Tödliche Storys

  • Anita musterte ihren Patienten aufmerksam. Ihr Blick glitt zur Sättigungsanzeige auf dem Monitor, sie nahm seine leicht blauen Lippen wahr und nachdem sie noch rasch ein Kontrollgas aus dem arteriellen Zugang entnommen hatte, lief sie wieder hinaus, um den Oberarzt zu informieren. Das hier war kein Problem, das ein junger Assistenzarzt beherrschen konnte. Hier würde eine geballte Ladung Fachkenntnis vonnöten sein und gerade der Erfolg der ECMO-Behandlung stieg und fiel mit der Erfahrung der Personen, die damit umgingen. Schnell war die zweite Blutprobe am BGA-Gerät kontrolliert und mit den beiden Ausdrucken trat Anita ins Arztzimmer, wo der Oberarzt sich gerade wieder seufzend seinem Papierkram gewidmet hatte. „Herr Jäger gefällt mir nicht-und die Gase sprechen ihre eigene Sprache!“, sagte sie deshalb schlicht und reichte dem Arzt die Ausdrucke, die der aufmerksam musterte. „Da haben sie völlig Recht, Schwester Anita, ich komme sofort-würden sie bitte den Kardiotechniker dazu holen?“, bat er seine langjährige Mitarbeiterin, die er mochte und schätzte. Wenn die einen Patienten betreute, konnte er sich sozusagen entspannt zurück lehnen, denn wenn eine kritische Situation eintrat, reagierte die aus der Routine heraus sofort und vor allem konnte er zu hundert Prozent sicher sein, dass er informiert wurde. Das war oft eher das Problem seiner jüngeren Arztkollegen-die litten manchmal an Selbstüberschätzung und brachten dadurch Patienten unnötig in Gefahr.


    Er erhob sich also geschmeidig und ging raschen Schrittes in das Zimmer, das er kurz vorher erst verlassen hatte. Dort stand immer noch sein junger Kollege und musterte ein wenig hilflos den Monitor. Er hatte bereits den Sauerstoff höher gedreht, aber trotzdem fiel Ben´s Sättigung kontinuierlich und inzwischen wurde sein Kurzatmigkeit immer deutlicher.
    „Würden sie bitte am PC einen eiligen Thorax eingeben und dann wieder zurück kommen-hier können sie nämlich etwas lernen!“, koordinierte der Oberarzt die Aufgaben und fast im selben Moment standen schon der Kardiotechniker und die ältere Schwester wieder im Raum. Ohne zu diskutieren ging der Assistenzarzt kurz hinaus-hier lag eine Situation vor, die er absolut nicht einschätzen konnte und die Überlegenheit des Oberarztes stand für ihn völlig außer Frage-er hatte nur ein Problem mit dem Pflegepersonal, das er irgendwie nur als unwichtige Hilfskräfte sah und sich innerlich dagegen wehrte, von denen etwas gesagt zu bekommen.


    Semir war inzwischen voller Besorgnis näher zu seinem Freund getreten und hatte ihn angstvoll gemustert. Es stand außer Frage, dass sich dessen Zustand minütlich verschlechterte, so wie er nach Luft rang und seine Lippen blauer und blauer wurden. „Was hat er?“, hatte er den Assistenzarzt gefragt, aber außer den Sauerstoff, der durch die Brille floss, ein wenig höher zu drehen, war dem auch nichts eingefallen. Erst als ihn der Oberarzt nach draußen schickte, um das Röntgen einzugeben, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Verdammt-vermutlich hatte er seinem Patienten bei seinem Rumgebohre einen Pneu gestochen, eine Komplikation, die beim ZVK-Legen jederzeit passieren konnte, gerade bei der Vena Subclavia als Punktionsort und jetzt verfluchte er sich, dass er nicht von selber drauf gekommen war. Nach wenigen Clicks war der Notfallthorax eingegeben und sofort machte sich eine junge Röntgenassistentin mit einer Platte auf den Weg zur kardiologischen Intensiv. Das fahrbare Röntgengerät stand dort bereit, nur bedient werden musste es von Fachpersonal.

    Der Assistenzarzt ging wieder zurück ins Zimmer und dort war der Oberarzt gerade an Ben´s Bett getreten, hatte das Hemd hoch geschoben und war dabei, konzentriert dessen Thorax abzuhören. „Leicht abgeschwächtes Atemgeräusch rechts!“, sagte er dann und sah seinen Kollegen an. „Würden sie bitte ebenfalls auf den Brustkorb horchen?“, fragte er freundlich und sein erfahrener Blick hatte schon den höher gestellten Sauerstoff registriert. Gut-wenigstens hatte der auszubildende Arzt schon etwas unternommen und auch gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Der Assistenzarzt bemühte sich, ebenfalls etwas zu hören und tatsächlich, rechts war das Geräusch der aus- und einströmenden Atemluft leiser. „Was ist ihre Verdachtsdiagnose?“, wurde der junge Doktor nun examiniert, während Ben´s Blick ängstlich von einem zum anderen wanderte. „Pneumothorax rechts?“, erwiderte der mit fragendem Unterton und ein Nicken des Oberarztes bestätigte seine Vermutung. Dann aber wandte er seine Aufmerksamkeit wieder auf ihren Patienten zurück und zur Verwunderung des jungen Doktors hatte er zudem die beiden Blutgasausdrucke wortlos an den Kardiotechniker weiter gereicht, der sie aufmerksam studierte.


    „Herr Jäger-wir sehen, dass sie schlecht Luft bekommen und sind Gott sei Dank durch die ECMO in der Lage, ihnen da sofort Erleichterung zu verschaffen. Im Anschluss werden wir sie röntgen, um unsere Verdachtsdiagnose zu bestätigen und dann besprechen wir das weitere Vorgehen!“, informierte er Ben völlig ruhig und mit einem Lächeln und wandte sich nun dem Techniker zu. „Ich würde sagen, wir erhöhen die Durchflussrate und die Sauerstoffkonzentration!“, sagte der und warf einige Zahlen und Fachausdrücke in den Raum, die für Semir und Ben völlig unverständlich waren und der Oberarzt nickte. Beobachtet vom Assistenzarzt und dem Oberarzt flogen nun die Finger des Kardiotechnikers übers Bedienfeld und nur Sekunden später bemerkte Ben wie seine Luftnot nachließ und sein Freund konnte als erstes Zeichen sehen, dass seine Lippen nicht mehr blau waren.


    Dann stand auch schon die Röntgenassistentin mit ihrer Platte im Raum, man hob den Oberkörper des jungen Polizisten gemeinsam leicht an, schob die harte und kalte Platte unter ihn, stellte das Bett komplett flach und dann wurden alle Anwesenden aufgefordert, das Zimmer zu verlassen. Nachdem sie aufgrund ihrer Erfahrung, Ben´s Körperbau und natürlich erlernten Parametern den Abstand des Röntgengeräts und die Belichtungszeit eingestellt hatte, verließ auch die Radiologieassistentin den Raum, den Auslöser an einem langen Spiralkabel in der Hand und bevor sie sich um die Ecke hinter die Stahlbetonwände vor den Röntgenstrahlen in Sicherheit brachte, rief sie Ben noch zu: „Ausatmen, einatmen, die Luft anhalten-nicht mehr atmen“, und kaum hatte sie auf den Auslöser gedrückt, befahl sie „Weiteratmen!“, und schnell war die Aufnahme geschossen. Gemeinsam hob man den Kranken leicht an, zog die Platte heraus, Schwester Anita sortierte ihre Kabel und man legte Ben wieder bequem auf den Rücken. Dem fielen nun fast die Augen zu, er hatte keine Atemnot mehr und wollte eigentlich nur noch schlafen. Semir hatte neben ihm Platz genommen und egal was die Ärzte nun besprachen-wichtig war, dass es seinem Freund besser ging und das war unübersehbar.


    Die Radiologieassistentin war rasch in die Röntgenabteilung zurück gekehrt, wo die Platte sofort entwickelt und digital eingelesen wurde und Minuten später standen der Oberarzt und sein Assistent vor einem großen Monitor im Intensivflur, der eine hervorragende Auflösung hatte und betrachteten gemeinsam das Röntgenbild. „Und-was sagen sie, Herr Kollege?“, fragte der Oberarzt und der Assistent wies mit dem Finger auf den schwarzen Schatten, der sich oben in Ben´s Brustkorb abzeichnete. „Ich hab ihm einen Mantelpneu gestochen!“, gab er dann zu und der Oberarzt nickte. „Richtig erkannt! Und ich muss noch dazu sagen-das kann immer mal passieren, wenn man einen ZVK legt. Natürlich hat das auch ein wenig mit Übung zu tun, aber auch mir passiert das immer noch gelegentlich. Allerdings ist man dumm, wenn man sich von der heutigen Technik nicht helfen lässt-merken sie sich: Wenn sie ein Sonogerät zur Verfügung haben, dann benutzen sie es auch. Und was würden sie jetzt als Therapie vorschlagen?“, examinierte er dann weiter. Der Assistenzarzt überlegte kurz und sah dann wie sein Vorgesetzter auf das neueste arterielle Blutgas, das Anita inzwischen abgenommen hatte und den Ausdruck jetzt im Vorbeigehen den beiden Ärzten präsentierte. „Der Gasaustausch ist wieder hervorragend-das sind völlig normale Werte!“, sagte er dann verwundert. „Normalerweise bräuchte der Patient jetzt eine Thoraxdrainage, aber vielleicht kann man doch zuwarten, bis er sich von alleine erholt?“, gab er seiner Überraschung Ausdruck und legte seine Gedankengänge dar. „Das mit der Drainage war der richtige Vorschlag!“, sagte nun der Oberarzt. „Allerdings sind wir bei Herrn Jäger ja aktuell in der glücklichen Lage, dass wir nicht nur die Pumpleistung des Herzens mit der ECMO unterstützen können, sondern eben auch den Gasaustausch. Ein Teil lief die ganze Zeit über die Maschine, das dürfen sie nicht vergessen. Unsere Aufgabe-und die des Kardiotechnikers, ist die Funktion dieser Maschine so an den Zustand des Patienten anzupassen, dass er davon profitiert, aber auch seine eigenen Ressourcen ausschöpft. Gerade das Training der Atemmuskulatur und die Lungenausdehnung sind wichtig, denn Herz und Lunge hängen in ihrer Funktion sehr eng zusammen. Deshalb versuchen wir immer möglichst physiologische Zustände herzustellen und dazu gehört keine zusammen gefallene Lungenhälfte. Wir werden ihm also jetzt gemeinsam eine Thoraxdrainage legen!“, bezog er seinen Auszubildenden mit ein und wortlos nickte der Assistenzarzt.


    Schwester Anita war in kurzem Abstand stehen geblieben, nachdem sie das Blutgas abgegeben hatte. Mit geübtem Blick hatte sie das Röntgenbild auf dem Bildschirm gemustert, sofort den Pneu entdeckt dann den Eingriffswagen und ein spezielles Thoraxsaugungssystem herbei geholt und als der Oberarzt und sein Assistent ins Zimmer traten, um Ben über den bevorstehenden Eingriff aufzuklären, waren die Vorbereitungen schon fast abgeschlossen.

