Tödliche Entscheidung

  • Semir kehrt aus seinem wohlverdienten Urlaub zurück und nichts ist mehr so wie es war. Was ist nur mit Ben Jäger geschehen?


    …Viele Wochen zuvor…
    Es war Freitagnachmittag kurz vor Dienstschluss auf der PAST, Semir war ganz eifrig dabei seinen Schreibtisch aufzuräumen. Morgen früh würde er mit seiner Familie in seinen wohlverdienten Jahresurlaub in die Türkei starten.
    Sein Blick fiel auf Ben, dem jungen Polizisten, der ihm gegenübersaß und sich mit Berichte schreiben rumplagte. Immer wieder warf der kleine Türke einen kurzen Blick auf Bens Schreibtisch, schüttelte den Kopf und meinte mit leichtem Spott in der Stimme: „Deinem Schreibtisch würde ein wenig Aufräumen auch nicht schaden!“
    „Ich….. aufräumen? Wieso?“ Ben schaute Semir dabei mit gespieltem Entsetzen durch seine braunen Locken an und setzte zu seinem schelmischen Grinsen an.
    „Aussichtsloser Fall…!“ lachte Semir amüsiert.
    Der türkische Polizist machte sich Sorgen um seinen jungen Kollegen. Er wirkte in letzter Zeit so zerstreut, so fahrig, fast schon ein bisschen nachlässig bei der Arbeit. Auch hatte er den Eindruck, dass Ben nachts wenig Schlaf zu finden schien. Ihm waren des Öfteren die dunklen Augenringe am Morgen zu Dienstbeginn aufgefallen. Auf seine Nachfragen hatte sein Kollege von irgendwelchen nächtlichen Partys erzählt, auf denen es einfach ein bisschen später geworden war. Der Türke verwarf die trübsinnigen Gedanken jedoch gleich wieder, die ihn gerade überfielen hatten. Wahrscheinlich ging es Ben genauso wie ihm, er war einfach urlaubsreif.
    „Kommst du heute Abend noch vorbei, um dich von den Kindern und Andrea zu verabschieden?“ fragte er sein Gegenüber.
    „Ähm… kurze Frage… Wann und was gibt‘s zum Abendessen?“
    „Vielfraß! Kannst du auch mal an was anderes denken als Essen?“
    „Neee!“ Ben lachte kurz belustigt auf und fügte dann hinzu: „Natürlich komm ich, was denkst du denn?“
    Die zwei Polizisten alberten noch ein wenig übermütig miteinander rum. Semir verabschiedete sich gut gelaunt von Susanne und seinen Kollegen, bevor er in den wohl verdienten Urlaub startete.


    ******


    … Der Montag danach ……
    Etwas wehmütig dachte Ben während der Fahrt zur PAST daran, dass er ab heute allein Dienst auf der Autobahn schieben musste. Semir war mit Andrea und den Kindern wohl behalten in Izmir angekommen. Sie hatten am Freitagabend noch einen lustigen Abend im Haus der Familie Gerkan zusammen verbracht.
    Als er sein Motorrad auf dem gewohnten Parkplatz abstellte, fiel sein Blick auf zwei Pkws, die nicht zum Fuhrpark der PAST gehörten. Er wunderte sich, so früh am Morgen schon Besucher hier. Ein Blick zur Uhr zeigte ihm, dass er wieder einmal zu spät kommen würde. Die Ansprache von Frau Krüger, hörte er jetzt schon in seinen Ohren läuten.
    Nachdem er das Büro betreten hatte, kam eine leicht verstörte Susanne auf ihn zu.
    „Guten Morgen Ben! Du sollst sofort zur Chefin kommen, Ben!“
    „Was ist denn hier los?“ fragte Ben total irritiert Susanne.
    Denn genau in diesem Moment hatte er erkannt, dass zwei ihm unbekannte Männer, die Handschuhe trugen, seinen Schreibtisch durchsuchten. Sein Pulsschlag beschleunigte sich, ihm wurde auf einmal ganz anders. Was hatte das zu bedeuten? Sein Blick wanderte zwischen den anwesenden Kollegen im Großraumbüro hin und her. Er konnte förmlich spüren, wie diese ihn fassungslos betrachteten.


    Die Tür zum Büro der Chefin öffnete sich. „Herr Jäger, kommen sie bitte sofort in mein Büro!“
    In diesem Augenblick erkannte Ben durch den Türspalt, wer sich im Büro der Chefin befand, Hauptkommissar Bohm, der mittlerweile Abteilungsleiter bei der Internen Ermittlungsabteilung war. Seine Beine fühlten sich an, als hingen Bleigewichte dran, als er langsam auf Frau Krüger zuging. Ihm wurde gleichzeitig warm und kalt. Der kurze Weg war ihm noch nie so lange vorgekommen. Aber die Katastrophe nahm ihren Lauf und ließ sich durch nichts und niemanden mehr aufhalten.
    Hauptkommissar Bohm, korrekt gekleidet im dunklen Anzug, weißen Hemd und passender Krawatte, stand lässig an Frau Krügers Schreibtisch gelehnt. Seine Arme hielt er vor der Brust verschränkt. Auf dessen Gesicht spiegelt sich die pure Schadenfreude wieder.
    „Schön Sie zu sehen, Herr Jäger!“ begrüßte ihn Bohm mit einem spöttischen Unterton, als Ben das Zimmer von Frau Krüger betrat und die Tür hinter sich schloss. Kim saß mittlerweile wieder auf ihrem Stuhl und hatte ihre Hände auf der Schreibtischplatte ineinander verschlungen.
    „Ich habe ja schon immer gewusst, dass sie Dreck am Stecken haben!“ fuhr Bohm in seinem überheblichen Ton fort. „Aber das, was sie sich geleistet haben, übertrifft selbst meine Erwartungen!“
    Ben schaute hilfesuchend zu Frau Krüger. Deren Mimik wirkte wie versteinert. Kein Gefühl ließ sich daraus lesen.

  • Ben holte tief Luft, sein Blick wanderte wieder zurück zu Bohm.
    „Was werfen Sie mir denn vor, Hauptkommissar Bohm?“
    Er versuchte seiner Stimme ein bisschen Festigkeit zu geben, doch er ahnte, was jetzt auf ihn zukommen würde. Ewig hatte dieses Spiel nicht gut gehen können, er wusste es. Er war aufgeflogen.
    „Sie sind ein elender Verräter, Herr Jäger…!“ schleuderte ihm Bohm ins Gesicht. „…Reden wir nicht um den heißen Brei herum. Sie haben wichtige Ermittlungsergebnisse, Termine für Razzien wegen Drogenhandel und illegaler Prostitution gegen Geldzahlungen an kriminelle Subjekte weitergegeben. Wie kann man nur so tief sinken? In meinen Augen sind sie nur noch Abschaum!“ Es fehlte in dem Moment nur noch, dass Bohm vor ihm ausspucken würde.
    Ben wollte dagegen aufbegehren, doch er kam gar nicht zu Wort.
    „Vergessen Sie es! Sie brauchen mir hier nichts vorzulügen. Schon seit Wochen suchen wir den Maulwurf aus unseren Reihen. Wir haben eindeutige Beweise in ihrem Computer gefunden. Die Kollegen von der IT haben ein bisschen gebraucht, um ihren Rechner als denjenigen zu identifizieren, der unerlaubt Zugriff auf Datenbanken der Drogenfahndung genommen hatte. Und die Passwörter, die wir in Schreibtisch gefunden haben, schließen die Beweiskette! Dazu die Aussagen eines Informanten … sie sind so was von am Ende und geliefert!“ legte Bohm nach.
    Jedes Wort von Bohm traf Ben wie ein Schlag ins Gesicht. Der junge Polizist fiel regelrecht in sich zusammen. Seine Schultern, seine ganze Körpersprache brachten zum Ausdruck, dass er weder ein noch aus wusste... Sie bedeuteten das Ende … das Ende seiner Laufbahn als Polizist … was noch kommen würde, das wagte er sich gar nicht in seinen Gedanken auszumalen.
    Frau Krüger hatte sich erhoben und stand mit verschränkten Armen in einer Ecke ihres Büros und wirkte total emotionslos. Ihr Gesicht war wie zu einer Maske erstarrt.
    „Haben Sie noch irgendwas zu ihrer Verteidigung zu sagen, Herr Jäger?“
    Ihre Stimme hörte sich total heißer und belegt an, als sie den jungen Kommissar aufforderte sich zu rechtfertigen. Sie konnte es einfach nicht fassen … nicht glauben …. Aber die Beweise waren eindeutig und ließen keine Zweifel zu.
    Nach einer gefühlten Ewigkeit kam Bewegung in den Körper des dunkelhaarigen Polizisten. Er hob im Zeitlupentempo langsam den Kopf und mit unsagbar traurigen Augen schaute er Frau Krüger an. Er kämpfte innerlich darum, seine Fassung zu bewahren und die richtigen Worte zu finden. Mit einer Stimme, die er selbst nicht wieder erkannte, wisperte er leise.
    „Es tut mir leid! … Einfach nur leid, aber es ist die Wahrheit Frau Krüger, die Vorwürfe sind gerechtfertigt. Ich … ich …!“ Er schloss die Augen, rang mit sich und atmete mehrmals tief durch. „Bringen wir es hinter uns… Sie können meine Aussage gleich hier und jetzt zu Protokoll nehmen!“
    Bei diesen Worten huschte ein hämisches Grinsen über das Gesicht von Hauptkommissar Bohm, der es sich natürlich nicht nehmen ließ, die Aussage von Ben persönlich zu protokollieren. Nur mühsam konnte er seine Freude unterdrücken, wie viel Spaß es ihm bereitete, Ben zu befragen, ihn zu quälen und ihn nach allen Regeln der Verhörkunst richtig fertig zu machen.
    Frau Krüger saß machtlos daneben und konnte nichts mehr für ihren jungen Kommissar tun, um ihm zu helfen. Gleichzeitig wuchs ihre Wut auf Bohm und dessen Verhalten.


    „Sie sind sich über die Tragweite ihrer Aussage bewusst, Herr Jäger?“ kam von Bohm, als Ben seine Unterschrift unter das Protokoll setzte.
    „Ja!“ antwortete Ben ganz leise mit belegter Stimme.
    „Gut, dann fordere ich Sie hiermit auf, ihren Dienstausweis, ihre Dienstwaffe, Handy und den Wagenschlüssel auf den Schreibtisch zu legen. Sie sind ab sofort ohne Bezüge vom Dienst suspendiert. Auf Grund der gegen Sie erhobenen Vorwürfe dürfen Sie bis auf weiteres, keine Dienststelle der Polizei ohne Vorladung mehr betreten. Das Verfahren wird an die Staatsanwaltschaft für die weiteren Ermittlungen übergeben. Allerdings kann ich ihnen heute schon versprechen, Sie werden nie mehr als Polizist arbeiten! Und wenn es nach mir geht, wandern Sie für ein paar Jahre in den Knast!“

  • Diese Worte von Bohm hallten förmlich in Bens Kopf wieder, sie hämmerten regelrecht auf ihn ein. Er merkte, wie es ihm schwarz vor Augen wurde und er einen Moment bedrohlich wankte.
    Mit zittrigen Fingern legte er die geforderten Gegenstände auf den Schreibtisch von Frau Krüger und vermied es, sie dabei anzuschauen. Er konnte es einfach nicht. Sein Blick klebte förmlich am Boden.
    „Und jetzt verlassen Sie sofort die Dienststelle und beschmutzen Sie diese nicht länger mit ihrer Anwesenheit, Herr Jäger!“ kam es verächtlich über die Lippen von Bohm.
    Ben hielt sich krampfhaft an seinem Motorradhelm fest. Das Schlimmste hatte er ja noch vor sich. Er musste an den Kollegen vorbei zum Ausgang. Es war wie der Gang durch einen Tunnel an dessen Ende das Licht der Eingangstür schimmerte. Leises Geflüster, ungläubige Blicke, die ihn wie Nadelstiche seinen Rücken trafen. Kein Mensch sagte was zu ihm, es war schlimmer wie ein Spießrutenlaufen.
    Er wusste nicht wie, aber irgendwann hatte er den Ausgang erreicht. Nur das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen, das ging nicht weg. In ihm war alles nur noch grenzenlose Leere. Einsamkeit, an welcher er selbst die Schuld trug. Die Seifenblase war geplatzt.
    Was würde jetzt kommen? Er hatte doch nichts mehr, keine Perspektive, nichts mehr… Alles was ihm im Leben wichtig war, hatte er durch sein Verhalten innerhalb der letzten halben Stunde verloren. Mechanisch setzte er sich auf sein Motorrad und fuhr davon.
    Frau Krüger stand an ihrem Bürofenster und blickte hinter ihm her, während Hauptkommissar Bohm seinen Triumph auskostete und die Mitarbeiter der Dienststelle über die Suspendierung des ehemaligen Hauptkommissars Ben Jäger informierte.


    ****
    … Montagabend…
    Nach einer Irrfahrt über die Autobahnen und Landstraßen rund um Köln, kam Ben vor dem Haus, in dem sich seine Wohnung befand, an.
    Das Gefühl der Leere war immer noch da, doch die Zeit ließ sich nicht anhalten, das Rad der Zeit ließ sich nicht mehr zurückdrehen. Was geschehen war, war geschehen und ließ sich nicht mehr ändern.
    Was hätte er in diesem Moment darum gegeben, wenn Semir da gewesen wäre? Alles, alles um nicht allein vor dem Scherbenhaufen seines Lebens zu stehen.
    Er parkte seine Maschine in der Garage. Beim Verlassen hatte er irgendwie das Gefühl beobachtet zu werden. Suchend schweifte sein Blick umher. Aber er konnte nichts Auffälliges an den Häuserfassaden und Eingängen oder parkenden Autos entdecken.
    Unwillig schüttelte er den Kopf, wahrscheinlich hatte er sich getäuscht. Mit müden Schritten schlurfte er auf die Haustür zu. In dem Moment, als er den Schlüssel ins Schlüsselloch steckte, spürte er die Mündung einer Waffe in seinem Rücken.
    Der junge Mann erstarrte förmlich.
    „Hallo korrupter Bulle, mach ja keine falsche Bewegung! Wir sollen dir von unserem Boss ein paar schöne Grüße übermitteln!“ hauchte ihm jemand von hinten ins Ohr. Ein weiterer Mann, mit kahl rasiertem Schädel und einem Boxergesicht, trat aus dem Schatten des Busches neben der Eingangstür. Im fahlen Licht der Leuchte, die über der Eingangstür angebracht worden war, konnte Ben den Mann näher betrachten und erkannte ihn. Pietro Mastra, der Geldeintreiber und Schläger von Mafia Größe Emilio Contento. Barsch befahl der Glatzkopf: „Los schließ auf und dann rauf zu deiner Wohnung!“
    Auf dem Weg nach oben überlegte Ben fieberhaft, wie er sich ohne Waffe gegen seine Angreifer wehren sollte. Denn dass diese nichts Gutes im Schilde führten, hatte er aus den Augen des Schlägers ablesen können.
    Kaum hatte Ben die Wohnungstür aufgesperrt, bekam er einen unbarmherzigen Schlag in den Rücken, der ihn stolpern lies. Er torkelte, verlor das Gleichgewicht und fiel im Eingangsbereich seiner Wohnung zu Boden. Der Größere schlug die Wohnungstür ins Schloss und knipste das Licht an.
    Bevor er sich besinnen konnte, war Pietro Mastra schon bei ihm und trat mit den Füßen auf ihn ein, wo immer er ihn treffen konnte.
    Ben schrie auf, krümmte sich vor Schmerzen zusammen, aber sein Peiniger kannte keine Gnade. Auch sein Körper tat ihm nicht den Gefallen, ihn durch eine Ohnmacht von den Schmerzen zu erlösen. Als der Schläger von ihm abließ, hatte er schon die Hoffnung, dass es vorbei ist. Doch stattdessen wurde er rücksichtslos an den Armen nach oben gerissen und auf die Füße gestellt. Er stöhnte auf vor Schmerzen, sein Körper protestierte gegen die brutale Behandlung. Er bekam keine Luft und röchelte nur, seine Rippen fühlten sich an, als seien sie gebrochen.
    Wie durch einen Wattebausch hörte er die Stimme des Schlägers. Mit einem eisernen Griff umfasste er Bens Kinn und zwang ihn direkt ins Gesicht zu blicken.
    „Lass dir das eine Warnung sein, du korruptes Bullenschwein. Den Boss bescheißt man nicht. Seit Mittwoch sind deine 10.000 Euro Schulden fällig, zuzüglich 1.000 Euro Verzugszinsen. Das war nur der kleine Vorgeschmack zu Hölle! Entweder du zahlst innerhalb von 48 Stunden oder wir knöpfen uns das nächste Mal deine Schwester vor! Die kann ja gerne deine Schulden in einem der Bordelle vom Chef abverdienen. So ein hübsches Vögelchen hat bestimmt reichlich Kundschaft.“

