Eiskalt

  • Semir rannte so schnell er konnte zu Hartmut´s Wagen. Während der LKW-Fahrer, der unverletzt geblieben war, schleunigst das Weite suchte und schrie: „Weg hier, gleich fliegt alles in die Luft!“, riss Semir verzweifelt an der Tür von Hartmut´s Lucy. Die war völlig deformiert und klemmte, Hartmut hing bewusstlos über dem Lenkrad und Blut aus einer Kopfplatzwunde färbte alles um ihn herum rot. Aber das war ihr geringstes Problem, die Flammen schlugen inzwischen höher und beißender Rauch von schmelzendem Kunststoff brachte Semir zum Husten und raubte ihm die Sicht. Mit dem Mute der Verzweiflung mobilisierte Semir alle Kraft und plötzlich hatte er die Tür auf. Mit zitternden Fingern und selber vor lauter Husten schon nicht mehr ganz fit, löste er das Gurtschloss und zerrte Hartmut, der schlaff wie ein nasser Sack in seinen Armen hing, aus dem Fahrzeug. In diesem Moment kam der wieder zu sich und als Semir ihn anbrüllte: „Hartmut lauf-hilf mir!“ denn alleine hätte er es nicht geschafft, seinen Freund in der Zeit, die ihnen noch blieb aus der Gefahrenzone zu bringen, bewegten sich seine Beine fast automatisch. Semir fasste ihn unter und schleppte und zog ihn aus dem tödlichen Bereich. Kaum waren sie ein paar Meter entfernt, stand auch der Wagen schon in hellen Flammen und wenig später holte die Druckwelle sie von den Beinen. Beide schlugen zwar hart auf dem Asphalt auf, aber immerhin sie lebten und als wenig später der Klang der Martinshörner durch den wundervollen Sommermorgen schallte, flüsterte Hartmut zwischen zwei Hustenstößen: „Semir, das war ein Attentat, ich habe genau gehört, wie eine kleine Sprengladung mir das Bremssystem zerstört hat!“ und nun blieb Semir vor Schreck der Mund offen stehen.


    Wenig später kümmerten sich ein Notarzt und einige Sanitäter um Hartmut und Semir. Gott sei Dank gab es sonst keine Verletzten und sie wurden alle beide zunächst einmal in die Uniklinik gebracht. In der Notaufnahme tummelte sich wenig später die halbe Besatzung der PASt, die von den Kollegen von dem schrecklichen Unfall verständigt worden war, denn man hatte natürlich Semir´s Wagen und ihn selber erkannt. Von Hartmut´s Lucy war nicht mehr als ein Haufen verkohltes Blech übrig, aber nach eingehender Untersuchung konnten die Ärzte bei Hartmut Entwarnung geben. „Er hat eine Rauchgasvergiftung, eine Kopfplatzwunde, die wir gestrippt haben und multiple Prellungen am ganzen Körper. Eventuell dazu noch eine leichte Gehirnerschütterung, die aber nicht dramatisch ist. Wir behalten ihn vorsorglich eine Nacht zur Beobachtung im Krankenhaus-aber nur wegen der Gefahr des Lungenödems wegen dem eingeatmeten Gift. Er bekommt Sauerstoff und sie können ihn kurz besuchen, wenn er auf sein Zimmer gebracht wird!“, erklärte der Arzt der Chefin, die wie ein Tiger vor dem Behandlungsraum auf- und abgelaufen war.


    Andrea war inzwischen auch eingetroffen-sie war gerade ebenfalls auf dem Weg zur Arbeit gewesen und hatte die Kinder unterwegs schon in Schule und Kindergarten abgeladen, als Susanne sie verständigt hatte. Voller Sorge war sie ins Krankenhaus gestürmt, ihr Wagen stand völlig verbotswidrig im absoluten Halteverbot, aber das war ihr gerade völlig egal. „Schatz-was ist mit dir, wie geht es dir?“, fragte sie panisch, aber Semir, der gierig den Sauerstoff aus der Maske sog und vor lauter Husten kaum sprechen konnte, winkte ab. „Mir gehts gut, du kannst mich gleich mitnehmen!“, setzte er an, aber als der behandelnde Arzt den Kopf schüttelte und Andrea und ihn belehrte, dass auch bei ihm die Gefahr des inneren Ertrinkens durch die Einatmung der giftigen Dämpfe bestand und er ihn eine Nacht stationär aufnehmen wollte, sah ihn seine Frau mit einem derart bösen Blick an, dass Semir sofort die Klappe hielt. „Du wirst jetzt bis morgen früh hier bleiben, wie der Doktor gesagt hat, sonst rede ich nie mehr ein Wort mit dir !“, drohte Andrea und aufseufzend fügte sich Semir in sein Schicksal. So kamen die beiden Freunde und Kollegen gemeinsam in ein Doppelzimmer und kurz darauf war das so voll, dass man sich fast nicht mehr umdrehen konnte. „Leute-uns geht’s gut, geht an die Arbeit, ab morgen unterstützen wir euch wieder!“ warf Semir unter Husten nach kurzer Zeit die ganze Truppe hinaus und griff nach dem Inhalationsapparat, den man ihm und Hartmut hergestellt hatte. Allerdings fiel ihm dann noch was ein: „Chefin-vielleicht sollten wir uns wegen Hartmut bedeckt halten. Er ist der festen Überzeugung, dass das ein Attentat war. Es wäre eventuell sinnvoll den Täter-wer immer er auch ist, aber das werde ich schon noch herausfinden-in dem Glauben zu lassen, dass sein Anschlag erfolgreich war“, überlegte er und so verkündeten wenig später die lokalen Radiosender, dass es bei der schrecklichen Explosion am Morgen in Köln ein Todesopfer gegeben hätte und der Attentäter lächelte zufrieden, als er hörte, dass er das erste Drittel seines Auftrags erfolgreich und planmäßig erledigt hatte!


    Ben war inzwischen mitsamt seinem Bett in einen Vortragssaal gebracht worden, wo bereits einige Leute auf Stühlen saßen, andere im Rollstuhl und noch ein weiterer Patient ebenfalls liegend herein gefahren wurde. Er musterte seine Mitpatienten und erntete alle möglichen Reaktionen, von freundlichem Lächeln über verlegenes Augenniederschlagen bei einigen Frauen, die sich seiner Attraktivität nicht entziehen konnten, kritischen Blicken von manchen Männern und er stellte fest, dass hier wirklich alles vorhanden war in fast allen Altersgruppen zwischen etwa sechzehn und sechzig. Der andere Patient im Bett lag ganz flach und war sogar über eine Trachealkanüle beatmet, aber er schenkte Ben ein offenes freundliches Lächeln, das er sofort erwiderte. Da gab es also durchaus jemanden, den es schlimmer erwischt hatte als ihn selber! Als der Leiter der Rehaklinik den Vortrag über die Ziele und den Ablauf einer stationären Reha erläuterte, rechtliche und organisatorische Dinge erklärte und die etwa 40 Neuankömmlinge begrüßte, schweiften Ben´s Gedanken ab. Solche Vorträge hatte er schon immer gehasst und die machten ihn schläfrig. Bevor ihm aber endgültig die Augen zu fielen, war der Vortrag zu Ende und einer seiner Mitpatienten, der mühsam mit zwei Krücken lief, trat mit einem Augenzwinkern an sein Bett: „Mann habe ich dich gerade beneidet-du hast dein Bett für ein Nickerchen gleich mitgebracht!“, flachste er und streckte dann die Hand aus: „Markus-ich hatte einen Arbeitsunfall und bin an der Wirbelsäule operiert-und wie heisst du?“ stellte er sich vor und Ben schlug mit kräftigem Händedruck ein: „Ben-bei mir wars, hmm, eher ein privater Unfall, obwohl, so ganz klar ist das nicht und ja, ich bin auch operiert!“, sagte er, denn anscheinend war sowas hier wichtig. „Ist das deine erste Reha?“, fragte nun Markus und als Ben nickte, sagte er: „Na dann viel Erfolg, wir werden uns sicher noch häufiger sehen!“, und Ben, der nun wieder in sein Zimmer gebracht wurde nickte-das vermutete er auch, aber Markus wirkte ganz nett, eigentlich freute er sich darauf!

    Einmal editiert, zuletzt von susan () aus folgendem Grund: Namensänderung

  • Als Ben im Zimmer angekommen war, lag auf dem Tisch schon ein fein säuberlich ausgedruckter Plan in einer Mappe. „So Herr Jäger-das ist ihr vorläufiger Rehaplan. Da stehen die Uhrzeiten und die Orte ihrer verschiedenen Behandlungen drin-und der jeweilige Behandler. Dazu ein Lageplan des Hauses und noch so einige andere Formulare, z. B. ein Selbsteinschätzungsbogen mit dem wir den subjektiven Rehabilitationserfolg prüfen. Solange sie selber noch nicht mobil sind, werden entweder wir Schwestern oder ein Fahrdienstmitarbeiter sie mit dem Bett, oder alternativ einer fahrbaren Trage zu ihren verschiedenen Anwendungen bringen, aber sobald sie wieder mobil sind, wird erwartet, dass sie sich pünktlich zu den verschiedenen Einzel- und Gruppentherapien einfinden. Normalerweise ist das Zeitfenster zwischen zwei Behandlungen ausreichend, aber wir müssen sie um Pünktlichkeit bitten, damit wir unsere Planungen, die einen großen logistischen Aufwand bedeuten, umsetzen können. Jeder Behandler bestätigt mit einer Unterschrift ihre Teilnahme, das brauchen wir auch als Nachweis für die Krankenkassen, die Berufsgenossenschaften und die Rentenversicherungen. Wenn sie, aus welchen Gründen auch immer, an einem Programmpunkt nicht teilnehmen können, bitte rechtzeitig absagen-momentan noch bei uns von der Pflege, aber nach Wiedererlangung ihrer Mobilität dann unten an der Rezeption. Wenn sie mehrere Behandlungen absichtlich und unentschuldigt nicht wahrnehmen, wird die Rehamaßnahme abgebrochen-kein Kostenträger ist bereit, ihnen hier einen Erholungsurlaub zu finanzieren, darum müssen wir kontinuierliche Nachweise führen. Wenn sie vermehrt Schmerzen bekommen, bitte melden, dann wird der Arzt entscheiden, ob man bestimmte Therapien umstellt, aber wie gesagt, das können nicht sie alleine abbrechen, manche Sachen sind momentan sehr unangenehm, aber einfach notwendig und wir haben da so unsere Erfahrungen. Ich setzte sie jetzt nochmals an den Bettrand-das ist eine der Maßnahmen, die der Physiotherapeut angeordnet hat!“, bereitete sie ihn vor und wenig später war er schon wieder aufrecht. Nach kurzer Zeit wurde ihm zwar wieder schwindlig, aber trotzdem kam ihm die Spanne schon länger vor als vorher, was die Schwester, die das auf ihrer Pulsuhr gestoppt hatte, bestätigte. „Aber jetzt sehen sie sich den Plan mal in aller Ruhe durch, ich lasse ihnen einen Stift und ein Klemmbrett da und sie füllen bitte den ersten Selbsteinschätzungstest aus. Das Zeitfenster dazu ist eine viertel Stunde und danach haben sie Elektrotherapie, wie ich sehe-einer von uns holt sie dann dazu ab“, startete die Pflegekraft ihre umfangreichen Erklärungen, aber Ben hatte eine Sache heraus gehört und die wollte er nun unbedingt noch einmal bestätigt wissen. „Schwester-sie betonen immer, dass ich pünktlich sein soll-denken sie wirklich, ich bin schon so bald in der Lage mich alleine fort zu bewegen? Denn wenn sie mich fahren, dann kann ich das ja nicht beeinflussen, ob ich zu früh oder zu spät komme?“, fragte er und die ältere Pflegerin, die sicher schon viel in ihrem Leben gesehen hatte, blickte ihn überrascht an. „Natürlich bringen wir sie in Kürze aus dem Bett-oder meinen sie, wir verstehen hier unser Handwerk nicht?“, stellte sie die Gegenfrage und nun zog über Ben´s Gesicht ein glückliches Lächeln. Genau das hatte er hören wollen-er würde mit aller Kraft mitarbeiten, damit er dann bald zu spät kommen konnte, denn so gut kannte er sich-Pünktlichkeit war nicht seine Stärke, das konnte Semir mehr als bestätigen!


    Er füllte dann auch weisungsgemäß die zwei Zettel aus-es waren immer Fragen gestellt, die man dann mit einem Punktesystem bewertete. Gefragt waren die Tätigkeiten, die er schon alleine ausführen konnte, wie Hände über den Kopf, Klimmzug, Heben von Lasten, in seinem Fall Hanteln-alles was die obere Extremität betraf schnitt gut ab, anders sah es mit dem Bereich ab der Hüfte aus-da hatte er überall null Punkte. Allerdings konnte er sich doch bereits selber drehen, das Aufrichten ging zwar nur mit Hilfe und kurz, aber immerhin war er bereits zweimal am Bettrand gesessen. Er fühlte dann noch nach seiner Blase und auch wenn es ihm noch sehr widerstrebte, katheterte er sich dann erneut selber. Immerhin war das besser als wenn eine fremde Person an ihm herum manipulierte-man gab als Kranker eh so viel von seiner Würde ab, er war froh, dass er wenigstens diese Sache inzwischen schon selbstständig und alleine erledigen konnte. Ein wenig spürte er auch was, als er den Katheter einführte, auch wenn das Gefühl ein völlig anderes war als normal. Kaum war er fertig und hatte sich wieder angezogen und seine Hände mit den Feuchttüchern gereinigt, kam auch schon ein Mitarbeiter des Fahrdienstes und half ihm, sich auf eine fahrbare Liege umzulagern, die einfach leichter zu rangieren war als das sperrige Bett. „Zu den Behandlungen, die auf Behandlungsliegen stattfinden, werden sie mit diesem Ding gefahren, zu Vorträgen oder sowas, wo sie nur zuhören und still liegen müssen, im Bett“, erklärte er, während er sich schon in Bewegung setzte. Auf dieser zwar gepolsterten und mit einem dünnen Laken abgedeckten Liege ohne Zudecke war es natürlich nur halb so bequem wie im Bett, aber das war ja auch keine Liegestatt für einen längeren Zeitrahmen. „Die Rehamappe muss immer mit und ein Handtuch, das man auf die Behandlungsliegen oder Isomatten in den einzelnen Abteilungen legt. Aktuell bekommen sie noch ein Handtuch vom Haus geliehen, aber sobald ihre Frau ihre Sachen gebracht hat, nehmen sie dann bitte ein Eigenes mit“, wurde er erneut aufgeklärt und dann schob der Fahrer die Trage auch schon in den Aufzug.

    Wenig später war Ben in der physikalischen Abteilung und sah sich neugierig um. Man schob ihn in eine recht enge Kabine, dort half man ihm auf die Behandlungsliege hinüber zu rutschen und sich auf den Bauch zu legen, was jetzt doch wegen der Bauchwunde ordentlich zwickte. Ben sog scharf die Luft ein-verdammt, er hätte von der Schwester vorhin ein Schmerzmittel verlangen sollen, der Arzt hatte ja gesagt, dass das kein Problem wäre, aber jetzt wars zu spät und er würde das schon aushalten. Eine Mitarbeiterin der Abteilung beugte sich über ihn und fragte, ob er schon einmal Elektrotherapie bekommen habe, aber er verneinte. Irgendwie hatte er gerade Assoziationen mit einem elektrischen Stuhl und ihm war ein wenig bange. Als dann aber die Mitarbeiterin seine kurze Hose ein wenig nach unten schob, zwei feuchte Schwämmchen in großen Saugnäpfen rechts und links seiner Operationswunde in der Lendenpartie aufsetzte, wie der Physiotherapeut das in der Rehamappe markiert hatte und zwei weitere Elektroden an seinen Waden anbrachte, die sich dort-ohne dass er es fühlen konnte- ebenfalls festsaugten, erklärte sie ihm. „Wir arbeiten hier mit niedrigfrequentem Reizstrom, der schmerzlindernd und muskelentspannend wirkt. Die Behandlung dauert 10 Minuten und wenn ein Piepton ertönt und der Strom und der Sog ausgehen, dann dürfen sie hier ausschalten. Wenn sie wieder selbstständig sind, können sie dann den Behandlungsraum verlassen-aktuell werden sie noch abgeholt. Ich erhöhe jetzt langsam die Stromstärke-es soll nicht schmerzhaft sein, aber es ist sehr individuell, was jeder unter stark oder schwach versteht und ist auch nicht jeden Tag gleich. Es soll prickeln, aber nicht weh tun, die Muskulatur reagiert auf den Strom und der Körper versucht auch an den Beinen etwas wahr zu nehmen und das ist neben der Schmerzlinderung unser Ziel!“ erklärte sie, während sie langsam am Regler höher drehte, bis Ben „Stop!“, sagte. Es war ein merkwürdiges Gefühl, erst war er sehr angespannt, gerade als ihn die Frau dann alleine ließ, nicht ohne ihm allerdings eine Glocke in die Hand zu geben, damit er sich bemerkbar machen konnte, wenn er Hilfe brauchte. Nach ein paar Minuten allerdings begann Ben sich zu entspannen und tatsächlich merkte er, wie der Schmerz im Rücken ein wenig schwächer wurde, allerdings schmerzte die Bauchwunde nach wie vor stark. Schneller als gedacht waren die zehn Minuten vorbei, Ben schaltete den Apparat weisungsgemäß aus und drehte sich, nachdem die Saugnäpfe losgelassen hatten, alleine um, was zwar auf der schmalen Liege ein wenig schwierig war, aber er hatte den Dreh im wahrsten Sinne des Wortes schon heraus. Der Fahrdienstmitarbeiter kam wieder mit seiner Trage herein gefahren, half ihm beim Rüberrutschen, packte das Handtuch ein und wenig später war Ben auf dem Weg zur manuellen Therapie, was auch immer das sein sollte-die Hälfte der Dinge, die in seinem Plan standen, kannte er noch nicht. Aber er war ganz sicher-er würde sie kennen lernen und danach stand ein Programmpunkt auf dem Plan, der ihm besonders gut gefiel: „Mittagessen,“ denn ehrlich gesagt knurrte sein Magen schon gewaltig.


    Die manuelle Therapie war dann eine Art Massage-allerdings hätte er die junge zierliche Frau die ihn behandelte, erwürgen können, denn die hatte seinen Rücken erst abgetastet und dann begonnen rechts und links der Operationswunde und auch am Gesäß die verklebten Faszien zu lösen, was furchtbar weh tat. Er bemühte sich auch, nicht zu jammern, aber manchmal musste er doch laut aufstöhnen. „So unangenehm das ist-ein Muskel, der nicht in seiner Muskelscheide gleiten kann, ist nicht trainierbar. Ich weiss, dass ich ihnen gerade weh tue, aber glauben sie mir, es ist nur zu ihrem Besten!“ erklärte sie und Ben hätte vor Hohn beinahe laut aufgelacht-ja das hatten schon viele behauptet, dass es nur gut für ihn war, wenn sie ihm weh getan hatten-gerade Typen wie Wolf Mahler oder andere Verbrecher, die ihn bereits gefoltert hatten. Das hier kam gleich danach und niemand war froher als er, als die zwanzig Minuten, die ihm gefühlt wie drei Stunden vorgekommen waren, zu Ende waren.

    Als er sich kurz danach in seinem Bett ausstreckte, erst mal eine halbe Flasche Wasser trank, denn trinken war ebenfalls sehr wichtig, war ihm schon mehrfach eingebläut worden, damit die Schlackenstoffe abtransportiert werden konnten, schaltete er dann ein wenig den Fernseher ein, bis ihm das Mittagessen gebracht wurde-er hatte eines von zwei Wahlmenüs am Morgen aussuchen können und sich für das mit Fleisch entschieden-er brauchte schließlich Kraft.


    Als er dann allerdings die Nachrichten sah, die von einem schweren Verkehrsunfall mit einem Toten am Morgen in Köln berichteten, bei dem nach einer Kollision mit einem PKW ein Tanklastzug in die Luft geflogen war und Bilder von der Unfallstelle zeigte, verging ihm schlagartig der Appetit. Der BMW, der da unauffällig, aber bereits noch Stunden nach dem Unfall, denn der Brand war schon lange gelöscht und sowas dauerte erfahrungsgemäß, am Bildrand stand, war eindeutig Semir´s Dienstfahrzeug. Was war da los gewesen? Hoffentlich war Semir selber nicht betroffen und war nur als Polizist an der Unfallstelle gewesen, aber irgendwie blieb ein ungutes Gefühl-er musste sich nachher dringend ein Telefon bringen lassen und seinen Freund anrufen, das ließ ihm keine Ruhe mehr!

  • Sarah hatte die Nacht mit ihren Kindern zuhause verbracht, aber es war merkwürdig, dass das Bett an ihrer Seite leer blieb. Sie stellte vor dem Einschlafen bereits Überlegungen an, ob sie gleich einen Handwerker aus dem Dorf beauftragen sollte, ihr Schlafzimmer nach unten zu verlegen, aber dann verbot sie sich das selber. Erstens hatten sie da immer noch gut Zeit, wenn Ben´s Entlassungszeitpunkt aus der Reha fest stand und zweitens kam es ihr wie Verrat an Ben vor, denn das würde bedeuten, dass sie nicht an seine völlige Genesung glaubte. Es kam eh wie es kam und wichtig war, dass er lebte und seine Kinder weder ihren Papa, noch sie ihren geliebten Mann verloren hatten. Sogar Lucky hatte zwar nach Herrchen geschnüffelt, sich aber als er nirgends zu entdecken war, dennoch zufrieden seinen Platz auf dem Boden vor Ben´s Bettseite eingenommen, wo sein Hundebett stand. Herrchen war schon öfter einmal länger weg gewesen, aber immer wieder nach Hause zurück gekehrt. Er würde in dessen Abwesenheit auf die Familie aufpassen, damit war sein Job erfüllt und der liebste Mensch in Luckys Universum wäre zufrieden mit ihm.
    Sarah hatte in der Rehaklinik gefragt, wann es denn günstig sein würde, dass sie mit den Kindern kam und hatte die Auskunft erhalten, dass Ben´s letzte Anwendung am Nachmittag um 15.30 Uhr wäre und es deshalb ab etwa 16.15 Uhr problemlos möglich wäre, ihn zu besuchen. So spielten die Kinder am Vormittag noch schön im Garten, man ging gemeinsam-Tim mit dem Dreirad und Mia-Sophie in der Kinderkarre-mit Lucky spazieren und Sarah beglückwünschte sich, dass sie im Vorjahr die Entscheidung getroffen hatten, in ein Dorf am Stadtrand von Köln zu ziehen, da war wenig Verkehr und man konnte die Kinder auch mal springen lassen. Am Anfang hatten sie zwar eine Zeit lang gedacht, dass es hier spukte, aber dann hatten Semir und Ben, nachdem Mia-Sophie unter dramatischen Umständen mit Ben als Geburtshelfer in einem Kellerverlies unweit ihres Hauses zur Welt gekommen war, den Fall gelöst und seitdem war Ruhe eingekehrt. Mittags kochte Sarah etwas und erst nachdem sie das Essen fertig hatte, wurde ihr bewusst, dass sie die gewohnte Menge zubereitet hatte, wie als wenn Ben auch mitessen würde-oh je, da würden sie die nächsten drei Tage davon satt werden, oder sie musste einen Teil davon einfrieren! Sie hatte auch Ben´s Koffer und ihre Sachen aus dem Auto geholt und die Waschmaschine lief auf Hochtouren. Sportsachen für die Reha einpacken war auch kein Problem, denn Ben hatte da eine riesige Auswahl-er war ja so oft wie möglich im Fitnessstudio, ging laufen und machte auch sonst schon immer Sport, sie musste nur die passenden Sachen auswählen und in den Koffer packen. Außerdem war er auch nicht aus der Welt und Sarah hatte fest vor, ihn regelmäßig mit den Kindern zu besuchen. Am Sonntag, war ihr gesagt worden, fanden überhaupt keine Anwendungen statt, man konnte den Kraftraum und das Schwimmbad selbstständig benutzen, aber davon war Ben noch weit entfernt, bisher war er ja noch nicht einmal im Rollstuhl gesessen!


