1. Forum
  2. 25-jähriges Jubiläum
    1. Einleitung
    2. Entstehungsgeschichte
    3. Interviews 1996
    4. Drehorte
    5. Titelmusik
    6. Faktencheck
  3. Episodenguide
    1. Staffel 01 (Frühjahr 1996)
      1. 001 Bomben bei Kilometer 92
      2. 002 Rote Rosen, schwarzer Tod
      3. 003 Der neue Partner
      4. 004 Mord und Totschlag
      5. 005 Tod bei Tempo 100
      6. 006 Der Alte und der Junge
      7. 007 Falsches Blaulicht
      8. 008 Der Samurai
      9. 009 Endstation für alle
    2. Staffel 02 (Frühjahr 1997)
      1. 010 Ausgesetzt
      2. 011 Kaltblütig
      3. 012 Shotgun
      4. 013 Notlandung
      5. 014 Das Attentat
      6. 015 Die verlorene Tochter
    3. Staffel 03 (Herbst 1997)
      1. 016 Crash
      2. 017 Generalprobe
      3. 018 Kindersorgen
      4. 019 Bremsversagen
      5. 020 Rache ist süß
      6. 021 Raubritter
    4. Staffel 04 (Frühjahr 1998)
      1. 022 Sonnenkinder
      2. 023 Tödlicher Ruhm
      3. 024 Volley Stop
      4. 025 Kurze Rast
      5. 026 Leichenwagen
      6. 027 Gift
      7. 028 Zwischen den Fronten
      8. 029 Schnäppchenjäger
      9. 030 Faule Äpfel
      10. 031 Schlag zu!
    5. Staffel 05 (Herbst 1998)
      1. 032 Ein Leopard läuft Amok
      2. 033 Die letzte Chance
      3. 034 Tödlicher Sand
      4. 035 Im Fadenkreuz
      5. 036 Im Nebel verschwunden
      6. 037 Die Anhalterin
      7. 038 Der tote Zeuge
      8. 039 Der Joker
    6. Staffel 06 (Frühjahr 1999)
      1. 040 Treibstoff
      2. 041 Tödliche Ladung
      3. 042 Brennender Ehrgeiz
      4. 043 Schattenkrieger
      5. 044 Taxi 541
      6. 045 Der Richter
      7. 046 Der Tod eines Jungen
      8. 047 Ein einsamer Sieg
  4. Fanclub
    1. Mitglieder
    2. Letzte Aktivitäten
    3. Benutzer online
    4. Mitgliedersuche
    5. Unterstütze uns
  5. Fantreffen
    1. Infos
    2. FAQ
    3. Berichte
    4. Teilnahmebedingungen
  6. Fanshop
    1. DVDs und Blu-rays
    2. DVD Specials
    3. Musik
    4. Games
  • Anmelden
  • Registrieren
  • Suche
Dieses Thema
  • Alles
  • Dieses Thema
  • Dieses Forum
  • Artikel
  • Seiten
  • Forum
  • Erweiterte Suche
  1. Alarm für Cobra 11 - Der offizielle Fanclub
  2. Fan Fictions
  3. Fan Fiction

Zwischenwelten

    • Fertig gestellt
    • Campino
  • Campino
  • 25. Oktober 2015 um 22:41
  • Campino
    Kriminaloberkommissar
    Reaktionen
    563
    Beiträge
    2.180
    • 8. Dezember 2015 um 10:32
    • #21

    Innenstadt - 18:30 Uhr


    Ben schlug den Kragen seiner Lederjacke ein wenig nach oben, als er aus dem warm aufgeheizten Auto ausstieg und mit der eiskalten klaren Luft in Berührung kam. Die Straße war stumpf und trocken im Dunkeln, sollte der angekündigte Schnee heute Nacht wirklich kommen, würde wohl jede einzelne Flocke liegen bleiben, denn der Asphalt war eiskalt und der Boden in den Parks, Gärten und auf den Feldern stockgefroren. Der Polizist blies in seine Handflächen und rieb diese aneinander, eine Angewohnheit aus der Kindheit sich zu aufzuwärmen, was rein gar nichts brachte. Er schaute an der Häuserfront herauf auf einige Fenster im zweiten Stock, die dort hell erleuchtet waren und kämpfte gegen seine eigene Unsicherheit. War das richtig oder falsch, was er hier machte? War es sein Arbeitseifer, war es Mitleid oder war es der Eigennutz? Der Gedanke an letzteres hielt ihn noch zurück.
    Der Name "Bachmann" prangte an allen drei Klingeln des Hauses, vor dem Ben jetzt stand und zögerte. Er fühlte sich unwohl, fühlte sich unentschlossen dessen, was er hier wollte. Er konnte selbst nicht genau das Gefühl definieren, das ihn hierher trieb, dass ihn dazu antrieb jetzt auf die Klingel zu drücken, den Summer abzuwarten und dann in den Flur des Mehrfamilienhauses treten. Er hatte die Hände in den Taschen versunken und stieg die ersten Stufen nach oben, als er die Wohnungstür im zweiten Stock aufgehen hörte.


