Tödliche Storys

  • Im Patientenzimmer fackelte man nun nicht lange, Ben wurde aufgedeckt, man relaxierte ihn vorsichtshalber-das bedeutete, dass man ein Muskelrelaxans in seine Blutbahn spritzte, das alle Muskeln für einen gewissen Zeitraum erschlaffen ließ, damit er sich nicht wehren und unbewusst auf das teure Endoskop beißen konnte und dann verdunkelte man den Raum. Erst nahm der Internist eine normale Magenspiegelung vor, damit er eventuelle Auffälligkeiten in der Speiseröhre erkennen konnte und führte dann durch den Mund, am Tubus vorbei, die gedrungene Ultraschallsonde ein, mit der er sich das Herz aus nächster Nähe betrachten konnte. „Ich sehe eine Wandverdickung, aber keinen Anhalt für Thromben!“, berichtete er dann den gespannt lauschenden Zuhörern und Sarah´s Kollegin atmete auf. So schlimm eine Myokarditis, also eine Entzündung der Herzmuskelschicht auch war-bei einer Endokarditis, einer Herzinnenhautentzündung, kam es sehr häufig zu einer eitrigen Zerstörung der Herzklappen und wenn die Thromben sich los rissen, manchmal zu Schlaganfallsymptomen oder dem Absterben von Gliedmaßen. Es waren zwar beides schwerwiegende Erkrankungen, die zum plötzlichen Herztod führen konnten, aber wenn der junge Polizist das überleben sollte, war das sogenannte Outcome, also das Endergebnis besser als bei einer Endokarditis.


    Rasch zog der Untersucher nun das Endoskop aus Ben´s Mund und schob blind durch die Nase eine relativ dünne Ernährungssonde mit Mandrin. Als man von der Länge her vermuten konnte, dass man sich im Magen befand, entfernte er den Mandrin. Man setzte eine Magensondenspritze, die 60 ml fasste, gefüllt mit Luft, auf den Ansatz und während die Pflegekraft die Luft kraftvoll in die Sonde blies, hörte der Arzt auf Ben´s Oberbauch, wo ein typisches Blubbern verriet, dass die Sonde richtig lag. Rasch verklebte man sie auf der Nase und hängte zunächst einen Ablaufbeutel daran, der den Magensaft nach außen abfließen lassen würde-ob man die Sonde befeuern, also Wasser oder Sondenkost in geringen Mengen über eine Sondenpumpe zuführen durfte, würden später die Chirurgen entscheiden-immerhin war Ben am Darm operiert worden.


    In diesem Augenblick begann Ben erneut zu flimmern, aber nach einem sofortigen Stromstoß limitierte sich seine Herzfrequenz wieder und der Kardiologe seufzte auf. „Wir werden um einen implantierten Defi nicht herum kommen, ich rufe nachher den zuständigen Chirurgen an, die sollen schauen, was für Modelle wir im Lager haben und die OP planen, aber jetzt möchte ich erst noch den Piccokatheter legen, damit wir das Volumenmanagement optimieren können!“, teilte er den Anwesenden seine weiteren Planungen mit.


    Der Eingriffswagen wurde näher gefahren, rasch rasierte man Ben´s Leisten, denn bei der vorangegangenen Not-OP hatte man aus Zeitgründen darauf verzichtet und dann zog sich der Internist einen Mundschutz, eine Haube und einen sterilen Kittel und Handschuhe an. Man hatte das Sterilset geöffnet, in dem sich außer dem Piccokatheter und der Desinfektionslösung alles befand, was man zu einem kleinen Eingriff brauchte. Der Kardiologe ließ sich noch einen speziellen Sterilbeutel mit Kontaktgel für die Ultraschallsonde geben, nahm den Inhalt des Piccosets an sich, zog noch sterile Kochsalzlösung auf und kurz darauf hatte er nach dem Abstreichen und Abdecken der Leiste mit dem Sonographiekopf die Femoralisarterie dargestellt und mit einer dicken Spezialnadel punktiert. Mit Seldingertechnik, also durch das Auffädeln des Arterienkatheters über einen Führungsdraht brachte er das Kunststoffschläuchlein in die Arterie ein, spülte es durch und nähte es fest. Alles Weitere, wie das Anschließen eines frischen Arteriensystems, den Aufbau der Messinstrumente und Thermistoren, den sterilen Verband und das Einmessen der Werte würde ein junger Assistenzarzt gemeinsam mit der Intensivschwester übernehmen und er zog sich jetzt rasch Kittel und Handschuhe aus, desinfizierte seine Hände und griff dann zum Telefon, um mit dem zuständigen Chirurgen und dem Zentrallager die Implantation eines Schrittmachers mit Defifunktion abzustimmen. Zweimal hatte man nämlich während der Vorbereitungen wieder ein gefährliches Kammerflimmern mit einem Stromstoß behandeln müssen, niemand konnte sagen, wie lange es dauern würde, bis sich das Herz erholte und ob nicht als Spätfolge Herzrhythmusstörungen bleiben würden, sofern der Patient das Ganze primär überlebte.


    „Wenn ihr fertig seid, lasst nochmals kurz die Angehörigen herein und bereitet ihn vor, aber in etwa einer halben bis einen Stunde wird Herr Jäger in den OP abgerufen. Ich gehe mit und programmiere dann vor Ort gleich den Schrittmacher und den Defi, aber jetzt werde ich noch kurz die Dinge aufarbeiten, die in der letzten Stunde liegen geblieben sind-sagt mir Bescheid, wenn es los geht!“, bat der kardiologische Oberarzt nach den Telefonaten seine Truppe, sah sich noch die Ergebnisse der Piccomessung an, die aber aktuell zeigten, dass sie mit ihrer Therapie richtig lagen und so saßen wenig später Sarah und Semir wieder neben Ben´s Bett und warteten aufgeregt, bis er abgerufen wurde. „Bitte-ich will wenigstens bis zum OP mitkommen, ich weiss, dass ich nicht mit rein darf, das haben die Chirurgen nicht so gerne, aber wir möchten dann wieder vor der OP-Abteilung auf ihn warten, das hat heute schon einmal Glück gebracht!“, bat Sarah und mit einem Lächeln beschied ihr ihre Kollegin, dass da nichts dagegen sprechen würde.


    Wieder hängte man Monitore, Messinstrumente und Perfusoren um, setzte Ben eine grüne Einmalhaube auf und auch wenn zweimal während der Wartezeit sein Herz wieder Kapriolen schlug und er geschockt werden musste, jedes Mal erholte er sich sofort wieder und Semir begann verwundert fest zu stellen, dass er sich allmählich an diese Situation zu gewöhnen begann-ach du lieber Himmel!
    Inzwischen war es vierzehn Uhr geworden und langsam setzte sich nach dem Abruf zur OP der Intensivtransport in Bewegung. Die OP-Säle lagen in einem anderen Stockwerk und so hatten sie gerade den geräumigen Aufzug betreten und der hatte sich kaum in Bewegung gesetzt, als plötzlich ein Ruckeln durch die Kabine ging und das Licht verlöschte. „Verdammt noch mal-was ist denn jetzt los?“, fluchte der Kardiologe und hämmerte im gespenstischen Licht der Monitore und Perfusoren, die den kleinen Raum wenigstens ein bisschen erhellten, auf die Aufzugknöpfe und den Notruf, aber nichts rührte sich-sie steckten fest!

  • Hartmut war wieder nach Köln zurück gefahren. Er musste jetzt einfach nach Ben sehen, auch wenn er vielleicht nicht auf die Intensivstation durfte, aber dann konnte ihm wenigstens Semir Auskunft geben! Natürlich nahm er den Freitagnachmittagsstau auf der A3 voll mit und es dauerte bis weit nach 14.00 Uhr, bis er sich im stop and go in die Innenstadt gequält hatte und endlich seinen Wagen auf dem Klinikparkplatz abstellen konnte. Als er das Krankenhaus betrat, fiel ihm schon eine gewisse Unruhe in der Eingangshalle auf. Die Beleuchtung war nicht so hell wie gewohnt und als er die Dame an der Pforte, die ja eher einer Rezeption glich fragte, was los wäre, gab die ihm zur Auskunft: „Wir hatten einen Stromausfall, jetzt läuft zwar das Notstromaggregat, um die wichtigsten Funktionen aufrecht zu erhalten, aber alle Computersysteme sind abgestürzt, die Aufzüge stecken geblieben und unsere Techniker arbeiten auf Hochtouren, um den Fehler zu finden. Ich kann ihnen jetzt leider nicht helfen, falls sie sich nach einer Zimmernummer erkundigen wollten-ohne PC bin ich hier relativ hilflos, aber ich würde sie einfach auf die entsprechende Station schicken, damit sie dort vor Ort fragen können, wenn sie mir sagen, was ihrem Angehörigen fehlt!“, gab sie ihm Auskunft und Hartmut überlegte noch kurz, ob er der Technikabteilung seine Hilfe anbieten sollte, aber dann beschloss er, dass das deren Bier war, da waren ja schließlich sicher auch Fachleute beschäftigt, die ihren Beruf verstanden-so etwas kam einfach vor. Er würde jetzt nach Ben sehen und sich dann in der KTU noch ein wenig nützlich machen, bevor er nach Hause ging-immerhin war er schon mehr als zwölf Stunden auf den Beinen und die Ereignisse der Nacht steckten ihm noch in den Knochen.


    „Mein Kollege liegt nach einer Messerstichverletzung auf der Intensivstation!“, gab er der Dame nun bereitwillig Auskunft und die runzelte die Stirn: „ Dann müsste er eigentlich auf einer der chirurgischen Intensivstationen liegen-ich vermute die 5.3, also im fünften Stock. Allerdings werden auf unseren Intensivstationen nur nächste Angehörige als Besucher eingelassen, vielleicht können sie sich den Weg sparen?“, informierte sie ihn und Hartmut nickte: „Das ist mir durchaus bekannt, aber ein weiterer Kollege von mir wacht gemeinsam mit der Frau meines Freundes an seinem Bett-der kann ja vielleicht kurz herauskommen und mir Auskunft geben!“, berichtete er und machte sich dann auf den Weg zu den Treppen, auf denen anders als sonst reger Betrieb herrschte. „Können die die Intensivstationen nicht im Parterre machen?“ überlegte er, als er verbissen Stockwerk um Stockwerk überwand.
    Die elektrische Schiebetür zur Intensivstation stand offen und drinnen war hektisches Gepiepe auszumachen. Als er eine Schwester erwischte, die gerade in die nächste Patientenbox hastete, um dort die vielen unnötigen Alarme abzuarbeiten, die die Medizingeräte aussandten, als der Strom wegblieb und sie erst auf internen Akkubetrieb und dann, als das Notstromaggregat angesprungen war, wieder in Normalbetrieb gingen, gab sie ihm kurz Auskunft, dass Herr Jäger auf die Kardiologische Intensivstation verlegt worden war, die sich im sechsten Stock befand.
    Stirnrunzelnd erklomm Hartmut erneut die Stufen-was tat Ben auf der Kardiologie- und traf dasselbe Chaos auch auf der genannten Station an. Viele Alarme mussten mechanisch abgearbeitet werden und gerade waren sie verstummt, da flackerten erneut die Lichter-anscheinend war der Strom wieder da-und ein weiteres Mal meldeten sich Beatmungsgeräte, Infusomaten, Perfusoren, Dialysegeräte und viele andere Maschinen und die Arbeit für die Pflege begann von neuem.


    Irgendwann gelang es ihm, jemanden zu erwischen, der nicht im Laufschritt an ihm vorbei eilte. Der Pfleger runzelte die Stirn, als er nach einem Ben Jäger fragte und sagte: „Ich habe meine Schicht gerade erst begonnen und kenne ihn noch nicht persönlich, aber ja-der ist bei uns Patient, allerdings im Augenblick im OP-er bekommt einen Herzschrittmacher!“ und mit dieser Auskunft ließ er einen beinahe sprachlosen Hartmut zurück, der angestrengt nachdachte, ob es sich nicht um eine Verwechslung handeln könne. Warum sollte Ben einen Schrittmacher kriegen? Sowas implantierte man doch normalerweise alten Leuten? Vermutlich hatte der Pfleger da doch etwas verbuchselt, was aber bei dem herrschenden Chaos kein Wunder war. Nur stellte sich dann die nächste Frage: Wo steckte dann sein Freund-und wo waren Sarah und Semir? Unauffällig streunte er über die Station und sah in alle Zimmer, aber außer einem leeren Bettplatz, wo aber tatsächlich Ben´s Name stand und außerdem Semir´s Lederjacke, die er nur zu gut kannte, auf einem Stuhl lag, konnte er nichts entdecken. Gut-vermutlich durfte Semir zumindest nicht mit in den OP, der musste sich also irgendwo rum treiben und so beschloss er, sich zunächst einmal vor der OP-Abteilung um zu sehen, vielleicht waren da im Wartebereich seine Freunde.
    Gerade wollte er die Station, auf der so langsam wieder Ruhe einkehrte, verlassen, da hörte er die erstaunte Stimme des Pflegers sagen: „Nein-Herr Jäger wurde schon lange abgerufen-das war noch in der Frühschicht. Unser Kardiologe und die Schwester, die ihn am Morgen betreut hat, haben den Transport begleitet-hier ist niemand mehr, die müssten schon mindestens eine halbe Stunde, solange bin ich nämlich bereits da, bei euch in der Operationsabteilung sein!“ und jetzt merkte Hartmut auf. Wieder stellte sich die Frage: „Wo steckte Ben?“ und er beschloss, sich auf die Suche zu machen.


    Im Aufzug herrschte derweil betretenes Schweigen. Es dauerte nicht lang und man konnte hysterische Hilferufe, aus anderen stecken gebliebenen Aufzügen hören. „Hat von den Anwesenden hier jemand Platzangst?“, fragte der Kardiologe ruhig, aber alle verneinten. „Der einzige, der hier Probleme mit sehr engen Räumen hat, seitdem er vor vielen Jahren in einem Sarg lebendig begraben wurde, schläft Gott sei Dank!“, gab nun Semir Auskunft und so blieb ihnen zunächst nichts weiter übrig, als abzuwarten. „Normalerweise springt das Notstromaggregat ziemlich schnell an, es wird sicher nicht lange dauern!“, hoffte die Schwester und tatsächlich, wenig später ging flackernd das Licht an, allerdings rührte sich der Aufzug keinen Millimeter, auch als der Kardiologe erneut auf allen Knöpfen herum drückte. Sekunden später verrieten verräterische Wellenbewegungen des EKG und ein schriller Alarmton des Monitors, dass Ben schon wieder Kammerflimmern hatte. „Alle weg vom Bett!“, ordnete der Arzt an und löste den Defi aus und Gott sei Dank schlug wenig später Ben´s Herz wieder im Sinusrhythmus, zwar schnell, aber es pumpte wieder.
    "Der erste der schlapp machen wird, ist der Monitor!“, sagte die Schwester nach einem Blick auf die Akkuanzeige. „Ich schätze, er geht noch so etwa eine halbe Stunde, bevor er aussteigt, allerdings können wir über den Defi zumindest das EKG ableiten, damit wir merken, wenn er wieder Probleme kriegt. Und wie lange die interne Batterie des Defi hält, hängt davon ab, wie oft wir ihn in der nächsten Zeit brauchen. Die Perfusoren funktionieren um die sechs Stunden, da haben wir eher das Problem, dass kein Ersatzdobutamin im Notfallrucksack ist, weil das ja kein Notfallmedikament in diesem Sinne ist-wenn das weiter in dieser Dosierung läuft, kriegen wir in zwanzig Minuten ernste Schwierigkeiten!“, befürchtete sie und jetzt herrschte erst einmal betretenes Schweigen. Nun begannen Sarah und Semir auch um Hilfe zu rufen, damit man auf ihre prekäre Situation aufmerksam wurde. Das Telefon des Kardiologen funktionierte nicht und aus benachbarten Aufzügen hörte man hysterisches Kreischen-da hatte jemand eine Panikattacke. „Jetzt können wir nichts weiter tun als hoffen und beten, der Strom ist ja anscheinend wieder da, die werden uns sicher in Kürze befreien, sonst….“, sagte der Kardiologe und es war allen Anwesenden bewusst, dass das Ben´s Todesurteil bedeuten konnte.


    Die Minuten verstrichen, man hörte von draußen geschäftige Geräusche, anscheinend arbeiteten Techniker durchaus auf Hochtouren daran, die Aufzüge wieder in Betrieb zu nehmen. Sarah hatte wie hypnotisiert den Stempel der Perfusorspritze beobachtet, der sich unbarmherzig vorwärts bewegte. Zweimal musste Ben erneut geschockt werden und dann sagte Sarah mit dünner Stimme zu ihrer Kollegin: „Wie lange noch?“, und die antwortete mit einem Kloßgefühl im Hals: „Zehn Minuten!“, und jetzt wurde Semir aktiv, der schon die ganze Zeit das Aufzuginnere gemustert hatte. „Dort in der Decke ist eine Falltür, ich werde versuchen über den Aufzugschacht nach oben zu klettern und irgendwie Hilfe oder wenigstens dieses Dobutamin zu holen!“, beschloss er und stieg auch schon auf das Bett. Wenig später hatte er die Tür geöffnet und stemmte sich durch die Lücke nach draußen. Der Aufzug steckt genau zwischen zwei Stockwerken und es gab auch hier an der Seite eine Metallleiter, mit der er nach oben klettern konnte. Mit Schaudern erinnerte sich Semir daran, wie er schon einmal gemeinsam mit Ben und einer Person, die sie beschützen sollten durch genau so einen Schacht geflohen waren, dort wurden sie allerdings von Feuerwalzen verfolgt und waren nur mit knapper Not entkommen. Hoffentlich setzte sich der Fahrstuhl nicht in gerade jetzt in Bewegung, sonst würde er zerquetscht werden.


    Genau in diesem Moment rief eine vertraute Stimme ganz nah: „Ben, Semir-Sarah, seid ihr hier irgendwo?“, und jetzt atmete der kleine Türke trotz der prekären Situation auf. „Hartmut-ja wir sind hier und ich steige gerade aus dem Aufzug aus-Ben braucht dringend ein lebenswichtiges Medikament, kannst du versuchen die Schiebetür von außen mit irgendeinem Werkzeug zu öffnen?“, bat er und tatsächlich ging wenig später die Tür in die Freiheit einen kleinen Spalt auf, so dass er sich durchzwängen konnte. Hartmut stand da mit einem Hausmeister mit einem Brecheisen, das sie als Hebel verwendet hatten. „Ich muss ganz schnell auf die Intensiv und dort was holen-versuche du derweil die Techniker zu unterstützen, damit wir Ben dort raus holen können, sonst wird er das nicht überleben!“, rief Semir nun hektisch und rannte so schnell er konnte Richtung Treppe.

  • Der Politiker hatte derweil mehrfach erneut versucht, seinen Lakaien anzurufen, war dann aber noch zur Eröffnung eines Einkaufszentrums gefahren, wo er als Ehrengast eine kurze Rede hielt, artig Hände schüttelte und dann nach Hause fuhr. Er würde dem Türsteher noch ein wenig Zeit geben-wenn der aber übers Wochenende seinen Auftrag nicht erfüllt hatte, würde er selber dran kommen, aber jetzt widmete er sich zunächst einmal seiner Familie und war treu sorgender Vater und liebevoller Ehemann-eine Rolle, die er in seinen Augen hervorragend spielte. Allerdings befand sich seine Frau seit Jahren in psychiatrischer Behandlung und seine Tochter war das Partygirl schlechthin, schlug ständig über die Stränge, kokste und landete zu seiner Verärgerung bald jede Nacht mit einem anderen Typen im Bett. Er wusste gar nicht mehr, wie oft sie schon die Pille danach gebraucht hatte und zwei Abtreibungen hatte sie auch schon hinter sich, da hatte er verschwiegene Ärzte an der Hand und sie auch jedes Mal persönlich in die weit entfernte Praxis gefahren. Aber nach außen hin war alles Friede, Freude, Eierkuchen, er war ein angesehener Mann, der politisch etwas galt und niemand wunderte sich, wie er den Luxus, der ihn umgab, finanzierte.


    Semir war inzwischen wie der Blitz auf die kardiologische Intensivstation gerannt, hatte dort in kurzen Sätzen die Katastrophe berichtet und wenig später waren nicht nur er, sondern auch ein Pfleger zur Orientierung auf dem Weg zum Fahrstuhl. Hartmut befand sich nicht mehr an der aufgestemmten Türe, aber inzwischen hatten sich dort mehrere Personen eingefunden, man beruhigte auch mit lauten Rufen und Durchhalteparolen die Eingeschlossenen in den anderen Fahrstühlen, aber es sah nicht so aus, als würde es in nächster Zeit eine Lösung geben. Einer der Haustechniker berichtete atemlos, dass ein Kundendienstmonteur der Aufzugfirma zwar unterwegs sei, aber durch den Stromausfall hatte es einen technischen Defekt in der Steuerung gegeben und er selber konnte da überhaupt nichts machen-zu viel Fachwissen war dafür nötig. Der Monteur steckte auf der Autobahn im Nachmittagsstau fest und würde vermutlich erst in ein bis zwei Stunden eintreffen. Semir überlegte nicht lange, sondern kletterte sofort wieder durch den Aufzugschacht zu seinem Freund, übergab dem Arzt die mitgebrachte Perfusorspritze und erfuhr von einer schreckensbleichen Sarah, dass Ben in seiner kurzen Abwesenheit nochmals zweimal hatte geschockt werden müssen und es ihm fast minütlich schlechter ging. Der Pfleger rief durch die geöffnete Tür, ob er noch etwas bringen oder helfen könne, aber die Eingeschlossenen verneinten-und wenn sie etwas bräuchten, würde Semir der Bote sein, so ging er wieder zurück auf die Intensiv, um seiner normalen Arbeit nach zu gehen.