    So verging der Tag wie im Fluge und am Nachmittag brachten sie Lucky erst zu Hildegard und dann fuhr Sarah mit den Kindern die gute halbe Stunde zur Rehaklinik und Tim fragte abwechselnd: „Sind wir bald da?“, oder „Warum ist Papa wieder im Krankenhaus?“, denn das war eine Situation, die schon häufiger vorgekommen war. Sarah hatte lange überlegt, ob sie Tim etwas von Ben´s Lähmung erzählen sollte, aber sich dagegen entschieden. Er war einfach noch zu klein, um das erfassen zu können und theoretische Erklärungen zu einer Querschnittlähmung waren sicher auch nicht angebracht. Sie würde ihm vor Ort kindgerecht erklären, dass der Papa gerade noch im Bett liegen musste und nicht laufen konnte und alles Weitere würde die Zeit zeigen. Mia-Sophie hatte unterwegs noch ein kleines Nickerchen gemacht, aber als sie sie dann auf den Arm nahm, Tim an der Hand fasste und mit schnellen Schritten in die Rehaklinik strebte, lächelten die Leute, die da herum saßen oder standen und sich unterhielten die süßen Kinder an und alle beide erwiderten offen das Lächeln, sie kannten von klein an nichts anderes.


    Ben hatte, nachdem er mit dem Diensttelefon der Schwestern vergeblich versucht hatte Semir auf dem Handy zu erreichen, am Nachmittag erst Entspannungsübungen in der Gruppe gehabt-dazu war er im Bett gebracht worden, danach hatte er eine halbe Stunde Pause, wie auch Markus, der daraufhin einfach mit in sein Zimmer gehumpelt war und sich mit ihm unterhalten hatte. Dann war die Ergotherapeutin zu ihm gekommen, während Markus mit seinen Krücken zum Stretching strebte. Danach war noch ein Vortrag zu Stressbewältigung, der Ben ziemlich skurril vorkam, denn der Redner da vorne wirkte alles andere als entspannt und hüpfte wie ein Derwisch vor seinen Zuhörern herum, die sich belustigte Blicke zu warfen und dann war sein Tagesprogramm beendet. Gerade hatte Ben sich wieder eine halbe Flasche Wasser einverleibt und sich selber kathetert, was ihm inzwischen immer selbstverständlicher von der Hand ging, da klopfte es plötzlich an der Tür und als er erwartungsvoll: „Ja bitte!“, rief, stürmte auf einmal sein Tim, den nun nichts mehr hielt, zur Tür herein, rief laut: „Papa!“, und schmiss sich in seine Arme, was Ben die Tränen der Rührung in die Augen trieb. Er drückte seinen Sohn ganz fest, küsste dann Sarah, die ebenfalls gerührt die Szene betrachtete und kitzelte dann Mia-Sophie am Bauch, was die glucksend zum Lachen brachte, während Tim nun bereits interessiert den Rollstuhl begutachtete. „Schön dass ihr da seid!“, sagte er ehrlich und Sarah legte nun seine Tochter neben ihn, ermahnte Tim brav zu sein und wandte sich dann an ihren Mann: „Ich hole nur schnell deine Sachen!“ sagte sie und während Ben nickte und sich jetzt eingehend mit seiner kleinen süßen Tochter beschäftigte, ging Sarah nur rasch zum Parkplatz um den Rollkoffer zu holen. Als sie nur Minuten später zurück kam, hörte sie Tim schon bis auf den Flur brüllen-der hatte sich nämlich die Finger am Rollstuhl eingeklemmt, allerdings war auf Ben´s verzweifeltes Läuten auch gleich eine Schwester gekommen, die ihn versuchte zu trösten, aber Mia-Sophie weinte nun ebenfalls mit und erwartete hoch genommen zu werden-kurz es herrschte Chaos, Ben lag blass und traurig und selber den Tränen nahe in seinem Bett und sagte deprimiert: „Ich bin nicht einmal fähig fünf Minuten auf meine Kinder acht zu geben-wie soll denn das nur werden?“ und Sarah hatte alle Hände damit zu tun die Situation zu schlichten. Tim war auch nichts passiert, der Schreck war größer gewesen als der Schmerz, das Baby beruhigte sich, sobald sie es hoch nahm und als Tim nun von der Schwester noch zum Trost einen Lutscher bekam, war seine Welt wieder in Ordnung, nur Ben ging das Ganze noch lange nach.


    Sarah räumte die Sachen in den Schrank, hörte sich die Erzählungen vom ersten Rehatag an, aber als Ben sie fragte, ob sie etwas von Semir gehört hätte, konnte sie nur verneinend den Kopf schütteln. „Ich habe heute in den Nachrichten etwas von der Explosion eines Tanklasters in Köln heute Morgen gesehen und da stand Stunden später noch Semir´s BMW an der Unglücksstelle. Sarah-ich erreiche ihn nicht, kannst du gleich mal versuchen, da etwas heraus zu bekommen?“ beauftragte er seine Frau, die sich auch gleich an ihr Handy hängte. „Ich brauche auch dringend eine Möglichkeit nach Draußen zu telefonieren, sonst bin ich hier völlig abgeschottet!“ verlangte Ben und weil sein Handy, seitdem es in der Gump versunken war nicht mehr ordnungsgemäß funktionierte, wie Hartmut vermeldet hatte, nachdem er die Daten darauf ausgewertet hatte, versprach ihm Sarah ein Neues zu besorgen. „Ich habe die wichtigsten Daten auf dem PC-die müsstest du mir dann rüber ziehen!“ bat er sie, aber Sarah schüttelte den Kopf. „Ben-du weisst genau, dass das zeitaufwändig ist-mit den Kindern geht das untertags nicht, ich werde einfach Hartmut bitten!“ sagte sie und damit war Ben ebenfalls einverstanden. Als man aber nun den auch nicht erreichte, wurde Ben zunehmend unruhig und rief dann selber Susanne an, die ihn aber nicht beunruhigen wollte. „Ich weiss selber nicht, wo Semir und Hartmut stecken und warum Semir´s Wagen da zufällig am Unfallort gestanden hat!“, behauptete sie, „Aber ich werde ihnen mitteilen, dass du angerufen hast, wenn ich sie sehe!“, versprach sie und legte dann voller schlechten Gewissens den Hörer auf.


    Sarah packte auch noch Ben´s Tablet und einen MP3-Player aus und als sie sich eine Stunde später verabschiedete, weil die Kinder ungeduldig wurden, steckte sich Ben die Kopfhörer in die Ohren, aber obwohl jetzt seine Lieblingsmusik lief, konnte er nicht so richtig abschalten, irgendwie war da ganz tief im Inneren ein Gefühl, dass mit Semir und Hartmut irgendetwas überhaupt nicht in Ordnung war.


    Der Attentäter hatte derweil dem Anwalt Bescheid gegeben, dass das erste Drittel des Auftrags ordnungsgemäß durchgeführt war und bekam auch gleich in bar einen Teil der vereinbarten Summe-jetzt würde er sich dem nächsten Opfer widmen, dazu musste er nur erst heraus finden, wo sich das aufhielt!

  • Nachdem Ben das Abendessen wieder alleine in seinem Zimmer eingenommen hatte, wurden seine Sorgen immer größer, einerseits hatte er Angst vor der Zukunft und dann beunruhigte es ihn, dass sich Semir nicht wenigstens kurz bei Sarah gemeldet und Grüße hatte ausrichten lassen. Er fühlte es, da war etwas passiert! Als die Schwester das Essenstablett abräumte, sah sie gleich, dass es ihrem neuen Patienten psychisch nicht gut ging, etwas was sehr normal hier war, denn die meisten Patienten mit schweren Rückenverletzungen standen an einem Scheitelpunt ihres Lebens, das sich völlig ändern würde nach so einem Trauma. Allerdings war ja am Nachmittag die Frau mit den süßen Kindern da gewesen, also die hatte anscheinend wenigstens keine Trennungsgedanken, etwas was leider häufig vorkam! Es hatte sich einmal einer ihrer Patienten versucht aus dem Fenster zu stürzen, weil seine Frau ihm knallhart gesagt hatte, dass sie sich ein Leben an der Seite eines Krüppels nicht vorstellen könne und ihn einfach verlassen hatte. Aber so eine Beziehung hatte schon vorher nicht funktioniert und der Mensch selber änderte sich ja nicht durch die Verletzung. Dieser junge Polizist wirkte sehr nett und er würde seinen Weg machen und auch, falls er nicht mehr völlig gesund wurde, mit Hilfe seiner Familie und seiner Freunde seinen Platz im Leben wiederfinden. Sie redete kurz mit ihm, aber dann musste sie sich um ihre anderen Patienten kümmern und ihr fiel etwas ein. „Herr Jäger-wenn sie möchten lasse ich jetzt einfach ihre Zimmertüre offen, das ist bei uns das Zeichen, dass die Patienten, die ihr Bett noch nicht selber verlassen können, Lust auf Gesellschaft haben. Vielleicht sieht der eine oder andere bei ihnen rein-soll ich das machen?“ fragte sie und Ben nickte stumm. Irgendwie war das Alleinsein gerade quälend und wenn er sein Handy hätte, hätte er auch jemanden-vor allem Semir-anrufen können. Aber das würde wohl noch bis morgen warten müssen und er hoffte auch, dass Hartmut auch gleich Zeit hatte, die Daten zu installieren-oder vielleicht funktionierte ja die Karte aus seinem alten Handy, das angeblich ebenfalls noch bei Hartmut lagerte, noch, dann wäre es dreimal einfacher. Er wusste aber Hartmut´s Nummer nicht auswendig und so würde sich Sarah darum kümmern müssen. Er wollte auch dasselbe Modell wieder haben, das war noch ziemlich neu gewesen, es sollte für Sarah kein Problem darstellen, auftragsgemäß am Heimweg beim Elektromarkt vorbei zu fahren und schnell diesen Kauf zu tätigen-an Geld mangelte es bei ihnen ja nicht!


    So blieb also die Türe offen und nach kurzer Überlegung gab die Schwester, die Markus irgendwo herum lümmeln sah, dem auch einen Tipp. Der hatte sich schon mit ihrem neuen Patienten unterhalten, war bereits zum zweiten Mal da und konnte den Dunkelhaarigen sicher aufmuntern oder zumindest ablenken. So klopfte es wenig später pro forma an der offenen Zimmertüre und schon humpelte Markus mit seinen beiden Krücken herein und begrüßte seinen neuen Freund mit einem breiten Lächeln. „Hey!“ sagte er, setzte sich auf einen Stuhl und Ben erwiderte den Gruß. Erst unterhielten sie sich eine Weile über belanglose Sachen, dann teilte Markus Ben mit, dass er am Nachmittag Sarah und die Kids gesehen hatte und er sagte ehrlich: „Deine Frau schaut sehr sympathisch und hübsch aus und deine Kinder sind einfach Zucker, die haben mich beide angelächelt, ich bin beinahe dahin geschmolzen. Dein Sohn sieht aus wie du und die Kleine wie ein Püppchen und ist ein Ebenbild deiner Frau, ich würde sagen, das habt ihr gut hingekriegt!“ teilte er Ben mit und der war erst geschmeichelt, erzählte dann aber Markus, dass auch gleich das Chaos ausgebrochen war, als er nur kurz mit seinen Kindern alleine geblieben war. „Weisst du, ich habe mich so minderwertig und hilflos gefühlt-ich kann, so wie es mir im Augenblick geht, nicht einmal fünf Minuten auf meinen Nachwuchs aufpassen, wie soll das nur werden?“ fragte er bang, aber Markus erzählte nun von sich und voller Erstaunen erfuhr Ben, dass sein Freund ebenfalls schon gelähmt gewesen war.
    „Ich hatte letztes Jahr einen Autounfall mit Wirbelfrakturen und die haben mich hier wieder gut hingekriegt. Jetzt bin ich-nachdem ich gerade wieder ein paar Wochen in der Arbeit war-von einer Rampe gerutscht und habe mir wieder etwas am Wirbel weggesprengt. Ich wurde erneut operiert und jetzt hoffe ich, dass ich bald wieder so fit bin wie vorher-lange genug hat es gedauert, aber es kann klappen, glaub es mir!“, machte er seinem neuen Bekannten Mut. „Ich bin zwar nicht verheiratet, habe aber einen dreijährigen Sohn, der bei seiner Mutter lebt. Ich habe in der Kur jemanden kennen gelernt, aber die Beziehung ist gerade am Wachsen, da weiss ich noch nicht, was draus wird, aber unsere Jungs würden sich sicher gut verstehen-vielleicht müssen wir da mal ein Treffen arrangieren, wenn Lukas mich besuchen kommt!“ schlug er vor und irgendwie tat das Gespräch Ben total gut.


    Nach einer Weile fiel Ben´s Blick auf Markus´ Mobiltelefon, das sich unmissverständlich unter der Brusttasche seines Shirts abzeichnete. „Ich hätte eine Bitte und natürlich bezahle ich dir das, aber ich müsste dringend meinen Freund anrufen, kannst du mir kurz dein Handy leihen?“ fragte er und Markus holte es sofort hervor und streckte es ihm entgegen: „Das kostet auch nichts, denkst du, ich hätte keine Flat?“ fragte er dann mit einem Grinsen und betrachtete dann das Bild von Sarah, den Kindern und Lucky, das auf Ben´s Nachttisch stand, während Ben erneut erfolglos Semir´s Nummer wählte. „Der Teilnehmer wird…“, begann die Computerstimme ins Telefon zu quäken-„Mann konnte Semir nicht einmal seine Mailbox aktivieren?“, fragte sich Ben, während er auflegte.
    „Hast du übrigens schon von dem Unfall mit einem Toten in Köln heute Morgen gehört?“, fragte nun Markus und jetzt war Ben wieder ganz bei der Sache. „Das war beinahe vor meiner Haustür und mein Nachbar, der sich nachher den Unfallort angesehen hat, hat gemeint, dass da so ein Irrer mit nem Oldtimer, bei dem vermutlich die Bremsen versagt haben, in einen Tanklaster gerauscht ist. Aber angeblich hat der Fahrer das Ganze nicht überlebt!“, plapperte Markus und jetzt reihten sich in Ben´s Kopf Indiz um Indiz aneinander. Betont desinteressiert fragte er nun: „Hat dein Nachbar dir auch gesagt, was für ne Marke der Oldtimer wohl war?“ fragte er und sein neuer Freund nickte. „Das war wohl ein Toyota Supra-er hat den gleich erkannt, obwohl nicht mehr so viel von ihm übrig geblieben ist-er hatte früher nämlich selber so einen!“ erzählte er und sah dann ganz erschrocken auf Ben, der nun käsebleich geworden war und mit der Hand nach seinem Hals griff. „Ist dir nicht gut?“ fragte er und läutete auch schon der Schwester, während Ben vor Entsetzen erst einmal die Luft weg blieb.


    Markus wurde aus dem Zimmer geschickt und die Schwester holte schnell den Dienstarzt dazu, denn soeben erlitt ihr neuer Patient einen gepflegten Nervenzusammenbruch und faselte dabei immer zwei Namen-Hartmut und Semir. Man spritzte ihm Tavor und wenig später war Ben in den Klauen des Beruhigungsmittels und konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, sondern schlief nur noch vor sich hin. „Ich hoffe er beruhigt sich wieder-bitte überwachen sie ihn engmaschig. Wenn es nicht klappt, müssen wir ihn in ein Akuthaus verlegen, aber vielleicht geht es ihm in ein paar Stunden besser!“, ordnete der Dienstarzt, der ja Orthopäde war, an und die Schwester nickte. „Was hat ihn denn so aufgeregt?“ fragte die Pflegekraft dann Markus, der ganz besorgt vor der Zimmertüre wartete. „Ich habe mich mit ihm nur über die Explosion dieses Tanklasters heute früh in Köln unterhalten, da ist er plötzlich abgestanden und hat keine Luft mehr gekriegt!“ berichtete der junge Mann und wurde dann von der Schwester weg geschickt. „Herr Jäger braucht jetzt erst einmal Ruhe, morgen sehen wir weiter!“ beschied sie ihm und sah alle paar Minuten nach Ben, der sich aber nun kaum mehr regte, zu sehr hatte ihn das Medikament ausgeknockt.


    Der Attentäter fackelte nicht lange und fuhr erneut zur Wohnadresse seines nächsten Opfers. Wieder spielte gerade das kleine Mädchen im Garten-es war wie ein Deja-Vú, als er über den Gartenzaun rief: „He Kleine-ist dein Papa jetzt da?“ aber Lilly schüttelte den Kopf und sprang dann wieder auf, um die Mama zu holen. Allerdings brauchte der Attentäter jetzt alles andere als eine aufgeregte Mutter, die ihn eventuell auch noch beschreiben konnte und suchte deshalb rasch das Weite. Sein nächster Weg führte ihn zu dem Gutshaus und tatsächlich-diesmal war das bewohnt und eine hübsche junge Frau beaufsichtigte auf der Terrasse sitzend, einen kleinen Jungen, der im Sandkasten spielte. „Wann fahren wir wieder zu Papa-ich mag mit dem Stuhl fahren?“ wollte er quengelnd wissen und Sarah sagte freundlich: „Morgen besuchen wir den Papa wieder am Nachmittag und bringen ihm sein neues Handy, ich hoffe nur, dass ich Hartmut noch erreiche, sonst kann ich mich da heute Abend noch rumplagen und die ganzen Daten selber rüber ziehen!“ sagte sie mehr zu sich selber und drückte zum erneuten Mal auf die Wahlwiederholung, allerdings ohne Erfolg. In diesem Augenblick erspähte Lucky, der gerade im Haus gewesen war, um seinen Kauknochen zu holen, den fremden Mann, der sich hinter den Büschen verborgen hatte. Mit wütendem Bellen schoss er gegen den Gartenzaun und der Attentäter suchte schnellstmöglich das Weite. Er hatte genug gehört-morgen würde er einfach warten und dann die junge Frau beschatten-sie würde ihn zu seinem nächsten Opfer führen!

  • Sarah hatte am Abend noch mehrmals versucht, Hartmut zu erreichen und sich schließlich, als die Kinder im Bett waren, aufseufzend an Ben´s PC gesetzt und die Daten herüber gezogen. Es war ja nicht so, dass sie das nicht konnte, aber wenn man einen Mann hatte, der sowas gerne machte und dann noch ein Computergenie im Bekanntenkreis hatte, der das mit links erledigte, tendierte man dazu, solche Aufgaben abzugeben. Sie hatte mit den Kids und dem Haus auch normalerweise genügend zu tun. Der Verkäufer hatte ihr auch versprochen, dass die Ersatz-SIM-Karte per Express noch am nächsten Vormittag geliefert werden würde und Ben war so schlau gewesen, ihr eine Vollmacht mit zu geben und für Rückfragen die Telefonnummer der Autobahnpolizei anzugeben-ein Anruf des Telefonnetzbetreibers bei der Chefin hatte genügt und die neue Karte mit Ben´s alter Nummer machte sich auf den Weg. Es war kurz nach Mitternacht als Sarah sich endlich zur Ruhe begab und auch sofort einschlief.


    Hartmut und Semir keuchten zwar alle beide noch ziemlich herum, aber mit Inhalieren und bronchienerweiternden Sprays wurde es immer besser, Hartmut hatte zwar Ganzkörperschmerzen und auch Semir war nach der Explosion ganz schön hart aufgeschlagen, aber sie waren beide froh, am Leben zu sein und wurden am nächsten Morgen auch planmäßig entlassen. Semir hatte Andrea am Telefon beruhigen können und hatte sie zur Arbeit geschickt-sie würden von Jenni abgeholt werden, nur hatten beide nicht vor, sofort nach Hause zu gehen, sondern sie wollten an ihre Arbeitsstellen-Hartmut in die KTU und auch Semir in sein Büro, um heraus zu finden, wer das Attentat auf Hartmut verübt hatte. Andrea hatte Semir noch davon berichten wollen, dass nun Lilly schon zweimal von einem fremden Mann nach ihm gefragt worden war, der immer dann, wenn Andrea mit ihm sprechen wollte, verschwunden gewesen war, aber dann vergaß sie es, auch vor Erleichterung, weil es ihrem Mann wieder gut ging.

    Hartmuts Telefon hatte neben ihm auf dem Beifahrersitz gelegen und war bei der Explosion zerstört worden und Semir hatte seines ebenfalls im Wagen gehabt, wo es auch noch lag, als man endlich die Unfallstelle geräumt hatte, den BMW in die PASt fuhr und dort auf dem Parkplatz abstellte. Der Akku war fast leer und Semir hatte zwar mit einem Blick eine Menge Anrufe darauf gesehen, aber da konnte er sich momentan nicht drum kümmern-jetzt gab es Wichtigeres zu erledigen! Ein wenig keuchte er zwar noch vor sich hin, aber dann fuhr er den PC hoch und ging die Fälle der letzten Zeit durch, wo Hartmut involviert gewesen und sein Name auch genannt worden war, um irgendwelche Übeltäter zu überführen. Nachdem die das meistens erst bei der Gerichtsverhandlung erfuhren, wenn Hartmut über seine Erkenntnisse berichtete und so mit seinen Beweisen und logischen Schlussfolgerungen die Verurteilung wasserdicht machte, ging Semir weiter und weiter zurück und sah auch die Listen der kürzlich aus der Haft entlassenen Verbrecher durch. Nur eine Verbindung nach Nordschwaben stellte er nicht her-dazu war ja auch noch nichts Wesentliches auf seinem PC!


    Ben hatte in den Fängen des sedierendes Medikaments vor sich hin geschlafen. In der Nacht war er nochmals kurz wach geworden und hatte dringend verlangt, seinen Freund anrufen zu dürfen-er musste einfach wissen, was mit dem und Hartmut war, aber die Nachtschwester hatte das verweigert und ihm eine weitere Beruhigungsspritze verabreicht. Was fiel ihrem Patienten denn ein? Anscheinend war der doch noch ein wenig durcheinander-man konnte doch nicht mitten in der Nacht alle möglichen Leute aus dem Bett hauen! Aber er war kreislaufstabil, das Kathetern hatte die Schwester für ihn übernommen und er hatte es in seinem Dämmerschlaf kaum mitgekriegt. Am frühen Morgen roch es auch unangenehm im Zimmer und so hatte man Ben, der davon überhaupt nichts mit bekommen hatte, sauber gemacht und er war erst kurz nach sieben wieder völlig zu sich gekommen. Er hatte zwar noch einen Kopf auf, als wenn er drei Tage durch gesoffen hätte, aber immerhin war er wieder klar und als er nun der Frühdienstschwester, die zum Waschen kam, erklärte, warum er sich gestern so aufgeregt hatte und dass er befürchtete, dass ein guter Freund bei dem schrecklichen Unfall gestern in Köln ums Leben gekommen und dass sein Partner auch nicht erreichbar gewesen war und er deswegen in furchtbarer Sorge lebte, nahm die seine Befürchtungen ernst und ließ ihn vom Stationstelefon aus erneut Semir anrufen-allerdings weiterhin erfolglos. Bei den Gerkhans zuhause ging auch nur der Anrufbeantworter ran-Ben hatte unglücklicherweise Andrea knapp verpasst, die kurz zuvor das Haus verlassen hatte und dann brauchte man das Telefon und Ben bekam erst einmal Frühstück, denn die Reha würde pünktlich weiter gehen, außer der Arzt schrieb ihn krank.