  • Mit diesen Worten löste der Glatzkopf, der hinter Ben stand, den Klammergriff um dessen Arme. Der Dunkelhaarige sackte in sich zusammen und fiel wie im Zeitlupentempo bäuchlings auf den Boden. Die beiden Schläger beachteten ihr Opfer nicht weiter und verließen die Wohnung.
    Ben brauchte ein paar Minuten bis er einigermaßen zur Besinnung kam. Überall in seinem Körper tobte der Schmerz. Verzweifelt versuchte er sich hoch zu stemmen … auf die Füße zu kommen … Es ging nicht … ihm war speiübel …. Unter Aufbietung seiner letzten Kräfte kroch er mühsam auf dem Fußboden entlang ins Bad.
    Immer wieder kam ein Stöhnen über seine Lippen. Jeder Meter bedeutet eine Tortur für seinen geschundenen Körper. Irgendwann kam er bei der Toilette an, übergab sich gallenbitter und verlor erneut das Bewusstsein.
    Stunden später …. Langsam lichteten sich die Schleier. Ben kam wieder zu sich. Es fühlte sich alles so kalt an. Wo war er? … Er überlegte, was war passiert?
    Mit einem Schlag erinnerte er sich daran, was geschehen war. … Bohm … die Suspendierung … die verächtlichen Blicke seiner Kollegen, als er die PAST verlassen hatte … die Schläger von diesem Geldverleiher … Ein verzweifeltes Stöhnen entrang sich seinen Lippen.
    Der junge Mann merkte, dass er in seinem Badezimmer vor der Toilette am Boden lag. Mühsam stemmte er sich hoch, versuchte sich hinzusetzen und lehnte sich mit dem Rücken an die kalte Fliesenwand an. Alles drehte sich, er presste seine Handflächen seitlich gegen seinen Kopf, schloss die Augen und wartete, bis das Schwindelgefühl nachließ. Nach einigen Minuten blinzelte er und schaute sich um. Durch die geöffnete Badezimmertür fiel ein schummriger Lichtschein herein und spendete ein bisschen Helligkeit. Vor der Toilette war eine getrocknete Blutlache. An seiner Stirn fühlte sich was klebrig an. Vorsichtig taste er mit den Fingern nach und merkte, dass er sich wohl beim Sturz eine Platzwunde zugezogen hatte. Seine lädierten Rippen stachen bei jedem Atemzug. Er bemühte sich, so flach wie möglich zu atmen. War nur noch die Frage, wie er so endgültig auf die Beine kommen sollte. Langsam richtete er sich auf und kam im Zeitlupentempo auf die Füße. Verzweifelt klammerte er sich am Waschbecken fest, um nicht gleich wieder das Gleichgewicht zu verlieren. Er knipste das Licht an und riskierte einen vorsichtigen Blick in den Spiegel. Der Dunkelhaarige erschrak bei seinem Anblick vor sich selbst. Das Auge unter dem Cut war zugeschwollen und schimmerte in allen Regenbogenfarben. Sein Gesicht und seine Kleidung waren blutverschmiert. Das zerrissene Shirt erlaubte einen Blick auf seinen Oberkörper, wo einige Körperstellen blutunterlaufen waren. Aus kleinen Risswunden war Blut gesickert, das mittlerweile getrocknet war und sich mit seinem Shirt verklebt hatte. In seinem Kopf hämmerte ununterbrochen jemand im Takt seines Herzschlages auf ihn ein. Er stöhnte auf. Langsam hörte der Boden auf, unter seinen Füßen zu schwanken, das Schwindelgefühl ließ etwas nach. Mit seiner linken Hand suchte er im Medizinschränkchen nach ein paar Schmerztabletten. Es störte ihn nicht, dass einige Packungen einfach raus auf den Boden fielen. Er schluckte mit Hilfe eines Glas Wassers zwei Aspirin- Tabletten. Unter Aufbietung seiner letzten Kräfte schleppte er sich in sein Schlafzimmer. Kaum hatte er diese betreten, fing erneut alles an sich zu drehen und Ben fiel quer über sein Bett und tauchte ab ins Reich der Dunkelheit, ohne sich zu entkleiden.
    Das nächste Erwachen war weit weniger schmerzhaft. Seine Rippen fühlten sich deutlich besser an, als noch vor ein paar Stunden, auch wenn jeder Atemzug noch schmerzte. Gebrochen ist also scheinbar nichts, stellte er lakonisch fest und wälzte sich auf den Rücken.
    Ben blieb noch einige Zeit mit geschlossenen Augen auf seinem Bett liegen und genoss die wärmenden Sonnenstrahlen, die durch das Fenster auf sein Gesicht fielen und dachte über seine augenblickliche Situation nach.
    Mühsam schob er sich aus dem Bett und wankte in sein Bad. Zwei weitere Schmerztabletten trugen maßgeblich dazu bei, dass es ihm mit jeder Minute ein bisschen besser ging, so dass er es wagen konnte, sich zu duschen. Das kalte Wasser prasselte auf seinen schmerzenden Körper ein und weckte endgültig seine Lebensgeister.
    Nachdem er sich frisch eingekleidet hatte, stand er wie verloren in seiner Küche, eine Tasse Kaffee in der Hand haltend, schaute er sich in seiner Wohnung um. Sein Blick fiel auf die Gitarrensammlung. Ein Gefühl der Wehmut überkam ihm, es half nichts.
    Zuerst musste er sich diesen Geldverleiher vom Hals schaffen und deshalb traf er einen folgenschweren Entschluss. Es gab für ihn keinen Weg mehr zurück.


    *****
    Einige Tage später …
    Ben starrte in das Whiskeyglas, das vor ihm auf der Theke stand. Die Eiswürfel schmolzen langsam dahin und vermischten sich mit der goldfarbenen Flüssigkeit. Er hob das Glas an und nippte daran. Dabei betrachtete er sich im Spiegelglas, welches hinter der Theke angebracht worden war. Unter seinen Augen lagen tiefe Ringe und sein Gesicht zierte ein dunkler Bart, da er sich seit Tagen nicht mehr rasiert hatte. Die Schwellungen und Verfärbungen waren kaum mehr sichtbar. Er dachte nach, was ist nur aus dir geworden alter Junge?
    Sein altes Leben war futsch. Innerhalb weniger Tage war alles den Bach runter gegangen.
    Mit seinem Vater hatte er sich ebenfalls endgültig überworfen. In seiner Not und um seine Schwester zu schützen, hatte er den schweren Gang angetreten und seinen Vater um Geld angebettelt, um seine Spielschulden zu begleichen. Was er zu dem Zeitpunkt nicht ahnen konnte, als er an der Haustür von Konrad Jäger klingelte, die Schuldeneintreiber des Geldverleihers hatten seinen Vater bereits Tage vorher aufgesucht. Dieser hatte die Kerle von seinem Sicherheitsdienst aus dem Bürogebäude werfen lassen. Zwischen Vater und Sohn entbrannte ein heftiges Streitgespräch, das mit einem Eklat endete. … Taugenichts … war noch die harmloseste Beschimpfung gewesen, die er Ben an den Kopf geworfen hatte. Angewidert hatte Konrad Jäger das Gesicht verzogen und seinem Sohn erklärt, dass seine Anwesenheit in seinem Elternhaus zukünftig nicht mehr erwünscht sei.
    Als letzter Ausweg blieb ihm nur noch seinen geliebten Porsche zu verkaufen, um so an das nötige Geld zur Zahlung seiner Schulden zu kommen. Er fand tatsächlich einen Liebhaber, der seine Notlage nicht schamlos ausnutzte und einen angemessenen Preis bot. Er hatte sich seine Tränen verkneifen müssen, als er den Autoschlüssel an den neuen Besitzer aushändigte. So weit war er also runter gekommen.

  • Der dunkelhaarige Ex-Polizist hatte die Finger seiner Rechten in der Jackentasche vergraben und spielte mit seinen letzten verbliebenen Geldscheinen herum. Sein Blick wanderte zu der dunklen Holztür, neben der ein Zwei-Meter-Muskelprotz Wache hielt. Aus eigener Erfahrung wusste er, dahinter wurde in den Hinterzimmern in illegalen Pokerrunden ohne Limit gezockt. Er kämpfte, wie bereits in den letzten Tagen gegen die Versuchung an, dort sein letztes Geld zu verspielen. Es kribbelte in seinen Fingern. In einem Zug trank er seinen Whiskey aus und bestellte sich ein neues Glas in der Hoffnung, die Wirkung des Alkohols würde langsam seine Sinne benebeln.
    Ein heftiges Streitgespräch an der bewussten Tür erregte seine Aufmerksamkeit. Ein grauhaariger Mann, so um die Mitte Vierzig, der einen Maßanzug trug, brüllte den Muskelprotz und einen dunkelhaarigen Typen, der in etwas Bens Größe hatte, wütend an. Auf seinem hellblauen Hemd zeichneten sich deutliche Schweißspuren ab. Auch sonst war die Erregung des Mannes unübersehbar. Scheinbar hatte er in den letzten Stunden ein kleines Vermögen in einer der Pokerrunden verloren und beschwerte sich lauthals darüber, betrogen worden zu sein. Auf Weisung des Dunkelhaarigen packte der Muskelprotz den aufgebrachten Mann brutal an den Aufschlägen seiner Anzugjacke, beförderte ihn Richtung Ausgang und warf ihn rücksichtlos auf den Gehsteig. Ohne sich davon zu überzeugen, ob der Wütende tatsächlich die Gegend verließ, drehte der Zwei-Meter-Mann sich um und verschwand in Richtung der Toiletten.
    Der Anzugträger kam nach einigen Minuten wieder ins Lokal getorkelt. Sein einst so schickes Sakko und auch die Hose trugen deutliche Schmutzspuren des Gehsteigs. Sein Gesicht war vor Zorn gerötet und der Ausdruck seiner Augen spiegelte eine wilde Entschlossenheit wieder. Die rechte Hand hielt er unter der Anzugjacke verborgen, dennoch war Ben die verdächtige Ausbeulung nicht entgangen.
    Der Dunkelhaarige kehrte ihnen den Rücken zu und blickte durch einen Spalt der geöffneten Hintertür. Er schien auf etwas zu warten. Unbemerkt vom Rest der Kneipenbesucher zog der Mittvierziger die Pistole und drückte dem dunkelhaarigen Mann an der Tür die Mündung in die Nierengegend.
    Ben war es allerdings nicht entgangen. Irgendwo in seinem Inneren regte sich ein Gefühl, das ihm sagte, er könne nicht einfach zu schauen. Vorsichtig glitt er von seinem Barhocker herunter und trat seinerseits hinter dem grauhaarigen Mann. Er drückte mit seinem Zeigefinger ebenfalls in dessen Rücken auf Höhe der Nieren und flüsterte dem Mann kaum hörbar ins Ohr
    „Mein Freund, vergiss es! Lass die Waffe fallen und such ganz schnell das Weite, wenn man dich nicht mit den Füßen voran aus der Kneipe ins nächste Leichenschauhaus tragen soll!“
    Der Anzugträger atmete noch hektischer, Schweißperlen tanzten auf seiner Stirn. Der Dunkelhaarige blieb stattdessen ruhig stehen, als wäre er gar nicht beteiligt.
    „Also! Ich warte!“ sprach ihn Ben bestimmend an und hielt ihm seine andere Hand auffordernd hin. Der Grauhaarige bewegte den Kopf leicht rauf und runter … machte sich steif und übergab Ben die Pistole. Fluchtartig stürmte er aus dem Lokal ohne nochmals einen Blick über die Schulter zu werfen.
    Der Dunkelhaarige drehte sich langsam zu Ben um. Er war etwas älter als der ehemalige Kommissar und hatte in etwa die gleiche Größe. Nur seine Statur war etwas kräftiger und muskulöser. Er musterte mit seinen blauen Augen den Ex-Polizisten eingehend, der seinem Blick ohne mit der Wimper zu zucken Stand hielt. In seinen Augen flackerte etwas auf.
    „Jetzt muss ich mich wohl das zweite Mal bei dir bedanken.“, meinte er trocken. „Hast du einen Augenblick?“
    „Ich habe gerade nichts Besseres vor?“ erwiderte Ben mit einem interessierten Ausdruck im Gesicht. Er folgte dem Dunkelhaarigen in den Bereich der Hinterzimmer. Jedoch betraten sie keine der Spielhöllen, in denen Poker gespielt wurde, sondern einen kleinen Raum, der wie ein kleines Büro wirkte.
    „Ich heiße Ben Jäger … oder einfach nur Ben!“, stellte sich der Ex-Polizist vor.
    „Ich weiß! Setz dich!“ forderte Erik Ben auf, während er selbst auf der Schreibtischkante Platz nahm. „Ich bin Erik Hauser!“, stellte er sich ebenfalls vor, „und kein Mensch, der lange Reden hält. Ich beobachte dich seit einiger Zeit und habe einige Erkundigungen über dich eingeholt, nach dem Vorfall vergangene Woche. Um es auf einen Nenner zu bringen: Du bist ein Ex-Bulle, der nur noch darauf wartet, dass sein Rauswurf bei der Polizei amtlich ist und mit einem Fuß bereits im Knast sitzt. Von deiner Familie hast du wohl nichts mehr zu erwarten.“ Erik schwieg einen Moment und ließ seine Worte auf Ben wirken, der mit keiner Wimper zuckte. „Mut hast du und die Kostprobe deines Könnens, die du gerade abgeliefert hast und auch das letzte Mal, als du dich zu meinen Gunsten eingemischt hast, haben mir gezeigt, dass du Fähigkeiten besitzt, für die ich Verwendung hätte. Es gibt nur zwei Bedingungen: Ab sofort Finger weg von den Spielkarten und Alkohol in Maßen! Ich brauche Leute, die jederzeit einsetzbar sind!“
    Überrascht blickte Ben auf und überlegte. „Und die Kohle? Schließlich muss der Mensch ja von was leben.“
    „Bezahlt wird nach Leistung!“
    Mit knappen Worten erläuterte ihm der Dunkelhaarige, was seine zukünftigen Aufgaben waren. Ben nickte zustimmend und schlug in die dargebotene Hand ein und dachte bei sich, irgendwie kriege ich das schon hin mit meiner Spielsucht.


    *****
    …Einige Wochen später …


    Semir konnte es gar nicht glauben, dass seine vier Wochen Urlaub schon wieder vorbei waren. Er bog gerade in die Zufahrt zur PAST ein, als im Radio einer seiner Lieblingssongs gespielt wurde, den er fröhlich mitsang. Er trommelte mit seinem Fingern auf dem Lenkrad den Rhythmus des Songs mit. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er sich vorstellte, wie Ben, wenn er neben ihm sitzen würde, wegen seiner Gesangskünste lästern würde.
    Ben ….
    Er freute sich schon drauf seinen Partner und Freund wieder zu sehen. Andrea, die Kinder und auch er waren gestern Nachmittag bei ihrer Ankunft zu Hause ein bisschen enttäuscht gewesen, dass Ben sie zur Begrüßung nicht besucht hatte. Er schmunzelte, na wer weiß, dachte er be sich welche heiße Flamme gerade wieder seine Freizeit in Anspruch nahm. Als er auf den Parkplatz einbog, stand Bens Dienstwagen schon am gewohnten Platz.
    Wow, dachte Semir, zur Abwechslung mal pünktlich.
    Voller Tatendrang und gut gelaunt vor sich hin pfeifend, betrat er die Dienststelle und begrüßte den Kollegen am Empfang. Abrupt verstummten alle Gespräche im Großraumbüro und eine fast schon unheimliche Stille breitete sich aus. Alle Augen richteten sich auf den kleinen Türken.

  • Ein ganz mieses Gefühl beschlich ihn, sein Blick schweifte umher und suchte Ben. Er saß weder an seinem gewohnten Platz am Schreibtisch oder sonst wo. Schlagartig war seine gute Laune wie weggeblasen.
    In diesem Augenblick öffnete Frau Krüger die Tür zu ihrem Büro und forderte Semir auf, zu ihr zu kommen. Als er das Zimmer betrat, hatte Kim Krüger wieder hinter ihrem Schreibtisch Platz genommen. Ihre Unterarme lagen auf der Schreibtischplatte und ihre Hände waren ineinander verschlungen.
    „Wo ist Ben, Frau Krüger? Was ist hier los?“
    Semir baute sich vor ihr auf und blickte ihr direkt ins Gesicht. Dass, was er da sah, lies ihm sein Herz bis zum Hals klopfen und gleichzeitig das Blut in den Adern gefrieren. Ihre Gesichtszüge waren maskenhaft starr und ihr Blick war irgendwie so seltsam leer. Der Türke hatte Angst vor dem, was jetzt kommen würd. Er konnte förmlich spüren, wie Frau Krüger mit sich kämpfte, die richtigen Worte zu finden.
    Voller Ungeduld brüllte er sie an: „Nun reden Sie schon Chefin! … Ist Ben etwas passiert, wurde er verletzt? … Angeschossen? Liegt er im Krankenhaus? … Verdammt noch mal nun sagen sie endlich, was los ist!“ Mit jedem Satz wurde sein Tonfall lauter und gewann an Schärfe.
    Langsam begann Kim Krüger zu erzählen, was sich vor vier Wochen hier auf der Dienststelle zugetragen hatte.
    Mit jedem Wort aus ihrem Mund spürte Semir, wie er mehr und mehr die Fassung verlor. Er stützte sich auf der Lehne des Besucherstuhls auf, sonst hätte er den Halt verloren. Ungläubig schüttelte er seinen Kopf. Mehr als einmal murmelte er wie eine Beschwörungsformel vor sich hin „Nein … nein, das kann doch alles nicht wahr sein! …Das stimmt nicht!“
    Für Semir stürzte eine Welt ein. Man konnte sich doch nicht so in einem Menschen täuschen. Ben, ein Verräter? Nein, niemals, er konnte und wollte es nicht glauben, welche Anschuldigungen gegen seinen Freund erhoben worden waren. Das konnte alles nur ein Irrtum sein. Als Frau Krüger mit ihrem Bericht fertig war, polterte er drauf los.


    „Und was haben Sie zwischenzeitlich unternommen um Ben zu helfen, Frau Krüger? Wo ist Ben jetzt?“
    „Herr Gerkan, Ben ist seitdem verschwunden. Keiner hatte mehr Kontakt mit ihm oder ihn gesehen!“
    „Das ist doch nicht Ihr Ernst“, schrie er wutentbrannt seine Chefin an, „es geht hier um Ben. Nicht um irgendjemanden … Er ist mein Freund, verstehen Sie, mein Freund. … Ben würde so was nie tun…! ….. Nein! …. Niemals, würde Ben so etwas machen! …“ Semir hieb mehrfach mit seiner geballten Faust voller Wut und Frust auf die Schreibtischplatte. „Warum haben Sie mich nicht angerufen? ... Warum? …. Ich hätte Ben geholfen!", schleuderte er ihr aufgebracht entgegen.
    „Verstehen sie doch!“, fauchte sie zurück, „Niemand hätte Herrn Jäger in dieser Situation noch helfen können. Er hat in meinem Beisein gegenüber Bohm ein Geständnis abgelegt!“
    „Geständnis…“ Der Türke machte eine wegwerfende Geste und giftete weiter, „wir kennen alle Bohm! … Vielleicht hätten sie mal ein paar Dienstvorschriften außer Acht lassen sollen. … Ihm helfen sollen … Doch stattdessen haben Sie Ben im Stich gelassen!“ Sein ganzer Körper bebte vor Zorn. Die Adern schwollen ihn an. Er war an der Grenze seiner Selbstbeherrschung angelangt.
    „Bitte Semir, beruhigen Sie sich erst einmal und gehen Sie rüber in ihr Büro, wir reden noch mal darüber … bitte!“, versuchte sie den empörten Kommissar zu beschwichtigen.
    Der nahm nur am Rande wahr, dass ihn Frau Krüger mit Semir angeredet hatte. Das machte alles nur noch viel schlimmer. Wütend stürmte Semir aus dem Büro der Krüger, knallte die Tür zu, dass die Trennwand in ihren Grundfesten erbebte. Er stampfte ohne auf die Kollegen zu achten, in sein gemeinsames Büro mit Ben … Mit Ben …. Oh Gott wie sich das anhörte, angesichts dieser Situation ….