  • Bei Elisa war endlich die Isolierung aufgehoben worden und aufatmend strebte sie aus dem Zimmer. Ihre Tochter war ebenfalls aus dem Urlaub zurück, hatte sie auch pflichtschuldig besucht und ihr ein paar Sachen gebracht, sich dann aber wieder ziemlich rasch aus dem Staub gemacht; auf die weinerlichen Vorwürfe ihrer Mutter, die gleich laut geworden war, konnte sie dankend verzichten. Sie wusste schon, warum sie keinen allzu engen Kontakt mehr wollte, seitdem sie erwachsen war und ihr Bruder dachte da genauso darüber. So schlüpfte Elisa mühsam in eine Leggins und ein weites Kunstfasershirt, das noch Platz für die Thoraxdrainage ließ, zog ihre Pantoffeln an und machte sich mit dem Saugbehälter, der auf einem Wägelchen montiert war, damit er nicht umkippen konnte, auf den Weg, ein wenig das Krankenhaus zu erkunden.
    In der Eingangshalle traf sie zufällig auf Natascha, die gerade gemeinsam mit ihrem Freund an der frischen Luft gewesen war. „Hallo-was treibst du denn noch da-na da sind dem Kindchen wohl die Nerven durchgegangen-dir hat doch überhaupt nichts gefehlt, als wir aus dem Keller befreit wurden. Aber das war ja klar, dass sich da jemand in den Mittelpunkt spielen, oder vermutlich in der Nähe ihres Geliebten sein wollte!“, spottete Elisa, die sich noch gut an die Erzählung Natascha´s im Keller erinnern konnte und auch an Sarah´s erschrockene Reaktion darauf. Dieser Jäger war einfach fremd gegangen. So wie der aussah, nahm der doch alles mit, was nicht bei drei auf den Bäumen war und voller Genugtuung gönnte sie Sarah diese Schmach und gleichzeitig verachtete sie diese Kindfrau vor ihr, die vermutlich mit ihrem Bruder gerade ein wenig unterwegs war und seit Tagen das Krankenkassensystem belastete. Der fehlte doch nichts, während sie diejenige war, die es am Schlimmsten erwischt hatte.

    Natascha kämpfte mit sich, ob sie sich gegen die Anschuldigungen wehren sollte, aber dann beschloss sie zunächst, die Frau einfach reden zu lassen. Nur zu gut erinnerte sie sich daran, dass die beiden Grazien im Keller Ben nicht geholfen hatten. „Und wie geht es deinem Liebhaber-lebt er noch, oder ist er schon abgekratzt?“, fragte Elisa dann hämisch, aber jetzt wurde es der jungen Frau doch zu viel. „Erstens ist Ben nicht mein Liebhaber, es stimmt, dass ich in ihn verknallt war, aber jetzt weiß ich, dass er glücklich verheiratet ist und mich nur dienstlich als Informantin benutzt hat und außerdem schwebt er immer noch in akuter Lebensgefahr, aber er wird es schaffen, daran glaube ich fest. Aber sie wissen nicht im Geringsten, was seitdem geschehen ist, sondern reden einfach blöd daher, um mich zu verletzen und sowas ist unterste Schublade!“, warf sie ihrer Kontrahentin an den Kopf, Stefan legte liebevoll den Arm um sie und gemeinsam wandten sie sich von Elisa ab, die für einen Augenblick sprachlos zurück blieb, dann wütend auf schnaubte und mit ihrem Wägelchen weiter fuhr. Was fiel dieser Rotzgöre ein, so mit ihr zu reden! Na warte, das würde die noch büßen, nur fiel ihr im Augenblick nicht ein wie.


    Auf der Intensivstation war inzwischen der Oberarzt zunächst einmal an Ben´s Bett getreten und hatte ihn mit warmer freundlicher Stimme angesprochen: „Herr Jäger-ich weiß, dass sie sehr erschöpft sind und ich verspreche ihnen, sie in Ruhe zu lassen und ihnen ihren Schlaf zu gönnen, wenn die Drainage liegt, aber wie sie vielleicht schon heraus gehört haben, müssen wir jetzt noch einen kleinen Eingriff vornehmen. Ich habe ihre Akten studiert und meine mich zu erinnern, dass sie schon einmal eine Lungenverletzung hatten, die mit einer Thoraxdrainage behandelt wurde, also haben sie-auch wenn es schon eine Weile her ist- bereits eine Vorstellung davon, was wir jetzt machen müssen. Sie bekommen von uns eine örtliche Betäubung seitlich zwischen zwei Rippen gespritzt, dort gehen wir dann mit einem kleinen Schnitt ein und legen einen Drainageschlauch in den Zwischenrippenraum. An den kommt ein Dauervakuum, damit die Luft, die sich dort angesammelt hat, kontinuierlich abgesaugt werden und sich der aktuell zusammen gefallene Lungenflügel wieder entfalten kann. Diese Drainage muss etwa eine Woche liegen bleiben, aber sie ist absolut notwendig-haben sie mich verstanden und sind sie mit dem Eingriff einverstanden, der leider nicht völlig schmerzfrei durchzuführen ist?“, fragte er dann und Ben nickte müde-was hätte er auch sonst tun sollen.


    Während der Assistenzarzt und der Oberarzt Haube und Mundschutz anlegten und sich jetzt die Hände chirurgisch desinfizierten, wies der erfahrene Arzt seinen Assistenten darauf hin: „Reden sie bitte immer mit ihren Patienten, auch wenn die sediert sind. Erklären sie ihnen, was sie machen wollen, das zeugt auch von ihrem Respekt dem Kranken gegenüber. Sie müssen sich immer im Klaren sein-so notwendig ein Eingriff auch sein mag, im Endeffekt begehen sie eine Körperverletzung, die nur deshalb keinen Straftatbestand darstellt, weil der Patient oder sein gesetzlicher Betreuer eingewilligt haben. Nur als absolute Notfallindikation, oder bei einem bewusstlosen Patienten dürfen-oder müssen sie sogar, lebensnotwendige Maßnahmen auch gegen seinen Willen durchführen, aber das ist rechtlich ein sehr schmaler Grat und auch jedes Mal aufs Neue eine Einzelfallentscheidung. Wenn Herr Jäger jetzt nicht an der ECMO wäre, hätte er allerdings massive Atemnot und würde dann vermutlich gerne zustimmen, aber in seinem speziellen Fall sähe er vielleicht keinen Sinn darin, sich einem durchaus schmerzhaften Eingriff zu unterziehen, darum ist es an ihnen als Arzt, ihm die Notwendigkeit dafür nahe zu bringen“, unterwies er den jungen Doktor.


    Schwester Anita hatte derweil mit einem warmen mütterlichen Lächeln und Semir´s Hilfe eine Einmalunterlage, um das Bett zu schützen, unter Ben´s rechte Seite auf Höhe des Oberkörpers gelegt, das Hemd entfernt und ihn leicht auf die linke Seite gedreht. Der Oberarzt überließ ihr die Entscheidung, was sie mit Herrn Gerkhan machen sollten und sie beschloss, dass der starke Nerven hatte, nicht umfallen würde und außerdem seinen Freund seelisch unterstützen konnte. Zudem war es nicht verkehrt, wenn der Ben´s Arm ein wenig nach oben ziehen und auch festhalten könnte und so bat sie ihn: „Herr Gerkhan-würden sie bitte ans Kopfende des Bettes gehen-dann sind sie uns nicht im Weg und ihr Freund hat sie trotzdem ganz nah bei sich!“, bat sie und Semir nahm mit einem Nicken den ihm zugewiesenen Platz ein. Anita legte nun Ben´s Arm nach oben und wies Semir an, den in dieser Position locker fest zu halten.

    Die beiden Ärzte hatten sich inzwischen steril angezogen, der Oberarzt hatte seinem Assistenten die Schüssel mit den Tupfern und dem farbigen Desinfektionsmittel in die Hand gedrückt und ihn gebeten abzustreichen, während er sich die restlichen benötigten Instrumente und die Drainage selbst von Anita anreichen ließ und auf dem Steriltisch ablegte. Gerade wollte er anfangen, da fing er den auffordernden Blick seines Vorgesetzten auf und ein wenig unwillig, denn er fand dieses ganze Gerede ziemlich unnötig, informierte er dann aber dennoch den Kranken. „Herr Jäger, es wird jetzt mal nass und kalt, ich muss ihren Brustkorb desinfizieren!“, sagte er und das beifällige Nicken seines Chefs bestätigte ihn. Ben´s Brustwarzen richteten sich unwillkürlich auf, als das kalte Desinfektionsmittel aufgetragen wurde, aber wenig später war der gesamte rechte Brustkorb bis zur Mittellinie vorne und hinten, nach unten bis zur Taille und oben bis zur Hälfte des Oberarms desinfiziert. Gemeinsam legten die beiden Ärzte das große Klebesteriltuch mit Fenster auf und Ben verschwand fast darunter. „Sie mussten ja sicher bereits Thoraxdrainagen legen-nach welchem System haben sie das bisher gemacht?“, fragte jetzt der Oberarzt und der Lernende erwiderte. „Ich hab es bisher immer mit Trokar gemacht!“ und der Oberarzt nickte. „Dann werden wir es jetzt einmal mit einer Mikrothorakotomie machen-beide Methoden stehen gleichwertig nebeneinander, ich persönlich fühle lieber, wo ich eingehe“, und nun tasteten die zwei Ärzte Ben´s Rippen ab und zählten sich nach unten, um den optimalen Zugangsort zwischen der fünften und der sechsten Rippe zu finden. Anita hatte bereits das Lidocain angereicht, das Lokalanästhetikum, das steril in eine Spritze aufgezogen wurde und das der junge Arzt jetzt erst in die Haut und dann mit einer zweiten langen Nadel auch in die tieferen Gewebeschichten einbrachte. Auf den mahnenden Blick seines Vorgesetzten hin, erklärte er dazu: „Ich betäube jetzt das Gewebe-Vorsicht es piekt!“ und der Oberarzt nickte zustimmend. Ben zuckte kurz zusammen, blieb aber ruhig liegen und Semir verstärkte nur den warmen Druck seiner Hand ein wenig, um seinem Freund zu signalisieren, dass er ihm beistehen würde. Die Haut fühlte sich an wie Holz und als nach einer kurzen Wartezeit der Oberarzt nun zum Skalpell griff und einen kleinen, nur etwa zwei Zentimeter langen Hautschnitt über dem Unterrand der Rippe machte, tat das zunächst auch gar nicht weh.
    „Wie sie ja aus dem Anatomieunterricht wissen, verlaufen in jedem Zwischenrippenraum eine Vene, eine Arterie und der sehr schmerzempfindliche Interkostalnerv. Der Körper schützt seine wichtigsten Organe und wenn ich spüre, wo ich bin, kann ich schon nichts verletzen, das ist der Vorteil, wenn ich ohne Trokar arbeite“, erklärte der erfahrene Arzt, während er geschickt mit dem Finger das kleine Loch in Ben´s Seite dehnte und sich in die Tiefe tastete. Ben spürte außer einem unangenehmen Druck in seiner Seite bisher nichts, auch nicht, als der Oberarzt seinen Finger aus ihm nahm und nun seinen Assistenten aufforderte, es ihm nachzutun. Nun versenkte der Assistenzarzt seinen Finger und als er jetzt angehalten wurde, stumpf das Gewebe zu durchtrennen, machte er das, aber es war sofort fühlbar, wer hier die längere Erfahrung hatte. „Wenn man mit dem Finger nicht mehr weiter präparieren kann, nehme ich persönlich eine Schere und arbeite mich damit vorsichtig weiter in die Tiefe vor!“, soufflierte der Oberarzt und sein Lehrling tat, wie ihm befohlen wurde. Nun kam ein Aufseufzen über Ben´s Lippen und er verzog das Gesicht. Trotz Betäubung war es jetzt vorbei mit der Schmerzfreiheit und Semir überkam ein großes Mitleid. Erst vor wenigen Tagen hatte ihn Sarah derart gequält, um sein Leben zu retten und jetzt ging das weiter und die ganze moderne Medizin konnte ihm seine Schmerzen nicht nehmen. Während der junge Arzt sich jetzt verbissen unter Anleitung weiter in die Tiefe vorarbeitete, begann Ben vor sich hin zu jammern, der Schweiß brach ihm aus allen Poren und gerade als Anita die Spritze mit dem Morphin zückte, um seine Schmerzen wenigstens ein bisschen zu lindern, begann von der Aufregung und Anstrengung sein Herz zu flimmern.
    Semir konnte ihn, als der laute Alarmton ertönte, gerade noch los lassen und hatte dabei ein schlechtes Gewissen, wusste aber zugleich, dass er nicht nochmals so einen Stromschlag abbekommen wollte. Der Assistenzarzt allerdings kriegte seinen Finger nicht mehr rechtzeitig aus der Wunde und weil er in der anderen Hand die Schere hatte, die den Strom extra gut leitete und sein Handschuh, der das Instrument hielt, wohl irgendwo ein kleines Loch hatte, das man zwar mit bloßem Auge nicht erkennen konnte, das aber dennoch vorhanden war, erhielt er einen Schlag, der ihn beinahe von den Beinen holte. Er schrie gemeinsam mit Ben laut auf, rammte sich bei dieser Aktion gleich noch die Schere in die Fingerkuppe, rutschte damit anschließend ab und als er dann reflexhaft von dem jungen Polizisten weg sprang, lief das Blut aus seiner Fingerkuppe und er starrte fassungslos auf seine Hand, während Ben´s jammervolle Schreie in ein Schluchzen übergingen.