    Ben kam sich ziemlich verlassen vor, aber dann beschloss er, seinen ersten Physiotermin mit aller Kraft wahr zu nehmen-er konnte, was auch immer geschehen war, seinen Freunden nur helfen, wenn er wieder fit war und danach hatte er eine Pause von einer Stunde bis zur nächsten Anwendung, da würde er-von welchem Telefon aus auch immer-in der PASt anrufen und sich diesmal nicht von Susanne abwimmeln lassen, denn inzwischen war er überzeugt, dass die ihm etwas verheimlicht hatte, um ihn nicht aufzuregen. Mit etwas Abstand konnte er das auch verstehen-man hatte ja gesehen, wie er auf die Erkenntnis reagiert hatte, die er aus den vorliegenden Informationen gezogen hatte-das war weder professionell noch sonst etwas gewesen, sondern die pure Panik und die Angst um seine Freunde hatte ihn austicken lassen. Wenn etwas geschehen war, konnte er es sowieso nicht ändern und so turnte er mit aller Kraft unter Anleitung in seinem Bett und heute konnte er sich schon viel länger ohne Schwindelattacke aufrecht halten.


    Nach der Sporteinheit verlangte er-nun wieder halbwegs ruhig- das Stationstelefon, das ihm auch gleich gebracht wurde und als er nun die Nummer der PASt wählte und Susanne ran ging, ließ er sie erst gar nicht zu Wort kommen. „Susanne-ich weiß, dass gestern ein schlimmer Unfall passiert ist und du mich nur schützen wolltest, aber die Ungewissheit ist furchtbarer als alles andere!“, sprudelte er hervor. „Bitte sag mir jetzt und gleich, was mit Hartmut und Semir passiert ist-ich kann es ertragen, egal, was du mir jetzt mitteilst!“, aber statt ihm eine Erklärung zu geben, knackte es in der Leitung und als Ben nun Semir´s vertraute Stimme hörte, die sich ein wenig rau mit „Gerkhan!“, meldete, schossen ihm vor Erleichterung die Tränen der Freude aus den Augen-so viel zum Thema, was er gerade alles aushalten konnte.
    „Semir-wie geht es dir und was ist mit Hartmut und warum konnte ich dich seit gestern nicht erreichen?“, wollte er auch sofort wissen und Semir bekam erst in diesem Augenblick ein schlechtes Gewissen. Er hatte zwar schon kurz daran gedacht, Ben Bescheid zu geben, war aber dann der Überzeugung gewesen, dass der von dem Unfall ja überhaupt nichts mitgekriegt hatte und man ihn deshalb auch nicht unnötig beunruhigen musste. Jetzt verheimlichte er aber nichts mehr, sondern teilte seinem Freund einfach der Reihe nach mit, was gestern geschehen war und dass Hartmut zwar verprellt und hustend, aber ansonsten weitgehend unversehrt, in der KTU hockte und voller Kummer die Überreste seiner Lucy untersuchte.
    „Ben-ich komme dich heute Abend besuchen-wann ist es denn vom Zeitlichen gesehen günstig?“ fragte er nun und Ben teilte ihm nach einem Blick auf den Rehaplan den Zeitpunkt mit, wann er mit allen Anwendungen fertig war. „Und Semir!“, fügte er noch hinzu. „Hier gibt es abends immer nur kaltes Abendbrot. Kannst du mir, wenn du eh in diese Richtung fährst, bitte eine Currywurst mit Pommes von unserem Lieblingsimbiss mitbringen?“, bat er und Semir versprach schmunzelnd, das zu tun. Das war wieder sein alter Ben und ab jetzt würde der überall wieder mit einbezogen werden-in drückte ordentlich das schlechte Gewissen, dass er ihn hatte außen vor halten wollen.
    Bei Ben wurden danach die Fäden am Rücken gezogen, was aber nur ein wenig zwickte, er lauschte danach einem Vortrag, wo Markus heilfroh war, ihn wieder munter zu sehen und ließ dann erneut die manuelle Therapie über sich ergehen. Heute tat es schon nicht mehr ganz so schlimm weh wie gestern-anscheinend war die Sedierung gar nicht so schlecht gewesen, weil sich da auch die Muskulatur entspannt hatte.


    Eine Ergotherapeutin bearbeitete nach dem überaus gesunden Mittagessen seine Beine, folgte mit ihren Griffen und Hilfsmitteln den Nervenbahnen und heute war das Gefühl schon wieder ein Stück weiter nach unten gewandert. „Herr Jäger, das wird!“, freute sie sich mit ihm und mit neuer Motivation legte sich Ben ins Zeug. Nach weiteren zwei Therapien-diesmal in der Gruppe, wozu nur er und der beatmete Patient im Bett gebracht wurden, war sein Tagesprogramm endlich beendet und Ben hätte sich jetzt nach einer Dusche gesehnt. Er würde nachher Sarah bitten, ihm beim Frischmachen ein wenig zu helfen, aber es war schon wohltuend, seine eigenen Sportklamotten zu tragen. Das Aufrichten klappte nun auch schon viel länger und als dann erst Sarah mit den Kids und seinem neuen Handy und kurz darauf Semir mit der Currywurst eintrafen, hatte Ben endlich wieder das Gefühl zu leben!

  • Der Anwalt hatte am Vormittag einen Termin mit den Scheichs. Als der Bewacher den Raum verlassen hatte, denn Anwälte durften ohne Zeugen mit ihren Mandanten sprechen, senkte er dennoch die Stimme, als er verkündete: „Der Erste der Drei hat gestern bei einem Verkehrsunfall sein Leben verloren-Hartmut Freund!“, teilte er seinen beiden Auftraggebern mit. Die lächelten in sich hinein und nickten, sie hatten doch gewusst, dass sie sich auf ihren Rechtsvertreter verlassen konnten. „Das zweite Opfer wird vielleicht gleich heute erledigt, mein Helfer ist nah dran!“, verkündete er, aber nun hob der eine der Scheichs die Hand. „Das wäre zu offensichtlich-er soll ein wenig Zeit vergehen lassen, denn die deutsche Polizei ist erstens nicht dumm und glaubt zweitens nicht an Zufälle. Wenn denen ein Zusammenhang klar wird, dann ist der dritte Mann von der Bildfläche verschwunden und wird von seinen Kollegen geschützt!“, bestimmte er und der Anwalt legte seine Hände zusammen und deutete eine leichte Verbeugung an, zum Zeichen, dass er verstanden hatte. So kam es, dass der Attentäter kurz darauf einen Anruf bekam, er solle noch ein wenig warten und deshalb am Nachmittag Sarah zunächst zu Hildegard und danach in die Rehaklinik nur folgte. Wieder hatte er ein neutrales Fahrzeug gemietet und Sarah verschwendete keinen Gedanken an einen Verfolger- warum auch-und als der arabisch aussehende Mann sah, wo sie hin fuhr, zog ein diabolisches Lächeln über sein Gesicht. Er würde ein wenig Zeit ins Land gehen lassen und dann zuschlagen. In einer solchen Rehaklinik verweilten die Patienten meistens länger, das sollte kein Problem darstellen und mit den ganzen Geräten konnten schreckliche Unfälle passieren…


    Ben hatte voller Appetit seine Currywurst mit Pommes verdrückt und obwohl die Kinder eigentlich vor dem Besuch beim Papa etwas gegessen hatten, bekam auch Tim etwas ab, der den gleichen Geschmack wie sein Vater hatte, nur gab es zuhause nie so ungesunde, leckere Sachen. Sogar Mia-Sophie biss mit ihren kleinen Zähnchen, die gerade einer nach dem anderen durchbrachen, auf einem langen Pommes herum und Ben sagte vergnügt: „Ich weiss gar nicht Schatz, warum du dir immer so viel Arbeit mit dem Kochen machst-du siehst doch, die Kinder und ich sind auch mit Fertigfutter zufrieden!“ neckte er sie und Sarah schnaubte erst empört durch die Nase, aber als sie dann Ben´s verschmitztes Grinsen sah, gab sie ihm einen kleinen liebevollen Rempler. „Dann bin ich ja froh, dass du bei uns nicht alleine den Speiseplan bestimmst-wetten, du hast, bevor wir zusammen gekommen sind, ausschließlich von Fertigpizza, Hamburgern, Currywurst und Döner gelebt!“, behauptete sie und nun musste Ben noch mehr grinsen, denn Semir nickte jetzt eifrig. „Sarah, du hast es erfasst-wenn Andrea und ich ihn nicht ab und zu zu richtigem Essen eingeladen hätten, wäre er sicher deshalb umgekommen, nur in einem muss ich dir widersprechen-so ein Döner enthält alles, was man zum Leben braucht!“ behauptete er dann und jetzt brachen alle drei Erwachsenen in schallendes Gelächter aus.


    Als die Schwester ihm das Abendessen des Hauses bringen wollte, winkte er ab. „Dankeschön, aber ich habe heute etwas viel Besseres gekriegt!“, vertraute er ihr an und kommentarlos nahm sie das Tablett wieder mit, nicht ohne die Kinder mit einem freundlichen Lächeln bedacht zu haben, das von ihnen sofort erwidert wurde. Während Sarah ihm beim Frischmachen und Umziehen half und die verschwitzte Wäsche gleich zum Waschen mit nach Hause nahm, beaufsichtigte Semir, der immer noch gelegentlich von Hustenanfällen geplagt wurde, die Kinder und als er Tim in den Rollstuhl setzte und ein wenig herum fuhr, jauchzte der vor Vergnügen, während Ben das Gefährt immer noch mit gemischten Gefühlen betrachtete.


    So gingen die Tage ins Land. Leider hatte Hartmut bei aller Mühe aus den Resten seiner Lucy nichts heraus lesen können, was Hinweise auf den Attentäter gab, zu sehr war alles durch die hohen Temperaturen geschmolzen. Wenn Semir ihn nicht heraus geholt hätte, hätte er sein Geheimnis mit ins Grab genommen und jeder hätte auf ein Bremsversagen bei dem alten Auto getippt und lamentiert, warum Fahrzeuge mit so einer veralteten Technik immer noch am Straßenverkehr teilnehmen durften. Vorsichtshalber tauchte Hartmut für ein paar Wochen bei einem Kumpel unter, was sehr gut passte, denn seine Wohnung sollte sowieso eine neue Heizung kriegen und renoviert werden, was schon lange geplant war. Als für alle Fälle der Attentäter noch wie zufällig der Wohnadresse seines Opfers einen Besuch abstattete-sicher ist sicher-wurden gerade Möbel heraus getragen und an den Fenstern waren keine Vorhänge mehr-er hatte sein Geld also tatsächlich verdient und ging nun erst einmal für ein paar Wochen seiner anderen Arbeit nach; er war Geldeintreiber für dubiose Kölner Unterweltshaie und hatte wegen seiner Skrupellosigkeit da gut zu tun.


    Bei Ben schritt die Reha voran, die Zeiten in denen er sich ohne Schwindelattacke aufrecht halten konnte, wurden immer länger und so kam der Tag, an dem er im Rollstuhl sitzen durfte. Überall in der Rehaklinik waren Haltestangen und -bügel angebracht, so dass Ben, dessen Oberkörpermuskulatur inzwischen voll auf trainiert war, sich problemlos, als man ihm die Technik erklärt hatte, vom Bettrand umsetzen konnte. Inzwischen brannte er darauf, wieder selber mobil zu sein, denn auch wenn er auf seiner Trage überall hin gebracht wurde und auch schon mehrmals im Freien gewesen war-er brauchte immer jemanden, der ihn abholte, schob und dabei war, was dankenswerterweise Markus, mit dem ihn inzwischen schon eine gute Freundschaft verband, häufig übernahm. Allerdings durfte der bei seiner Vorgeschichte auf gar keinen Fall heben und auch wenn dessen Reha ebenfalls mit Erfolg fort schritt, für die Therapien waren die Physios zuständig und die forderten Ben bis zum Äußersten, so dass er abends meistens völlig erschöpft vor dem Fernseher einschlief.
    Heute aber schaffte er es, sich ohne Hilfe selber aufzurichten und umzusetzen. Die ganze Zeit hatte er den Rollstuhl mit gemischten Gefühlen betrachtet, aber jetzt war der ein Mittel zur Selbstständigkeit und obwohl er inzwischen bis zu den Fußknöcheln etwas fühlen konnte, war der Weg zum eigenständigen Gehen noch weit.


    Markus hatte ihm von sich selber, seiner Ungeduld und der Zeit, bis er im Vorjahr von einem inkompletten Querschnitt bis zur Arbeitsfähigkeit verbracht hatte, erzählt. Auch wenn Ben eigentlich die Ungeduld in Person war, tat ihm Markus trotzdem gut, denn der rief ihm jeden Tag aufs Neue ins Gedächtnis, welche Fortschritte er machte, wie gut das prinzipiell lief und auch Ben´s Kinder und auch Lucky, der ebenfalls einmal hatte mitkommen dürfen, Herrchen zu besuchen, was in Tönen höchsten Entzückens und einem vor Freude herum rasenden Deerhound geendet hatte, mochten den ebenfalls dunkelhaarigen, eher stillen Mann mit dem herzlichen Lächeln. Im Gegensatz zu Ben, dessen Familie fest zu ihm hielt-sogar Konrad hatte es einmal geschafft, ihn zwischen zwei Geschäftsterminen zu besuchen und auch seine Schwester Julia ließ sich gelegentlich mal blicken-hatte seine neue Freundin ihn verlassen, Eltern hatte er keine mehr und sein Sohn lebte bei der früheren Partnerin, die aber selber wieder neu verbandelt war. So verbrachten die beiden Männer viel Zeit miteinander und tranken so manches Bier zusammen, schauten Fußball und machten sich die Zeit in der Käseglocke-wie Markus die Rehaklinik betitelte-zusammen lebenswert.

  • Bei Ben machte es sich nun bezahlt, dass er seinen Oberkörper, der schon vorher nicht schlecht beieinander gewesen war, weiter auftrainiert hatte. Er konnte die Räder seines neuen Fortbewegungsmittels kraftvoll bedienen und sauste binnen Kurzem wie ein Blitz durch die Gänge der Rehaklinik. Endlich konnte er auch die Mahlzeiten im Speisesaal einnehmen und bald hatte sich sein Körper an das aufrechte Sitzen gewöhnt. Auch die Rumpfstabilität war ausreichend, nur die Gefühlsstörungen und die Schwäche in Ben´s Beinen blieben noch bestehen. Die Physiotherapeuten hatten angefangen, Ben´s tauben Unterkörper nicht nur mechanisch zu bearbeiten und mit Elektrostimulation zu aktivieren, sondern er wurde in martialisch aussehende Apparate eingespannt, die zwanzig Minuten lang seine untere Extremität passiv durch bewegten und den Bewegungsspielraum seiner Gelenke bis zur Grenze beanspruchten.
    Das und das restliche Trainingsprogramm, das ebenfalls nicht von schlechten Eltern war, ließ Ben in der Nacht manchmal stundenlang vor Schmerzen wach liegen, denn nun schüttelten schmerzhafte Krämpfe seine Beine, aber er verkniff es, sich Schmerzmittel geben zu lassen. Viel zu lange hatte er schon etwas eingenommen und er wollte einfach lieber nach Feierabend mit Markus genüsslich ein Bier auf der Terrasse der Klinik trinken, was mit starken Schmerzmitteln nicht gut war. Viele ihrer Mitpatienten, von denen sie schon so einige kommen und gehen gesehen hatten, weil die meisten nur eine drei-oder vierwöchige Reha von ihren Kassen oder Versicherern genehmigt bekamen, waren schmerzmittelsüchtig, das war gerade bei Wirbelsäulenpatienten an der Tagesordnung und das erschreckte Ben und auch Markus, der ihn auf die Problematik aus eigenem Erleben erst hingewiesen hatte.
    „Weisst du Ben, als ich letztes Jahr diese Lähmung hatte, dachte ich mein Leben wäre vorbei. Ich habe diese so harmlos aussehenden Tabletten früh und abends auch bereitwillig genommen, denn die haben mich weg gedröhnt und mir meine Situation auch verschleiert, ich hatte klar keine Schmerzen mehr, aber erst nach einer Weile bin ich drauf gekommen, dass die mir auch unheimlich Kraft zum Kämpfen genommen haben. Irgendwann hat mich ein älterer Mann, der schon ein Leben lang im Rollstuhl saß, darauf hingewiesen und als ich dann die Tabletten einfach gebunkert und nicht mehr genommen habe, habe ich plötzlich Schweißausbrüche bekommen, zu zittern begonnen und war fürchterlich unruhig. Das war der Entzug und ich hatte dann sogar Wahnvorstellungen und hätte mich beinahe aus dem Fenster gestürzt, so sehr hatten diese Opiate mich im Griff. Aber ich habe es geschafft und seitdem bin ich diesem Teufelszeug gegenüber fürchterlich misstrauisch!“, hatte er ihm erzählt und Ben, der mit dem Thema Sucht auch schon so seine Erfahrungen gemacht hatte, denn während Sarah mit Tim schwanger gewesen war, war er gekidnappt und heroinsüchtig gemacht worden, was ihn beinahe sein Leben und vor allem auch seine Familie gekostet hätte, aber er hatte es damals mit Hilfe von Sarah und Semir geschafft, sich aus den Fängen dieser Droge zu befreien- so weit würde er es nie mehr kommen lassen. Also hielt er lieber die Schmerzen aus, weinte auch manchmal ein Stündchen vor Verzweiflung, wenn sie wieder besonders schlimm waren, aber irgendwann konnte er dann immer einschlafen und am nächsten Morgen begann ein neuer Tag und tendenziell wurde es auch immer besser.


    Weil alle offenen Wunden an Rücken und Bauch, Thorax und Arm inzwischen verheilt waren, bekam er nun auch Wassertherapie im Bewegungsbad und Ben, der immer schon gerne geschwommen war, fühlte sich zum ersten Mal wieder leicht und frei, als er fast so schnell wie die anderen, die immerhin hin stehen konnten, die Länge des kleinen Hallenbades mit dem eher warmen Wasser durchschnitt. Seine Beine hingen zwar immer noch wie lästige Anhängsel an ihm dran, aber er schaffte es, einfach mit seiner Armmuskulatur und dem Gleichgewichtssinn sich nicht nur über Wasser zu halten, sondern richtig zu schwimmen. Bei der ersten Therapiestunde hatte er sich vom Rollstuhl in die Hebeeinrichtung umsetzen müssen, mit der man ihn langsam zu Wasser gelassen hatte. Sogar zwei Therapeuten, ein Physio und ein Praktikant, hatten ihn im Becken entgegen genommen, um ihm die Angst vor dem Ertrinken zu nehmen, aber es war nach wenigen Minuten klar gewesen, dass das bei Ben nicht notwendig war, der wie ein Fisch die warmen Fluten durchschnitt. Auch die nächtlichen Krämpfe wurden jetzt besser und so bekam Ben jetzt nicht nur Wassergymnastik, sondern nutzte gemeinsam mit seinem Freund Markus jede freie Minute um selbstständig schwimmen zu gehen, was außerhalb der Therapiezeiten in der Rehaklinik jederzeit möglich war.


    Als am nächsten Sonntag Sarah mit den Kindern wieder zu Besuch kam, bat er sie explizit Lucky wieder mit zu bringen und sie machten seit seiner Verletzung den ersten gemeinsamen Spaziergang mit Kindern und Hund. Mia-Sophie saß auf seinem Schoß und krähte vor Vergnügen, als er rasch mit ihr die Wege entlang rollte, Lucky lieferte sich winselnd und wedelnd Wettrennen mit dem Rollstuhl, apportierte voller Freude wieder und wieder das mitgebrachte Bällchen, das Ben weit und kraftvoll warf und irgendwann wollte Tim, der eine Weile brav nebenher gelaufen war, dann auch auf Papas Schoß und so tauschten sie einfach die Kinder. Als Sarah die kleine Mia-Sophie, die weiche Lederschühchen anhatte, nun hinstellte und ihr die Hand gab, stopselte die kleine Maus munter drauf los und Ben schossen Tränen der Rührung in die Augen: „Sie läuft, dabei ist sie noch nicht einmal ganz ein Jahr alt!“ bemerkte er staunend und gleichzeitig versetzte es ihm einen Stich ins Herz, was er gerade alles Wichtige im Leben seiner Kinder verpasste.


    Irgendwann in den nächsten Tagen konnte Ben plötzlich den Boden unter seinen Füßen wieder wahr nehmen, ein weiterer Fortschritt hatte sich ebenfalls innerhalb der letzten Woche ergeben-er konnte wieder seinen Harndrang spüren und als ihn eine Therapeutin nun bekräftigte, seine Blase mit speziellen Klopftechniken auf die Bauchdecke zu stimulieren, schaffte er es die ersten Male sie ohne Katheterismus auf der Toilette zu entleeren-seine Schließmuskeln begannen wieder ans Netz zu gehen. Das mit dem Abführen klappte auch gut, anfangs hatte man ihm gezeigt, wie er sich jeden Tag morgens zur selben Zeit ein Mikroklist verabreichen sollte und kurz darauf hatte er sich entleeren können, aber mit der Zeit funktionierte das auch schon ohne mechanisch-chemische Stimulation, einfach nur durch den morgendlichen Kaffee, aber es hing sicher auch damit zusammen, dass er sich nun mehr bewegte und auch völlig normale Sachen mit vielen Ballaststoffen aß.


    Ben hatte wieder neuen Lebensmut und arbeitete wie ein Wilder an seiner Genesung und als man ihn nun zwischen zwei Holzstangen stellte, Schienen um seine Beinen legte, damit die nicht weg knicken konnten, legte er seit dem schweren Unfall die ersten zwei Meter auf eigenen Beinen zurück, bevor er sich zitternd und völlig erschöpft wieder in den Rollstuhl sinken ließ. „Warum dauert das so lange?“ beschwerte er sich, aber der Psychologe, der ihn die ganze Zeit betreute, lachte ihn bei der nächsten Therapiestunde regelrecht aus: „Herr Jäger-in Anbetracht der Schwere ihrer Verletzungen sind ihre Fortschritte fast sensationell!“ sagte er, „aber ein wenig Geduld müssen sie schon mitbringen-Nerven brauchen einfach ihre Zeit, um sich zu erholen!“ erklärte er ihm, aber Geduld war noch nie Ben´s Stärke gewesen.


    Heute stand am Nachmittag noch ein Vortrag über Sexualität mit Querschnittlähmung auf dem Programm und Ben war schon sehr gespannt, was er da zu hören bekam, denn langsam sehnte er sich nach Sarah und auch danach, wieder körperlich mit ihr zusammen zu sein, aber er hatte zwar beobachtet, dass er durchaus nächtliche und morgendliche Erektionen und sogar Samenergüsse wie ein Pennäler hatte, aber er fühlte es nicht oder zumindest anders und kaum und konnte das Ganze nicht kontrollieren. Markus hatte bei seiner letzten Reha diesen Vortrag schon gehört, war also diesmal nicht dabei und Ben musterte verstohlen die anderen, die diesen Termin ebenfalls in ihrem Pflichtprogramm hatten. Auch wenn es niemandem peinlich sein musste, kostete es dennoch große Überwindung, sowas mit wildfremden Menschen zu teilen, auch wenn einem das auch wieder bewusst machte, dass man mit seinen Problemen nicht alleine auf weiter Flur stand. Die Rednerin vorne war unter anderem auch Sexualtherapeutin und Ben war überrascht, wie sie es schaffte, innerhalb kürzester Zeit die Verlegenheit von ihnen zu nehmen, fast jeder über Erfahrungen berichtete und sie ihnen neben allerlei praktischen Tipps, wie die Verwendung von Gleitgel und Stärkungsringen, doch vor allem Mut machte, ihre Sexualität wieder neu zu entdecken und vielleicht anders als vorher, aber dabei nicht minder erfüllend zu erleben. „Machen sie sich frei von dem Gedanken, dass ein tolles Liebesleben einen perfekt funktionierenden oder aussehenden Körper voraus setzt, seien sie neugierig, spielen sie mit ihren Partnern und lassen sie sich aufeinander ein, sie werden sehen, wie schön das sein kann-und nehmen sie vor allem dem Leistungsgedanken raus!“, empfahl sie ihnen und jetzt hatte Ben plötzlich keine Angst mehr davor, wie es sein würde, wenn er zum ersten Mal wieder mit Sarah zusammen kam.