    „Er braucht dringend den Schrittmacher und der Kardiologe überlegt schon, was man weiter noch machen kann, um Ben´s Herz zu entlasten, bis die Myokarditis ausgeheilt ist-wenn sie denn ausheilt…“, gab Sarah an Semir weiter und als der den Blick durch die Aufzugkabine wandern ließ, sah er nur besorgte Gesichter. Klar war-man musste Ben hier schnellstmöglich raus bringen-aber wie? Semir konstatierte, hier vor Ort konnte er nichts ausrichten, außer Medikamente oder Geräte zu seinem Freund zu schaffen, aber vielleicht würde es etwas bringen, wenn der Kundendienstmonteur von einer Polizeistreife durch den Verkehr gelotst wurde? Gerade kletterte er wieder nach oben, um zu sehen wo er Handyempfang hatte und die Chefin informieren konnte, da kam plötzlich ein weiterer Hausmeister ganz aufgeregt angerannt. „Alle raus aus dem Schacht-in der Aufzugzentrale im Keller sitzt ein Typ, der denkt, er kann die Fahrstühle wieder in Bewegung setzen!“, rief er und Semir konnte sich schon denken welches rothaarige Genie da an der Arbeit war. Schnell verließ er den Schacht und nachdem der Hausmeister einen Anruf getätigt hatte, spähten sie gespannt durch die Lücke und tatsächlich-wenig später setzte sich plötzlich ruckelnd die Kabine nach unten in Bewegung und hielt am Stockwerk, wo die OP-Abteilung war. Es war zwar noch eine Stufe von fast 30 Zentimetern zu überwinden, besser kriegte Hartmut es nicht hin, aber gemeinsam mit dem Hausmeister rannte Semir nach unten und sie wuchteten nun auch diese Türe mit dem Brecheisen auf.
    „Schnell-wir brauchen ein frisches Bett, dann heben wir ihn rüber!“, befahl der Arzt und wieder sauste Semir los, um das Gewünschte zu besorgen. Gott sei Dank standen mehrere saubere Betten abgedeckt in einem Nebengang und so wurde Ben rasch, aber doch unendlich vorsichtig, umgelagert. Man beatmete ihn derweil mit einem Ambubeutel, hängte dann den Monitor ans frische Bett, legte den Defi und den Notfallkoffer dazu und der Hausmeister hatte die kostbaren und absolut lebenswichtigen Perfusoren übernommen und dann mit Hilfe am neuen Bett befestigt. Rasend schnell ging es jetzt in die OP-Abteilung, wo man besorgt auf den kritischen Patienten gewartet hatte-wie ein Lauffeuer hatte sich die Meldung von den stecken gebliebenen Patienten, Mitarbeitern und Besuchern im Haus verbreitet. Wenig später lag Ben auf dem Schleusenband und voller Liebe verabschiedete sich Sarah ein weiteres Mal von ihm-am liebsten wäre sie ihm nicht von der Seite gewichen, aber der Kardiologe hatte auf die Frage, ob sie mitkommen dürfe, entschieden den Kopf geschüttelt. „Frau Jäger-gehen sie einen Kaffee trinken-ich passe gut auf ihren Mann auf!“, hatte er bestimmt gesagt und Sarah hatte sich gefügt-er hatte ja Recht!


    Inzwischen war es Hartmut gelungen, auch die anderen Aufzüge einzeln zu den Stockwerken zu navigieren-diese Gott sei Dank ohne Stufe- und deren Türen öffneten sich jetzt selbstständig und die geschockten und blassen Menschen strömten erleichtert heraus. Der Haustechniker, der selber vergeblich versucht hatte, an der Aufzuganlage etwas zu machen, schüttelte bewundernd den Kopf: „Ich hätte mich das nicht getraut!“, sagte er, aber er hatte immerhin einen Laptop und mehrere Kabel zur Verfügung gestellt, mit deren Hilfe sich Hartmut den Zugang zur Elektronik verschafft hatte, in der es durch den Stromausfall einen Kurzschluss gegeben hatte, der die Anlage außer Betrieb gesetzt hatte. Er hatte mithilfe eines eilig herbei geholten Lötkolbens und mehrerer Drähte die Anlage notdürftig repariert, allerdings musste der Kundendienstmonteur da eine neue Steuereinheit einbauen, aber das konnte er später in Ruhe erledigen. Man sperrte dennoch erst einmal die Fahrstühle für die Allgemeinheit, aber Notfahrten konnte man durchaus durchführen.
    Hartmut lief nun erneut die ganzen Treppen vom Keller nach oben bis zur OP-Abteilung und dort fand er seine Freunde wartend vor der grünen Schiebetür. „Hartmut-dich hat der Himmel geschickt!“, sagte Semir ernst und der Rothaarige grinste: „Muss wohl so sein-ich weiß eigentlich selber nicht, warum ich unbedingt persönlich nach Ben sehen wollte, anstatt anzurufen!“, teilte er ihnen mit und nun warteten sie zu dritt auf irgendwelche Neuigkeiten-hoffentlich gute!


    In der OP-Abteilung hatte man den tief schlafenden, aber verdammt instabilen Patienten an das Narkosegerät gehängt und mit weiterhin erhöhtem Oberkörper auf dem OP-Tisch fest geschnallt. Der Kardiologe hatte Ben an die Narkoseärztin übergeben und war dann eilig in die Personalschleuse geeilt, um sich umzuziehen. Wenn ein Schrittmacher gelegt wurde, setzten den zwar die Chirurgen ein, aber die individuelle Programmierung erfolgte von außen mittels eines starken Magneten und das war Aufgabe des Kardiologen. Bis er den Saal, nun ebenfalls grün gekleidet und mit Mundschutz, Haube und OP-Clogs versehen, betrat, hatte man Ben´s linke Schulterpartie schon abgestrichen und ihn abgedeckt. Mittels eines kleinen Schnittes von etwa 6 Zentimetern setzte man nun das winzige Kästchen ein, das nicht viel größer als eine Streichholzschachtel war und hatte damit das eigentliche Schrittmacheraggregat mit den Steuerungschips, den Hochleistungsbatterien und in Ben´s Fall eben dem integrierten Defi , unter der Haut implantiert.
    Nun begann die wirklich schwierige Arbeit-nämlich die beiden Schrittmachersonden durch die untere Hohlvene zum Herzen zu schieben und dort richtig in Vorhof und Kammer zu platzieren. Gott sei Dank ging das bei Ben relativ problemlos, allerdings gab es noch vor der korrekten Platzierung eine kurze Schrecksekunde, als Ben erneut zu flimmern begann. „Alle weg vom Tisch!“, rief die Narkoseärztin und löste durch einen Knopfdruck von außen den lebensrettenden Stromstoß aus, der noch durch die aufgeklebten Elektroden unter den sterilen Tüchern lief und Ben´s Körper sich aufbäumen ließ. Ein leichter Geruch nach verbranntem Fleisch durchzog den OP und als die Chirurgen nach der erfolgreichen Defibrillation wieder an den Tisch traten, bemerkten sie: „Das wird höchste Zeit mit dem implantierten Defi-sonst kriegt er noch Hautnekrosen am Brustkorb!“


    Man leitete die elektrischen Herzimpulse nun direkt über die Schrittmachersonden ab, kontrollierte die korrekte Lage noch mittels C-Bogen, also einer Röntgendurchleuchtung vor Ort, weshalb die Mitarbeiter im OP, die den Raum nicht für kurze Zeit verlassen konnten, alle schwere Bleischürzen und Schilddrüsenschützer unter den OP-Kitteln trugen und als der Kardiologe ebenfalls zufrieden war, schraubte man die liegenden Sonden mittels eines kleinen Gewindes an dem Aggregat an. Mit vier Stichen erfolgte der Wundverschluss, ein kleines Sterilpflaster kam auf den Hautschnitt und jetzt legte der Kardiologe seinen starken Magneten auf Ben´s Brust und programmierte darüber mit einem Steuerungsgerät den Schrittmacher und den Defi nach seinen Vorstellungen. Kaum war die Arbeit beendet, flimmerte Ben erneut, was man auf dem Monitor erkennen konnte und jetzt löste zum ersten Mal der implantierte Defi den Impuls selbstständig aus und gab den Schock direkt über die liegenden Sonden im Herz selber ab mit natürlich wesentlich geringerer Stromstärke, in Ben´s Fall nur etwa 7 Joule. Eine junge Krankenpflegeschülerin, die gespannt den Eingriff beobachtet hatte, fragte ängstlich: „Was passiert jetzt, wenn ich z.B. den Patienten gerade anfasse oder wasche, wenn so ein Schock ausgelöst wird?“, aber der Kardiologe konnte sie beruhigen. „Ihnen geschieht da gar nichts-es kann nur sein, dass sie ein Prickeln, oder einen leichten Stromschlag verspüren, als wenn sie an einen schwach geladenen Elektrozaun kommen, gerade wenn Wasser oder Schweiß als Medium dienen und ich habe den Defi auch so programmiert, dass der Patient eigentlich schon bewusstlos sein müsste, bevor der Impuls ausgelöst wird.“, erklärte er und nun zog man die aufgeklebten Defipaddels ab und betrachtete voller Mitleid die beiden handtellergroßen Brandverletzungen. Man versorgte sie mit einem sterilen saugenden Verband und dann wurde Ben nach einer knappen halben Stunde auch schon wieder aus dem OP gefahren, wo Sarah und seine Freunde ihn bereits sehnsüchtig erwarteten.

  • Man ließ Ben nachbeatmet und brachte ihn wieder auf seinen Platz auf der Intensivstation. Allerdings reduzierte man die Sedierungsperfusoren, damit der Blutdruck, der mit hohen Dosen kreislaufstützender Medikamente leidlich stabil war, nicht von den Schlafmitteln zusätzlich merklich gesenkt wurde. Man hängte in Abstimmung mit den Viszeralchirurgen an die Ernährungssonde Sondenkost über eine Pumpe mit einer niedrigen Laufrate, damit die Dünndarmzotten versorgt wurden und nicht abstarben und verabreichte ihm nacheinander noch sechs verschiedene, aufgelöste Tabletten darüber, in der Hoffnung die Herzleistung zu verbessern, aber das Gegenteil war der Fall. Obwohl in seinem Organismus ein ausreichend hoher Wirkspiegel an Antibiose war, der eigentlich eine weitere Vermehrung der Streptokokken verhindern müsste, schritt die Entzündung der Herzmuskelschicht rasant fort.


    Hartmut war noch mit ihnen gemeinsam bis zur Intensivstation gefahren, hatte sich dann aber verabschiedet-das Schild davor, auf dem ausdrücklich stand, dass nur jeweils zwei Besucher pro Patient erwünscht waren, kannte er schließlich schon und außerdem konnte er jetzt sowieso nichts mehr machen und würde sich zuhause einfach ins Bett hauen-er war nämlich hundemüde. Wenn er ausgeschlafen hatte, würde er sich weiter Gedanken machen, wie man an den Typen aus dem Ministerium rankommen konnte, aber gerade herrschte in seinem Kopf eher ein Vakuum. „Ich wünsch dir alles Gute Ben!“, hatte er leise gesagt und seinem Freund, der einfach schrecklich krank aussah, so grau im Gesicht und die Hände und Füße angeschwollen, zum Abschied flüchtig übers verwuschelte Haar gestrichen, in dem noch Staub, Schweiß und Schmutz aus dem Keller klebten. Als er dann langsam die Treppe hinunter ging, war ihm ganz schwer ums Herz-ob er Ben noch einmal sehen würde, oder war alles umsonst gewesen? Unten regte sich ein beleibter Mann, dem das Treppensteigen sicher nicht schaden würde, maßlos auf, weil an allen Aufzügen ein Schild mit: „Außer Betrieb!“ stand und die Schimpftiraden klangen noch in Hartmut´s Ohren nach, als er bedrückt die Klinik verließ und mit hängenden Schultern Richtung Wagen ging.


    Im Haus der Gerkhan´s war Natascha gegen zwei aufgewacht, weil fröhliches Kinderlachen durchs Stockwerk schallte. Im ersten Moment hatte sie gar nicht gewusst, was überhaupt los war, aber dann waren ihr mit einem Schlag die schrecklichen Erlebnisse der Nacht eingefallen. Trotzdem blieb sie erst einmal noch einen kurzen Moment in dem kuschligen Gästebett liegen, räkelte sich und musterte die schöne Einrichtung. Ihr Blick fiel durch die halb zugezogenen Vorhänge in den Garten, der noch in voller Herbstpracht stand, auch wenn der Winter schon an die Tür klopfte. Eine Schaukel, ein Trampolin, ein Spielhaus und ein großer Sandkasten zeigten, wer den Garten belebte und als Natascha schnupperte, zog ein verführerischer Geruch nach frisch gekochtem Essen durchs Haus. Seufzend stand sie auf und als sie leise die Türe öffnete, um ins Bad zu gehen, flog ein Lächeln über ihr Gesicht. Die Klamotten, die sie gestern getragen hatte und voller Schmutz in einer Plastiktüte vom Krankenhaus mitgebracht hatte, lagen sauber gewaschen und anscheinend frisch aus dem Trockner, ordentlich zusammen gefaltet in einem kleinen Wäschekorb auf dem Boden vor dem Gästezimmer. Im Bad hatte ihr Andrea am Morgen noch Handtücher und eine frische Zahnbürste gegeben, sogar ein eigener Kamm lag für sie bereit und im Gegensatz zu sonst, legte Natascha jetzt kein Make Up auf, sondern ging so wie sie war, nachdem sie ihre Morgentoilette beendet hatte, nach unten, wo vier große dunkle Kinderaugen sie neugierig musterten. „Hallo-ich bin Natascha und darf ein bisschen bei euch wohnen, wie heißt ihr denn?“, brach sie das Eis und nun plapperten Ayda und Lilly fast gleichzeitig los, die schon gespannt auf das Erwachen ihres Gastes gewartet hatten. Als sie kurz Luft zum Atmen hatte, wandte sich die junge Frau Andrea zu und bedankte sich dafür, dass sie ihre Sachen gewaschen hatte. „Komm-Natascha, magst du einen Kaffee, oder was darf ich dir anbieten-wir haben natürlich auch was für dich zum Mittagessen aufgehoben, es gibt Rindergulasch mit Nudeln und Salat-sag was du möchtest!“, offerierte ihr Andrea herzlich und Natascha wurde es warm ums Herz. So freundlich war sie schon lange nicht mehr behandelt worden und als sie eine Tasse Kaba getrunken hatte und noch ein wenig wach geworden war, verdrückte sie voller Appetit einen Teller voll Gulasch und spielte dann mit Lilly, half nebenbei Ayda bei den Hausaufgaben und zum ersten Mal seit Monaten war sie wieder so richtig glücklich. „Hat man etwas gehört-wie geht es Ben?“, fragte sie einmal schüchtern, aber Andrea hatte leider auch keine Neuigkeiten. Gegen fünf läutete dann das Telefon und Semir, der selber völlig erschöpft klang, war dran. „Er sagt, Ben geht es massiv schlecht, sein Herz steht kurz vor dem Versagen, er hat schon einen Herzschrittmacher bekommen, aber man weiß nicht, ob er die Nacht überleben wird-Semir bleibt bei ihm!“, berichtete Andrea danach-ohne dass die Kinder das mit bekamen und jetzt wäre Natascha beinahe in Tränen ausgebrochen. Ihr Mr. Sexy, der so eine tolle Frau hatte und Vater von zwei süßen Kindern war-da stand nämlich ein Foto von den Vieren auf dem Sideboard- durfte einfach nicht sterben, aber es stand wohl nicht in ihrer Macht, darüber zu bestimmen. Allerdings würde sie, Natascha, alles tun, damit wenigstens die beiden Schuldigen ihre gerechte Strafe bekamen und in den Club würde sie nie mehr zurück kehren.


    In der Uniklinik hatte man medikamentös das Menschenmögliche ausgeschöpft, aber Ben würde die Nacht nicht überleben, wenn man nicht rasch etwas unternahm. Der Kardiologe machte erneut einen Herzultraschall und man maß auch die Piccowerte, aber beide zeigten das gleiche Ergebnis-das Herz des dunkelhaarigen Patienten stand kurz vor dem Pumpversagen. Immer wieder zeigte der Monitor mit lautem Alarmton Kammerflimmern, aber der Schrittmacher mit dem eingebauten Defi tat zuverlässig seinen Dienst und gab dann einen Schock ab und bisher war Ben´s Herz auch jedes Mal wieder angesprungen, aber irgendwann würde es das nicht mehr tun und dann war es vorbei. Der Kardiologe hatte noch einen weiteren Kollegen zugezogen und dann fasste man den Entschluss, eine externe Herzunterstützung einzusetzen. „Frau Jäger-sie wissen ja, was das ist und wir haben uns entschieden, ihn an die veno-arterielle ECMO zu hängen. Die einzige andere Alternative wäre noch eine Herztransplantation, aber bei dem Mangel an Spenderorganen ist es ziemlich unwahrscheinlich, auch wenn er ganz oben auf der Liste steht, dass man in der Kürze der Zeit ein Organ bekommt und wir hegen ja immer noch die Hoffnung, dass sich sein Herz wieder erholt, wenn wir die Streptokokkeninfektion im Griff haben. Hier im Haus haben wir kein anderes Kunstherz auf die Schnelle zur Verfügung und verlegungsfähig ist er nicht mehr. Allerdings hat er einen wirklich dramatischen Verlauf, wie wir ihn selten gesehen haben und wenn wir nicht zügig handeln, wird es zu spät sein!“, sagte er zu Sarah und Semir sah hilflos von einem zum anderen-er verstand gerade nur Bahnhof, aber er hoffte, man würde auch ihn in Kürze aufklären.

  • So tat sich wenig später etwas in dem Zimmer. Ein Kardiotechniker brachte eine eher unscheinbares Kästchen in Koffergröße mit mehreren Kabeln und einer Notsauerstoffflasche daran, dazu mehrere große Siebe mit Sterilgut. Der Eingriffswagen, das Ultraschallgerät und zuletzt nicht nur die beiden Kardiologen, sondern auch zwei Studenten, eine Fachkraft aus dem Katheterlabor und Ben´s betreuender Intensivpfleger füllten den Raum. „Dürften wir sie beide bitten, draußen zu warten-gehen sie doch eine Kleinigkeit essen, sie dürfen, sobald die ECMO stabil läuft, natürlich wieder herein, aber jetzt können wir uns hier drinnen sowieso schon fast nicht mehr rühren-ich hoffe, sie verstehen das!“, bat der Kardiologe sie freundlich, aber auch mit Autorität in der Stimme, nach draußen. Semir erhob sich sofort und hatte fast erwartet, dass Sarah protestieren würde, aber auch die verließ widerspruchslos den Raum-sie war einfach nur noch fertig und befolgte Anweisungen wie eine Marionette.


    Semir war gegen fünf einmal zur Toilette gegangen, hatte am Automaten in der Eingangshalle Cola und Süßigkeiten gekauft und Andrea angerufen, um sie erstens auf dem Laufenden zu halten und zweitens zu hören, wie es mit Natascha klappte. Andrea hatte voller Freundlichkeit von der jungen Frau geschwärmt: „Semir, die kann total gut mit Kindern! Obwohl sie selber noch aussieht wie eines, hat sie sehr vernünftige Ansichten, kennt interessante Spiele und unsere Mädchen finden sie einfach toll!“, hatte sie berichtet. Als er aber dann im Gegenzug die Dramatik der Situation schildert, war Andrea völlig bedrückt und hatte ihn gebeten, Sarah liebe Grüße auszurichten und Ben´s Hand zu streicheln, was er danach auch sofort erledigt hatte.


    Weil Sarah nur noch funktionierte wie ein Roboter, hatte Semir sie einfach mit in die Cafeteria gezogen, für sie beide einen kräftigen Eintopf bestellt, der auf der Tageskarte stand und sie dann regelrecht gezwungen, wenigstens ein paar Löffel davon zu essen. Auch wenn ihm selber der Appetit eigentlich gründlich vergangen war, wusste er, wie wichtig es war, ihre Körper mit anderen Dingen als Kaffee, Cola und Süßigkeiten zu versorgen, wenn sie durchhalten und Ben zur Seite stehen wollten. Auch er merkte eigentlich gar nicht so richtig, was er aß, aber die warme Speise füllte ihre Bäuche und nebenbei erklärte ihm Sarah nun, was das war, was die Ärzte nun bei Ben einsetzen wollten.
    „Durch die Myokarditis pumpt das Herz nicht mehr richtig, so wie wenn an einem Fahrzeug die Benzinpumpe nicht mehr ordentlich arbeitet. Am Auto würde der Motor dann erst zu stottern anfangen und irgendwann absterben. Ben ist jetzt sozusagen in der Stotterphase, wenn der Motor den Betrieb noch irgendwie aufrecht erhält, aber lange dauert es nicht mehr, bis er steht-und für Ben wäre das der Tod!“, führte Sarah aus, ließ dann ihren Löffel fallen und ihre Schultern begannen voller Verzweiflung zu zucken. Gerade hatte sie das Worst-Case-Szenario, das sie für Semir leichter verständlich-wie sie es auch Ben erklärt hätte- aufs Auto projeziert, da wurde ihr voller Entsetzen klar, dass es eben nicht um eine Maschine ging, der man dann einfach ein Ersatzteil einbaute, sondern um ihren geliebten Mann, dem Vater ihrer Kinder, den sie in der Nacht schon zum ersten Mal gedacht hatte zu verlieren, aber dann wieder zurück bekommen hatte. Wie grausam schlug das Schicksal zu, aber jetzt konnte und wollte sie nicht mehr daran denken, dass er sterben könnte, aber genau das war zu befürchten, wenn es jetzt Komplikationen gab.

