapie sein Bestes zu geben und die Schmerzen wurden jeden Tag weniger. Gute zwei Monate waren seit dem Unfall vergangen, die Blutergüsse waren verheilt, die Funktion von Semir´s Händen war zufriedenstellend und Ben durfte zwar noch nicht komplett belasten, aber immerhin Radfahren war schon wieder erlaubt.


    Die Hengstchen waren inzwischen kastriert und auch fast wieder genesen und der Bau des neuen Bewegungsstalls mit automatischer Fütterung stand fast vor der Fertigstellung. Zuerst die Arbeiter der Jäger´schen Baufirma und dann eine andere Firma, die tolle Offenstallkonzepte anbot, sorgten für ein Pferdeparadies vor ihrer Haustüre. „Wenn dann machen wir es gleich gescheit und denken auch daran, dass wir später auch noch zumindest ein größeres Pferd halten wollen – für mich nämlich. Ich denke du hast mit den Pferden abgeschlossen nach deinen Erlebnissen, aber du weißt ja für mich geht dann ein Herzenswunsch in Erfüllung, aber das eilt noch nicht“, hatte Sarah ihm mit geteilt und Ben vermerkte im Hinterkopf, dass das nächste Geburtstagsgeschenk hiermit fest stand.


    Er radelte inzwischen schon viele Kilometer und als er zufällig durchs Dorf fuhr und an dem Stall und damit auch bei Lucky´s Freundin vorbei kam, trat die Besitzerin der Hündin gerade aus dem Grundstück. „Wie schön dass es ihnen wieder gut geht, wir haben schon gehört dass sie vor zweieinhalb Monaten schwer verletzt wurden und ihr Hund auch, schön dass alle wieder genesen sind. Ich war ja gleich danach mit Alba beim Decken und stellen sie sich vor, letzte Woche hat sie sechs wunderschöne Welpen geworfen. Nur eines ist merkwürdig, einer davon, ein kleiner Rüde, hat eine weiße Schwanzspitze wie ihr Lucky, etwas was nach den Rassekriterien nicht erlaubt ist und auch unerklärlich, bei beiden Elterntieren sind keine Farbmutationen seit Generationen bekannt. Aber egal, wir lieben trotzdem alle Welpen und dann bekommt er halt vielleicht nur keine Papiere“, erzählte die Frau und dann musste sie Ben´s bittenden Blick bemerkt haben. „Wollen sie die Kleinen anschauen?“, fragte sie und Ben nickte wortlos. Er humpelte zwar noch und belastete das Bein wie der Arzt angeordnet hatte, nicht komplett, was normalerweise mit Krücken gut funktionierte. „Viel Besuch, gerade mit Kindern wäre für Alba und ihre Babys sicher noch zu aufregend, aber sie ist eine sehr gute Mutter und völlig entspannt, hin und wieder machen wir schon eine Ausnahme, es ist ja für uns auch ganz neu und ganz toll, ich bin sehr stolz, dass es so geklappt hat“, erzählte die Frau und sperrte die Haustüre auf. Gleich rechts neben der Türe war ein schönes Zimmer mit einer großen, weich gepolsterten Wurfbox ausgestattet und da lag die große Hündin flach auf der Seite und sechs kleine graue Wesen, die im Moment fast eher Ratten als Hunden ähnelten und die Augen noch geschlossen hatten, waren gerade dabei sich an der Milchbar zu bedienen. Sie schmatzten und bearbeiteten das Gesäuge mit ihren kleinen Pfoten, die kleinen Bäuchlein dick und rund und als sie fertig waren, kugelten und robbten sie durcheinander, laufen konnten sie ja noch nicht, während ihre Mutter ihnen die Bäuchlein ableckte und was hinten raus kam, sofort auffraß. „Ben hockte entzückt und völlig fasziniert auf dem stabilen Rand der Wurfkiste, er hatte noch nie so junge Welpen gesehen. Als die Besitzerin ihm vorsichtig den noch blinden kleinen Kerl mit der weißen Schwanzspitze auf den Schoß gab, streichelte er entzückt das weiche warme Fell und drückte den Kleinen an sich, der sofort seine Körperwärme suchte und zufrieden in seiner Armbeuge Platz nahm. „Mein Gott ist der süß!“, brachte er gerührt hervor und es tat nicht einmal seiner Begeisterung Abbruch als es kurz danach in seiner Armbeuge und auf seiner Hose nass wurde. „Oh Gott, jetzt hat er sie angepinkelt“, rief die Frau erschrocken, aber Ben lächelte nur. „Das macht nichts, ich habe Kinder, was glauben sie, wie oft ich mich wegen denen schon umziehen musste“, erzählte er und konnte sich fast nicht mehr trennen. Äh - wann werden die Kleinen denn abgegeben und haben sie schon Käufer?“, fragte er und die Frau lächelte. „In etwa zehn Wochen, die Mädchen sind schon alle vorgemerkt, nur einer der Rüden, dieser und sein Bruder, sind noch zu haben!“, teilte sie ihm mit und Ben konnte nicht anders - er musste den kleinen Kerl mit der weißen Schwanzspitze einfach reservieren. Oh je – was würde Sarah wohl dazu sagen. Immerhin dachte er daran sein Handy zu zücken und eine Menge Fotos zu machen.

  • Hartmut war auch nicht untätig gewesen. Rätselaufgaben hatten ihn schon immer heraus gefordert. Man hatte im Haus des Pferdehändlers eine Menge Equidenpässe von Pferden gefunden, die aber nicht auf der Anlage standen. Er hatte sich nochmal informiert und sein Kollege der häufig Pferdetransporte kontrollierte, hatte ihm aus der Praxis erzählt. „In Deutschland muss jeder Equide einen Pass besitzen. Alle Tiere die nach 2009 geboren sind, brauchen zur Identifizierung einen Mikrochip. Damit kann man mit einem Lesegerät zweifelsfrei die Identität eines Equiden fest stellen. Zudem wird das Pferd zwar auch noch beschrieben, aber dank der Chips muss man heute nicht mehr jeden Wirbel und jedes Abzeichen genau kontrollieren, die aber auch im Pass vermerkt sein müssen.“

    „Warum ist das denn so wichtig?“, wollte Hartmut, den Tiere eigentlich überhaupt nicht interessierten, erfahren. „So ein Pferd, gerade wenn es eine gute Abstammung und Ausbildung hat, vor allem wenn es turniermäßig vorgestellt wurde, stellt einen gewissen Wert dar, der zwischen 300 und 300 000 Euro liegen kann. Gerade seltene Rassen oder erfolgreiche Pferde sind teuer und bevor die Identifizierungspflicht kam, wurde da oft Schindluder getrieben. Pässe wurden vertauscht und ein nur leicht angerittenes Pferd mit einem Wert von vielleicht 3000 € wurde für das Zehnfache verkauft. Tierkörperverwertungsanlagen sollten zwar eigentlich den Pass mitnehmen, wenn sie ein getötetes Pferd abholen, dann mit Stempeln entwerten und an den Zuchtverband senden - aber das ist die graue Theorie. Außerdem gibt es noch einen Markt für Schlachtpferde, gerade in Italien, aber auch hier zu Lande besteht Nachfrage nach Pferdefleisch, die vor allem mit Kaltblütern oder Haflingern bedient wird, hast du schon mal Fohlenfilet probiert?“, fragte er augenzwinkernd, aber Hartmut hätte sich bei dem Gedanken daran fast übergeben und warf seinem Kollegen einen bösen Blick zu. „Im Pass muss das Tier als Schlachtpferd eingetragen sein, dann darf es kaum Medikamente bekommen, um die Fleischqualität zu behalten. Die meisten Freizeitpferde oder Turnierpferde werden als „Nichtschlachtpferd“ eingetragen, damit muss der Halter kein Stallbuch führen und die tierärztlichen Behandlungen können auch durch Medikamente erfolgen, die nicht als lebensmittelverträglich eingestuft sind. Das Setzen des Chips und die Beschreibung des Pferdes macht meist der Tierarzt beim jungen Fohlen und die Anmeldung muss dann bei der jeweiligen Behörde des Bundeslands, in dem das Tier steht, erfolgen. Der Pass bleibt beim Pferd und muss auch beim Transport mit geführt werden.