    Anita spritzte geistesgegenwärtig ihrem Patienten ein wenig Morphin und zog dann einen Stuhl heran, auf den sie den verletzten Arzt drückte, der ganz blass um die Nasenspitze war. Der Oberarzt besah sich, ohne sich unsteril zu machen kurz die Wunde seines Kollegen und ordnete an: „Wenn ihr Kreislauf wieder mitspielt, gehen sie in die Ambulanz und lassen das nähen!“ und dann wandte er sich Anita zu und bat sie: „Und sie rufen mir bitte sofort einen Chirurgen aus der Thoraxchirurgie und einen Anästhesisten zu Hilfe, ich befürchte, das schaffe ich nicht alleine!“, denn jetzt sah man erst, wie das Blut pulsierend aus Ben´s Seite schoss.

  • Anita reagierte sofort. Sie ging einen kurzen Moment aus dem Zimmer, rief sich einen Kollegen zu Hilfe, der alles andere sofort stehen und liegen ließ und schnappte sich ein Telefon. Wenig später waren ein Thoraxchirurg, unter dem Arm eine Sterilkassette mit speziellen Instrumenten und ein Anästhesist unterwegs und Anita, die vor ihrer Intensivkarriere im OP gearbeitet hatte, hatte mit wenigen Griffen einige Instrumentenverpackungen, Kittel, Tücher und Handschuhe, alles einzeln eingeschweißt, aus dem Eingriffswagen geholt, sich selber Haube und Mundschutz übergestülpt und begann auch schon, sich die Hände bis über die Unterarme chirurgisch zu desinfizieren. Der Oberarzt war inzwischen mit raschen Schritten zu seinem Patienten geeilt, hatte sich einen dicken Stapel Kompressen geschnappt und presste den mit Druck auf die Wunde, um die Blutung zu stoppen. „Ganz ruhig bleiben, es wird alles gut werden!“, versuchte er dabei Ben und auch Semir zu beruhigen. Bei Ben wirkte das Morphin ein wenig und sein Schluchzen verebbte, aber Semir hatte das Gefühl in einem einzigen Alptraum fest zu stecken.


    Anita entging nicht, wie der Oberarzt nicht nur auf seinen Patienten sah, sondern zeitgleich die EKG-Kurve auf dem Monitor im Auge behielt. Sie wusste genau, was der Arzt befürchtete. Hatte der Assistenzarzt mit der Schere den Herzbeutel verletzt und wurde damit die Herzleistung vermindert? Die Lunge hatte auf jeden Fall etwas abgekriegt, denn als Ben nun hustete, war der Schleim mit schaumigem Blut durchsetzt. Eines war klar-es war die einzige Möglichkeit ihn hier im Zimmer zu operieren, denn bis man ihn mitsamt der ECMO transportfähig hatte, verging viel zu viel Zeit. Allerdings war es jetzt sein Glück, dass dieses Gerät lief, denn so war die Sauerstoffversorgung des Organismus zu keinem Zeitpunkt gefährdet. Der Kardiotechniker war ebenfalls ins Zimmer geeilt und als der Pfleger, der jetzt sozusagen als Springer fungierte, eine arterielle Blutprobe entnommen hatte, nahm sie der Techniker entgegen und veränderte nach deren Analyse im Blutgasgerät die Einstellungen nach Absprache mit dem Oberarzt. „Ich hätte gerne zwei Konserven-es sind genügend für Herrn Jäger eingekreuzt!“, bat der nun und der Transportdienst machte sich sofort von der Blutbank her auf den Weg.

    Inzwischen waren der Chirurg und die Anästhesistin angekommen, der Assistenzarzt, dem inzwischen nicht mehr schwindlig war, hatte eine Kompresse auf den blutenden Finger gedrückt und sich auf den Weg in die Ambulanz gemacht, wo er mit ein paar Stichen genäht wurde, nachdem man die Wunde noch ein wenig hatte ausbluten lassen, um etwaiges Fremdmaterial heraus zu schwemmen. „Wir brauchen auch noch Blut des Patienten an dem du dich verletzt hast-das wird alles dokumentiert. Wir nehmen auch jetzt sofort bei dir noch Blut ab, das wird aus forensischen Gründen analysiert, damit du für die Berufsgenossenschaft einen Nachweis hast, falls du dich mit irgendetwas angesteckt haben solltest und das Blut des Patienten darf nun, ohne dass er um sein Einverständnis gefragt werden muss, auf HIV untersucht werden. Sollte er positiv sein, beginnen wir noch heute bei dir mit der Prophylaxe, aber die hat ziemliche Nebenwirkungen, also machen wir das nur bei begründetem Verdacht einer Infektion.“, wurde er aufgeklärt und als er einen dicken Verband und eine Schiene erhalten hatte, ihm gesagt worden war, dass er bis zum völligen Zuheilen der Wunde nicht am Patienten arbeiten durfte, was auch bei problemlosem Heilungsverlauf nach dem Fadenzug in etwa 10 Tagen noch ein wenig dauern würde, machte er sich voller schlechtem Gewissen auf den Weg zurück auf die Intensivstation, um noch die Sache mit der Blutprobe in die Wege zu leiten. Die ganze Zeit zermarterte er sich den Kopf, was er hätte anders machen sollen, aber er kam zu dem Entschluss, dass die Verletzung schicksalhaft gewesen war. Der Oberarzt hatte die Wunde bei Herrn Jäger inzwischen sicher gestillt, aber als er nun die Intensiv betrat, kam ihm gerade der leichenblasse Freund des Patienten entgegen. „Er wird gerade operiert!“, sagte der tonlos und ließ sich mit zitternden Knien in der Sitzecke nieder.


    Einerseits hatte Semir eine Stinkwut auf den jungen Arzt, aber andererseits war auch ihm klar, dass das eine Verkettung unglücklicher Umstände gewesen war und er erinnerte sich noch allzu lebhaft an den Stromschlag, den er abgekriegt hatte, als er Ben gebändigt hatte-da hatte man keine Kontrolle mehr über die Feinmotorik! Wie in Trance ließ Semir die Geschehnisse der letzten Minuten Revue passieren. Anita hatte sich einen Instrumentiertisch heranfahren lassen, die Instrumente, die der Thoraxchirurg mitgebracht hatte, ausgepackt und wenig später hatte man mit einem fahrbaren Sauger und dem Einschalten einer speziellen Lampe am Bettplatz das Intensivzimmer in einen OP verwandelt. Die Anästhesistin war vom Kardiologen mit wenigen Worten über die Situation aufgeklärt worden, hatte dem Pfleger gesagt, was sie für die Narkose bei Ben für Medikamente haben wollte und mit schreckgeweiteten Augen hatten Ben und er die Vorbereitungen für die Intubation mit angesehen. „Semir ich will nicht sterben!“, waren die letzten Worte seines Freundes gewesen, dessen Hand er verzweifelt fest gehalten hatte, bis das Narkosemittel in seine Adern floss und seine Augen zufielen. „Herr Gerkhan-warten sie bitte draußen-wir holen sie herein, sobald wir ihren Kollegen versorgt haben!“, sagte Anita mit aller Wärme und Zuversicht in der Stimme, die sie aufbringen konnte und Semir schlich jetzt wie ein geprügelter Hund aus dem Raum. Aus den Augenwinkeln sah er noch, wie die Ärztin Ben´s Kopf überstreckte, das Laryngoskop zur Hand nahm und den Tubus einführte, aber dann blickte er sich nicht mehr um, sondern ging wie befohlen in die Besucherecke, um dort zu warten.


    Im Patientenzimmer hatte man inzwischen ein Beatmungsgerät heran gefahren. Auf Lachgas und andere Narkosegase musste man in diesem Fall verzichten, den dazu hätte man ein Narkosegerät gebraucht, aber es war wichtig, dass Ben mit einem gewissen Überdruck beatmet wurde. Wenn die ECMO nicht gelaufen wäre, hätte man den Patienten mit einem Doppellumentubus intubiert und die eine Lungenhälfte still gelegt, aber in seinem Spezialfall war das nicht notwendig. Die Narkose war tief, woraufhin natürlich der Blutdruck einbrach und kreislaufstützende Medikamente eingesetzt wurden. Erst eine Infusion im Schuss und dann die Blutkonserven stabilisierten den Kreislauf und während der Thoraxchirurg, der sich inzwischen ebenfalls die Hände chirurgisch dreimal desinfiziert und Sterilkittel und Handschuhe angezogen hatte, den Hautschnitt erweiterte und das Gewebe stumpf vom Knochen abpräparierte, reichte Anita ein Instrument an, das aussah, wie aus der Heimwerkerkiste. „Im OP hätten wir die Rippen jetzt elegant mit der Säge durchtrennt!“, erklärte der erfahrene Arzt, während er drei Rippen unter Kraftaufwand mit dem Instrument, das aussah wie eine Baumschere, brach, was laut knackte und dann einen Rippenspreitzer einsetzte, um einen Überblick über das Ausmaß der Verletzung zu bekommen. Man schob mit stumpfen Spateln das verletzte und blutende Gewebe beiseite und jetzt war es am Kardiologen erleichtert aufzuatmen. „Das Herz ist unverletzt“, teilte er mit und nun begann der Thoraxchirurg mit der Blutstillung. Man konnte die Lunge nicht nähen, aber alle Gefäße, die spritzend bluteten, wurden unterbunden oder umstochen, man saugte das Blut ab und als die Blutung nach wenigen Minuten stand, wurde der Rippenspreitzer entfernt und die Rippen wieder an ihren Platz geschoben. „Angesichts seiner Jugend verzichten wir auf eine Verdrahtung-das heilt von alleine. Wir legen die Thoraxdrainage ein wenig tiefer, damit wir das Ganze auch dicht kriegen, wenn wir den Schlauch entfernen!“, erklärte der Chirurg und nur Minuten später befand sich die Drainage an Ort und Stelle, die sofort angeschlossene Thoraxsaugung förderte blubbernd Luft und Blut und die Haut wurde nun fein säuberlich vernäht. Wie der Kardiologe es dem Assistenzarzt hatte zeigen wollen, legte der Thoraxchirurg um den daumendicken Schlauch eine Tabaksbeutelnaht und ließ die Fadenenden lang, damit man nach Entfernung der Drainage einfach die Haut zusammen zurren und dadurch keine Luft einströmen konnte.


    „Soll ich ihn wieder wach werden lassen, oder möchten sie ihn nachbeatmen?“, fragte nun die Anästhesistin, die routiniert die Narkose geleitet hatte. Zum guten Glück war es auch während der Operation nicht zu Kammerflimmern gekommen, aber die beiden erfahrenen Ärzte hatten einfach zwei paar Handschuhe übereinander angezogen, so wären sie isoliert gewesen. „Von meiner Seite aus spricht nichts dagegen, ihn zu extubieren-ich würde aber vorschlagen, wir holen seinen Freund wieder dazu, damit er in der Aufwachphase ruhig bleibt!“, sagte der Kardiologe und so sah Semir überrascht auf, der sich auf eine stundenlange Wartezeit eingestellt hatte, als der Pfleger kaum 20 Minuten später vor ihm stand.