    Semir hatte ebenfalls wortlos seinen Löffel beiseite gelegt, seinen Stuhl neben Sarah gezogen und jetzt schloss er sie einfach in seine Arme, sie barg ihren Kopf an seiner Schulter und weinte, wie sie selten geweint hatte. Die anderen Cafeteriagäste sahen erst erstaunt, aber dann voller Mitleid zu den beiden verzweifelten Menschen-was war wohl mit deren Angehörigen? Vom Nebentisch beugte sich ein älterer Mann herüber und reichte ihnen freundlich ein Päckchen Papiertaschentücher und das brachte Sarah dann dazu, sich die Nase zu putzen, tief durch zu atmen und sich erst einmal zu bedanken. Dann rutschte Semir ihr wieder gegenüber und sie setzte ihre Erklärung fort.
    „Man wird Ben nun zwei dicke Gefäßzugänge legen-entweder am Hals, oder in der Leiste. Einer davon kommt in eine Arterie, der andere in eine große Vene. Dann leitet man das Blut durch den einen Schlauch aus ihm heraus durch diese Maschine, die du vorher gesehen hast und dann durch den anderen Schlauch wieder in ihn zurück. Das ECMO-Gerät hat innen eine Membran, durch die wird-wie normalerweise in der Lunge-das Kohlendioxid abgegeben und das Blut dafür mit Sauerstoff angereichert. Das sauerstoffreiche Blut wird dann dem Organismus wieder zugeführt. Wenn nur die Lunge betroffen ist, z.B. beim akuten Lungenversagen, dem ARDS, legt man beide Schläuche in eine Vene, dann wird die Lunge alleine entlastet, da ist die Gefahr von Komplikationen auch geringer. Will man aber das Herz unterstützen, was bei Ben jetzt das hauptsächliche Ziel ist, übernimmt die Pumpe sozusagen die überwiegende Herzarbeit, das Organ muss nicht mehr so kraftvoll gegen Widerstand pumpen, weil die Lungenentzündung und die Wassereinlagerungen im Gewebe ja auch einen erhöhten Druck in der Lunge bewirken und so das Herz noch mehr belasten, sondern es kommt zu einer Verminderung des Drucks. Sein Körper versucht aktuell ja auch durch körpereigene Regulationsmechanismen, die unbewusst hormonell und nervös gesteuert sind, verzweifelt die Sauerstoffversorgung des Gehirns und der anderen wichtigen Organe aufrecht zu erhalten, was wiederum zu einer Erhöhung der Herzfrequenz und Ausschüttung von Stresshormonen führt. Das belastet noch zusätzlich das kranke Herz, wie wenn ein Kutscher ein völlig ausgelaugtes und erschöpftes Pferd vor dem Wagen noch mit der Peitsche zu einem Galopp zwingen will-irgendwann wird das zusammen brechen-und das würde bei Ben eben den Tod bedeuten. So aber wird jetzt -um bei dem Beispiel mit dem Pferd zu bleiben- ein frisches, fittes Pferd zusätzlich vor den Wagen gespannt, das beim Ziehen hilft und die Hauptarbeit übernimmt, ohne das andere aber auszuschirren. Dadurch hofft man, dass sich das kranke Organ erholen kann, das Antibiotikum wirkt und Ben vielleicht die Myokarditis übersteht.
    Jetzt fragst du dich sicher, warum man das nicht schon lange gemacht hat, aber leider gibt es viele Komplikationsmöglichkeiten bei dieser Therapie. Am Schlimmsten ist es, wenn der eine dicke Schlauch aus der Arterie rutscht-dann kommt es zum sofortigen Verbluten. Noch vor ein paar Jahren waren vorherige Operationen eine absolut Kontraindikation für die Behandlung, weil man hoch dosiert Heparin geben musste, damit das Blut in der Maschine nicht verklumpt und zusätzlich kam es durch die Art der Pumpe auch zur Zerstörung vieler roter Blutkörperchen, aber heute hat die Industrie speziell beschichtete Schlauchsysteme entwickelt, in denen das Blut fast wie in der eigenen Arterie oder Vene läuft, man auf hohe Dosen Heparin verzichten kann und die Pumpen arbeiten auch viel schonender. Ich hoffe jetzt einfach, dass es bei Ben funktioniert, denn der Einsatz dieses Geräts, der ja auch nicht billig ist, ist immer Ultima Ratio, also macht man das nur, wenn es gar keine andere Möglichkeit mehr gibt und der Patient ansonsten sterben würde“, beendete Sarah ihre Ausführungen und sah dann auf die Uhr. „Wenn alles gut gegangen ist, müsste die ECMO jetzt laufen, ich schlage vor, wir gehen wieder zurück!“, setzte sie noch hinzu. Semir beeilte sich zu zahlen und wenig später waren die beiden wieder auf dem Rückweg zur Intensivstation und hofften voller Bangen auf gute Neuigkeiten.

  • Nachdem die Angehörigen weg waren, war im Patientenzimmer geschäftiges Treiben ausgebrochen. Die Angestellte aus dem Katheterlabor desinfizierte ihre Hände chirurgisch und legte Sterilkittel und Handschuhe an-Haube und Mundschutz trug sie schon, genauso wie die beiden Kardiologen und nun wurden vom anreichenden Intensivpfleger geschäftig Einmalverpackungen aufgerissen, ein steriler Instrumententisch vorbereitet und der Kardiotechniker machte das handliche Gerät betriebsfertig, indem er es an das Stromnetz und die zentrale Sauerstoffversorgung anschloss. „Falls man einen Transport fahren müsste oder der Strom ausfällt, was wir ja am Nachmittag erst hatten, hält die interne Batterie mindestens eine Stunde und für alle Fälle befindet sich an dem Gerät auch noch eine Handkurbel, mit der man auch ohne Strom die Zentrifugalpumpe am Laufen halten könnte!“, erklärte er den Studenten. „Auch die Sauerstoffflasche ist für diesen Zweck immer dabei, das ist Vorschrift.“


    Als die Fachkraft aus dem Katheterlabor die steril verpackten Schläuche angereicht bekam, befüllte sie sie mit Ringerlösung, damit es zu keiner Luftembolie kommen konnte und versah sie dann mit den dafür vorgesehenen Verschlusskappen. Dann überreichte sie den Teil, der in das Gerät kam und unsteril werden durfte, dem Kardiotechniker, der sie nun in die Pumpe einlegte. Das Ganze geschah relativ zügig, denn niemand konnte sagen, wie lange Ben´s Herz noch durchhalten würde.


    Der Anästhesist hatte derweil Ben aufgedeckt und zunächst unsteril mittels Sonographie eine orientierende Darstellung der Hals- und Leistengefäße gemacht. „Wir nehmen die Leistengefäße!“, beschloss der Kardiologe, der einen prüfenden Blick auf das Ultraschallgerät geworfen hatte. Nun strich der Pfleger großzügig die Leistenregion nach oben bis zum Bauchverband und unten bis Mitte der Oberschenkel dreimal mit farbiger Desinfektionslösung ab, man deckte Ben komplett steril ab und als er sich ein wenig regte, als er unbewusst die Manipulationen an seinem Unterleib wahrnahm, erhöhte der Anästhesist die Sedierung ein wenig. „Wir relaxieren ihn vorsichtshalber, bis die Leistengefäße, vor allem die Arterie, punktiert sind!“, beschloss er und der Intensivpfleger, der kaum wusste, wo er zuerst hinfassen sollte, rief schnell seiner Kollegin zu, die gerade über den Flur lief: „Bring mir doch bitte eine Ampulle Pancuronium!“, das war ein lange wirkendes Muskelrelaxans, das Ben die nächsten mindestens 20 Minuten daran hindern würde, mit irgendeinem Muskel auch nur zu zucken.
    Als der Patient das bekommen hatte, suchte der Kardiologe zuerst auf der einen Seite die Vena femoralis auf, punktierte sie problemlos und brachte mit Seldingertechnik das dicke Schläuchlein ein, befüllte es mit einer Mischung aus Heparin und steriler Kochsalzlösung und nähte es mit einer speziellen Nahttechnik an Ben fest. An der gegenüberliegenden Seite suchte man nun unter Tasten und Ultraschallkontrolle-der Schallkopf war dafür steril verpackt worden-die Arteria femoralis auf und als man die punktierte, kam es trotz aller Vorsicht zu einer größeren Blutung. „OK-jetzt kriegt er auf jeden Fall eine Konserve, wir müssen ihm alle Sauerstoffträger anbieten, die möglich sind!“, beschloss der Intensivarzt, der den Monitor und alles andere immer im Blick hatte.
    In diesem Moment flimmerte Ben erneut und der Kardiologe, der leider gerade nicht vom Tisch weg konnte, weil er mit dem Daumen die dicke Kanüle in der Arterie verschließen musste, aus der sich Ben sonst verbluten würde, bekam trotz Gummihandschuhen ebenfalls einen Stromschlag ab, der ihn zusammen zucken und für einen Moment blass werden ließ, aber immerhin ließ er nicht los. „Auch wenn ich weiss, dass mir nichts geschieht, aber das ist schon sehr unangenehm!“, befand er, befüllte nun auch das zweite Schläuchlein mit der Mischung, so dass Ben initial zwar schon Heparin bekam, aber eben nur eine kleine Menge von 150 I.E.. Der arterielle Zugang wurde nun ebenfalls extra gut vernäht ein kleiner Abzweig, der das Bein versorgte eingebracht und nun ging alles ganz schnell. Der Kardiotechniker reichte das eingelegte Schlauchsystem an, man verband das mit den liegenden Kanülen und nur Minuten später nahm das kleine lebensrettende Gerät seine Arbeit auf.


    „Eigentlich muss man das in dieser Funktion, wenn man es über einen arteriellen und einen venösen Schenkel betreibt nicht mehr als ECMO bezeichnen, sondern als ECLS, also extracorporeal life support. Im Prinzip haben wir hier eine kleine Herz-Lungenmaschine vor uns!“, wurden die Studenten belehrt und der Cardiotechniker nahm jetzt in Absprache mit den beiden Kardiologen die Feinabstimmung vor. Man entnahm dann Blut sowohl aus der Arterie am Arm, als auch aus dem ZVK, um den Erfolg und die Einstellung des Geräts zu optimieren und der Anästhesist schraubte ebenfalls an der Beatmungsmaschine herum. Die inzwischen eingetroffene Blutkonserve gab man nach dem Bedsidetest gleich über einen Zulauf am venösen Teil des Schlauchsystems und nachdem man die Leisten gründlich von dem ausgetretenen Blut gesäubert hatte, wurden die Zugänge steril verbunden, die Abdecktücher entfernt und die blutige Unterlage durch leichtes Drehen unter Ben heraus geholt.


    Als Minuten später Sarah und Semir wieder auf der Intensiv eintrafen, sah Semir erstaunt auf seinen Freund. Als sie vor einer guten halben Stunde gegangen waren, war der grau und eingefallen gewesen, man hatte das Gefühl gehabt, einen Sterbenden vor sich zu haben, aber jetzt hatte sein Gesicht wieder Farbe bekommen und er schlief entspannt und friedlich vor sich hin. „Es ist wie ein Wunder!“, flüsterte er und Sarah, die jetzt langsam wieder Hoffnung zu schöpfen begann, stimmte ihm zu. „Ja die moderne Medizin kann Wunder vollbringen-hoffen wir, dass Ben sich erholt!“, sagte sie und langsam konnten die beiden sich ein wenig entspannen.


    Obwohl Semir´s Anruf gegen fünf sowohl bei Andrea, als auch bei Natascha Verzweiflung hatte aufkommen lassen, wollten sie die Mädchen damit nicht belasten. „Heute wird doch das neue Einkaufszentrum eröffnet- mit Hüpfburg, Kinderschminken, tollen Eröffnungsangeboten und freien Getränken-eigentlich hatte ich den Kindern versprochen, dass wir da zusammen hingehen.“, überlegte Andrea und Natascha gab zu bedenken: „Wir können Ben sowieso nicht helfen-die Ärzte werden sicher ihr Möglichstes tun, aber es bringt ihm nichts, wenn wir deswegen hier zuhause sitzen bleiben und die Wände anstarren. Vielleicht wäre es vernünftig, wenn wir zusammen mit den Mädels dorthin gehen, dann sind die abends müde und sie haben mir den ganzen Nachmittag schon erzählt, wie sie sich darauf freuen, das wäre fast gemein, wenn sie jetzt nicht dürften!“, sagte sie und so saßen sie wenig später in der Straßenbahn, die sie zum nahe gelegenen Einkaufszentrum brachte. Andrea hatte Natascha eine Jacke geliehen, die war ihr zwar zu groß, aber wenigstens war sie warm und als sie am Zentrum ankamen, tobten die Kinder wenig später auf der Hüpfburg. Natascha unterhielt sich erst eine Weile mit Andrea und erzählte von ihrem Praktikum im Kindergarten während ihrer Schulzeit, aber plötzlich wurde ihre Aufmerksamkeit abgelenkt.
    Der Ehrengast, der das Zentrum eröffnet hatte, ging noch umringt von Securitys übers Gelände und als Natascha ihn erkannte und ihr plötzlich die Zusammenhänge klar wurden, erblasste sie. „Andrea-ich muss noch dringend etwas erledigen, wartet nicht auf mich!“, flüsterte sie und war wenig später in der Menge verschwunden.

  • Natascha heftete sich so unauffällig wie möglich an die Fersen des Politikers. Ihr war auf einmal klar geworden, dass Semir und Ben vermutlich keine Ahnung davon hatten, dass er der Mann war, der zur Zeit in der Kölner Unterwelt die Fäden in der Hand hielt. Er hatte ihren Mr. Sexy schwer verletzen lassen und dem Türsteher, den sie noch gestern als Freund und Beschützer gesehen hatte, den Auftrag gegeben, sie alle umzubringen, vermutlich um seine Identität zu verschleiern. Vielleicht wusste er nichts davon, dass sie erkannt hatte, wer er war und so musste sie jetzt einfach die Gelegenheit beim Schopf ergreifen, heraus zu finden, wo er hinging und dann irgendwie Semir zu verständigen.
    So drängte sie sich durch die Menge, durch welche der Mann von den Securitys, nachdem er seinen Rundgang durchs Einkaufszentrum- gefolgt von Pressevertretern und anderen Honoratioren- beendet hatte, zum Parkplatz geleitet wurde, wo er auf dem extra mit seinem Namen ausgeschilderten Teilbereich, auf dem nur Luxuskarossen standen, seinen Jaguar geparkt hatte. Man öffnete verschiedene Absperrketten für ihn und Natascha sah sich jetzt hektisch um,verdammt, wie sollte sie ihm ohne Auto folgen? Aber das Glück kam ihr zu Hilfe, gerade stieg ein junger Mann von seiner Honda CBR 125 ab,das war genau die Maschine, auf der sie mit 16-auf 80 ccm gedrosselt-ihren Mopedführerschein gemacht hatte und noch bevor er richtig reagieren und den Schlüssel abziehen konnte, hatte sie ihm den Helm aus der Hand gerissen und ihm zugerufen: „Ich bin von der Autobahnpolizei und muss deine Maschine kurz beschlagnahmen. Du kriegst sie zurück, wir finden deine Adresse über die Halterermittlung raus!“ Schon hatte sie sich den viel zu großen Helm über den Kopf gestülpt und war davon gebraust-einen verdatterten Neunzehnjährigen zurück lassend, der gerade meinte, seinen Ohren nicht zu trauen. War das jetzt real, dass diese- so wie sie aussah Fünfzehnjährige-bei der Polizei war, oder war er gerade einer besonders dreisten Diebin aufgesessen? Nach kurzer Überlegung beschloss er, den nächsten Polizisten zu suchen, die ja bei so einem Event zahlreich vertreten waren und dem seine Story zu erzählen-der würde ihm dann schon helfen, seine Honda wieder zurück zu bekommen!


    Natascha wäre schon in der ersten Kurve beinahe gestürzt-hui, so ohne Drosselung ging diese Maschine ab wie eine Rakete- aber wenn sie vorsichtig Gas gab, beherrschte sie sie trotzdem ganz gut und schlängelte sich jetzt elegant durch den Kölner Abendverkehr. Kurz hatte sie den Jaguar aus den Augen verloren, aber jetzt stand er an der Ampel in einer langen Schlange und möglichst unauffällig reihte sie sich einige Fahrzeuge hinter ihm ein. So kam es, dass wenig später der Politiker, ohne irgendetwas von seiner Verfolgerin zu bemerken, in seine Garageneinfahrt in einem Kölner Villenviertel einbog. Nochmals hatte er vergeblich versucht, den Türsteher zu erreichen, aber dass der jetzt in der Pathologie weit aufgeschnitten und ohne innere Organe und Gehirn, die separat untersucht wurden, auf dem Tisch lag und obduziert worden war, konnte er schließlich nicht ahnen. Als er ins Haus ging, das von einer großen Mauer umgeben war und dessen Tor sich automatisch öffnete und schloss, eilte sein Schäferhund schwanzwedelnd auf ihn zu, aber mit einem kurzen scharfen Wort schickte er ihn weg, so dass der mit hängender Rute stehen blieb. Man hatte dem Politiker gesagt, dass so ein mannscharfer Schutzhund die beste Alarmanlage wäre und er hatte sich sich das bestens ausgebildete Tier deswegen angeschafft. Der hatte seine Hütte im Garten und bekam natürlich auch täglich das beste Futter, aber ansonsten vegetierte die arme Kreatur ohne Liebe, Rudelanschluss und Anerkennung so vor sich hin und konnte nur sehnsüchtig ins Innere des Hauses blicken, machte aber trotzdem einen super Job und hatte von Paparazzi über potentielle Einbrecher schon so manchen in die Flucht geschlagen.
    Nun aber saß plötzlich jemand oben auf der Gartenmauer, der ihn freundlich ansprach-doch das war in seinen Augen noch ein Kind und Jerry liebte Kinder. Er war in einer Familie aufgewachsen, bis er zu einem Ausbilder gegangen war und dieses Mädchen hatte überhaupt keine Angst vor ihm, das roch er sofort. Als sie nun zu ihm in den Garten sprang, wäre es vermutlich sein Job gewesen, sie zu verbellen, zu stellen und fest zu halten, oder sogar zu beißen bis er das Kommando: „Aus!“ bekam, aber so genoss er lieber die Streicheleinheiten, die von Herzen kamen und lauschte den lobenden Worten, die seiner armen Hundeseele doch so gut taten. Natascha, die manchmal auch das Gefühl hatte, wie ein streunender Hund zu sein, hatte immer schon eine Affinität zu Schäferhunden gehabt, ihre Großeltern hatten früher einen besessen, den sie sehr geliebt hatte und so beobachtete sie nun mit der Hand auf dem Kopf des eindrucksvollen Tieres, das bei ihr zum Lamm mutiert war, was der Politiker in seinem Arbeitszimmer so trieb und nebenbei zerbrach sie sich den Kopf, wie sie jetzt am besten Semir verständigen könnte.


    Der junge Mann hatte inzwischen einen Polizisten aufgetrieben und als der „Autobahnpolizei“ und die Story hörte, nahm er kurzerhand sein Funkgerät und ließ sich mit der Zentrale dieser Dienststelle verbinden. Frau Krüger hatte eben nach Hause gehen wollen, aber als fast gleichzeitig Andrea´s Meldung einging, dass und wo Natascha verschwunden war und zugleich der Diebstahl oder die fragliche Beschlagnahmung des Motorrads gemeldet wurden, zählte sie eins und eins zusammen, veranlasste zuerst einmal, dass keine Anzeige aufgenommen wurde und versicherte dann dem aufgeregten jungen Mann, dass er sein Motorrad zurück bekommen würde, um sich in der Folge ans Telefon zu hängen, um Semir zumindest Bescheid zu geben, auch wenn der vermutlich die Nacht bei Ben verbringen würde.


    In der Klinik war inzwischen Ruhe im Patientenzimmer eingekehrt. Man konnte zügig die Katecholamine reduzieren, Ben´s Blutgase, vor allem der ph-Wert , der schon gefährlich abgefallen war, hatten sich wieder normalisiert und der Schrittmacher musste nur noch selten den Herzschlag wieder in den Takt bringen, weil die externe Pumpe die Hauptarbeit leistete und dadurch das schwer kranke Herz entlastete. Die Blutungen in die Bauchdrainagen waren im grünen Bereich und es sah so aus, als bestünde wenigstens im Moment keine akute Lebensgefahr mehr, was der Kardiologe auch nochmals bestätigte, bevor er sich in den wohlverdienten Feierabend verabschiedete.
    Sarah fielen jetzt beinahe die Augen zu und ihre Kollegin sagte freundlich: „Sarah-ich kann dir gerne die Thekla, also den bequemen Mobilisationsstuhl mit Bettzeug bringen, damit du bei deinem Mann übernachten kannst, aber für zwei Nachtlager haben wir leider keinen Platz!“, und so war Semir gerade voller Erleichterung auf dem Weg nach Hause, als er erst Andrea´s WhatsApp-Nachricht las und nur Minuten später die Chefin ihn anrief. Ein uniformierter Kollege wachte für alle Fälle vor dem Intensivzimmer und Semir, der selber jetzt völlig erschöpft war und gerne heim gefahren wäre, wendete nun und machte sich auf den Weg zum Einkaufszentrum, wo eine schuldbewusste Andrea mit zwei müden und quengligen Kindern auf ihn wartete, nachdem sie zuvor alles nach Natascha abgesucht hatte.

  • Natascha dachte nach, aber da kam ihr schon der Zufall zu Hilfe. Der Politiker öffnete die Terrassentür seines modernen Arbeitszimmers und trat ins Freie, um zu rauchen. Nebenbei telefonierte er mit einem Helfershelfer aus der Unterwelt und erkundigte sich nach dem Türsteher, aber aktuell wusste sein Gegenüber nicht, wo der zu finden war, wollte sich aber darum kümmern. „Er hat von mir einen Auftrag bekommen-wenn er ihn nicht übers Wochenende erledigt, gebe ich ihn an dich weiter-und ich zahle gut, man müsste ein paar Leute aus dem Weg räumen!“, bekam der Gangster am anderen Ende der Leitung zu hören.

    Der Politiker war derweil ein paar Schritte in den Garten gelaufen und als seine Aufmerksamkeit kurz von Geräuschen auf der Straße abgelenkt wurde, huschte Natascha ins Haus. Sie verbarg sich im dunklen Nebenzimmer, dass da eine Verbindungstür war und kein Licht brannte, hatte sie von außen schon gesehen und sie würde nun warten, bis der Politiker sein Arbeitszimmer verließ, dann nach Beweisen suchen und von dort aus Semir verständigen. Kurze Zeit später ging der Politiker tatsächlich ins Wohnzimmer zum Rest seiner Familie und Natascha begann-interessiert von Jerry von außen durch die Scheibe beobachtet- die Unterlagen und Aktenordner zu durchsuchen. Sie fand auch Telefonlisten auf denen Nummern von Unterweltcharakteren und Spielhölleneignern standen, aber deren Besitz war ja nicht strafbar, vermutlich würde man doch Aussagen von Zeugen brauchen, aber da kannte sie eigentlich einige. Gerade hatte sie beschlossen, nun zum Telefon zu greifen und Semir´s Nummer, oder alternativ die der Polizei zu wählen, da ging plötzlich die Tür des Arbeitszimmers auf und der Politiker stand vor ihr.
    Nach wenigen Sekunden hatte er seine Überraschung überwunden und noch bevor Natascha fliehen konnte, die sich schon Richtung Terrassentür aufgemacht hatte, war er mit zwei Schritten bei ihr, hielt ihr mit einer Hand den Mund zu, damit sie nicht um Hilfe rufen konnte und umklammerte mit dem anderen Arm ihren Oberkörper. Der Politiker war ein durchtrainierter Mann, der im Keller seines Hauses einen eigenen Fitnessraum hatte und die zarte junge Frau hatte keine Chance, sich gegen ihn zu wehren. Bevor sie sich versah, hatte er sie mit seiner Krawatte geknebelt, ihre Hände auf den Rücken gefesselt und sie kurzerhand für einen Moment am massiven Schreibtisch angebunden. Dann trat er in den Flur, sicherte, ob da nicht Frau oder Tochter umherschwirrten, aber als er sah, dass die Luft rein war, rief er laut: „Ich muss nochmal kurz weg!“, in den Raum und packte dann Natascha und drängte sie, obwohl sie sich verzweifelt wehrte und zu treten versuchte, Richtung Garage, die eine überdachte Verbindung zum Haus hatte. „Das war ein großer Fehler, Mädchen-ich kenne dich, du mich aber leider auch und deshalb wirst du jetzt ein kühles und endgültiges Bad im Rhein nehmen!“, zischte er voller Zorn.