    Semir konnte das, was er eben gehört hatte nicht glauben. Er hatte das Gefühl, als zöge ihm jemand den Boden unter den Füßen weg. Jeder Satz, den Frau Krüger berichtet hatte, hallte in seinem Kopf wieder, hämmerte auf ihn ein. Und der nächste Schock stand ihm schon bevor. Als er das Büro betrat, sah er sofort… Bens Schreibtisch war aufgeräumt, ausgeräumt, er war leer, das hatte so was Endgültiges. Nur noch seine Lieblingsgitarre stand einsam und verlassen in der gewohnten Ecke. Er schloss die Jalousien, wollte einfach nur allein sein … allein sein und nachdenken. Semir ließ sich auf seinen Stuhl fallen und vergrub sein Gesicht in seinen Händen.


    Waren es Minuten oder Stunden später, er konnte es nicht sagen, denn er hatte jedes Gefühl für Zeit verloren, als er ein zaghaftes Klopfen an der Tür vernahm. Semir drehte sich um und öffnete die Bürotür.
    „Darf ich reinkommen?“ fragte Susanne vorsichtig an, ihre Blicke sprachen Bände. Er nickte zustimmend und die Sekretärin setzte sich auf dem Stuhl neben dem Schreibtisch nieder.
    „Semir ….. Semir“, begann sie den kleinen Polizisten langsam anzureden, „es konnte keiner was für Ben tun. … Verstehst du! .... Keiner ….. Du hättest Bohm nur erleben müssen! Der hatte seinen großen Auftritt!“
    Dabei schossen ihr die Tränen in die Augen, die sie mühsam wegblinzelte. Als sie sah, wie ihr Gegenüber aufbegehren wollte, umschlang sie seine Hände und sie fuhr mit belegter Stimme fort: „Ich kann es auch immer noch nicht glauben, trotz aller Beweise, … was man Ben da zur Last legt!“
    „Und was hast du unternommen, was hast du für Ben getan?“, bekam sie von dem kleinen türkischen Polizisten an den Kopf geworfen.
    Fast schon trotzig erwiderte sie: „Ich habe mal ein bisschen in den Ermittlungsakten der Inneren Abteilung rum gestöbert, soweit ich darauf Zugriff und Einblick bekommen habe. Daraufhin habe ich telefoniert.“ Sie schwieg einen Moment, biss sich kurz auf die Lippen und fuhr mit ihren Erklärungen fort. „Die Beweise gegen Ben sind tatsächlich alle hieb- und stichfest. …. Echt! … Kein Zweifel! … Absolut kein Zweifel!“ Sie schüttelte ungläubig dabei den Kopf. „Ich habe die mehr als einmal von vorne bis hinten durchleuchtet. … Wirklich alles! … Irgendwie scheint Ben in den letzten Monaten auf die schiefe Bahn gekommen zu sein. Ich weiß nicht warum! … Was ist in ihm vorgegangen? .... Warum? … Er scheint mit Glücksspiel und Pokern angefangen zu haben. In einigen der Kölner Spielcasinos und Umgebung hat er mittlerweile sogar Hausverbot, weil er, nachdem er viel Geld verloren hatte, randaliert hatte…. Daraufhin hatte er scheinbar angefangen in zwielichtigen Kneipen Poker zu spielen und hat dort Spielschulden gemacht. Sein Konto ist hoffnungslos überzogen … und er scheint sich auch bei dem einen oder anderen hier auf der Wache sich ein bisschen Geld geliehen zu haben ... Semir … er hat sogar seinen Porsche verkauft! Verdammt Semir … Semir was ist nur in Ben gefahren? Was hat Ben so verändert, ohne dass wir es gemerkt haben?“

  • Voller Bestürzung hatte der Türke Susannes Worten gelauscht. Als sie mit ihren Ausführungen geendet hatte, herrschte eine bedrückende Stille im Raum. Er hatte seine Ellbogen auf die Schreibtischplatte abgestützt und sein Gesicht in seinen Händen vergraben. Ihm war kalt, einfach nur kalt. Die Gänsehaut rann ihm über den Körper. Gleichzeitig zog sich sein Magen zu einem Klumpen zusammen. Das konnte doch alles nicht wahr sein.
    Semir war fest entschlossen, der Sache selbst auf den Grund zu gehen. Er musste sich selbst davon überzeugen, dass die Beweise und die Taten, die man Ben zur Last legte, nicht gefälscht waren. Vielleicht hatte ihn jemand reingelegt oder erpresst, der sich an ihm rächen wollte. Er räusperte sich mehrmals und trotzdem klang seine Stimme merkwürdig heißer. „Kannst du mir alle deine Unterlagen überlassen Susanne?“ Er hob den Kopf blickte in das bleiche Gesicht seiner Kollegin. Darin las er die gleiche Verzweiflung und Enttäuschung, die er empfand. „Und, lass mich einfach alleine!“


    Susanne erhob sich und drückte Semir den Aktendeckel ohne Aktenzeichen und Namen in die Hand. „Darin befinden sich meine kompletten Notizen!“ Wortlos verließ sie das Büro und zog die Tür hinter sich ins Schloss. Aufgewühlt ließ sie sich hinter ihrem Schreibtisch nieder.
    Einige Zeit später trat Kim Krüger zu Susanne an den Schreibtisch heran. „Wie geht es ihm?“, erkundigte sie sich bei der Sekretärin, während sie nachdenklich den Türken durch den Fensterausschnitt in der Tür beobachtete, wie er eine Notiz nach der anderen las und zwischendurch wie wild auf seiner Tastatur rumhämmerte.
    „Wie soll es ihm schon gehen? … Wie würde es ihnen denn gehen, wenn man ihnen mitteilt, dass ihr Freund und Partner vermutlich die Seiten gewechselt hat? Keiner von uns begreift, was mit Ben passiert ist, wie soll es dann Semir verstehen!“ Im Hintergrund nickten Bonrath und Herzberger bestätigend. Kim verschränkte ihre Arme vor der Brust und setzte eine eiserne Maske auf. Tonlos murmelte sie vor sich hin: „Niemand kann in die Seele eines Menschen blicken! … Niemand!“
    Frau Krüger drehte sich um und ging zurück in ihr Büro. Durch die Glasfront beobachtete sie weiter das Büro ihres Hauptkommissars. Ihr war klar, dass er bei seinen Recherchen zum gleichen Ergebnis wie sie selbst kommen würde. Die Anschuldigungen gegen Ben Jäger waren berechtigt.


    Einige Zeit später …
    Semir hatte in den letzten Stunden alle Beweise selbst gesichtet, endlose Telefongespräche geführt und zum Schluss die Akten der internen Ermittlungsabteilung eingesehen, die Susanne über ihren Kontaktmann zur Verfügung gestellt bekommen hatte. Er seufzte abgrundtief auf, als er auf den verwaisten Stuhl seines Partners blickte und versuchte nach all den Informationen einen klaren Gedanken zu fassen.
    War er wirklich die letzten Wochen und Monate vor seinem Urlaub so blind gewesen, dass ihm das entgangen war, welche Probleme hatte Ben? Wie er sich verändert hatte? Mehr als einmal war sein junger Kollege verspätet und völlig übernächtigt zum Dienst erschienen. Warum nur hatte er sich mit dessen fadenscheinigen Ausreden abspeisen lassen.. Warum nur? Schuldgefühle wallten in ihm hoch. Was war nur mit seinem Freund geschehen? Warum nur hatte Ben sich ihm nicht anvertraut? Er hätte ihm geholfen.
    Der Türke war fest entschlossen, seinem Freund zu helfen, bevor dieser endgültig über den Abgrund abrutschte.
    Nach Dienstschluss fuhr Semir zu Bens Wohnung. Ein Blick zum Fenster hoch zeigte ihm, dass alles dunkel war. Als erstes überzeugte er sich, ob das Motorrad und sein Privatauto in der Garage standen. Tatsächlich, der Platz, an welchem normalerweise der Porsche geparkt wurde, war leer. Semir konnte es nicht begreifen, was Ben dazu getrieben hatte, ausgerechnet diesen Wagen zu verkaufen. Er wusste, wie sehr er daran gehangen hatte, es war ein Geschenk seiner Mutter gewesen.
    Da der kleine Türke einen Zweitschlüssel besaß, war es kein Problem in Bens Wohnung zu gelangen. Nachdem er das Licht eingeschaltet hatte, blieb er stehen und ließ seinen Blick erst einmal in der Wohnung umherschweifen.
    Man sah sofort, dass sich hier seit längerem niemand mehr aufgehalten hatte. Die Möbel waren von einer dünnen Staubschicht bedeckt. Die Luft roch muffig und abgestanden. Eine Zimmerpflanze hatte mangels Wasser ihre Blätter verloren. Gleich einen Mahnmal ragte ihr nackter Stamm in die Höhe, während die braunen Blätter gleich einem Kranz um den Blumentopf herumlagen.
    Auf dem Fußboden fielen ihm im Eingangsbereich merkwürdige Flecken auf. Er ging in die Hocke und fuhr mit den Fingerspitzen darüber. Er betrachtete die braunen Flecke eingehend. Es war getrocknetes Blut und er verfolgte mit seinen Blicken, die Spur, die die Blutstropfen auf dem hellen Fußboden hinterlassen hatten. Semir merkte wie sich sein Herzschlag beschleunigte. Ganz langsam ging er weiter in Richtung des Badezimmers. Vor der Toilette befand sich ebenfalls eine eingetrocknete Blutlache. Bens Kleidung lag auf dem Boden verstreut herum und wies ebenfalls Blut- und Kampfspuren auf. Sein nächster Weg führte ihn ins Schlafzimmer, wo ihn der nächste Schock erwartete. Das Bett lag voller rausgerissener Kleidung, als hätte jemand im Schrank nach etwas gesucht. Auf der Bettwäsche die unter den Kleidungsstücken hervorlugte, waren ebenfalls rostrote Blutflecke sichtbar.
    Welches Drama hatte sich hier abgespielt?
    Semir beschloss Hartmut und die Spurensicherung anzurufen …


    *****


    In den nächsten Tagen und Wochen verbrachte er jede freie Minute damit, nach Ben zu suchen. Er klapperte der Reihe nach Bens Freunde und Bekannte ab, die er kannte. Keiner hatte von ihm seit jenem bewussten Montag mehr etwas gehört oder ihn gesprochen.
    Spätestens zu diesem Zeitpunkt der Suche war dem Kommissar klar, dass sein Freund in die Schattenwelt des Kölner Nachtlebens abgetaucht war. Durch seine Tätigkeit als Polizist kannte Ben genügend Unterkünfte, die gegen entsprechende Bezahlung die Anmeldung unter den Tisch fielen ließen. Es war wie verhext. Sein ehemaliger Partner war wie vom Erdboden verschwunden. ….

  • Semir war sprichwörtlich am Ende. Er fühlte sich leer, müde und ausgebrannt. Die mitleidigen Blicke seiner Kollegen auf der Dienststelle gaben ihm den Rest. Die Krüger fasste ihn mit Samthandschuhen an, obwohl er vor zwei Tagen seinen Dienstwagen bei einer wilden Verfolgungsjagd zu Schrott gefahren hatte. Er wusste einfach nicht mehr weiter. Wo sollte er noch im Kölner Nachtleben nach Ben suchen? Selbst Andrea hatte ihn angefleht seine Suche endgültig aufzugeben, als sich einer seiner alten türkischen Freunde aus seiner Jugendzeit bei ihm meldete. Aladin Celik, so hieß Semirs Freund aus alten Tagen, bat um ein Treffen, indem der Kommissar den ersten wirklichen Hinweis erhielt.


    Die beiden alten Freunde trafen sich nach Dienstschluss in der kleinen Kneipe „Sahara Bar“ in der Kölner Innenstadt. Aladin Celik, dessen Lockenpracht mittlerweile grau meliert war, war ein hagerer Typ und einige Jahre älter als Semir. Nervös schlürfte er von seinem türkischen Kaffee und zog an seiner Zigarette.
    „Also komme zur Sache Aladin, ich habe nicht ewig Zeit. Was hast du für mich?“, bedrängte der Türke seinen Freund. Er fischte dabei sein Handy aus der Hosentasche und suchte nach einem Foto von Ben. „Das hier ist Ben Jäger. Ich vermute, dass er in irgendwelchen Kneipen abhängt, in denen gezockt wird.“
    „Na … also!“, druckste er rum und strich sich zum wiederholten Male nervös über das Kinn. „Ich muss ja auch von was leben. Sieben Mäuler haben viel Hunger.“ Dabei legte er seine geöffnete Hand auf den Tisch.
    Semir nickte verstehend und drückte seinem Informanten einen Fünfziger in die Hand. „Wenn die Information was bringt, lege ich noch einen drauf!“


    Sichernd blickte sich Aladin Celik um, ob sich auch wirklich niemand in ihrer Nähe aufhielt und dem Gespräch lauschen konnte. Er beugte sich etwas über den Tisch und berichtete in einem flüsternden Ton von einer Bande, die die „Contraente“ genannt wurden. In deren Reihen sei ein neues Mitglied aufgetaucht, der wegen seiner Kompromisslosigkeit bereits in der Unterwelt gefürchtet wurde. Dem Aussehen und der Beschreibung nach könnte dieser Mann eine gewisse Ähnlichkeit mit Ben Jäger haben.


    Mit diesen Aussagen gab sich Semir nicht zufrieden. Er blieb hartnäckig und trieb seinen Freund aus früheren Tagen mit seinen Fragen in die Enge. „Wo finde ich die? Wie heißt der Kerl? Was weißt du über diese Gruppe?“
    In seinem Gegenüber flackerte die Angst in den Augen auf. Seine Stimme vibrierte vor Erregung. „Semir! … Semir! … Mit den Kerlen ist nicht zu spaßen. Nimm dich in Acht!“ Seine Hände, die auf dem Tisch lagen, zitterten. „Die „Contraente“ arbeiten für den Sizilianer. Es wird gemunkelt, nur mit den richtigen Verbindungen kommst du an die ran. Gegen Zahlung des passenden Geldbetrages erledigen die Dienstleistungen aller Art…. Den Namen von dem Kerl kennt keiner. Wegen seines Aussehens nennt man ihn nur den Araber! Und da wo der verkehrt, fragt man nicht nach Namen!“


    So sehr der Türke bei seinem älteren Freund auch nach bohrte, mehr Informationen bekam er nicht aus ihm heraus. Er schob ihm noch einen weiteren Geldschein über den Tisch, den dieser einsteckte, aufstand und wortlos verschwand.


    Daraufhin begann sich Semir in den Reihen seiner Kollegen, die gegen die organisierte Kriminalität ermittelten, umzuhören. Bei den Ermittlungsbehörden wusste keiner so recht, wer hinter dieser mysteriösen Bande steckte und mit wem die zusammen arbeiteten. Zumindest über den Clan des Sizilianers erfuhr er, dass deren Wirkungskreis sich nicht nur auf Köln beschränkte, sondern auch im Rotlichtmilieu des Großraum Düsseldorf lag.
    Es stachelte den Ehrgeiz des Türken, Ben zu finden, aufs Neue an. In ihm schwelte diese unterschwellige Angst, dass sein Freund wegen seiner Spielsucht endgültig auf die andere Seite des Gesetzes geriet oder bereits geraten war.
    Nachdem er ein mögliches Ziel vor Augen hatte, fing er an, ihn systematisch in den einschlägigen Kneipen, Bordellen und Glücksspielhöllen zu suchen, die dem sizilianischem Clan von Seiten seiner Kollegen zugeordnet wurden. In diesem Milieu war er teilweise am Rande der menschlichen Gesellschaft angelangt. Drogenhandel, Prostitution, illegales Glücksspiel und Schutzgelder, alles womit sich Geld verdienen ließ, gehörten hier zur Tagesordnung.
    Um mehr Zeit zum Suchen zu haben, nahm er sich die Nachmittage frei und fuhr abwechselnd in die Kölner und Düsseldorfer Innenstadt. Planmäßig besuchte er eine Kneipe nach der anderen und fragte nach Ben. … Nichts … Keine Spur…. Kein Hinweis … Nur Schweigen und Misstrauen begegneten ihm.

  • Es war eine lange Nacht gewesen. Auf dem Heimweg hatte Ben sich in einem Coffeeshop noch ein paar Croissants und einen Kaffee mitgenommen, die auf dem kleinen Tisch in seinem Zimmer auf ihn warteten. Die kleine Pension, in der er wohnte, lag auf halben Weg zwischen Köln und Düsseldorf in einer kleinen Ortschaft namens Burscheid. Das Zimmer war spartanisch eingerichtet, aber es war sauber.
    Der Dunkelhaarige stieg aus der Dusche und schlang sich ein Badetuch um die Hüften und trocknete sich mit einem weiteren Handtuch ab. Mit seinen gespreizten Fingern fuhr er sich durch seine feuchten Haare und betrachtete sich in dem halbblinden Spiegel. Die dunklen Strähnen waren mittlerweile definitiv zu lange, um sie zu wuscheln. Minutenlang starrte er sein Spiegelbild an. Das war er nicht selbst. Er kam sich selbst seltsam fremd vor und überlegte, ob er seinen Bart, der ihm bis zur Brust reichte, etwas kürzen sollte.
    Das Klingeln seines Handys riss ihn aus seinen trübsinnigen Gedanken. Mit müden Schritten tapste er zurück ins Zimmer und nahm das Gespräch an.
    „Ja!“, meldete er sich. Auf dem Display war Eriks Name gestanden.
    „Ich bin es!“, bekam er zu Antwort. „Wir haben ein Problem. Du musst sofort kommen!“
    „Fuck!“, entfuhr es ihm mürrisch. „Muss das sein? Ich bin müde und will einfach nur pennen!“
    „Tut mir leid mein Freund! Nicht am Telefon!“ Damit beendete Erik Hauser das Gespräch und machte Ben damit klar, dass er keinen Widerspruch duldete.


    Notgedrungen schlüpfte der Dunkelhaarige wieder in seine Jeans und streifte ein blaues Kapuzenshirt über. Nebenbei trank er schluckweise seinen Kaffee und vertilgte ein Croissant nach dem anderen. Anschließend machte er sich mit seinem alten Golf auf dem Weg zu der kleinen Kneipe in der Kölner Innenstadt, in deren Obergeschoss sich die Schaltzentrale von Eriks Organisation befand.
    Ben hatte so einen leisen Verdacht, was der Grund für Eriks alarmierenden Anruf gewesen sein könnte. In den letzten vierundzwanzig Stunden hatte Ben im Auftrag des sizilianischen Mafiaclans Schutzgelder einkassiert. Für die Zahlungsfreudigkeit der Kunden hatten zwei Muskelprotze gesorgt, die ihn begleitet hatten.
    Nach ungefähr vierzig Minuten Fahrzeit erreichte er sein Ziel in Köln. Der dunkelhaarige Ex-Polizist war hundemüde und wollte nur noch schlafen. Entsprechend übellaunig war er, als er durch den Seiteneingang das äußerlich heruntergekommene Gebäude betrat. Im ersten Stock und auch darüber, wo Erik wohnte, war alles auf dem neuesten Stand der Technik und modern eingerichtet.