    Seine Kollegen aus der PASt besuchten ihn regelmäßig, auch Hartmut war wieder in seine Wohnung zurück gekehrt. Semir brachte Andrea und die Kinder gelegentlich mit und so ging die Zeit ins Land und Ben trat im Augenblick auf der Stelle. Was ihm auch noch zusetzte-sein Freund Markus, der ihm in der Zeit eine große Stütze gewesen war, sollte am kommenden Dienstag geheilt entlassen werden und würde ab der kommenden Woche wieder arbeiten gehen.


    Jeden Tag seit Wochen schnallte man ihm die Schienen an und er hangelte sich zwischen den Stangen durch, aber irgendwie funktionierte das nicht mit dem Laufen. Als dann auch noch ein Physiotherapeut die Vermutung aufstellte, dass er da eine psychologische Blockade habe und vielleicht sogar Angst davor, wieder gehen zu lernen, war Ben erst zornig und dann wieder am Boden zerstört-niemand wollte mehr als er sein altes Leben zurück, das war einfach schrecklich, wenn das nicht ging und einem dann sogar Absicht unterstellt wurde! Nach einer schlaflosen Nacht voller Depressionen beschloss er, nun noch heftiger als vorher zu trainieren und obwohl Samstag war, ging er-ohne das jemandem zu sagen-alleine in die Muckibude, wie sie den Geräteraum nannten. Das war eigentlich nur erlaubt, wenn ein Physiotherapeut da Aufsicht hatte, aber Ben hatte sich noch nie um Regeln geschert und machte einfach, nach was ihm der Sinn stand. Nur Markus blickte sich nach dem Frühstück suchend um-nanu wo war den Ben?

  • Der Attentäter hatte die freie Zeit mit viel Geld dazu genutzt in die Heimat zu reisen und dort Urlaub zu machen. Zunächst hatte er noch Kohle bei den Kölner Geschäftsleuten auf seiner Liste eingetrieben, aber die zahlten, wenn sie seiner ansichtig wurden, meist sofort. Er hatte den Ruf absolut skrupellos und unbarmherzig zu sein, wenn er ehrlich war, hatte er sozusagen seinen Traumberuf, denn Sadismus lag einfach in seinem Wesen, er quälte gerne erwachsene Menschen, schreckte aber auch vor Kindern und Tieren nicht zurück. Diese Drohungen und ein paar grausam umgebrachte Haustiere, dazu die Adresse des Kindergartens oder der Schule, die die Angehörigen der Erpressungsopfer besuchten, brachte die meisten Leute auf seiner Liste dazu, sofort zu zahlen, denn er bewies immer wieder aufs Neue, dass man ihn ernst nehmen musste und so hatte der dunkle Mann mit dem Bart und den stechenden, fast schwarzen Augen, seine Aufträge meistens schnell erledigt. Nach seiner Rückkehr aus dem Mittleren Osten fand er es jetzt an der Zeit, sich um sein nächstes Opfer zu kümmern. Ein einziger Anruf teilte ihm mit, dass Ben Jäger noch in der Rehaklinik weilte und nach kurzer Überlegung beschloss er das Wochenende, wo dort nicht an jeder Ecke Angestellte und Putzfrauen herum liefen, zu nutzen. Freilich hätte er die Möglichkeit gehabt, Ben in seinem Zimmer aufzusuchen, auch dort konnten Unfälle passieren, aber die Fitnessgeräte hatten es ihm angetan.

    Bereits am Freitag war er deshalb mit einem neutralen Lieferwagen her gefahren, hatte vorgegeben, ein Monteur für diese teuren Medizingeräte zu sein und die vor der nächsten TÜV-Abnahme durchsehen zu wollen. Bekleidet mit einem blauen Overall, eine Schildmütze weit ins Gesicht gezogen, hatte er hier mit einem Schraubenzieher hantiert, dort mit einem Schlüssel etwas nachgezogen und angeblich fachmännisch an Verstrebungen gerüttelt. „Alles in bester Ordnung, der TÜV kann kommen!“ hatte er dann den Aufsicht habenden Physios erklärt, die bei einzelnen Patienten persönliche Hilfestellung gaben, Trainingspläne veränderten, deren korrekte Durchführung überwachten und ihn nur beiläufig gemustert hatten. An solchen Geräten war auch öfter mal was kaputt, man musste die dann sofort sperren und den Kundendienst verständigen, so ein Monteur fiel eigentlich kaum auf, um so besser, dass heute alles in Ordnung war.


    Der Attentäter hatte sein nächstes Opfer, das er ja beim letzten Mal schon observiert hatte, schweißüberströmt an mehreren Geräten trainieren sehen. Ben plagte sich immer, dass ihm der Schweiß vorne und hinten runter lief, aber er hatte einen absoluten Ehrgeiz entwickelt. Seine Muskulatur oben herum war top in Schuss, sogar die doch lange Zeit gelähmten Beine bauten wieder auf, wenn auch noch langsam, nur das freie Gehen wollte einfach nicht funktionieren. Mechanisch setzte er zwischen den hölzernen Barren die Füße zwar voreinander und schleppte sich vor und zurück und zurück und vor, aber seine Beine trugen ihn einfach nicht und er hätte vor Verzweiflung heulen können, probierte aber unermüdlich weiter und weiter, bis ihm der eine der Physios auf die Schulter schlug und sagte: „Lass gut sein für heute!“


    Obwohl sich für Samstag Semir angekündigt hatte, war Ben dennoch nach der schlaflosen Nacht noch vor dem Frühstück in den Fitnessraum gerollt. Er begann sein extra auf ihn zugeschnittenes Programm, das mit zunehmender Kraft schon mehrfach modifiziert worden war, nacheinander abzuspulen. Man hatte ihm eingeschärft, dass es wichtig war, immer den ganzen Körper und nicht nur einzelne Muskelpartien zu trainieren, sonst konnte es zu Fehlbelastungen und -haltungen kommen, so dass dann Gerätetraining mehr schadete als nutzte, aber inzwischen arbeitete er das der Reihe nach ab, schaffte es auch, trotz Rollstuhl, die Einstellungen an den Geräten nach seinem eigenen speziellen Plan selber vorzunehmen und eigentlich machte es ihm sogar Spaß, wenn er ehrlich war. Er war aber immer schon sportlich gewesen und hatte zum Ausgleich verschiedene Muckibuden in Köln aufgesucht, denn er war stolz auf seinen Körper gewesen und pflegte ihn auch-bis zu dem schrecklichen Tag vor drei Monaten, als sein Leben sich von einer Stunde auf die andere grundlegend geändert hatte. Wie hatte die Psychologin in dem Workshop gesagt? „Beginnen sie sich wieder zu lieben, nehmen sie ihren Körper mit all seinen Schwächen und Verletzungen an!“, aber das war leichter gesagt wie getan!


    So saß Ben gerade in einem Fitnessgerät, bei dem er die vordere und hintere Schultermuskulatur trainierte. Er hatte die beiden Handgriffe fest gepackt und bewegte die Gewichte langsam von vorne nach hinten. Man machte da immer Serien, zum Beispiel drei Mal zwanzig Übungen, mit jeweils einer kurzen Pause dazwischen. Er hatte gewohnheitsmäßig seinen MP3-Player mit Lieblingsmusik dabei, denn die rockigen Klänge gaben ihm Kraft, so dass er nicht hörte, wie der Attentäter, der die Tür des Geräteraums von innen verschlossen hatte, sich anschlich. Erst als sich plötzlich links und rechts jeweils ein Paar Handschellen um seine Handgelenke schlossen und ihn so untrennbar mit dem Gerät verbanden, schreckte er auf. Im ersten Moment dachte er an einen Spaß-war vielleicht Semir schon so früh bei ihm aufgekreuzt? Aber dann wich die erste Überraschung dem blanken Entsetzen, als nun grob ein Knebel in seinen Mund geschoben wurde und ihn daran hinderte, um Hilfe zu rufen-wobei das dennoch fragwürdig war, ob ihn jemand hören würde, denn die Fitnessräume befanden sich, wie das Schwimmbad und die physikalische Abteilung im Untergeschoß der Klinik und am Wochenende und so früh war hier niemand unterwegs.
    Nun trat der Attentäter mit breitem Grinsen vor ihn-klar könnte er seinem Opfer jetzt schnell den Garaus machen, was ja später auf jeden Fall sowieso passieren würde, aber zuvor wollte der Sadist noch seinen Spaß mit seinem Zielobjekt haben. Seinen Arbeitgebern war das ja egal, wie Ben Jäger zu Tode kam, nur sollte es nach Unfall aussehen und das war hier keine Schwierigkeit. Er durfte natürlich, außer den finalen, keine weitere erkennbare Verletzungen haben, denn er würde mit Sicherheit obduziert werden, aber der arabisch aussehende Mann wusste, wie man jemanden foltern konnte, ohne dass das später zu erkennen war. Außerdem brauchten blaue Flecke Zeit, um sich auszubilden, aber diese Zeit würde Ben Jäger nicht mehr haben!


    Ben sah den fremden Mann geradeheraus an. Er war ihm persönlich nicht bekannt, aber als er ein wenig nachdachte, wo er das Gesicht schon einmal gesehen hatte, kombinierte er in bester Polizistenmanier sofort den dunkelblauen Overall und die Schildmütze dazu-das war doch der Monteur, der gestern die Fitnessgeräte gewartet hatte! Aber was tat der hier und vor allem-was wollte er von ihm?


    Semir war früh aufgestanden. Es war ein wunderschöner Augusttag, die Kinder und Andrea schliefen noch und er hatte ihnen versprochen, dass er nachmittags mit ihnen gemeinsam zu den Großeltern fahren würde. Andrea´s Vater ging es gerade nicht so gut und dringend musste die Hecke in deren Garten geschnitten werden und er hatte sich bereit erklärt, das zu übernehmen. Wie oft hatten seine Schwiegereltern im Gegenzug schon die Mädchen betreut, das war nur recht und billig, dass sie sie nun ebenfalls unterstützten, da musste er Andrea zustimmen! Am Sonntag waren sie bei Semir´s Bruder zu einer Familienfeier eingeladen, der feierte einen runden Geburtstag und so blieb nur der Samstagvormittag, um Ben zu besuchen. Semir holte noch schnell beim Bäcker um die Ecke frische Brötchen für seine Familie und machte sich dann leise auf den Weg. Er hatte Andrea einen Zettel hingelegt und dann genoss er die Fahrt durch das zu so früher Morgenstunde noch ruhige Köln und als er die Stadt verlassen hatte, ging er aufs Gas und strebte, wie schon so oft in den letzten Monaten, der Rehaklinik zu, um seinen besten Freund zu besuchen.

  • In Ben´s Kopf ratterte es. Sollte er den Typ vor sich vielleicht doch kennen? Er war schon mehrfach von Verbrechern gefoltert worden, sogar lebendig begraben hatte man ihn bereits, aber da hatte er immer gewusst, wer gerade so einen Hass auf ihn hatte, es hatte fast immer mit dem jeweiligen Fall, den sie gerade bearbeiteten, zu tun gehabt. Nun war es allerdings eine Tatsache, dass er persönlich seit drei Monaten keinen Fall mehr bearbeitet hatte und wenn das nicht klappte mit dem Laufen, würde er das vielleicht auch nie mehr tun. Gut-einige Male war es auch schon vorgekommen, dass sich schwere Jungs, die Semir und er verknackt hatten, nach ihrer Entlassung aus dem Knast versucht hatten zu rächen, aber er wusste ganz sicher, dass er den Typen vor sich mit den stechenden schwarzen Augen nicht verhaftet hatte-nein, er hatte ihn definitiv gestern zum ersten Mal gesehen!

    Als der nun allerdings vor Ben stand, sein Opfer von Kopf bis Fuß abschätzend musterte und sich dann genüsslich über die Lippen leckte, begann die Panik doch mehr und mehr von Ben Besitz zu ergreifen. Um Himmels Willen-war der Typ vielleicht schwul und hatte ihn, nachdem er ihn gestern beim Training gesehen hatte, als Lustknaben auserkoren? Aber dazu musste man ihn weder an ein Trainingsgerät fesseln, noch knebeln! Ben versuchte unter seinem Knebel fragende Laute hervor zu bringen und bemühte sich, ruhig durch die Nase zu atmen, was an sich schon schwierig war. Aber der fremde Mann begann nun wortlos, die Gewichtseinstellung am Trainingsgerät zu verändern. Die meisten dieser Trainingsmittel konnten mit unterschiedlichen Gewichten und auch auf verschiedene Arten benutzt werden. Auch darüber, wie steil z. B. der Sitz stand, wurden jeweils andere Muskelgruppen trainiert und Ben hatte zwar natürlich wesentlich mehr Gewichte aufliegen, als ein siebzigjähriges Mütterchen nach einem Bandscheibenvorfall, aber auch er war noch lange nicht am Limit-aber genau das machte jetzt der fremde Mann. Ben´s Arme wurden schmerzhaft nach hinten gezogen und so sehr er versuchte gegen zu halten, die Gewichte, die an ihm zogen waren stärker und wenn er gekonnt hätte, hätte er jetzt laut los gebrüllt. Er hatte das Gefühl seine Arme würden nach hinten heraus gerissen, er stemmte sich dagegen, aber seine Muskulatur hatte gegen die mechanischen Kräfte keine Chance! Ben meinte bereits Sehnen reißen zu hören und das Blut rauschte in seinen Ohren. Inzwischen war er sich darüber klar geworden, er wurde gerade knallhart gefoltert und als er aus den Augenwinkeln den freudigen Gesichtsausdruck seines Peinigers sah, war ihm auch klar, dass der ein Sadist war, der sich an der Qual anderer Menschen weidete! Bei allem Schmerz machte es ihm nun allerdings große Sorgen, dass der fremde Mann überhaupt nicht versucht hatte, sein Gesicht zu verbergen. Das bedeutete eigentlich, dass er nicht vorhatte, ihn lebend davon kommen zu lassen, soviel war Ben als erfahrenem Polizisten klar.

    Wie lange würde es wohl dauern, bis er überhaupt vermisst wurde? Heute am Samstag war kein offizielles Trainingsprogramm, man konnte einige Dinge freiwillig machen, wie z.B. ab neun unter Aufsicht hier im Geräteraum trainieren, aber jetzt war es erst kurz nach sieben, ab 7.30 Uhr gab es Frühstück, aber auch da würde es vielleicht gar nicht auffallen, wenn er nicht anwesend war. Sein Freund Markus hatte schon heraus gefunden, dass Ben gerne lange schlief und wenn man das Frühstück verpasste, konnte man sich später in der hauseigenen Cafeteria noch Schokoladencroissants und andere Leckereien zu richtig gutem Kaffee gönnen, was Ben schon öfters mal gemacht hatte, um ausschlafen zu können, was unter der Woche wegen der straffen Trainingspläne nicht möglich war. Also hatte der fremde Mann jetzt knapp zwei Stunden Zeit, sich hier an den Geräten mit ihm zu vergnügen und Ben konnte nicht sagen, wie lange er durchhalten würde, denn er war bereits jetzt kurz vor einer Ohnmacht!
    Kurz bevor er sowieso wegtrat, fasste der Mann plötzlich nach seinen beiden Halsschlagadern, die durch den Stress deutlich hervor traten und durch einen gezielten Druck darauf, unterbrach der Mann für eine Zeit den Blutfluss zum Gehirn und Ben wurde regelrecht ausgeknipst.


    Als er wieder zu sich kam, hing er kopfunter in der sogenannten Extension. Das war eine Art Rad, wo man an den Füßen angeschnallt wurde und dann soweit gedreht wurde, dass sich die Wirbelsäule streckte. Eigentlich war das eine sehr wohltuende Behandlung, gerade wenn durch Muskelspasmen die Nerven manchmal gequetscht wurden, aber erstens machte man das immer nur eine kurze Zeit, zweitens stand normalerweise der Physiotherapeut daneben und drittens konnte der so Behandelte sich eigentlich selber mit zwei Handgriffen wieder in eine aufrechte Lage bringen, wenn es ihm reichte, oder ihm schwindlig wurde. Jetzt aber hing Ben komplett kopfunter, diesmal waren seine Hände mit den Handschellen über seinem Kopf befestigt, aber sein Folterknecht hatte streng darauf geachtet, dass er sich nirgendwo abstützen konnte. Sein eigenes Körpergewicht zog Ben in die Länge, schnell wurde es unangenehm und rote Lichtblitze begannen durch sein Gehirn zu zischen. Das Blut stieg ihm zu Kopf, das Atmen fiel ihm schwer und schwerer und so sehr er auch versuchte den Knebel auszuspucken, er hatte keine Chance. Ben schloss die Augen für einen Moment und jetzt ergriff immer mehr die Panik von ihm Besitz. Das Blut floss in seinen Kopf, er meinte ersticken zu müssen und keuchte unter seinem Knebel. Er dachte an Sarah und seine Kinder-übermorgen hatte Mia-Sophie ihren ersten Geburtstag, aber so wie es aussah, würde er den nicht mehr erleben. Der dunkelhäutige Mann stand einfach neben ihm, sah zu, wie sein Gesicht vermutlich knallrot anlief und so sehr Ben versuchte, sich zu befreien, es ging nicht und er war von der Hoffnungslosigkeit seiner Befreiungsversuche eigentlich ja selber überzeugt. Ben wusste nicht wie lange er da hing-hatte man nicht schon früher Menschen so getötet? Aber nach gefühlten Stunden versagte sein Kreislauf und er verlor das Bewusstsein.


    Als er wieder zu sich kam, bemerkte er, dass er auf dem Rücken lag und seine Hände über Kopf immer noch mit Handschellen gefesselt und irgendwo angekettet waren. Weiterhin behinderte der Knebel seine Atmung. Ben war schlecht und schwindlig, unbändige Kopfschmerzen durchzogen sein Hirn, aber als er die Augen öffnete, sah er, wie der Attentäter, der bisher noch keinen Ton gesagt hatte, gerade dabei war eine Langhantel, die auf dem Gestell quer über ihm lag, mit Gewichten zu bestücken. Seinen Rollstuhl hatte er merkwürdigerweise gleich neben ihn gestellt und er lag auch auf einer Gymnastikmatte an dem Ort, wo im Fitnessraum immer das Hanteltraining gemacht wurde. Als der dunkle Mann sah, dass Ben zu sich gekommen war, zog wieder ein hämisches Grinsen über sein Gesicht. Er hätte zwar zu gerne noch weiter gemacht und ihm wären noch hunderte Spielarten eingefallen, Ben zu quälen, aber er wollte sein Glück jetzt nicht weiter ausnützen-er hatte schließlich einen Auftrag zu erfüllen! Den würde er jetzt erledigen und sein Opfer würde durch einen selbst verschuldeten Trainingsunfall zu Tode kommen. Der Attentäter hatte selber die ganze Zeit Handschuhe getragen und als Ben noch bewusstlos gewesen war, hatte er ihm alle Gewichte, die in Scheiben auf einem Ständer steckten, in beide Hände gegeben. Wenn man später den Ort des schrecklichen Unfalls untersuchte, würde man an jedem Gewicht Ben´s Fingerabdrücke finden und davon ausgehen, dass er aus fehl geleitetem Ehrgeiz zu viel Gewichte aufgeladen hatte und dass es ihm zwar gelungen war die Hantel aus der Halterung zu nehmen, aber die ihn dann erstickt habe. Der Täter hatte auch extra mehrere Gymnastikmatten aufeinander gelegt-manchen Sportlern war eine einzige Matte zu hart, dadurch lag Ben höher, aber die Gewichte der Langhantel würden dann am Boden aufliegen und wenn nicht sowieso der Kehlkopf brach, dann würde es ihm einfach die Luft abdrücken. Der Täter war nun mit der Last zufrieden, er hatte alle verfügbaren Gewichte an der Stange befestigt und Ben´s Atem ging nun schneller, als er erkannte, was sein Mörder vorhatte. Immer noch waren seine Hände über Kopf an der Sprossenwand befestigt, wenn er fast bewusstlos war, würde der Attentäter die losmachen, damit auch an der Stange seine Handabdrücke waren, aber durch die erste „Behandlung“ im Oberkörpertrainingsgerät würde er sowieso keine Kraft mehr im Schulter-Arm-Bereich haben, zu sehr war da das Gewebe verletzt. Nun grinste der dunkle Mann Ben an, während er mit aller Kraft die mit hunderten Kilos beladene Langhantel erst auf der einen und dann auf der anderen Seite aus der Halterung stemmte und auf Ben niederplumpsen ließ. Auch wenn Ben´s Kehlkopf, der genau unter dem Sportwerkzeug lag, dabei geprellt wurde, weil die dicke Schicht Isomatten minimal nach gab, war es nicht sofort vorbei, aber bei Ben begann nun ein langsamer und grausamer Todeskampf und er hatte fast ein Deja-Vú, denn es war wie nach der Strangulation im Krankenhaus, nur mit dem Unterschied, dass er damals, zumindest zunächst, sterben wollte und jetzt nicht!


    Die Luft wurde knapp und knapper, zusätzlich behinderte der Knebel die Atmung, das Gewicht lastete zentnerschwer auf Ben, der verzweifelt durch die Nase versuchte Luft in seine Lunge zu ziehen, er war voller Panik und Todesangst, der Schweiß brach ihm aus allen Poren, aber noch zappelte er und versuchte verzweifelt bis zu seinem letzten Atemzug, sich zu befreien. Obwohl er ja geknebelt war, entwichen ihm einige entsetzte Töne, er dachte voller Wehmut an seine Familie, an Semir und wie schon mehrmals in seinem Leben, begann sein Lebensfilm, bestehend aus Gedankenblitzen, an ihm vorbei zu ziehen. Sein Zappeln wurde kraftloser und kurz bevor sich seine Augen komplett verdrehten, machte der Attentäter noch Ben´s Hände los, entfernte die Handschellen und sofort wanderten wie mechanisch die Hände an die Querstange und versuchten sie wegzuschieben, aber der Attentäter hielt die mit eisernem Griff an ihrem Platz. Auch wenn Ben alle Kräfte mobilisierte, es gelang ihm nicht, sich zu befreien und dann sah er plötzlich aus dem Augenwinkel etwas, oder vielmehr jemanden, mit dem er jetzt absolut nicht gerechnet hatte.

  • Markus war nach dem Frühstück an Ben´s Zimmer vorbei gegangen und hatte gelauscht, ob er drinnen nichts hören konnte, aber es war totenstill. Schade, denn sie hatten es sich eigentlich zur Gewohnheit gemacht, am Samstag nach dem Frühstück miteinander zum Schwimmen zu gehen! Immerhin war das ihr letztes gemeinsames Wochenende hier in der Rehaklinik und Markus sah das realistisch. Hier waren sie bald jede freie Minute zusammen gehockt, hatten viele Gespräche geführt, sich gegenseitig aufgebaut und schon so etwas wie eine Freundschaft entwickelt. Aber ob sich das im Alltag halten würde? Er wusste es nicht. Er selber lebte und arbeitete in Bonn, das war freilich nicht sehr weit weg von Köln, aber trotzdem musste man sich ins Auto oder den Zug setzen und Zeit investieren, um sich zu treffen. Ben hatte ein ausgefülltes Leben mit einem Beruf, den er sehr liebte, seiner Familie, seinem Haus und dem Hund und nicht zu vergessen Semir, seinem besten Freund, den Markus ebenfalls sympathisch fand.