    „Was ist euch denn nur eingefallen?“, sagte Semir müde und vorwurfsvoll zu Andrea. „Natascha sollte doch ein bisschen von der Bildfläche verschwinden-da ist so eine Einkaufscentereröffnung genau der richtige Ort dafür!“, maulte er sarkastisch und Andrea hätte sich jetzt selber ohrfeigen können-natürlich, er hatte ja nur zu Recht! „Aber seis drum-es ist wie es ist, ich würde vorschlagen, ich bringe euch jetzt schnell nach Hause und ihr erzählt mir unterwegs, ob euch irgendwas an Natascha´s Verhalten, bevor sie verschwunden ist, aufgefallen ist!“, bat er und Andrea sah ihn liebevoll an. Auch wenn er mit seinem südländischen Temperament manchmal kurz aufbrauste, aber Semir war nie nachtragend und sie wusste inzwischen selber, dass sie einen Fehler gemacht hatte, als sie Natascha mitgenommen hatte. Sie hätten entweder alle miteinander zuhause bleiben, oder alternativ hätte sie mit den Kindern alleine aufbrechen sollen, aber hinterher war man immer klüger und sie hatte einfach nicht nachgedacht. „Wie geht es Ben?“, warf sie noch kurz ein, aber als nun ein leichtes Lächeln über Semir´s Züge flog, fiel ihr regelrecht ein Stein vom Herzen. „Ihm geht es besser-aktuell besteht keine akute Lebensgefahr, er wird von einer Art Kunstherz versorgt und liegt im Narkoseschlaf. Sarah ist bei ihm und ich hatte mich jetzt eigentlich auf ein kühles Bier und mein Bett gefreut, aber jetzt hoffen wir eben, dass ich Natascha schnell finde und das dann nachholen kann!“, berichtete er und jetzt erzählte Andrea minutiös, wie der Abend abgelaufen war, dass sie aus der Ferne die Kinder auf der Hüpfburg beobachtet hatten, als plötzlich Natascha´s Aufmerksamkeit von irgendetwas abgelenkt worden war und die dann auf einmal verschwunden war. „Andrea-denk nach-wer oder was war in eurer Nähe, als sie gegangen ist?“, fragte er eindringlich, aber Andrea schüttelte verzweifelt den Kopf: „Semir-ich kanns dir nicht sagen, ich grüble ja selber schon die ganze Zeit darüber nach!“, teilte sie ihm unglücklich mit und nun waren sie Zuhause angekommen. „Ich komme sobald wie möglich nach-tschau!“, verabschiedete Semir seine Familie und ging dann aufs Gas, um zum Einkaufszentrum zurück zu fahren, wo inzwischen die Chefin auf ihn wartete.


    „Ich habe bereits eine Fahndung nach der Honda heraus gegeben und alle möglichen Leute befragt, aber niemand hat etwas gesehen. Der junge Mann, dessen Motorrad-äh- beschlagnahmt wurde, hat noch ausgesagt, dass sie in Richtung Westen davon gefahren ist, aber ansonsten fehlen uns sämtliche Anhaltspunkte!“, berichtete die Chefin unglücklich, während sie mit Semir gemeinsam durch das Einkaufszentrum schlenderte. Die Hüpfburg wurde gerade abgebaut und nachdem die Feierlichkeiten vorbei waren, die Eröffnungsangebote verkauft waren und die Läden nacheinander ihre Tore schlossen, waren immer weniger Menschen unterwegs. Plötzlich wurde Semir´s Blick von einer Tafel gefesselt, die gerade zusammen geklappt wurde. „Nachmittags-feierliche Eröffnung durch Staatssekretär Wanke vom Innenministerium, untermalt von Livemusik der bekannten Kölner Karnevalsband „ROXY“-stand da und nun ratterte es in Semir´s Kopf. Moment mal-ein Staatssekretär hatte sicher ein Büro im Innenministerium und was war, wenn das der große Unbekannte wäre? Er drehte sich aufgeregt zur Chefin um und teilte ihr seinen Verdacht mit. „Wir brauchen eine Wohnadresse, zugelassene Fahrzeuge und so weiter-ich werde allerdings erst einmal allein dorthin fahren-wenn wir falsch liegen, gibt es sonst sicher politische Verwicklungen und auf den Ärger können wir dankend verzichten!“, fügte er noch hinzu und die Chefin nickte nachdenklich mit dem Kopf und hatte schon zum Telefonhörer gegriffen und die Zentrale angerufen, wo Susanne inzwischen wieder die Nachtschicht angetreten hatte. Sie gab den Auftrag durch und dennoch dauerte es eine Weile, bis Susanne die gewünschten Informationen heraus gefunden hatte. „Der Typ hat seine Daten genauso gut gesichert, wie Fort Knox, aber ihr wisst ja, ich kenne da Mittel und Wege…“, hatte Susanne dazu gesagt und dann alles durch gegeben.


    Inzwischen war kaum mehr Verkehr im nächtlichen Köln und nachdem Semir die Adresse ins Navi eingegeben hatte, startete er sofort in Richtung Wohnadresse, die tatsächlich Richtung Westen lag. Als er wenig später dort eintraf-er hatte es sich verkniffen mit Blaulicht zu fahren, um niemanden auf sich aufmerksam zu machen-bog gerade ein dunkler Geländewagen aus der Garageneinfahrt. Semir musste sich entscheiden-wollte er das Haus observieren, oder sollte er dem Wagen folgen. Aus dem Augenwinkel sah er eine Honda mit Helm auf dem Sitz am Straßenrand abgestellt in Stückchen weiter vorne und er konnte zwar in der Dunkelheit das Kennzeichen nicht erkennen, aber sein Bauchgefühl sagte ihm einfach, was zu tun war. Vorsichtig und unauffällig folgte er mit einigem Abstand dem Wagen, der zügig in Richtung Rhein fuhr.


    In der Klinik hatte Sarah noch einmal geholfen, Ben zu lagern, hatte sich dann im Waschraum die Zähne geputzt und war anschließend wie paralysiert auf die Thekla gekrochen, die ihre Kollegin ganz nahe neben Ben´s Bett geschoben und dort arretiert hatte. Eine Hand auf seinem Brustkorb liegend, der sich gleichmäßig hob und senkte, schloss Sarah die Augen und war eingemummelt in eine kuschlige Decke, wenig später vor Erschöpfung eingeschlafen und auch Ben´s Organismus begann damit, mit Hilfe der Antibiotika gegen die Keime, die sein Herz zu zerstören drohten, anzukämpfen.

  • Als der Politiker die gefesselte Natascha durch den überdachten, aber zum Garten hin offenen Durchgang geschoben hatte, war plötzlich wie ein Schatten Jerry herbei gesprungen und hatte sich grollend vor die beiden hingestellt. „Jetzt reagierst du, du blöde Töle-und wo warst du, als dieses Früchtchen bei uns eingestiegen ist?“, herrschte Wanke seinen Hund an und wollte ihm einen Fußtritt verpassen, damit er Leine zog, aber da bohrten sich plötzlich messerscharfe Zähne durch den dünnen Stoff der Anzughose in seinen Unterschenkel. Völlig überrascht und mit einem Schmerzenslaut ließ der Politiker Natascha los und auch wenn sie wusste, dass es vermutlich völlig sinnlos war, versuchte sie in den Garten zu fliehen. Sie war schon beinahe an der Mauer angekommen, aber wegen der Fesselung konnte sie sich ja nicht hochziehen und begann hektisch nach etwas Umschau zu halten an was sie die Fesseln lösen oder abstreifen könnte, während Jerry sich fester im Bein seines Herrchens, das für ihn kein Rudelführer war, verbiss. Der war jetzt außer sich vor Zorn und Schmerz, schrie erfolglos: „Aus!“ und schleppte sich mit dem am Bein hängenden Hund in die Garage. Dann hörte die entsetzte Natascha nur noch ein kurzes Jaulen und als sie kurz danach der blutende Politiker humpelnd einholte und zurück zur Garage schleppte, sah sie dort den prachtvollen Hund, der versucht hatte, ihr zu helfen, leblos am Boden liegen, daneben ein schweres Radkreuz, mit dem der Politiker zugeschlagen hatte. Wieder einmal lag sie dann in einem Kofferraum, automatisch öffnete und schloss sich das Garagentor und der dunkle Geländewagen setzte sich in Bewegung.

    Natascha begann lautlos zu weinen. Die Tränen flossen ungehindert aus ihren Augen, denn sie wusste, sie würde in Kürze sterben, wenn nicht ein Wunder geschah. Holger Wanke würde sie mitleidlos ertränken wie eine junge Katze, der war ein absolut skrupelloser Mensch, der normalerweise zwar die Drecksarbeit lieber delegierte, aber in ihrem Fall würde er, wütend wie er war, vermutlich eine Ausnahme machen. Sie war doch noch so jung und wollte nicht sterben-sie wollte einen tollen Mann und eine Familie haben und nachdem sie ihren Mr. Sexy ja nicht haben konnte, war sie durchaus bereit gewesen, sich den jungen Krankenwagenfahrer näher anzuschauen, ihre Handynummern hatten sie ja getauscht. Sie hatte gedacht, ihr Leben noch vor sich zu haben, aber weil sie so blöd gewesen war, würde sie ihren 20. Geburtstag wohl nicht mehr erleben. Während der Wagen um viele Ecken bog, wurde Natascha hin und her geworfen, dann nahm er Fahrt auf, um einige Zeit später langsamer zu werden und anzuhalten. Als der Kofferraum sich öffnete, hörte Natascha den Rhein plätschern und ohne noch einen Versuch zu machen, abzuhauen-es war sowieso sinnlos, ließ sie zu, dass der groß gewachsene Mann rasch und geschickt mit einem Nylonseil ihre Beine an die Arme fesselte und das Radkreuz, das er anscheinend mitgenommen hatte, daran fest band. Natascha versuchte alles Flehen in ihren Blick zu legen, aber sogar als er den Knebel aus ihrem Mund nahm, denn die Designerkrawatte konnte man sonst zu ihm zurück verfolgen, kam sie nicht mehr dazu, um Gnade zu bitten, denn schon hatte er sie hoch gehoben-sie wog ja fast nichts- und mit einem lauten Platschen verschwand sie in den Fluten und wurde auch sofort zum Grund des eisig kalten Rheins gezogen.


    Semir war dem Geländewagen unauffällig und mit einigem Abstand gefolgt. Seine Gedanken überschlugen sich. Was war, wenn Natascha gar nicht in dem Fahrzeug war, sondern irgendwo beim Haus auf Beobachtungsposten saß? Was-wenn nur zufällig ein ähnliches Motorrad auf der Straße des Villenviertels abgestellt war und Wanke völlig unschuldig war? Immerhin war das sein eigener und ganz privater Verdacht, den er noch in keinster Weise untermauern konnte-nur sein Bauchgefühl sagte ihm, dass hier etwas verdammt faul war und eben dieses Gefühl, dem er im Laufe der Jahre gelernt hatte, zu vertrauen, bläute ihm jetzt auch ein, dass es wichtig war, das voraus fahrende Fahrzeug nicht zu verlieren, aber eben auch nicht entdeckt zu werden. Er schaltete die Freisprechanlage ein und sprach in den Hörer: „Cobra 11 an Zentrale-Susanne, ich verfolge einen dunklen Geländewagen, das Kennzeichen deckt sich mit einem der von dir Ermittelten. Vor dem Haus, dessen Adresse du mir gegeben hast, steht auf der Straße ein Motorrad abgestellt-vielleicht könnte eine Streife nachsehen, ob es das als gestohlen gemeldete ist-ich war nicht nahe genug, um das Kennzeichen erkennen zu können. Sag mir Bescheid, wenn du Neuigkeiten hast!“, bat er und musste dann aufpassen, dass der dunkle Wagen ihn nicht abhängte, der war nämlich gerade Richtung Rhein abgebogen.
    Wenn Semir jetzt ebenfalls in diese Firmenzufahrt fuhr, würde er mit Sicherheit entdeckt werden, denn das hier war im Bereich des alten Rheinhafens, der zwar in einigen Teilen bereits als Eventmeile umgebaut war, aber in dem es immer noch verlassene Lagerhäuser, dunkle Piers und unheimliche Ecken und Winkel gab. Auf jeden Fall hatte der Wagen vor ihm die Fahrt verlangsamt.


    Semir hielt hinter einem Gebäudevorsprung an und spähte nach vorne. In etwa 200 m Entfernung war der Fahrer des Wagens, dessen Motor nun abgestellt war, ausgestiegen, um das Fahrzeug herum gegangen und hatte den Kofferraum geöffnet. Semir dessen Bauchgefühl auf einmal höchste Gefahr signalisierte, verließ ebenfalls sein Fahrzeug, nachdem er den Motor abgestellt hatte und schlich im Schutz der Dunkelheit, sich hinter Gebäudevorsprüngen verbergend, näher. Plötzlich sah er nur schemenhaft, wie ein kleiner leichter Körper hochgehoben und mit Schwung in den Rhein geworfen wurde, wo er sofort in den dunklen Fluten versank. Um Himmels Willen! Das war Natascha gewesen-und sie lebte noch, er hatte ihre Bewegungen in einem kurzen Augenblick im Mondlicht gesehen, bevor sie mit einem Platschen versank.
    „Stehen bleiben-Polizei!“, schrie er nun, während der Fahrer schon wie der Blitz in seinen Wagen gestiegen war und den Motor gestartet hatte. Semir rannte so schnell er konnte Richtung der Stelle, wo Natascha versenkt worden war. Er hatte zwar seine Waffe gezogen, aber es gab jetzt Wichtigeres als den Mörder zu stellen. Der erschrak, als er die Stimme des Richtung Pier spurtenden Polizisten hörte, gab dann aber Gas und schoss mit aufheulendem Motor auf ihn zu, um ihn zu überfahren. In letzter Sekunde gelang es Semir mit einem Hechtsprung zur Seite zu kommen, aber als er sich blitzschnell am Boden liegend umdrehte und auf den Reifen des fliehenden Fahrzeugs zielte, verfehlte er ihn leider und wandte sich dann sofort wichtigeren Dingen zu. Er zog auf die letzten Meter seine Jacke aus, in der sich auch das Handy befand, schmiss sie auf den Boden und sprang dann ohne nachzudenken in die schwarzen Fluten, ziemlich genau an der Stelle, wo er Natascha hatte versinken sehen.


    In der Klinik war Sarah kurz aufgewacht, als ihre Kollegen Ben erneut Blut abnahmen, ihn absaugten und anders hin legten, damit er keine Druckstellen bekam. Sie wollte eigentlich aufstehen und mithelfen, aber das Intensivteam hinderte sie daran. „Sarah-wir schaffen das ganz alleine-spar deine Kräfte, er ist stabil!“, bekam sie gesagt und als sie ihr wenig später die aktuellen Werte mitteilten, seufzte sie zufrieden auf. Ben hatte eine reelle Chance das Ganze zu überleben, etwas, was sie noch am Nachmittag für fast unmöglich gehalten hatte! „Schatz-ich weiß dass du zwar schläfst, mich aber doch irgendwie hören kannst-du wirst das schaffen und mich nicht als Witwe mit zwei kleinen Kindern zurück lassen, Tim und Mia-Sophie brauchen ihren Papa!“, flüsterte sie während sie ihn wieder berührte und ihre Augen schloss. Durch ihre aufgelegte Hand ließ sie alle Energie zu ihm strömen, die sie erübrigen konnte und das war wieder eine ganze Menge, denn die Hoffnung war zurück.

  • Natascha hatte noch tief eingeatmet, auch wenn sie wusste, dass es keinen Sinn machte. Als sie dann in den Fluten versank, hielt sie die Luft an, solange sie konnte. Todesangst und Verzweiflung hatten von ihr Besitz ergriffen, sie versuchte vergeblich irgendwelche Bewegungen zu machen, die sie an die Wasseroberfläche brachten, aber dann musste sie einfach einatmen, das Wasser füllte ihre Lungen sie zappelte noch eine Weile und dann verlor sie das Bewusstsein.


    Semir wusste, wie gering seine Chancen waren, Natascha noch lebend zu finden. Es war finster-das einzig Gute war, dass der Rhein aktuell ziemlich wenig Wasser führte und auch die Strömung nicht sonderlich hoch war. Er hatte zwar die Augen geöffnet, als er kopfüber ins Wasser tauchte, konnte aber überhaupt nichts erkennen. Er suchte verzweifelt, kam wieder an die Oberfläche, schnappte nach Luft und wusste, dass mit jeder Sekunde die Möglichkeit, Natascha zu retten, sank. Wieder tauchte er bis zum Boden und plötzlich spürte er einen menschlichen Körper, der schlaff am Grund des Rheins lag. Er packte das schwere leblose Bündel und schwamm mit größter Kraftanstrengung nach oben. Mehrmals dachte er, er müsse sie wieder los lassen, weil ihm jetzt selber die Luft knapp wurde und sein Instinkt ihm zurief: „Schnell nach oben und einatmen!“, aber er wusste nicht, ob es ihm ein zweites Mal gelingen würde, sie wieder zu finden und außerdem zählte jetzt jede Sekunde. So kämpfte er mit dem Mute der Verzweiflung und endlich, endlich durchstieß sein Kopf die Wasseroberfläche und die köstliche Luft füllte seine Lungen.

    Semir sah sich orientierend um. Gerade war der helle Mond wieder hinter einer Wolke hervor gekommen und er erblickte die Eisenleiter nur wenige Meter von ihm entfernt, die nach oben aufs rettende Pier führte. Allerdings hatte er alleine kaum eine Chance, Natascha dorthin zu bringen, aber die Zeit drängte! Er zerrte sie hinter sich her, ihr Kopf war durch die Verschnürung immer noch unter Wasser, aber erst brauchte er einen sicheren Halt, damit er dann das Taschenmesser, das er immer in der Hosentasche trug, heraus holen und die Verschnürung kappen konnte. Gleichzeitig begann er laut um Hilfe zu rufen und gerade hatte er die Fesseln aufgeschnitten und auch das Seil mit dem Gewicht daran, das sie in die Tiefe gezogen hatte, da sah er ein Scheinwerferpaar oben am Pier erscheinen. Noch lauter schrie er: „Ertrinkungsunfall-ich bin Polizist, bitte helfen sie mir!“ und da fuhr auch schon das Auto ganz nah an die Betonkante. Jemand stieg aus und der Lichtkegel einer starken Taschenlampe erfasste ihn und Natascha, deren Kopf jetzt zwar über der Wasseroberfläche war, die aber keinerlei Lebenszeichen von sich gab. „Moment ich komme zu ihnen!“, rief nun eine Stimme und während der Mann oben das Jackett seiner Polizeiuniform auszog, gab er schon Anweisungen an seinen Kollegen im Wagen: „Wir brauchen einen NAW und dann komm und hilf uns!“, rief er und kletterte derweil schon die Leiter hinunter. Gemeinsam mit Semir schaffte er es irgendwie, Natascha nach oben zu ziehen und zu schieben und als der Kollege nun auch noch mit anpackte, hatten sie sie relativ schnell auf trockenem Boden und begannen im Licht der Scheinwerfer sofort mit Wiederbelebungsmaßnahmen.

    Semir kletterte atemlos hinterher und als er sah, dass seine Kollegen, denen er sich auch gleich zu erkennen gegeben hatte, sehr professionell Erste Hilfe leisteten, der eine Herzdruckmassage machte und der zweite die Atemspende vornahm und sie das junge Mädchen nach den ersten Kompressionen auch kurz zur Seite gedreht hatten, damit wenigstens ein Teil des Wassers aus den Atemwegen laufen konnte, bevor sie weiter machten, rannte er erst zu seiner Jacke, zog das Handy hervor und verständigte Susanne in der Zentrale. „Gib sofort eine Fahndung nach dem dunklen Geländewagen raus. Ich konnte Wanke zwar nicht genau erkennen, aber ich vermute, dass er es war, der Natascha zu töten versucht hat-wir haben sie aus dem Rhein gezogen, sie wird gerade von zwei Kollegen reanimiert und der Täter ist flüchtig!“, informierte er sie kurz und ging dann zu dem jungen Mädchen zurück, das leichenblass, mit blau verfärbten Lippen und Nägeln auf dem Rücken lag und immer noch kein Lebenszeichen von sich gab. Er löste dann den Kollegen ab, der den Thorax komprimierte, denn das war sehr anstrengend und außerdem wurde ihm bei der körperlichen Bewegung dann auch warm. Konzentriert drückte er den Brustkorb etwa 100 Mal pro Minute ein, hörte nach jeweils dreißig Mal kurz auf, bis sein Kollege zweimal Luft eingeblasen hatte und machte dann sofort weiter. Nun fuhr auch schon mit blinkendem Blaulicht der RTW mit dem Notarzt heran und wie es der Zufall so wollte, war zwar der Notarzt ein anderer, aber die Sanitäter dieselben, die gestern Ben versorgt hatten. Der junge Mann, der am Steuer saß, stieg erschüttert aus und flüsterte nur: „Natascha!“, denn die junge Frau war ihm seit seiner vergangenen Nachtschicht nicht mehr aus dem Kopf gegangen und er hatte den ganzen Tag irgendwie sehnsüchtig darauf gewartet, dass sie sich bei ihm meldete.
    Gott sei Dank hatten seine beiden Kollegen die Sache auch ohne ihn im Griff und routiniert schnitten sie Natascha´s Kleidung vorne ein wenig auf, legten Defipaddels auf, über die man erst einmal auch das EKG, das leider immer noch eine Asystolie zeigte, ableitete und der eine der beiden übernahm die Thoraxkompression, während der andere eine Infusion, Notfallmedikamente und alles zum Intubieren herrichtete. Plötzlich regte sich Natascha und versuchte schwach zu husten. Der Notarzt, der einen Ambubeutel genommen hatte und bereits mit seinem Stethoskop den Brustkorb abgehört hatte, kommandierte: „Thoraxkompression unterbrechen!“, und tatsächlich-jetzt zeigten die aufgelegten Paddels plötzlich einen zwar noch langsamen und unregelmäßigen Herzschlag, aber sie hatten sie zurück.