    „Was gibt es?“ brummte er seinen neuen Freund gereizt an, der hinter seinem Schreibtisch saß und die Füße auf der Schreibtischplatte abgelegt hatte. „Ich wollte pennen! Du sagtest, ich habe bis morgen früh frei!“ Müde fuhr Ben sich über die Augen. Bei Eriks nächsten Satz war er auf einem Schlag hellwach. Das Adrenalin schoss ihm durch die Adern und sein Herzschlag beschleunigte sich.
    „Andrea, die rechte Hand des Sizilianers, ist vor einer Stunde dagewesen.“ Erik schürzte die Lippen und atmete deutlich hörbar aus, bevor er weiter sprach. „Die Abrechnung der vergangenen Woche stimmt nicht! Es fehlen fünftausend Euro!“
    Unterschlagung war ein harter Vorwurf. Die Mafiosi verstanden keinen Spaß, wenn sie sich über den Tisch gezogen fühlten. Im schlimmsten Fall könnte so etwas für Ben, als der verantwortliche Kassierer, sein Todesurteil bedeuten.
    „Zeig her!“ forderte Ben sein gegenüber auf, ihm die Unterlagen zu überreichen. „Ich habe diesmal extra alles selbst kassiert und Buch darüber geführt!“
    Aus seiner Hosentasche zog er ein kleines Notizbüchlein hervor, blätterte darin rum und ging die Liste Position für Position durch. Ben war völlig vertieft in seine Tätigkeit, drehte den Laptop zu sich herüber und verglich weiter Zahlen. Die Tastatur klapperte. Ein ums andere Mal zischte es zwischen seinen Lippen wütend. Ärgerlich runzelte sich seine Stirn und die Adern schwollen ihn an.
    „Fuck! Fuck …Diese miese kleine Drecksau!“ entfuhr es dem Dunkelhaarigen bitterböse, „ich glaube es nicht.“ Er blickte von seinem Laptop hoch in Eriks Gesicht, der ihn die komplette Zeit über interessiert beobachtet hatte. „Dieser kleine Spießer von einem Buchhalter hat uns alle die ganze Zeit verarscht.“
    Erik stand auf und umrundete den Schreibtisch. Aufmerksam schaute er auf die Namensliste und die vielen Zahlenkolonnen dahinter, die auf dem Bildschirm angezeigt wurden. Ben hatte einige Namen und Zahlen mit unterschiedlichen Farben hervorgehoben.
    „Dieser Svensson schafft systematisch kleine Geldbeträge zur Seite. Der Typ ist frech und durchtrieben. Der lässt es so aussehen, als wären wir es gewesen. … Da überzeuge dich selbst!“ forderte er seinen Kumpel auf, sich neben ihn zu hinzusetzen und die Tabellen und Zahlen zu begutachten und zu vergleichen. Er klickte dabei mit der Maus auf dem Bildschirm herum.
    „Das sind nur die Schutzgeldeinnahmen der letzten Wochen, die ich mit kassiert habe. Da … das sind die Einnahmen laut meinen Aufzeichnungen … das sind die Einnahmen von Calderones Buchhalter … alles klar!“
    „Dafür hast du dir einen Extra-Bonus verdient Ben!“ Anerkennend klopfte Erik dem Ex-Polizisten auf die Schulter.
    Die Beweislage war eindeutig. Ben speicherte die Daten auf einem USB Stick und steckte ihn in seine Hosentasche.
    Währenddessen war Erik aufgestanden und blickte in Gedanken versunken zum Fenster hinaus auf die Straße. Dann ging ein Ruck durch dessen Körper. Er fischte sein Handy aus der Hosentasche und wanderte unruhig durch das Büro.
    Ben schenkte sich in ein Glas zwei Finger hoch Whiskey ein, die auf dem Schreibtisch bereit standen und trank es in einem Zug leer. Den missbilligenden Blick von Erik ignorierte er einfach und genehmigte sich noch einen weiteren Drink. Anschließend lümmelte er sich auf das gemütliche Sofa in Eriks Büro und lauschte interessiert den teilweise hektisch geführten Telefongesprächen seines Freundes.
    Das Kartell hatte seinerseits den Buchhalter seit längerem in Verdacht gehabt, Gelder zu unterschlagen und Eriks Bande hatte die notwendigen Beweise geliefert. Der Sizilianer beauftragte Erik aus dem Buchhalter ein Geständnis heraus zu pressen und die Information über den Verbleib des unterschlagenen Geldes in Erfahrung bringen. Danach sollte der Typ spurlos verschwinden.
    Rico und Timo Falkner, zwei Brüder, die ebenfalls zu Eriks Organisation gehörten, wurden beauftragt den Buchhalter abzuholen und hierher zu Eriks Hauptquartier zu bringen. Neben Erik sollte auch Ben bei der Befragung dabei sein.
    Mit geschlossenen Augen lag Ben da. Für einen Ausstehenden sah es so aus, als würde er schlafen. Doch das täuschte. Hinter seiner Stirn arbeitete es fieberhaft. Ihm war vollkommen klar, welcher Teil bei der Beseitigung des Buchhalters ihm zu fallen würde. In den vergangenen Wochen musste er mehr als einmal handgreiflich werden, um seine Position innerhalb der Organisation zu festigen. Die eine oder andere blutige Schramme, die er bei diesen Kämpfen davongetragen hatte, zierte als Narbe seinen Körper. Es galt das Gesetz der Straße: Nur der Stärkere überlebt, der Schwache geht unter. Wenn er kneifen würde, würde es ebenfalls sein Todesurteil bedeuten.

  • Mit müden Schritten stieg Semir die Treppe hinunter in die Küche und hauchte seiner Frau einen Kuss auf die Wange. „Morgen Schatz!“, murmelte er.
    „Ist gestern wieder spät geworden!“, gab seine Frau als Antwort zurück und drückte ihm eine Tasse mit dampfenden Kaffee in die Hand.
    „Ja! Es ist wie verhext. Man könnte meinen, Ben ist wie vom Erdboden verschluckt.“ Semir lehnte sich an die Anrichte in der Küche, schlürfte von dem heißen Getränk und beobachtete seine Frau, wie sie das Frühstück für Aida und Lilly vorbereitete. Die beiden Mädels waren noch im Badezimmer. Ihr Geplapper und Gekicher drang bis in die Küche. Es versetzte Semir einen kleinen Stich ins Herz, als er daran dachte, wie wenig Zeit er mit seinen Töchtern momentan verbrachte.
    Eine halbe Stunde später saß er in seinem Dienstwagen und befand sich auf der Fahrt zur Dienststelle. Während der Fahrt schwirrten ihm tausend Dinge durch den Kopf. Die Blätter der Bäume färbten sich bunt. Der Herbst hatte mit feuchtem Schmuddelwetter und ersten Nachtfrösten Einzug gehalten. Der Wandel der Jahreszeit war wie ein Spiegelbild für die Zeit, die verstrichen war, seit sein Freund verschollen war. Er vermisste Ben, seinen Humor, seine Sprüche, sein herzliches Lachen, es war als hätte man ein Stück aus seiner Seele herausgebrochen. Diese Wunde wollte einfach nicht heilen.
    Selbst sein letzter Funken Hoffnung, seinen Freund und ehemaligen Kollegen zu finden, erlosch kläglich. Aladin hatte ihm Hinweise geliefert, dass dieser sogenannte „Araber“ sich in Köln Porz aufhalten würde. Daraufhin hatte der Türke seine Suche auf diesen Stadtteil verlagert. Wie besessen hatte er systematisch alle kleinen Glücksspielhöllen, Sky-Kneipen und sonstigen Kneipen, die es in der beschriebenen Gegend gab, abgeklappert. Hatte er dem Personal ein Foto von Ben gezeigt, hatte er ein Schütteln des Kopfes geerntet. Hatte er ihnen Fragen wegen dieses Phantomwesen „den Araber“ gestellt, hatten sich alle in Schweigen gehüllt. Mehr als einem Kneipenbesitzer war die Angst ins Gesicht geschrieben gestanden. Heute Nachmittag wollte er sich den letzten verbliebenen Straßenzug vornehmen. Vielleicht würde er es schaffen, dass ihm die Krüger erlaubte, einige Überstunden abzufeiern. Kaum hatte er die Dienststelle betreten, wurde er von Frau Krüger in ihr Büro gebeten.
    „Guten Morgen Herr Gerkan, setzen sie sich doch bitte. Ich muss dringend etwas mit ihnen besprechen!“
    Semir blickte in das Gesicht seiner Chefin. Ihm entgingen nicht die dunklen Ringe unter ihren Augen. Seit Bens Entlassung glich ihr Gesicht einer eisernen Maske. Undurchdringlich … undurchsichtig … wie um Jahre gealtert. Auch wenn sie es niemals zugeben würde, schien die Entlassung von Ben aus dem Polizeidienst auch bei ihr Spuren hinterlassen zu haben. Sie räusperte sich und begann vor dem Türken drei Akten aufzulegen.
    „Unsere Vorgesetzten sind der Meinung, es wird langsam Zeit, dass sie wieder einen neuen Partner bekommen. Hier sind mögliche Kandidaten.“ Sie deutete dabei auf die Personalakten, die zwischen ihr und dem Kommissar auf dem Schreibtisch lagen. Ihre Stimme klang merkwürdig tonlos und ihr Gesicht verlor auch noch den letzten Hauch von Farbe. Der Pulsschlag von Semir beschleunigte sich bei dieser Aussage.
    Er schnappte erst einmal nach Luft und polterte los.
    „Das ist doch nicht ihr Ernst Frau Krüger!“ Er merkte, wie ihn das Blut vor Zorn ins Gesicht schoss.
    „Doch Gerkan! Bei allem Verständnis … und glauben sie mir, ich verstehe sie wirklich besser, als sie denken.“ Sie biss sich auf die Lippen bevor sie mit Ausführungen fortfuhr. „Jedoch haben das weder sie, noch ich zu entscheiden. Ben Jäger ist aus dem Polizeidienst ausgeschieden. Auf dieser Dienststelle ist eine Planstelle für einen Hauptkommissar frei. Nennen sie mir einen triftigen Grund für unsere vorgesetzte Behörde, warum ich sie alleine weiter Dienst schieben lassen soll! Das müssen sie doch verstehen!“
    „Nein! … Nein! … und nochmals nein!“, gab er wütend zurück. Er hatte sich zwischenzeitlich von seinem Stuhl erhoben und hämmerte bei jedem „Nein“ mit der Faust auf die Schreibtischplatte. „Das können sie nicht machen! … Das könnte ihr mit mir nicht machen. Niemand kann Ben ersetzen! … Niemand!“
    „Ich kann es nicht ändern!“
    Der Schock saß tief bei Semir. Hatte diese Entscheidung seiner Vorgesetzten doch so etwas Endgültiges. Seine Stimme bekam einen merkwürdigen Klang. „Was bilden sie die da oben ein Frau Krüger? Ich lege in meinem Kopf einfach einen Schalter um und mein Partner Ben Jäger gehört der Vergangenheit an?“ Unwillig schüttelt er den Kopf.
    „Selbst wenn sie sich wie ein trotziges Kind dagegen auflehnen, sie werden es nicht ändern können Gerkan!“, versuchte Kim ihn zu überzeugen. „Jäger wurde durch sein eigenes Verschulden aus dem Polizeidienst entlassen. Was bei dem schwebenden Strafverfahren heraus kommt, ob Herr Jäger eine Bewährungsstrafe bekommt oder gar ins Gefängnis muss … ich kann es nicht voraussagen!“
    Mit hängenden Schultern stand Semir da und begann zu resignieren. Er wusste, so sehr er sich auch gegen einen neuen Partner wehrte, er würde einen bekommen.
    „Krieg ich den Rest des Tages frei? … Überstunden abbauen? Ich brauche dringend eine Luftveränderung und ein bisschen Zeit für meine Familie!“
    Kim Krüger nickte zustimmend und der Türke verließ fast schon fluchtartig ihr Büro und die Dienststelle. Draußen stieg er in seinem aktuellen Dienstwagen, einen silbernen Skoda und brauste mit Vollgas vom Hof an das andere Ende von Köln.
    Semir war bei seinem letzten Ziel bei seiner Suche angelangt. In einer kleinen Bäckerei trank er einen Kaffee und beobachtete von dem Stehtisch aus das Treiben auf den Gehwegen und der Straße. Gegenüber in dem heruntergekommenen Gebäude befand sich eine Kneipe, die er zuletzt aufgesucht hatte. Wie all die Tage zuvor, erhielt er auf seine Fragen keine Antworten. In dem überfüllten Raum hatten sich grölende Fußballanhänger auf dem überdimensionierten Flat Screen ein Bundesligaspiel des 1. FC Köln angeschaut. Da die Kölner Mannschaft bereits mit drei Toren führte, war die Stimmung ausgelassen. Die Fußballfans luden Semir zum Mitfeiern ein, doch dem war nach den Ereignissen des heutigen Morgen und der vergangenen Wochen überhaupt nicht danach. Fluchtartig hatte er die Kneipe verlassen.
    Nun stand er in der kleinen Bäckerei, vor ihm auf dem Stehtisch stand eine Tasse Espresso. Er vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Nur am Rande nahm er durch den anschwellenden Geräuschpegel wahr, dass die Fußballfans die Kneipe verlassen hatten und singend und feiernd die Straße entlang zogen. Die Zeit ließ sich einfach nicht anhalten. Gerade diese feiernden Fans machten ihm klar, das Leben dort draußen ging weiter. Wie sollte er denn jemanden finden, der nicht gefunden werden wollte? Wie? Mit einem Aufseufzen beschloss er für sich, aus und vorbei! Vielleicht hatte seine Chefin heute Morgen Recht gehabt, es wäre es wohl an der Zeit die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Schon allein bei diesem Gedanken blutete seine Seele, blutete sein Herz.
    Mit müden Schritten verließ Semir die Bäckerei und schlurfte zu seinen geparkten Skoda. Gewohnheitsgemäß sondierte er seine Umgebung, bevor er einstieg. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite waren die grölenden Fußballfans verschwunden. Es dämmerte schon, der Tag ging langsam zur Neige. Etwas erregte dennoch seine Aufmerksamkeit.
    Vier Männer, die ihre Gesichter durch Kapuzenpullover oder Baseball-Caps verbargen, hielten einen schmächtigen, blonden Mann fest. Gemeinsam verließen sie ein heruntergekommenes Backsteinhaus, in dessen Erdgeschoss die Sky-Kneipe untergebracht war.
    Semir konnte klar erkennen, dass der Blonde nicht freiwillig mitkam, er versuchte sich immer wieder dem Klammergriff seines Bedrängers zu entziehen. Sein Blick fiel auf den offensichtlichen Täter, dessen Kapuzenshirt das Gesicht verbarg. Nur der dichte, dunkle Vollbart war erkennbar. Sein Atem stockte … die Person, die Statur … die Art sich zu bewegen, sie kam ihm so vertraut vor … Ben?

  • In letzter Sekunde konnte der Türke sich zusammenreißen, um nicht ganz laut Bens Namen zu rufen. Ja, von einer Sekunde zur anderen war er sich vollkommen sicher, der Mann dort drüben ist Ben. Der kleine Polizist stöhnte gequält auf, als er seinen ehemaligen Partner genauer betrachtete … seine zerschlissene Kleidung … sein Aussehen … Was war nur mit ihm passiert?
    Er unterdrückte erneut den Impuls, einfach über die Straße zu rennen und ihn anzusprechen. Sein Instinkt warnte ihn.