    "Wer ist da?", hörte er die leise, etwas verschreckt klingende Stimme von Carina Bachmann im Flur. "Hallo... hier ist Ben Jäger, von der Kripo Autobahn.", sagte Ben sofort, um die Frau nicht zu verschrecken. Sie stand am Geländer und sah ins Treppenhaus herab, und schien erleichtert als sie das Gesicht des Mannes erkannte. "Oh... guten Abend. Ich hatte nicht mehr mit Besuch gerechnet.", sagte sie beinahe entschuldigend, denn sie hatte Hausschuhe an und die Haare zu einem einfachen Zopf zurückgebunden. "Ja, entschuldigen sie die späte Störung.", meinte Ben lächelnd und hob kurz die Schultern, als er im zweiten Stock angekommen war. "Aber... ähm... ich wollte... ich wollte mal sehen, ob bei ihnen alles in Ordnung ist."
    Er hätte sich ohrfeigen können. Was für eine billige und plumpe Rechtfertigung eines unangekündigen Besuchs. Was interessierte es den einen Polizisten, wie es dem Angehörigen eines Mordopfers ging? Wenn er kein persönliches Interesse hätte und alle gleich behandeln würde, müsste er viele Witwen und Witwer besuchen gehen und fragen, wie es ihnen geht. Der Blick von Carina schwankte ebenfalls zwischen leicht überrascht und doch in gewisser Weise dankbar. "Es geht schon. Es wird besser.", sagte sie leise und trat vor der Tür zur Seite. "Wollen sie reinkommen?" Höflicherweise hätte Ben abgelehnt, die junge Frau jetzt zu stören... aber Verflucht, er war ja nicht nur gekommen, um zu fragen wie es ihr geht. Er war gekommen, um Beistand zu leisten, um zu helfen, weil er sich auf sonderbare Art und Weise zu Carina hingezogen fühlte, weil er ein Gefühl hatte, dass er zuletzt bei Jenny hatte, als er sie tröstete... nur noch stärker.


    "Gerne, danke.", nickte er und Carina ließ dem Polizisten den Vortritt. Er schaute ins Wohnzimmer, wo Carinas Mutter auf dem Sofa am Fernsehen saß und scheinbar vollkommen fokussiert und interessiert einer Tiersendung lauschte. "Guten Abend.", sagte Ben höflich und die alte Frau sah kurz auf. "N'abend, junger Mann.", sagte sie und schien an Ben gerade völlig desinteressiert. "Wollen sie etwas trinken? Einen Kaffee, oder Tee?" "Einen... Tee trinke ich gern." Er folgte Carina in die kleine Küche und setzte sich dort an den Küchentisch, wo sie auch schon gestern schon saßen als sie die Todesnachricht ihres Bruders überbrachten. "Sind sie noch im Dienst um diese Zeit?", fragte die junge Frau, während sie den Wasserkocher unter die Spüle hielt. "Ähm... ja, kann man so sagen.", meinte der Polizist und fuhr sich mit den Fingern über den Mund. Der sonst so schlagfertige, um keinen lustigen Spruch verlegene Ben spürte Nervosität, seine Lockerheit, die er normalerweise bei Frauen immer hatte, war wie weggeblasen.
    "Wir... wir waren in der Firma ihres Bruders und haben uns dort umgehört. Die... die haben ihnen Hilfe versprochen, meinte der Chef dort.", erzählte er und hoffte, Carina damit ein wenig die Sorgen vom Gemüt zu nehmen, doch diese Sorgen waren bei der jungen Frau momentan nicht finanzieller Natur. "Das ist nett.", sagte sie nur und klang dabei leicht abweisend, was Ben eher auf die Firma als auf sich selbst bezog. Mit leisem Zischen und Blubbern begann der Wasserkocher seine Arbeit.