    Nun konnte auch Natascha´s Verehrer wieder klar denken und beteiligte sich an den Rettungsmaßnahmen. Die junge Frau bekam einen Zugang mit einer Infusion, mehrere Medikamente und wurde sediert. Man intubierte sie, saugte Unmengen an Rheinwasser aus ihren Bronchien, ersetzte die Defipaddels durch normale Elektrodenkleber, schlang eine extra kleine Blutdruckmanschette um ihren Oberarm und legte sie dann auf die Trage, wo man sie, kalt und nass wie sie war, ohne sie zuzudecken, festschnallte. „Wie lange war sie unter Wasser und wann habt ihr angefangen zu reanimieren?“, hatte der Notarzt gefragt und Semir konnte die Zeit zwar nur auf etwa 5-10 Minuten schätzen, denn er hatte natürlich nicht auf die Uhr gesehen, aber sein Kollege hatte die Abläufe, präzise wie ein Computer in seinem Kopf dokumentiert. „Seit Beginn der Reanimation sind acht Minuten vergangen, bis ihr da wart. Die Meldung an die Zentrale, dass man einen Schuss am Hafen gehört hat, erfolgte exakt um 22.16 Uhr, wir waren zufällig gerade in der Nähe und haben nur etwa fünf Minuten gebraucht, um hierher zu kommen!“ und so gab der Notarzt eine Prognose ab, die den jungen Fahrer des RTW und Semir gleichermaßen glücklich machte: „Sie hat angesichts des eiskalten Wassers und der sofort eingeleiteten professionellen Reanimationsmaßnahmen gute Chancen, das zu überleben!“, sagte er, verschwieg aber, dass das reine Überleben und das Outcome, also wie und mit wie vielen körperlichen oder geistigen Behinderungen die Patienten das überstanden, oft ziemlich voneinander abwichen-aber das konnte man eben erst hinterher sagen. Sie würden jetzt mit der jungen Frau in die Uniklinik fahren, sie würde dort untersucht, auf die Intensivstation übernommen und weiter gekühlt werden und dann würde man weiter sehen. Wenn bis morgen keine Krämpfe auftraten und der Kreislauf stabil blieb, hatte sie zumindest eine Chance auf ein normales Leben, die immer wieder kontrollierten Pupillen reagierten nämlich wieder, was direkt nach dem Eintreffen noch nicht der Fall gewesen war.


    Als der RTW sich in Bewegung gesetzt hatte, merkte Semir, den man gefragt hatte, ob man ihn mitnehmen sollte, was er empört verneint hatte, erst, wie kalt ihm war, obwohl ihm jemand eine glitzernde Rettungsdecke um die Schultern gelegt hatte. Zitternd ging er zu seinem Wagen-der Schlüssel lag immer noch in der Mittelkonsole-holte aus dem Kofferraum die Plastiktüte mit Ersatzkleidung und im Schutze der Dunkelheit zog er sich um, stellte die Heizung auf Vollgas und verabschiedete sich dann von seinen Kollegen. „Ich danke euch-ich schreibe morgen einen Bericht, wie ihr ja auch und haltet bitte hier in eurem Revier die Augen offen-es läuft ja eine Fahndung nach einem dunklen SUV mit dem bekannten Kennzeichen!“, sagte er und ging dann aufs Gas, um zurück zum Haus des Politikers zu fahren. Er glaubte zwar fast nicht, dass der so dumm gewesen war, dorthin zurück zu kehren, aber vielleicht bekamen sie einen Hausdurchsuchungsbefehl und fanden irgendwelche Hinweise darauf, wo er sich wohl verstecken würde.


    Die Krüger hatte Frau Schrankmann in ihrem Feierabend gestört, die war ja bereits in den Fall involviert und nachdem sie sich aufmerksam die ganzen Indizien angehört hatte, die darauf hinwiesen, dass der Staatssekretär der gesuchte Maulwurf sein könnte, versprach sie, sich sofort mit dem zuständigen Richter wegen eines Hausdurchsuchungsbefehls in Verbindung zu setzen. Frau Krüger verabredete sich mit Semir an der bekannten Adresse, wo eine Streife inzwischen das „beschlagnahmte“ Motorrad zweifelsfrei identifiziert hatte und als Semir wenig später als Erster vor dem hochmodernen Prunkbau auftauchte, hörte er ein klägliches Winseln aus der Garage.

  • Die Polizeistreife, die das Motorrad identifiziert hatte, war noch in der Nähe, hatte allerdings noch keinen Einsatzbefehl bekommen. Als Semir sich ausgewiesen und sie näher gerufen hatte, sagte er zu den beiden Beamten: „Es besteht gegen einen Bewohner dieses Hauses der dringende Tatverdacht des Mordversuchs und noch anderer Straftaten, die Verstärkung wird in Kürze eintreffen, aber hier ist ein Tier in Not und deshalb möchte ich euch bitten, jetzt wie ich die Schutzwesten anzuziehen und dann gehen wir rein!“, ordnete er an und sofort folgten die Beamten seiner Order.
    Wenig später drückte Semir auf den Klingelknopf und läutete Sturm. Die Beamten standen hinter ihm und hatten die Waffen schussbereit, allerdings rührte sich erst einmal gar nichts. Semir hatte die Gartenumzäunung gemustert-es war problemlos möglich, über die drüber zu kommen, aber als er seinen Finger nicht vom Klingelknopf nahm, ertönte plötzlich eine verschlafene weibliche Stimme aus der Sprechanlage. „Polizei-machen sie bitte die Türe auf!“, forderte Semir voller Autorität und schon ertönte der Summer. Als er mit wenigen Schritten an der Haustür war, öffnete da eine elegante Dame in einem wundervollen Schlafrock, die eindeutig unter dem Einfluss von Medikamenten stand. „Ist etwas mit meiner Tochter?“, lallte sie, aber Semir schüttelte den Kopf. „Ist ihr Mann zuhause und ist das ihr Hund, der da winselt?“, fragte er und drängte sich auch schon an der Frau des Hauses vorbei, die ihn verständnislos ansah und auch nicht protestierte. Gefolgt von den beiden Streifenbeamten, sah er kurz mit der Waffe im Anschlag in alle Zimmer der Villa, deren Ausstattung vor Luxus nur so triefte, aber außer der Frau, die sich inzwischen in einen Sessel in der Diele hatte fallen lassen und Mühe hatte, die Augen offen zu halten, war das Haus leer. Nun ging Semir durch den Seiteneingang in die Garage und während draußen vor der Villa schon die Verstärkung und die Spurensicherung eintrafen, öffnete Semir von innen die unversperrte Garagentür, woraufhin automatisch das Licht anging. Dort standen mehrere Luxusschlitten, unter anderem ein dunkelgrüner Jaguar, ein Stellplatz war frei und am Boden lag der prachtvollste Schäferhund, den Semir jemals gesehen hatte, winselte und schlug einmal matt mit der Rute, als Semir sich vor ihm auf den Knien nieder ließ. Blut lief aus seiner Nase, eine große Wunde klaffte auf seinem Kopf, aber als Semir ihm gut zuredete, ihm die Hand hinstreckte und ihn daran riechen ließ, leckte er kurz darüber und Semir war klar, dass das Tier erstens keine Gefahr darstellte und zweitens dringend tierärztliche Hilfe brauchte.
    Plötzlich stand Frau Krüger hinter ihm und sagte: „Wir haben den Haftbefehl und der Richter hat auch einen Durchsuchungsbefehl ausgestellt, Frau Schrankmann war anscheinend sehr überzeugend!“, erklärte sie, um dann den Hund neugierig zu mustern. „Was ist mit ihm?“, fragte sie und Semir erhob sich jetzt. „Das weiss ich nicht-ich sehe nur, dass er dringend in die Klinik muss und genau dorthin werde ich ihn jetzt schaffen. Frau Krüger-ich denke, sie kommen auch ohne mich zurecht!“, erklärte er, vor allem auch, weil er gerade einen Rotschopf entdeckt hatte, der in einem weißen Schutzanzug der SpuSi um die Ecke bog. „Einstein-auch schon wieder im Dienst?“, fragte er und Hartmut nickte. „Immerhin habe ich schon vier Stunden auf dem Sofa gepennt!“, verkündete er und strich sich durch die roten Haare, die in alle Richtungen abstanden. Sein Mitarbeiter hatte ihn verständigt und er würde es sich nicht nehmen lassen, höchstpersönlich die Computer hier im Haus zu sichern.


    Semir sah sich um, holte eine Wolldecke, die sauber zusammen gefaltet in einem Regal in der Garage lag und bat einen Kollegen, ihm zu helfen. Vorsichtig zogen sie den schwer verletzten Hund, der ruhig und ohne auch nur einen Hauch von Aggression zu zeigen, da lag und nur gelegentlich leise winselte, auf die Decke und trugen ihn dann gemeinsam zu Semir´s Wagen, wo sie ihn sanft auf die Rücksitzbank betteten. Das widersprach zwar allen Vorschriften zum Transport von Hunden, aber Semir pfiff darauf-auch wenn später die Autositze voller Blut wären. „Chefin-sie verständigen mich, wenn sie einen Hinweis auf Wanke´s Verbleib haben, aber ich werde jetzt erst in eine namhafte Tierklinik mit Tag-und Nachtbereitschaft fahren und dann nach Hause. Ich denke nicht, dass ich hier von Nutzen sein kann“, informierte er Frau Krüger und war wenig später um die Ecke gebogen. Nach kurzer Überlegung schaltete er seine Blaulichtleiste an-hier ging es um Leben oder Tod, seiner Meinung nach, war die Einsatzfahrt gerechtfertigt. Als er den Hund in der Klinik abgegeben hatte, wo er sofort versorgt wurde und natürlich stationär bleiben musste, fuhr er nach Hause-er konnte jetzt einfach nicht mehr und brauchte dringend ein paar Stündchen Schlaf. Er rief noch in der Klinik an. Natascha war inzwischen auf die Intensivstation übernommen und stabil und auch bei Ben gab es keine Neuigkeiten, also konnte er beruhigt Feierabend machen. Andrea lag schon im Bett und als Semir sich wenig später an sie kuschelte, drehte sie sich verschlafen zu ihm und eng umschlungen schliefen sie wenig später ein.


    Ben und Sarah verlebten eine ereignislose Nacht. Ben war zwar immer noch tief sediert, aber auch Sarah schlief wie ein Stein und als am Morgen die Sonne blutrot über Köln aufging, fühlte sie sich erholt und ausgeruht, aber sofort überkam sie das schlechte Gewissen ihren Kindern gegenüber und sobald eine halbwegs akzeptable Zeit anbrach, rief Sarah zu ihrem Goldstück Hildegard durch. „Ben ist zwar immer noch schwer krank, aber wir haben Hoffnung, dass er das Ganze überleben könnte!“, teilte sie ihr mit und die zuverlässige Kinderfrau, die die Kinder liebte wie ihre eigenen Enkel, sagte voller Freude: „Oh das ist die beste Nachricht, die ich mir vorstellen kann-Sarah, mach dir wegen uns keine Sorgen, wir kommen gut zurecht, nur Lucky mag nichts fressen, aber immerhin trinkt er und weicht den Kindern nicht von der Seite!“, informierte sie die junge Frau und die beschloss daraufhin, sobald es sich ergab zu ihrer Kinderfrau zu fahren und dort nach dem Rechten zu sehen.

    Einmal editiert, zuletzt von susan () aus folgendem Grund: sachlicher Fehler

  • Es war wie verhext. Wanke war wie vom Erdboden verschluckt, die Fahndung nach seinem Fahrzeug war ereignislos verlaufen und bisher hatte man auch weder im Haus, noch auf den ersten Blick auf den PCs etwas entdecken können, was entweder einen Hinweis auf seinen Aufenthaltsort gab, oder ihn überführen könnte-nur auf einem Tablet war öfter anonym, ohne Anmeldung, die Schreiberseite aufgerufen. Jeder Anwalt würde sich zwar vor Lachen über dieses Indiz ausschütten, aber für Hartmut war das ein Beweis, dass sie den richtigen Täter hatten. Allerdings war er noch dran und würde vielleicht das ganze Wochenende zum Auswerten der Daten brauchen, die mehrfach mit Passwörtern und allerlei Tricks gesichert waren, aber das forderte in Hartmut diesen gewissen Ehrgeiz heraus, der ihn wie einen Jagdhund Spur aufnehmen und nicht aufgeben ließ.


    Semir erwachte am Morgen erholt, Andrea hatte ihn nachts verschlafen gefragt, ob er Natascha gefunden hatte und er hatte einfach bejaht und noch leise „Krankenhaus“, dazu gemurmelt. Als er nun am Morgen das ganze Drama erzählte, war Andrea völlig geschockt, aber die kurze Nachfrage in der Klinik ergab, dass sie weiter-wie auch Ben- stabil war, aktuell noch gekühlt wurde und der behandelnde Arzt darum gebeten hatte, Angehörige zu verständigen. Susanne hatte daraufhin die Telefonnummer der Eltern im Sauerland weiter gegeben und so kam es, dass eine völlig geschockte Mutter nun am Bett saß und voller Sorge ihre tief sedierte Tochter beobachtete.


    Weil er auch sonst nichts machen konnte, fuhr Semir nach dem Frühstück wieder in die Klinik, um Sarah abzulösen, die sehnsüchtig sein Kommen erwartete. Sie hatte Ben schon zusammen mit ihrer Kollegin gewaschen und der behandelnde Arzt äußerte sich erfreut über den sehr stabilen Zustand. „Semir, ich muss dringend nach meinen Kindern und Lucky sehen, außerdem möchte ich nach Hause, mich dort umziehen und ein paar Sachen zusammen packen. Weisst du eigentlich, ob unser Auto noch in Chorweiler steht?“, fragte sie, aber Semir schüttelte den Kopf. „Den Wagen hat Ben in die KTU bringen lassen, in der Hoffnung, man würde darin verwertbare Spuren finden, wo du abgeblieben bist!“, teilte er ihr mit und so wurde nach ein paar Anrufen Sarah wenig später von einer Polizeistreife zur KTU gebracht und bekam von einem Hartmut mit Augen, vor Müdigkeit klein wie zwei Schlitze, ihren Wagen ausgehändigt. Den Schlüssel hatte sie in der Hosentasche ihrer verdreckten Jeans gehabt, aber jetzt war sie wenigstens wieder mobil.


    Erst fuhr sie zu ihrem Haus, duschte und zog sich normale Klamotten an, bereitete eine kleine Reisetasche mit Sachen für sich und Ben vor-auch wenn der aktuell eigentlich nichts brauchte, packte dann Leckerbissen für Lucky und ein wenig Kleidung für die Kinder ein und machte sich dann auf den Weg zu Hildegard. Dort wurde sie eher beiläufig von Tim und Mia-Sophie begrüßt, die gerade heftig spielten und das war gut so, dass sie die Mama anscheinend nicht sonderlich vermissten, wenn sie bei ihrer vertrauten und geliebten Hildegard waren, die so lange sie sich erinnern konnten, ein fester Bestandteil ihres Lebens war. Lucky allerdings war in den Flanken eingefallen, freute sich zwar sie zu sehen, aber sein Blick ging immer zur Tür-wo war Herrchen? Sarah versuchte ihn zu überreden, ein paar Leckerchen zu nehmen, aber während Frederik sich erwartungsvoll die Schnauze leckte und alle Kunststücke reproduzierte, die er je gelernt hatte, um die schmackhaften Dinge zu ergattern, verschmähte Lucky, der deutlich trauerte, immer noch jegliches Fressen. Nun hatte Sarah eine Idee und holte aus der Tasche im Wagen ein Shirt von Ben-und siehe da-jetzt aß Lucky wenigstens ein bisschen was, während man den verfressenen Retriever Frederik am Halsband festhalten musste-er würde das nie verstehen, dass ein Hund nichts haben wollte und sich bereitwillig opfern, um die Reste zu vernichten.
    Sarah trank dann noch eine Tasse Kaffee, probierte vom selbst gebackenen Kuchen, den Hildegard gemeinsam mit den Kindern am Vortag gebacken hatte und verabschiedete sich dann wieder, um zur Klinik zu fahren. Lucky hatte Ben´s Shirt mit in seinen Korb genommen und döste jetzt mit dem Kopf darauf vor sich hin-seine Welt wäre erst wieder in Ordnung, wenn die Familie komplett war.


    So verging ein eher ereignisloser Tag, Ben war immer noch sediert, man konnte die ersten Drainagen der Bauchwunde ziehen und weil sich die Werte besserten, kamen die behandelnden Kardiologen zu einem Entschluss. „Frau Jäger, wir wissen nicht, wie viel Zeit vergeht, bis das Herz sich von der Myokarditis erholt hat. Allerdings sieht es wirklich gut aus, die Rhythmusstörungen haben fast aufgehört, die Beatmungsparameter sind sehr niedrig und wir würden ihren Mann, falls er weiterhin stabil bleibt, morgen gerne wach werden lassen und extubieren. Früher hat man die Patienten an der ECMO immer tage-bis wochenlang tief sediert, aber heute kommt man davon weg, weil ja die Atemmuskulatur und auch alle anderen Körperfunktionen hinterher viel länger brauchen, um sich zu normalisieren. Allerdings muss er ruhig bleiben-soweit wir nachgelesen haben, neigt er ja nicht unbedingt zu deliranten Zuständen nach Extubationen, aber wenn die Schläuche heraus rutschen würden, wäre es eine Katastrophe. Meinen sie, sie können ihn in der Aufwachphase so weit beeinflussen, dass er sich nicht selbst gefährdet und friedlich bleibt?“, fragten sie und Sarah sagte mit fester Stimme: „Das schaffen wir!“, und wechselte einen zuversichtlichen Blick mit Semir.


    Auch Natascha würde am Sonntagmorgen extubiert werden und der Fahrer des Krankenwagens, der das Wochenende frei hatte, saß nun gemeinsam mit ihrer Mutter an Natascha´s Bett und hielt ihre Hand. „Ich habe keine Ahnung warum-aber sie hat mir sofort, als wir uns kennen gelernt haben, den Kopf verdreht und ich weiss jetzt zwar nicht, ob sie für mich dieselben Gefühle empfindet, wie ich für sie, aber ich möchte einfach da sein, falls sie mich braucht!“, erklärte er der Mutter einfach und die lächelte den sympathischen jungen Mann an. Natascha hatte zwar ihre Familie von sich weg gestoßen und in ihrer Sturm- und Drang-Zeit eine Menge Fehler gemacht, aber auch sie hoffte immer noch, dass sie zur Vernunft kommen würde und sie ihre Tochter zurück bekamen-aber jetzt musste die das Ganze erst einmal ohne neurologische Ausfälle überleben. Der junge Mann erzählte ihr auch von Semir´s Heldentat und als der am Nachmittag vorbei kam, um sich nach dem Befinden der jungen Frau zu erkundigen, umfasste die Mutter tief gerührt seine beiden Hände: „Sie haben ihr das Leben gerettet, ich danke ihnen!“, sagte sie und Semir errötete fast ein wenig und beteuerte, dass das doch selbstverständlich gewesen sei.
    So verging der Tag, Semir wechselte sich mit Sarah bei Ben ab, der sich weiter stabilisierte, dann fuhr er auch einmal zur KTU, um sich bei Hartmut nach dem Stand seiner Ermittlungen zu erkundigen, aber als er den großen Raum betrat, konnte er seinen rothaarigen Freund erst einmal nirgendwo entdecken. Als er sich suchend umsah, lag der in eine dünne Decke eingewickelt tief schlafend am Boden vor seinen PC´s, während auf dem Bildschirm ein Computerprogramm versuchte das Passwort zu knacken. Leise verließ Semir den Raum wieder-alles brauchte seine Zeit und vielleicht würde ihnen Wanke ja auch anderswo ins Netz gehen.


    Jerry hatte zwar ein Schädel-Hirntrauma, wie Semir auf Nachfrage erfuhr, aber er fraß, trank und war ein sehr angenehmer Patient und die Tierärzte waren zuversichtlich, dass er sich mit ein wenig Zeit wieder erholen würde.


    Milena hatte sich in der Schutzwohnung verschanzt und sah den ganzen Tag fern, um sich die Zeit zu vertreiben und Elisa hatte das Pech, dass der Norovirus Einzug in das Pflegezimmer gehalten hatte. Man führte wegen Bettenmangel eine Kohortenisolierung durch, aber die Frau war als einzige Gehfähige schon fix und fertig und belagerte, neben sich die Thoraxdrainage an einem Wägelchen, die Toilette des Zimmers mit der Brechschale in der Hand, während die drei anderen Damen gewickelt werden mussten und sich teilweise in die Betten erbrachen. Das Pflegepersonal betrat alle paar Stunden grün gewandet mit Kittel, Mundschutz und dichten Handschuhen das Zimmer, machte alle frisch und Elisa heulte vor Schmerzen, Übelkeit und Erschöpfung, wagte es aber nicht, das Klo zu verlassen, bis das Schlimmste vorbei war.


    Die Nacht verbrachte Semir erneut zuhause und Sarah nahm auf dem bequemen Mobilisationsstuhl Platz. „Ben-morgen ist dein großer Tag-du darfst wach werden und wir können uns wieder unterhalten!“, flüsterte sie voller Liebe, gab ihm einen zärtlichen Kuss auf die Stirn und war dann binnen Kurzem eingeschlafen.