    „Sie dürfen wieder herein kommen-nicht erschrecken, es sieht noch ein wenig chaotisch aus im Zimmer, aber ihrem Freund geht es relativ gut!“, informierte ihn der junge Mann und tatsächlich-Ben lag friedlich auf dem Rücken, als Semir wieder herein kam, er war bereits extubiert, aber noch nicht ganz wach. Seine Seite bedeckte ein dicker Klebeverband und ein weiterer Schlauch ragte aus ihm heraus. „Setzen sie sich zu ihm und reden mit ihm, das tut ihm gut!“, ermunterte ihn Anita, die gerade die blutigen Instrumente abwarf. Man hatte auch anhand der Blutgase die ECMO wieder angepasst, das Serumröhrchen für den HIV-Test entnommen und ins Labor gegeben und die zweite Blutkonserve tropfte gerade in den Patienten, um den Blutverlust auszugleichen.
    „Ich werde, sobald ich hier fertig bin, Sarah anrufen und hoffe, dass ich sie diesmal erreiche. Ich denke so von Fachfrau zu Fachfrau spricht sich das leichter, als wenn sie das machen!“, sagte Anita freundlich und nachdem sie Semir, den verletzten Assistenzarzt und nicht zuletzt sich selber mit einer Tasse Kaffee gestärkt hatte, wählte sie erneut die Nummer ihrer Kollegin, um der endlich Bescheid zu geben.

  • Sarah zuckte zusammen als das Telefon läutete. Gerade hatte sie noch keine Auskunft bekommen und irgendwie hatte sie die ganze Zeit ein fürchterlich schlechtes Gefühl gehabt. Mit Ben stimmte irgendetwas nicht, wenn er denn überhaupt noch am Leben war. Jedes Mal wenn ein Auto sich dem Haus genähert hatte, hatte sie nervös aus dem Fenster geblickt-fast erwartete sie einen völlig fertigen Semir zu sehen, der es sich nicht nehmen lassen würde, die Todesnachricht persönlich zu überbringen. Sie hatte vorher noch versucht, ihn auf dem Handy zu erreichen, aber da war sofort die Mailbox ran gegangen.
    Tim hatte inzwischen mit der Zunge zwischen den Lippen ein schönes Bild fertig gemalt-wenn man genau hinsah, konnte man Lucky erahnen, der unter einer Sonne auf grünem Gras stand. „Sehr schön!“, hatte Sarah ihn gelobt und wollte gerade hinzufügen: „Da wird der Papa sich aber freuen!“, aber dann biss sie sich auf die Unterlippe-und was war, wenn Tim´s Vater gar nicht mehr unter den Lebenden weilte?
    Wie in Trance hob sie nun den Hörer ab und hörte Anita´s warme und freundliche Stimme am anderen Ende, die sich mit „Intensivstation Uniklinikum Köln-ich bin es Anita!“ meldete. „Oh Gott-sag es endlich, damit die Ungewissheit ein Ende hat!“, flehte Sarah innerlich und eine eiskalte Hand griff nach ihrem Herzen. Wenn Ben jetzt gestorben war, hatte sie ihn auf dem Gewissen-mit ihren tödlichen Geschichten!


    „Sarah-leider habe ich jetzt nicht ganz so gute Neuigkeiten!“, begann Anita und in Sarah´s Ohren begann es zu rauschen. Sie klammerte sich am Telefonhörer fest, dass ihre Fingerknöchel weiß hervor traten und flüsterte tonlos: „Er ist tot-nicht? Ich habe die ganze Zeit schon so ein ungutes Gefühl!“ und fast konnte sie nicht mehr wahrnehmen, was ihre Kollegin am anderen Ende der Leitung sagte, denn nun begann alles um sie zu schwanken. „Sarah-nein Sarah hör mir zu, er lebt-nur gab es Komplikationen!“, hörte sie wie durch Watte Anita ins Telefon rufen. „Sarah setz dich hin und atme erst einmal tief durch!“, drang nun die beschwörende Stimme der mütterlichen Schwester durchs Telefon, die sofort an der Stimme der jüngeren Frau gehört hatte, dass mit der etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Tim hatte seine Mutter verstört gemustert, aber als seine kleine Schwester jetzt zu quengeln begann, war er auf einmal ganz großer Bruder und ließ sie sogar mit einem seiner Autos spielen, was die Kleine sofort besänftigte-denn normalerweise durfte sie nicht an seine Heiligtümer.
    Sarah tastete sich zum nächsten Stuhl. Immer noch drehte sich alles um sie und schwach und zittrig setzte sie sich, wie die Kollegin ihr befohlen hatte. Erst langsam drangen Anita´s Worte zu ihr durch. Ben lebte! Vor Erleichterung schossen ihr jetzt wieder die Tränen in die Augen und erst als sie gewahr wurde, dass Tim sie voller Sorge musterte und die Mundwinkel des dunkel gelockten Jungen jetzt ebenfalls verräterisch zu zucken begannen-er kannte sich bald gar nicht mehr aus und der Kummer seiner Mutter machte ihm schwer zu schaffen-riss sie sich zusammen, zog ihn an sich und flüsterte beschwörend: „Schatz-es ist alles in Ordnung, die Mama ist nur müde!“ und jetzt schmiegte er sich an sie und umklammerte sie fest.

    Sarah hatte tief durch geatmet-wo war nur ihre Professionalität geblieben? Sie war es doch von Berufs wegen gewohnt, auch mit Katastrophen zu Recht zu kommen, aber wenn es um ihren geliebten Mann ging, war es vorbei mit der Beherrschung. Anita fragte besorgt: „Soll ich später nochmal anrufen? Ben ist im Moment stabil und sein Freund ist bei ihm-ich denke, das ist das Wichtigste. Was sonst alles geschehen ist, kann ich dir auch zu einem späteren Zeitpunkt mitteilen, wenn du dich etwas gefangen hast“, fragte sie, aber Sarah antwortete jetzt wieder ein bisschen gefasster: „Nein-erzähl. Ich hatte die ganze Zeit so ein komisches Gefühl, ich habe gespürt, dass irgendetwas geschehen ist, aber ich war vorhin mit den Kindern ein bisschen draußen und habe mich abgelenkt-dabei aber blöderweise mein Handy zuhause vergessen!“, erklärte sie, warum sie nicht erreichbar gewesen war. „Als ich dann vor etwa einer halben Stunde angerufen habe, hat mir ein junger Kollege leider am Telefon keine Auskunft erteilt und du warst gerade mit einem Notfall beschäftigt-war das Ben?“, fragte sie und Anita stimmte ihr zu. „Haarscharf kombiniert, aber das Wichtigste ist ja, dass wieder alles in Butter ist. Also Ben wurde heute zur Mittagszeit absediert, weil leider der Defi immer wieder auslöst und er deswegen verständlicherweise mit den Nerven am Ende ist. Beim Aufwachen hat er sich dann leider in verwirrtem Zustand fast alle Zugänge entfernt-Gott sei Dank nicht die ECMO-Zuleitungen-du weißt selber-das hätte er wohl nicht überlebt. Trotzdem hatte sich der venöse Schenkel angesaugt und wir hatten ein wenig Action, bis wir die Maschine wieder am Laufen hatten-aber das kennst du ja!“ spielte sie die Geschehnisse fast ein wenig herunter, aber was half es Sarah, wenn sie sich nachträglich noch aufregte? "Nun musste er ja neu verkabelt werden und leider hat der Assistenzarzt beim ZVK-Legen einen Pneu gestochen. Der Oberarzt hat dann persönlich den neuen ZVK eingebracht und als die beiden Ärzte danach miteinander eine Thoraxdrainage legen wollten, hat ausgerechnet beim Präparieren der Defi ausgelöst und Ben´s Lunge wurde mit der Schere verletzt. Der Assistenzarzt musste danach selber genäht werden und Ben hat leider eine Narkose gebraucht, damit man die Blutungen vor Ort stillen konnte. Jetzt ist er aber stabil und ich hoffe ab sofort geht es nur noch aufwärts mit ihm!“, tat sie kund und Sarah musste jetzt erst einmal tief durchatmen, um das Gesagte zu verdauen. „Aber er ist extubiert und stabil?“, fragte sie nochmals nach und Anita bejahte. „Richte ihm bitte ganz liebe Grüße aus und sag ihm, dass die Kinder wieder gesund sind. Morgen habe ich jemanden zur Betreuung und komme ihn dann besuchen-und Anita-sag ihm bitte, dass ich ihn liebe!“, setzte sie dann noch leise hinzu und Anita lächelte in sich hinein. Die beiden waren schon ein schönes Paar. „Ich werde es ihm ausrichten, wenn er ganz wach ist, aber im Moment muss er noch seine Narkose ausschlafen, mach dir aber keine Sorgen-ich passe schon auf ihn auf und sein Freund ebenfalls, der ihm heute auch schon das Leben gerettet hat, weil er ihn festgehalten und daran gehindert hat, sich die restlichen Schläuche auch noch raus zu reißen“, erzählte sie dann noch und Sarah musste jetzt erneut schlucken. So ernst war es gestanden, aber sie kannte solche Situationen durchaus, wenn eine Katastrophe die nächste nach sich zog.


    „So jetzt muss ich aber mal weitermachen und nach meinen anderen Patienten schauen-dein Ben wird jetzt hoffentlich eine Weile Ruhe geben, sonst will ich einen Zuschlag in Form einer Tafel Lindt-Schokolade!“, schmunzelte Anita und Sarah wusste, was sie am nächsten Tag mit ins Krankenhaus bringen würde. „Hast du morgen auch noch Spätdienst?“, erkundigte sie sich und atmete erleichtert auf, als Anita bejahte. „Und keine Sorge-ich achte bei der Übergabe drauf, dass eine erfahrene Pflegekraft deinen Mann nachts und in der Frühschicht versorgt, erhol du dich jetzt auch noch ein bisschen und dann sehen wir uns morgen!“, beendete sie das Gespräch und als Mia-Sophie nun zu heulen begann, weil sie sich den Kopf gestoßen hatte, konnte sich Sarah leichten Herzens erheben und sich um ihre kleine Tochter kümmern. „Tim-ich bringe Papa morgen dein Bild-der wird sich riesig freuen!“, sagte sie noch zu ihrem Sohn und jetzt konnte auch der wieder lachen.


    Semir hatte derweil neben Ben´s Bett Platz genommen und dessen Hand ergriffen. Die andere hatte Anita in weiser Voraussicht fest gemacht. „Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste!“, hatte sie dazu bemerkt und dem hatte Semir nichts hinzu zu fügen. Ben atmete ruhig und schlief noch friedlich seine Narkose aus und langsam kam auch Semir wieder runter. Er musterte seinen schlafenden Freund. So langsam wäre es mal an der Zeit, dass es aufwärts ging-aber das hatten sie leider nicht in der Hand. Würde Ben jemals wieder ganz gesund werden? Aber Hauptsache er überlebte, alles andere würde die Zeit bringen und eines wusste Semir gewiss-sein Partner würde um sein Leben und seine Gesundung kämpfen-Ben war noch nicht bereit aufzugeben!

  • Langsam nahm Ben die inzwischen vertrauten Geräusche der Intensivstation wahr. Er tauchte aus den Tiefen des Narkoseschlafs auf, ohne genau zu wissen, was eigentlich geschehen war. Einen Moment spannte er die Muskeln und war sich nicht ganz sicher, ob er nicht doch verfolgt wurde und sich wehren musste, aber da vernahm er schon Semir´s vertraute Stimme und spürte seine warme, tröstende Hand auf der seinen. „Ben-alles ist gut, ich bin da und passe auf dich auf!“, sagte sein Freund eindringlich und schon wurde sein Atem wieder ruhiger und als er es wenig später schaffte die Augenlider zu heben, die sich immer noch schwer wie Blei anfühlten, erkannte, dass er wirklich auf der Intensivstation in seinem Zimmer lag und zusätzlich zu den ganzen Geräuschen, die er schon kannte, war noch ein kontinuierliches Blubbern zu vernehmen, das aber einschläfernd wirkte und ihn dazu brachte, die Augen wieder zu schließen und noch ein Ründchen weiter zu schlafen.