    Ach ja und sehr viele Schlachtpferde kommen aus osteuropäischen Ländern und werden quer durch Europa nach Italien gekarrt, wo der Verzehr von Pferdefleisch Tradition hat, auch in der Salami“, lautete die Vielzahl an Informationen und nachdenklich sah sich Hartmut daraufhin nochmals das Buch aus dem Safe des Tierarztes an.


    Gut, dass sie in der Praxis sehr viele Mikrochips gefunden hatten, mochte eine Marotte des Veterinärs sein. Hartmut besah sich die Chips, die in einer Sterilverpackung waren und einige Barcodes und darunter eine Nummer hatten, die meisten aber nicht. Dann verglich er die Pässe und dachte nach. Im Haus des Pferdehändlers waren auch einige Laptops, Barcodedrucker, Magnetfeldgeräte und Lesegeräte gefunden worden und als Hartmut damit ein wenig herum spielte und probierte, in die Datenbanken schaute, die jemand vorher gelöscht hatte, was ihm aber nur ein müdes Lächeln ab rang, ging ihm plötzlich ein Licht auf. Er griff zum Telefon und informierte die Chefin.


    „Frau Krüger, jetzt weiß ich was der Tierarzt und der Händler getrieben haben. Sie haben günstig Pferde minderer Qualität gekauft und sich irgendwo, vielleicht in Tierkörperverwertungen Equidenpässe und evtl. auch Papiere toter, aber teurer Pferde besorgt. Der alte Mikrochip bei den niedrigpreisigen Pferden wurde entweder heraus geschnitten, oder mittels Magnetfeld unleserlich gemacht, ein Blankochip wurde mit der Nummer des toten Tieres versehen - die dazu nötigen technischen Geräte liegen vor - und so wurden praktisch billige, ähnlich aussehende Pferde mit einer neuen Identität versehen und teuer verkauft. Wenn ich da sehe, dass die Preisunterschiede oft zehntausend oder mehr Euros ausmachen, ist das in der Masse durchaus rentabel. Vermutlich wurden die dann zum Probereiten medikamentös ruhig gestellt, so hat doch auch Ben erzählt, dass die Ponys, als er sie gekauft hat, lammfromm und völlig ruhig waren. Was ich auf auf einem der Rechner gefunden habe, waren Daten über Großeinkäufe bei einem Großtierhändler in Rumänien. Anscheinend hat unser verdächtiger Händler da ganze LKW - Ladungen Pferde und Ponys geordert, die wurden hier dann sozusagen durch den Tierarzt umetikettiert und gedopt, vom Pferdehändler verkauft und den Gewinn haben sich die beiden geteilt.

    Der Tierarzt hat damit wohl seine Drogensucht finanziert und sich den teuren Sportwagen geleistet, der dann zur Mordwaffe wurde. Der Händler hat erst mal Schulden aus seinen früheren Unternehmungen bezahlt. Wie Susanne recherchieren konnte, hat er schon als Gebrauchtwagenhändler gearbeitet und ist damit in Konkurs gegangen, dann hat er überteuerte Dachsanierungen verkauft, war im Solaranlagengeschäft und weil er von den Banken kein Geld mehr bekommen hat, hat er vermutlich einige dubiose Geldverleiher auf den Fersen, die sicher nicht zimperlich sind, wenn sie ihn in die Finger kriegen. Er hatte allen Grund unter zu tauchen“, berichtete Hartmut der Chefin und die nickte.

    „Jetzt wäre es sehr interessant heraus zu kriegen, wo die beiden Herren sich aufhalten, sie sind wie vom Erdboden verschluckt“, bedauerte sie und Hartmut stimmte ihr zu.



    Als Ben von seiner Fahrradtour nach Hause kam, ging er in die Küche, wo Sarah gerade am Herd stand und Spaghettisauce kochte. Die Kinder malten am Küchentisch und als Ben sein Handy zückte und die Bilder und Videos der Welpen zeigte, waren alle entzückt. Ben sagte zunächst nur, dass Lucky´s Freundin Babys bekommen habe, man aber noch ein wenig warten müsse mit einem Besuch, was die Kinder zwar traurig machte, aber sie akzeptierten das. Bald würden ja ihre Ponys einziehen, da fieberten sie schon darauf.


    Als die Kids am Abend endlich im Bett lagen und sie selber ebenfalls zur Ruhe kamen, offenbarte Ben seiner Sarah, dass er den kleinen Welpen mit der weißen Schwanzspitze reserviert hatte. „Sarah ich weiß das war vielleicht doof von mir, aber ich wollte verhindern, dass der Kleine dann einfach weg ist. Wenn du nach Lucky keinen Hund mehr möchtest, oder vielleicht eine andere Rasse, dann respektiere ich das natürlich. Extra deswegen habe ich auch den Kindern davon nichts gesagt, denn ich finde das sollst du alleine entscheiden. Du hast die meiste Arbeit mit unseren ganzen Viechern und sobald ich wieder gesund bin, werde ich auch wieder oft in der Arbeit sein und könnte für kein Hundebaby sorgen. Ich sehe ja gerade jetzt, wo ich krankheitsbedingt zuhause bin, was da alles dran hängt und ich liebe und schätze dich auch deswegen, weil du unser Leben so organisierst und dich um uns alle kümmerst. Ich denke der Welpe wird einen guten Platz finden, ob mit oder ohne Papiere, wenn ich die Reservierung zurück ziehe, ich wollte nur die Option offen halten“, erklärte er, aber Sarah, die gerührt seinen Worten gelauscht hatte, setzte sich auf seinen Schoß und küsste ihn verliebt und fordernd auf den Mund.


    „Wenn du den Kleinen nicht reserviert hättest, hätte ich das gemacht. Unser Lucky wird langsam alt und er ist der tollste Hund der Welt. Jetzt kann er uns noch helfen den süßen Welpen zu erziehen und ihm zeigen, was von einem Hund im Hause Jäger erwartet wird. Ohne Lucky wärst du nicht mehr am Leben und zwar bereits mehr als einmal, wir brauchen, auch wenn irgendwann unser grauer Riese nicht mehr da ist, einen Beschützer. Sobald möglich möchte ich den süßen Zwerg kennen lernen, aber jetzt möchte ich etwas ganz anderes!“, sagte sie und drückte sich mit ihrem ganzen Körper an Ben und der erwiderte ihre heißen Küsse.


    Als sie einige Zeit später wieder zu Atem kamen und sich im Bett aneinander schmiegten, um endlich den wohl verdienten Schlaf zu finden, kuschelte sich Sarah schlaftrunken in seine starken Arme: „Gemeinsam schaffen wir alles, ob Kinder, Welpen oder wilde Ponys - ich liebe dich“, flüsterte sie und Ben konnte nichts anderes sagen als „Ich dich auch“, bevor beide zufrieden einschliefen.