    Bei ihm persönlich war nach der Verletzung letztes Jahr mit der Lähmung so ziemlich alles weg gebrochen, was sein Leben lebenswert machte. Seine Partnerin hatte ihn verlassen und gemeint, das würde sie nicht packen, wenn er gelähmt bliebe, Familie hatte er keine und seine Freunde und Arbeitskollegen hatten ihn anfangs nach seinem schlimmen Unfall noch im Krankenhaus besucht, aber als er dann fast ein dreiviertel Jahr in der Reha verschwunden war, waren sie nach und nach weg geblieben und er konnte ihnen deswegen gar nicht böse sein! Die größten Lichtblicke waren immer die Besuche seines dreijährigen Sohnes, aber den konnte er auch nicht überfordern. Gerade hatte er begonnen seinen Alltag neu zu ordnen und wieder arbeiten zu gehen-er war Einkäufer in einer großen Baufirma-da war er bei der Warenkontrolle abgerutscht, auf den Rücken gefallen und hatte sich erneut verletzt, diesmal aber wenigstens ohne Lähmungserscheinungen. Trotzdem sah er positiv in die Zukunft, er würde nochmals neu anfangen und das Leben auf sich zukommen lassen, immerhin war er erst Mitte dreißig.


    Vorsichtshalber schickte er Ben noch eine kurze Nachricht aufs Handy-der hatte das eh auf lautlos, wenn er noch schlief, er würde ihn schon nicht wecken-„Schwimmen?“ stand da, aber als nach wenigen Minuten die WhatsApp zwar versendet, aber nicht angesehen war, packte er schulterzuckend sein Handtuch und die Badehose und machte sich alleine auf den Weg ins Schwimmbad. Schnell zog er sich in der Herrenumkleide um, sprang unter die Dusche und ging dann ins Bad. Werktags waren die Jalousien nach draußen immer geschlossen, aber am Wochenende hatte man freien Ein- und Ausblick. Seitlich ging eine Treppe hinauf, denn der Kraftraum lag ein wenig oberhalb direkt neben dem Schwimmbad und war durch eine große Glasscheibe mit Lamellen, die man als Sichtschutz elektrisch kippen konnte, davon abgetrennt. So konnten die Physiotherapeuten neben ihrer Arbeit im Geräteraum das Schwimmbad im Auge behalten und aufpassen, dass niemand ertrank. Außerdem mussten sie nicht immer außen herum, wenn sie Wassergymnastikstunden abhielten, sondern schlüpften einfach in ihre Badeschlappen und gingen die Treppe hinunter.


    Die Verbindungstür stand offen und gerade wollte Markus ins Wasser gehen, da hörte er einen unterdrückten Laut aus dem Geräteraum. Als er vorhin daran vorbei gelaufen war, war der zu gewesen und als er probeweise auf die Türklinke gedrückt hatte, war die Tür abgeschlossen gewesen. Nun schickte ihn erstens die Neugier, was das wohl für ein Geräusch gewesen war und außerdem stellte es ihm gerade die Körperhaare auf, ohne dass er wusste warum. Hier war irgendetwas im Gange, was seine Ursinne beunruhigte und er stieg nun unverdrossen die Treppe hinauf und lugte durch die offen stehende Tür in den Trainingsraum.
    Dort sah er etwas, was ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Ben lag am Boden auf drei übereinander liegenden Gymnastikmatten, er war bereits ein wenig blau angelaufen, die pure Panik sprach aus seinem Blick und quer über seinem Hals lag eine schwer beladene Hantelstange, die ihm die Luft abdrückte, mit behandschuhten Händen fest gehalten von einem athletischen Mann mit dunklem Haarschopf, den Markus aktuell nur von hinten sehen konnte. Ben´s Hände versuchten verzweifelt die Langhantel weg zu stemmen, er war anscheinend fast nicht mehr bei Bewusstsein, seine weit aufgerissenen Augen traten aus den Höhlen und er hatte einen Knebel im Mund unter dem die verzweifelte Geräusche seines Todeskampfs hervor kamen, die Markus erst die Treppe hinauf gelockt hatten. Ohne lange nachzudenken sprang der junge Mann von hinten heran-er musste seinen Freund retten! „Hey-was tun sie da?“, schrie er, während er den schwarzhaarigen Mann, der einen kurzen Augenblick überrascht war, von Ben weg zog.


    Allerdings hatte er die Rechnung ohne den Attentäter gemacht. Der war eine ausgebildete Kampfmaschine mit Muskeln wie Stahl. Während Ben weiterhin versuchte den Druck von seinem Hals zu nehmen-ein wenig Luft strömte nun wieder in ihn, als der dunkle Mann nicht mehr auf die Hantel drückte, aber die Gewichte waren viel zu schwer für seine verletzten Arme und Schultern, drehte sich der Attentäter langsam um. So konnte er nur voller Entsetzen und hilflos zusehen, wie der Mörder seinen Freund Markus wie ein lästiges Insekt abschüttelte und mit einer gezielten Geraden seitlich gegen den Kopf ausknockte. Markus schaute einen Augenblick überrascht, bevor er die Augen verdrehte und bewusstlos zu Boden sank. Mit einem Grunzen schulterte der fremdländisch aussehende Mann nun sein zweites Opfer und trug es mühelos die Treppe ins Schwimmbad hinunter. Er würde nun erst diesen Typen, der ihn von seiner Arbeit abhielt, erledigen und dann seinen Auftrag zu Ende bringen-er hatte schließlich heute Nachmittag noch etwas anderes vor!
    Klar würde es befremdlich sein, wenn man später zwei Leichen fand, aber wer sagte denn, dass es nicht zwei schreckliche Unglücksfälle nebeneinander geben konnte? Auch bei Markus war von außen bisher keine Verletzung zu entdecken, so schlug der Attentäter, als er ihn zu Boden fallen ließ, dessen Kopf absichtlich noch ein wenig gegen die Badfliesen, warf den leblosen Körper dann ins Wasser und drückte ihn mit der Hand unter die Wasseroberfläche. Leider war der beim Betreten des Bades ausgerutscht, hatte sich den Kopf gestoßen, war dann ohnmächtig geworden und im Schwimmbecken ertrunken.


    Ben hatte am Rande der Bewusstlosigkeit und immer noch voller Panik verfolgt, wie der Verbrecher Markus weg brachte. Obwohl er mit seinen Kräften schon völlig am Ende war, seine Arme und Schultern wie die Hölle schmerzten und es eigentlich in seinem Zustand für ihn völlig unmöglich war, mobilisierte er seine letzten Kräfte und schaffte es mit fast unmenschlicher Anstrengung die Hantel von sich runter zu drücken. Dann riss er sich den Knebel aus dem Mund und rang nach Atem-ach wie wunderbar fühlte es sich an, als wieder Sauerstoff in seine Lungen strömte! Aber er hatte keine Zeit an sich zu denken, er musste Markus zu Hilfe eilen, sonst war es um den geschehen!


    Als Ben sich aufrichtete, konnte er durch die Glasscheibe mit den schräg gestellten Lamellen sehen, was ein wenig unterhalb gerade geschah. Markus´ Körper war komplett unter Wasser, der rührte sich kaum und wurde gerade von dem arabisch aussehenden Mann ertränkt. Die Gedanken in Ben´s Kopf ratterten. Auch wenn sein Rollstuhl einladend neben ihm stand-es nützte nichts, er würde zu spät kommen. Wenn er außen herum fuhr, musste er erst aus dem Geräteraum, dann zum Aufzug, der ihn das halbe Stockwerk nach unten brachte. Dann ging der offizielle Weg ins Bad erst durch die Herrenumkleide und die Duschräume und das würde einfach zu lange dauern. Seis drum-es musste jetzt einfach gehen und ohne lange nachzudenken drückte Ben nun seine Knie durch und begann-sich immer an irgendwelchen Geräten festhaltend- zögernde Schritte Richtung Treppe zu machen. Er wusste-er hatte eine kleine Chance gegen den Verbrecher, auch wenn dieser durchtrainiert war, denn auch Ben beherrschte Nahkampftechniken, während sein Freund Markus davon noch nie etwas gehört hatte. Wenn der jetzt starb und er nicht wenigstens versucht hatte, ihm zu helfen, würde er sich nie mehr im Spiegel in die Augen sehen können. Markus hatte ihm, ohne an sich zu denken, geholfen und genau dasselbe war er ihm jetzt schuldig! So wankte Ben Schritt für Schritt Richtung Treppe, ließ sich dort auf seine vier Buchstaben nieder und überwand das Stockwerk so schnell er konnte. Unten richtete er sich wieder auf und war mit einigen wenigen freien Schritten neben dem Attentäter, der gerade zufrieden die letzten Luftblasen aus Markus´ Mund aufsteigen sah. Der war noch einmal kurz zu sich gekommen und hatte verzweifelt versucht um sich zu schlagen und zur Wasseroberfläche zu kommen, aber er hatte ihn mit eisenhartem Griff unter Wasser gedrückt, das Platschen und den Todeskampf seines zweiten Opfers aus vollen Zügen genossen, war dadurch abgelenkt gewesen und war jetzt völlig überrascht, als er plötzlich von hinten angegriffen wurde.


    Ben wusste-er hatte nur diese eine Chance und auch wenn er geschwächt war-mit dem Mute der Verzweiflung mobilisierte er alle Kräfte und legte seine gesamte Energie, wie sein Karatetrainer ihm immer eingebläut hatte, in seine Faust, die nun vorschnellte und mit einem gezielten Uppercut gegen das Kinn des Arabers schoss, der sofort aufgesprungen war. Der hatte gerade die Hände zum Parieren gehoben, aber als jetzt ein Schlag wie ein Vorschlaghammer an seinem Kinn explodierte, blickte er einen Augenblick überrascht auf seinen Gegner, bevor ihm die Lichter ausgingen und er auf der Stelle bewusstlos zusammen brach. Ben hatte sogar gemeint den Kieferknochen bersten zu hören und seine Hand schmerzte ebenfalls-vermutlich war da auch etwas kaputt. Aber das war ihm jetzt völlig egal-er ließ den Mörder liegen wo er war, sprang ins Becken und barg seinen Freund Markus, der mit weit geöffneten Augen leblos im Wasser trieb.

  • Ben zerrte voller Panik seinen Freund an den Beckenrand. Er spürte gerade keinen Schmerz, so schoss das Adrenalin durch seine Adern. Eine Treppe führte aus dem Wasser und Ben schleppte seine schwere Last mühsam aufs Trockene und begann dort sofort mit den Wiederbelebungsmaßnahmen. Er kniete sich neben Markus und komprimierte dessen Brustkorb schnell und kräftig-jetzt war er froh, dass sie als Polizisten jedes Jahr einen erweiterten Erste-Hilfe-Kurs absolvieren mussten, wo das an einer Puppe geübt wurde. Er hatte da zwar meistens gestöhnt, weil dieser Kurs prinzipiell am Samstagvormittag stattfand und er da ausschlafen wollte, aber Semir hatte ihn dann immer gerügt: „Stell dich nicht so an-erstens ist das Arbeitszeit, also kriegst du da auch noch Geld dafür und außerdem kommen gerade wir doch häufiger als die Allgemeinbevölkerung in die Lage, Erste Hilfe leisten zu müssen. Sei froh, dass du im Training bleibst!“ hatte er ihn ermahnt und jetzt musste Ben ihm absolut Recht geben, denn bei allem Stress musste er nicht darüber nachdenken, was zu tun war. Er zählte laut vor sich hin: „28, 29, 30!“, hörte dann mit dem Drücken auf, um den Kopf seines Freundes zu überstrecken und zweimal Luft durch die Nase in ihn zu blasen. Die Worte ihres Ausbilders hallten in seinem Kopf. „Wenn es sie ekelt, lassen sie die Atemspende-das Wichtigste ist die Thoraxkompression-meistens ist in den Atemwegen noch genügend Luft und durch das Drücken des Brustkorbs wird da auch immer etwas angesaugt!“, hatte der gepredigt und ihnen erzählt, dass vielleicht die Atemspende bald aus den Reanimationsrichtlinien für Laien raus genommen würde, wie das in den USA bereits der Fall war.
    Allerdings war bei Markus leider keine oder zumindest kaum Luft mehr in der Lunge, die war voll mit Wasser, sein Gesicht war blass und die Lippen bläulich verfärbt. Ben ekelte sich auch nicht vor ihm, genauso wenig, wie er sich vor Semir oder einem Familienmitglied geekelt hätte. Als er gedrückt hatte, war schon ein wenig Wasser aus Markus´ Mund gelaufen und Ben nahm sich vor, während er wieder kräftig mit der Herzdruckmassage weiter machte, ihn nach der nächsten Serie ein wenig auf die Seite zu drehen, damit wieder etwas abfließen konnte. Nichts deutete darauf hin, dass noch ein Fitzelchen Leben in seinem Retter war und Ben stiegen vor Verzweiflung die Tränen in die Augen. Als er ihn kurz drehte, lief tatsächlich eine Menge Wasser aus Mund und Nase seines Freundes, Ben drehte ihn dann zurück, blies hektisch Luft in ihn und machte dann kraftvoll weiter mit der Thoraxkompression. Nebenbei fuhren seine Gedanken Karussell. Er musste unbedingt professionelle Hilfe herbei holen, aber er wusste nicht, wie er das anstellen sollte. Hier unten war kein Telefon und bis er zur Rezeption kam, würde viel zu viel Zeit vergehen, außerdem war er sich nicht sicher, ob ihn seine Beine überhaupt nochmals tragen würden, er hatte jetzt sowieso keine Zeit an sich selber zu denken-wichtig war nur eines-Markus wieder zu beleben, denn ohne den, wäre er jetzt schon tot! Sein Handy lag in seinem Zimmer-das war in den Trainingsräumen untersagt und er hatte sich bei seiner morgendlichen Fitnesseinlage unbewusst an diese Regel gehalten, wofür er sich jetzt verfluchen könnte! Irgendwo hier im Schwimmbad hing doch eine Uhr und als er einen kurzen Blick darauf warf, sah er, dass es gerade mal acht Uhr war. Erst in einer Stunde würde ein Physiotherapeut in den Trainingsraum kommen, aber bis dahin war die Sache mit Markus sowieso entschieden, der bisher kein Lebenszeichen von sich gab.
    Ben war der Schweiß ausgebrochen, obwohl seine Sporthose und das ärmellose Shirt klatschnass an seinem Körper klebten. Langsam merkte er, wie anstrengend so eine Reanimation war. Sein Körper, der ja auch gerade so einiges hinter sich hatte, schrie: „Hör auf, es geht nicht mehr-und außerdem hat es doch sowieso keinen Sinn-Markus ist tot!“ flüsterte ihm sein Unterbewusstsein ins Ohr, aber Ben schüttelte demonstrativ den Kopf, obwohl das Blut bereits in seinen Ohren zu dröhnen begann, seine schmerzenden Arme sich wie Wackelpudding anfühlten und auch seine Beine immer versuchten weg zu knicken. „Nein-Markus verdammt noch mal, jetzt streng dich an-atme-hast du mich verstanden? Atme!“, brüllte er seinen immer noch leblosen Freund an.


    Wie lange reanimierte er eigentlich schon? Er hatte völlig das Zeitgefühl verloren, es fühlte sich wie Stunden an, dabei waren in Wirklichkeit sicher erst wenige Minuten vergangen. Verdammt noch mal-ausgerechnet heute hatte niemand außer Markus Lust zu schwimmen, aber das war eigentlich normal, den meisten Rehapatienten genügte das Sportprogramm der Woche vollkommen-freiwillig machten die nichts, was anstrengend war und so würde er hier unten vermutlich wirklich bis um neun der Physio in den Geräteraum kam, alleine mit seinem Freund bleiben, der dem Tode näher als dem Leben war-den bewusstlosen Attentäter, der irgendwo hinter seinem Rücken lag, hatte Ben einfach ausgeblendet. Allerdings war ihnen eine weitere Sache im Erste-Hilfe-Kurs eingebläut worden: „Immer weiter machen, bis ein Arzt sagt, man kann aufhören-ein Laie ist nicht in der Lage zu entscheiden, ob eine Reanimation noch Sinn macht.“
    Ihr Ausbilder hatte von Fällen erzählt, wo man über eine Stunde reanimiert hatte und die Patienten das folgenlos überlebt hatten, gerade nach Stürzen in eiskaltes Wasser-wobei das Wasser im Bewegungsbad leider ziemlich warm war. „Wichtig ist, dass sie den Kreislauf in Gang halten, dann werden die Organe regelrecht versorgt, nur wenn sie länger unterbrechen oder-was leider häufig vorkommt-den Thorax nicht stark genug komprimieren, ist eine Rea sinnlos-der Richtwert ist: Ein Drittel muss der Brustkorb eingedrückt werden!“, hatte der Ausbilder gepredigt und Ben checkte nochmals, ob er das auch richtig machte, aber Markus war schlank, keine störende Kleidung bedeckte den Oberkörper und nach kurzer Prüfung bescheinigte sich Ben selber, dass er es korrekt machte-aber warum gab Markus dann kein Lebenszeichen von sich? Gut-an seiner Schläfe begann sich jetzt eine dicke blaue Beule abzuzeichnen-das war dort, wo der Verbrecher ihn geschlagen hatte, vielleicht war das der Grund für die weitere Bewusstlosigkeit? Ben versuchte nach der nächsten Dreißigerserie und Atemspende nach dem Puls an der Halsschlagader zu fühlen, aber sein eigenes Blut pochte durch die Anstrengung so heftig in seinen Adern, dass er nur seinen eigenen Puls spürte und deshalb frustriert mit der Rea weiter machte. Langsam begann er zu ermüden und eine große Verzweiflung überkam ihn-nein, es durfte einfach nicht vorbei sein, aber was sollte er nur tun?


    Leider bekam er nicht mit, dass der Attentäter gerade langsam wieder zu sich kam. Er tauchte allmählich aus einer tiefen Bewusstlosigkeit auf, sein Kiefer schmerzte, der war sicher gebrochen, aber als der Mann nun lautlos die Augen öffnete, war er plötzlich wieder ganz da und eine unbändige Wut ergriff von ihm Besitz. Ben drehte ihm den Rücken zu und war immer noch heftig am Reanimieren-na warte, das würde der büßen, dass er ihn k.o. geschlagen hatte!


    Semir war inzwischen ganz entspannt an der Rehaklinik angekommen und hatte seinen BMW auf dem heute noch ziemlich leeren Parkplatz abgestellt. Nur die Fahrzeuge einiger Rehapatienten, die selber angereist waren, standen da. Hoffentlich haute er Ben nicht aus dem Bett-der hatte ihm nämlich erzählt, dass er am Wochenende gerne auch hier länger schlief-er hatte sich also durch die Reha und die Verletzung auch in seinen Gewohnheiten kein bisschen geändert-aber warum sollte er das auch? Früher, bevor Ben mit Sarah zusammen gekommen war, war es an der Tagesordnung gewesen, dass Ben laufend zu spät kam, weil er verpennt hatte und Semir hatte es sich schon angewöhnt gehabt, ihn morgens meistens abzuholen, damit er die Chefin nicht ständig deswegen gegen sich aufbrachte. Aber jetzt schmiss ihn Sarah in der Frühe aus dem Bett und seitdem klappte das auch wenigstens so ungefähr mit der Pünktlichkeit, obwohl Ben schon immer noch ziemlich knapp los fuhr. Seit er nicht mehr in der Stadt wohnte, wäre das auch schwierig mit dem Abholen, denn sie kamen aus zwei verschiedenen Richtungen zur PASt. Semir hoffte inständig, dass die Reha erfolgreich war und Ben erstens wieder laufen und zweitens seinen geliebten Beruf weiter ausüben konnte-er war gerade mit anderen, ständig wechselnden Partnern unterwegs, wovon ihm Jenni noch am Liebsten war, aber manchmal hatte er schon rechte Dösbattel und Klugscheißer an Bord, auf die er sich einfach nicht verlassen konnte. Mit Ben verstand er sich blind-sie beide konnten sich alleine mit Blicken verständigen, jeder wusste, was der andere als Nächstes machen würde und nur so war ihre hohe Erfolgsquote auch erklärbar-wobei sie natürlich auch einen ziemlichen Verschleiß an Autos hatten! Semir hatte seinem Freund wohlweislich verschwiegen, dass er erst letzte Woche wieder seinen BMW geschrottet hatte, aber diesmal hatte die Chefin gar nicht geschimpft und gestern hatte er schon das Ersatzmodell ausgehändigt gekriegt. „Wo gehobelt wird, fallen Späne, Chefin!“ hatte er einmal zu Kim Krüger gesagt und die hatte ihn daraufhin erzürnt aus ihrem Büro geschmissen, aber es gehörte zu ihren Spielchen, dass Ben und er sich gegenseitig immer die Schuld am Fahrzeuge zu Schrott Fahren in die Schuhe schoben. Ach wie er ihn vermisste-aber immerhin war der auf einem guten Weg und arbeitete in der Reha wie verrückt an seiner Genesung!


    Semir griff nach der Tüte mit Schokocroissants, die er für Ben beim Bäcker erstanden hatte-manche Dinge änderten sich einfach nie und das war gut so und frohgemut machte er sich auf den Weg zum Haupteingang der Klinik. Er musste dazu an dem kleinen Vorbau vorbei, in dem sich das Schwimmbad befand-Ben hatte seinem Freund natürlich schon eine Führung durch die Klinik zukommen lassen, sobald er wieder rollstuhlmobil gewesen war, drum wusste er das- und beiläufig fiel sein Blick nach drinnen und nun gefror fast das Blut in seinen Adern, als er sah, was sich dort für ein Drama abspielte. Semir zog seine Waffe und begann zu rennen-hoffentlich kam er noch rechtzeitig!

  • Der Attentäter hatte sich leise aufgerappelt und war hinter Ben getreten, der immer noch wie ein Wahnsinniger reanimierte. Gerade hatte er gedacht, dass sich Markus Brustkorb einmal gehoben hatte, aber er war sich nicht ganz sicher und drückte deshalb vorsichtshalber weiter. Doch dann flatterten tatsächlich dessen Augenlider. War es möglich, dass er ihn zurück geholt hatte? Ben traute der Sache noch nicht ganz, vielleicht war das eine Sinnestäuschung gewesen, aber als er jetzt die nächsten dreißig Thoraxkompressionen hinter sich gebracht hatte und eigentlich die Beatmung dran gewesen wäre, stellte er voller Erleichterung fest, dass Markus zu husten begann-Gott sei Dank-er hatte ihn wieder! Vermutlich sollte er ihn jetzt am besten auf die Seite drehen, damit er das restliche Wasser besser raus brachte, aber gerade als er das erledigen wollte, schlossen sich zwei riesige starke Hände fest um seinen Hals und drückten ihm die Luft ab. Ben fasste hoch und wollte sich befreien, er zerrte an den Armen seines Mörders, zappelte wie ein Wahnsinniger und gurgelte unverständliche Laute, aber der Attentäter drückte unbarmherzig zu-jetzt ging es ihm nur noch um Rache, denn sein Opfer hatte ihm seinen wunderbaren Plan versalzen und die Sache mit dem fingierten Unfalltod konnte er sich jetzt abschminken. Es blieb abzuwarten, ob sein Auftraggeber auch zahlte, wenn das Opfer ermordet wurde, oder ob er gerade ein riesiges Verlustgeschäft gemacht hatte. Wenn er den jungen Dunkelhaarigen erledigt hatte, würde er den zweiten Typen, der gerade wieder zu sich kam, einfach zurück ins Becken werfen und dann schleunigst das Weite suchen.