    "Sagen sie... hat ihr Bruder mal ein Sportartikelgeschäft in Holland erwähnt? Im Zusammenhang mit seiner Arbeit vielleicht?", fragte Ben vorsichtig nach einigen Minuten, als sich Carina mit der dampfenden Tasse Tee ebenfalls an den Tisch setzte und etwas verwirrt blickte. "Hmm... nein, nicht dass ich wüsste. Er hat generell nicht viel über seine Arbeit erzählt." Sie lächelte etwas. "Ist ja auch nicht besonders interessant... Versicherungen zu verkaufen. In ihrem Beruf hat man sicher mehr zu erzählen." Ben ließ sich von dem Lächeln der Frau, was in seinen Augen unglaublich ermutigend erschien, sofort anstecken. "Ach... tagelang nur die Autobahn rauf und runter zu fahren kann auch manchmal langweilig sein.", meinte er scherzhaft und bedankte sich für den Tee, den er vorsichtig antrunk. "Ich bin übrigens Ben.", bot er der Frau dann das "Du" indirekt an. Ihr Lächeln drückte Zustimmung aus. "Carina."
    Ihr tat es durchaus gut, ein wenig abgelenkt zu sein, ein wenig wieder mit jemandem reden, der in ihrer Sprache sprach. Doch diese kurze Zweisamkeit wurde von der Stimme ihrer Mutter unterbrochen, die aus dem Wohnzimmer sah und auf den Flur hinausrief: "Mama?" Sie tapste langsam den Flur entlang in Richtung des Schlafzimmers, steckte dort den Kopf hinein um den Ruf nach ihrer Mutter zu wiederholen. Carina seufzte kurz und stand vom Tisch auf: "Entschuldige mich kurz.", bevor sie auf den Flur ging und ihre Mutter sanft an die Hand nahm. "Die Mama ist nicht hier...", sagte sie mit ruhiger Stimme und wollte ihre Mutter wieder zurück zum Wohnzimmer bewegen. "Wo ist sie denn? Sie wollte doch nur kurz raus. Wer weiß, was da wieder passiert ist.", sagte Frau Bachmann beharrlich und voller Sorge. Ben hörte die Stimmen in der Küche, konnte sich natürlich vorstellen dass Carinas Oma in Wirklichkeit längst tot war und die Mutter das in diesem Moment vergaß.


    "Na, dann gehen wir ihr einfach entgegen, hmm?", sagte Carina aufmunternd. Solange ihre Mutter halbwegs gut zu Fuß war, auch wenn sie nur langsam ging, ging sie so oft es geht mit ihr an die frische Luft. Und gerade, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte wie jetzt und keine Ruhe gab, war es eine willkommene Abwechslung, um sie wieder von dem Gedanken abzubringen. Hermine nickte zustimmend: "Ja, das machen wir. Ich gehe mich anziehen.", sagte sie entschlossen und ging in Richtung ihres Schlafzimmers, während die junge Frau zur Küche zurückkehrte. "Möchtest du mit uns eine Runde um den Block gehen? Danach hat sie das mit ihrer Mutter meistens vergessen.", fragte sie in Bens Richtung. Der Polizist nickte und Carina setzte sich wieder an den Tisch.
    "Das muss schlimm sein, wenn man nicht mehr genau weiß, ob die eigene Mutter lebt oder nicht.", sagte er nachdenklich und hielt sich an seiner warmen Tasse Tee fest. Carina wog den Kopf hin und her. "Ich bin ja mittlerweile so manches gewohnt. Und es ist für die Angehörigen wie mich oder meinen Bruder..." sie stockte für einen Moment... "also, für mich ist das meist noch schlimmer als für sie. Sie weiß es halt einfach nicht und hat es in einer Viertelstunde wieder vergessen. Sie ist dann irgendwo in einer Zwischenwelt, wo sie nicht herausfindet. Aber man gewöhnt sich mit der Zeit daran." Ben empfand in diesem Moment die junge Frau, die zierlich, zerbrechlich und schüchtern wirkte, als unglaublich stark...


    Eine Viertelstunde später stand Hermine Bachmann dick eingepackt in der Küche. Carina nahm ihren Wintermantel und die drei Erwachsenen zogen in langsamen Schritten, so schnell die alte Frau gehen konnte, einmal um den Block. Sie redeten überhaupt nicht über den Fall oder die Krankheit der Mutter, sondern darüber, dass es kalt war, dass Weihnachten sehr schön war und Hermine erzählte eine Geschichte, die sich an Weihnachten in den 60er Jahren zugetragen hatte. Sie wusste das Jahr nicht genau, aber sie konnte genau aufzählen, warum ihrer Mutter der Festbraten am 1. Weihnachtstag völlig misslang.
    Später, als sich Ben von Carina verabschiedete, umarmte die junge Frau den Polizisten kurz und schüchtern... und sagte dankbar, dass sie sich sehr freuen würde, wenn sie sich bald wiedersehen würden...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen

    <3

    • Zitieren
  • Campino
    Kriminaloberkommissar
    Reaktionen
    563
    Beiträge
    2.180
    • 9. Dezember 2015 um 12:40
    • #22