  • „Die Ponys kommen!“, freuten sich Tim und Mia – Sophie und konnten es fast nicht erwarten, als der Transporter in den Hof fuhr. Ben saß am Steuer und rangierte und Sarah auf der Beifahrerseite war ein wenig blass um die Nase. Hildegard, die natürlich das Ereignis nicht verpassen wollte, war mit Frederik heute bereits am frühen Morgen her gefahren. Am Vortag war noch die Heulieferung gekommen und ein wunderbar durchdachter Aktivstall war nun zum Einzug bereit. Im Gegensatz zu herkömmlichen Ställen mit Boxen waren dort verschiedene Bereiche mit ganz konträren Untergründen angelegt. Mehrere überdachte Liegeflächen die teils mit Waldboden, teils mit Sand, Stroh oder Matten bedeckt waren, luden zum Ausruhen und Knabbern ein. Große Heuraufen waren mit raffinierten Gittersystemen versehen, die mittels Computertechnik die Fressdauer für jedes einzelne Pferd vorgaben, es gab Spielflächen und Pfade mit Bodenwellen, gepflasterte Durchgänge und ein großer Kastanienbaum, der dort schon viele Jahre stand, war in das hochmoderne Stallkonzept mit eingeschlossen worden. Das Ganze war aber sehr einfach zu warten, sogar eine motorbetriebene Schubkarre und ein Hochleistungsstaubsauger für die Pferdeäpfel standen bereit. Der Verkäufer der Stallanlage hatte ihnen erklärt: „Alle Zeit die sie mit der Pflege der Stallungen, also misten, Ausläufe und Weiden absammeln und Zäune reparieren verbringen, mag ja ein netter Sport sein, aber die Zeit verwenden sie doch lieber um sich mit den Tieren zu beschäftigen, sie zu beobachten, zu reiten oder zu fahren. Dank unseres Konzepts können sie auf derselben Anlage die unterschiedlichsten Pferde- und Ponyrassen zusammen halten, durch computergesteuerte Fütterung werden die Ponys nicht zu fett und ein großes Pferd, das natürlich viel mehr Energie braucht, auch nicht zu dünn“, und das hatte den Ausschlag für die Kaufentscheidung gegeben. Nach außen war die Anlage mit einem stabilen und wartungsfreien verzinkten Metallzaun aus Panelelementen gesichert. „Wenn sie Ponys haben ist das die beste Lösung, das sind nämlich die reinsten Entfesslungskünstler“, hatte der Stallprofi schmunzelnd gesagt und einige Anekdoten von durchgefressenen Holzzäunen, umgerannten Elektrozaunpfosten und Ponys zum Besten gegeben, die sich nächtens nach Ausbrüchen durch ganze Vorgartensiedlungen gefressen hatten, was natürlich den Zorn der Nachbarn erregt hatte.

    Die Vorarbeiten, Aushub und Betonfundamente hatte die Jäger´sche Baufirma gemacht, alles weitere die Stallbaufirma. Auch ein großzügiger Reitplatz war angelegt worden und Sarah sah sich schon auf einem wunderschönen Pferd darüber schweben. Ben hatte nach Erhalt der Rechnung erstaunt gesagt: „Puh ich wusste nicht, dass wir für die Zossen ein Luxusappartement erstanden haben“, aber dann klaglos überwiesen, die Erklärungen hatten auch ihn überzeugt.


    Nun hatten sie also die Pferdchen geholt, aber alleine das Verladen hatte ihnen, drei Pferdepflegerinnen und einen Tierarzt alle Energie und eine geschlagene Stunde Zeit gekostet. Wieder und wieder hatten die Ponys sich los gerissen, waren vor der Hängerrampe gestiegen und hatten alles dran gesetzt nicht einsteigen zu müssen. „Sicher haben die schon sehr traumatische Hängererlebnisse gehabt“, hatte die Pferdepflegerin vermutet, aber die beiden kleinen Dickköpfe hatten munter unter ihren Ponymähnen hervor gelugt und das Ganze wohl mehr als großen Spaß gesehen. „Die haben Stallmut, sie sind jetzt wochenlang gestanden, wurden täglich sediert zur Behandlung, sind aber jetzt wieder gesund, man kann es ihnen nicht verdenken, dass sie einfach Bewegungsdrang haben!“, hatte der Tierarzt erklärt und irgendwie war es dann mit vereinten Kräften gelungen die beiden Wildfänge mittels Führketten und Besen in den Hänger zu stopfen und an zu binden, was sie dann mit erbostem Stampfen und Rumpeln während der ganzen Fahrt quittierten. „Hoffentlich reißen sie sich jetzt nicht los, brechen die Türe auf, springen vom Hänger und rennen dann durch die Gegend - ich habe da als Polizist schon Sachen erlebt....“, malte Ben Horrorszenarien an die Wand und Sarah wurde blasser und blasser. Sie liebte ja Pferde und war mit ihnen auf gewachsen, aber so etwas hatte auch sie noch nicht gesehen.

    Sie musste zuhause den Kindern erklären, dass die Ponys nicht ungefährlich waren und jetzt bereute sie fast schon die Entscheidung, die Tierchen zu behalten. Ob die ihnen nicht bei aller Kleinheit eine Nummer zu groß waren?



    Ben hatte den Hänger nun so an den Zaun rangiert, dass die Rampe nach innen auf ging und die Pferdchen nicht ausbüchsen konnten. Hatten sie sie erst mal innerhalb der Stallanlage, konnten sie zumindest nicht ausbrechen. Sarah hatte sich das zwar in der Theorie ganz anders vorgestellt. Sie hatte gedacht die Ponys in aller Ruhe ab zu laden, sie dann an Halfter und Führstrick durch die Anlage zu führen, ihnen alles zu zeigen, aber das war graue Theorie. In der Praxis schlüpfte sie durch die vordere Tür in den Hänger, dankte Gott dass die Ponys noch auf allen vier Beinchen standen, machte sie los und ließ ihnen zwar die Halfter drauf, löste aber die Führstricke und sobald Ben die Rampe öffnete, drehten sich die beiden Zwerge um, schossen Vollgas mit einem eleganten Sprung aus dem Hänger und rannten erst mal kopflos durch die Gegend. Irgendwann waren sie erschöpft und hatten Heu und Stroh gefunden und begannen zu fressen. Nur eines war gut - nie hatten die Pferdchen versucht zu beißen oder zu treten. Aber so ein freundschaftlicher Rempler konnte ein Kind auch schwer verletzen und so waren Tim und Mia-Sophie traurig und weinten, weil sie doch zu ihren Ponys wollten, ihre Eltern das aber streng untersagten. „Kinder, lasst sie erst mal ankommen, die werden schon ruhiger, jetzt essen wir erst mal zu Mittag und zum Nachtisch gibts ein tolles Eis“, lenkte Sarah die beiden ab und so saßen sie wenig später um den Mittagstisch und ließen es sich schmecken.



    Der kleine Joseph in Rumänien blieb derweil ein Sorgenkind. Er aß zwar wieder, war aber ständig müde und schlief viel. Er war blass und sehr anhänglich und Jake gingen die Worte der jungen Schwester nicht aus dem Kopf. Vielleicht war doch nicht alles wieder in Ordnung, wie ihnen der Arzt hatte weis machen wollen? Um sich ab zu lenken ging er täglich ausreiten und hatte mehr als einmal Glück gehabt, dass sein Pferd ihm völlig vertraute und auch ruhig blieb, wenn ganz in der Nähe plötzlich Schüsse knallten. Jake hatte Arbeit bei einem großen Pferdehändler gefunden, der seine Stallungen ein paar Ortschaften entfernt hatte. Dort mistete er für einen Hungerlohn und machte mit den Tieren Verladetraining, um sie für den Verkauf vor zu bereiten.


    Der Kompagnon des Tierarztes sprach zwar keinen Drogen zu, aber das Bier und der Schnaps aus der Region mundeten ihm und wenn er dann auf Pirsch ging, wusste er manchmal selber kaum, was er tat und wie weit er sich von der Hütte entfernte. So gingen die Tage ins Land und die Finger des Tierarztes waren inzwischen fast ganz schwarz und die Schmerzen ohne Drogen unerträglich. In seinen wachen Momenten, wenn er Antibiotika schluckte und sich zwang etwas zu essen, fluchte der Tierarzt. „Ich hoffe die Misttöle die dafür verantwortlich ist, ist inzwischen jämmerlich krepiert!“, aber davon wurden seine Finger auch nicht mehr rosig.