    Ben verließen jetzt endgültig seine Kräfte, das Adrenalin hatte ihn lange Zeit irgendwie durchhalten lassen, vielleicht auch, weil es um Markus gegangen war, aber jetzt konnten seine verletzten, schmerzenden Arme den Würgegriff nicht mehr lösen, er war einfach nur am Ende und erneut begann sein Lebensfilm vor ihm abzulaufen. Er zappelte noch ein wenig, aber dann erschlaffte er und bekam gar nicht mehr mit, wie plötzlich ein lauter Schuss durch das Schwimmbad hallte und der tödliche Griff um seinen Hals auf einen Schlag aufhörte.


    Semir hatte bei seinem beiläufigen Blick durch die Fenster des Schwimmbads seinen Freund entdeckt, der vor einem weiteren Mann kniete, der flach am Boden lag-er konnte allerdings aus der Entfernung nicht erkennen wer das war, aber das war prinzipiell auch egal, denn schlimmer war, dass die Hände des arabisch aussehenden dritten Mannes, der hinter Ben stand, sich um den Hals seines Freundes geschlossen hatten und gerade dabei waren, ihn zu erwürgen, was man an Ben´s hilflosem Zappeln und seinen allmählich ersterbenden Bewegungen erkennen konnte. Um Himmels Willen-hoffentlich kam er noch rechtzeitig!

    Gestern hatte er, weil er nach seiner letzten Streifenfahrt nicht mehr in die PASt gefahren war sondern direkt nach Hause, seine Waffe dabei gehabt. Wenn er ehrlich war, hatte er die am Morgen dann wie selbstverständlich aus dem kleinen Tresor im Flur genommen, ohne groß nachzudenken, obwohl er ja nur vorhatte zu Ben zu fahren, aber die Macht der Gewohnheit hatte ihn das Holster anlegen lassen und jetzt dankte er Allah für seine Vorsehung! Semir rannte so schnell ihn seine Füße trugen-und das war verdammt schnell, wie Ben schon oft am eigenen Leibe hatte erfahren müssen, den er trotz ihres Altersunterschiedes immer noch auf der Kurzstrecke abhängte.
    Als er durch die Drehtüre der Rehaklinik gestürmt war, schrie er der verblüfften Dame an der Rezeption zu: „Schnell verständigen sie die Polizei und den Notarzt-im Schwimmbad wird gerade jemand umgebracht!“ und wie ein Blitz war er dann schon, zwei Stufen auf einmal nehmend, um die Ecke verschwunden. Die Frau hatte auch gesehen, dass der Deutschtürke eine gezogene Waffe in der Hand hatte, aber Gott sei Dank war Ben nun schon lange genug bei ihnen Patient, dass sie wusste, dass dieser kleine Mann, der häufig zu Besuch kam, Polizist war. Also glaubte sie sofort was der sagte und wählte unverzüglich den Notruf. Die anderen Patienten, die sich nach dem Frühstück gemütlich in der Cafeteria aufhielten oder zu einem netten Samstagsschwatz beieinander standen oder saßen, zogen sich voller Schrecken in ihre Zimmer zurück-um Himmels Willen, was war denn hier los? Der diensthabende Physio, der gerade zum Dienstantritt gekommen war und sich noch nicht einmal umgezogen hatte, folgte vorsichtig dem kleinen Türken in Richtung Schwimmbad, aber eines war sicher-er würde sich selber nicht in Gefahr bringen-er hatte auch nur dieses eine Leben und das hier war Aufgabe der Polizei!


    Semir war inzwischen wie ein Wahnsinniger zum Schwimmbad gerannt, stürzte durch die Herrenumkleide-so hatte ihm Ben damals den Zugang gezeigt- und den Duschraum in die kleine Schwimmhalle und sah nun voller Entsetzen, dass sein Freund völlig schlaff in den Händen seines Mörders hing, der ihm immer noch entschlossen die Luft abschnürte. Quer vor den beiden lag Markus am Boden, der sich gerade die Seele aus dem Leibe hustete, eine ausgesprochen ungesunde Gesichtsfarbe hatte und anscheinend gar nicht richtig bei Bewusstsein war. Semir überlegte kurz, was er tun sollte. Sollte er versuchen, den Attentäter so zu überwältigen? Aber der Mann war ein einziger Muskelprotz und wenn das schief ging, war vermutlich Ben dem Tode geweiht, wenn er überhaupt noch am Leben war. Allerdings hatte der vor weniger als einer Minute, als er ihn vom Parkplatz aus gesehen hatte, noch gezappelt, also war es noch nicht zu spät, aber er würde jetzt kein Risiko eingehen, er wusste ja auch nicht, ob der Araber nicht irgendwie ebenfalls bewaffnet war und sei es auch nur mit einem Messer. So blieb Semir stehen, hob seine Waffe und bevor der Attentäter irgendwie reagieren konnte, gellte ein Schuss durch das Schwimmbad und durchschlug die linke Schulter des Mannes, der daraufhin mit einem überraschten Schmerzensschrei sein Opfer fahren ließ, das jetzt einfach über Markus zusammen sackte und mit der unverletzten Hand an seine schmerzende Schulter fasste, die jetzt heftig zu bluten begann. Semir war mit zwei Schritten bei der Gruppe, zerrte den Attentäter zur Seite und ungeachtet dessen wütender Proteste schloss er ihn mit den Handschellen, die er in seiner hinteren Hosentasche fand, an dem metallenen Handlauf an, der den Einstieg ins Becken erleichtern sollte.

    Dann war er sofort zurück bei seinem Freund, zog den erst einmal von Markus herunter, der immer noch nicht völlig bei Bewusstsein war, aber immerhin hustete und legte ihn flach auf den Rücken. „Lieber Gott-Allah-lass ihn nicht tot sein!“, bat er inständig und befürchtete, dass der starke Mann mit den riesigen Pranken dessen Kehlkopf eingedrückt habe, aber als er jetzt lauschte, hörte er zu seiner übergroßen Erleichterung, dass sein Freund das zwar mühsam tat, aber er sog jetzt immerhin Luft ein, obwohl er immer noch ohne Bewusstsein war. Schnell zog er ihn hoch, damit er aufrecht saß, schloss ihn in seine Arme und stützte ihn, um ihm das Atmen zu erleichtern. Dann schrie Semir laut, denn er war sich fast sicher, dass irgendjemand vom Personal oder den Mitpatienten hinter irgendeiner Tür lauerte und sich nicht herein traute, was ja prinzipiell auch völlig richtig war: „Wir brauchen hier Hilfe-es besteht keine Gefahr mehr, ich bin Polizist!“ und da kam auch schon der geschockte Physiotherapeut herein, der sich hinter der Tür der Herrenumkleide verborgen hatte. Als Ben wenig später zu sich kam und ihm jemand eine Sauerstoffmaske aufs Gesicht drückte, ruhte er in den Armen seines besten Freundes und während draußen die Blaulichter kreisten und die Luft vom Gellen der Martinshörner erfüllt war, lehnte er sich völlig erschöpft und immer noch mühsam atmend an ihn und gab endlich jede Verantwortung ab.

  • Der Physiotherapeut hatte geschockt die Szenerie betrachtet, war aber dann mit wenigen Schritten die Treppe zum Fitnessraum hinauf gehetzt, hatte von dort die Rezeption angerufen und einen ersten Lagebericht abgegeben und dann den Erste-Hilfe-Koffer mit dem Defi und eine Sauerstoffflasche mitgebracht. Leider war am Wochenende kein Arzt fest im Haus, es hatte nur einer Rufbereitschaft, das war in Rehakliniken so üblich, aber da hörte man schon die Martinshörner von draußen. Als nach seinem Anruf klar war, dass keine Gefahr für Leib und Leben der Helfer mehr bestand, füllte sich binnen Kurzem die Schwimmhalle mit Personal aus der Klinik und Polizisten. Man konnte auf den ersten Blick erkennen, dass Markus der am schlimmsten Betroffene war und der Physio, der ja durchaus auch gute medizinische Kenntnisse hatte, legte die Paddels des AED-Defis auf seinen Brustkorb, wie er es gelernt hatte und wartete, was das Gerät empfahl. Die EKG-Kurve war zwar nicht völlig normal, aber als das Gerät sie analysiert hatte, sagte die blecherne Computerstimme: „Schock nicht empfohlen!“ und aufatmend legte der junge Mann die Paddels wieder beiseite.
    Das war schon eine feine Sache-dieses Gerät, das man inzwischen auch an vielen öffentlichen Plätzen fand, setzte beim Laien kaum Kenntnisse voraus-außer der Fähigkeit es einzuschalten und die Elektroden nach der beiliegenden Zeichnung aufzulegen, sondern sagte einem auch, was zu tun war. Es kam gerade bei ihnen im Fitnessraum immer wieder vor, dass Patienten bewusstlos zusammen brachen und man nicht wusste-hatten die jetzt nen Infarkt, oder was war los? Bis die Ärzte, oft vom völlig anderen Ende der Klinik, bei ihnen waren, hatten sie schon eine erste Einschätzung der Situation und wenn Kammerflimmern vorlag, was häufig bei einem Infarkt geschah, konnte man sofort einen oder mehrere Schocks abgeben und das war meist lebensrettend für ihre Patienten. So aber hatte der Physio nun Markus auf die Seite gedreht, ihm eine Sauerstoffmaske aufgelegt, denn er hatte immer noch blaue Lippen und hustete sich die Seele aus dem Leib, ohne aber richtig bei Bewusstsein zu sein und seine Hand beruhigend auf seinem Körper abgelegt, er würde ihn betreuen bis der Notarzt übernahm.

    Ben wurde von Semir versorgt und der Attentäter, der als Einziger völlig trocken war, hing wie ein tollwütiger Hund an der Schwimmbadtreppe und zerrte an seiner Handfessel. Aus seiner Schulter lief zwar immer noch das Blut, aber es war keine lebensbedrohliche Verletzung und niemand würde den dunklen Typen, der voller Zorn unverständliche Worte in einer fremden Sprache knurrte, anfassen, ohne sich selber zu schützen, denn der wirkte immer noch sehr gefährlich.
    Gerade kamen die ersten professionellen Helfer herein, gefolgt von zwei Streifenpolizisten mit der Waffe im Anschlag, da bekam Ben wieder so weit Luft, dass er flüstern konnte: „Kümmert euch um Markus, er war unter Wasser und ich habe den gerade wiederbelebt!“ bevor er sich wieder mit Schweiß auf der Stirn in Semir´s stützende Umarmung zurück sinken ließ. Außer der Atemnot hatte nun eine völlige physische wie psychische Erschöpfung von ihm Besitz ergriffen, wie in Wellen zogen die Schmerzen durch seinen Körper, vor allem in der Schulterpartie und als ein Rettungsassistent ihn orientierend abtastete und versuchte herauszufinden, wo er überall verletzt war, schrie er gequält auf, als der seinen Oberkörper auch nur berührte.


    Der erfahrene Notarzt versuchte die Situation einzuschätzen. Eindeutig war der junge Mann in den Badeshorts der am schlimmsten Betroffene. Als er nun hörte, dass der erstens einen Ertrinkungsunfall erlitten hatte und zweitens reanimiert worden war, forderte er sofort einen Hubschrauber zu. Er würde ihn-sobald er sich die anderen beiden angesehen hatte-intubieren und dann in nach Köln in ein großes Haus fliegen lassen. Der musste 24 Stunden gekühlt werden, außerdem bestand noch jederzeit die Gefahr des inneren Ertrinkens infolge eines Lungenödems und erst dann würde man wissen, wie erfolgreich letztendlich die Rea gewesen war.


    Semir sagte nun, während er Ben beruhigend stützte und versuchte, ihm dabei so wenig wie möglich weh zu tun: „Mein Freund hier wurde gerade von diesem Typen da“, und er wies mit dem Kopf auf den Attentäter, der nun von zwei Polizisten mit der Waffe im Anschlag in Schach gehalten wurde, „ gewürgt, drum kriegt er so schlecht Luft!“, außerdem war es selbsterklärend, dass er anscheinend Markus aus dem Becken gezogen hatte, da er immer noch klatschnass war. Der Notarzt besah sich nun selber, während sein Rettungsassistent gerade alles zur Intubation vorbereitete, einen Zugang legte und den Monitor, an den man Markus inzwischen gehängt hatte, im Auge behielt, den erschöpften jungen Mann. Die Sauerstoffsättigung war zwar erniedrigt, aber mit 6l Sauerstoff aus der Maske noch im grünen Bereich. So bekam auch Ben einen Zugang gelegt und ein wenig Cortison gegen die Schwellung gespritzt und gleich danach ein Schmerzmittel und etwas zur Beruhigung, denn Aufregung begünstigte eine Gewebeschwellung. Der Notarzt hatte mit erfahrenem Blick die verheilte Narbe des Tracheostomas an Ben´s Hals gesehen und dachte für sich: „Hoffentlich muss ich den nachher nicht doch noch retracheotomieren!“, denn für ihn stand fest, dass er nach der Erstversorgung des Reanimierten mit Ben in die nächste Klinik fahren würde. „Halten sie ihn nur schön aufrecht, sobald unser Schwerverletzter versorgt ist, kümmere ich mich wieder um ihn!“, versicherte er Semir, während er nun kurz zu dem dritten Patienten ging.


    Der arabisch aussehende Mann hatte inzwischen aufgehört zu toben-er wusste, wann er verloren hatte-und stand nun ruhig an dem Schwimmbadeinstieg-anscheinend war sein Kreislauf stabil, die Blutung an der Schulter hatte bereits aufgehört zu tropfen und der Arzt, der inzwischen bei der Leitstelle den Hubschrauber und einen weiteren RTW angefordert hatte, zog sorgfältig Einmalhandschuhe an, bevor er nach kurzer Untersuchung unter Polizeischutz ein steriles Verbandstuch auf die Wunde presste. Auch dieser Mann würde nachher eine Infusion und ein Schmerzmittel bekommen, aber als Semir berichtete, dass der seinen Freund gewürgt hatte und er ihn deshalb mit einem gezielten Schuss hatte ausschalten müssen, hielt sich das Mitleid der Helfer in Grenzen. Da half jemand selbstlos einem anderen, zog ihn aus dem Wasser und reanimierte ihn und wurde dann selber von so einem Wahnsinnigen attackiert! Auch wenn die Zusammenhänge nicht klar waren-der Mann war so wie es aussah kreislaufstabil, der hing gut fest und zuerst kamen jetzt die anderen dran!


    „Alles fertig zur Intubation!“ vermeldete der Rettungsassistent und während der Notarzt die Handschuhe wechselte und Markus nochmals versuchte anzusprechen, was den allerdings nicht reagieren ließ, spritzte der Rettungsassistent schon das Narkosemittel, der Physio hielt die Infusion und alle Umstehenden beobachteten, wie Markus nun intubiert und ans Beatmungsgerät angeschlossen wurde. Nun hörte man von draußen schon das Brummen des Hubschraubers und nachdem der Parkplatz der Klinik am heutigen Samstag ja fast leer war, landete der Hubbi dort-eingewiesen von der Mitarbeiterin an der Rezeption- und wenig später konnte ein leidlich stabiler Patient an den Hubschraubernotarzt übergeben werden. Das Hubschrauberpersonal tauschte noch den Monitor und das Beatmungsgerät, lud den sedierten Markus auf die fahrbare Trage, schnallte ihn fest und kurz darauf verriet das Geräusch der anlaufenden Rotorblätter, dass Ben´s Freund nun auf dem Weg in die Kölner Uniklinik war-das hatte der Hubschraubernotarzt ihnen noch mitgeteilt.


    Auch der zweite RTW war inzwischen eingetroffen, genauso wie die Kripo und die Spurensicherung, die nebenbei schon anfingen Tatortfotos zu machen und die Umstehenden zu befragen. Der Notarzt versorgte nun kurz und geschäftsmäßig den Attentäter, legte ihm einen Zugang, spritzte ein Schmerzmittel, maß den Blutdruck und befestigte einen professionellen Verband auf der Schulter, in der nach ersten Untersuchungen die Kugel noch steckte. „Bringt ihn ins nächste Krankenhaus, die sollen die Kugel operativ entfernen und danach wird er bitte sofort ins Gefängniskrankenhaus verlegt!“, ordnete der Notarzt an und eskortiert von zwei schwer bewaffneten Polizisten wurde der Attentäter nun ebenfalls auf eine Trage gelegt, dort mit Handschellen befestigt, angeschnallt und abtransportiert.


    Ben hatte das Ganze wie in Trance miterlebt, aktuell war er durch die starken Medikamente so gedämpft, dass er gar nicht so richtig erfasste, was um ihn herum vorging, er zitterte jetzt allerdings vor Schock und Kälte aber Semir hatte dem Notarzt schon berichtet, dass Ben´s Frau Intensivkrankenschwester an der Uniklinik war, aktuell zwar in der Babypause, aber Ben war dort als Patient wohl bekannt. „Das soll wohl der Wink mit dem Zaunpfahl sein, dass wir jetzt nicht in unser nächst gelegenes Provinzkrankenhaus fahren, sondern ebenfalls in die Uniklinik?“, grinste der Doktor, von dem nun auch die Anspannung abfiel und Semir nickte. Man schnitt Ben´s nasses Shirt und die Sporthose auf und legte eine Decke über ihn. Der kleine Türke hatte derweil den Kollegen erzählt, was er nach seiner Ankunft beobachtet und wie er den potentiellen Mörder ausgeschaltet hatte. Dessen Blut befleckte noch den Boden, aber ansonsten hätte man nicht gewusst, was sich hier für ein Drama abgespielt hatte. Als der leitende Kripobeamte Ben befragen wollte, der immer noch gierig den Sauerstoff aus der Maske sog, schüttelte der Notarzt den Kopf. „Herr Jäger“, denn inzwischen hatte man natürlich die Personalien der beiden Opfer erhoben, nur der Attentäter hatte keine Angaben zur Person gemacht, „ist im Moment nicht vernehmungsfähig. Wir bringen ihn jetzt ins Krankenhaus, dort wird er durchgecheckt und wenn die starken Medikamente nachgelassen haben, können sie ihn vielleicht vernehmen, aber aktuell lassen sie ihn bitte in Ruhe!“, ordnete der Doktor mit Autorität in der Stimme an.
    Der Physiotherapeut war derweil nochmals die Treppe hinauf in den Geräteraum gegangen und vermeldete: „Ich weiss ja nicht, was sich hier abgespielt hat, aber an einigen meiner Fitnessgeräte sind merkwürdige Einstellungen vorgenommen, eine voll bepackte Langhantel liegt quer auf dem Boden, der Rollstuhl steht daneben, die Tür ist von innen versperrt-mich würde interessieren, was dort geschehen ist!“, sagte er und Ben wollte nun doch krächzend zur Erklärung ansetzen, aber sowohl Semir als auch der Notarzt verboten ihm das und so dokumentierte nun die Spusi auch dort die ganzen Veränderungen und Spuren.

    So legte man Ben nun in halb sitzender Position auf die Trage, obwohl ihm jede Bewegung weh tat, schnallte ihn dort fest und wenig später war er auf dem Weg zur Uniklinik. Semir folgte dem RTW mit seinem BMW und rief von unterwegs Sarah an, die aus allen Wolken fiel. „Ich bringe die Kinder nur schnell zu Hildegard, wenn die Zeit hat und komme dann sofort in die Klinik!“, beschied sie ihm entsetzt, aber Semir versuchte sie gleich noch zu beruhigen. „Sarah, der Notarzt hat gesagt, er schwebt nicht in Lebensgefahr!“, gab er durch, aber Sarah wollte sich davon mit eigenen Augen überzeugen. Semir war klar, keine zehn Pferde könnten Ben´s Frau jetzt davon abhalten zu ihrem Mann zu eilen und falls Hildegard nicht da wäre, würde sicher Andrea die Kinder beaufsichtigen und das sagte er ihr auch!
    „Sarah, bis gleich, wir sehen uns dann in der Klinik!“, verabschiedete er sich nun und hatte jetzt Mühe dem RTW, der mit Blaulicht fuhr, zu folgen. Eigentlich hatte er ja gerade keine Einsatzfahrt, aber das war ihm schnurzpiepegal und er hatte nun ebenfalls das Blaulicht an der Leiste vorne eingeschaltet und die anderen Verkehrsteilnehmer fuhren auch brav zur Seite und ließen sie passieren. So kamen sie zwanzig Minuten später in der Uniklinik an und während der RTW in die Garage fuhr und sich hinter ihm die Türen schlossen, stellte Semir seinen Wagen auf dem Parkplatz ab und machte sich dann auf den wohl bekannten Weg zur Notaufnahme.

  • Ben war inzwischen in einen Behandlungsraum gebracht worden. Ein junger Arzt, der ihm entfernt bekannt vorkam, aber er war jetzt einfach nur furchtbar müde, lächelte ihn an und ließ sich vom Notarzt derweil Übergabe machen. „Herr Jäger wurde in der Rehaklinik von einem Verbrecher attackiert, der ihn versucht hat zu erwürgen. Er hat starke Schmerzen in der Schulterpartie, ich habe auf eine eingehendere Untersuchung verzichtet, kann allerdings nach dem Abtasten sagen, dass vermutlich keine knöcherne Verletzung vorliegt. Die Vitalparameter waren auf dem Transport die ganze Zeit stabil, er war initial zwar ein bisschen schockig, aber nach einem Liter Volumengabe hat sich der Blutdruck sofort normalisiert-ich denke auch eher, das war psychogen und eine Reaktion auf meine Sedierung und Schmerzmedikation. Gegen die Kehlkopfschwellung hat er 250 mg Prednisolon bekommen, gegen die Schmerzen 0,1 mg Fentanyl und 2 mg Lorazepam habe ich ihm gegen die Aufregung auch noch zukommen lassen. Mit 6Litern Sauerstoff hatte er die ganze Zeit passable Sättigungen, aber ein leichter inspiratorischer Stridor ist immer noch zu hören, ich hoffe, da schwillt nichts weiter zu und ihr müsst nicht doch noch retracheotomieren. Er hat relativ frische Operationsnarben an Bauch und Rücken, ich würde sagen so etwa drei Monate alt und vermute, das war auch der Grund für den Aufenthalt in der Rehaklinik. Ich konnte da aber keine ausführliche Eigenanamnese machen, weil er auf dem Transport dank des guten Tavor eigentlich die meiste Zeit vor sich hin geschlafen hat!“, berichtete der Notarzt und der junge Krankenhausarzt lächelte in sich hinein.
    „Das war auch nicht notwendig-seine Frau ist Intensivschwester und wird hier in Kürze eintreffen, sobald sie die Kinder weg gebracht hat. Sie hat mich schon angerufen und mir detailliert berichtet, woher die Narben stammen und was da operiert worden ist-ich weiss also Bescheid!“, sagte er und jetzt musste der Notarzt auch grinsen. Oh je-Intensivschwester-die würde ihnen genauestens auf die Finger kucken! „Na dann hoffe ich mal, dass sie mit meiner Behandlung einverstanden ist!“, stichelte er ein wenig und sprach dann Ben laut und deutlich an, den man inzwischen los geschnallt und ein wenig flacher gelegt hatte. „Herr Jäger-wir lagern sie jetzt auf die Untersuchungsliege um, nicht erschrecken!“, sagte er und schon hatte man ein Rollbrett unter ihn geschoben und ihn auf die gepolsterte Liege herüber gezogen. Ben stöhnte zwar ein wenig auf, aber eigentlich wirkte das starke Schmerzmittel schon noch.