    Das nächste Mal erwachte er, weil jemand seinen Arm beim Blut abnehmen berührte und als er die Augen jetzt weit aufmachte, stand diesmal Schwester Anita vor ihm, lächelte ihn fröhlich an und sagte gut gelaunt: „Na guten Morgen-oder sagen wir lieber guten Abend? Inzwischen ist es nämlich 19. 00 Uhr und die Nacht liegt noch vor ihnen. Wie fühlen sie sich, Herr Jäger und geht’s mit den Schmerzen?“, fragte sie und Ben horchte jetzt in sich hinein. „Es ziept, aber es ist auszuhalten!“, antwortete er mit rauer Stimme und leckte sich dann über die spröden, rissigen Lippen. Zusätzlich zu den schon wohl bekannten Schmerzen am Bauch und den Leisten brannte es jetzt noch seitlich an seinem Brustkorb und seitdem er mehrfach reanimiert worden war, hatte er sowieso das Gefühl, erst kürzlich von einem LKW überrollt worden zu sein, aber es war kein Vergleich zu den Schmerzen, die er im Keller ausgehalten hatte, als Sarah die Hand in seinem Bauch gehabt hatte.
    „Wenn sie soweit wach sind, mache ich ihre Hand jetzt los und ich denke, wir sollten ihren Freund, der schon seit Stunden ganz verkrümmt neben ihnen auf dem Stuhl sitzt und ihren Schönheitsschlaf bewacht, jetzt einen Happen essen schicken. Ich mache sie derweil gemeinsam mit meinem Kollegen ein wenig frisch und lege sie anders hin, damit sie es in der Nacht auch bequem haben. Ach ja und von Sarah soll ich ihnen ausrichten, dass sie sie liebt, ich habe vor ein paar Stunden mit ihr telefoniert. Sie kommt morgen zu Besuch, aber ich habe ihr schon gesagt, dass sie nicht alleine sind!“, sagte sie und bedachte Semir, der sich soeben erhoben hatte und seine steifen Gelenke durch bewegte, mit einem strahlenden Lächeln. „Also Herr Gerkhan-wie sieht es aus? Stärken sie sich ein bisschen in der Cafeteria, bevor die schließt und kommen in einer halben Stunde wieder?“, fragte sie und nun musste Semir grinsen. „Jetzt weiß ich, was eine rhetorische Frage ist, Schwester Anita-sie beherrschen es perfekt uns Männer zu manipulieren und zwar so, dass wir immer noch denken, zuvor gefragt worden zu sein“, gab er schlagfertig zurück und als Anita jetzt die Stirn runzelte, versuchte böse zu schauen, was aber einfach nicht in ihrer Natur lag und dann sagte: „Verdammt-ein echter Polizist! Er hat mich durchschaut!“, musste sogar Ben lächeln, es tat einfach gut, wenn sogar hier Zeit für ein Späßchen war und solche Geplänkel hatten Semir und er in der Arbeit ständig, das liebte er und sowas war für ihn ein bisschen Salz in der Suppe des Lebens-ach wie sehr wünschte er sich seinen Alltag zurück!


    So ganz richtig hatte er auch noch nicht begriffen, was überhaupt passiert war-vorhin war alles so schnell gegangen, man hatte einen Chirurgen gerufen und er hatte fürchterliche Angst davor gehabt zu sterben, war aber dann einfach in Narkose gelegt worden. Danach war er zwar kurz wieder wach gewesen und hatte den Anflug einer Panikattacke gehabt, aber Semir war da gewesen wie ein Fels in der Brandung, er hatte sich fallen lassen und erholsam geschlafen, allerdings fühlte er sich insgesamt immer noch krank und schwach und jede minimale Bewegung strengte ihn wahnsinnig an.
    So ließ er sich jetzt pflegen, genoss sogar ein wenig die Einreibungen mit der hautpflegenden Lotion, trank einen kleinen Schluck Wasser, den die Schwester ihm anbot und empfand es als unheimlich wohltuend, als seine Lippen mit einer speziellen Salbe bedeckt wurden und danach schon viel weniger spannten. Der Pfleger, der Anita half, beobachtete bewundernd, wie geschickt sie Ben lagerte, dabei mit ihm sprach, ihn ablenkte, wenn es ein wenig schmerzhaft wurde und als der junge Patient endlich frisch gebettet auf einem neuen kühlen Leintuch lag, die verschwitzten Unterlagen gewechselt, angeblutete Verbände erneuert waren und er fragte, was denn eigentlich passiert war, schickte sie kurzerhand den Stationsarzt zu ihm und Semir, der pünktlich nach der halben Stunde, frisch gestärkt, wieder an der Intensivtür geläutet hatte, bekam nun ebenfalls gleich einen aktuellen Lagebericht.


    „Herr Jäger-beim Legen der Thoraxdrainage hat dummerweise unser junger Assistenzarzt einen Stromschlag abbekommen und ist dabei mit der Schere abgerutscht. Leider wurde dabei versehentlich ihre Lunge ein klein wenig verletzt und auch der Arzt hat sich die Schere in den Finger gerammt-sie waren also nicht der einzige Leidtragende. Sowas ist einfach schicksalhaft, aber der Oberarzt, der bereits Feierabend hat und nach Hause gegangen ist, hat gemeint, das hätte ihm genauso passieren können, also seien sie dem jungen Kollegen bitte nicht böse-er hat es nicht mit Absicht gemacht. Was das Gute an der Sache ist-wir haben bei ihnen aus diesem Grund einen HIV-Test gemacht, der ist negativ und nachdem der Kollege erst vor drei Tagen beim Betriebsarzt war und auch von ihm alle Laborergebnisse vorliegen, brauchen sie sich auch da keine Sorgen machen, sich mit irgendeinem bösen Keim angesteckt zu haben und antibiotisch abgedeckt sind sie ja sowieso.
    Morgen erwarten wir auch die ersten Ergebnisse der Herzbiopsie und vielleicht haben wir dann einen Hinweis darauf, wie wir sie weiter behandeln können. Die Blutungen an der Lunge konnten problemlos gestillt werden, aber wundern sie sich nicht, wenn ihr Brustkorb jetzt noch ein wenig mehr wehtut als vorher. Um an die Lunge ran zu kommen, mussten wir ihnen auf einer Seite drei Rippen durchtrennen, die werden aber im Verlauf weniger Wochen von alleine problemlos zusammenheilen. Die Thoraxdrainage hätten sie so oder so gebraucht, die fördert jetzt eben zusätzlich zur Luft und dem Wundsekret noch ein wenig Blut, sie haben zwei zusätzliche Blutkonserven erhalten und mussten anfangs auch kreislaufstützende Medikamente bekommen. Jetzt sind wir aber wieder fast auf dem Stand wie vorher und genauso wenig, wie sie sich die ganzen Zugänge absichtlich heraus gerissen haben, wollte ihnen danach irgendwer schaden, manche Geschehnisse sind einfach schicksalhaft, aber Hauptsache sie leben und vielleicht geht es ja ab sofort schon steil aufwärts bei ihnen“, beendete er das Gespräch mit einer positiven Bemerkung, wie er es im Rhetorikkurs gelernt hatte und Semir beschloss, die Chefin mal bei diesem Arzt in die Lehre zu schicken-der verstand es, unangenehme Neuigkeiten so geschickt zu verpacken, dass man danach das Gefühl hatte, gerade eine gute Nachricht bekommen zu haben. Wie zufällig hatte er auch während seiner Erklärungen seine Hand bestimmt und ruhig auf Ben abgelegt, damit taktilen Kontakt hergestellt und eine vertraute Atmosphäre geschaffen.


    Was geschehen war, ließ sich jetzt sowieso nicht mehr ändern und auch wenn Semir fast sicher war, dass Sarah morgen an die Decke gehen würde, wenn sie erfuhr, was genau passiert war, aber eigentlich hatte der Doktor Recht-es brachte nichts, sich wegen Dingen, die zwar vielleicht schief gelaufen, aber jetzt nicht mehr zu ändern waren, verrückt zu machen. Fakt war-sie standen jetzt nicht schlechter da als vorhin, Ben lebte und anscheinend gab es durchaus Hoffnung, dass man seine Herzerkrankung effizient behandeln konnte. Um Ben weiter Auftrieb zu geben sagte er schnell: „Und wenn ich darf, würde ich heute Nacht gerne hier bleiben-ich habe meiner Frau schon Bescheid gesagt!“ und der Arzt mit der angenehmen Stimme und der ruhigen Ausstrahlung erwiderte voller Freundlichkeit: „Das ist überhaupt kein Problem. Wenn Herr Jäger das ebenfalls möchte, steht dem nichts im Wege!“ und Ben nickte freudig und sagte mit noch schwacher Stimme, denn das Zuhören und zuvor die pflegerischen Tätigkeiten hatten ihn maßlos angestrengt: „Ich bin sehr froh, wenn du da bleibst, Semir!“, aber dann fielen ihm wieder die Augen zu und er war einfach eingeschlafen-sein geschundener Körper holte sich die Ruhe, die er brauchte.


    Anita brachte, bevor auch sie nach der Übergabe um zehn nach Hause ging, den bequemen Mobilisationsstuhl mit Kopfkissen und Zudecke ins Zimmer und wie zuvor Sarah, legte Semir sich nun neben seinen Freund und erstaunlicherweise sanken beide bald in einen tiefen erholsamen Schlaf. Die Nachtschwester wechselte so leise wie möglich die Infusionen und Perfusoren, nur einmal in der Nacht musste Semir aufstehen und beiseite gehen, als sie Ben richtig frisch machte, Blutgase und Laborproben entnahm und Antibiotikafläschchen anhängte. Als danach das Licht wieder gelöscht wurde, sagte Ben leise in den Raum hinein: „Semir-ich hatte heute fürchterliche Angst, sterben zu müssen, aber jetzt ist nochmals Alles gut gegangen. Danke dass du da geblieben bist!“, flüsterte er dann, aber anstatt viele Worte zu machen, griff Semir nun einfach nach der Hand seines Freundes, signalisierte ihm durch die Berührung Hoffnung und Zuversicht und so schliefen die beiden wieder ein. Als der Stationsarzt, der ebenfalls einen eher friedlichen Dienst hatte, wenig später ins Zimmer lugte, dessen Schiebetür einen Spalt offen stand und wo man auch den Monitor auf Privatbildschirm geschalten hatte, um dem Patienten möglichst viel Ruhe zu gönnen, zog ein Lächeln über sein Gesicht. Die Anwesenheit und der Beistand seines Freundes und Kollegen waren für Herrn Jäger sicher genauso heilsam wie ein Medikament und gerade bei Herzerkrankungen war die Psyche ein ganz wichtiger Heilungsfaktor, davon war er fest überzeugt!

  • In den frühen Morgenstunden erwachte Semir, weil Ben´s Monitor wieder lauten Herzalarm gab. Er hatte ihn immer noch im Schlaf berührt, fuhr nun aber wie von der Tarantel gestochen zurück, als sich Ben bereits unter dem Elektroschock aufbäumte und danach bleich und mutlos die Tränen unterdrückte. „Wenn das so bleibt, kann ich nie mehr meine Kinder anfassen!“, flüsterte er. „Stell dir mal vor, ich habe gerade Mia-Sophie auf dem Arm und das Ding geht los-die wird in Zukunft zu brüllen anfangen, wenn ich mich ihr nur auf einen Meter nähere und Angst vor ihrem eigenen Vater haben. Tim kann man das vielleicht irgendwie erklären, aber auch der wird mir nie mehr auch nur die Hand geben wollen, geschweige denn etwas spielen-ach es ist alles so aussichtslos!“, teilte er Semir seine Überlegungen mit und der betrachtete voller Mitleid seinen Freund. Was sollte er auch gegen dessen durchaus berechtigte Gedanken sagen. Und das Gemeine war ja wirklich, dass es anscheinend keinen Auslöser brauchte, damit das Herz zu Flimmern begann, denn sie hatten ja gerade eben noch friedlich geschlafen.