    Die Stimme, die er vernahm, war schrill und voller Angst. "Hilf mir, Kevin! Hilf mir!!!" Der junge Polizist lief durchs Dunkel, doch er hatte das Gefühl, dass die Tür, hinter der die Stimme schrie, ewig weit weg war und trotz seines Sprintes nicht näher kam. Er spürte sein Herz gegen den Brustkorb schlagen, er hörte das dumpfe Pochen aus seiner Brust. Der Flur vor ihm kam ihm vor wie ein langer dunkler Schlauch, von dem er nur Umrisse wahrnehmen konnte und er ständig Angst hatte, zu fallen oder an der Tür vorbei zu laufen. Die Schreie nach seinem Namen wurden immer lauter, immer verzweifelter, immer schriller. Es war Annie, die nach ihm rief, und deren Stimme dem Polizisten eine Gänsehaut auf den nackten Armen bescherte.
    Der Schweiß rann ihm aus den abstehenden Haaren, sein Atem rasselte und seine Lungen brannten. Er konnte die Schmerzen deutlich spüren, auch als er stolperte und fiel, nach oben sah und sich wieder stöhnend aufrappelte, um endlich diese verdammte Tür zu erreichen, die sich weit weg von ihm abzeichnete. Sie schien ihn anzuziehen, sie schien zu glühen und er musste sich einfach erreichen um Annie zu helfen, um Annie zu retten. Selbst wenn er gewollt hätte, hätte er nicht verhindern können, in dieses verfluchte Zimmer zu gehen, dass ihn anzog.


    Die Szene vor ihm erschien surreal, und er prallte von ihr zurück. Hilflos, ohne etwas in der Hand zu halten, was wie eine Waffe wirken konnte, stand er in dem möbellosen Raum, ausser Atem und entsetzt. Annie saß zusammengekauert an der Wand, ihre ehemals strahlend roten Haare waren stumpf und beinahe farblos. Ihr Gesicht war vor Angst verzerrt, ihr ganzer Leib zitterte und sie hatte die Beine dicht an den Körper gezogen. Zuerst konnte Kevin überhaupt nicht ausmachen, vor wem oder was die junge Frau solche entsetzliche Angst hatte, weshalb sie sich fürchtete und um Hilfe schrie. Erst als sein Blick nach rechts schweifte, schien der Grund ins Bild zu treten, was ihm den Atem nahm und die Knie weich werden ließ.
    Semir trat neben ihm, mit ausdruckslosem Blick in den Augen, seine Dienstwaffe in der Hand haltend. "Hilf mir, Kevin!!", schrie Annie erneut, als Semir langsam näher an die junge Frau herantrat und Kevin völlig unfähig war sich zu bewegen. Er spürte eine schreckliche Hilflosigkeit in sich aufsteigen, beinahe so als würde er schwer verletzt am Boden liegen, blutend mit zwei Stichwunden im Rücken und wehrlos anschauen musste, was passierte. Wie Semir, an dessen Hals glühend rot seine Swastika-Narbe prangte, die Waffe in Richtung der zusammengekauerten Annie hob und dabei, beinahe zynisch in Kevins Richtung sagte: "Ich muss doch meinen kleinen Bruder beschützen.", anspielend darauf, dass Kevin ihn vor langer Zeit mal als "großen Bruder" bezeichnet hatte, als Semir ihm einmal sehr half.


    "NEEEIN!" Kevins Ruf kam zu spät, und er konnte nichts tun, nicht eingreifen, nur zu sehen wie Semir zweimal, dreimal den Abzug der Waffe drückte, Annies Körper sich mehrmals aufbäumte, die junge Frau aufstöhnte um dann langsam, leblos an der Wand zur Seite zu rutschen. Mit blankem Entsetzen verfolgte Kevin diese Szene, unfähig einen Finger zu rühren. "Kevin!" Die Stimme war weit weg, als in dem Polizisten die Erkenntnis reifte, sich auf seinen Partner zu stürzen... doch es ging nicht. Er war wie gelähmt, vor Panik und Entsetzen als er auf den toten Körper starrte, Annies grüne Augen ihn anstarrten und unter ihr sich eine Blutlache langsam vergrößerte.
    Ohne etwas zu sehen spürte er, wie sich eine weitere Person hinter ihm manifestierte. Sie war ganz dicht an ihm, er konnte sie spüren, ihr ruhiges Atmen hören, ihre kleinen Hände plötzlich um ihn schlingend, ihre Lippen dicht an sein rechtes Ohr haltend. "Mörder...", flüsterte die Stimme und Kevin bekam Atemnot. Es war der Teil eines Traumes, den er schon monatelang nicht mehr geträumt hatte, genauer gesagt nicht mehr, seit er es geschafft hatte, von den Drogen weg zu kommen. Es war die Stimme seiner Schwester Janine, die betörend, drohend und unheilvoll in sein Ohr mahnte. "Mörder..." Er hatte diesen Traum, weil er sich lange Zeit die Schuld an ihrem Tod gab, weil er ihr nicht helfen konnte, weil er versagt hatte. Der Polizist hatte sich immer eingeredet, der wahre Mörder seiner Schwester zu sein, und dass die Träume der Grund dafür waren, dass seine Schwester ebenfalls dieser Meinung war, und ihn deshalb so sehr quälte. Und jetzt münzte er es auf Annie... "Mörder..."