    Das Opfer wurde in einen dunklen Chrysler, einen Familien Van, gedrängt. Ben stieg alleine in seinen dahinter geparkten alten blauen Golf ein. Das Auto sah genauso heruntergekommen aus wie sein Fahrer. Die Scheiben des Vans waren abgedunkelt, so dass man von außen nicht erkennen konnte, was darin geschah.
    Kurz entschlossen verfolgte er mit seinem Wagen den Chrysler. Während der Fahrt rief er Susanne über Funk an und bat sie, unauffällig über das Kennzeichen Informationen zum Halter rauszufinden.
    Die Fahrt führte über die Stadtautobahn in den Kölner Norden und endete in einem verwahrlosten Wohngebiet. Die meisten Wohnhäuser sahen unbewohnt aus. Die Farbe an den Fassaden war abgeblättert oder übergroße Graffiti-Zeichnungen zierten die Häuserwände. Viele Fensterscheiben waren eingeschlagen. Auf den Gehwegen oder vor den Häusern lag überall Schutt und Unrat herum. Die Gegend sah nicht sehr vertrauenserweckend aus. Kein Mensch war zu sehen. Nur hier und da brannte noch vereinzelt eine Straßenlaterne.
    Semir vergrößerte den Abstand zu den verfolgten Fahrzeugen und schaltete vorsichtshalber die Scheinwerfer seines Skodas aus. Er wollte um jeden Preis verhindern, dass die Verfolgten ihn vorzeitig entdeckten. Fast von ihm unbemerkt, bogen die beiden Autos in einem verwilderten Hinterhof ab. Semir sondierte seine Umgebung und überlegte fieberhaft, wo er seinen Skoda unauffällig parken könnte. Langsam ließ er das Auto weiter rollen und entschloss sich, sein Fahrzeug in einer Parallelstraße zum Grundstück abzustellen. Als er die Autotür öffnete schlug ihm der bestialische Gestank von menschlichen Hinterlassenschaften entgegen. Im Schutz der Dunkelheit und des Häuserschattens näherte er sich dem Hinterhof an. Seine Augen hatten sich zwischenzeitlich an die diffusen Lichtverhältnisse gewöhnt. Er drückte seinen Rücken gegen die Backsteinmauer, als er durch die schmale Zufahrt schlich. Seine Dienstwaffe hatte er sicherheitshalber in der Hand. Soweit er erkennen konnte, hatten die Gebäude früher einmal eine Werkstatt oder einen Handwerksbetrieb beheimatet. Überall lagen Schutthaufen herum, zwischen denen das Unkraut wucherte. Kleine mannshohe Bäumchen reckten sich dem Nachthimmel entgegen. Bedächtig setzte er einen Fuß vor den anderen, immer drauf bedacht, keinen Lärm zu verursachen und gleichzeitig misstrauisch seine Umgebung im Visier haltend. Wo waren die nur abgeblieben?
    Im hinteren Teil des Hofes entdeckte er einen schwachen Lichtschein, der aus einer Fensteröffnung fiel. So sehr Semir auch suchte, er konnte in der Dunkelheit nicht erkennen, wo sich der Eingang zu dem Gebäude, das einer Halle glich, befand. Also blieb ihm nur die Möglichkeit über das Fenster zu erfahren, was im inneren des baufälligen Gebäudes geschah.
    Als er sich näherte, hörte er Stimmen. Unterhalb der Fensteröffnung blieb er stehen und lauschte angespannt. … Ja, das war Bens Stimme … Eindeutig! Es waren Wortfetzen, die zu ihm durchdrangen. Er verstand immer etwas von Geld. Eine ihm unbekannte Männerstimme fragte nach verschwundenem Geld. … Ein Mann wurde geschlagen … sein Stöhnen, seine Schmerzlaute waren deutlich zu hören … Warum unternahm Ben nichts? Es war doch nicht seine Art, zu zuschauen, wenn ein Wehrloser geschlagen wurde.
    Wieder einmal verfluchte der Türke seine Körpergröße. Das Fenster schien unerreichbar hoch zu sein, selbst wenn er sich auf die Zehenspitzen stellte, konnte er mit seinen Fingerspitzen die Fensterbank nicht erreichen. Er suchte in seiner Umgebung nach einem passenden Gegenstand, der die Höhendifferenz ausglich. Zu seinem Glück wurde er bald fündig und er konnte endlich einen Blick ins Innere der Fabrik werfen und beobachten, was sich dort abspielte.
    Von der Decke hing eine Glühbirne herab, die an einem losen Kabel baumelte und mit ihrem kümmerlichen Licht den Raum ausleuchtete. Als er die Situation in vollem Umfang erfasst hatte, stockte ihm der Atem.
    Einer der vier Männer war tatsächlich Ben. Doch wie sah er aus? Blankes Entsetzen machte sich in Semir breit. Die braunen Haare, die sonst wuschelig nach allen Seiten abstanden, waren schulterlang und einfach nach hinten gekämmt. Durch das Haargel wirkten sie noch dunkler, als sie von Natur aus waren. Sein ehemaliger Drei-Tage-Bart war zu einem wuchernden Monster mutiert, das bis zur Brust reichte. Um seine Augen lagen dunkle Ringe und er sah völlig übernächtigt aus. Bei diesem Anblick war auch Semir klar, woher der Name „Der Araber“ kam und wer damit gemeint war. Ben. War das noch der Mann, den er früher einmal gekannt hatte?
    Bei der schummrigen Beleuchtung wirkte alles nur noch unrealer. Ben hielt eine Waffe in der Hand, die er auf einen blonden Mann richtete. Dem stand die Todesangst ins Gesicht geschrieben. Die Spuren der Misshandlung waren unübersehbar. Dessen Körper zitterte … er krümmte sich am Boden liegend vor Schmerzen … die aufgeplatzte Lippe … Blut rann ihm im Mundwinkel herunter.
    Mit weit aufgerissenen Augen starrte das Opfer auf Ben. Seine Augen flehten förmlich um Gnade. Tränen liefen dem Mann über die Wangen. Er winselte leise vor sich hin, bettelte um sein Leben. Doch die Männer, die vor dem Blonden standen, kannten keine Gnade.
    Einer der Männer, scheinbar der Anführer, schaute zu Ben.
    „Jetzt kommt dein Part Ben, du weißt, was du zu tun hast. Hier, kannst auch die Waffe haben, die ist nicht registriert!“
    Ben schüttelte den Kopf.
    „Nein, nein, ich verlasse mich lieber auf meine Pistole!“
    Bens Gesicht war, wie zu einer Maske erstarrt. Ein Augenblick schien es, als zögerte er.
    „Wenn du das machst Ben, gehörst du endgültig zu uns!“ stellte Erik, der hinter ihm stand, fest.
    Ein Ruck ging durch Bens Körper. Er wandte sich zu dem blonden Mann zu, hob seine Waffe und drückte ab.

  • Semir, der all dies beobachtet hatte, stockte der Atem. Fassungslosigkeit legte sich wie eine Kette um seinen Hals … bleischwer … würgte ihn, sein Puls raste in ungeahnte Dimensionen. Er hatte das Gefühl alles drehte sich um ihn herum und ihm wurde schwindlig. Er konnte einfach nicht glauben, was er gerade eben beobachtet hatte.
    Sein Partner, sein Freund, sein Bruder …. Er war vor seinen Augen zum Mörder geworden. Seine Knie gaben nach, im letzten Moment konnte er einen Sturz von der Kiste verhindern und glitt an der Backsteinmauer entlang nach unten. Er stützte sich mit seinen Händen an der Mauer ab. Übelkeit stieg in ihm hoch und der Inhalt seines Magens bahnte sich einen Weg ins Freie. Keuchend setzte er sich erst mal auf die Holzkiste. Zurück blieb in seinem Mund ein übler Geschmack. Tränen des Entsetzens und der Enttäuschung liefen ihm über die Wangen. Sein Körper bebte und zitterte und gleichzeitig brach ihm kalter Schweiß aus. Schwer atmend verharrte er vornübergebeugt in seiner sitzenden Position. Sein Verstand weigerte sich einfach, diese Wahrheit, Ben Jäger ist zu einem kaltblütigen Mörder geworden, zu erfassen. Zu sehr war er in seinen Grundfesten erschüttert worden.
    Der kleine Türke war einfach nicht fähig irgendetwas zu unternehmen. Er war durch den Schock wie gelähmt, Sekunden verrannen und wurden zu endlosen Minuten.
    Aus den Augenwinkeln konnte er gerade noch beobachten, wie der Van wegfuhr. Einige Minuten später durchfuhr der blaue Golf die enge Durchfahrt zum Hinterhof. Semir wusste nicht zu sagen, wie lange es dauerte, bis er zur Besinnung kam, fähig war, wieder einen klaren Gedanken zu fassen.
    Er beschloss als erstes Frau Krüger anzurufen, um ihr zu berichten, was geschehen war. Mit zitternden Fingern fischte er sein Handy aus der Hosentasche und wählte ihre Nummer.
    Seine Chefin schien genauso sprachlos zu sein wie er selbst. Als er mit seinem Bericht geendet hatte, herrschte am Ende der Leitung einfach nur Schweigen.
    Sie räusperte sich. Mit einer merkwürdig klingenden Stimme befahl sie ihrem Kommissar: „Bleiben sie, wo sie sind Gerkan. Unternehmen sie nichts auf eigene Faust! Ich komme mit Hartmut und der Spurensicherung!“
    Semir wollte sich selbst überzeugen, dass der blonde Mann tot war. Noch einmal erklomm er die Kiste und schaute durchs Fenster. Mit Hilfe seiner kleinen Taschenlampe leuchtete er das Innere des Raumes aus. Im Schein des Lichtkegels stellte er fest, dass die Leiche verschwunden war. Nur noch der dunkle Fleck einer Blutlache auf dem staubigen Boden zeugte davon, dass hier ein Mord stattgefunden hatte.


    ****
    Eine Stunde später wimmelte es auf dem Gelände von Einsatzkräften. Das flackernde Blaulicht der Fahrzeuge spiegelte sich an den Wänden des Hinterhofes wieder. Übergroße Scheinwerfer leuchteten den mutmaßlichen Tatort aus. Die Beamten der Spurensicherung in ihren weißen Overalls sicherten unter Hartmuts Leitung die vorhandenen Spuren. Weder Hartmut noch seine Kollegen konnten Aufschlüsse über den Verbleib der Leiche geben. Ben schien sie weggebracht zu haben.


    Der Türke saß auf dem Beifahrersitz eines Streifenwagens. Ein hilfsbereiter Kollege hatte ihm eine Flasche Wasser gegeben. Er starrte einfach vor sich hin. Der Schock saß tief drinnen in Semir. Alles woran er geglaubt hatte, … sein Bruder … sein Freund… seine Prinzipien … seine Werte … waren in einem Augenblick zerstört worden. Es wollte einfach nicht in seinen Kopf hinein, wie konnte man sich so in einem Menschen täuschen. Was war geschehen, dass ein Mensch wie Ben Jäger zu einem eiskalten Killer werden konnte. Er verstand es einfach nicht.


    Selbst Frau Krüger kam ihm merkwürdig ruhig vor. Kreidebleich stand sie neben ihrem Fahrzeug und beobachtete die Szene. Auch sie schien geschockt zu sein, so wie alle anderen anwesenden Kollegen. Kurz bevor alle abrückten kam die Chefin nochmals auf Semir zu. Ihre Schultern hingen nach unten.
    „Verstehen sie das unter abfeiern von Überstunden Herr Gerkan?“ warf sie ihm vorwurfsvoll an den Kopf, „Mir erzählen Sie die ganze Zeit, dass ihre Familie sie braucht! Und dann das hier! Dieser Alleingang! … Ihre Frau hat vor drei Stunden voller Sorge im Büro angerufen! Sie weiß nicht wo sie sind? Sie gehen nicht an ihr Handy! Sie macht sich Sorgen!“ Kim hielt einen Moment inne und schien sich zu sammeln. Sie schürzte ihre Lippen und verschränkte ihre Arme „Gehen Sie nach Hause, machen sie Feierabend. Ich kümmere mich selbst um die weiteren Ermittlungen!“
    Bevor Semir zu einer Erwiderung ansetzen konnte, hatte sie sich umgedreht und stapfte zu ihrem Dienstwagen. Er beobachtete, wie sie mit ihrem Handy hektisch telefonierte, einstieg und wegfuhr.
    Er beschloss nach Hause zu fahren … zu seiner Familie.
    Auf der Fahrt hämmerten seine Gedanken wie wild auf ihn ein. Sein Kopf schmerzte. Dieses Bild, wie Ben einfach den Abzug seiner Waffe durchzog und die Kugel in das Opfer einschlug, hatte sich förmlich in sein Gehirn eingebrannt. Sein Verstand sagte ihm, es war keine Illusion gewesen sondern die Wahrheit. Er schrie verzweifelt im Auto auf. „Warum Ben? Warum hast du das gemacht? … Warum?“
    Diese Wahrheit, wie sollte er das Andrea beibringen … den Kindern … Aida … plötzlich tanzten die Bilder vom letzten gemeinsamen Abend vor seinen Augen … Ben spielte ausgelassen mit den Kindern im Garten … mit ihrem Onkel Ben … und jetzt aus und vorbei … bei dieser Vorstellung liefen ihm die Tränen über die Wangen.
    Zu Hause erwartete ihn Andrea im Wohnzimmer. Er wankte fast wie in Trance auf seine Frau zu, die ihm entgegen kam.
    „Was ist passiert Semir?“ Er biss sich auf die Lippen und brachte keinen Ton heraus. „Ben?“, wisperte sie. Was er mit einem Kopfnicken beantwortete. Er umfasste ihre Oberarme und drückte sie sanft in Richtung des Sofas. Als sie saßen, umschlang er mit seinen Händen die ihren und begann anfangs stockend, nach Worten ringend, zu erzählen.
    Mit jedem Wort, mit jedem Satz wich die Farbe mehr und mehr aus Andreas Gesicht. Sie schüttelte ungläubig den Kopf. „Nein Semir, du musst dich getäuscht haben. … Doch nicht Ben! … Er würde so etwas niemals tun!“ Es klang wie ein gequälter Aufschrei. “ Ihre Augen wurden feucht und Tränen liefen ihr über die Wangen. Semir zog seine Frau zu sich heran und strich ihr über den Rücken. Mit belegter Stimme murmelte er, „Es war Ben. … Ich habe keinen Zweifel daran.“
    „Nein Semir, nein … das kann einfach nicht sein!“, schluchzte sie leise vor sich hin.
    „Ich muss wissen, was mit ihm passiert ist. Ihn finden, koste es, was wollte? … Verstehst du mich mein Schatz?“ gab er genauso gequält zurück.

  • Am darauf folgenden Morgen stapfte Semir zu Dienstbeginn, sofort nachdem er die PAST betreten hatte, in das Büro von Frau Krüger. Er blickte weder nach links oder nach rechts, erwiderte die Grüße seiner Kollegen nur knapp. Der Türke hatte die gesamte Nacht nicht schlafen können. Sobald er seine Augen geschlossen hatte, verfolgten ihn in seinen Träumen die Beobachtungen in der alten Lagerhalle … der Mord … Ben, sein ehemaliger bester Freund, ein Mörder? … Seine Gedanken drehten sich im Kreis und trieben ihn an den Rand des Wahnsinns.
    Der Kommissar konnte die Krüger und ihre Handlungsweise in der vergangenen Nacht nicht verstehen. Ihre Anschuldigungen! Was war nur in seine Chefin gefahren? Sie schuldete ihm eine Erklärung. Ohne Anzuklopfen riss er die Tür zu ihrem Büro auf und erstarrte, ihr Stuhl war leer. Die Chefin saß nicht an ihrem gewohnten Platz.
    Innerlich vor Zorn kochend, stampfte er auf Susannes Schreibtisch zu, baute sich vor ihr auf und blaffte sie an „Wo ist die Krüger? Auf ihrem Handy ist sie nicht erreichbar, das habe ich schon unzählige Male probiert!“ Seine Lederjacke, die er in der Hand hielt, knallte er auf die Schreibtischplatte.
    Susanne ignorierte dies, blickte von ihrem Bildschirm auf und so ruhig wie möglich erwiderte sie ihm: „Guten Morgen Semir! Die Chefin hat heute Vormittag frei. Sie wollte etwas Privates erledigen und so gegen 12.00 h oder spätestens zu Beginn der Spätschicht wollte sie hier sein.“
    Der Kommissar überlegte und fuhr sich mit der Hand nachdenklich über das Gesicht.
    „Kannst du ihren Dienstwagen orten?“
    „Semir was soll das? …. Ja kann ich den Wagen orten! Er steht vor ihrem Wohnhaus!“
    Ohne ein weiteres Wort schnappte sich der kleine Türke seine Lederjacke, eilte aus der PAST und fuhr mit quietschenden Reifen vom Parkplatz.


    Er parkte seinen silbernen Skoda in der Auffahrt zu Kim Krügers Anwesen. Auf sein ungestümes Klingeln an der Haustür erfolgte keine Reaktion. Er hämmerte mit seinen Fäusten gegen die Eingangstür, doch im inneren des Hauses rührte sich nichts. Der Türke umrundete das Haus und blickte durch verschiedene Fenster des Erdgeschosses ins Innere des Hauses. Nichts! Einen letzten Versuch startete er auf der Terrasse und schaute durch das große Wohnzimmerfenster ins Innere. Susanne hatte wohl recht gehabt. Frau Krüger war tatsächlich nicht daheim. Lautlos fluchte er vor sich hin.
    Sein nächster Weg führte ihn zurück zum Tatort der vergangenen Nacht. Doch selbst bei Tageslicht konnte er keine neuen Spuren oder Hinweise über den Verbleib der Leiche entdecken. Nachbarn, die er befragen konnte, gab es nicht. Ein paar Obdachlose beobachteten ihn. Sie standen im Kreis um eine alte Blechtonne, aus der Flammen züngelten und wärmten sich. Hier startete er einen letzten Versuch über dem heruntergekommenen Hinterhof und der darin befindlichen Werkstatt mit Lagerhalle etwas zu erfahren. Selbst der 50-Euro Schein in seinen Finger konnte das Schweigen der Männer durchbrechen.
    Sichtlich enttäuscht brach er die Befragung und die Suche ab. Bevor er noch etwas anderes unternehmen konnte, beorderte ihn ein Funkruf von Susanne zurück zur PAST.


    *****


    Furchtbarer Durst quälte ihn und weckte ihn auf. Seine Kehle fühlte sich wie ausgedörrt an. Ben zwang sich die Augen aufzuschlagen. Er lag bäuchlings auf seinem Bett in der billigen Pension. In seiner rechten Hand hielt er noch immer die leergetrunkene Whiskey-Flasche, die er sich auf dem Rückweg in einer Tankstelle besorgt hatte. Selbst der Alkohol hatte nicht geholfen, dieses furchtbare Gefühl in ihm zu ertränken, es aus seinen Gedanken zu vertreiben. Der fade Beigeschmack über die Ereignisse der vergangenen Nacht blieb.
    Mühsam erhob er sich aus dem Bett, der Boden drehte sich und er musste sich an der Wand abstützen, sonst wäre er einfach umgekippt. Sein Schädel drohte zu platzen und sein Magen rebellierte. Der Geschmack von bitterer Galle verbreitete sich in seinem Mund und erhöhte den Würgereiz noch mehr. Er stolperte mehr als er lief in das kleine Bad und übergab sich. Völlig erschöpft saß er mit geschlossenen Augen auf dem Fußboden neben der Toilette. Sein Herzschlag raste und kalter Schweiß stand auf seiner Stirn.
    Nach einigen Minuten hatte er sich soweit erholt, dass er sich erheben konnte. Er wankte zurück in sein Zimmer und suchte verzweifelt in einer Schublade nach der Packung mit den Kopfschmerztabletten. Er drückte zwei Stück aus der Blister-Packung und schluckte sie mit Hilfe eines Glas Wassers runter. Ben stützte sich mit seinen Händen auf der Oberfläche des Sideboards ab, starrte zum Fenster hinaus und sah doch nichts. Nach einigen Minuten fühlte er sich etwas besser. Er entkleidete sich, warf die blutbefleckte Kleidung achtlos in die Ecke. Mit schweren Schritten schlich er zurück ins kleine Badezimmer und stellte sich unter die Dusche. Er drehte den Kaltwasserhahn an der Duscharmatur auf und stellte sich unter den Wasserstrahl. Das Eiswasser prasselte auf seinen Rücken herab. Wie kleine Nadelstiche trafen die Wasserstrahlen seine Haut. Es half nichts, seine düsteren Gedanken ließen sich nicht vertreiben, das beschissene Gefühl blieb. Er schlang sich ein Badetuch um seine Hüften und betrachtete sich im Spiegel. Die letzten Wochen hatten ihn gezeichnet, Spuren in seinem Gesicht hinterlassen. Ben seufzte auf, warf sich auf sein Bett und starrte die Decke an. Sein Handy war ausgeschaltet, denn er brauchte Ruhe, um nachzudenken, über sich und seine Zukunft.

  • Beim Betreten des Großraumbüros erstarrte der kleine Türke. Neben dem Schreibtisch von Frau Krüger erspähte er einen Kollegen, den er als letztes hier sehen wollte: Herrn Hauptkommissar Bohm. Er konnte diesen Mann nicht ausstehen, seit er einmal in einem Mordfall gemeinsam mit ihm ermitteln musste. Es war schon ein Witz, auch damals richteten sich die Untersuchungen gegen Ben Jäger. Er ahnte schon den Grund für dessen Auftauchen auf der Dienststelle.