    Die Nachtschwester war natürlich ebenfalls sofort zu ihnen geeilt, aber außer Ben ein wenig Morphin zu geben, konnte sie auch nichts machen. Sie nahm dann gleich noch, wie jeden Tag, ein großes Labor ab, kontrollierte die arteriellen und im Vergleich dazu auch die venösen Blutgase, aber da war keine Veränderung zum Vortag fest zu stellen. Nachdem es erst fünf Uhr früh war, versuchten die beiden Freunde danach noch ein wenig ein zu schlafen, aber es wollte ihnen nicht mehr gelingen.
    Die Schwester die Ben in der Frühschicht übernahm, machte ihn vorsichtig, unterstützt von Semir, frisch und kaum war das geschehen, kam auch schon die große Visite. Gerade besah sich der Chefarzt der Kardiologie die Befunde, da kam ein junger Assistenzarzt ganz aufgeregt herein gelaufen und drückte seinem Chef den Telefonhörer in die Hand. „Das Zentrallabor ist dran-sie haben einen Treffer!“, stotterte er aufgeregt, als plötzlich alle Blicke sich auf ihn richteten.

    Der erfahrene Arzt verließ kurz den Raum und besprach sich mit seinem Kollegen im Labor, aber als er dann wieder zurück kam, überzog ein Lächeln sein Gesicht. „Herr Jäger-ich habe gute Neuigkeiten für sie! Aus den Proben, die wir bei der Myokardbiopsie gewonnen haben, konnte ein Erregernachweis geführt werden. Wir können davon ausgehen, dass ihre Herzmuskelentzündung von Adenoviren ausgelöst wird, die wurden nämlich im Präparat nachgewiesen und konnten angezüchtet werden. Das sind Erreger, die kommen unter anderem in den Rachenmandeln vor-daher auch der Name. Die Biopsieproben werden aktuell noch histologisch, immunhistochemisch und molekularbiologisch-virologisch untersucht, aber nachdem jetzt ein Treffer gelandet wurde, werden wir unverzüglich eine antivirale Therapie einleiten. Das bedeutet für sie, dass sie ab heute jede Woche einmal eine Injektion mit Interferon-beta tief in den Gesäßmuskel bekommen. Diese Interferone greifen den Erreger nicht nur gezielt an, sondern geben sozusagen eine Immunantwort vor. So dramatisch der Verlauf ihrer Erkrankung auch ist-Studien zufolge haben sie bei dieser Form die besten Chancen das Ganze folgenlos zu überleben und auch wieder ganz gesund zu werden. Die Schwester wird ihnen später die Spritze geben, das wird etwas weh tun-also nicht die Spritze an sich, aber das Medikament. Sie werden als Nebenwirkung eine grippale Symptomatik bekommen, mit Kopf- und Gliederschmerzen, Schwächegefühl, was aber mit jedem Tag besser wird und bei der nächsten Spritze wieder von vorne los geht. Auch wenn das schwer zu verstehen ist, aber vertrauen sie uns-wir haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht!“, beschwor er seinen Patienten und Ben, der auf einmal wieder neuen Lebensmut bekam, richtete sich mit blitzenden Augen jetzt ein wenig auf. „Habe ich sie richtig verstanden-ich habe die Chance das Ganze hier zu überleben und das Krankenhaus auf meinen eigenen Füßen zu verlassen?“, fragte er nach und der Arzt nickte. „Dann mal los-schlimmer kanns ja nicht werden!“, sagte Ben nun und während der Chefarzt seine Anordnungen dokumentierte, das teure Medikament in der Krankenhausapotheke bestellt wurde und die Visite beim nächsten Patienten weiter ging, war Ben mit einem breiten Grinsen im Gesicht zurück gesunken. „Semir-hast du gehört? Ich werde wieder ganz gesund!“, tönte er und dann ging ein Ruck durch seinen Körper. „Du musst sofort Sarah anrufen-die soll auch Bescheid wissen!“, beauftragte er dann seinen Freund und ohne zu Diskutieren verließ Semir nun die Intensivstation und trat vors Krankenhaus.
    Immer noch trug er das Krankenhausoberteil und so sehr er sich nach einer Dusche sehnte-es war schließlich nicht so toll in Klamotten zu schlafen-erst einmal musste seine Freundin und danach Andrea Bescheid bekommen. Die Sonne schien, es war ein wundervoller Tag und er hätte jauchzen können vor Glück. Ben würde wieder gesund werden-er war sich ganz sicher!


    Elisa war nach einer unruhigen Nacht im Mehrbettzimmer am frühen Morgen ebenfalls nach draußen geflüchtet. Das war doch der kleine Polizist, der da ganz aufgeregt am Telefon hing? Er stand jetzt mit dem Rücken zu ihr, so dass sie seinen glücklichen Gesichtsausdruck nicht erkennen konnte. Was gab es für eine andere Erklärung für so ein frühes Telefonat, als dass dieser Jäger gestorben war und er jetzt die Angehörigen verständigte. Mit einem hämischen Lächeln ging sie zurück in ihr Zimmer. Das geschah Sarah Recht-jetzt hatte sie ihren Mann auf dem Gewissen! Diese Storys die die schrieb waren also nicht nur grottenschlecht, sondern auch tödlich-das wäre doch mal ein guter Titel: Tödliche Storys!

  • Sarah hatte in der Nacht schlecht geschlafen, auch wenn die Kinder brav gewesen waren. Jedes Mal wenn sie einnickte, suchten neue Alpträume sie heim und mehr als einmal war sie kurz davor gewesen, auf der Intensiv anzurufen, um sich nach Ben´s Zustand zu erkundigen. Das einzige, was sie davon abhielt, war die Tatsache, dass sie wusste, wie laut das Telefon über die Station hallte und die Patienten, die vielleicht gerade in den Schlaf gefunden hatten, wieder aufweckte. Wie gern wäre sie jetzt bei Ben gewesen, aber es war einfach eine Vernunftentscheidung und mit jeder Stunde, die sie abwartete, nahm auch die Virenlast ab, die sie mit sich herum trug, das brauchte man sich nicht schön reden. Trotz aller Desinfektionsmaßnahmen und auch wenn sie selber nicht erkrankt war, war ihr Haus noch kontaminiert, die Kinder würden noch tagelang Noroviren ausscheiden, auch wenn sie die Infektion überwunden und keinen Durchfall mehr hatten. Sie musste extrem vorsichtig sein, wenn sie Ben besuchte und küssen würde sie ihn die nächsten Tage auf gar keinen Fall. Nur gut dass Semir bei ihm war, so war er wenigstens nicht alleine.

    Was ihr auch bewusst war-Anita hatte ihr die Wahrheit gesagt, aber zwischen ihren Worten war schon durch geblitzt, dass auch ihre erfahrene ältere Kollegin das skandalös fand, dass der Oberarzt Ben nicht selber mit den neuen Zugängen versorgt hatte-vielleicht wäre so der Pneu zu verhindern gewesen. Aber sie wusste wie das war-die Ärzteschaft hielt zusammen und wenn ein junger Mediziner etwas lernen sollte, dann wurde das höher bewertet als der Patientenkomfort. Wenn sie da gewesen wäre, hätte sie es aber vermutlich verhindern können, dass dieser Stümper in ihrem Mann rum bohrte-immerhin hatte sie keinen festen Vertrag mit der Uniklinik und musste deswegen auch keine Abmahnung befürchten, wenn sie sich beschwerte.
    Ach es war alles so verzwickt und wenn sie zwischendurch eindämmerte, kamen ihr immer wieder die schrecklichen Szenen der vergangenen Tage in den Sinn, beginnend mit den furchtbaren Stunden im Keller, als sie mit ihrer Hand im Bauch ihres Mannes da gehockt war und sie sich sozusagen schon verabschiedet hatten.

    Am Morgen stand sie hohläugig auf, die Kinder schliefen noch- wahrscheinlich schliefen sie sich gesund-und ließ sich eine Tasse Kaffee aus dem Automaten. Wie genoss ihr Ben immer den leckeren schwarzen Trank aus ihrer tollen Maschine-er liebte Kaffee und erneut gab es ihr einen schmerzhaften Stich ins Herz. Würde er jemals wieder nach Hause kommen und seinen Lieblingskaffee trinken? Ständig neue Komplikationen und jedes Mal wenn sie neue Hoffnung schöpfte, kam erneut irgendein Tiefschlag. So starrte sie die ersten Sekunden, als ihr Handy läutete, ganz erschrocken aufs Display-Semir war dran. Mit zitternden Fingern strich sie über den Touchscreen, um das Gespräch anzunehmen, hoffentlich bekam sie nicht schon wieder schlechte Nachrichten! Als sie dann aber hörte, was ihr Freund zu berichten hatte, schossen ihr Tränen des Glücks in die Augen-der Erreger war gefunden worden und konnte behandelt werden-dem Himmel sei Dank! Von einer Sekunde auf die andere war die Welt, die gerade noch in dunkelstes Grau getaucht war, wieder strahlend schön, sie hörte die Vögel singen und spürte die Strahlen der Morgensonne auf ihrer Haut, die voller Kraft durchs Fenster in ihre gemütliche Wohnküche schien.


    „Semir- richte Ben bitte die allerbesten Grüße und Wünsche aus-ich würde dich ja am liebsten beauftragen, ihn in meinem Auftrag zu küssen, aber das lass doch lieber mal, das hole ich besser persönlich nach. Ich komme heute Nachmittag, wenn Hildegard mir die Kinder abnimmt, zu ihm und freue mich wahnsinnig über die Information, die du mir gerade mitgeteilt hast. Ich habe ja einige Zeit auf der kardiologischen Intensiv gearbeitet, das ist sozusagen die beste Diagnose, die unter gegebenen Umständen möglich war-ich hätte es nicht zu hoffen gewagt. Und wenn sogar der Chefarzt meint, Ben könnte wieder ganz gesund werden, dann ist das sehr wahrscheinlich, denn der Chef neigt nicht zu unrealistischen Prognosen. Ach Semir-you made my day!“, rief sie in den Hörer und musste dann glockenhell lachen, als ihr Gegenüber sich beschwerte: „Ihr immer mit euren englischen Ausdrücken-könnt ihr nicht vernünftig Deutsch reden-oder wenigstens Türkisch!“, murmelte der und als sie jetzt auflegte kam Tim, der ausgeschlafen hatte und sein Frühstück wollte, im Schlafanzug die Treppe herunter. „Mama-warum lachst du?“, fragte er und ließ sich von der ausgelassenen Stimmung seiner Mutter anstecken, die ihn jetzt auf den Arm nahm und herumschwenkte: „Dem Papa geht es besser. Er muss zwar noch einige Zeit im Krankenhaus bleiben und du kannst ihn auch leider erst besuchen, wenn er auf der normalen Station ist, aber er wird wieder ganz gesund!“, jauchzte sie und als sich nun ihre kleine Tochter ebenfalls meldete, flog sie regelrecht die Treppe hinauf, um sie aus dem Gitterbettchen zu holen. Das Leben war einfach wunderbar!


    Auch Andrea war von den guten Nachrichten überwältigt und als Semir ihr versprach, am Nachmittag, wenn Sarah zu Ben ging, nach Hause zu kommen, freute sie sich ersten und zweitens teilte sie ihm noch mit, was sie mittags zu kochen gedachte, wenn sie von der Arbeit kam und nachdem das eines von Semir´s Leibgerichten war, lief ihm sozusagen schon jetzt das Wasser im Munde zusammen. „Hebt mir was auf!“, bat er und Andrea lachte. „Nein natürlich nicht, das essen wir alles alleine!“, neckte sie ihn und jetzt mussten sie beide lachen. „Ich liebe dich-und richte Ben einen lieben Gruß von mir aus!“, fügte sei Frau noch hinzu und kaum hatten sie beide aufgelegt, informierte Semir noch Susanne in der PASt, mit der Bitte, die gute Nachricht an alle anderen, die das interessierte, weiter zu leiten.