  • Ben konnte zwar mit Automatikgetriebe wieder Autofahren, war aber wie Semir noch krank geschrieben. Dennoch hatten die beiden sich mit ein paar Kollegen in der PASt verabredet. Sie kauften zuvor Brötchen, Wurst, Schinken, Butter, Marmelade und Croissants und luden die Mitarbeiter der Dienststelle zu einem leckeren Frühstück ein. Frau Krüger drückte auch die Augen zu, als die Streifenfahrten ein wenig aufgeschoben und lieber ein kurzer Plausch mit den schmerzlich vermissten Kollegen gehalten wurde. Sie wusste wie wichtig der Zusammenhalt in ihrer Abteilung war. Hartmut war ebenfalls aus der KTU herüber gekommen und biss genüsslich in ein Brötchen, während Jenni die dritte Kanne frisch gekochten Kaffee brachte. Auch Frau Krüger gönnte sich ein Croissant, verschwand dann aber wieder in ihrem Büro.


    „Sagt mal Kollegen, wie ist denn der Stand der Dinge. Habt ihr keine Ahnung wo sich der Tierarzt und der Pferdehändler aufhalten könnten?“, fragte Ben. „Wir beide hätten ein sehr persönliches Interesse die beiden auf der Anklagebank und dann für lange Zeit hinter Gittern verschwinden zu sehen“, bemerkte Semir. Eigentlich waren die beiden ja nicht die ermittelnden Beamten und persönlich involviert, darum würde man ihnen offiziell den Fall auch nie übertragen, aber wenig später hatte Jenni die Akten an ihrem PC aufgemacht und Semir und Ben studierten Vernehmungsprotokolle und andere Unterlagen.

    „Wo würdet ihr euch in deren Situation verstecken?“, fragte Ben nachdenklich, während er unauffällig die Akte wieder schloss, bevor Frau Krüger etwas bemerkte. Was er sich aber gemerkt hatte, war die Kontaktadresse der Tierarztfrau und nach einer herzlichen Verabschiedung machten die beiden Freunde noch einen „Besuch“ bei der Familie. Die Frau wohnte jetzt komplett bei ihrem Sohn und das Anwesen des Tierarztes stand aktuell leer.


    Die beiden hatten keinen Plan was sie sagen sollten, wurden aber freundlich von der Frau begrüßt und in ein gemütlich eingerichtetes Wohnzimmer in dem kleinen Reihenhäuschen gebeten. „Ich nehme an sie sind die beiden Beamten die durch die Verfehlungen meines Mannes so schwer verletzt wurden“, kombinierte die sympathische Frau und nahm ihren kleinen Enkelsohn auf den Schoß. „Ich kann ihnen gar nicht sagen wie nahe mir das geht und wenn ich irgendetwas machen könnte um das Leid, das er über so viele Familien gebracht hat, zu mildern, dann würde ich das tun. Wir hatten uns schon lange auseinander gelebt, aber ich mache mir auch Vorwürfe, dass ich seine Drogensucht nicht wahrhaben wollte. Wenn ich ihn rechtzeitig angezeigt hätte, könnte vielleicht der Familienvater noch leben und sie müssten ebenfalls keine Schmerzen aushalten“, bedauerte sie, denn sie hatte Ben´s Hinken sofort bemerkt und wie vorsichtig Semir nach dem angebotenen Wasserglas gegriffen hatte, von den deutlich sichtbaren frischen Narben an den Unterarmen ganz abgesehen. „Das kann jetzt leider niemand mehr ungeschehen machen, aber uns und ich denke auch, vor allem der Familie des Mordopfers, würde es helfen ab zu schließen, wenn ihrem Mann und seinem Kompagnon ein ordentlicher Prozess gemacht werden könnte. Haben sie denn gar keine Ahnung, wo die beiden sich verstecken könnten?“, fragte Semir und war ganz überrascht, als die Frau langsam nickte.


    „Ich habe keinerlei Beweise und die Familie meines Mannes in der alten Heimat mauert auch und behauptet, sie hätten seit Monaten nichts mehr von ihm gehört. Ich habe aber auch noch Kontakte und eine alte Freundin in Hermannstadt glaubt, dass sie vor einigen Wochen, direkt nach dem Verschwinden der beiden, meinen Wagen mit dem deutschen Kennzeichen dort kurz gesehen hat. Sie hat sich daraufhin weiter umgeschaut, konnte aber nichts mehr entdecken. Ich habe auch zur Familie meines Mannes wenig Kontakt, denke aber er hat sich irgendwo in den Karpaten versteckt, meines Wissens hat da sein Cousin eine Jagdhütte. Ich weiß nicht was er den Verwandten erzählt hat, jedenfalls bin ich wohl nicht so gut weg gekommen und gerade bei uns Siebenbürger Sachsen ist ein großer Familienzusammenhalt. Es sind auch alles nur Vermutungen, ich wollte deswegen nicht zur Polizei gehen, aber wenn sie mich jetzt so direkt fragen...“, teilte die Frau ihnen mit und wenig später hatten die beiden Freunde eine ganze Liste mit Namen und Kontaktadressen in Rumänien.
    „Wie verkaufen wir das jetzt unseren Frauen, dass wir nach Transsylvanien, ins Land der Vampire reisen wollen?“, fragte Ben nachdenklich, aber Semir grinste. „Ich habe da so eine Idee!“



    Jake beschäftigte sich mit den Pferden seines Arbeitgebers und dank seines profunden Wissens und der großen Erfahrung mit diesen Tieren, gingen die nach kurzer Zeit problemlos in den Hänger und waren alle gut händelbar, wodurch natürlich der Verkaufswert stieg. Nachdem sein Arbeitgeber auch fest gestellt hatte, dass der junge Mann in kürzester Zeit rohe Pferde zureiten konnte, durfte er das noch zusätzlich machen, ohne dass er natürlich weniger misten musste und er verdiente auch nur wenige Lei mehr deshalb. Er hatte kaum Freizeit, aber die verbrachte er zu gleichen Teilen mit seiner Familie und dem kleinen Joseph, der ihm immer noch nicht gefiel und mit seinem Pferd. Die größte Freude konnte er dem kleinen Jungen machen, wenn er ihn warm eingepackt vor sich auf den nackten Pferderücken setzte und mit ihm eine Runde ausreiten ging. Danach schlief der Kleine immer lange und aß auch etwas besser, aber er blieb ein Sorgenkind. Jake musste auch immer an die junge Schwester denken, aber die war ja vergeben und er würde sich nie in eine Beziehung einmischen, da war er Ehrenmann.


    Die Welpen wuchsen und hatten inzwischen die Augen und Ohren offen. Mehrfach war Ben mit Sarah und den Kindern schon dort gewesen und die waren ebenfalls entzückt und wurden von der kleinen Hundebande, die jetzt bereits laufen und spielen konnte, jedes Mal begeistert begrüßt. Der kleine Welpe den sie reserviert hatten, kuschelte abwechselnd mit der ganzen Familie und alle waren heiß verliebt. „Papa wie lange dauert es denn noch, bis wir ihn endlich nach Hause hole dürfen?“, fragte Tim, aber die Züchterin erklärte, dass das schon noch ein paar Wochen dauern würde. „Das sind große Hunde die später reifen und werden erst mit 12 Wochen abgesetzt. Es werden dann alle an einem Tag abgeholt, aber ihr habt ihn dann ja viele Jahre“, tröstete sie den Jungen mit den braunen Locken und der nickte verständig.