    „Du sollst sofort rein zur Chefin gehen!“, empfing ihn Susanne.
    „Seit wann ist dieser Vollpfosten denn schon da?“, erkundigte sich Semir und deutete auf den Leiter der Internen Ermittlungsabteilung.
    „Ungefähr eine Stunde! Er kam zeitgleich mit Frau Krüger hier an. Die warten auf dich.“ Sie umfasste das Handgelenk des Türken und hielt ihn einen Moment fest.
    „Pass auf Semir! Die Krüger ist geladen ohne Ende!“
    Semir nickte ihr dankend zu und versuchte sich auf dem kurzen Weg zum Büro seiner Chefin etwas innerlich zu beruhigen. Bohm öffnete ihm einladend die Tür und trat einen Schritt zur Seite.
    „Guten Tag, Herr Gerkan“, begrüßte Bohm ihn mit einem ironischen Unterton. „Schön, dass sie auch mal Zeit finden, zum Dienst zu erscheinen.“
    Semir ballte seine Fäuste in der Jackentasche und versuchte seine aufflammende Wut unter Kontrolle zu bringen.
    „Ist Streife fahren, kein Dienst mehr Herr Hauptkommissar B.o.h.m.!“ brummte er mehr als mürrisch zurück und buchstabierte den Namen seines Kollegen überdeutlich. „Ja schon klar, Sie als Sesselfurzer kennen ja so was nicht mehr!“, konterte er provozierend zurück.
    „Gerkan, mäßigen Sie sich!“ ermahnte ihn Kim Krüger, die hinter ihrem Schreibtisch saß und ziemlich angespannt aussah.
    Bohm schnaubte kurz ungehalten durch. Sein Gesicht hatte sich vor Ärger über Semirs Aussage leicht gerötet. „Halten Sie sich mit ihren Äußerungen zurück, Herr Gerkan, sonst fahren sie schneller in Uniform Streife, als sie sich es vorstellen können!“ drohte der Leiter der Internen Ermittlungsabteilung. Der ließ seine Worte auf den Türken wirken. Die beiden Männer fixierten einander mit ihren Blicken. Es war ein Machtspiel ohne Worte.
    „Meine Herren, bitte! Lassen sie uns das Ganze professionell über die Bühne bringen!“, appellierte Frau Krüger an die Vernunft der beiden Männer und stieß auf taube Ohren.
    Bohm wandte seine Aufmerksamkeit Kim zu und knurrte sie an: „Das Thema hatten wir schon Frau Krüger! Wenn auf ihrer Dienststelle professionell gearbeitet werden würde, würden die benötigten Zeugenaussagen bereits auf ihrem Schreibtisch liegen und ich müsste mich nicht selbst darum bemühen!“
    Semir sah, wie seine Chefin ihre Lippen schürzte und ihre Hände zu Fäusten ballte. Auch sie kämpfte darum, ihre Beherrschung nicht zu verlieren. Ihr Körper bebte. Doch er konnte sich nicht weiter darüber Gedanken machen, denn Bohm wandte sich wieder ihm zu.
    „Nun zu ihnen Herr Gerkan! Sie sollten mal lernen ihre Prioritäten bei der Arbeit richtig zu setzen. Ich benötige ihre Aussage bzw. das Protokoll bezüglich des Mordes, den Sie vergangene Nacht beobachtet haben. Als Täter hatten Sie ja bereits den ehemaligen Hauptkommissar Ben Jäger identifiziert. Ich erwarte sie in fünf Minuten im Verhörraum!“


    Die Befragung gestaltete sich als reinste Tortur für den Türken. Bohm trieb ihn mit seinen provokanten Fragen an die Grenze seiner Selbstbeherrschung. Das hämische Grinsen, das Bohm dabei aufsetzte, tat sein Übriges. Semir konnte fast spüren, welche Freude es dem Hauptkommissar bereitete, ihn nach allen Regeln der Kunst zu befragen. Er kam sich dabei nicht als Zeuge vor sondern eher als Hauptverdächtiger.
    „Passen sie nur auf sich auf Herr Gerkan, dass ihr ehemaliger Kollege Jäger nicht noch mehr auf sie abfärbt!“ Selbst bei der Verabschiedung probierte er mit diesen Sätzen den Autobahnpolizisten zu provozieren und zu einer unbedachten Handlung zu treiben.
    Voller Zorn und völlig verbittert, eilte Semir aus dem Büro und wartete auf dem Parkplatz bis der Leiter der Internen Ermittlung das Gebäude der PAST verlassen hatte. Wieder zurück an seinen Schreibtisch erwartete ihn die nächste Überraschung.


    Sein Schreibtisch war durchwühlt worden. Die graue Akte, die die Nachforschungen von Susanne über die Beweise gegen Ben enthalten hatte, war verschwunden. Ohne anzuklopfen, stürmte er aufgebracht in das Zimmer seiner Chefin und plötzlich brachen alle Emotionen aus ihm heraus. Sein hitziges türkisches Blut kochte in seinen Adern über. Mit geballten Fäusten stand er vor dem Schreibtisch. Sein Körper bebte vor Erregung.
    „Was soll das? Susanne erklärte mir, dass Bohm meine kompletten Unterlagen zu Ben mitgenommen hat!“ Er stützte sich mit seinen Händen auf der Schreibtischplatte ab und fixierte mit seinem Blick seine Chefin. Er glich dabei einem Tiger, der seine nächste Beute gestellt hatte. Entsprechend fauchte er sie an: „Ist das ihr Ernst, Frau Krüger?“ Er holte tief Luft, die Zornesadern an der Stirn schwollen bei ihm an. „Sie wollen mir MEINEN Fall wegnehmen. Das können Sie nicht.“, brüllte er außer sich vor Zorn die Leiterin der PAST an.
    Kim stand von ihrem Bürostuhl auf und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Trotzig schob sie ihre Unterlippe vor und erwiderte zischend. „War das denn jemals ihr Fall, Herr Gerkan? …. Sie führen seit Wochen heimlich hinter meinen Rücken Nachforschungen durch, verstoßen gegen Dienstvorschriften und jetzt? … Was erwarten Sie jetzt von mir, Herr Gerkan? Versetzen Sie sich einmal in meine Lage.“, gab sie weiter verbittert zurück. „Ich musste mich heute Morgen vor der Schrankmann und vorhin vor Bohm für ihren Alleingang rechtfertigen. Sie haben Bohms großen Auftritt selbst erlebt. Ihr Verhalten hat ihm voll in die Karten gespielt. Also wie hätte ich in ihren Augen verhindern sollen, dass er ihre Unterlagen mit der Zustimmung der Schrankmann beschlagnahmt? …. Bitte, sagen Sie es mir! … Wie?“ Ihr Tonfall wurde um einige Nuancen lauter und schärfer. Nun glich sie, einer in die Enge getriebene Raubkatze, die zum Angriff überging. „Sie kennen die Regeln. Gegen Ben ermittelt die Staatsanwaltschaft unter Leitung von Frau Dr. Schrankmann und die Interne Abteilung, in diesem Fall deren Chef, Herr Bohm, höchst persönlich. Sie sind Zeuge in einem Mordfall … und kein Ermittler mehr! Wir haben strikte Anweisung von oben, uns aus diesem Fall herauszuhalten!“
    Semir wollte erneut dagegen angehen, doch an dem Gesichtsausdruck von Frau Krüger, der einer Totenmaske glich, erkannte er, dass jede weitere Diskussion sinnlos war. Sie atmete mehrmals deutlich hörbar ein und aus, schritt um den Schreibtisch herum und blieb vor Semir stehen. Ihre Stimme wurde plötzlich sanfter: „Warum haben sie nicht einmal mit mir geredet, sich mir anvertraut? Glauben sie wirklich, ich weiß nicht, was in ihnen vorgeht? Wie sich fühlen?“
    „Ben war mein Partner, mein Freund und ich hatte das Gefühl, wir alle haben ihn im Stich gelassen. Ich konnte das nicht hinnehmen. Selbst sie hatten ihn doch nach den vorliegenden Indizien bereits verurteilt. Ich musste sicher sein, dass dies kein Komplott …. Kein Racheakt von irgendeinem rachsüchtigen Gangster war!“
    Frau Krüger nickte verstehend. „Trotzdem! Warum haben sie mir nicht vertraut? Mit mir geredet?“
    Semir schloss für einen Moment die Augen und überlegte, was er erwidern sollte. Im gleichen Augenblick war er ehrlich zu sich selbst, er wusste es nicht.
    Mit hängenden Schultern und ohne ein weiteres Wort verließ er das Büro seiner Chefin und trat den Rückzug in sein Büro an. Er setzte sich an seinen Schreibtisch, stützte die Ellbogen auf und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Sein Gehirn lief auf Hochtouren und entwickelte einen Plan. Er hatte ja noch die wichtigsten Notizen über seine Nachforschungen in seinem Dienstwagen liegen. Bohm hatte ja nur mehr oder weniger seine eigenen Beweise mitgenommen. Bei diesen Gedanken musste er unwillkürlich grinsen. Dieser Trottel!
    So sehr auch Bohm nachgebohrt hatte, ihn mit disziplinarischen Maßnahmen gedroht hatte, mit keiner Silbe hatte er während des Verhörs erwähnt, wo genau er Ben entdeckt hatte. Auch Frau Krüger gegenüber hatte er felsenfest behauptet, er hätte seinen ehemaligen Kollegen zufällig in Köln Kalk aus einer Spielhölle kommen sehen und ihn anschließend verfolgt. Die Adresse des heruntergekommenen Hauses mit der Kneipe im Erdgeschoss in Porz blieb sein Geheimnis. Seine Gedankengänge wanderten wieder zurück zu seinen ehemaligen Freund und Partner.
    Das Gefühl von Ben betrogen und hintergangen worden zu sein, wallte in ihm auf und gewann die Oberhand. Seine aufgestaute Wut richtete sich gegen seinen früheren Freund und er empfand etwas völlig neues: Hass! Hass auf Ben, für das was er ihm und seiner Familie angetan hat.
    Ja, er fühlte sich von seinem ehemaligen Partner mehr denn je verraten und verkauft. Koste es was es wollte, er wollte herausfinden, was mit Ben geschehen war. Ihn persönlich zur Rechenschaft ziehen, das war er sich selbst und auch seiner Familie schuldig.


    Nach Dienstschluss fuhr Semir zur Kneipe, wo er Ben entdeckt hatte und wartete geduldig. Er war sich sicher, dass er hier irgendwann wieder auftauchen würde. Aber es dauerte länger als er dachte...

  • Einige Tage später …
    Nach einer langen durchwachten Nacht brach ein neuer Tag an, als der bekannte Chrysler Van in die Straße einbog. Der dunkelhaarige Fahrer, der Bens neuer Freund zu sein schien, stieg aus und wartete. Unauffällig musterte der Dunkelhaarige die Gegend um die Kneipe. Semir duckte sich in seinem silbernen Renault und hoffte, dass der Typ ihn nicht entdeckt hatte.
    Einige Minuten später bog der alte blaue Golf GTI in die Straße ein und parkte hinter dem Van. Aus dem Fahrzeug stieg Ben aus. Der Fahrer des Chryslers und Ben begrüßten einander, als wären sie seit Jahren die besten Freunde. Der Anblick versetzte Semir einen Stich ins Herz und verletzte seine Seele.
    Gemeinsam verschwanden Ben und Erik in dem Hauseingang neben der Kneipe. Semir überlegte kurz, ob er ihnen folgen sollte. Aber ihm war klar, dass dies nicht unauffällig möglich war. Die andere Option war, Verstärkung rufen und Ben zusammen mit dem anderen Mitwisser zu verhaften.
    Nein … nein … diesen Triumpf wollte er Bohm nicht gönnen. Zu sehr brodelte sein Zorn und Hass in ihm auf Ben. Sein verletzter Stolz wollte eine Antwort haben.
    Was der kleine Türke zu diesem Zeitpunkt nicht ahnte, sein silberner Renault, den er zur Tarnung schon vor Tagen bei einer Autovermietung angemietet hatte, war dem Dunkelhaarigen bereits aufgefallen. Erik beobachtete ihn ebenfalls seit geraumer Zeit. Er war misstrauisch geworden, dass der Fahrer im Wagen sitzen blieb und fortwährend wie zufällig in Richtung des Hauses blickte und hatte seinerseits Nachforschungen angestellt.


    Nach etlichen Stunden des Wartens kam Ben alleine aus dem heruntergekommenen Gebäude und stieg in seinen blauen Golf ein. Kurz entschlossen, folgte Semir ihm. Er wollte rausfinden, was Ben plante. Ja klar, sollte sich die Gelegenheit ergeben, würde er seinen alten Partner zur Rede stellen. Er wollte Antworten haben, notfalls mit Gewalt. Erst dann wollte er ihn verhaften.
    Die Fahrt ging quer durch das Stadtgebiet von Köln in ein Industriegebiet am westlichen Stadtrand. Er erahnte das Ziel seines ehemaligen Kollegen, eine alte Ziegelei, die sie früher, als sie noch Partner zusammengearbeitet hatten, oft benutzt hatten, um sich heimlich mit Informanten zu treffen.
    Um nicht vorzeitig entdeckt zu werden, vergrößerte er den Abstand zwischen dem Golf und seinen Fahrzeug. Unmittelbar vor der Zufahrt zur Ziegelei parkte er seinen Wagen am Straßenrand, verdeckt durch einige Büsche und schlich sich vorsichtig auf das unwegsame Gelände.


    Zwischenzeitlich war Ben auf dem Gelände der alten Ziegelei angekommen. Als der junge Mann aus dem Auto ausgestiegen war, sondierte er unauffällig das Gelände und die Gebäude um sich herum. Irgendwie beschlich ihn ein unheimliches Gefühl… er fühlte sich beobachtet. Er konnte nichts Verdächtiges entdecken. Wahrscheinlich spielten ihm seine Nerven langsam einen Streich.
    Er schüttelte seinen Kopf und fuhr sich mit seinen gespreizten Fingern durch sein viel zu langes strähniges Haar. Langsam ging er auf das Holztor der alten Fabrikhalle zu. Genau in dem Moment als er die quietschende Tür aufzog, hörte eine Stimme, die er als letztes hier erwartet hätte…. Die er aus tausenden Stimmen heraus erkannt hätte …. Semir…. Ja, ….es war Semir….
    „Ben ergib dich! … Es ist vorbei!“


    Ben zuckte zusammen und blieb wie angewurzelt stehen. Er hatte das Gefühl, das Blut würde ihn in den Adern gefrieren. Verdammt, warum musste sein ehemaliger Partner ausgerechnet jetzt auftauchen?
    „Semir, bitte … lass das, verschwinde von hier und lass mich in Ruhe! …. Um unserer Freundschaft willen! … Bitte Semir, tue es einfach, mir zuliebe!“ flehte er förmlich den kleinen Türken an.
    „Freundschaft?“, völlig verbittert lachte der Türke auf. „Tut mir leid Ben! Nach dem was ich vor einigen Tagen gesehen habe, bleibt mir keine andere Möglichkeit mehr, als dich zu verhaften! Du bist ein eiskalter Mörder!“
    Aus Semirs Stimme ließen sich all seine Wut und Empörung heraushören und noch etwas, was Ben nicht erwartet hatte: Hass. Mit einem Schlag war ihm klar, für den Autobahnpolizisten war er ein gesuchter Killer.
    „So was wie DIR habe ich vertraut, einmal meinen Freund genannt! … Wirf deine Waffe weg, streck die Arme gen Himmel und dreh dich um!“
    Als diese Worte fielen, war Ben klar, hier gab es keine Nachsicht mehr. … Zeit! … Er brauchte Zeit! … Welchen Ausweg hatte er? Flucht, als letzten Ausweg? …. Fieberhaft überlegte er, wog die Möglichkeiten einer Flucht ab. Er musste irgendwie Zeit gewinnen.
    Ben riskierte alles, in dem Vertrauen darauf, dass Semir nicht auf ihn schießen würde …. Riss das Tor auf und sprintete los.


    Unbemerkt von Ben und Semir war noch ein Dritter auf dem Schauplatz aufgetaucht, Erik. Der dunkelhaarige Mann sah wie sein neuer Freund von einem kleinen Mann mit einer Schusswaffe bedroht wurde und beim Versuch zu flüchten, durch das Fabrikgelände gejagt wurde und beschloss Ben zu helfen. Er folgte den beiden so schnell es ging…

  • Es entbrannte eine wilde Verfolgungsjagd quer durch die Hallen des Fabrikgeländes der stillgelegten Ziegelei. Völlig außer Atem erreichte Ben wieder den Eingangsbereich der Halle und versuchte über eine Seitentür ins Freie zu gelangen. Die Tür war versperrt. Alles Rütteln half nichts … Ben seufzte verzweifelt auf und schrie seine Wut heraus „Fuck! …. Fuck! …Fuck!“ Er zog seine Waffe, um das Schloss aufzuschießen, um so ins Freie zu flüchten.


    Auch Semir erkannte im gleichen Augenblick, dass Ben in eine Sackgasse geraten war, aus der es kein Entkommen gab. Schweißgebadet konnte er so den Flüchtigen erneut stellen.


    „Ben… Es ist vorbei! … Aus und vorbei! … Dreh dich langsam um!“ forderte Semir energisch außer Atem, als sich sein Gegenüber langsam zu ihm umdrehte.


    Der kleine Türke erschrak fürchterlich, als er seinen ehemaligen Partner so nah, vor sich stehen sah. Beinahe hätte er ihn nicht wieder erkannt… er trug einen dichten Vollbart, seine Haare hingen strähnig, glanzlos von seinem Kopf herab… seine Kleidung… so ungepflegt und schmuddelig wie sein ganzes Erscheinungsbild… Semir glaubte ihn nicht wieder zu erkennen, was war nur aus ihm geworden? Einzig die Haltung seiner Waffe in der rechten Hand verlieh Ben den letzten Funken Eleganz… sie war noch ganz genauso wie damals… erinnerte ihn an damals …. Damals? Wie lange war das her?


    „Was ist nur aus dir geworden, Ben?“ schrie der Türke seinen ehemaligen Partner an. Seine Stimme vibrierte vor Verbitterung und Feindseligkeit. Das Gesicht war vor Zorn gerötet und verzerrt. „Schau dich doch mal an! Ein heruntergekommener Ex-Bulle! … Ein Spieler! … Du widerst mich an …“ Er spuckte verächtlich vor Ben auf den staubigen Boden der Halle. „Du hast alles verraten und verkauft, wofür du einmal eingestanden hast… Alles! … Du gehörst für mich zum menschlichen Abschaum. … Nur eines will noch vorher wissen, bevor ich dich Bohm übergebe? …. Warum zum Teufel hast du die Seiten gewechselt?“


    Ben antwortete nicht. Stillschweigend sah er seinem Gegenüber tief in die Augen. Jedes Wort seines ehemaligen Partners traf ihn in seiner Seele, versetzte ihm Stiche in seinem Herz.