    "Kevin!!" Jennys Stimme war plötzlich klar und durchdringend, und der Polizist riss die Augen auf und fuhr hoch, so dass seine Freundin neben ihm im Bett erschrak. Sein Atem und sein Puls rasten, er spürte wie das Shirt an seinem Oberkörper klebte und wie aufgewühlt seine Decke über ihm lag. "Oh Gott...", sagte Jenny leise, denn durch das schnelle Aufstehen hatte sich auch sie erschrocken, obwohl sie ihren Freund nur wecken wollte, der mit schnellem Atem sich im Bett hin und her warf und beinahe beängstigende Anzeichen eines Alptraums zeigte. Sie legte ihm die Hand auf die Schulter als sie merkte, dass ihr Freund einen Moment brauchte, bis er verstand, was gerade passiert war, denn er saß aufrecht im Bett, sah geradeaus in den dunklen Raum und konnte sich und seinen Atem nur schwer beruhigen.
    "Hey... du hast nur geträumt. Alles ist gut.", sagte sie zärtlich mit leiser Stimme und schlang ihre schlanken Arme um seinen Oberkörper, um ihm, wie einem kleinen Kind oder einem scheuen Kater, Schutz zu bieten und ihn langsam zu beruhigen. Langsam wurde dem Polizisten klar, was er da geträumt hatte, als er langsam die Arme um den Oberkörper seiner Freundin schlang. Er fühlte sich wieder als Mörder... als seelischer Mörder. Diesmal an Annie. Weil er vorhatte, sie im Stich zu lassen. Diesmal allerdings nicht hilflos, sondern wissentlich... absichtlich...


    "Ich... ich muss mal kurz ins Bad...", sagte Kevin mit niedergeschlagener Stimme und befreite sich aus der Umarmung, um mit nackten Füßen ins Bad zu gehen, sich dort über das Waschbecken zu lehnen und sich mehrere Handladungen eiskaltes Wasser ins Gesicht und über den Kopf zu werfen. Sein Atem beruhigte sich langsam, als er, die Hände auf das Waschbecken aufgestützt, langsam in den Spiegel schaute. Seine hellblauen Augen kamen ihm fremd vor, von seinem Kinn tropfte langsam das Wasser und sein Gesicht glitzerte.
    Hinter ihm öffnete sich die Tür und Jenny trat ins Bad, Kevin konnte im Spiegel ihr besorgtes Gesicht sehen. "Du machst mir Angst... was ist mit dir?", fragte sie leise, als sie seinen Ausdruck im Gesicht sah. Sie spürte genau, dass das nicht einfach irgendein x-beliebiger schlechter Traum war. Er hatte ihr von seinen damaligen, schlimmen Alpträumen in seiner Drogenzeit erzählt, und irgendetwas in ihr sagte ihr, dass dieses heftige Aufwachen seinen alten Alpträumen glich. Und jetzt erinnerte sie sich dran, was er davon erzählt hatte, und das machte ihr Angst... vor allem, weil er jetzt auf ihre Frage schwieg und weiter in den Spiegel starrte, als wäre sie nicht da. Noch einmal versuchte sie es, in dem sie etwas ansprach, was sie nur erahnen konnte, und doch war sie sich ganz sicher, dass es so war: "Kevin... wann hört das mit deiner Schwester endlich auf.", fragte sie beinahe flehentlich und umfasste mit einer Hand seinen Unterarm. Ohne eine Miene zu verziehen, ohne den kalten Blick von sich selbst abzuwenden sagte Kevin monoton, beinahe mechanisch: "Niemals. Es wird niemals aufhören."

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen

    <3

    Einmal editiert, zuletzt von Campino (9. Dezember 2015 um 18:16)

    • Zitieren
  • Campino
    Kriminaloberkommissar
    Reaktionen
    563
    Beiträge
    2.180
    • 11. Dezember 2015 um 10:50
    • #23