    Nur bei den Ponys kamen sie nicht voran. Die waren zwar nicht böse, aber sie machten was sie wollten, fühlten sich sichtlich wohl in ihrem Domizil, aber sahen nicht ein, dass sie sich ein Halfter anlegen und sich führen lassen sollten. Sarah probierte ihr ganzes Repertoire aus, aber mehr als einmal spielten die Pferdchen mit ihr das lustige Spiel: Fang das Pony- und wenn es ihr gelungen war eines in eine Ecke zu treiben und einen Strick um den Hals zu legen, wurde sie manchmal mit geschleift, oder alternativ stand das bockige kleine Füchschen dann wie angeschraubt, es war zum Verzweifeln! Nur die Versorgung war dank der modernen Technik wirklich völlig problemlos und Hildegard, die ja ebenfalls Tiere liebte, hatte sich bereit erklärt die Ponys auch mal zu pflegen wenn sie weg wollten. „Ich kann zuhause ja auch einen Staubsauger bedienen, das ist hier nichts anderes und die mit Elektromotor betriebene Schubkarre kostet gar keine Kraft- nein das macht sogar Spaß“, hatte sie erklärt und irgendwie war das schön zu wissen, dass sie auch mal alle miteinander wegfahren konnten.
    Semir hatte inzwischen seine Fühler ausgestreckt und als die Herbstferien nahten, hatte er seiner und Ben´s Familie einen Vorschlag zu machen.

  • „Wie wäre es mit Salzburg?“, fragte Semir augenzwinkernd, als sie sich im Garten der Gerkhan´s zum gemeinsamen Grillen beider Familien trafen. Sarah sah ihn mit gerunzelter Stirn an. „Ich war schon mal in Salzburg, das ist freilich eine schöne Stadt in Österreich mit tollen Kirchen, Häusern und Museen und sogar einer Feste auf die wir damals mit der Zahnradbahn rauf gefahren sind, aber ich glaube nicht, dass unsere Kinder da Spaß hätten. Dafür sind die fast noch zu klein, ich hätte lieber ein schönes Hotel mit Pool und Kinderbetreuung, auf jeden Fall was mit viel Wasser, denn alles andere von der schönen Landschaft über den Erlebnisbauernhof haben wir zuhause“, antwortete sie ehrlich und nun musste auch Andrea schmunzeln.
    Ayda und Lilly beschäftigten sich derweil mit Tim und Mia – Sophie, die waren für sie fast wie kleine Geschwister und die beiden fanden immer Spiele, die allen gefielen. Aktuell war das große Trampolin aktuell und es wurde lachend und kreischend gehüpft, bis die Kleinen kichernd am Boden lagen und dort noch aus gekitzelt wurden.


    „Na immerhin gibt es dort auch die Alpen und jetzt im Herbst bergwandern, stelle ich mir schon ganz schön vor. Dann Einkehr auf einer urigen Hütte, so richtig zünftig mit Kaiserschmarrn und Obstler, so ganz verkehrt klingt das gar nicht“, spann nun Andrea den Faden weiter, aber ihr Mann schüttelte lächelnd den Kopf. „Wenn ich euch jetzt sage, dass wir dort, wo wir hinfahren möchten – natürlich nur wenn ihr einverstanden seid - bis in den November hinein im Freien schwimmen können und es ist kein beheizter Pool, die Berge rund herum sind wildromantisch und die Burgen voller schauriger Geheimnisse, dazu gibt es Salzbergwerke die man besichtigen kann und für unsere schmerzenden Gräten und angeschlagenen Lungen Kuranwendungen in heilendem Salzwasser und das Ganze noch dazu äußerst preisgünstig, was würdet ihr dazu sagen?“ und Andrea und Sarah sahen sich überrascht an. Was für eine neue Seite, normalerweise wollten ihre beiden Männer mit medizinischen Dingen so wenig wie möglich zu tun haben und lieber gemeinsam ihren Job machen und Verbrecher auf der Autobahn stellen.

    „Wenn wir uns jetzt Mühe geben, um möglichst schnell gesund zu werden, dann können wir sicher ziemlich bald wieder arbeiten. Auch das ist ein Grund warum wir nach Salzburg fliegen sollten. Fliegen müssen wir deshalb, weil ich nicht das Salzburg in den Alpen meine, sondern einen Kurort gleichen Namens in den rumänischen Karpaten. Dort gibt es ein Viersternehotel, das ist so günstig, da kriegen wir hier nicht mal eine Frühstückspension dafür. Gerade zu Beginn unserer Herbstferien werden sehr günstige Flüge angeboten und mit zwei Mietwagen dazu, kostet das dennoch kaum mehr als ein Einfachurlaub in den Alpen. Was sagt ihr?“, ließ Semir die Bombe platzen und danach begann eine angeregte Diskussion, Handys und Tablets wurden gezückt, Bilder angeschaut und wenig später stand fest, dass die gemeinsame Reise diesmal nach Rumänien gehen würde.


    „Wie bist du denn auf diese doch etwas exotische Idee gekommen?“, fragte Andrea erstaunt und Semir erläuterte, dass ein ehemaliger Kollege, ein Siebenbürger Sachse, der inzwischen nach seiner Pensionierung wieder in der alten Heimat lebte, ihm ständig davon vor geschwärmt hatte. „Früher dachte ich dann immer, wer will denn in die Berge und in ein Kurbad? So ein Urlaub ist nur etwas für alte Leute mit Gicht und Ischias, aber inzwischen denke ich da anders drüber, gerade wenn es bei mir überall zwickt und zwackt. Und im Sommer können wir ja wieder ans Meer in die Türkei, aber für diese zwei Wochen ist das einen Versuch wert, diese warmen salzigen Quellen sollen Wunder wirken, der Salzgehalt ist höher als im Roten Meer. Ich habe Erhardt schon angerufen, der freut sich darauf, uns seine Heimat ein wenig zu zeigen und wegen der Verständigung – dort gibt es relativ viele Leute im Service, die Deutsch sprechen, außerdem haben wir ein Handy und ich habe mir sagen lassen, dass Rumänisch eng verwandt mit dem Italienischen ist. „Oh das wusste ich nicht, aber ich habe lange Jahre Italienisch gelernt und freue mich darauf das wieder zu sprechen“, warf Sarah ein und so wurden, nach Rücksprache mit Hildegard, die derweil den heimischen Zoo übernehmen würde, noch gleich die Flüge und das Hotel gebucht und der Abreise am kommenden Samstagmorgen stand nichts mehr im Weg.



    Jake war erneut nur knapp mit dem Leben davon gekommen, als der rücksichtslose Typ aus der Berghütte sinnlos rum geballert und ihn beinahe vom Pferd geholt hätte. Nachdem er sich etwas beruhigt hatte, überlegte er kurzfristig hin zu reiten und ihn sich zur Brust zu nehmen, aber der war mit einer Schusswaffe bewaffnet, während Jake nur sein geliebtes Messer dabei hatte. Es war sinnlos und zu den Behörden brauchte er auch nicht zu gehen, wer eine Jagdhütte hatte, war begütert und leider konnte man sich in ihrem armen Land fast jede Gefälligkeit kaufen, auch von Staatsbediensteten und Polizei. Jake und seine Familie waren nicht reich und außerdem hatte er andere Sorgen, denn dem kleinen Joseph ging es erneut deutlich schlechter, er hatte keinen Appetit, wieder Fieber und war völlig kraftlos und blass. Was sollte er nur tun, um seinem geliebten Neffen zu helfen?