  • Wanke hatte nachgedacht, nachdem er vom Rheinufer geflohen war. Dieser Gerkhan hatte auf seinen Wagen geschossen und er musste ihn verfolgt haben-was hätte er sonst am Hafen getrieben? Allerdings hatte er in seinem Auto getönte Scheiben und es war nicht möglich, dass der ihn zweifelsfrei identifizieren konnte. Die junge Frau, die das gekonnt hätte, ruhte nun am Grund des Rheins und er hatte hervorragende Anwälte, die würden die Aussagen dieses Polizisten zerpflücken. Gegen entsprechende Bezahlung würde er jemanden finden, der ihm in der Statur ähnlich war und dafür, dass er danach ausgesorgt hatte, für ein paar Jahre wegen Totschlags im Affekt unter Drogeneinfluss für ihn einfuhr. Er würde dann behaupten, dass einer der dubiosen Freunde seiner Tochter ihm Bargeld und seinen Geländewagen geklaut habe, dabei wohl von der Bedienung aus der Spielhölle beobachtet worden war und die dann vermutlich beseitigt hatte.
    Noch während er zum Telefon griff, um einen seiner zuverlässigen Unterweltkontakte anzurufen und es dann nochmals beim Türsteher zu versuchen, fiel ihm nochmals etwas viel Besseres ein. Er würde so einen Typen finden-bei seinen Connections kein Problem-und dann dafür sorgen, dass der mitsamt seinem SUV tödlich verunglückte, dann konnte er schon keine Aussage mehr machen!
    Also orderte er bei seinem Kontaktmann unter einem Vorwand einen Junkie, der seine Kleidergröße trug, kontaktierte den am vereinbarten Treffpunkt und steckte ihm als Erstes ein Bündel Geldscheine zu, was dessen Augen zum Leuchten brachte-er war zwar aktuell noch auf Droge, aber die nächste Zeit war seine Versorgung mit Stoff deshalb gesichert- und er bekam auch noch das Versprechen auf mehr. Darum zog er sich auch bereitwillig und ohne zu fragen die Sachen, die Wanke ihm bereit gelegt hatte, an und stieg ein, um den Wagen zu einem öffentlichen Parkplatz in der Nähe zu bringen, wo er weitere Informationen und Arbeitsaufträge bekommen sollte.
    Was er nicht wusste war, dass Wanke zuvor die Bremsen und die Lenkung des Wagens manipuliert hatte, der Treffpunkt an einem erhöhten Punkt war, von wo die Straße steil zum Rheinufer abfiel und als er Minuten später leicht berauscht und stolz wie Bolle losfuhr-Mann, wann war er zum letzten Mal in so einem schicken Auto gesessen- hatte er erst gar nicht gewusst, wie man das starten sollte. Aber sein Mäzen hatte das für ihn erledigt, im Drogenrausch nahm er auch die ganzen Warnsignale nicht wahr und so durchbrach der schwere Wagen wenig später die Uferböschung und verschwand mit einem lauten Platschen in den Fluten des Rheins.


    Wanke hatte im Kofferraum des Wagens einen Jogginganzug gehabt und den vorher angezogen. Er joggte nun gemächlich durch die Nacht, warf die Kleidung des Junkies in einem Park in ein Gebüsch und tauchte dann erst einmal für einen Tag bei einem Unterweltkontakt unter, den er auch beauftragte, sein Handy zu verstecken-da waren zu viele wichtige Telefonnummern drauf, das sollte der Polizei besser nicht in die Hände fallen. Wo er angeblich gesteckt hatte, würde er sich noch überlegen, aber er würde sich vermutlich auf eine geheime diplomatische Mission berufen und so setzte er sich dann am nächsten Tag mit einem bekannten Kölner Staranwalt in Verbindung. Der war spielsüchtig, was er allerdings bisher hatte geheim halten können und er war ihm, wie so mancher Richter, noch was schuldig. So kamen Wanke und der Anwalt am späten Samstagabend aufs Polizeipräsidium und Wanke ließ seinen Anwalt reden, der äußerst glaubwürdig das inszenierte Märchen vortrug, dass er nach einem Kurztrip nach Brüssel von Freitag bis Sonnabend von seiner Frau und der Tochter mit der empörenden Mitteilung empfangen wurde, dass ein Haftbefehl gegen ihn vorlag und er sich deswegen jetzt melden wolle, um das Missverständnis aufzuklären.
    Kim Krüger und Isolde Schrankmann, die man sofort verständigte, waren wie vor den Kopf gestoßen und aktuell kam der Politiker trotz Protesten seines Anwalts zwar in Untersuchungshaft, aber keiner wusste, ob sich die Schlinge um dessen Hals würde zuziehen lassen und der Richter beim Haftprüfungstermin nicht kalte Füße bekam, denn die Beweislage war mehr als knapp.


    Sarah ahnte von der ganzen Misere nichts und auch Semir schlief den Schlaf der Gerechten, spielte vor dem Zubettgehen noch mit seinen Kindern und wurde mitten in der Nacht dann auch nicht von der Chefin verständigt-er konnte aktuell sowieso nichts machen und alle Hoffnungen ruhten jetzt auf Hartmut.


    Am nächsten Morgen reduzierte man weisungsgemäß bei Ben die Sedierung, ließ aber durchaus noch Propofol und Sufentanil in niedriger Dosierung laufen, damit er keine Schmerzen hatte, nur langsam und stressfrei wach wurde und bei dem jungen Polizisten, dem es aktuell deutlich besser ging, vermischten sich Tag und Traum, als er ganz langsam in die Realität zurück kehrte. Auf der Station ging es furchtbar zu und Sarah sagte freundlich zu ihrer Kollegin: „Weisst du was? Ich nehme mir jetzt alle Zeit der Welt und wasche ihn gründlich, auch die Haare. Zum Drehen und Leintuch wechseln hole ich dich dann, aber die nächsten zwei Stündchen etwa bin ich jetzt erst einmal beschäftigt!“, teilte sie ihr mit und die junge Intensivschwester war heilfroh, dass sie sich in Ruhe ihrem anderen beatmeten Patienten und der restlichen Morgenarbeit widmen konnte, schloss die Schiebetüre hinter sich und Sarah und Ben waren alleine.
    So begann Sarah erst damit, ihrem Mann mit der Abfallsackmethode, die besser funktionierte als jedes Bettwaschbecken, sorgfältig die verschwitzten und schmutzigen Haare zu reinigen und nachzuspülen und arbeitete sich dann liebevoll nach unten weiter. Die Verbände würde sie erneuern, wenn sie seine Vorderseite fertig gewaschen hatte, so ziepte aktuell nichts und Ben, dessen Verstand immer noch weit weg war und der gerade mehr aus Gefühlen bestand, nahm aus weiter Ferne die vertraute Stimme, die voller Liebe mit ihm sprach und zarte und doch energische Berührungen wahr. So wurde er am Sonntagmorgen, wenn die Kinder ausnahmsweise mal länger schliefen, am liebsten geweckt und als Sarah die Intimpflege begann, zog ein Schmunzeln über ihr Gesicht-Männer blieben einfach Männer, egal wie krank sie waren!

  • Ben´s Eigenfrequenz war bei der liebevollen Waschung und den erotischen Träumen, die er dabei gehabt hatte in die Höhe geschnellt. Leider gleich so hoch, dass der Defi auslöste und er zwar davon so richtig bewusst nichts mitbekam, aber es genügte, um die Erektion zusammen fallen zu lassen. „Ach Ben, alles zu seiner Zeit-jetzt werd erst mal wieder gesund und dann können wir wieder an solche Dinge denken!“, sagte Sarah und ihre Kollegin, die bei dem Alarm sofort ins Zimmer geschossen war, musste ein wenig grinsen, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass ihrem Patienten aktuell keine Gefahr drohte. „Ja, ja das gute Propofol!“, sinnierte sie. „Michael Jackson wusste schon, was er als Schlafmittel haben wollte!“, denn es war in Fachkreisen allgemein bekannt, dass Propofol, niedrig dosiert, häufig erotische Träume zur Folge hatte.
    Nun erneuerten Sarah und ihre Kollegin noch gemeinsam die Verbände, etwas, was Ben dazu brachte, ein wenig das Gesicht zu verziehen, er war ja nur noch leicht sediert und als man ihn gewendet, seinen Rücken auch frisch gewaschen und das Leintuch gewechselt hatte, kam auch schon die große Morgenvisite. Ein ganzer Schwarm Weißkittel betrat den Raum. Obwohl heute Sonntag war, war die Ärztedichte erstaunlich hoch. Man informierte sich über die Behandlungsstrategie, besah sich die Blutwerte und dann kam die Order: „Jetzt die Sedierung komplett ausschalten. Gegen die Schmerzen aktuell Novaminsulfon, nichts zentral Wirksames mehr und zügig die Extubation anstreben!“, und schon hatte Sarah´s Kollegin die beiden Sedierungsperfusoren pausiert. „Falls er überschießend wach werden sollte, oder sich nicht führen lässt, keine Experimente, dann lieber nochmals abschießen. Es ist absolut lebensnotwendig, dass die Zugänge für die Herzunterstützung drin bleiben. Allerdings macht es eigentlich keinen Sinn, so wie sich die Beatmungsparameter und die restlichen Werte in den vergangenen zwei Tagen verbessert haben, ihn jetzt zur Langzeitbeatmung mit allen daraus resultierenden Problemen zu machen. Wir können aktuell noch keine Prognose abgeben, ob sich der Herzmuskel komplett erholt, oder man doch noch über eine Transplantation, oder den dauerhaften Einsatz eines Kunstherzes nachdenken muss. Aber vielleicht wäre es auch gut, wenn er da selber darüber entscheiden könnte, was er langfristig möchte!“, sagte der Chefarzt der Kardiologie mit Autorität in der Stimme und dann verließ der Ärztetross den Raum.
    Nur Sarah blickte mit Kummerfalten auf der Stirn nachdenklich auf ihren Mann. Die Argument des Chefarztes waren schlüssig, aber sie wusste genau, Ben würde, wenn ihm seine Situation erst einmal bewusst war, zunächst einmal in ein tiefes psychisches Loch fallen-sie konnte nur hoffen, dass es Semir und ihr gelang, ihn da wieder heraus zu holen.


    Semir hatte inzwischen mit seiner Familie gefrühstückt und als er nun auf sein Handy sah, stellte er überrascht fest, dass Kim Krüger ihm eine Nachricht geschrieben hatte-diese Frau kannte wohl auch kein Wochenende! „Würden sie mich bitte im Büro anrufen?“, stand da und als Semir nun die Nummer wählte und dann ihren Worten lauschte, entglitten ihm seine Gesichtszüge. „Chefin-ich komme sofort-wir müssen den Richter unbedingt dazu bringen, dieses Schwein in Haft zu lassen. Wir wissen beide, dass der unser großer Unbekannter ist und es muss uns einfach gelingen, ihm das auch zu beweisen und ihn lebenslang dafür büßen zu lassen, was er Ben und Natascha und vielen anderen angetan hat. Hat Hartmut schon was?“, fragte er dann nach, aber leider hatte der zwar schon einige Passwörter geknackt, aber noch keine Beweise gefunden. „Es gibt jetzt auch noch eine Komplikation, Wanke hat eine Bissverletzung, die sich infiziert hat und muss jetzt im Krankenhaus behandelt werden!“, erklärte die Krüger und erneut wallte Hass und Wut in Semir hoch. Warum ihn wohl sein eigener Hund gebissen hatte, konnte man nicht wissen, aber auf jeden Fall hatte der Typ daraufhin versucht, Jerry zu töten und weil Semir Hunde liebte, war ihm so etwas völlig unverständlich. „Er wird in Kürze in die Uniklinik zur Behandlung gebracht, eigentlich saß er noch in einer Zelle im Polizeipräsidium, aber dem herbei gerufenen Arzt ist die Sache zu heiß, der will, dass sich ein Chirurg die Wunde anschaut!“, erklärte die Krüger und nach einem Blick auf die Uhr entschied Semir, direkt zum Krankenhaus zu fahren. „Ich muss eh nach Natascha und Ben sehen und werde aufpassen, dass Wanke keinen Blödsinn macht!“, beschloss Semir und verabschiedete sich dann von seiner Familie. „Sag Sarah, Ben und Natascha liebe Grüße, falls sie dich verstehen können!“, bat Andrea und Semir nickte-was würde ihn wohl in der Klinik erwarten?


    Bei Natascha hatte man, nachdem man sie langsam im Laufe der Nacht erwärmt hatte, ebenfalls die Perfusoren ausgeschaltet. Sie wurde sehr schnell wach und als man ihre Mutter und den jungen Sankafahrer wenig später herein bat, saß sie, zwar noch erschöpft und leise vor sich hin hustend, mit einer Ohiomaske mit Sauerstoff auf dem Gesicht, aber ohne Tubus im Bett, hatte glücklicherweise keinerlei neurologische Ausfälle und gegen die drohende Pneumonie vom Rheinwasser bekam sie Antibiotika. „Aua-meine Rippen tun weh!“, klagte sie, aber nun schloss ihre Mutter sie glücklich und in Tränen aufgelöst in die Arme: „Kind-das vergeht wieder, Hauptsache du lebst und dein Kopf hat nichts abgekriegt!“, schluchzte sie und der junge Mann nahm ganz fest und ergriffen ihre Hand in die Seine und bekam auch gleich Natascha´s schönstes Lächeln geschenkt.

  • Als Semir in der Klinik ankam, wurde Wanke gerade unter schwerer Bewachung in ein Behandlungszimmer gebracht. Der sah ihn an, ohne den Funken des Erkennens und Semir wusste nun, das würde noch ein hartes Verhör werden und nur gut, dass der Typ nicht wusste, dass Natascha noch am Leben war! Der Türke vergewisserte sich, dass eine Flucht wohl nicht möglich wäre, denn einer der Polizisten hatte sich sogar mit Handschellen an Wanke gefesselt und so beschloss er, zunächst kurz auf der einen Intensivstation nach Natascha zu sehen, dann zu Ben zu gehen, dort Bescheid zu sagen und erst dann in die Notaufnahme zurück zu kehren.


    Zu seiner Überraschung war Natascha wach und gerade als Semir um die Ecke bog, der von der Intensivschwester ermahnt worden war, sich nicht lange aufzuhalten, weil bereits zwei Besucher bei der jungen Patientin waren, hatte ihr der junge BuFDi erzählt, wer ihr Retter gewesen war. Als er nun breit lächelnd an ihr Bett trat, streckte sie ihm die Hand entgegen und sagte voller Emotionen: „Ohne dich-äh sie- wäre ich jetzt nicht mehr am Leben-Dankeschön!“, und Tränen der Rührung liefen über ihr Gesicht. „Du darfst gerne du sagen, ich bin Semir-immerhin haben wir schon so Einiges miteinander erlebt. Ich freue mich, dass es dir besser geht, Natascha und sehe, du bist in den besten Händen!“, sagte er und ermahnte sie dann noch, bevor er sich auf den Weg zur Kardiologischen Intensivstation machte: „Aber in Zukunft bitte nicht mehr selber Detektiv spielen-dafür sind wir Profis da!“, und artig nickte Natascha.
    „Wie geht es Ben?“, lautete dann ihre nächste Frage und Semir´s Gesichtsausdruck verdüsterte sich einen Moment. „Er ist nach wie vor schwer krank und wird auf der Kardiologie behandelt. Aktuell scheint er zwar außer Lebensgefahr zu sein, aber die Ärzte können noch keine genaue Prognose geben, ob und wie er das Ganze übersteht.“, informierte er sie, ohne ins Detail zu gehen. „Sag ihm liebe Grüße und richte die auch Andrea, Ayda und Lilly aus-es tut mir leid, wenn ich euch Sorgen gemacht habe!“, sagte sie und weil ihm nun die Schwester einen tadelnden Blick zu warf, befragte er Natascha auch nicht zu den Geschehnissen am Rheinufer und zuvor, das hatte Zeit, sondern verabschiedete sich nun, um zu seinem Freund zu eilen.


    Als er dort die Einzelbox betrat, schaute ihn Ben direkt an. Er hatte zwar noch den Tubus im Mund stecken, war aber anscheinend ziemlich wach, allerdings hatte er Angst, so wie es aussah. Sarah hielt ganz fest seine Hand, versuchte ihn durch ihre Nähe zu beruhigen und ihm auch schon etwas zu erklären, aber so ganz orientiert war er eben doch noch nicht und alle Unruhe, alle Gefühle, auch in der Phase, bevor er intubiert worden war, drangen jetzt wirr auf den jungen Dunkelhaarigen ein. Noch dazu waren seine Hände straff fixiert und vorsichtshalber hatte man auch seine Fußgelenke locker am Bettgestell angebunden, damit die dicken Schläuche in seinen Leisten, durch die das Blut kontinuierlich aus ihm heraus lief, in der handlichen Maschine mit Sauerstoff angereichert wurde, um dann wieder in ihn zurück zu fließen, nicht durch unwillkürliche Bewegungen heraus rutschen konnten. So notwendig das auch war-Ben merkte, dass er gefesselt war und das machte ihm zusätzlich Angst. Eigentlich war er schon so oft auf der Intensivstation als Patient gewesen, prinzipiell müsste er sich auskennen, aber das war in der momentanen Situation für Ben egal. Er war maßlos überfordert und auch wenn seine Frau bei ihm war, die Geräte um ihn herum und die Geräusche machten ihm Sorgen und in seinem Kopf ging noch so einiges durcheinander. So presste er auch immer wieder gegen die Beatmungsmaschine, die dann-bis Sarah den Alarm pausierte- schrille Töne von sich gab.


    Semir war mit zwei Schritten am Bett seines Freundes und fasste nach der anderen, straff fixierten Hand. „Ben, du bist ja wach-das ist schön!“, sagte er im beruhigendsten Tonfall, den er zustande brachte. „Er soll später extubiert werden, aber er ist noch völlig neben der Kappe!“, erklärte Sarah unglücklich. Ihre große Sorge war, dass sein Kopf eben doch bei den ganzen lebensbedrohlichen Situationen etwas abgekriegt hatte und durch mangelnde Sauerstoffversorgung das Gehirn einen Schaden erlitten hatte. Allerdings atmete Ben inzwischen tatsächlich selbstständig, freilich stand völlig in den Sternen, ob es gelingen würde, ihn ruhig zu halten. Wenn er zu toben begann, musste man ihn zu seinem eigenen Schutz wieder sedieren, das half dann nichts und Sarah war selber unsicher, ob das nicht vielleicht doch besser wäre. Allerdings war das Weaning eine klare Anordnung des Chefarztes und so einfach konnte man sich darüber nicht hinweg setzen. Sarah war heilfroh, dass Semir endlich da war, denn der hatte einen großen Einfluss auf ihren Mann und sie hatte auch ganz deutlich den Eindruck, dass er ihn erkannt hatte-das war schon mal gut!


    Semir dachte kurz nach-er sah schon-hier würde er gebraucht! Wanke wurde von vier zuverlässigen Kollegen bewacht, außerdem hatte der sich ja selber gestellt, der würde vermutlich nen Teufel tun und zu fliehen versuchen. Die Behandlung des Hundebisses würde sicher einige Zeit in Anspruch nehmen und so löste er nochmals kurz seine Hand aus dem Klammergriff Ben´s, der sich wie ein Ertrinkender an ihm fest hielt, zog sich einen Klappstuhl heran, nahm da Platz und ergriff wieder die Hand seines Freundes, während er ihn unverwandt ansah. „Ben ich bin da und passe auf dich auf!“, sagte er nun und sein Freund nickte fast unmerklich. Langsam entspannte er sich ein bisschen, das Atmen durch den Tubus wurde weniger angestrengt, die weit aufgerissenen Augen schlossen sich und Minuten später war sein Freund eingeschlafen.


    Wanke hatte Gerkhan angeschaut, als sie in der Klinik angekommen waren und so getan, als würde er ihn zum ersten Mal in seinem Leben sehen. Es war Tatsache-sein Unterschenkel, in den sich der blöde Köter verbissen hatte, bevor er ihn mit dem Radkreuz erschlagen hatte, schmerzte ungemein. Er fröstelte und als der ins Präsidium gerufene, nieder gelassene Arzt die Wunde, die übel aussah, angeschaut hatte, hatte er ihn auch sofort zur ambulanten, oder auch stationären Behandlung in die Klinik eingewiesen. Als der Arzt im Behandlungsraum nun den provisorischen Verband entfernte, den sein Kollege angelegt hatte, pfiff er durch die Zähne. „Das sieht wirklich übel aus-wann ist das passiert und welcher Hund war das?“, fragte er und Wanke berichtete mit einem kläglichen Unterton in der Stimme: „Das ist am Freitagabend passiert-da hat mich mein eigener Hund urplötzlich angefallen, er muss verrückt geworden sein! Gut dass er gegen Tollwut geimpft war, denn sonst hätte ich mir da ernsthaft Sorgen gemacht. So hatte ich aber einen dringenden Termin in geheimer diplomatischer Mission in Brüssel und wurde gleich darauf abgeholt. Ich musste den teuren Hund, der eigentlich alle Prüfungen mit Auszeichnung bestanden hat und perfekt als Schutzhund ausgebildet war, sogar töten-er hätte sonst nicht losgelassen, der war wie in wilder Raserei. Ich dachte, die Verletzung wäre nicht so schlimm, habe ein paar Schmerztabletten eingeworfen und dann nicht mehr daran gedacht, wir haben den ganzen Samstag getagt und erst im Laufe dieser Nacht, als ich wegen eines Missverständnisses vorübergehend festgenommen wurde, kamen die Schmerzen zurück. Ich muss allerdings betonen, dass ich mich freiwillig gestellt habe und bin jetzt etwas echauffiert, dass ich hier gleich mit einem ganzen Schwarm an Bewachern auftauche-sie müssen ja wunder was von mir denken, Herr Doktor!“, bequatschte er den Arzt, der sich mit völlig neutralem Gesichtsausdruck den Sermon anhörte. Ihm persönlich war das egal, warum und weshalb jemand inhaftiert wurde-sein Job war die Behandlung des Patienten ohne Ansehen der Person und weil Wanke schon leichtes Fieber hatte, beschloss er, erst in örtlicher Betäubung die Wunde zu reinigen und dann mit der ersten Dosis i.v.-Antibiose zu beginnen. Danach konnte der in die Krankenabteilung nach Ossendorf verlegt werden, wo man die Behandlung dann für fünf Tage fortführen würde, so war das übliche Vorgehen. Daher nahm der Arzt erst noch Blut ab, verklebte dann gründlich den venösen Zugang und spritzte am Unterschenkel ein Lokalanästhetikum ein. Trotzdem musste Wanke die Zähne zusammen beißen, als der Arzt mehrere Wundtaschen eröffnete, aus denen der Eiter floss und bekam auch noch wie alle anderen Anwesenden eine Belehrung: „Hunde und Katzenbisse sollten zeitnah einem Arzt vorgestellt werden, die sind immer infektiös, denn in den Zähnen der Tiere befinden sich Bakterien. Die schlimmsten Bissverletzungen sind allerdings Menschenbisse, man mag es kaum glauben, aber so-jetzt spülen wir das Ganze noch, verbinden es feucht und hier kommt auch schon da Antibiotikum!“, sagte er, als der Pfleger, der in der Notaufnahme Dienst tat, das kleine Fläschchen mit einem Infusionssystem an den Zugang anschloss. Gerade waren die ersten Tropfen eingelaufen und der Arzt wollte sich soeben verabschieden und den Raum verlassen, da sagte Wanke, der plötzlich einen hochroten Kopf bekam und schwer zu atmen begann: „Mir ist ganz komisch und ich kriege ganz schlecht Luft!“, um dann die Augen zu verdrehen und ohnmächtig zu werden.