    Inzwischen war das Medikament aus dem Kühlschrank der Krankenhausapotheke eingetroffen und musste sich noch bei Zimmertemperatur erwärmen. Gerade als Semir zurück kam, der sich noch rasch ein belegtes Brötchen und einen Kaffee in der Cafeteria besorgt hatte, war die Fertigspritze bereit und Ben musterte mit ein wenig gerunzelter Stirn die lange Nadel, die die Schwester aufgesteckt hatte. Er war ganz leicht zur Seite gedreht worden und die Pflegerin tastete nun routiniert nach dem richtigen Injektionsort, indem sie den Beckenkamm fühlte und so die Stelle ermittelte, wo genügend Muskulatur vorhanden war, aber keine großen Blutgefäße in der Tiefe liefen. Sorgfältig hatte sie zuvor bereits ihre Hände desinfiziert und machte dasselbe jetzt durch mehrmaliges Abstreichen mit einem desinfektionsmittelgetränkten Tupfer an der Einstichstelle. Man spritzte heutzutage im Gegensatz zu früher nur noch sehr wenige Medikamente intramuskulär, weil immer die Gefahr eines Abszessbildung bestand, aber bei Avonex schrieb der Hersteller diese Art der Verabreichung vor und so hörte Ben wenig später nur: „Jetzt bitte nicht anspannen, es gibt einen kleinen Pieks!“, und schon glitt die Nadel seitlich in seinen Hintern. Gerade wollte er sagen, dass das überhaupt nicht weh getan hatte, die Schwester stach wirklich sehr gut, aber als die minimale Menge Flüssigkeit sich nun in seine Gesäßmuskulatur entleerte, wusste er plötzlich, was der Arzt gemeint hatte. Unangenehm war nicht der richtige Ausdruck-das brannte wie Höllenfeuer, obwohl die Nadel inzwischen schon lange wieder draußen war und die Schwester ein kleines Pflaster auf die Einstichstelle geklebt hatte. „Ich hänge ihnen gleich noch eine Kurzinfusion mit Paracetamol an!“, verkündete die Pflegerin, nachdem sie die Nadel und die Spritze im Spritzenabwurf entsorgt und ihn zugedeckt hatte.


    Semir, der die Prozedur neugierig beobachtet hatte, trat nun zu seinem Freund und grinste ein wenig. „Wenn wir jetzt beim Kinderarzt wären, würdest du ein Gummibärchen kriegen-du hast überhaupt nicht geweint!“, spöttelte er und erntete dafür einen kleinen spielerischen Boxhieb in die Seite: „Halt bloß die Klappe-dir glüht ja auch gerade nicht der Arsch weg!“, erwiderte Ben, aber dann lauschte er Semir´s Worten, der jetzt von allen Grüße ausrichtete und freute sich schon auf den Nachmittag, wenn er endlich seine Sarah wieder sehen würde. Endlich hatte die Hoffnung wieder im Krankenzimmer Einzug gehalten und auch als allmählich, trotz Paracetamol die angekündigten Gliederschmerzen und Grippesymptome kamen, hielt er sie ohne Murren aus-er hatte die Chance darauf weiter zu leben und dafür würde er alles in Kauf nehmen!

  • Mittags stand die Schwester wieder vor ihm: „Herr Jäger-nachdem sie ja alles essen dürfen, habe ich gedacht ich verschone sie mit Süppchen und Brei, sondern bringe ihnen einfach ein normales Mittagsmenü. Es gibt Spaghetti mit Hackfleischsauce-vielleicht möchten sie ja davon was!“, lockte sie ihn auffordernd und Ben, der die Augen geschlossen und ein wenig vor sich hin gedämmert hatte, wie auch Semir im bequemen Besucherstuhl, wollte erst ablehnen, denn die Gliederschmerzen waren sehr unangenehm und eigentlich hatte er überhaupt keinen Hunger. Als er aber die bittenden Blicke seines Freundes sah, seufzte er auf. „Also gut-vielleicht bringe ich ja ein paar Bissen runter“, erklärte er sich bereit es zu versuchen und in weiser Voraussicht legte die Schwester ein Handtuch wie einen Babylatz über seinen Oberkörper. Nachdem man das Kopfteil ja nicht sehr hoch stellen konnte, weil sonst die Zuleitungen der ECMO in seinen Leisten abknickten, begann Semir ihn zu füttern, als plötzlich wieder ein Stromstoß durch seinen Körper fuhr. Der Türke hatte sich gerade noch in Sicherheit bringen können, als der Monitor zu alarmieren begann, aber Ben verschluckte sich mega an dem Bissen, den er gerade im Mund hatte, außerdem sah er danach aus wie ein Schwein und als Semir der Schwester dann nach dessen heftigem Hustenanfall half, ihn wieder sauber zu machen, den Mund aus zu spülen und ihn ein wenig zu lagern, sagte der Dunkelhaarige erschöpft: „Ich glaube, ab sofort mag ich keine Spaghetti Bolognese mehr-das war jetzt die perfekte Elektroschocktherapie, um mir das Essen abzugewöhnen. Ach verdammt-wann ist das denn endlich vorbei?“, stellte er die Frage, die ihn mehr als alles andere interessierte, aber darauf konnte ihm gerade niemand eine Antwort geben. So schloss er einfach die Augen wieder und ließ das Opiat wirken, das ihm die Pflegekraft sofort verabreicht hatte und so lag er noch da, als ihn zum Schichtwechsel Anita wieder übernahm.


    „Hallo Herr Jäger!“, begrüßte sie ihn herzlich. „Ich habe schon gehört, dass man den Erreger in ihrem Herzen gefunden hat-das sind doch gute Neuigkeiten!“, versuchte sie ihn aufzumuntern, aber Ben blinzelte nur ein wenig unter halb geöffneten Lidern hervor. „Ich hatte so gehofft, dass das mit den Elektroschocks endlich vorbei ist, wenn ich die Spritze habe-mein Hintern tut immer noch weh und außerdem fühle ich mich, als wenn mich ein LKW überrollt hätte, dabei habe ich zuvor gedacht, schlimmer kanns gar nicht mehr werden!“, klagte er, aber nun trat Anita näher, nahm seine Hand in die ihre und sagte voller Zuversicht: „Jetzt nur nicht den Mut verlieren-ich weiß ja nicht, was sie sich vorgestellt haben, aber das Medikament braucht schon ein wenig Zeit, um in ihrem Körper zu wirken. Sehen sie-in ihrem Herzen und vermutlich noch an ganz vielen anderen Stellen ihres Körpers befinden sich gerade die Viren und das Interferon in einem harten Kampf. Dabei werden massenhaft Stoffwechselprodukte freigesetzt, die dann von ihrem Organismus auch erst abgebaut und über die Nieren und den Darm ausgeschieden werden müssen. Weil da sozusagen gerade eine Schlacht in ihnen tobt, das Immunsystem zu Höchstleistungen angetrieben wird und zudem die Entgiftungsorgane auf Hochtouren laufen, fühlen sie sich so krank und matt, aber das ist ein gutes Zeichen, das uns zeigt-das Medikament wirkt!“, erklärte sie voller Überzeugung und auch Semir lauschte gespannt ihren Ausführungen. „Aber die Elektroschocks-wann ist denn diese Folter endlich vorbei?“, fragte nun Ben, was ihn gerade am meisten beschäftigte. „Das kann ihnen ehrlich gesagt niemand genau beantworten!“, überlegte nun Anita und verschwieg wohlweislich, dass es nicht gesagt war, dass sich die Rhythmusstörungen völlig geben würden. „Immer noch ist ihr Herzmuskelgewebe entzündet und angeschwollen. Das Herz kann auch noch keine volle Leistung bringen, sonst würden sie ja das Herzunterstützungssystem nicht mehr brauchen. Normalerweise beginnt jetzt im Verlauf mehrerer Tage der Herzmuskel zu heilen und wir werden dann nach und nach die Leistung der ECMO herunter fahren und ihre eigene Pumpe übernimmt dann wieder die Hauptarbeit-im Moment ist es noch genau umgekehrt. Aber geben sie sich und uns einfach Zeit-ich bin mir ganz sicher, dass es ihnen bald besser gehen wird!“, machte sie ihm Hoffnung und einer ihrer Gedankengänge war zusätzlich, dass Ben, wenn er einmal die ECMO nicht mehr brauchte, auch bewusstlos werden würde, bevor der Stromstoß ihn traktierte, so wie der Defi eigentlich programmiert war.


    Ben gab sich mit ihren Erklärungen zufrieden und nachdem ihn Anita noch ermuntert hatte, wenigstens ein paar Schlückchen Astronautenkost zu trinken, sie die Blutgase kontrolliert hatte und er ein wenig umgelagert worden war, verließ sie den Raum wieder, um sich um ihre anderen Patienten zu kümmern und einer Kollegin und dem Arzt bei einem tobenden Patienten zur Seite zu stehen. „Warum können einem die Ärzte sowas nicht so gut erklären?“, fragte nun Ben seinen Freund, bevor er noch ein kleines Nickerchen machte. „Ich dachte schon, die Spritze wirkt nicht, als ich wieder einen Schock gekriegt habe und war ganz verzweifelt!“, vertraute er seinem Freund an und der nickte zustimmend mit dem Kopf. „Ich habe dasselbe gedacht-wollte dich aber nicht beunruhigen“, gab Semir nun ehrlich zu, aber dann wurden die Atemzüge seines Kollegen immer ruhiger und er glitt in einen friedlichen und erholsamen Schlaf.

  • Das Erste was er im Erwachen wahr nahm, war ein köstlicher Duft, der ihm sehr bekannt vorkam. Als er nun langsam die Augen öffnete, als ihn zarte Hände liebevoll berührten, blickte er direkt in Sarah´s lächelndes Gesicht, die ihn voller Liebe ansah: „Hallo mein Schatz, ich wollte dich eigentlich nicht wecken, aber ich musste dich einfach anfassen!“, sagte sie mit entwaffnender Ehrlichkeit und jetzt zog ein glückliches Lächeln über sein Gesicht. „Schön dass du da bist!“, flüsterte er nun und erst als Semir sich räusperte, bemerkte er, dass der auch noch da war, allerdings bereits in der Zimmertüre stand. „Ich gehe dann mal nach Hause-ich brauche dringend eine Dusche und frische Klamotten, aber wenn du möchtest, komme ich abends wieder!“, kündigte er an und Ben nickte: „Ich würde mich freuen!“, erwiderte er ehrlich-er wusste noch nicht, wie es ihm abends ging, aber es war auf jeden Fall eine gute Option, wenn sein Freund wieder kam. „Richte Andrea und den Kindern liebe Grüße von mir aus!“, beauftragte er noch seinen Kollegen und der machte sich nun auf den Heimweg. Sein Magen knurrte und er hatte das Gefühl, dass seine Klamotten von alleine stehen würden-es war einfach nicht so toll in voller Montur zu schlafen.


    Sarah hatte, bevor sie zu ihrem Mann geeilt war, noch mit Anita gesprochen und auch der Stationsarzt war dazu gestoßen. „Dein Mann war heute schon furchtbar enttäuscht, weil es ihm nicht sofort nach der Interferoninjektion besser ging. Ich habe ihm das dann erklärt-aber eigentlich wäre das eine ärztliche Aufgabe!“, rügte die erfahrene Schwester den Mediziner, der darauf keine Antwort gab-Anita hatte ja Recht. „Nur weil die Zusammenhänge für uns als Profis sonnenklar sind, ist das bei unseren Patienten noch lange nicht so, aber ich hoffe, ich habe mich verständlich ausgedrückt und ihm vor allem nicht die Hoffnung genommen, dass alles gut werden kann!“, fügte sie dann noch hinzu und als der Arzt ein wenig nachdenklich um die Ecke verschwand, fütterte sie Sarah noch mit ein paar Detailinformationen, aber ihr entgingen nicht sie sehnsuchtsvollen Blicke, die die immer in Richtung des Patientenzimmers warf. „Nun geh schon endlich-ich schaue nachher sowieso bei euch vorbei!“, lachte sie dann und jetzt flog Sarah, die ein dezentes Make-Up aufgelegt und sich komplett frisch angezogen hatte, bevor sie aufgebrochen war und zudem den neuen Duft, den Ben ihr zum Geburtstag geschenkt hatte, hinter die Ohren und ins Dekolleté getupft hatte, zu ihrem Mann-sie hielt es vor Sehnsucht fast nicht mehr aus.