    „Warum?... Sag mir warum?“ fauchte Semir seinen ehemaligen Partner an, der weiterhin schwieg. Es herrschte ein Moment der Stille. „Verdammt noch mal, mach endlich Mund auf Ben! … Oder ich prügle es aus dir heraus! … Warum? … Warum hast du den Mann erschossen! Erklär es mir endlich! … Warum bist du ein gottverdammter Verräter geworden? … Ein Mörder? …. Ich versteh es nicht!“ fügte Semir wutschnaubend hinzu. War er anfangs noch leise gewesen, brüllte er die letzten Worte hinaus, dass sie von den Wänden der Halle zurückhallten.


    „Semir… Bitte… Ich… Es ist nicht so wie du denkst!“ beschwor ihn Ben mit leiser Stimme, dunkle Ringe zeichneten sich unter seine Augen ab. „Bitte … Lass mich gehen… Bitte! … Vertraue mir! … Vertraue mir nur noch dieses eine Mal!“ flehte der hochgewachsene Mann nochmals seinen Freund an, traurig blickte er Semir dabei an.


    Der Ausdruck in seinen dunklen Augen, er traf Semir mitten ins Herz und dennoch ... „Ich … DIR … noch einmal vertrauen! … Niemals mehr! … Tut mir leid Ben…! Diese Zeiten sind endgültig vorbei!“ Semir schüttelte eigensinnig den Kopf. „Nein! … Ich bin Polizist, verstehst DU? … Ich kann dich nicht einfach laufen lassen… Du bist ein gesuchter Mörder! … Nimm deine Waffe runter, Ben! … Bitte zwinge mich nicht! … Ich will nicht auf dich schießen müssen!“


    Ben hob abwehrend die Hände in die Höhe, die entsicherte Waffe hielt er in seiner rechten Hand und entgegnete: „Es ist gut Semir… Das musst du nicht!“ Ein tiefes Seufzen entrang sich seiner Kehle. Der Dunkelhaarige gab entmutigt auf.


    Ben glaubte genug gekämpft zu haben, sein Kampf war zu Ende, seine Kraft war am Ende und diese unerwartete Begegnung mit Semir hier, gaben ihm den Rest … nur noch ein paar Minuten Zeit fehlten ihm … nur ein paar lausige Minuten … Seine Blicke irrten verzweifelt umher … und suchten etwas … er wartete auf etwas.


    Plötzlich tauchte, wie aus dem Nichts hinter einem Stoß alter Holzpaletten Erik in Semirs Rücken auf. Der Dunkelhaarige hielt eine Waffe im Anschlag und zielte damit auf den Türken, bereit den Abzug der Pistole durchzuziehen. Ein triumphierendes Grinsen lag auf Eriks Gesicht.


    In Bruchteilen von Sekunden erfasste Ben die verhängnisvolle Situation. Er konnte seinen ehemaligen Partner, der in seinen Augen immer noch sein bester Freund war, nicht warnen. …. Keine Chance …. Semir würde ihm niemals glauben ... ihm vertrauen … stattdessen eine Falle vermuten … Von einer Sekunde zur anderen wusste er, dass er handeln musste… dass er die Wahl hatte… sich entscheiden musste … und … Er traf sie: seine tödliche Entscheidung.


    Die Anspannung fiel von Semir ab, er war erleichtert, dass er nicht zum Äußersten greifen musste, um Ben zu stellen … war erleichtert, dass dieser aufgab, als er plötzlich… es war nur ein kurzer Moment … ein Wimpernschlag, indem er tief in Bens Augen ein Aufflackern sah, er glaubte Angst darin zu erkennen, Angst und Verzweiflung, als sich der Körper seines Gegenübers anspannte und Ben die Waffe erneut hochriss und in seine Richtung zielte.


    „Tut mir leid, Semir!“ hauchte er dabei. Traurig neigte sich Bens Blick, dann zog er den Abzug seiner Waffe durch und schoss …

  • Semir sah das Aufleuchten an Bens Waffenmündung. Reflexartig riss der türkische Kommissar seine Waffe hoch und drückte ab. Danach stand er wie erstarrt da und wartete, wartete darauf zu spüren, wie die Kugel seines Gegenübers auf seinen Körper traf, sich in sein Fleisch bohrte, sein Leben auslöschte. Er wartete auf den brennenden Schmerz, doch nichts geschah. Alles spielte sich innerhalb weniger Sekunden ab und dennoch fühlten sich diese wie eine Ewigkeit an. … Er sah mit an, wie Ben von seiner Kugel getroffen wurde, taumelte und wie in Zeitlupe zu Boden ging… getroffen von seiner Kugel… ein Anblick der Semir in dem Moment das Herz brach...


    Der dunkelhaarige, ehemalige Polizist riss die Augen vor Erstaunen weit auf, als dass Mündungsfeuer an Semirs Waffe aufblitzte. Ben ahnte, diese Kugel würde ihr Ziel finden und sein Ende bedeuten. Als er abdrückte, wusste er bereits, dass es wahrscheinlich seine letzte Handlung gewesen war.


    Voller Erleichterung verfolgte Ben, dass seine Kugel ihr Ziel erreicht hatte …. Sein Freund und Partner war in Sicherheit … gerettet …. Aida und Lilly würden ihren Vater behalten. Es war wie ein Tritt, ein furchtbarer Schlag gegen die Brust, den er verspürte. Eine seltsame Ruhe breitete sich in seinem Inneren aus, die etwas anderem wich. An der Stelle, wo sich die Kugel in seine Brust gebohrt hatte, fing es an zu brennen. Wie eine Feuerlohe breitete sich der Schmerz in seinem Brustkorb aus und raubte ihm fast den Atem. Seine Waffe entfiel seinen Händen. So sehr er sich auch bemühte aufrecht stehen zu bleiben, es gelang ihm einfach nicht. Langsam gaben seine Knie nach. Er hatte das Gefühl zu schweben und dann schlug er hart auf dem Boden auf.


    Im selben Augenblick, als der verletzte Körper seines ehemaligen Partners auf dem Boden aufkam, hörte Semir hinter sich ein Geräusch, es war wie das dumpfe Aufschlagen eines leblosen Körpers, kurz darauf das metallische Klappern einer Waffe.
    Vorsichtig drehte der kleine türkische Polizist sich um und erschrak bis ins Mark. Die Erkenntnis darüber was passiert war, brachte ihn schier um den Verstand.
    Über den Stapel Paletten lag die Leiche von Erik. In dessen Stirn befand sich ein kleines kreisrundes Loch, aus dem Blut sickerte. Neben ihm am Boden lag eine Schusswaffe.


    „Nein! … Nein! ….Nein… bitte nicht! … Oh mein Gott, bitte nicht! Das kann doch nicht wahr sein. …. Nein!“ brüllte er seine Not heraus. Seine Worte der Hilflosigkeit hallten von den Decken oder Wände der Halle wieder zurück.
    Er schluckte, ihm wurde speiübel. Der Kolben seiner Waffe fühlte sich plötzlich wie ein glühendes Stück Eisen an. „Nein! … Nein!“, schrie Semir immer wieder heraus und warf die Pistole in den Staub des Hallenbodens. Sein Herzschlag raste wie wild und seine Umwelt fing an sich zu drehen. Der Türke schluchzte hörbar auf… dann wandte er sich herum und stolperte kraftlos zu Ben, neben den er sich unsanft auf die Knie fallen ließ.
    Seine Kugel schien ganze Arbeit geleistet zu haben, die verdreckte grüne Cargo-Jacke, die Ben trug, sie hatte sich im linken Brustbereich dunkelrot gefärbt. Unaufhaltsam quoll ein Blutstrom aus der Wunde.


    Semir nahm sanft den Kopf von Ben in die Hand, streichelte mit der anderen über sein Haar und bettete ihn auf seinen Knien. In ihm war nur noch Verzweiflung. Warum hatte er Ben nicht vertraut? Mehr automatisch fischte er mit der anderen Hand sein Handy aus der Tasche und setzte einen Notruf ab, bevor es kraftlos seinen Fingern entfiel.
    Ben kämpfte gegen die Bewusstlosigkeit an und versuchte seine Augen zu öffnen. Bei jedem Atemzug brannte seine Brust und die Wellen des Schmerzes durchliefen seinen Körper. Seine Augenlider flackerten und er schlug die Augen auf. Ein flüchtiges Lächeln umspielte seinen Mund, als er Semir erkannte.
    Mehrmals setzte er zum Sprechen an…. Die Schmerzen tobten in seiner Brust ….
    Kaum hörbar wisperte er: „Semir … Semir ….“ Es kostete Ben seine letzte Energie … er schob seine rechte Hand in die Jackentasche und zog sein Handy heraus … und hielt es dem Deutsch-Türken hin. „Semir, … nimm mein Handy … wichtig ….!“
    Mit jedem Wort schien Bens Kraft zu schwinden. Wie in Trance nahm der kleine Türke das Handy aus Bens blutverschmierter Hand und steckte es ein.
    „Nicht sprechen Ben … Hilfe ist unterwegs … ich bin bei dir!“
    Bei diesen Worten liefen Semir die Tränen übers Gesicht und tropften auf den Verletzten runter, dessen Gesicht mittlerweile von kaltem Schweiß bedeckt war. Sie vermischten sich mit dem Schmutz und Staub. Erneut bäumte sich der Körper des jungen Mannes auf.
    Seine Atmung rasselte nur noch und dennoch umspielte seine Lippen erneut ein Lächeln.
    „Verzeih mir! … Ich hätte … doch niemals auf dich … geschossen … Semir! … Niemals! … Gib Aida …. und ….. Lilly … einen Kuss … von mir …!“ Die letzten Worte glichen mehr einem gesprochenen Hauch. Ben schloss die Augen.


    Bens Atmung glich nur noch einem Röcheln, er bekam immer schlechter Luft. Unaufhörlich flüsterte Semir seinem Freund und Partner zu: „Bitte Ben ..... verzeih mir! … Wie konnte ich nur glauben? … Was habe ich nur getan …. Was habe ich DIR nur angetan?“
    Tränen der Hilflosigkeit und des Elends rannen Semir über das Gesicht. Verzweifelt versuchte er mit seinen Händen den Blutstrom zum Stillstand zu bringen.
    „Ben rede mit mir! …. Bitte, wach wieder auf! … Öffne deine Augen, schau mich an! … Du kannst mich doch jetzt nicht einfach im Stich lassen! … Nicht jetzt!“ flehte der kleine Türke mit immer leiser werdender Stimme seinen schwer verletzten Freund an.
    Semir nahm die Welt um sich herum nicht mehr wahr. Er wartete sehnsüchtig auf das erlösende Geräusch des sich nähernden Rettungswagens.
    Hilfe, wo blieb sie denn nur? Wussten sie denn nicht wie dringend Ben sie brauchte? Mittlerweile schüttelten richtige Krämpfe den Körper des kleinen Polizisten.
    Wie aus weiter Ferne drang ein Quietschen zu ihm durch. Jemand hatte das große Tor geöffnet. Tageslicht erhellte die Halle. Eine vertraute weibliche Stimme erklang. „Jäger? …Jäger? … Ben? … Wo sind sie denn? …. Jäger? … So melden sie sich doch!“ Schlurfende Schritte näherten sich, als er plötzlich hinter sich einen qualvollen Aufschrei hörte.
    „Nein …. Nein!“ Der Tonfall wurde fast schon hysterisch „… Das darf doch nicht wahr sein? … Neiiiiiiiiiiiin! …. Gerkan? … Was ist passiert?“
    Ohne sich umzublicken, wusste Semir, wer da gekommen war… Seine Chefin, Kim Krüger… Kreidebleich und zitternd kam sie näher. Sie konnte, sie wollte einfach nicht glauben, welches Drama sich hier vor ihren Augen abspielte.
    Ihr schossen die Tränen in die Augen. Ungläubig den Kopf schüttelnd, näherte sie sich weiter ganz vorsichtig Ben.
    „Gerkan …. Semir …. Wer hat auf ihn geschossen?“ flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme. Sie fiel vor dem schwer verletzten jungen Mann auf die Knie nieder und erhaschte einen Blick auf Eriks Leiche … die Pistole, die vor dem Toten lag … Semirs Waffe am Boden und erahnte das wahre Ausmaß der Tragödie, die sich hier ereignet hatte. Ihr Geist dachte immer nur …. Nein …. nein ….. bitte nicht Ben…. Nicht jetzt … Nein!
    Langsam sickerte ein hellroter Blutfaden aus Bens Mundwinkel. Semir hatte das Gefühl, dass sich der Körper des Verletzten entspannte, so als hätte er keine Schmerzen mehr. Das Leben entwich und Ben hörte auf zu atmen.

  • „Er atmet nicht mehr!“ Ungläubig kamen die Worte aus Semirs Mund.
    „Tun Sie doch was! Tun Sie doch endlich was!“ schrie Kim Krüger halb wahnsinnig vor Angst den kleinen Türken an, der wie erstarrt, im Dreck der Halle saß.
    „Beatmen sie ihn …. Los, machen Sie schon …. Worauf warten sie noch, verdammt noch mal?“
    Gleichzeitig führte sie eine Herzdruckmassage durch, genauso wie man es ihr unzählige Male in den Erste-Hilfe Kursen beigebracht hatte.
    Plötzlich kam auch in Semir wieder Leben und er fing mit der Mund-zu-Mund-Beatmung an. Zwischen den Atemzügen schluchzte er immer wieder: „Atme Ben … bitte atme … Ben…! … Mir zu liebe …. Hörst du! … Du darfst nicht aufgeben! … Mich nicht im Stich lassen!“
    Die beiden Polizisten hatten jedes Gefühl für Raum und Zeit verloren.
    Verbissen machten sie mit der Wiederbelebung weiter, in der Hoffnung Ben zurück ins Leben holen zu können.
    Schrien ihre Trauer, ihre Wut lauthals heraus in dem Glauben, dass Ben sie noch hören konnte und den Kampf um sein junges Leben noch nicht aufgab. Tränen rannen beiden über das Gesicht. Sie waren am Ende ihrer Kräfte, wo blieb denn bloß der Notarzt?


    „Nicht aufhören, wir übernehmen sofort!“, erklang wie aus weiter Ferne eine dunkle Männerstimme. Der Notarzt war eingetroffen „Mein Name ist Doktor Wagner. Was ist denn passiert?“
    „Herr Jäger wurde angeschossen!“, krächzte Kim Krüger. Doktor Wagner gab Anweisungen an die beiden Sanitäter. In Sekundenschnelle hatte der Ältere der beiden den Rettungsrucksack geöffnet und Ben eine Beatmungsmaske auf das Gesicht gesetzt. „Hier übernehmen sie die Beatmung!“, wies er Kim Krüger an und er setzte an ihrer Stelle die Herz-Druck-Massage fort. Währenddessen führte sein Kollege routiniert und ohne Hektik die Befehle des Notarztes aus. Semir, der komplett neben sich stand, kniete wie eine Statue im Staub des Hallenbodens und beobachtete die Anstrengungen des Rettungsteams, Ben wieder zurück ins Leben zu holen.
    „Wir haben ihn wieder!“ hallte die Erleichterung des Notarztes in der Halle wieder. Gleichzeitig erklang ein monotones Piepen.
    Kurz darauf trafen einige Streifenwagen der Polizei und ein weiterer Rettungswagen ein, die das erste Rettungsteam bei der Versorgung von Ben unterstützen. Semir und Kim Krüger wurden ein paar Schritte zurückgedrängt. Von dort konnten sie die Bemühungen des Rettungsteams beobachten, Bens Kreislauf weiter zu stabilisieren.
    „Los auf… der Patient muss so schnell wie möglich in die Klinik in einen Operationssaal, wenn er überhaupt noch eine Chance haben soll! … Ansonsten verblutet er uns unter den Händen! … Anmeldung für das nächste Klinikum, wenn es geht die Uni-Klinik.“, gab Doktor Wagner Anweisung an den älteren Sanitäter, der in Richtung des Rettungswagen lossprintete.
    Der Verletzte wurde vorsichtig auf eine Trage gelegt. Der Anblick von Ben fraß sich so richtig in Semirs Seele rein: die Infusionen, überall Kabel, das ständige piepsen des kleinen Monitors, der Schlauch in seinem Mund, das Blut auf seinem nackten Oberkörper …. überall Blut, das auch an seinen Händen klebte…
    Als Ben schließlich im Rettungswagen lag, setzte sich dieser über das unwegsame Gelände langsam Richtung Krankenhaus in Bewegung.
    Semir, der der Trage ins Freie gefolgt war, lehnte an der Motorhaube eines der Polizeieinsatzfahrzeuge und starrte regungslos auf die Stelle, wo noch bis vor wenigen Minuten der Rettungswagen gestanden war, der mit dem schwerverletzten Ben losgefahren war. Das Heulen der Sirene war längst schon in der Ferne verebbt.
    In ihm herrschte nur noch Leere, sein Blick ging ins Leere. Er nahm überhaupt nicht mehr wahr, was um ihn herum geschah. … Bens letzte Worte hämmerten unaufhörlich auf ihn ein … raubten ihn den letzten Funken seines Verstandes. „Vertrauen … Vertrauen … Vertrauen!“ …. Warum hatte er ihm nicht vertraut? Warum? … Wie sollte er Aida und Lilly mit dieser Last auf seinen Schultern einen Kuss geben?


    Zwischenzeitlich herrschte hektische Betriebsamkeit auf dem Fabrikgelände. Neben den Kollegen vom Streifendienst, die den Tatort absicherten, waren auch die alarmierten Kollegen der KTU eingetroffen. Unter Hartmuts Leitung, der von seiner Chefin persönlich alarmiert worden war, begannen sie mit der Spurensicherung am Tatort.