  • Der Arzt drehte auf dem Absatz um, war mit zwei Schritten beim Patienten und drehte zunächst die Infusion ab. Inzwischen war eine Verwandlung mit Wanke vor sich gegangen, die die Polizisten zum Staunen brachte. Binnen Sekunden schwollen die Augen Wanke´s komplett zu, seine Lippen wurden dick, als wenn sie ein Schönheitschirurg aufgespritzt hätte und so rot seine Gesichtsfarbe im ersten Moment geworden war, so aschfahl wurde er im nächsten Moment. „Notfallwagen, das Reateam verständigen und bitte sofort 1000 mg Prednisolon. Das Antibiotikum mit Leitung verwerfen, einen Liter freitropfende Vollelektrolytlösung anhängen-und einen Monitor bitte!“, ordnete er an und der Pfleger führte in hektischer Betriebsamkeit nacheinander die Befehle aus. Der Arzt hörte mit seinem Stethoskop auf Wanke´s Brustkorb und horchte, wie das Herz raste und die Lungen voller Flüssigkeit liefen. Außerdem zog der Politiker rasselnd die Atemluft ein, was im ganzen Raum deutlich zu vernehmen war. „Und schauen sie bloß, dass sie die Handschellen entfernen-unser Patient flieht in den nächsten Minuten höchstens ins Jenseits!“, sagte er zu den Polizisten, die schreckensstarr die optische Veränderung des Untersuchungsgefangenen beobachteten.

    Während der Arzt aus dem eilig herbei gebrachten Notfallwagen einen Ambubeutel mit Maske entnahm, den Schlauch mit einem Griff an der Sauerstoffversorgung anschloss und nun begann, Wanke´s mühsame Atmung zu unterstützen, bis das Cortison aufgezogen war, schloss einer der Polizisten mit zitternden Fingern die Handschelle um das Handgelenk des Gefangenen auf und sprang dann regelrecht rückwärts, um die Rettungsarbeiten nicht zu behindern. Der Pfleger hatte den Hörer seines Telefons am Ohr, während er bereits das rettende Medikament mittels einer Spritze auflöste und bat um ein Reateam, das aus einem Anästhesisten und zwei Intensivpflegekräften bestand. Dann spritzte er sofort das Cortison in den Zugang, tauschte die Infusion aus, damit auch ja kein Milliliter des Antibiotikums mehr in den Patienten gelangte und schnitt dann rasch das edle Hemd des Politikers an der Brust auf und begann dort die EKG-Kleber zu befestigen. Als nur wenig später das Reateam in der Tür stand, erst einmal die Polizisten aus dem Behandlungsraum warf und dann vorsichtshalber die Intubation vorbereitete, den Blutdruck maß, der zunächst sehr erniedrigt war und sich dann an der Sauerstoffsättigung orientierte, begann das Prednisolon anzukommen und seine lebensrettende Wirkung zu entfalten.
    „Geben wir ihm eine Ampulle Akrinor für den Kreislauf und vernebeln Adrenalin mittels Maske zur Abschwellung-ich dachte schon, wir müssten mit nem dünnen starren Tubus intubieren oder sogar coniotomieren, so heftig, wie er reagiert hat!“, sagte der Anästhesist und der Chirurg aus der Notaufnahme nickte. „Hui so eine heftige allergische Reaktion habe ich wirklich schon lange nicht mehr gesehen, aber ich würde sagen, wir haben ihn wieder!“, bemerkte er und wenig später hatte sich der Zustand des Patienten stabilisiert, die Infusion tropfte im Schuss in ihn hinein und stützte den schwachen Kreislauf, die Medikamente taten ihr Übriges und Wanke, der komplett weg gewesen war, begann sich wieder zu regen.


    Der Anästhesist trat an den PC, prüfte die Belegung der inneren Intensivstationen und griff dann zum Telefon. „Wir kommen jetzt gleich mit einem Zugang zu euch-ich habe gesehen, dass ihr noch einen Bettplatz frei habt. Schwere allergische Reaktion auf ein Antibiotikum, der Patient stand kurz vor der Intubation und hat auch mit dem Kreislauf reagiert, ist momentan zwar noch tachykard, aber ich denke, aktuell hat er das Schlimmste überstanden und soll 24 Stunden zur Überwachung bei euch bleiben!“, sprach er in den Hörer und wenig später lagerte man Wanke, den man wie seine Bewacher kurz informiert hatte, von der Behandlungsliege in ein Bett um und in gebührendem Abstand verfolgt von den schwer beeindruckten Polizisten, schob man das Bett mit dem monitorüberwachten Patienten Richtung Aufzug. „Wir passen da nicht alle rein-sechster Stock, Station sechs-drei, ihr könnt nachkommen!“, sagte der Anästhesist und nun quetschte sich nur ein Polizist mit in die Aufzugkabine, während die anderen den nächsten Fahrstuhl nahmen.
    Oben angelangt bat man den Polizisten draußen auf dem Intensivflur zu warten und brachte Wanke, der immer noch mühsam atmete und noch kaum aus den Augen sehen konnte, so zu geschwollen waren die, in ein Zweibettzimmer, dessen anderes Bett hinten am Fenster schon belegt war. Die beiden Besucher der anderen Patientin hatte man gebeten, den Raum zu verlassen, da man jetzt einen Notfall versorgen musste. Natascha sah aus Höflichkeit aus dem Fenster, als ihr neuer Mitpatient herein gefahren wurde. Sie saß immer noch mit der Sauerstoffmaske auf dem Gesicht im Bett und musterte nur flüchtig und aus dem Augenwinkel den völlig verquollenen und dadurch entstellten Mann, aber bevor der Trennvorhang geschlossen wurde, fiel Wanke´s Blick ungläubig auf die junge Frau neben ihm-war er jetzt wach, oder träumte er?


    Semir begann das schlechte Gewissen zu drücken. Freilich brauchte ihn Ben, aber andererseits hatte er versprochen, Wanke zur Strecke zu bringen und wenn dessen Hundebiss versorgt war, würde er ihn gemeinsam mit Frau Krüger nach allen Regeln der Kunst verhören. Er war immer noch fassungslos, wie der aalglatte Mann es bisher geschafft hatte, alle Fakten so zu verdrehen, dass man ihm nichts beweisen konnte-gut vermutlich war er genau deswegen Politiker geworden! Aber er wusste nichts vom Vorhandensein einer Kronzeugin und damit würden sie ihn kriegen. Wenn Natascha gegen ihn aussagte, war er wegen Mordversuchs dran und Semir war sich sicher, dass auch Hartmut noch fündig werden würde.
    Als Ben fest eingeschlafen war, löste Semir nach einer Weile unendlich vorsichtig dessen Hand aus seiner und flüsterte Sarah, die gerade zurück gekehrt war, zu: „Ich verspreche es-sobald ich kann, komme ich wieder, aber ich hab jetzt erst noch was Wichtiges zu erledigen, sag das bitte Ben, wenn er wach wird!“, bat er seine Freundin und die hatte Semir´s Anwesenheit genutzt, um sich selber draußen kurz frisch zu machen, sich telefonisch bei Hildegard nach ihren Kindern und Lucky zu erkundigen und eine Tasse Kaffee zu trinken. „Ich bin ja da und vielleicht ist er schon klarer, wenn er das nächste Mal aufwacht!“, flüsterte sie zurück und bedachte ihren Freund mit einem herzlichen Lächeln, als der jetzt leise aus dem Zimmer schlich und sich auf den Weg Richtung Notaufnahme machte.

    Als er das Behandlungszimmer leer vorfand, fragte er eine vorbei huschende Schwester: „Ist der Patient von hier drin, Holger Wanke, bereits fertig mit seiner Behandlung?“, aber die Schwester schüttelte den Kopf. „Ich darf ihnen natürlich keine Details sagen, aber er wurde wegen eines Zwischenfalls auf die Intensivstation verlegt!“, teilte sie ihm mit und jetzt beschleunigte sich Semir´s Atmung, dessen Bauchgefühl ihm plötzlich Alarmstufe Rot signalisierte: „Auf welche bitte?“, fragte er höflich und nach einem kurzen Blick in den PC, beantwortete die Pflegekraft seine Frage: „Sechster Stock, Station sechs-drei, ihre Kollegen sind aber dabei!“, antwortete sie bereitwillig und jetzt beschleunigte sich Semir´s Atmung. Du lieber Himmel-das war die Station, auf der Natascha lag!

  • Als Semir im Laufschritt die Intensivstation erreichte, stürmte er, ohne zu läuten hinein. Auf dem Flur standen die vier Bewacher direkt vor Natascha´s Zimmer und Semir rutschte das Herz in die Hose. Oh Gott-das durfte doch nicht wahr sein-sie hatten Wanke doch wohl nicht zu der einzigen Person in Köln gelegt, die ihn belasten konnte, aber als er ohne Halten ins Zimmer sauste und deswegen missbillige Blicke des Pflegepersonals erntete, stellte er voller Erleichterung fest, dass erstens der Vorhang zwischen den Betten geschlossen war und zweitens Natascha wohlauf war, was man von Wanke nicht behaupten konnte. Als Natascha ihn erblickte, hob sie die Maske ein wenig von ihrem Gesicht und wollte etwas sagen, aber er bedeutete ihr mit einem Finger vor den Lippen zu schweigen. Dann winkte er die Schwester, die gerade Wanke ausgezogen, ihm ein Krankenhaushemd über gelegt hatte und soeben zu einer empörten Standpauke von wegen Intimsphäre und Höflichkeit hatte ansetzen wollen, nach draußen.
    „Schwester-der Mann, den sie soeben neben Natascha gelegt haben, ist vermutlich derjenige, der gestern versucht hat, sie zu ertränken und deshalb wird er auch bewacht!“, erklärte er, so dass die beiden Personen im Zimmer ihn nicht verstehen konnten. „Ach herrje!“, entfuhr es nun der Pflgekraft, die sich sofort den Stationsarzt schnappte und binnen Kurzem fuhr man Wanke´s Bett kommentarlos erst hinaus, verlegte dann eine andere Patientin, die eine Bauchspeicheldrüsenentzündung hatte , neben Natascha und schob nach Zwischendesinfektion Wanke in das nun frei geworden Einzelzimmer. „Was hat er überhaupt-der sieht ja schrecklich aus!“, fragte Semir den Arzt und der beschloss, dass er in diesem Fall der Polizei gegenüber wohl keine Schweigepflicht hatte. „Er hat auf ein Antibiotikum mit einem anaphylaktischen Schock reagiert, war in akuter Lebensgefahr und bewusstlos und bleibt jetzt mindestens 24 Stunden zur Überwachung bei uns-es kann nämlich immer vorkommen, dass er erneut anschwillt und lebensbedrohliche Situationen eintreten, wenn das Notfallmedikament abklingt.“, informierte er ihn und jetzt nahm auch einer der Uniformierten im Einzelzimmer Platz und der andere auf dem Flur vor dem Intensivzimmer. „Wir haben gerade mit dem Präsidium Rücksprache gehalten. Zwei von uns sollen in die Zentrale zurück kommen und bis er morgen nach Ossendorf verlegt werden kann, wird er eben hier von uns bewacht!“, berichtete nun einer der Polizisten und machte sich gemeinsam mit seinem Kollegen auf den Weg zum Polizeifahrzeug.

    Langsam konnte Semir aufatmen-es war wohl nochmals gut gegangen. Er schaute jetzt noch schnell bei Natascha vorbei, der es zügig besser ging und die anscheinend hinter dem Vorhang nichts davon mitgekriegt hatte, wer für kurze Zeit ihr Zimmernachbar gewesen war. Der seinerseits konnte ja noch nicht einmal aus den zugeschwollenen Augen sehen und so machte sich Semir dann erleichtert wieder auf den Weg zu Ben-nur gut, dass sein Bauchgefühl nicht immer Recht hatte.


    Als Semir nun ordnungsgemäß läutete, wurde er sofort von der Schwester an der Sprechanlage herein gelassen. Gerade wenn es Patienten schlecht ging, musste die Pflege abwägen, ob man zum Wohle des Patienten auf den Besuchszeiten beharrte, oder eben nicht. Bei dem jungen Polizisten, der noch dazu den Bonus hatte, der Ehemann einer Kollegin zu sein, war die Sache sonnenklar. Er profitierte von der Anwesenheit seiner Frau, aber auch seines besten Freundes und darum gewährte man denen rund um die Uhr Zugang zu ihm. Noch schlief Ben und Sarah blickte überrascht auf: „Was tust du denn schon wieder hier-ich hätte noch nicht so schnell wieder mit dir gerechnet!“, fragte sie, denn Semir hatte vorhin etwas von mehreren Stunden gesprochen, bis er wieder zurück käme. „Unsere Pläne haben sich geändert-der Gefangene ist aktuell nicht vernehmungsfähig!“, wiegelte Semir ab, ohne auf nähere Einzelheiten einzugehen.
    Nun schlug Ben, dem die vertrauten Stimmen im Ohr klangen, erneut die Augen auf. Sein Blick war klarer und er hatte aktuell auch keine Panikattacke. Er atmete inzwischen völlig selbstständig an der Maschine, seine Herzfrequenz war im Normbereich und mithilfe der externen Pumpe wurde sein Organismus, darunter besonders das Gehirn, adäquat mit Sauerstoff versorgt. An manche Dinge in der kürzeren Vergangenheit, darunter diverse Stromschläge, aber auch erotische Gefühle, erinnerte er sich nur nebulös, andere Sachen, wie die Stunden im Keller voller Schmerz, als er nicht gedacht hatte, die zu überleben und sich bereits von Sarah und Semir verabschiedet hatte, standen völlig klar in seinem Gedächtnis. Sein Bauch schmerzte, aber er war schließlich im Krankenhaus und war operiert worden, da war das normal. Auch sonst ziepte es hier und da, vor allem in den Leisten und an der Schulter, aber es war auszuhalten und jetzt wollte er dringend den blöden Schlauch in seinem Hals los werden, der ihn am Sprechen hinderte und zum Husten reizte!


    Der Arzt betrat das Zimmer, ließ prüfende Blicke über die Maschinen und Monitore schweifen und trat dann an Ben´s Bett. „Na Herr Jäger-können sie mich verstehen?“, fragte er und sein Patient nickte und sah ihn aufmerksam an. Nun griff der Arzt über ihn drüber nach beiden Händen, die immer noch fest gebunden waren und bat den Dunkelhaarigen, aus dessen frisch gewaschener Mähne gerade eine vorwitzige Strähne in sein Gesicht rutschte: „Drücken sie mal, so fest sie können!“, und tatsächlich kam ein kräftiger beidseitiger Händedruck zurück, der allerdings die Herzfrequenz sofort nach oben jagte. „Ok, ok-ich habe verstanden-sie wollen den Tubus los werden?“, fragte der Arzt und Ben nickte heftig mit dem Kopf-wenigstens einer, der ahnte, was für ihn wichtig war! „Ist in Ordnung, ich denke, das kann ich verantworten!“, lachte der Arzt und wenig später wurde Ben ein letztes Mal im Mund und endotracheal abgesaugt, was ihm die Tränen in die Augen trieb und den Hustenreiz fast ins Unermessliche steigen ließ. Dann ging alles ganz schnell und bis Semir sich versah, war sein Freund den Schlauch los und atmete problemlos die mit Sauerstoff angereicherte Luft aus der Ohiomaske. Der Notfallwagen stand zwar bereit, wurde aber nicht benötigt und nun schloss Ben fürs Erste einmal erschöpft seine Augen, konzentrierte sich wieder darauf, selber zu atmen und wurde aufmerksam von seiner Frau und seinem Freund beobachtet.


    Wanke hatte indessen noch eine Weile gewartet und dann den Bewacher, der in seinem Zimmer saß, herbei gewinkt. „Ich möchte sofort meinen Anwalt sprechen-ich denke die Ärzte haben hier bei mir ihre Fürsorgepflicht verletzt!“, beschwerte er sich wütend und nach kurzer Rücksprache wurde dem Politiker ein kurzer Anruf auf der Privatnummer des Staranwalts gestattet. „Sie müssen mich dringend hier in der Uniklinik vertreten-ich wäre durch einen Behandlungsfehler beinahe gestorben und möchte die Ärzte dafür regresspflichtig machen-können sie zu mir kommen?“, bat er den Rechtsvertreter, der sich beeilte sein Kommen zuzusagen. „Danke!“, sagte Wanke, als er das Telefon an den Bewacher zurück gab und ein leises Lächeln umspielte seine inzwischen kaum mehr angeschwollenen Lippen. Jetzt würde er die Puppen tanzen lassen und ein besseres Alibi, als in Polizeigewahrsam zu sein, konnte es nicht geben.

  • Hartmut lehnte sich frustriert zurück. Es war jetzt Sonntagmittag, seit der Nacht von Freitag auf Samstag versuchte er den Festplatten von Wanke´s Endgeräten ihre Geheimnisse zu entlocken, aber fand einfach nichts! Das war doch nicht zu glauben, aber der einzige Hinweis auf irgendwelche illegalen Geschäfte war ein handgeschriebener Zettel mit mehreren Telefonnummern von Unterweltgrößen. Kein Richter der Welt würde so etwas allerdings als Belastungsmaterial anerkennen-jeder Mensch konnte sich Telefonnummern notieren, so viel er wollte und ein Handy, dessen Speicher man knacken konnte, hatte man bei dem Untersuchungsgefangenen auch nicht gefunden-also standen sie bisher mit null Beweisen da.
    Inzwischen war der auf den Staatssekretär zugelassene SUV gesichtet und aus dem Rhein geborgen worden. An dessen Steuer hatte allerdings ein stadtbekannter Junkie und Kleinkrimineller gesessen, ein Bündel Geldscheine noch in der Brusttasche, der erste Schnelltest des Leichenbluts war positiv auf Drogen und Alkohol und die abschüssige Straße ließ einen Unfall infolge illegaler Substanzen als Schluss zu. Als man Wanke vor seiner Krankenhauseinlieferung im Präsidium dazu befragt hatte, hatte er verächtlich gesagt: „Als ich am Freitag nach meinem Geschäftstermin nach Hause gekommen bin, hat der Wagen schon gefehlt-ich habe mir gedacht, dass einer der „Freunde“ meiner Tochter, die leider nicht den besten Umgang pflegt, damit weg gefahren ist. Dieses Kind ist ein bisschen wild, aber das war ihre Mutter früher auch-wenn sie älter wird, wird sie schon zur Ruhe kommen, ich versuche da so wenig wie möglich auf Konfrontationskurs zu gehen!“, erklärte er und während der Junkie am Montag obduziert werden würde und der SUV derweil in eine Halle gebracht wurde, damit man den nächste Woche in aller Ruhe begutachten konnte, nahm das Schicksal in der Klinik seinen Lauf.


    Wanke´s Anwalt wurde tatsächlich zu ihm gelassen und nachdem der Patient mit großem Brimborium sein Leiden geschildert hatte, dann Akteneinsicht verlangt. Er hatte dann seinem Klienten erklärt, dass nicht die schwere allergische Reaktion aus rechtlicher Sicht das Problem war, sondern höchstens eine mangelnde Aufklärung, dass so etwas passieren könnte. Er versprach aber, sich darum zu kümmern und wie beiläufig bat ihn dann der Politiker noch, eine Telefonnummer anzurufen, die er dem Anwalt gegeben hatte, bevor er sich gestellt hatte: „Sagen sie meinem Bekannten, es wäre an der Zeit, den Plan B umzusetzen und teilen sie ihm auch noch mit, das Kindchen lebt!“, forderte er und der Staranwalt nickte. Er hatte keine Ahnung, warum das Ganze jetzt nicht bis Montag hatte warten können, so vertat er sein freies Wochenende mit beruflichen Dingen, wo er doch wesentlich lieber beim Zocken gesessen hätte-aber genau deswegen, damit das nicht raus kam, stand er jederzeit Gewehr bei Fuß, wenn Wanke nach ihm verlangte. Kaum hatte er das Krankenhaus verlassen, rief er deshalb die Nummer an, gab diesen Code mit Plan B und dem Kindchen weiter, was immer das zu bedeuten hatte und ging dann nach Hause, um wenigstens online noch ein bisschen zu zocken, wenn schon in den Spielsalons zu seiner Verärgerung gerade tote Hose herrschte.