    Dienststelle - 8:00 Uhr


    Ben war das gesamte Gespräch vorher im Kopf einmal durchgegangen... einmal, zweimal, dreimal. Er fühlte sich, als müsse er in der Schule ein Referat halten oder zu einem Vorstellungsgespräch für einen neuen Job, als er mit den Fingerknöcheln an die Glastür von Anna Engelhardt klopfte, die daraufhin den Polizisten sofort herein bat. Er folgte der Anweisung, wünschte seiner Vorgesetztin einen guten Morgen und setzte sich auf den Stuhl, der Annas Schreibtisch gegenüber stand. "Ben... was kann ich für sie tun?", fragte sie freundlich und sah durch einen leichten Dampfschleier ihrer Tasse Kaffee hindurch zu ihrem Mitarbeiter. "Ähm, Chefin, ich komme mit einem Anliegen.", begann er ein wenig zögerlich und rieb die Handflächen aufeinander.
    Anna Engelhardt kam diese leichte Nervosität etwas verdächtig vor, das war sie von Ben nicht gewohnt. Ihre Mitarbeiter wussten alle, dass sie bei ihr frei von der Seele weg reden konnten, wenn es irgendwelche Anliegen gab, und das erwartete sie jetzt auch von Ben. "Ich habe mich gestern lange mit Semir unterhalten... und war kurz bei ihm in der Therapiestunde." Die Chefin legte die Stirn ein wenig in Falten. "Sie waren bei ihm in der Therapiestunde?", wiederholte sie ein wenig verwirrt und lehnte sich im Stuhl zurück. "Wir mussten ihm ein wenig auf die Sprünge helfen." Ben lachte dabei und in ihm kam erneut ein wenig Stolz auf, dass er diese Idee hatte, die seinem besten Freund geholfen hatte.


    "Jedenfalls finde ich, dass er wieder viel lockerer ist. Dass es ihm besser geht.", fuhr er fort und seine Chefin nickte lächelnd. "Das freut mich. Semir wird sich davon nicht unterkriegen lassen, nur diesmal braucht er eben ein wenig externe Hilfe.", sagte sie und sie wusste, von was sie sprach. Schließlich kannte sie Semir länger als alle anderen auf der Dienststelle, Hotte Herzberger mal ausgenommen. Und sie wusste, was Semir schon alles er- und überlebt hat, ohne große Schwächen zu zeigen. "Ja... genau... aber was er vor allem jetzt braucht, ist seine Arbeit.", kam Ben endlich auf den Punkt und beobachtete genau Frau Engelhardts Gesichtsregungen in diesem Moment. "Ich meine... es würde ihm noch mehr helfen, wenn er wieder was zu tun hätte. Die Psychologin hat gesagt, er müsse sich Aufgaben schaffen."
    Die Chefin wusste von Anfang an, als Ben begann von Semir zu reden, dass es in der Bitte gipfelte, Semirs Krankenstand vorzeitig zu beenden. Normalerweise hatte die Chefin keine Befugniss, Krankenscheine abzubrechen, allerdings hatte sie die Befugniss, Krankenscheine durchzusetzen, wenn sie der Meinung war, dass es dem Schutze ihres Mitarbeiters diene und vor allem, wenn es durch Krankheit eines Beamten zu Gefährdungen kam. Bonrath musste sie mal vor Jahren unter Androhung einer Suspendierung in den Krankenschein schicken, weil dieser eine so starke fiebrige Erkältung hatte, dass er nicht mehr dienstfähig war (was Bonrath damals nicht davon abhielt trotzdem einen Mordfall zu lösen.)


    "Ben, sie wissen doch was in den Wochen nach dieser Sache hier alles los war mit Semir.", sagte die Chefin mit geduldiger Stimme. Der Übergriff auf den pöbelnden Typen, den sie bei einer Verkehrskontrolle festgenommen hatten, seine Laune, seine Aggressivität. All das war nicht mehr zu verantworten gewesen. "Es wäre gut, wenn er noch zwei oder dreimal zur Psychologin geht, damit diese mir zumindest einen kleinen Bericht seiner Verfassung geben kann. Aber so... wie soll ich das vor meinen Vorgesetzten verantworten, wenn etwas mit ihm passiert aufgrund seines Zustandes." Die Argumentation leuchtete auch Ben ein, solange er mit dem Kopf dachte. Doch momentan dachte er mit dem Bauch, dachte er an seinen Freund, der zu Hause rumsaß und nicht wusste, was er tun sollte. Er wäre erst wieder glücklich, wenn er wieder arbeiten durfte.
    "Aber Chefin, ich weiß wie es ihm geht. Und ich behaupte, ich kann es bei Semir besser beurteilen als jede Diplom-Psychologin.", beharrte der Polizist, und die Chefin lachte bei der Vorstellung, dass Semir sich mal bei Ben auf die Psycho-Couch legen sollte. "Sie finden also, er macht einen gefestigteren Eindruck als vorher?", fragte sie vorsichtig und Ben nickte sofort. Dass er dabei ein wenig log, kehrte er unter den Tisch. Die letzten zweimal, als er Semir sah, war einmal bei seiner Beichte, was geschehen war inklusive des Zusammenbruchs, und danach bei der Psychologin. Dort hatte Ben wiederrum einen sehr guten Eindruck. "Lassen sie ihn doch wenigstens Büroarbeit machen. Damit er was zu tun hat. Er muss ja nicht mit raus fahren und Kontakt zur Kundschaft haben." Die Chefin verzog die Lippen ein wenig, als sie nachdachte, schloß kurz die Augen und nickte kurz: "Ich lasse es mir mal durch den Kopf gehen, okay?" Ben lächelte und bedankte sich. Er wusste, dass er sich auf seine Chefin verlassen konnte.