    Während der Notarzt und sein Team ihren Monitor, den Sauerstoff und ihre anderen Sachen wieder zusammen packten und mit einem Gruß die Notaufnahme verließen, wurde Ben von dem Pfleger, der in seiner Kabine Dienst hatte, verkabelt. Das Wichtigste war eigentlich die Sättigung, aber bis die standardisierte Aufnahmeuntersuchung gelaufen war, konnte es ja nicht schaden, ihn gründlich zu überwachen. Während der Pfleger schon Blut aus seiner Armvene abnahm, begann der Aufnahmearzt ihn systematisch von Kopf bis Fuß durch zu untersuchen. Er leuchtete ihm in die Augen und fühlte seinen Kopf und die Halswirbelsäule ab, konnte da allerdings keine Auffälligkeiten feststellen. „Herr Jäger-haben sie einen Schlag gegen den Kopf bekommen und waren sie bewusstlos?“, fragte der Arzt laut und Ben tauchte aus seinem Dämmerschlaf hoch und schüttelte den Kopf. „Bewusstlos war ich zwar schon, aber nicht wegen einem Schlag gegen den Kopf!“, krächzte er und musste sich dann wieder räuspern und nach Atem ringen. „Nicht zu viel sprechen-kriegen sie aktuell genügend Luft?“, wollte der junge Arzt jetzt von ihm wissen und warf einen besorgten Blick auf die Sättigung, die beim Reden um zwei Punkte abgesunken war. „Es genügt wenn sie nicken oder den Kopf schütteln, sparen sie ihre Kräfte!“, wies er seinen Patienten an und verlangte dann vom Pfleger eine Blutgasspritze, die innen heparinisiert war. „Jetzt stichts mal kurz!“, warnte er Ben vor und anders als der Pfleger der gestaut hatte und aus der Ellenbeuge Blut abgenommen hatte, tastete er an Ben´s Unterarm nach der Radialisarterie, desinfizierte mit dem Tupfer und entnahm dann daraus mit einem tiefen und nicht gerade angenehmen Stich die arterielle Blutprobe. Jetzt würden sie gleich wissen wo sie standen und ob sie doch eventuell eine künstliche Beatmung in Erwägung ziehen mussten. Ben war schläfrig-freilich konnte das vom Tavor kommen, aber genauso gut auch von einem erhöhten CO2, das konnte nur die Blutgasanalyse unterscheiden, aber die zeigte Gott sei Dank keine besorgniserregenden Ergebnisse. Mit sechs Litern Sauerstoff war der Sauerstoffwert darin ganz zufriedenstellend und das Laktat war zwar erhöht und der ph ein wenig erniedrigt, aber das kam vermutlich von einer Muskelübersäuerung. Während der junge Pfleger die Blutgasanalyse auf dem Gerät, das in der Notaufnahme stand, durchgeführt hatte und die anderen drei Blutröhrchen ins Labor gebracht hatte, hatte der Arzt mit einem sterilen Tupfer fest auf die Einstichstelle gedrückt-wenn man da nicht gut komprimierte, konnte es riesige blaue Flecke geben und inzwischen klopfte Semir, dem man die entsprechende Kabine gewiesen hatte, an die Schiebetür.


    „Darf ich rein kommen-das ist mein Freund und Kollege-ich bin hinter dem RTW her gefahren!“ fragte Semir und der junge Arzt nickte. Er kannte den türkischen Polizisten schon, der tauchte immer auf, wenn sein Freund hier stationär war, sie hatten schließlich nichts zu verbergen und vielleicht konnte er noch Aussagen dazu machen, was eigentlich in der Rehaklinik genau geschehen war. Vorhin war schon ein weitere junger Patient von dort mit dem Hubbi eingeliefert worden, intubiert, beatmet, Zustand nach Ertrinkungsunfall und Reanimation, aber der war direkt auf die Intensivstation gegangen und wurde dort bereits nach Standard versorgt und gekühlt. „Kommen sie rein-oder haben sie etwas dagegen, Herr Jäger?“ fragte er und warf Ben einen warnenden Blick zu als der zu sprechen ansetzen wollte. Der besann sich und schüttelte jetzt den Kopf, was dem Notaufnahmearzt ein zufriedenes Lächeln entlockte-na also, ging doch!
    So eilte Semir an die Seite seines Freundes, griff nach dessen Hand, die immer noch eiskalt war und bekam auch gleich den Auftrag, mit dem Tupfer fest auf die Einstichstelle der arteriellen Punktion zu drücken. Der Arzt betastete nun Ben´s Schultern, was den aber aufstöhnen ließ. Er versuchte sich erst anhand der Tastuntersuchung ein Bild von der Schwere der Verletzungen zu machen, aber dann musste er die funktionelle Untersuchung unbedingt durchführen, wo man die Beweglichkeit, das Gelenkspiel und eventuelle Funktionsbeeinträchtigungen eruierte und von diesem Befund ausgehend weiter Untersuchungen veranlasste. Zuerst aber tastete er noch Ben´s Bauch ab, der aber nicht schmerzhaft war, sah mit dem Ultraschallgerät orientierend nach freier Flüssigkeit im Abdomen, aber außer dass die Blase ziemlich voll war, konnte er keine Auffälligkeiten feststellen. Inzwischen hatte ihm Semir ebenfalls noch-wie vorhin Sarah schon bei ihrem Anruf-von Ben´s Absturz mit anschließender Querschnittlähmung berichtet, vom Luftröhrenschnitt, der großen Wirbelsäulenop und dem Einsetzen der Cages von ventral, was die immer noch roten Narben vorne und hinten erklärte. Die waren zwar gut verheilt und reizlos, aber bis die abblassten, würde das einfach noch eine Weile dauern. Semir erwähnte auch, dass Ben laut seiner Aussage in der Klinik seinen Freund reanimiert hatte.


    Die Schulter-Armmuskulatur war hervorragend ausgeprägt, auch ein beeindruckender Sixpack zierte den flachen Bauch seines Patienten, aber die Beinmuskulatur ließ deutlich zu wünschen übrig. „Sind sie gehfähig, Herr Jäger?“ wollte der Arzt nun wissen und Semir antwortete für ihn. „Er ist immer noch mit dem Rollstuhl gefahren, das klappt nicht mit dem Laufen!“, berichtete er, aber nun schüttelte Ben entschieden den Kopf und Semir sah ihn fast ein wenig fassungslos an. Gerade vorgestern, als sie telefoniert hatten, hatte Ben ihm sein Leid geklagt, dass das einfach nicht funktioniere mit dem Gehen-war er vielleicht doch ein wenig durcheinander-es wäre ja kein Wunder nach dem, was er heute mitgemacht hatte. „Ich bin heute gelaufen!“ krächzte er nun fast ein wenig stolz und Semir sah ihn freudig und fassungslos an. Träumte er das, oder war das wahr?
    In diesem Augenblick kam auch Sarah zur Tür herein gestürzt und eilte sofort an die Seite ihres Mannes. Mit einem Blick hatte sie die Situation im Untersuchungszimmer gecheckt, die Werte auf dem Monitor wahr genommen und als erfahrene Notfallschwester sofort: „Keine Gefahr im Verzug!“, festgestellt. „Schatz, wie geht es dir?“ fragt sie liebevoll und küsste ihn leicht auf die Stirn. Semir drückte immer noch fest auf Ben´s Unterarm, aber er war ein Stück beiseitegetreten, damit Sarah zu ihrem Mann konnte. „Er hat gerade gesagt, er wäre gelaufen!“, wiederholte Semir nun das Unfassbare und nun war der Notaufnahmearzt fast selber ein wenig gerührt, denn Sarah sah ihren Mann erst fassungslos an und dann begannen die Tränen des Glücks aus ihren Augen zu fließen. „Oh wie schön-ich wusste du schaffst das!“, schluchzte sie und Ben lächelte trotz seiner Schmerzen glücklich unter der Ohiomaske hervor.


    Allerdings verging ihm nun das Lachen, denn nachdem man ihn noch umgedreht und seinen Rücken abgetastet und beklopft hatte, was aber ebenfalls unauffällig war, setzte man ihn an den Rand der Liege, so dass sein Oberkörper frei war und nun bewegte der Arzt nacheinander beide Arme durch und checkte die Schulterverletzungen. Ben brüllte sofort vor Schmerzen los. Vergessen war jede Sedierung und Schmerzmedikation und wenn er gekonnt hätte, hätte er dem Arzt echt eine gescheuert, aber seine Arme taten dermaßen weh und gehorchten ihm nicht, so dass er das leider aushalten musste. Der Doktor machte auch neurologische Tests, aber es bestand kein Anhalt, dass die Wirbelsäule oder die Armnerven irgendwie betroffen waren. Wie auch immer hatte der Patient durchaus Schulterverletzungen erlitten, einige Sehnen schienen zumindest angerissen zu sein, aber wenn es auch weh tat-so richtig schlimm und vor allem lebensbedrohlich schienen die Verletzungen nicht zu sein.
    „Ich veranlasse gleich noch einige Röntgenaufnahmen und ein MRT der Schulterpartie, dann wissen wir mehr. Bis dahin ruhen sie sich noch ein wenig aus!“, befahl der Doktor nun, der sich jetzt dem nächsten Patienten widmen würde, denn draußen warteten wie immer am Wochenende ganze Heerscharen von Patienten in der chirurgischen Ambulanz. „Ach ja-und sie kommen natürlich nach diesen ganzen Untersuchungen, die ich später mit den Orthopäden beurteilen und besprechen werde, für mindestens eine Nacht auf die Intensivstation. Mit so einer Kehlkopfschwellung ist nicht zu spaßen!“, teilte er seinem Patienten und dessen Begleitern mit und fügte noch etwas hinzu, was Ben nicht so toll fand, dabei ließen seine Schmerzen gerade wieder ein wenig nach und er hatte sich eben zurück gelegt. „Einen Blasendauerkatheter zur Bilanzierung legen wir auch, der ist morgen oder übermorgen schnell wieder heraus gezogen!“ bestimmte er und Ben seufzte frustriert auf. Dabei war er so froh gewesen, als er wieder selber zur Toilette gekonnt hatte, aber er ließ auch diese Sache, die der Pfleger gleich erledigte, über sich ergehen-eigentlich hätte er das ja sogar selber gekonnt- und als Sarah tadelnd bemerkte: „Das wurde auch höchste Zeit, dass deine nasse Unterhose runter kommt, sonst kriegst du mit Sicherheit eine Blasenentzündung!“, wollte er erst schon protestieren, aber dann war er doch wieder froh, dass seine Sarah auf ihn aufpasste-sie meinte es ja nur gut! So lag er dann warm zugedeckt auf der Liege, immer noch am Monitor, man hatte ihm wieder ein Schmerzmittel in die Infusion gegeben und wartete darauf, dass er zum Röntgen und dem MRT abgerufen wurde.

  • Markus war nach Standard versorgt worden und lag tief sediert und beatmet auf der Intensivstation in einer Zweierbox. Durch verschiedene Kühlmaßnahmen hielt man seine Körpertemperatur zwischen 32 und 34°C. Man hatte ihn noch bronchoskopiert, also mit einer Optik durch den Tubus hindurch in die Lunge geblickt, dort nochmals gründlich abgesaugt und dann gleich mit einer vorsorglichen Antibiose begonnen. Auch wenn Schwimmbadwasser gechlort war-in den Bronchien hatte es einfach nichts zu suchen und machte dort leider häufig heftige Lungenentzündungen!


    Wenig später wurde Ben zunächst zum Röntgen abgerufen. Sarah und Semir hörten ihn bis nach draußen jammern, als seine Arme und die Schultergelenke in verschiedenen Ebenen geröntgt wurden und dafür eben auch jedes Mal anders hingelegt werden mussten. Aber bald hatte er auch das geschafft und kurz darauf lag er dann bereits in der Röhre des MRT und hörte den sehr lauten und merkwürdigen Klopfgeräuschen zu. Er hatte Kopfhörer auf, die den Schall ein wenig abdämpften, aber trotzdem war er schweißgebadet-seitdem er lebendig begraben worden war, bekam er in so engen Räumen leicht Zustände. Einmal hielt er es nicht mehr aus und bekam eine Panikattacke, aber als man dann kurz unterbrach, ihm ein Beruhigungsmittel spritzte und ihm Sarah und Semir, die die Untersuchung von draußen durch die Glasscheibe beobachten durften-einen kleinen Vorteil musste man ja als Mitarbeiterin des Hauses haben-gut zuredeten, schaffte er es, die restlichen zehn Minuten noch hinter sich zu bringen. Trotzdem war er mehr als froh, als er wieder in seinem Bett lag.


    Allerdings hatte der Stridor, vermutlich wegen der Aufregung, jetzt zugenommen und bevor man ihn auf die Intensivstation übernahm, wurde er noch in die HNO-Abteilung gebracht. Der HNO-Arzt, der nur die Konsilanforderung bekommen hatte, ohne den Patienten näher zu kennen fragte: „Herr Jäger-können sie sich auf den Stuhl hier rübersetzen?“, denn seine Untersuchung und Behandlung wäre einfacher, wenn er die ganzen Optiken in Griffweite hatte. Obwohl Ben hundemüde vom Beruhigungsmittel war, schwang er die Beine aus dem Bett und Sarah konnte fast nicht so schnell nach der Infusion und dem Katheterbeutel greifen, wie er die zwei Schritte zum Untersuchungsstuhl gelaufen war-ihr und Semir blieb beinahe der Mund offen stehen, er konnte tatsächlich gehen! Der HNO-Arzt tastete nun sorgfältig den Hals ab, fasste dann nach Ben´s Zunge mit einer Kompresse und zog die raus, damit er den Kehlkopf beurteilen konnte. „Wie lange ist die Tracheotomie her?“, wollte er dann wissen und Sarah antwortete für ihren Mann, der jetzt mit der Antwort auch größere Schwierigkeiten gehabt hätte. „Drei Monate!“, gab sie an und der HNO-Doktor nickte. Ben musste zwar mehrfach würgen, als man ihm mit der Optik in den Hals leuchtete, der Arzt verschiedene, aber alle widerlich schmeckende Sprays in ihn sprühte, aber dann Entwarnung gab. „Gut-der Kehlkopf ist natürlich gereizt und die Stimmlippen sind auch angeschwollen, als Reaktion auf die Strangulation, aber ich denke wir kriegen das mit konservativen Maßnahmen hin. Ich habe jetzt direkt vor Ort ein abschwellendes Medikament aufgebracht, ich werde empfehlen alle paar Stunden, auch nachts, lokal Cortison zu vernebeln, falls es noch mehr anschwillt auch Suprarenin, aber aktuell sehe ich keinen weiteren Handlungsbedarf!“, teilte er mit, schrieb seine Antwort auch noch auf den Konsilschein und als Ben wenig später auf die Intensivstation gebracht wurde, sahen seine Frau und sein Freund nun schon positiver gestimmt in die Zukunft.


    Semir hatte zwischendurch bei Andrea angerufen und der wortreich erläutert, warum die Hecke ihrer Eltern aktuell noch ein bisschen auf den Schnitt warten musste, aber da hatte jeder dafür Verständnis. Andrea wusste, dass Semir sich jetzt um seinen Freund kümmern würde, es gab einfach Prioritäten im Leben!


    „Sarah-es tut mir leid, aber wir haben gerade keine Einzelbox frei, da sind lauter Isolierungen drin, der einzige freie Platz ist neben einem beatmeten Neuzugang!“, entschuldigte sich die Stationsleitung der Intensiv, aber als dann Ben´s Bett in den Raum gefahren wurde und der seinen Freund Markus neben sich liegen sah, zog ein Lächeln über sein Gesicht. „Wie geht es ihm?“, wollte er mit rauer Stimme unter seiner Sauerstoffmaske wissen und als die Stationsleitung, eine ältere Schwester gut über Fünfzig, mit viel Erfahrung, aber auch Empathie, nun von Semir über die Zusammenhänge informiert wurde, schlug sie sich gegen die Stirn. „Ach jetzt verstehe ich-na gut, eigentlich darf ich euch sowas ja nicht sagen, aber er ist relativ stabil-Ben, das bedeutet, du hast ihn reanimiert?“, wollte sie dann wissen und der nickte. „Das hast du gut gemacht-ob er Schäden davon getragen hat, werden wir zwar erst sehen, wenn er morgen aufgewärmt und extubiert wird, aber es sieht nicht allzu schlecht aus-die Pupillen reagieren und er braucht auch ordentlich Narkosemittel, er sieht es anscheinend gar nicht ein, dass er jetzt schlafen soll!“, sagte sie und strich dem jungen Mann fast ein wenig liebevoll über die kalte Wange.


    Dann desinfizierte sie ihre Hände, hängte routiniert mit Sarah´s Hilfe die Überwachungskabel um, tauschte die Infusion und machte die bürokratische Aufnahme. Der diensthabende Intensivarzt untersuchte seinerseits Ben nochmals kurz durch, bei dem sich jetzt überall am Oberkörper blaue Flecke abzuzeichnen begannen und der nun auch nochmals großzügig Schmerzmittel bekam. Ihm war nun auch nicht mehr kalt, mit der Luft ging es so und als sich Sarah kurz verabschiedete, um für sich und Semir einen Kaffee in der Stationsküche zu holen, fragte der seinen Freund, denn das ließ ihm keine Ruhe: „Ben-kanntest du den Typen, der dich versucht hat, umzubringen?“, denn auch wenn er nicht so viel sprechen sollte, hatte Ben zwischen den ganzen Untersuchungen erzählt, wie er von dem Araber gefoltert worden war. „Ich habe ihn gestern zum ersten Mal in meinem Leben gesehen!“, antwortete er wahrheitsgemäß und weil sein Freund gut versorgt war, beschloss Semir, den zu befragen, nachdem er mit Genuss den Kaffee ausgeschlürft hatte, den ihm Sarah gebracht hatte, neidvoll beobachtet von Ben, der aber aktuell nichts kriegte, falls man ihn doch noch intubieren musste. „Ach ja-eigentlich wollte ich dir Schokocroissants mitbringen-die müssen jetzt noch irgendwo vor der Rehaklinik liegen, ich habe die Tüte weg geschmissen, als ich los gerannt bin, um dich zu befreien!“ erzählte Semir nun ungerührt und Ben funkelte ihn an: „Das ist Folter, was du gerade tust-ich hatte heute noch kein Frühstück!“, bemerkte er beleidigt und jetzt lachten Sarah und Semir vergnügt auf-sooo schlecht konnte es Ben gar nicht gehen, wenn er schon wieder Hunger hatte.


    Nun kam auch noch der Arzt aus der Notaufnahme herein. „Herr Jäger-wir haben uns gemeinsam die MRT-Bilder angesehen-es sind zwar einige Sehnen, wie z. B. die Suscapularissehne angerissen, das Gewebe ist traumatisiert, wir haben mehrere Muskelfaserrisse, aber es ist nichts zu operieren. Ich würde vorschlagen, wir behandeln das aktuell mit Kühlung und Entzündungshemmern, stellen das für eine Woche mit einem Gilchristverband ein wenig ruhig und beginnen ab nächster Woche mit vorsichtiger Physiotherapie, damit da nichts verklebt!“ erklärte er und wenig später kam die Schwester herein und zog ihm auf beiden Seiten diesen speziellen Schlauchverband an. „Ich komme mir vor, als hätte ich eine Zwangsjacke an!“, stöhnte Ben und ließ sich erschöpft in die Kissen zurück fallen. „So siehst du auch aus, aber du wirst es schon nötig haben!“, antwortete Semir frech und nun schmiss ihn Ben regelrecht hinaus. „Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr!“, tönte er und musste gleich heftig husten, was Semir mit einem kleinen Lacher beantwortete. „Siehst du, die Strafe folgt stets auf dem Fuß-ich nehme mir jetzt mal den Typen vor, der das Ganze hier zu verantworten hat!“, kündigte er dann an und Ben nickte nach einem Seitenblick auf seinen Freund Markus, der blass und schmal in seinen Kissen lag und vor sich hin schlief. „Ja tu das-und sag ihm er soll sich in Acht nehmen, wenn ich wieder fit bin und ihn in die Finger kriege, dann gnade ihm Gott!“, stieß er voller Zorn hervor und Semir nickte nun ernst. „Ben-ich versuche jetzt heraus zu bekommen, was das Ganze sollte, ich halte dich auf dem Laufenden!“ kündigte er an und Ben flüsterte nun leise: „Pass auf dich auf!“, und Semir antwortete bereits im Hinausgehen: „Du auch!“ und damit verließ er die Intensivstation.


    Über die Leitstelle erfuhr er, wo der Attentäter lag und machte sich auf den Weg zurück zu dem Krankenhaus, das in der Nähe der Rehaklinik lag. Bei dem Verbrecher war inzwischen die Kugel in Narkose entfernt worden und wenn er bis zum Abend stabil blieb, würde man ihn dann nach Ossendorf verlegen. Er war zwar bereits erkennungsdienstlich behandelt worden, aber seine Fingerabdrücke waren nicht registriert, er hatte keine Papiere bei sich und hüllte sich auch in Schweigen-man wusste bisher einfach nichts über diesen Typen! Semir schickte die beiden diensthabenden Beamten, die ihn bewachten, vor die Tür-zu dem, was er jetzt vorhatte, brauchte er keine Zeugen und als er nun an das Bett des dunklen Mannes mit den kalten Augen trat, der mit einer Fußfessel ans Bett gefesselt war, sah er fast ein wenig Furcht in ihnen aufblitzen. Das war gut und so begann Semir mit der Befragung.

  • Semir zog sich einen Stuhl heran, setzte sich betont gemütlich neben das Bett, schlug die Beine übereinander und signalisierte so mit jeder Faser seines Körpers: „Ich habe Zeit!“ Der Attentäter hatte natürlich ebenfalls gesehen, dass seine beiden Bewacher sich sofort devot zurück gezogen hatten, als der kleine Türke seinen Ausweis präsentiert und ein paar Worte mit ihnen gewechselt hatte. Verdammt-hätte er ihn nur zuerst erledigt, dann wäre sein Auftrag inzwischen beendet, er hätte Geld genug und bräuchte die nächsten paar Monate, wenn nicht Jahre nichts mehr zu arbeiten-na ja, außer es wäre ihm danach. So aber wusste er ehrlich gesagt selber nicht so genau, was ihm bevor stand. Je nachdem wegen was er angeklagt würde, würde er entweder für viele Jahre hinter deutschen Gefängnismauern verschwinden, oder wenn es gut lief, vielleicht in ein paar Monaten in die Heimat abgeschoben werden. Gut-wenn er mal in seinem Heimatstaat angekommen war, wäre er schnell wieder aus dem Gefängnis, genauso wie die beiden Scheichs, denn neben dem geschriebenen Gesetz gab es dort noch sowas wie ein ungeschriebenes-wer Macht, Geld und Einfluss hatte und einer der führenden Familien angehörte, war schnellstens wieder auf freiem Fuß.