    Energisch rüttelte jemand an seiner Schulter. Semir hob seinen Kopf und sein Blick ging durch seine Chefin hindurch. Er versuchte, den Inhalt ihrer Worte zu begreifen.
    „Was ist passiert Semir? Erklären sie es mir? Bitte!“ kam es anklagend aus dem Mund von Frau Krüger.
    Ihr Gesicht war blass, ein Blick in ihre Augen offenbarte, wie sie litt, wie sie das Ganze mitnahm. Leise, ganz leise … fast nicht zu verstehen waren Semirs Worte, es war ein Stammeln. Als Kim Krüger deren Sinn und Inhalt erfasste, dröhnten diese in ihrem Kopf. „Ich … ich habe … auf Ben geschossen, Frau Krüger… Er … hatte die Waffe … auf mich … gerichtet und schoss … Oh Gott, ich wusste, … doch nicht, dass jemand hinter mir stand …. Oh Gott … ich wusste es doch nicht...!“
    Die letzten Worte schrie Semir förmlich hinaus … Sie spiegelten seine Ohnmacht … seine Verzweiflung wieder. Ihm war auf einmal einfach nur kalt… er fror entsetzlich … Schüttelfrost hielt seinen Körper gefangen und er spürte wie seine Hände zitterten. Sein Herz raste wie wild. Kalter Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. Sein Blick richtete sich auf seine blutverschmierten Hände. … Bens Blut … es war seine Schuld … Er war schuldig! Von einem Augenblick zum anderen verspürte er ein Würgen im Hals … ihm wurde schlecht und er übergab sich. … Vor seinen Augen fing sich alles an zu drehen … es wurde schwarz … es wurde dunkel um ihn herum … er fiel in einen endlosen Abgrund …

  • Frau Krüger konnte einen hysterischen Aufschrei nicht unterdrücken. Die umstehenden Personen wurden darauf aufmerksam, dass Semir vor ihr am Boden lag. Die noch anwesenden Sanitäter des zweiten Rettungsteams eilten herbei und kümmerten sich sofort um den Türken.
    „Oh, man … der ist völlig weggetreten!“
    „Schwerer Schock … Los … Infusion …. Und dann ab mit ihm ins Krankenhaus …!“
    Kim Krüger stand regungslos dabei und wirkte wie versteinert. Sie hörte die Kommentare und Anweisungen der Sanitäter und des ebenfalls herbeigeeilten Notarztes, beobachtete, wie Semir versorgt wurde und anschließend auf eine Trage gelegt wurde. Ohne dass er das Bewusstsein wiedererlangte, brachte man ihn zum Rettungswagen. Das Blaulicht flackerte auf, das Sirenengeheul hallte in ihrem Kopf wieder, als das Fahrzeug vom Grundstück auf die angrenzende Straße fuhr.
    Semirs Worte hämmerten gnadenlos auf ihr Gehirn ein … „… ich habe auf Ben geschossen …“ und raubten ihr fast die Besinnung.


    Irgendwie kam sie sich vor, als wäre sie in einem Alptraum gefangen, von dem sie sich erhoffte, jemand würde mit den Fingern schnippen und sie daraus erwecken. Das alles konnte doch nicht wahr sein. Mit ihren Handflächen stützte sie sich auf der Motorhaube des Streifenwagens ab und suchte Halt. Tränen liefen über ihre Wangen und tropften auf das Blech der Motorhaube. Sie focht einen schweren inneren Kampf mit sich aus und fühlte sich nur noch schuldig. Ihr Atem ging keuchend.
    „Frau Krüger? … Frau Krüger…?“ Wie aus weiter Ferne hörte sie eine männliche Stimme, die sie ansprach. Erst jetzt nahm sie wahr, dass Bonrath, Herzberger und Jenny neben ihr standen.
    „Ist es wahr, Frau Krüger, Semir hat auf Ben geschossen?“ kam es ungläubig aus Bonraths Mund.
    „Ja, es ist wahr. Es …“ Ihr versagte die Stimme und sie musste mehrmals ansetzen. „Es … es … Ben hat Semir das Leben gerettet … und dabei in Kauf genommen…“
    Die letzten Worte gingen in ihren Tränen … in ihrem Aufschluchzen unter …. Sie konnte einfach nicht mehr. Jenny konnte ebenfalls ihren Tränenstrom nicht mehr zurückhalten und suchte Trost in den Armen von Hotte.
    Bonrath nahm seine Chefin tröstend in den Arm. Auch ihm fehlten in diesem Moment die Worte. Er musste das Gehörte erst einmal verdauen … begreifen … und sich über die Konsequenzen klar werden. Die beiden erfahrenen Streifenpolizisten starrten sich betroffen an. Hotte murmelte vor sich hin: „Ich hätte nie gedacht, dass Semir zu so was in der Lage ist! … Aber es hatte ja so kommen müssen. … Er war ja in den letzten Wochen regelrecht davon besessen gewesen, Ben zur Rede zu stellen!“


    Hotte begleitete Jenny zum Streifenwagen und kümmerte sich um die junge Frau. Währenddessen sprach Bonrath in seiner beruhigenden Art auf seine Chefin ein. Nach einigen Minuten hatte sich Kim Krüger wieder einigermaßen im Griff. „Geht es wieder?“, fragte er sicherheitshalber nochmals nach und als Kim zustimmend nickte, zog der Polizist sein Handy aus der Hosentasche.
    „Ich werde Andrea anrufen und ihr Bescheid sagen… Oder wollen sie das übernehmen Frau Krüger?“ Diese schüttelte den Kopf als Antwort. Ohne dass sie es zugeben wollte, war sie ihrem Mitarbeiter dankbar dafür, dass er ihr dies abnahm. Sie hörte wie er vor sich hin seufzte: „Oh mein Gott … Ben ist Lillys Patenonkel … Wie sollen das die Mädchen begreifen?“ All seine Fassungslosigkeit war aus den Sätzen von Bonrath herauszuhören.


    Als Kim wieder alleine an ihrem Mercedes stand, warf sie einen prüfenden Blick auf die anwesenden Polizisten, die den Tatort sicherten und nach Spuren und Beweismitteln suchten. Hartmut kam auf sie zu. In einer durchsichtigen Tüte transportierte er Bens blutdurchtränkte Jacke und dessen Shirt. Sein Gesicht war kreidebleich. Für andere nicht hörbar, murmelte er Frau Krüger zu, „Tut mir leid Chefin, da war nichts drinnen. Auch in seinem Auto war nichts zu finden!“ Sie stöhnte gequält auf. „Suchen sie weiter Hartmut! … Irgendwo muss etwas sein!“
    Der Rothaarige nickte ihr verstehend zu.
    Ihr war klar, hier konnte sie nichts mehr tun … nichts mehr ausrichten. Sie wollten wissen, was mit Ben und Semir war und machte sich auf den Weg ins Krankenhaus. Doch vorher stand ihr noch ein schwerer Gang bevor. Es war ihre Pflicht Bens Angehörigen aufzusuchen und zu informieren.


    Ihr Herzschlag pulsierte in Rekordtempo zwischen ihren Schläfen, als sie an der Haustür von Konrad Jäger klingelte. Über die Gegensprechanlage erklang Julia Jägers Stimme „Ja bitte!“
    „Guten Abend, Kim Krüger, Kripo Autobahn. Entschuldigen sie die späte Störung Frau Jäger! Könnte ich für ein paar Minuten rein kommen. Es geht um ihren Bruder Ben!“
    Im Hintergrund ertönte die verärgerte Stimme von Konrad Jäger. „Ich habe keinen Sohn mehr. Die soll draußen bleiben!“
    „Aber Paps, Ben ist mein Bruder und egal was geschehen ist oder wessen Ben beschuldigt wird. Er ist mein Bruder und er bleibt dein Sohn!“
    Der Türsummer erklang und Kim Krüger drückte die Haustür auf und betrat die Villa der Familie Jäger, wo sie im Eingangsbereich von Julia erwartet wurde. Der Anblick von Bens ehemaliger Chefin, ihr Gesichtsausdruck, die blutbefleckte Kleidung ließen die junge Frau erahnen, dass etwas Schreckliches passiert sein muss. Sie verkniff sich die Frage, ob ihr Bruder noch am Leben war. Nach einer knappen Begrüßung bat Julia die Chefin der PAST ins angrenzende Wohnzimmer. Konrad Jäger hielt sich in seinem Arbeitszimmer auf. Durch die geöffneten Türen wurde Kim Krüger unfreiwillige Zeugin, wie Bens Schwester auf ihren Vater einredete, um ihn davon zu überzeugen, an der Unterredung teilzunehmen. Immer wieder bekräftigte er seinen Standpunkt, dass er seiner Ansicht nach keinen Sohn mehr hätte.
    Nach einigen Minuten erschienen Julia und ihr Vater im Wohnzimmer. Konrad setzte sich ohne ein Wort der Begrüßung in seinen Herrensessel nieder, schlug die Beine übereinander, verschränkte die Arme vor der Brust und selbst sein Gesichtsausdruck zeigte nur Ablehnung. Bens Schwester nahm gegenüber von Kim Krüger Platz, die nach den richtigen Worten suchte und sich entschloss die Wahrheit zu sagen, ohne etwas zu beschönigen. Sie schaute Julia Jäger direkt in die Augen als mit einer unnatürlichen Stimme erklärte: „Ihr Bruder wurde von Herrn Gerkan angeschossen und lebensgefährlich verletzt.“
    Während Julia ein spitzer Aufschrei des Entsetzens entfuhr und kommentierte Konrad Jäger kaltschnäuzig: „Herr Gerkan wird schon einen Grund dafür gehabt haben. Schließlich handelt es sich bei Ben um einen gesuchten Mörder!“
    „Sie sollten ihren Sohn nicht vorverurteilen, solange sie nicht alle Fakten kennen Herr Jäger!“, zischte Kim gereizt zurück, deren angeschlagenes Nervenkostüm an die Grenze der Belastbarkeit gekommen war.
    Konrad wandte ihr sein gerötetes Gesicht zu und giftete, „Was gibt es da zu beschönigen, Frau Krüger! … Herr Hauptkommissar Bohm hat mir vor einigen Tagen sehr eindrucksvoll klar gemacht, welch verkommenes menschliche Subjekt ich einmal meinen Sohn genannt habe!“ Wütend erhob er sich aus seinem Sessel und schenkte sich ein Glas Cognac ein und trank es in einem Zug leer. Kim zwang sich zur Ruhe und erwiderte: „Vielleicht sollten sie sich einfach ein paar Minuten Zeit nehmen und mir zu hören. Ich halte es für meine Pflicht, sie über gewisse Umstände in Kenntnis zu setzen!“
    Anschließend begann Kim zu erzählen, mit jedem Satz wurde Konrad Jäger eine Spur bleicher und zum Schluss ließ er sich kraftlos in seinen Sessel fallen und als Kim Krüger geendet hatte, murmelte er nur noch ein „Oh mein Gott, das darf doch alles nicht wahr sein!“
    Julia Jäger erhob sich entschlossen aus dem Sofa. „Ich will zu Ben ins Krankenhaus. … Sofort! Nehmen sie mich mit Frau Krüger?“

  • Konrad Jäger stand nach der Ansprache von Frau Krüger komplett neben sich. Unfähig selbst ein Fahrzeug zu lenken, bat er darum, dass er mit ihr in die Klinik fahren konnte. Während der Fahrt herrschte Schweigen im Auto. Dank der Abendstunde war es recht einfach in der Nähe der Notaufnahme einen Parkplatz zu finden.
    In der Notaufnahme angelangt, erkundigte sich Julia an der Anmeldung sofort nach ihrem Bruder. „Sind sie eine Angehörige?“ fragte die gestresste Schwester etwas unwirsch zurück.
    „Ja, ich bin seine Schwester und das ist mein Vater! So sagen sie doch, wie geht es meinen Bruder Ben Jäger.“
    „Tut mir leid. Auskünfte über den Gesundheitszustand von Patienten geben in der Regel nur Ärzte.“
    „Verdammt noch mal, sie werden mir zumindest doch sagen können, ob mein Sohn noch lebt!“, blaffte Konrad ungehalten die Schwester an und hämmerte wütend mit der Faust auf die Theke. Erschrocken fuhr die ältere Frau hinter ihrer verglasten Theke zusammen und lenkte ein: „Warten sie mal einen Moment?“ Sie griff nach dem Telefonhörer und führte ein kurzes Gespräch. Daraufhin öffnete sich hinter ihnen eine Schiebetür, auf der Schockraum stand. „Fragen sie Schwester Annika!“, murmelte die Grauhaarige „Die war bei der Erstversorgung des Patienten dabei. Vielleicht hat sie ein paar Informationen!“
    Familie Jäger und auch Kim Krüger wandten sich der rothaarigen Schwester zu, stellten sich kurz vor und fragten nach Bens Gesundheitszustand.
    "Ich will ihnen nichts vormachen. Der Zustand von Herrn Jäger ist ernst ... sehr ernst. Herr Jäger wird gerade operiert und so wie ich die Ärzte verstanden habe, wird es dauern … Ich will ihnen keine Angst einjagen, aber es ist fraglich, ob er die Operation überlebt. Sie können gerne im Wartebereich vor dem OP Saal warten." Stumm nickte Julia. Zusammen mit seiner Tochter verschwand Konrad Jäger in den langen Gängen in Richtung Operationssaal, zurück blieb die Chefin der PAST. Für die nächste Frage musste Kim mehrmals ansetzen. „Wissen sie, wo die Kleidung und die persönlichen Gegenstände von Herrn Jäger sind?“ Kim erntete für diese Frage einen verwunderten Blick von der rothaarigen Schwester. „Bitte es ist wichtig für die polizeilichen Ermittlungen, Schwester Annika!“ bekräftigte Kim ihre Nachfrage und zeigte ihren Dienstausweis vor.
    „Einen Augenblick!“ Die Krankenschwester verschwand für ein paar Minuten in der Notaufnahme und kam mit einem blauen Plastikbeutel zurück. „Hier drinnen ist die Kleidung von Herrn Jäger!“ und überreichte das Gewünschte an Kim.



    Viele Stunden später …
    Er sah dass Mündungsfeuer aus der Waffe und wartete auf den Einschlag … Gleichzeitig zog er den Abzug seiner Waffe durch …. Wie in Zeitlupentempo fiel Ben … das Blut … all das Blut …. Die Bilder … die Bilder, sie verfolgten ihn … er schreckte schweißgebadet hoch … zitterte am ganzen Körper und hörte wie durch Watte eine vertraute Stimme.
    „Alles wird gut Semir, alles wird gut!“
    Andrea versuchte ihren Mann zu beruhigen, der immer und immer wieder von Alpträumen geplagt wurde, sich wild im Bett umherwälzte und hochschreckte. Trotz der Schlaftablette fand er nicht in einen erlösenden Schlaf.
    Schon seit Stunden saß sie neben seinem Bett im Krankenhaus und wartete, wartete auf eine Nachricht, wie Operation von Ben verlaufen war, darauf ihrem Mann zur Seite zu stehen, wenn er wach werden würde. Irgendwie weigerte sich ihr Verstand zu akzeptieren, dass Semir wirklich auf Ben geschossen hatte. Doch der Anblick ihres Mannes, zu sehen wie er litt, offenbarten ihr, ja es war die Wahrheit.
    Ein zaghaftes Klopfen an der Zimmertür riss sie aus ihren Gedankengängen. Anschließend wurde die Tür vorsichtig geöffnet und Kim Krüger trat ein. Ihr Gesicht war leichenblass … tiefe dunkle Ringe unter den Augen … ihre Wangen eingefallen … auch sie durchlitt Höllenqualen Sie hatte eine schlaflose Nacht hinter sich.
    „Haben sie was Neues von Ben gehört?“ erkundigte sich Andrea leise.
    Frau Krüger schüttelte resignierend den Kopf
    „Nichts Gutes! … Überhaupt nichts Gutes! … Die einzige gute Nachricht ist, die Kugel konnte entfernt werden. Jedoch musste Herr Jäger nochmals operiert werden … es gab Nachblutungen!“ Deutlich hörbar entwich ihre Atemluft und sie seufzte auf. „Der Professor, der ihn operiert hat, meinte vorhin, die nächsten Stunden werden über Leben oder Tod entscheiden!“
    Ein gequältes „Nein, bitte nicht!“ lies die beiden Frauen herumfahren.
    Semir war aufgewacht und hatte die letzten Sätze mitgehört. Er lag kreidebleich, total verschwitzt in seinem Bett. Das Beruhigungsmittel … die Schlaftablette halfen nichts, sie konnten diese schrecklichen Film, die vor seinem inneren Auge ablief, nicht verschwinden lassen. Er fühlte sich wie tot, alles fühlte sich an wie abgestorben … sein Herz war gebrochen … er wusste nicht, wie er mit dieser Schuld, die er auf sich geladen hatte, weiterleben sollte.
    Kim Krüger setzte sich zu ihm ans Bett. Es kostete sie wahnsinnige Überwindung, die nächste Frage zu stellen. Aber es musste sein. Sie umschlang die eiskalten Hände ihres Mitarbeiters.
    „Herr Gerkan? Es ist wichtig! Hat Ben noch irgendwas zu ihnen gesagt? …. Ihnen etwas gegeben, bevor er bewusstlos wurde?“ Semir überlegte … erschauderte … ein Beben ging durch seinen Körper … Bens letzte Worte, sie hatten sich auf immer und ewig in sein Gehirn eingebrannt …. Tränen liefen ihm übers Gesicht, er konnte sie nicht zurückhalten.
    „Er sagte …. er sagte, … verzeih mir! …Ich hätte … doch niemals auf dich … geschossen. … Gib Aida …. und ….. Lilly … einen Kuss … von mir …!“
    Andrea schluchzte lauthals auf und brach in Tränen aus. Semir konnte förmlich sehen, wie Frau Krüger auf ihrem Stuhl zusammensackte. Was hatte sie erwartet? …. Semir stöhnte gequält auf und schloss seine Augen. Wie ein Video, dass auf Dauerschleife eingestellt war, spielten sich vor seinem inneren Auge die letzten Szenen mit Ben in der Werkshalle ab, als ihm noch etwas einfiel … Bens Handy …. Er öffnete seine Augen und fixierte seine Chefin, die wie ein Häufchen Elend auf ihrem Besucherstuhl saß.
    „Frau Krüger“ Sie zuckte zusammen, „Sein Handy!“ stammelte er. „ … Ben hat mir sein Handy gegeben. Es muss irgendwo bei meinen Sachen sein. Es schien ihm sehr wichtig zu sein. Er sagte dabei irgendwas unverständliches … wobei …“, Semir grübelte nach, „…ich glaube, er hat ihren Namen geflüstert...!“
    Sein Bauchgefühl und sein Instinkt erwachten in dem türkischen Polizisten. Intuitiv spürte Semir, da war was im Gange gewesen … ein Geheimnis … etwas was er unbedingt ergründen musste. Der Türke richtete sich in seinem Bett auf. Seine Augen funkelten seine Chefin bedrohlich an.
    „Frau Krüger? Was soll ihre Frage? … Was ist los? … Warum waren Sie plötzlich da in dieser Lagerhalle?“ drängte er auf eine Antwort. „Wollten sie dort Ben treffen?“, wisperte er.
    „Frau Gerkan würden Sie uns einen kurzen Moment alleine, lassen?“ bat sie Semirs Frau, die daraufhin nickte und das Krankenzimmer verließ.


    Kim Krüger seufzte auf … holte tief Luft … ihre nächsten Worte hörten sich an wie Hammerschläge in Semirs Ohren.
    „Ben war auf einem Undercover-Einsatz!“

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