    Ich liebe dich!“, sagte sie einfach, als Semir gegangen war und drückte ihn ganz fest. „Nur küssen traue ich mich noch nicht-ich denke zwar, dass ich keine Erreger mehr an mir habe, du glaubst gar nicht, wie ich geschrubbt und desinfiziert habe, aber Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste!“, erklärte sie ihm und jetzt sagte Ben mit verträumtem Gesichtsausdruck. „Wir können uns noch so viel küssen in unserem Leben-und ich mag dich auch bald wieder überall anfassen und streicheln-nur ein wenig gesünder muss ich zuvor noch werden-und habe ich dir schon gesagt, dass du phänomenal gut riechst?“, teilte er ihr mit und jetzt schossen Sarah die Tränen des Glücks in die Augen-Ben sah wieder in die Zukunft und das war das Wichtigste überhaupt-er musste Hoffnung haben, nur dann konnte er gesund werden.
    Sie unterhielten sich noch eine Weile über die Kinder, die schrecklichen Tage, die hinter ihnen beiden lagen und sie versicherten sich ständig aufs Neue ihre Liebe. „Erst als ich jetzt so da liege, wird mir wieder bewusst, was für einen großen Schatz ich mit dir und unseren tollen Kindern habe-ich werde alles tun, damit ich bald wieder nach Hause komme. Und in Zukunft müssen wir einfach offener miteinander umgehen-natürlich kann jeder seine Hobbys und auch eigene Freunde haben, aber sowas wie die letzten Wochen darf einfach nicht mehr vorkommen-wir sollten uns gegenseitig mehr vertrauen!“, teilte Ben seiner Sarah mit, während sie ihn die ganze Zeit liebevoll streichelte, was ihm wohlige Schauer über den Rücken laufen ließ und sie stimmte sie ihm voller Überzeugung zu.


    Wie es Anita voraus gesagt hatte, konnte mit jedem Tag die Leistung der ECMO mehr zurück gefahren werden und wenige Tage nach der zweiten Spritze, die ihm wieder heftige Erkältungssymptome beschert hatte, konnte man das Herzunterstützungssystem ganz ausschalten. Die Thoraxdrainage war am Vortag ebenfalls entfernt worden, was zwar weh getan hatte, aber seit der „Spaghettikatastrophe“ wie Ben das Ereignis scherzhaft titulierte, hatte der Defi nicht mehr ausgelöst. Einen Tag ließ man die Katheter in der Leiste-befüllt mit einem Kochsalz-Heparingemisch- noch liegen, aber dann wurden auch die herausgezogen. Semir hörte die lauten Schreie seines Freundes, als er die Intensivstation gerade betrat und voller Angst eilte er zu ihm, aber der Schmerz war nur kurz gewesen und die Hauptarbeit, die der betreuende Pfleger und der Stationsarzt jetzt hatten, war den Druckverband zu befestigen und Ben zu überzeugen, noch acht Stunden liegen zu bleiben. „Ich weiß-wir haben ihnen versprochen, dass sie aufsitzen und aus dem Bett dürfen, wenn die Drainagen draußen sind-aber damit war doch nicht sofort gemeint!“, zügelten sie seine Ungeduld, was ein verächtliches Schnauben durch Ben´s Nase nach sich zog. Er fühlte sich langsam wieder wie ein Mensch und jetzt würde ihn bald niemand mehr im Bett halten.


    Tatsächlich saß er am nächsten Tag, als Semir ihn wieder besuchte, bereits im Mobilisationsstuhl und einen weiteren Tag später bezog er ein Einzelzimmer auf der Normalstation. Hildegard betreute die Kinder wenn notwendig, Semir war ganz normal arbeiten und Sarah verbrachte viel Zeit an Ben´s Seite, was die beiden wieder eng zusammen rücken ließ.
    Als die Kinder ihn zum ersten Mal besuchten, hatte Ben Tränen des Glücks in den Augen, allerdings getraute er sich tatsächlich noch nicht, Mia-Sophie auf den Arm zu nehmen. Man hatte ihm eingebläut, dass der Defi jederzeit auslösen konnte, er aber zuvor bewusstlos werden würde-das wäre zwar für ihn angenehmer, aber für die Kinder nicht weniger gefährlich. Inzwischen zierte eine wahre Sammlung von Bildern sein Zimmer-Tim hatte sich künstlerisch betätigt und der Tag der Entlassung rückte immer näher.


    Elisa war inzwischen auch ihre Thoraxdrainage los geworden und sollte nach Hause gehen. Niemand aus ihrer Familie ließ sich herab, sie abzuholen und weil sie aus Kostengründen ein Taxi scheute, plagte sie sich mit der schweren Tasche Richtung Straßenbahn ab-ihr stand eine lange Fahrt quer durch die Stadt bevor- als plötzlich ein silberner BMW neben ihr hielt. Überrascht blickte sie auf den türkischen Polizisten-sie hatte ihn nicht mehr gesehen, seitdem er die Todesnachricht seines Kollegen verbreitet hatte. Dafür, dass er erst einen guten Freund verloren hatte, wirkte er sehr vergnügt und sie schlug sein Angebot, sie nach Hause zu bringen, auch nicht aus. Semir hatte gerade Ben besuchen wollen, aber auch wenn ihm die dickliche Frau nicht sonderlich sympathisch war, tat sie ihm doch leid mit ihrem schweren Gepäck. Auch sie war schließlich ein Opfer Wanke´s gewesen, wie auch Natascha, die sich inzwischen bereits häuslich in der Einliegerwohnung eingerichtet, Jerry aus der Klinik geholt hatte und nächste Woche die ersten Vorstellungsgespräche haben würde.
    Wie geht es ihnen und ihrer Freundin?“, fragte er sie höflich, während er das Fahrzeug geschickt durch den dichten Kölner Verkehr lenkte. „Ich bin noch nicht ganz gesund-aber trotzdem froh, wenn ich endlich wieder in meinen vier Wänden bin-und Freundin? Welche Freundin? Ich habe keine Freundin mehr!“, entgegnete sie schnippisch und Semir schwieg jetzt still. Wie arm musste man sein, wenn man niemanden hatte, der einen aus dem Krankenhaus abholte-aber das würde schon seine Gründe haben. Er trug ihr sogar noch ihre Tasche in die Wohnung, deren Luft abgestanden roch, aber dann sah er zu, dass er das Weite suchte. Diese Frau war ihm nicht sympathisch und jetzt würde er sich um etwas Erfreulicheres kümmern-nämlich Ben!


    Elisa hatte sich aufseufzend an ihren Computer gesetzt. Die Wohnung sah noch ziemlich aus-niemand hatte seit der Messerattacke und der nachfolgenden Spurensicherung sauber gemacht, aber sie würde sich damit auch noch Zeit lassen-erst musste sie sich erholen! Als sie voller Glück den PC hochfuhr und sich auf der Autorenseite einloggte, erstarrte ihre Miene. Sie konnte nicht auf die Geschichten zugreifen und als sie dann bei den Konversationen las, was der Forenbetreiber ihr geschrieben hatte, brüllte sie laut vor Empörung. Er hatte ihr einen Verweis wegen der Nutzung des Doppelaccounts erteilt und ihr eine dreimonatige Sperre auferlegt. Außerdem würde sie in Zukunft unter Beobachtung stehen, falls sie weiter Storys schreiben und auf dieser Plattform veröffentlichen wollte.
    Als Elisa an diesem Abend ins Bett ging, weinte sie sich in den Schlaf-das tat mehr weh, als ihre Verletzung und dass Sarah´s Mann überlebt hatte, wie ihr der türkische Polizist ahnungslos erzählt hatte, war zudem ein harter Schlag gewesen, den sie erst einmal verdauen musste. Der Neid auf die junge Frau, die alles hatte, was sie sich wünschte, fraß sie schier auf.


    Weitere drei Tage später wurde Ben nach Hause entlassen. „Normalerweise würden wir sie noch ein wenig hier behalten, aber wir wissen ja, dass sie daheim bestens versorgt werden. Die ersten kurzen Strecken können sie ja bereits wieder laufen, aber schonen sie ihre Kräfte und hören gut in sich hinein-es wird einfach eine ganze Zeit dauern, bis sie sich völlig erholt haben. Lassen sie einmal pro Woche beim Hausarzt Blut abnehmen und ein EKG schreiben, ihre Frau wird ihnen wöchentlich das Beta-Interferon spritzen und nächsten Monat kommen sie bitte zur Schrittmacherkontrolle, dann lesen wir auch aus, ob der Defi nochmals ausgelöst hat, aber normalerweise dürften sie das merken. Bis auf weiteres bitte nicht Auto fahren und keine Maschinen bedienen“, bekam er als Auflage und so begann für Ben ein gemütlicher Sommer in Haus und Garten mit viel Liegestuhl und einer nahtlosen Bräune, denn ihr Grundstück war in weiten Teilen nicht einsehbar. So sah man auch die vielen noch roten Narben kaum mehr und als der Herbst schon an die Tür klopfte, bekam Ben die beste Nachricht, die er sich vorstellen konnte: „Alle Befunde sind wieder völlig im Normbereich, sogar das Belastungs-EKG ist sehr zufriedenstellend, der Schrittmacher und auch der Defi waren die letzten Monate kein einziges Mal in Betrieb-wenn sie wollen, können wir das Gerät und auch die Sonden in örtlicher Betäubung entfernen!“, erklärte der Chefkardiologe, der die Untersuchung höchstpersönlich vorgenommen hatte. „Nichts lieber als das und bitte so schnell wie möglich!“, atmete Ben erleichtert auf.
    Gleich am nächsten Tag wurde er nüchtern einbestellt und am selben Abend bereits wieder entlassen-man hatte ihn nach dem Eingriff im Aufwachraum noch ein paar Stunden monitorüberwacht, aber alles war ruhig geblieben, das Herz pumpte zuverlässig und völlig rhythmisch, wie ein Schweizer Uhrwerk. „Wenn die Fäden entfernt sind, können sie auch wieder arbeiten-ich freue mich sehr für sie, Herr Jäger, dass sie das Ganze so gut und ohne Spätfolgen überstanden haben-sie sind einer der wenigen Patienten, denen das gelingt!“, verabschiedete ihn der Chefarzt und als Ben zuhause war, hätte er laut singen können vor Glück und meldete sich auch gleich für die Folgewoche bei Semir und der Chefin zurück. „Na endlich-ich muss gerade alle möglichen Praktikanten mitziehen-was bin ich froh, wenn du wieder auf dem Beifahrersitz bist!“, rief Semir ins Telefon, aber Ben entgegnete sofort: „Das werden wir dann schon sehen, wer von uns beiden am Steuer sitzt-ich bin auf Entzug!“, und beide brachen in ein befreites Lachen aus.


    Eines Nachmittags waren sie auch gemeinsam mit einem bunten Blumengesteck an die Urnenwand gegangen, wo Felix bestattet war. „Ach Felix-du musstest es mit dem Leben bezahlen, dass ich keine eigenen Ideen hatte!“, weinte Sarah, aber Ben nahm sie daraufhin tröstend in die Arme: „Sarah-du hast das nicht mit Absicht gemacht und es war einfach ein schrecklicher Zufall, dass gerade Wanke auf dieser Seite gelesen und Querverbindungen hergestellt hat“, versuchte er sie zu beruhigen und nach einer Weile gingen sie wieder langsam zum Wagen, die Vögel sangen und die Sonne schien friedlich auf die Gräber des alten Friedhofs in Holweide.
    Sarah hatte auf Ben´s Betreiben hin die Geschichte fertig geschrieben-und zwar wahrheitsgemäß wie alles abgelaufen war-die Leser hatten laut Ben ein Recht darauf und was gab es Ärgerlicheres als unfertige Erzählungen. Inzwischen war bereits eine neue Story von ihr am Start und Frau Krüger hatte das irgendwie unter den Tisch fallen lassen, wie Wanke an die Informationen über die Ermittlungen gekommen war. Der Fall war gelöst, alle Übeltäter tot und es würde kein Verfahren geben. Sarah allerdings würde in Zukunft beim Schreiben nur noch ihre Phantasie zu Hilfe nehmen, damit es nie wieder zu so etwas kam, wie den „Tödlichen Storys!“
    ENDE

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