    Das Erste was er nämlich gemacht hatte, als er vom Anwalt den Auftrag zur Eliminierung der drei Männer bekommen hatte, war nachzuforschen, wer die wahren Auftraggeber dahinter waren. Er hatte natürlich gerade in den Gefängnissen seine Spitzel-alles sozusagen Kollegen in der Sommerfrische- sitzen und außerdem konnte er zwei und zwei zusammenzählen. Es war durch die Presse gegangen, als das Flugzeug nach Riad am Frankfurter Flughafen gestoppt worden war. Man hatte danach Gerüchte, gehört, dass darin zwei deutsche Frauen entführt werden sollten, die Zusammenhänge mit dem Diebstahl von militärischen Geheimnissen und mehreren Morden hatte man bisher zwar noch nicht an die Öffentlichkeit gebracht, aber die Spatzen in den Gefängnissen bliesen es von den Dächern. Dem dunklen Mann war also klar, dass das alles irgendwie zusammen hing. Die Details interessierten ihn zwar nicht, aber der Anwalt war sicher nur ein Mittelsmann für die inhaftierten Scheichs und der Auftragsmörder hatte fest vor, sich später in seiner Heimat einen goldenen Lebensabend zu verschaffen, wenn die Scheichs wieder zuhause waren und Macht und Einfluss im Mittleren Osten hatten. Dann würde er an sie heran treten und ihnen sagen, wie loyal er war und sie mussten ihn dann einfach reich entlohnen, oder in ihre Dienste nehmen. Er sah sich schon als Anführer einer kleinen Privatarmee und hatte sich sogar bei seinem Heimaturlaub bereits nach geeigneten Mitstreitern umgesehen. In Riad herrschte Entsetzen, wie der deutsche Staat zwei solch ehrbare Männer ohne jeglichen Luxus in einem deutschen Untersuchungsgefängnis festhalten konnte! Man rechnete aber mit einer baldigen Freilassung und die Diplomaten arbeiteten auf Hochtouren.

    Auch in Semir´s Kopf hatte es auf der Herfahrt gerattert. Nochmals hatte ihm Ben bestätigt, dass er den Mann am Vortag zum ersten Mal gesehen hatte und gerade was Verbrecher, die er schon einmal verhaftet hatte betraf, war sein Gedächtnis sehr gut. Nachdem er fast alle Fälle der letzten Jahre mit Ben gemeinsam bearbeitet hatte und die paar Mal, wenn er im Urlaub gewesen war und Ben alleine einen gelöst hatte, den hinterher zumindest laut Akten noch mit bearbeitet hatte, konnte er zweifelsfrei ausschließen, dass das eine dienstliche Sache gewesen war. Nur ein Fall war gerade noch nicht abgeschlossen und sie warteten noch auf die Verhandlung-das war Ben´s Entführung wegen der Hubschrauberpläne und in Semir´s Kopf fügte sich nun Einzelheit zu Einzelheit wie in einem Puzzle. Auch wenn der Mann vor ihm seine Staatszugehörigkeit noch nicht hatte verlauten lassen, er tippte darauf, dass der aus dem Nahen oder Mittleren Osten kam. Es wären fast der Zufälle zu viel, wenn da noch eine Nation beteiligt wäre und so sagte er in aller Gemütsruhe, denn er ging davon aus, dass der Verbrecher ihn verstehen konnte: „Und wie wars das letzte Mal in Saudi-Arabien?“ Ihm war nämlich auch aufgefallen, dass die Bräune nur über die halbe Stirn des Mannes ging, als hätte er in der prallen Sonne immer ein Tuch um den Kopf getragen, so wie das Araber machten. Und auch wenn der Sommer dieses Jahr nicht ganz schlecht gewesen war-diese dunkle Bräune bekam man einfach nicht in Köln. Semir stellte mit Vergnügen fest, dass ein entsetzter Hauch über das Gesicht seines Gegenübers zog. Ja er lag richtig!


    „Mich würde interessieren, wie die Scheichs dich gedungen haben-bist du extra aus Saudi-Arabien angereist, oder warst du zuvor schon in Deutschland?“, fragte er weiter und nun kombinierte er noch eine weitere wichtige Einzelheit dazu. Plötzlich war ihm klar, dass das der Mann gewesen war, der vor einigen Wochen Lilly im Garten angesprochen hatte und wenn das so war, dann ging vermutlich auch das Attentat auf Hartmut auf dessen Kappe. Also war der Typ auf jeden Fall schon länger in Deutschland und brandgefährlich. „Und wo hattest du den Sprengsatz her, der das Auto meines Kollegen in die Luft gejagt hat?“, fügte er noch hinzu, ohne zu erwähnen, dass Hartmut durchaus noch lebte. Nun kam ein kleiner Laut aus dem Mund des Attentäters und Semir beugte sich nun mit blitzenden Augen ein wenig über ihn. „Was hast du gesagt?“, fragte er nach und wie zufällig ging seine Hand Richtung Schulter des Verbrechers. Als der das arabische Schimpfwort wiederholte und gleich darauf auf Deutsch noch ein akzentfreies: „Leck mich doch!“, hinzu fügte, packte Semir´s Hand plötzlich fest zu und ließ sein Gegenüber aufjaulen. „Ich garantiere dir, dass du die nächsten Jahre hinter schwedischen Gardinen verbringen wirst. Ich würde dir raten, ein wenig kooperativer und vor allem höflicher zu sein, mein Arm reicht nämlich nicht nur wie gerade zu deiner Schulter, sondern durchaus auch bis in den Knast!“ behauptete, wobei das nur bedingt stimmte-in Ossendorf jedenfalls saßen mehr Verbrecher, die eine Wut auf Ihn und Ben hatten als andere, aber das brauchte der Typ vor ihm ja nicht zu wissen. Langsam lockerte Semir den Griff um die frisch operierte Schulter wieder. Mitleid hatte er keines-das hatte sein Gegenüber auch nicht gehabt, weder mit Ben, noch mit Markus und erst Recht nicht mit Hartmut. Außerdem war der seiner Familie nahe gekommen und da wurde Semir wütend-seine Kinder fasste niemand an!

    Der Saudi atmete erleichtert auf, gerade war ihm der Schweiß ausgebrochen-dieser Polizist war aus einem anderen Holz geschnitzt, als die anderen, die er kannte. Er wusste auch-der würde ihn fertig machen und hatte keine Angst vor ihm, wie sonst seine Opfer und das ließ ihn plötzlich umdisponieren. Er würde sich jetzt kooperativ zeigen, den Anwalt hinhängen und am Abend, wenn er ins Gefängniskrankenhaus verlegt werden sollte, versuchen zu fliehen. Mit den anderen beiden Typen, die ihn bewachten, würde er schon fertig werden, aber diesen Semir Gerkhan musste er jetzt los werden. „Okay-ich verrat dir was-was schaut dabei für mich raus?“ begann er nun zu feilschen, aber Semir schüttelte den Kopf. „Nichts schaut für dich raus-wir verhandeln nicht mit Verbrechern!“, sagte er und trotzdem verriet ihm nun der Araber den Namen des Anwalts, der ihn gedungen hatte. Mehr brauchte er eigentlich gar nicht zu erzählen, der kleine Türke wusste sowieso schon alles und als er wenig später die beiden Bewacher wieder zu dem Verbrecher beordert hatte, griff Semir zum Telefon und bat Susanne, die zufällig Wochenenddienst hatte, fest zu stellen, ob dieser Anwalt die beiden Saudis vertrat, was die wenig später bestätigte.

    So kam es, dass am späten Nachmittag plötzlich ein kleiner türkischer Polizist, begleitet von mehreren Uniformierten, vor der Tür des luxuriösen Penthauses in Frankfurt stand, das der Saudisch-Deutsche Anwalt mit seiner Familie bewohnte. Der ging auch bereitwillig mit und als Semir ihn in der nächstgelegenen Polizeidienststelle verhörte, gab er ohne Umschweife zu, dass er von den beiden Scheichs mit der Ermordung seiner Familie erpresst worden sei und deshalb den Attentäter in deren Auftrag gedungen habe. „Ich konnte nicht anders-mir waren die Hände gebunden, wenn ich die Sicherheit der Menschen in meiner Heimat nicht gefährden wollte!“, verteidigte er sich, aber Semir ließ dieses Argument nicht gelten. „Sie leben und arbeiten hier, ich denke, das wars dann mit ihrer Zulassung bei der Anwaltskammer. Sie hätten sich an die deutsche Polizei wenden müssen, uns wäre dann schon eine Finte eingefallen, wie wir die Scheichs ruhig stellen-so kämpft jetzt ein völlig unbeteiligter junger Mann um sein Leben, mehrere andere wurden schwer verletzt und sie tragen eine Mitschuld daran!“, warf er dem Anwalt vor, der nun regelrecht zusammen brach. Wie er es auch drehte und wendete-das fette Leben war für ihn vorbei, hier wie in Saudi-Arabien. Allerdings durfte er sogar wieder nach Hause, weil der ermittelnde Staatsanwalt keine Fluchtgefahr sah und als Semir nun am Abend noch auf einen Sprung bei Ben im Krankenhaus vorbei schaute, hatte er eine Menge Neuigkeiten im Gepäck.


    Der Attentäter hatte tatsächlich versucht zu flüchten, als man ihn vom Patientenzimmer in Handschellen zur grünen Minna, wie das Überführungsfahrzeug im Volksmund hieß, obwohl es ja in NRW schon lange nicht mehr grün war, führte. Allerdings hatte er die beiden bewachenden Polizisten unterschätzt und machte nun schmerzhaft mit dem Gummiknüppel Bekanntschaft. Noch ein wenig benommen saß er dann sogar noch mit zusätzlichen Fußfesseln angekettet im Fahrzeug und als sich die Tore Ossendorfs eine Stunde später hinter ihm schlossen, begann er zum ersten Mal ein wenig Angst zu kriegen-vielleicht reichte der Arm des deutschen Gesetzes doch weiter, als er erwartet hatte!


    „Ben-ich habe den Fall gelöst und weiss jetzt, wie alles zusammen hängt!“ hatte Semir begonnen seinem Freund zu erzählen, der atemlos seinen Worten lauschte. Klar hatte Ben noch Schmerzen und hatte, nachdem die ganzen Beruhigungsmittel abgeflaut waren, festgestellt, dass das Allerschlechteste das Liegen war-sowohl für die verletzte Schulterpartie, als auch für die Luft. So saß er jetzt am Bettrand, immer noch die Sauerstoffmaske auf dem Gesicht, aber ansonsten wieder klar in der Birne. Zwischendurch vernebelte man immer mal Salbutamol, ein lokal wirkendes Cortison, damit der Kehlkopf nicht weiter zu schwoll, man hatte begonnen ihm Ibuprofen gegen die Entzündung und auch die Schulterschmerzen zu geben und die halfen fast besser als die ganzen Opiate. Er durfte auch in kleinen Schlucken kaltes Wasser trinken und Eiswürfel lutschen, das war schon mal besser als gar nichts und auch Sarah wirkte recht entspannt, was Semir als gutes Zeichen sah. Nur Markus schlief die ganze Zeit tief sediert und weiter gekühlt vor sich hin, da musste man einfach bis zum nächsten Tag abwarten.
    Als Semir geendet hatte, sah ihn Ben regelrecht erschüttert an. „Und das Ganze eigentlich nur wegen ein paar Hubschrauberbauplänen!“, bemerkte er fassungslos und sein Freund pflichtete ihm bei.

  • Am nächsten Morgen hatte Ben keine Atemprobleme mehr. Obwohl ihm gerade in der Schulterpartie jede Gräte einzeln weh tat, war er einfach nur froh mit dem Leben davon gekommen zu sein. Sarah hatte wie schon so oft, den Mobilisationsstuhl stillschweigend ins Zimmer geschoben bekommen und hatte sich dort einfach neben Ben´s Bett zur Ruhe begeben. Markus schlief ja immer noch tief sediert vor sich hin, er brauchte zwar Noradrenalin, aber das war sicher der tiefen Sedierung geschuldet und sonst bekam er ja nichts mit. Sarah half in der Nacht sogar ihren Kollegen beim Betten von Ben´s Freund, denn es ging auf der Intensiv ziemlich zu, wie überhaupt im ganzen Krankenhaus.
    Am Morgen wusch Sarah ihren Mann im Stehen, entfernte weisungsgemäß auch gleich den Katheter und stöpselte die Infusion ab. Nur noch ein paar Überwachungskabel am Monitor blieben. Aber er hatte weiterhin keine Probleme damit, ein paar Schritte zu laufen, wobei natürlich die Kraft schon noch fehlte. Außerdem war er durch die beiden Gilchristverbände, die seine beiden Arme fest an seinen Körper fixierten, wie in einer Zwangsjacke und eigentlich völlig hilflos. Sarah musste ihn an der Stirn kratzen, wenn es notwendig war, hielt ihm den Trinkbecher an die Lippen und fütterte ihn wie ein Baby mit weicher Kost. Man ersetzte die Sauerstoffmaske erst gegen eine Brille und mittags ließ man den Sauerstoff dann ganz weg, ohne dass die Sättigung einbrach. Der Arzt verordnete noch ein Cortisonspray, wie es sonst Asthmatiker bekamen und dann wurde die weitere Vorgehensweise besprochen.
    „Herr Jäger-normalerweise würde ich sie ja jetzt auf Normalstation übernehmen, aber das Problem ist: Wir haben kein Bett für sie! Die Schulterverletzungen müssen von alleine heilen, da werden wir jetzt eine Woche lang gar nichts weiter machen, als die ruhig zu stellen und erst danach kann man mit leichten Bewegungsübungen beginnen. Warum sie ja überhaupt auf der Intensiv gelandet sind, waren ihre Atemprobleme, aber so wie es aussieht, ist auch das nochmals glimpflich ausgegangen und falls sie das Gefühl haben, im Rachen schwillt etwas zu, dann benutzen sie einfach das Cortisonspray. Bei ihrer Frau sind sie ja in besten Händen, also würde ich vorschlagen, wir warten jetzt noch bis zum Abend ab und wenn bis dahin nichts passiert ist, entlassen wir sie nach Hause. Eine Rückkehr in die Rehaklinik macht aktuell keinen Sinn, da werde ich sie krankschreiben und später sieht man weiter“, teilte der behandelnde Arzt mit und Ben konnte es kaum glauben. „Sarah-ich darf nach Hause, dann bin ich ja sogar an Mia-Sophie´s erstem Geburtstag morgen daheim, wer hätte das gedacht?“, freute sich Ben, aber dann wurde seine Aufmerksamkeit von seinem Freund im Nebenbett in Anspruch genommen.


    Bei dem hatte man am Vormittag, genau 24 Stunden nach Beginn der Kühlmaßnahmen, die Kältekompressen und das Gebläse weg genommen. Sarah und Ben konnten am Monitor verfolgen, wie er sich langsam erwärmte und als gegen Mittag die Körpertemperatur den Normbereich erreicht hatte, schaltete man die Sedierung aus und konnte dann auch die Katecholamine ausschleichen. Es dauerte nicht lange und Markus begann sich zu regen, machte die Augen auf und sein Blick wanderte erst noch ungezielt, aber dann immer wacher durch den Raum. Gerade hatte Sarah ihren Mann zur Toilette begleitet-er kam sich vor wie ein kleines Kind, aber lieber ließ er sich von seiner Frau helfen, als von wildfremden Menschen-da blieb Ben neben dem Bett seines Freundes stehen, der ihn jetzt ganz gezielt anschaute. „He Markus, kannst du mich sehen?“, wollte er wissen und als sein Freund nickte, konnte Ben es fast vor Glück nicht fassen. Man holte wenig später den Neurologen, der noch verschiedene Tests machte, die Markus aber alle mit Bravour bestand-er konnte beide Hände des Arztes drücken, abwechselnd und gezielt die Beine heben, die Augen fest zusammenkneifen usw. Man konnte zwar noch einen Menge Sekret absaugen, was auch sehr unangenehm war und Markus die Schweißtropfen auf die Stirn trieb, aber auch wenn er sich vermutlich durch die Aspiration des Schwimmbadwassers eine leichte Pneumonie zugezogen hatte, der Kopf schien nichts abgekriegt zu haben.
    Wenig später verfolgte Ben vom Nebenbett aus, wie man seinen Freund erst nochmals absaugte, ihm gut zuredete und ihn dann extubierte. Als der dann mit der Sauerstoffmaske auf dem Gesicht halb sitzend im Bett lag und wieder selber atmete, merkte Ben erst, wie er selber vor Anspannung beinahe die Luft angehalten hatte. Marina, die Kollegin Sarah´s, die sie beide in der Nachmittagsschicht betreute, legte Markus noch einen kühlen Waschlappen auf die Stirn und lächelte ihn an. „Na jetzt haben sie den ersten Schritt zum gesund werden getan, ruhen sie sich erst einmal aus, ich komme später wieder zu ihnen!“, sagte sie und als der junge Mann daraufhin unter seiner Maske etwas erwiderte, glaubte Ben zu verstehen, dass er: „Das wäre schön!“, sagte.


    Als Semir am Nachmittag zu Besuch kam, wurde er von Ben mit der großen Neuigkeit begrüßt: „Semir, stell dir vor, ich darf heute noch nach Hause!“, eröffnete er ihm und jetzt blieb sein Freund erst einmal da, während Sarah kurz heim fuhr, um alles vor zu bereiten, Hildegard Bescheid zu geben und vor allem auch, um ihm Klamotten zu holen. Auch Semir war sehr froh, dass es Markus so halbwegs gut zu gehen schien, er brauchte jetzt nur noch eine Sauerstoffnasenbrille und musste eben zwischendurch Atemgymnastik machen und von Semir erfuhr er nun auch, dass Ben ihn aus dem Wasser gezogen und reanimiert hatte. „Jetzt weiss ich also, warum mir mein ganzer Brustkorb so weh tut!“, stöhnte Markus, aber dann glitt ein Lächeln über sein Gesicht und er sah seinem Freund direkt ins Gesicht: „Danke, dass du mir das Leben gerettet hast!“, sagte er dann mit bereits wieder kräftiger Stimme und Ben erwiderte gerührt: „Dafür möchte ich mich auch bei dir bedanken!“, und jetzt schwiegen die beiden Freunde versonnen eine Weile.
    Jedes Mal wenn die dunkelhaarige Marina herein kam, um nach ihren beiden Patienten zu sehen, errötete Markus und als sie ihn bettete und seinen Rücken einrieb, genierte er sich sogar ein bisschen. „Ich habe jetzt erst gehört, dass sie sich gegenseitig das Leben gerettet haben-da betreue ich heute ja zwei Helden!“, sagte Marina fröhlich und als sie das Zimmer wieder verließ, folgte ihr ein sehnsüchtiges Augenpaar. „Markus-ich besorg dir ihre Telefonnummer und finde heraus, ob sie bereits vergeben ist!“, versprach Ben, dem die Blicke seines Freundes durchaus aufgefallen waren. Semir berichtete nun auch Markus davon, was gestern noch alles geschehen war und der lauschte mit großen Augen seiner Erzählung.


    Als Sarah zurück kam, dauerte es nicht lange und die Entlassung stand fest. Hildegard würde die Kinder und Lucky noch eine weitere Nacht bei sich behalten und sie erst am nächsten Tag bringen. So konnten Sarah und Ben ausprobieren, wie das zuhause klappte und ob Ben überhaupt zurechtkam. Sarah und Semir halfen Ben beim Anziehen, sie verabschiedeten sich alle von Markus und versprachen, ihn bald zu besuchen. „Keine Sorge-ich bin hier in besten Händen!“, beschwichtigte der und warf Marina, die gerade ins Zimmer trat einen strahlenden Blick zu, was nun wiederum die zum Erröten brachte. So verließen die Drei die Intensivstation, Ben bestand darauf, zum Wagen zu laufen und während sie im Fahrstuhl nach unten fuhren, versuchte Ben nun schon von Sarah etwas Privates über ihre Kollegin zu erfahren.

    Semir folgte ihnen im BMW, aber das wäre gar nicht notwendig gewesen, denn Ben schaffte es wie selbstverständlich aus dem Auto auszusteigen und die paar Stufen zum Parterre zu überwinden. Wenig später hatte er einen Stuhl gefunden, auf dem er bequem sitzen konnte und er sah sich glücklich in seinem Haus um. „Ihr glaubt ja gar nicht, wie froh ich bin, endlich nach drei Monaten wieder zuhause zu sein!“, sagte er. „Und dass ich unser Haus auf meinen eigenen Beinen betreten konnte, war noch viel schöner!“, fügte er hinzu und während Sarah das Abendbrot vorbereitete, trank er noch ein Glas Bier mit seinem Freund, der ihm das an die Lippen hielt. „Heute Nacht werde ich sicher gut schlafen!“, befand er und als Semir sich ein wenig später auf den Heimweg machte, kuschelten die beiden Eheleute noch ein wenig vor dem Fernseher, bevor sie dann zu Bett gingen und auch die Treppe nach oben keine großen Probleme bereitete.


    Am nächsten Tag feierte man Mia-Sophie´s ersten Geburtstag und Hildegard blieb, solange Ben noch in seinem Schulterverband steckte, untertags bei ihnen, denn sonst würde es für Sarah zu viel werden. Ben kam täglich mehr zu Kräften und Tim half dem Papa wo er konnte. Er brachte ihm zu trinken und fütterte ihn sogar beim Mittagessen unter lautem Glucksen. Ben musste danach zwar, ebenso wie sein Sohn umgezogen werden, aber das war egal, sie hielten zusammen und als Familie war irgendwie alles auszuhalten. Ben brach die Reha ab und wurde dafür zuhause ambulant von einem Physiotherapeuten versorgt. Er machte lange Spaziergänge mit Lucky, mehr und mehr ließen die Schmerzen in den Schultern und im Rücken nach und er wurde immer beweglicher. Sie hatten im Keller einen eigenen Kraftraum eingerichtet und Ben trainierte verbissen jeden Tag, um wieder fit zu werden.
    Markus war ebenfalls nach vierzehn Tagen entlassen worden und als er gemeinsam mit Marina einige Wochen später zum Kaffee kam, sagte er versonnen: „Wer hätte gedacht, dass ich erst sterben und zurück geholt werden musste, um mein Glück zu finden?“, und Marina gab ihm einen zarten Kuss auf die Stirn.


    Der Anwalt hatte sich auf einen Deal eingelassen. Er hatte den Scheichs ein Lügenmärchen erzählt, dass ihr Auftrag erfüllt sei und alle tot seien und im Gefängnis hatten die Scheichs auch keine Möglichkeit das nach zu prüfen, denn man isolierte sie streng von allen anderen Häftlingen. Wenig später wurden tatsächlich die Saudis in ihre Heimat abgeschoben, aber warum sollte der deutsche Steuerzahler auch für die hohen Kosten der Inhaftierung aufkommen? Der Attentäter saß sogar im selben Flieger, aber während die Scheichs ihr altes Leben im Luxus wieder aufnahmen, wurde der Mörder nach dem nächsten Freitagsgebet auf dem Platz vor der Moschee, gemeinsam mit einigen anderen, mit dem Krummsäbel öffentlich hingerichtet. Keiner wusste so genau warum, aber in Saudi-Arabien galt das Gesetz der Scharia, es war kein ordentlicher Prozess notwendig, sondern das Urteil des Imams wurde ohne Skrupel vollstreckt, das war eben Allah´s Wille.
    Der Anwalt durfte in Deutschland bleiben, denn immerhin war er mit einer Deutschen verheiratet, nur arbeitete der jetzt für wenig Geld in der Rechtabteilung eines großen deutschen Versandhauses, eine Anwaltszulassung würde er nie wieder bekommen.


    Ben war nun wieder fit und nach einer gewissen Zeit im Büro und allerlei medizinischen Tests, durfte er endlich wieder mit Semir auf Streife. Inzwischen war der Herbst herein gebrochen und als sie am Morgen vor der PASt in Ben´s Mercedes stiegen, rieb sich Ben die Hände und sagte: „Puh jetzt ist es schon verdammt frisch am Morgen, nicht nur kalt, sondern eiskalt!“, und dann drehte er die Heizung auf und ging aufs Gas, um gemeinsam mit Semir die nächsten Verbrecher zu schnappen und er war einfach nur eines-glücklich!
    ENDE

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