    Während des Gespräches trudelten im Großraumbüro Kevin und Jenny zusammen ein. Ein Lächeln gelang beiden nicht, Kevin war übermüdet denn nach dem Alptraum hatte er nicht mehr in den Schlaf gefunden. Jenny fühlte sich nicht wohl, sie hatte nichts gefrühstückt, wollte aber nicht schon wieder krank machen, nachdem es ihr gestern nachmittag und gestern abend wieder richtig gut ging. Vielleicht würde die Übelkeit später ebenfalls wieder verschwinden, so plötzlich wie sie gekommen war, sie schob dieses Unwohlsein auch ein bisschen auf die aufregende Nacht und die Sorgen, die sie sich um ihren Freund machte. "Wart ihr beide gestern feiern?", fragte Bonrath von seinem Platz aus, nachdem sie die Kollegen begrüßt hatten. Während Kevin die Antwort schuldig blieb, meinte Jenny süffisant lächelnd: "Klar... deshalb musst du mit Hotte auf Streife fahren bei dem netten Wetter.", wobei sie auf das unangenehme eisig kalte neblige Wetter draussen anspielte.
    Kevin sah kurz durch die Glasfront zum Büro der Chefin, wo er Ben im Stuhl sitzen sah und mit der Chefin redend. "Was macht Ben denn bei der Chefin?", fragte er Hotte eher beiläufig, und der sah sich auch kurz um. "Keine Ahnung. Aber er schien ein bisschen nervös zu sein. Vielleicht fragt er nach ner Gehaltserhöhung.", witzelte der dicke Polizist.


    Der junge Polizist kniff die Augen ein wenig zusammen, als er nochmals einen Blick auf die Szene warf. Er wusste nicht, woher sein Misstrauen rührte, aber spontan kam ihm in den Sinn, dass Ben gerade der Chefin davon erzählte, dass Kevin gestern die Handynummer von Annie orten ließ. Dieses Vorgehen war einerseits nicht erlaubt, und andererseits würde es auch sicher nicht der Chefin gefallen, wenn Kevin der Frau helfen würde, die mitverantwortlich dafür war, dass ihr bester Mitarbeiter momentan mental neben der Spur lief. Für den Gedanken an den Verrat hätte er sich einige Minuten später, als er im Büro saß und den ersten Kaffee durch die Maschine jagte, zwar ohrfeigen können, doch ganz verhindern konnte er ihn nicht.
    Wenige Minuten später kam Ben ins Büro, er lächelte und es war ihm nicht anzumerken, dass er gerade Kevin bei der Chefin angeschmiert hatte. Denn selbst wenn Ben so etwas getan hätte, wäre es ihm schwer gefallen, und er würde sich nicht drüber freuen. "Wie kann man am frühen Morgen so gut gelaunt sein?", fragte Kevin von Semirs Platz aus, und es war gleichzeitig eine verbundene Frage, was Ben denn bei der Chefin gemacht hatte. "Ja, wenn ich das Elend morgens im Spiegel betrachten müsste, hätte ich auch miese Laune.", war Bens Antwort darauf. Danach erzählte er kurz, was er mit der Chefin besprochen hatte, und als Kevin merkte, dass es nicht um ihn ging, war er einerseits beruhigt, andererseits fühlte er sich schlecht... er spürte, wie er von Ben weggerückt war innerlich, weil ihm ohne Zutun der Gedanke kam, er könne ihn an der Chefin verraten haben...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen

    <3

    • Zitieren
  • Campino
    Kriminaloberkommissar
    Reaktionen
    563
    Beiträge
    2.180
    • 14. Dezember 2015 um 16:12
    • #24

    Autobahn - 10:00 Uhr


    Kevin hatte den Beifahrersitz so weit nach hinten geschoben, wie es die Schiebeleiste des Mercedes es zuließ, die Lehne komplett nach hinten gedreht und die Arme vor der Brust verschränkt. Er lag mehr in dem Auto neben Ben als dass er saß, und hatte nun schon seit einer halben Stunde die Augen geschlossen, während sein Partner neben ihm den Dienstwagen sicher durch den nicht weniger werdenden Berufsverkehr in Richtung holländischer Grenze steuerte. "Nicht gut geschlafen, hmm?", fragte er irgendwann herüber, weil er bemerkte dass Kevin sich ständig bewegte, ständig räusperte und scheinbar, trotz bleiernder Müdigkeit nicht mal für zwei Stunden in einen Dämmerschlaf finden wollte.
    Als Antwort kam nur ein verneintes "hmhmm" von Kevin herüber, der auf ausladende Konversation irgendwie nur sehr wenig Lust verspürte. Er drehte den Kopf zum Seitenfenster und öffnete die Augen für eine zeitlang, sah wie schneebehangene kahle Bäume an ihm vorbeihuschten, sah den wabbernden Nebel zwischen den Stämmen, Autobahnschilder, an denen noch Schnee von der Nacht klebte. Die Straße selbst war zwar frei, aber nass und die Sicht war schlecht.