  • Rasch war der Samstag gekommen und kurz entschlossen hatten die beiden Urlauberfamilien einen Kleinbus gemietet, um mit dem nach Dortmund zu fahren, denn von dort wurden Direktflüge nach Sibiu angeboten. Nach zweieinhalb Stunden im Flieger, wurden sie in Hermannstadt bereits von dem Exkollegen Erhardt erwartet und auch die beiden Geländewagen standen für sie bereit. Nach einer herzlichen Begrüßung durch den Siebenbürger Sachsen, der seine Pension in der alten Heimat genoss, fuhr der voraus zu ihrem Zielort Salzburg, das nur 14 km entfernt lag.

    Gut - das Hotel hatte trotz seiner Sterne schon bessere Tage gesehen und verströmte eher Ostblockcharme, aber die Begrüßung war herzlich und die Dame am Empfang sprach Deutsch. Die Zimmer waren aber sauber und voll in Ordnung und der Pool und die Wellnessoase ließen keine Wünsche offen.

    Auch wenn es im Oktober normalerweise zu kalt war um draußen zu baden, sah man in den warmen Salzseen Menschen schwimmen und nachdem die Kinder nicht mehr zu bremsen waren, waren nach einem kleinen Nachmittagssnack beide Familien inclusive Erhardt bald im Wasser. Obwohl gerade Andrea erst zweifelnd geschaut hatte, denn klar war das Wasser nicht, fühlte es sich an wie ein Bad im Meer, der Auftrieb war enorm und Tim und Mia – Sophie paddelten mit ihren Schwimmpuffern wie kleine Fische durch das warme Wasser. „Ah – ich merke schon wie gut das Salz meinen alten Knochen tut“, schwärmte Semir und Ben und er bemerkten durchaus die verstohlenen Blicke der Mitschwimmer, die die frisch verheilten und noch roten Narben der beiden Männer musterten.


    Bald wurde Wasserball gespielt und die Kleinen tobten sich aus und fielen am Abend nach einem herrlich schmackhaften Buffet, das keine Wünsche offen ließ, in ihre Betten, während die Gerkhantöchter ihre Handys rausholten und dank freiem W - lan begannen, mit den Freundinnen in der Heimat zu chatten und den Fernseher in ihrem Zimmer mit internationalen Kanälen einschalteten. Die Familien hatten zwei nebeneinander liegende Suiten gebucht, Sarah ließ sich an der Rezeption ein Babyphon geben und so konnten die Erwachsenen den Abend bei angeregten Gesprächen in der Bar ausklingen lassen. Als sie gegen zehn alle todmüde ihre Zimmer aufsuchten und auch Erhardt den Heimweg antrat, waren sich alle einig – das war eine gute Idee mit dem gemeinsamen Urlaub.



    Am folgenden Tag hatten Semir und Ben einen Ausflug in die Karpaten geplant. Das Schloss Bran, das als Draculaschloss vermarktet wurde und seit 2006 wieder im Besitz der Habsburger war, lag zwar ein wenig entfernt, aber alleine die Fahrt dorthin zeigte eine wundervolle und wildromantische Gegend. Erhardt, der bei den Gerkhan´s mitgefahren war, übersetzte die Ausführungen der Führerin ins Deutsche und so erfuhren alle geschichtliche Hintergründe. Auch wenn Graf Dracula ja nur eine Romanfigur war, hatte er einen grausamen Herrscher als Vorlage und darüber gab es viele Geschichten, aber gerade die Kleinen waren erst fasziniert und dann müde. Sie aßen in einem netten Restaurant zu Mittag und Sarah freute sich, dass sie sich dank ihrer Italienischkenntnisse tatsächlich mit der Bedienung verständigen konnte. Auf dem Spielplatz vor dem Lokal tobten die Kleinen sich dann noch aus, bevor sie auf der Heimfahrt in ihren Kindersitzen einschliefen.


    Auf der Rückfahrt sagte Sarah: „Das war jetzt ein netter Ausflug in die Kultur dieses Landes, aber morgen würde ich ehrlich gesagt gerne im Hotel bleiben, ein paar Wellnessanwendungen nehmen und einfach ausspannen“, und Ben musste innerlich grinsen, während er verständnisvoll zusagte – ihr Plan funktionierte.
    Auch Andrea und die Mädchen waren sehr angetan von dem Plan, den nächsten Tag zu chillen und sich verwöhnen zu lassen, nur Semir und Ben behaupteten, sie müssten sich zumindest ein paar Stunden in den Bergen austoben, um wieder zu ihrer alten Form zu finden und Erhard wollte auch mitkommen.


    Nach dem leckeren Frühstücksbuffet, bei dem Ben zuschlug, als würde er die nächsten Wochen nichts mehr kriegen, starteten die drei Männer in einem der Geländewagen, während die Frauen heute schworen, die kuscheligen weißen Bademäntel nur zum Essen aus zu ziehen.
    Im Wagen machten die Polizisten vor ihrer Abfahrt eine Lagebesprechung. Sie trugen funktionale Outdoorkleidung und Trekkingstiefel und hatten auch gar kein schlechtes Gewissen ihren Frauen gegenüber, denn so ganz gelogen war es ja nicht - sie würden sich in den Bergen umsehen. Erhardt hatte in den letzten Tagen in Sibiu seine Ohren auf gehalten und viele Siebenbürger Sachsen kannten sich untereinander. So war ihm bestätigt worden, dass vor einigen Wochen ein älterer Corsa dort in dem Viertel gesehen worden war, aber als er sich vorsichtig an der von der Tierarztfrau angegebenen Adresse umgesehen hatte, war dort keine Spur zu finden gewesen. Freilich könnte der in irgendeiner Garage versteckt sein, aber zunächst würden sie jetzt zu der Berghütte fahren, von der berichtet worden war. Ganz normale Polizeiarbeit eben.

  • Jake verbrachte heute seinen einzigen freien Tag in der Woche. Am Morgen hatte seine Schwester ihm sorgenvoll berichtet, dass sein kleiner Neffe in der Nacht wieder hoch Fieber gehabt hatte und gar nichts essen wollte. Nur mit Mühe hatte sie wenigstens ein süßes Getränk in den Kleinen hinein gebettelt und jetzt schlief er schon wieder, außerdem beunruhigte sie eine Art punktförmiger Ausschlag an seinem ganzen Körper, der aber anscheinend nicht juckte.


    „So kann das nicht bleiben! Ich gehe jetzt noch ein wenig mit meinem Hengst ausreiten, der ist die ganze Woche viel zu kurz gekommen und du packst Sachen für dich und den Kleinen zusammen. Wenn ich zurück bin, fahren wir in die Klinik. Ich kann nicht glauben, dass das nur ein Infekt ist. Diesmal werde ich nicht eher ruhen, bevor Joseph nicht ordentlich behandelt ist“, beschloss Jake und seine Schwester nickte dankbar. Ihr Mann war schon ein paar Tage auf Montage und sie war völlig verunsichert und hatte auch ein wenig Angst vor dem Arzt in der Klinik. Jake hoffte, dass die nette Schwester und nicht der Drache Dienst hatte, die hatte anscheinend eine eigene Meinung und würde ihnen sicher weiterhelfen. Er würde ja auch in ein anderes Krankenhaus fahren, aber wohin? Wenn man sich in medizinischen Dingen so gar nicht auskannte, war das schwierig. Also sattelte er sein braves Pferd, das fröhlich schnaubte und ritt bergan in die Wildnis.