    Der Bekannte des Politikers, bei dem er den Samstag verbracht hatte, hörte aufmerksam zu, als der Anwalt ihn verständigte. Er war nicht komplett eingeweiht, aber Wanke hatte ihm die Namen der Zielpersonen genannt, die er gegen gute Bezahlung eliminieren sollte, wenn der Türsteher nicht wieder auftauchte. Inzwischen pfiffen die Vögel es in der Kölner Unterwelt bereits von den Dächern, dass der tot war, denn sein Zimmer war von der Polizei durchsucht und seine persönlichen Sachen mitgenommen worden. Dem neun Mann kam zugute, dass er früher einmal, als er noch versucht hatte seinen Lebensunterhalt mit ehrlicher Arbeit zu bestreiten, in der Uniklinik als Bettenschieber gearbeitet hatte. So machte er sich sofort, allerlei Dinge in der Tasche, auf den Weg zum Krankenhaus, ergatterte dort auch einen grauen Kittel mit Klinikemblem, wie er früher seine Dienstkleidung gewesen war, schnappte sich ein frisches Bett und machte sich auf die Suche nach seinen Opfern. Einen Moment hatte es ihm Kopfzerbrechen bereitet, was das mit dem Kindchen zu bedeuten hätte, aber dann war ihm eingefallen, dass damit nur Natascha gemeint sein konnte, von der sie angenommen hatten, dass sie bereits tot wäre. Diese Kindfrau hatte neun Leben wie eine Katze-auch die waren nicht so einfach zu ertränken- aber er würde den Großauftrag erledigen, sich dann mit den versprochenen Millionen von Wanke nach Mittelamerika absetzen und sich dort, wo das Leben billig und die Mädchen willig waren, den Rest seines Lebens die Sonne auf den Bauch scheinen lassen. Nachdem man in einem Krankenhaus immer frische Betten brauchte, er sich wie selbstverständlich dort bewegte und so auch auf die Intensivstationen kam, hatte er Natascha bald entdeckt und ein verschlagenes Lächeln zog über sein Gesicht, als er das Zimmer betrat, wo die Patientin im ersten Bett den Schlaf der Gerechten schlief.
    Die junge Frau hatte sich zwar gewundert, warum der Patient neben ihr nach Semir´s Besuch so schnell wieder hinaus gefahren worden war, aber eigentlich war ihr das auch egal. Ihre Mutter und der junge Mann, in den sie sich Hals über Kopf verliebt hatte, was anscheinend auf Gegenseitigkeit beruhte, durften nur noch kurz zu ihr und wurden dann auf die nachmittägliche Besuchszeit verwiesen. Sie schwebte jetzt nicht mehr in Lebensgefahr und die Patientin neben ihr brauchte ihre Ruhe, aber das war einsehbar und so döste Natascha jetzt auch ein wenig vor sich hin, als ein Mann im grauen Klinikkittel, dessen Gesicht ihr entfernt bekannt vorkam, plötzlich vor ihrem Bett stand und etwas aus der Tasche zog.

    Nachdem Ben sich eine Weile von der Extubation erholt hatte, öffnete er die Augen. Seine Hände und auch die Beine hatte man los gemacht, denn er war wach und orientiert, aber dennoch fehlten ihm zwei Tage seines Lebens in seinem Gedächtnis. „Was haben wir für ein Datum?“, war deshalb die erste Frage, als er sich ein wenig ausgeruht hatte. Nachdem er die Antwort erhalten hatte, dachte er nach. "Dann haben wir jetzt Sonntag und in der Nacht von Donnerstag auf Freitag hat das Schicksal seinen Lauf genommen!“, sinnierte er und einerseits waren Sarah und Semir froh, dass sein Kopf anscheinend wirklich nichts abbekommen hatte, aber andererseits würde jetzt bald die Frage kommen, was das für ein Maschine war, durch die sein Blut kontinuierlich gepumpt wurde und so war es auch.
    Ben hatte an sich herunter gesehen und seinen Körper regelrecht gescannt. Nachdem er schon mehrmals Intensivpatient gewesen war, waren ihm so Dinge wie die Arterie, die in seinem Unterarm steckte, oder der ZVK an seinem Hals, genauso wie die ganzen Überwachungskabel bekannt. Die hatte er auch schon gehabt, als er aus der Narkose nach der Bauch-OP aufgewacht war-aber was war danach geschehen? Er wusste nur noch, dass er sich schwach und hundeelend gefühlt hatte, keine Luft mehr gekriegt hatte und die Halsschmerzen dauerten auch immer noch an. Das Gefühl eine schwere Grippe zu haben, war ebenfalls präsent, aber nun blieb sein Blick an einer merkwürdigen kleinen Maschine hängen, die sehr modern aussah, aber an der eine altmodische Handkurbel war. Was zum Teufel war das? Er war schon einmal dialysiert worden, auch da war das Blut aus ihm heraus gepumpt worden und durch eine Maschine gejagt worden, um es zu entgiften, allerdings hatte man damals dazu an seinem Schlüsselbein einen speziellen Dialysekatheter gelegt, die Schläuche waren wesentlich dünner gewesen und die Maschine dafür viel größer. Ein dünnes Tuch lag über seiner Körpermitte und als er das jetzt entschlossen beiseiteschob, weiteten sich seine Pupillen. Ach herrje-jetzt wusste er, was da so drückte und ziepte-aus seinen Leisten ragten daumendicke Schläuche, durch die auf der einen Seite dunkelrotes Blut aus ihm heraus lief und auf der anderen hellrotes hinein. Weil er sich so überhaupt keinen Reim darauf machen konnte, fragte er einfach Sarah-die war die Fachfrau!
    „Ben-dein Herz hat versagt-du hast dir vermutlich durch eine verschleppte Streptokokkeninfektion eine sogenannte Myokarditis eingefangen, also eine Entzündung des Herzmuskelgewebes. Wenn die Kardiologen dich nicht an dieses Herzunterstützungssystem angeschlossen hätten, wärst du jetzt tot. So wird dein Herz entlastet und wir hoffen, dass es sich wieder erholt-ansonsten gibt es auch noch andere Möglichkeiten!“, erklärte sie ihm und jetzt versuchte Ben, das Gesagte zu verarbeiten, während Sarah und Semir ganz fest seine Hände hielten. „Das soll heißen, dass ich nur deshalb am Leben bin, weil diese Maschine mich versorgt?“, fragte er tonlos und jetzt stiegen Tränen in seine Augen, die er momentan nicht zurück halten konnte.

  • Ben war wie vor den Kopf gestoßen! Das konnte doch nicht wahr sein! Er, der fitte, sportliche Mann, der seinem Körper Höchstleistungen abverlangte und das als Selbstverständlichkeit hinnahm, dass das klappte. Der zwar schon des Öfteren schwer verletzt worden war, sich aber immer wieder erholt hatte und zwar schneller als erwartet-er war nun auf eine Maschine angewiesen, um am Leben zu bleiben? Klar hatte man das schon hin und wieder mal gehört, dass jemand Herzprobleme hatte-aber das waren doch irgendwelche anderen-er persönlich kannte niemanden! Obwohl, halt, sein Vater hatte schon mit dem Herzen zu tun gehabt! Gerade bei Julia´s Hochzeit, hatte er einen Infarkt oder zumindest sowas Ähnliches gehabt, weil er sich so aufgeregt hatte, aber das war lange vergessen, der war wieder fit und arbeitete wie ein Verrückter, um seine Firma am Laufen zu halten und entgegen aller guten Vorsätze kümmerte er sich kaum um seine Familie und seine Enkelkinder hatten auch keinen Bezug zu ihm, dazu sahen sie ihn zu selten.

    Er selber hatte doch nur nach Sarah gesucht-das musste sein Herz doch aushalten! Myokarditis-das Wort hatte er noch nie zuvor gehört und jetzt konnte er ohne Unterstützung von Maschinen nicht überleben? Zumindest hatte sich Sarah´s Erklärung so angehört und wenn er das richtig verstanden hatte, stand es in den Sternen ob, oder in welchem Zeitrahmen er wieder gesund wurde. Momentan war alles zu viel für ihn, ein trockenes Schluchzen stieg aus seiner Kehle, er spannte die Muskeln an, der Monitor alarmierte-und dann bekam er plötzlich einen Stromschlag, der ihn von den Beinen geholt hätte, wenn er nicht schon gelegen hätte! Voller Panik schnappte er nach Luft, er hatte nirgendwo hin gefasst und was er außerdem nicht verstand-Sarah hatte seinem Freund zuvor nach einem Blick auf den Monitor zugerufen: „Semir-lass seine Hand los, sonst kriegt du eine mit, wenn der Defi auslöst!“ und alle beide waren dann einen Schritt zurück getreten.
    Nun lag er schluchzend und völlig fertig da, der Stationsarzt stürzte auf den Alarm hin ins Zimmer und als er das zitternde Häufchen Elend im Bett sah, wurde ihm bewusst, was geschehen war. Wie jetzt auch Sarah und Semir wieder, fasste er Ben an und versuchte, zu ihm durch zu dringen, der von der ganzen Situation maßlos überfordert war und nicht wusste, was gerade mit ihm passiert war. Er war schon mit Elektrofolter traktiert worden, aber da war dann jemand vor ihm gestanden und hatte den Teaser angesetzt-jetzt geschah das einfach so und anscheinend wusste das Sarah auch schon vorher!


    „Herr Jäger, versuchen sie sich zu beruhigen-ich erkläre ihnen, was gerade geschehen ist!“, sagte er und langsam war Ben wieder so weit, dass er zuhören konnte. „Ihr Herz ist infolge einer verschleppten Grippe schwer geschädigt und reagiert mit Rhythmusstörungen darauf. Sie hatten mehrfach Kammerflimmern und weil sich die Situation nicht medikamentös beherrschen ließ, mussten wir sie des Öfteren defibrillieren. Nun kann man das nicht unendlich oft von außen machen, auch weil das schwere Verbrennungen am Brustkorb hinterlässt!“, fuhr er fort und jetzt war Ben plötzlich klar, warum es da so weh tat-er hatte anscheinend wirklich Brandverletzungen. „Wir haben ihnen deswegen einen Herzschrittmacher mit implantiertem Defibrillator eingesetzt, der misst die Herzaktion und wenn das Herz nicht mehr richtig arbeitet, versucht er es mit elektrischer Stimulation wieder in Takt zu bringen. Wenn das nicht gelingt, oder es-wie eben passiert-ins Kammerflimmern kommt, löst nach einer gewissen Zeit der Defi aus, versetzt dem Herzen einen Stromschlag und dadurch ist es sozusagen wieder in Nullstellung und kann seinen eigenen Rhythmus finden-manchmal auch unterstützt vom Takten des Schrittmacheraggregats. Für sie ist dieses Gerät lebensrettend, allerdings ist aktuell der Herzmuskel selber noch so schwer entzündet, dass er nicht ausreichend pumpen kann, um ihren Organismus, also das Gehirn und alle Organe ausreichend mit sauerstoffhaltigem Blut zu versorgen. Auch ist ihre Lunge ebenfalls durch den Infekt angegriffen, so dass einfach der Gasaustausch nicht mehr funktioniert hat. Sie wären vorgestern gestorben und deshalb haben wir ihnen notfallmäßig dieses Herz-Lungen-Unterstützungssystem eingebaut, das vorübergehend die Arbeit von Herz und Lunge ganz oder teilweise übernehmen kann. Wir hoffen jetzt, dass sich der Herzmuskel durch die Ruhe und Entlastung wieder erholt und wir dann im Verlauf von Tagen bis Wochen die Leistung der Maschine immer weiter herunter fahren können, wenn ihr eigenes Herz wieder Kraft bekommt. „Und wenn das nicht passiert?“, fragte Ben jetzt tonlos, denn er hatte sehr deutlich die Worte: „Wir hoffen-wenn“ und „eventuell“ verstanden und auch Sarah hatte vorher so merkwürdig rum gedruckst.

    Der Arzt sah ihn prüfend an-war er wirklich schon so weit, dass er die Wahrheit vertragen konnte? Allerdings war sein Patient ein erwachsener Mensch, der ein Recht darauf hatte, über seinen Zustand informiert zu werden. Das war ja mit ein Grund gewesen, warum man ihn hatte wach werden lassen. Er stand nicht mehr unter dem Einfluss von Beruhigungsmitteln oder Opiaten und irgendwann musste er es ja erfahren: „Es besteht natürlich auch die Möglichkeit, dass der Herzmuskel so schwer geschädigt ist, dass er sich nicht mehr erholt. Dann haben wir zwei Möglichkeiten-entweder wir setzen sie als Notfall ganz oben auf die Transplantationsliste und hoffen ein Spenderherz für sie zu bekommen, oder wir bauen ein anderes Kunstherz ein-da gibt es inzwischen einige Modelle, mit denen man längerfristig überleben und auch nach Hause gehen kann!“, sagte er und jetzt war Ben fürchterlich geschockt, ihm wurde ganz anders und er merkte, wie das Herz in seiner Brust erneut Kapriolen schlug. Der Monitor gab wieder schrille Alarmtöne von sich, alle ließen ihn los, als wenn er die Krätze hätte und wieder bekam er einen Elektroschock verpasst, der ihn sich verkrampfen, nach Luft schnappen und ihn aufschreien ließ. Als es vorbei war und er schluchzend nach Atem rang, fragte Sarah, der jetzt selber die Tränen aus den Augen liefen, so schlimm war das anzuschauen: „Verdammt noch mal-warum wird er denn nicht wie üblich ohnmächtig, bevor der Defi einen Schock abgibt?“, und der Kardiologe erklärte es ihr und den anderen: „Normalerweise ist ein Defibrillator so programmiert, dass er zeitverzögert auslöst. So wird der Patient erst bewusstlos, weil in der kurzen Zeit der ungeregelten Herzaktion das Gehirn nicht mehr mit Sauerstoff versorgt wird. Läuft allerdings ein Herzunterstützungssystem, wird der Kopf, wie auch der restliche Körper ja kontinuierlich mit sauerstoffreichem Blut durchspült und die Ohnmacht tritt nicht ein. Wir können ihm höchstens ein leichtes Beruhigungs- und Schmerzmittel geben, damit er es nicht mehr als ganz so schlimm empfindet und vielleicht muss der Defi ja bald schon nicht mehr so oft einspringen!“, versuchte er zu trösten, aber seine Zuhörer waren nun völlig verzagt-oh Gott-was hatte man Ben angetan?


    Natascha starrte auf den Mann im grauen Kittel. Nun fiel ihr plötzlich ein, dass sie ihn aus dem Club kannte-er hatte gelegentlich den Türsteher besucht. Verdammt-hier ging etwas nicht mit rechten Dingen zu! Gerade wollte sie nach Hilfe schreien, da schloss sich eine große Hand, bedeckt mit Einmalhandschuhen, um ihren Mund. Den Monitor legte der Mann mit einem einzigen Knopfdruck so weit lahm, dass der drei Minuten keinen Alarm gab-das würde genügen, um die tödliche Dosis Toilettenreiniger, die er in einer großen Spritze aufgezogen in der Tasche trug, zu injizieren. Danach würde er in aller Ruhe verschwinden und bis die Ärzte reagieren könnten, wäre Natascha schon vergiftet und vielleicht würde auch niemals jemand darauf kommen, was geschehen war, denn eine Lungenembolie zum Beispiel, konnte ähnliche Symptome machen. Natascha kämpfte wie eine Löwin, biss durch den Handschuh hindurch den Mann in die Handfläche, denn sie merkte-gerade ging es wieder ums Überleben! Allerdings war sie immer noch geschwächt und konnte nicht verhindern, dass der eine Verschlusskappe ihres ZVK abschraubte und dann die Spritze ansetzte.


    Der junge Sanitäter in Ausbildung war von der Leitstelle angerufen worden. „Hör mal-könntest du vielleicht einspringen-einer unserer Kollegen hat sich kurzfristig mit akutem Brechdurchfall krank gemeldet!“, hatte der Koordinator ihn gefragt. Stefan hatte kurz überlegt und dann zugesagt. Schon in Dienstkleidung war er auf dem Weg zur Wache schnell auf die Intensivstation gesprungen, um Natascha Bescheid zu sagen. Er wäre zwar viel lieber bei ihr gesessen, aber das konnten sie ja noch nachholen und jetzt würden die Schwestern dort sowieso auf der Besuchszeit beharren, weil sie außer Lebensgefahr war. Er hatte sich wirklich Hals über Kopf in die junge Frau verliebt und er hatte durchaus das Gefühl, dass das auf Gegenseitigkeit beruhte. Nun sauste er ohne zu läuten auf die Intensivstation-immerhin war er im Dienst und hatte dadurch Sonderrechte-na ja, redete er sich zumindest ein-aber er wäre ja auch gleich wieder weg. Beinahe wäre er in der Eile über ein frisches Bett geflogen, das mitten im Gang stand, aber als er dann ins Intensivzimmer trat, wo die Patientin im vorderen Bett immer noch selig schlief, meinte er seinen Augen nicht zu trauen und sein Herz setzte vor Entsetzen beinahe zu schlagen aus!

  • Natascha wurde von einem Mann in Klinikkleidung fest gehalten und der spritzte ihr gerade etwas. Nun war klar-erstens war das kein Arzt oder Pfleger-und zweitens würde jemand, der nichts Böses im Schilde führte, seine Natascha, der die Panik aus den Augen sprach, nicht mit gnadenlosem Griff fixieren. Ohne zu zögern stürzte sich Stefan deswegen auf den Mann, der überrascht die Spritze und auch Natascha loslassen musste, denn der junge Sanitäter war zwar nicht besonders groß oder kräftig, dafür aber voller Entschlossenheit und vom Mute der Verzweiflung beseelt. Stefan zog ihn von seiner Angebeteten weg, rang ihn zu Boden und versuchte den Attentäter fest zu halten. Der wehrte sich allerdings von Kräften und weil der junge Mann es nicht gewohnt war, sich zu prügeln und sein Kontrahent auch wesentlich größer und muskulöser war, hatte der in dem ungleichen Kampf eigentlich wenig Chancen und bekam auch gleich einen Schlag in die Magengrube, der ihn daran hinderte um Hilfe zu schreien, so sehr war er danach damit beschäftigt nach Luft zu ringen und die Übelkeit nieder zu kämpfen. Aber Stefan musste seine Freundin retten und auch wenn er als Nächstes einen Schlag gegen den Kopf bekam, der ihn Sterne sehen ließ, irgendwie gelang es ihm sein Knie nach oben zu ziehen und es mit Macht zwischen die Beine seines Gegners zu rammen, der daraufhin voller Schmerz aufjaulte. Jetzt endlich war die Patientin im Nebenbett wach geworden und läutete, inzwischen war auch die Monitorpause zu Ende und Natascha´s Monitor gab schrille Alarmtöne von sich.
    Nun wurde das Intensivpersonal aktiv und als eine Schwester ins Zimmer eilte, schrie sie erst einmal laut um Hilfe und wenig später eilten auch die beiden Polizisten, die ja nur wenige Meter entfernt, nur in einer anderen Ecke der Intensivstation, Wanke bewachten, dazu und hatten mit wenigen routinierten Handgriffen den Attentäter überwältigt und ihm die Hände mit Handschellen auf den Rücken gefesselt. Die Schwester und ein Arzt sahen inzwischen nach Natascha, die sie erst mit weit aufgerissenen Augen ansah, dann nach Luft rang und das Bewusstsein verlor. Der Übeltäter wurde nach draußen gezerrt, überall alarmierten Monitore, jemand fuhr den Reawagen herein und Stefan, der sich mühsam aufrappelte, um nach seiner Liebsten zu sehen, obwohl er sich eigentlich lieber weiter auf dem Boden gekrümmt hätte, erblickte nur noch ihr wächsernes Gesicht, als man ihn schon nach draußen schob.
    Einer der Polizisten ließ sich ein Telefon geben, da ja Funk und Handy wegen der abgeschirmten Wände auf der Intensiv nicht funktionierten und forderte Verstärkung an und während jetzt der eine der Uniformierten den Attentäter bewachte, eilte der andere in Wanke´s Zimmer zurück-und das Bett war leer!

    Auf der kardiologischen Intensiv hatte der Arzt inzwischen das Zimmer verlassen. Er ordnete ein leichtes Beruhigungsmittel an, um die Anspannung ein wenig von Ben zu nehmen, der voller Entsetzen den Worten des Arztes gelauscht hatte und jetzt ganz still versuchte, die ganzen Informationen zu verarbeiten. Sarah und Semir hatten ihn wieder an den Händen genommen, aber Ben schüttelte sie ab. „Lasst mich alleine!“, sagte er tonlos und als seine Frau und sein Freund ihn nun verständnislos ansahen, schrie er wild und zornig auf: „Habt ihr nicht gehört-ihr sollt mich alleine lassen!“, aber durch die Aufregung bekam er wieder Kammerflimmern und den nächsten Stromschlag. Die Intensivpflegekraft eilte mit einer aufgezogenen Spritze Tavor zu ihrem Patienten und injizierte ihm eine kleine Menge von 0,5 mg Beruhigungsmittel. Allerdings wurde er dadurch nicht völlig ausgeknockt, sondern es bemächtigte sich seiner nur eine gewisse Lethargie-der Intensivarzt wollte ihn nämlich klar bei Sinnen haben, damit er nicht versehentlich die lebensrettenden Schläuche in seinen Leisten heraus zog oder anderen Blödsinn machte.
    Sarah und Semir standen unschlüssig und abwartend in der Tür, aber als Ben, als der Schmerz und der Schock nachließen, sie nun erneut mit wütendem Blick ansah und sie aufforderte das Zimmer zu verlassen, übernahm die für ihn zuständige Schwester jetzt das Kommando. „Geht bitte und akzeptiert seinen Willen-ich werde gut auf ihn aufpassen!“, sagte sie freundlich, denn sie wusste, manchmal musste man einfach alleine sein, oder sich mit fremden und unbeteiligten Personen über seine Probleme unterhalten. Nachdem die junge Frau und der kleine Türke den Raum verlassen hatten, fragte die Schwester freundlich: „Soll ich ein wenig bei ihnen bleiben?“, aber der junge dunkelhaarige Mann, der trotz seiner schweren Erkrankung immer noch verdammt gut aussah, schüttelte den Kopf. „Danke für das Angebot, aber ich möchte jetzt wirklich alleine sein!“, bat er und als die Schwester nun ebenfalls den Raum verließ und die Schiebetür so weit schloss, dass nur noch ein schmaler Spalt offen blieb, damit man die Alarme von nicht vernetzten Geräten hören konnte, sah sie aus dem Augenwinkel, wie ihr Patient sich mit einem mutlosen Ausdruck in den Augen das dünne Laken über den Kopf zog und eine Welle des Mitleids überflutete sie.


    „Ihr beide geht jetzt mal in die Cafeteria und esst und trinkt was. Gebt ihm einfach ein bisschen Zeit. Wenn er sich beruhigt hat, werde ich ihn fragen, ob ihr wiederkommen sollt, aber ich appelliere an euch, seinen Willen zu respektieren!“, bat sie die beiden völlig verunsicherten Besucher und in diesem Moment schellte das Stationstelefon: „Herr Gerkhan-sie sollen sofort auf die sechs-drei kommen, da ist etwas passiert!“, rief die Pflegekraft, die das Gespräch entgegengenommen hatte und während Semir völlig entsetzt los rannte, blieb eine zutiefst unglückliche Sarah zurück, die gerade das Gefühl hatte, alles verkehrt gemacht zu haben.

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!