    Semir, Ben und Erhardt hatten den Wagen im Tal abgestellt. „Hier muss es zu der Berghütte gehen. Man kann da wohl auch hochfahren, aber ich glaube wenn wir uns als Wanderer tarnen, ist das unauffälliger. Außerdem wollen wir unsere Frauen ja auch nicht komplett anlügen, ein wenig Fitnesstraining tut uns allen gut und später lassen wir uns dann noch im Hotel verwöhnen, so eine Salzschlammmassage muss sich wunderbar anfühlen“, plante Semir. Ben humpelte zwar immer noch ein wenig, aber er durfte voll belasten und ehrlich gesagt stellte der ausgebaute Weg auch keine große Herausforderung dar. „Laufen auf unebenem weichen Boden ist sogar besonders gut für mich und du kannst ja unterwegs einen Herbstblumenstrauß für Andrea pflücken - so wegen der Feinmotorik in den Händen!“, flachste Ben, der noch dazu mit Trekkingstöcken lief und so kamen sie die nächste Stunde gut voran. Plötzlich dröhnten nicht weit entfernt ein paar Schüsse und die drei zuckten zusammen. „Das war ein Jagdgewehr, aber was schießt man denn um diese Tageszeit?“ , fragte Semir und Erhardt fiel sofort eine Antwort ein. „Hier in den Karpaten gibt es alles an Wild, aber auch Wölfe, Bären und Luchse, wobei die jetzt eigentlich nicht hungrig sein dürften“, überlegte er laut und seine Begleiter erstarrten einen Moment. „Sag mal, konntest du uns das nicht vorher sagen, oder hast du wenigstens eine Pistole dabei?“, fragte Semir, aber Erhardt schüttelte den Kopf. „Seit meiner Pensionierung habe ich keine Waffe mehr in der Hand gehabt, ich bin Privatier, falls ihr das vergessen haben solltet“, bemerkte er und schweigend gingen die drei nun weiter, musterten aber dabei vorsichtig ihre Umgebung.

    „Falls das der Tierarzt oder sein Komplize sein sollten, die da in der Gegend rum ballern, sollten wir vielleicht den Weg verlassen und uns an die Hütte anschleichen, wer weiß was uns erwartet“, überlegte dann Ben und so pirschten sie sich den letzten Kilometer bergan in Deckung an die Jagdhütte heran. Die Schüsse waren nicht ganz nah gefallen und so kamen sie überein, zunächst das kleine hübsche Holzhaus in Augenschein zu nehmen.
    „Wir sind immerhin zu Dritt und können so die Gegend im Auge behalten. Außerdem sind wir ja nur harmlose Wanderer“, überlegte Erhardt, aber darauf erwiderten die beiden aktiven Polizisten nichts. Sowohl der Tierarzt als auch sein Komplize würden Ben erkennen und der Händler auch Semir. Wenn sie entdeckt wurden, würde es zur Konfrontation kommen. „Uns sind hier im Ausland eh die Hände gebunden, ich würde vorschlagen, falls wir die beiden entdecken, nehmen wir Kontakt mit der Krüger auf, die soll dann auf ganz offiziellem Weg um Amtshilfe bitten und wir passen hier derweil auf, dass die nicht abhauen“, schmiedete Semir einen Plan und seine beiden Begleiter nickten.


    Inzwischen hatten sie sich der Hütte mehr und mehr genähert. Es war alles ruhig. Kein Laut außer dem Zwitschern der Vögel war zu hören. Direkt neben dem Häuschen war ein kleiner nach vorne offener Anbau und als sie genau hin sahen, konnten sie darin den gesuchten Corsa erkennen. „Bingo - wir hatten Recht mit unserer Vermutung. Der Wagen hat zwar ein rumänisches und kein deutsches Nummernschild, aber das wäre schon zu viel der Zufälle, wenn das nicht das Auto der Tierarztfrau wäre. Farbe und Modellreihe stimmen, so einfach ist es also mit ein bisschen Schmiergeld in Europa unter zu tauchen!“, bemerkte Ben nun im Flüsterton und die anderen beiden nickten. „Ich würde sagen, ich pirsche mich jetzt mal an und sorge dafür, dass mit diesem Wagen in nächster Zeit keiner abhaut – ich denke vier platte Reifen dürften dafür genügen“, verkündete Ben und während er fast mit der Umgebung verschmolz, huschte er jede Deckung wahr nehmend, zu dem Carport und die beiden anderen konnten dann aus der Entfernung sehen, wie das Fahrzeug kleiner und kleiner wurde.


    Ben´s Sinne waren hochgradig geschärft. Er bewegte sich fast lautlos und spähte nun vorsichtig bei einem der Fenster hinein. Er hoffte, dass die Bewohner der Hütte das Zischen nicht gehört hatten, als er die Luft aus den Reifen gelassen hatte. In jedem der vier Ventile steckte ein Metallstück – nur gut , dass ein paar Schrauben und Nägel herum gelegen hatten. Ben´s Augen brauchten einen Moment, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, aber dann sah er, dass er in eine kleine leere Küche blickte. Gebückt schlich er zum nächsten Fenster- aha das war das Bad. Seine Aufregung stieg und er verschmolz regelrecht mit der Umgebung, als er sich vorsichtig ein wenig aufrichtete, um zum nächsten Fenster hinein zu schauen. Schnell duckte er sich wieder, denn auf einem gemütlichen Sofa lag der Tierarzt, der allerdings hager und eingefallen war. Allerdings war dessen Blickrichtung eine andere und als Ben nun erneut vorsichtig in das nette Wohnzimmer spähte, konnte er beobachten, wie der Mann sich selber eine Spritze setzte, was immer das auch war. Er spritzte sich in die Leiste und hatte dazu die Hose halb herunter gelassen. Der Arm den Lucky erwischt hatte, hing einfach so herunter und war in dicke Verbände gehüllt. Mit jedem anderen hätte Ben vielleicht Mitleid gehabt, aber wenn er daran dachte, wie der Tierarzt und sein Kumpan ihm, seinem Hund und auch den Ponys zugesetzt hatten, verschoben sich die Gefühle eher Richtung Zorn und Hass. Auch die Familie des getöteten Radlers fiel ihm ein und nicht zuletzt die Ehefrau, die Kinder und Enkel dieses gewissenlosen Mannes. Recht geschah es ihm, sollte er doch vor Schmerzen schreien oder elendiglich verrecken, aber seine größte Genugtuung wäre eine lebenslange Haftstrafe in einem Gefängnis!

  • Zufrieden musterte der vormalige Pferdehändler seine Beute. Heute würde es Hasenragout geben. Zu dumm, dass der Tierarzt nur noch einen gesunden Arm hatte, so würde er wohl oder übel den toten Hasen selber ausziehen und zerlegen müssen, dabei wäre das doch eigentlich seinem Komplizen angestanden, der beherrschte den Umgang mit einem Skalpell oder anderen scharfen Messern sicher besser als er. Aber genauso wie er schießen gelernt hatte, hatte er sich das inzwischen an geeignet.

    Fast liebevoll strich er über den Lauf der Jagdwaffe, nie hätte er gedacht, dass ihm etwas so viel Spaß machen würde. Die Spannung erst ein Tier zu beobachten, dann an zu legen und zu sehen wie es tödlich getroffen umfiel, war mit keinem anderen Nervenkitzel zu vergleichen. Töten machte ihm Spaß, es war ja auch eine absolut männliche Beschäftigung und außerdem liebte er Fleisch.

    So öffnete er mit seinem scharfen Jagdmesser die Kehle des Hasen und ließ ihn ausbluten, packte ihn dann bei den Läufen und trug ihn Richtung Jagdhütte.


    Als er kurz davor war, beschlich ihn ein warnendes Gefühl und so verließ er den befestigten Weg und schlich sich durchs Unterholz näher. Er hatte mehrmals ein merkwürdiges Zischen gehört, das er sich nicht erklären konnte. Plötzlich sah er, dass ein Mann sich gerade vorsichtig auf richtete und dann durch das Fenster zum kleinen Wohnzimmer spähte. Lautlos näherte er sich, den Hasen hatte er zuvor im feuchten Gras abgelegt. Auch wenn er es fast nicht glauben konnte, aber den dunkelhaarigen schlanken Mann kannte er - das war dieser Ben Jäger, der Polizist, der die Ponys gekauft hatte und den er gedacht hatte, erledigt zu haben. Ihn erfasste eine unbändige Wut. Wie auch immer dieser Typ es geschafft hatte, ihren Aufenthaltsort ausfindig zu machen, er würde dafür büßen! Dass er den Angriff in der Box des Kaltbluts überlebt hatte, grenzte sowieso an ein Wunder, aber jetzt würde er einen Schlusspunkt setzen und die Leiche anschließend in einem der vielen tiefen Salzstollen der Umgebung verschwinden lassen. Im Augenblick war es ihm auch egal, ob der Dunkelhaarige alleine gekommen war. Falls er Begleiter hatte, würde er die einfach nacheinander umlegen und ebenfalls entsorgen. In den Karpaten war schon so mancher spurlos verschwunden, es gab noch Wölfe und Bären und mit ein paar Beziehungen, die sein Tierarztkumpan zweifellos hatte, konnte man auch die Behörden ruhig stellen, das Bestechungsgeld musste nur angemessen sein.



    Jake hatte mit seinem Hengst einen wunderbaren innigen Ausritt gehabt. Sie waren regelrecht zu einem einzigen Wesen, einem Pegasus, verschmolzen. Jake dachte nur etwas und sein hochgradig sensibles Pferd schien seine Gedanken lesen zu können und führte aus, was ihm in den Sinn kam. Jake gab sicher unbewusst feine Signale, aber für ihn war es, als hätte er vier Beine und eine unbändige aber völlig gutartige Kraft. Mal auf den Wegen, mal abseits davon kletterten sie bergauf und bergab oder flogen im Galopp durch die wunderbare Wildnis der Karpaten und waren Teil der Natur.

    Langsam machte er sich auf den Rückweg und begann sich schon auf seine nächste Aufgabe gedanklich vor zu bereiten. Jetzt ging es um seinen Neffen und diesmal würde er beharrlich sein und sich nicht von dem Arzt im Krankenhaus abweisen lassen. Der Kleine hatte nicht nur einen Infekt, wie man zunächst geglaubt hatte, da musste gründlicher nach geschaut werden.


    Er näherte sich jetzt der Jagdhütte an der er schon öfter vorbei gekommen war. Zwei Männer wohnten da seit einiger Zeit, aber bisher hatte das Jake wenig interessiert, leben und leben lassen war seine Devise. Er war nicht auf dem Weg unterwegs, sondern kam seitlich von einer Lichtung, als er plötzlich etwas aufblitzen sah. Sofort parierte er nur mittels Körpersprache seinen Hengst durch, der ruhig stehen blieb und versuchte heraus zu finden, was er da aus dem Augenwinkel gesehen hatte. Einer der Männer, die in der Hütte wohnten, legte gerade mit einer Jagdwaffe auf ein Ziel bei der Hütte an und als Jake seinen Kopf ein wenig wandte, sah er einen dunkelhaarigen Mann dort beim Fenster hinein spähen. Auch wenn das vielleicht ein Einbrecher war, aber deswegen konnte der Typ den doch nicht so einfach abknallen! Jake hatte durch seine Tätigkeit in der Westernstadt Erfahrung mit Waffen und der Jäger schräg vor ihm zielte eindeutig auf den Kopf des Dunkelhaarigen - um Himmels Willen, gleich würde er Zeuge eines kaltblütigen Mordes werden!

  • Semir und Erhardt hatten ebenfalls Ben beobachtet. Leider wurde der Blick auf den Pferdehändler durch die Silhouette des Hauses verdeckt, so bemerkten sie nicht, wie der auf Ben anlegte – und sogar wenn – was hätten sie ohne Schusswaffe aus der Entfernung dagegen tun können, außer vielleicht zu versuchen, ihren Freund zu warnen? Ben hatte genug gesehen, richtete sich neben dem Fenster, von innen unbemerkt, zu voller Größe auf und wollte gerade zu seinen Freunden zurück kehren, da geschahen mehrere Dinge gleichzeitig.
    Ein Schuss krachte, zwei Schmerzensschreie ertönten und der Dunkelhaarige brach zusammen.


    Jake hatte nicht lange überlegt, sondern seine Hand war wie selbstverständlich zur Messerscheide an seiner Seite geglitten. Es war in der Wildnis immer wichtig, sich mit irgendetwas zu bewaffnen, denn Wölfe, Bären und anderes Getier, tummelte sich in den Karpaten. Allerdings sah man hier wieder – das gefährlichste Säugetier auf Gottes Erdball war immer noch der Mensch, denn der tötete nicht ausschließlich, um satt zu werden, oder sich zu verteidigen, sondern aus völlig anderen Motiven. Die waren Jake prinzipiell egal, aber er würde nicht Zeuge eines Mordes werden, ohne zumindest zu versuchen, ein zu greifen. Das Messer lag wie selbstverständlich in seiner Hand und gerade als sich der Finger des Schützen um den Abzug krümmte und Ben, der ein hervorragendes Ziel bot, wenig später tot gewesen wäre, warf er das Messer, das wie ein silberner Pfeil durch die Luft schoss. Langjährige Übung befähigte ihn ein Ziel genau zu treffen, denn sein Job in der Westernstadt war Messerwerfer gewesen und er schaffte es sogar mit verbundenen Augen die Klinge zielgenau zu lenken. So traf das Messer den Schützen am Oberarm und blieb in diesem stecken, woraufhin dieser die Waffe, die genau auf den Kopf des dunkelhaarigen Polizisten gerichtet gewesen war, verriss, ihn aber wohl doch traf, wie der Schrei vermuten ließ.


    Jake hätte bei seiner Routine den potentiellen Mörder durchaus auf der Stelle umbringen können, aber er wollte ihn nur entwaffnen und unschädlich machen, deshalb hatte er auf den rechten Arm gezielt. Der Pferdehändler heulte auf, überrascht und für den Augenblick vor Schmerz handlungsunfähig, aber schnell hatte er sich wieder gefangen und zog im Reflex das Messer aus seinem Arm. Die Schusswaffe allerdings war ihm entglitten und bevor er sie wieder ergreifen und sein böses Werk zu Ende bringen konnte, hatte Jake seinem Hengst signalisiert, auf den Schützen zu zu galoppieren. Der besah sich fast ungläubig das Messer, aber die Wut und das Adrenalin ließen ihn seinen Schmerz vergessen und er wollte es gerade gegen den berittenen Angreifer richten und diesen und das Pferd am besten gleich mit erledigen, da warf sich Jake im Hechtsprung vom galoppierenden Pferd auf den Pferdehändler und hatte ihn Sekunden später entwaffnet und mit nach hinten gebogenen Armen bäuchlings auf dem Waldboden fixiert. Nie hatte er gedacht, dass er die Stuntreiterei, das Messerwerfen und seine allgemeine Fitness, verbunden mit Mut und Gerechtigkeitssinn einmal derart im realen Leben brauchen würde. Die Bewegungsabläufe glichen fast komplett denen in der Showarena, wenn er bei den Westernfestspielen einen Cowboy gemimt hatte und auch sein Pferd war trainiert darauf, ohne Zügeleinwirkung erst ruhig stehen zu bleiben und dann schnell und doch gleichmäßig zu galoppieren, um nach dem Stunt sofort wieder entspannt an der Stelle zu bleiben und nicht in wilder Panik davon zu rennen. Die Rasse Quarterhorse war auch seit Jahrzehnten genau für diese Aufgabe gezüchtet und hatte seine Nerven in Griff. Dazu noch das völlige Vertrauen zu seinem Besitzer. Nun lag der Pferdehändler also da und Semir und Erhardt, die immer noch nicht wussten, was genau sich abgespielt hatte, blickten schreckensstarr zum Haus, wo sich gerade ein Drama abgespielt hatte.

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