    Ben hätte musste gar nicht nach dem Grund für Kevins Schlaflosigkeit fragen. Natürlich machte er sich Gedanken um Annie, natürlich überlegte er nach Kolumbien zu fliegen, um seine Ex-Freundin zu suchen. Nur, verstehen konnte er es nicht. Er konnte einfach nicht nachvollziehen, dass sein Partner überhaupt Gedanken daran verschwendete. Ja, er stand ihr nahe, das verstand er ja auch... aber näher als Semir? Konnte sie ihm wichtiger sein, als Semir? Er verstand es einfach nicht.
    "Was würdest du denn machen...", begann Ben vorsichtig, und Kevin zog die Stirn in Falten, was Ben natürlich nicht sah, da sein Partner immer noch den Kopf in Richtung Seitenfenster gedreht hatte. "...wenn Annie damals verraten hätte, welchen Weg du und Janine nehmen... und jetzt in Schwierigkeiten wäre?" Er wusste sehr wohl um das Explosionspotential dieser Frage, doch ihm ging das ständige Schweigen seines Partners auf die Nerven. Er musste doch mal klar Stellung beziehen, wie er jetzt zu Annie stand. Seine "Annie-ist-mir-egal" - Haltung nahm der Kommissar seinem Freund nicht ab, egal wie oft er es wiederholte.


    Kevin hörte die Frage und die Frage bewirkte zumindest, dass er seinen Kopf in Richtung Ben drehte. Er schwankte innerlich zwischen einer provokanten oder ausweichenden Antwort. Bens Frage war nicht unverfroren noch wollte er damit provozieren... er schien es einfach nicht zu verstehen, dass Kevin noch Sympathien für jemanden hegte, der mitverantwortlich war für Semirs Zustand. "Das kann man überhaupt nicht vergleichen. Semir ist am Leben.", meinte er mit seiner monotonen Stimmlage. "Aber nicht, wenn wir nicht rechtzeitig gekommen wären." Der kunge Polizist konnte Ben nicht mal widersprechen. Ja, vermutlich wäre Semir dann drauf gegangen. Und Annie hätte die gleiche Verräterrolle gespielt, wie das damalige Gangmitglied, dass Peter Becker verraten hatte, welchen Weg Kevin und Janine nach Hause nehmen würden.
    "Was willst du denn jetzt von mir hören?", fragte Kevin nun in Richtung Ben. "Kevin, ich finds einfach scheisse dass du darüber nachdenkst, Annie zu helfen. Sie hat dich wie Dreck behandelt, als sie herausgekriegt hat, dass du ein Polizist bist, sie hätte beinahe eine Gruppe gewalttätiger Punks auf dich gehetzt, sie hat sich an die Nazis verraten und sie hat Semir am langen Arm verhungern lassen. Ich finds einfach beschissen, fertig." Ben sagte seine Gefühle gerade heraus, und es fühlte sich irgendwie nicht falsch an, sondern verdammt richtig. Die Tage redete er immer diplomatisch drumherum, diesmal sagte er, was er fühlte. Und er spürte Kevins Blick, auch als er selbst kurz mal herüber zu seinem Partner sah, bevor er sich wieder auf die Straße konzentrierte.


    "Ich habe doch gar nicht gesagt, dass ich ihr helfe", sagte Kevin nur ruhig, und entschied sich gegen eine Eskalation. "Achja... und deine Schlaflosigkeit und schlechte Laune liegt am Winterwetter, oder was?" Verdammt, Ben konnte einem auf den Sack gehen, wenn er recht hatte. Kevin entschied sich immer anderen gegenüber möglichst verschlossen und unnahbar zu sein. Er konnte anderen perfekt etwas vorspielen, doch seit einem Jahr gab es nun drei Menschen, Semir, Ben und Jenny, für die er wie ein offenes Buch war, weil er sich ihnen geöffnet hatte. Einerseits war das nicht schlecht, weil er endlich das Gefühl hatte, dass sich jemand "um ihn kümmerte", andererseits war ihm ihnen gegenüber dieses "Unnahbare" völlig abhanden gekommen. Natürlich hatte Ben recht... natürlich waren es die Gedanken um Annie, die ihn wie einen Junkie auf Entzug wirken ließen. "Du verstehst es nicht.", meinte er nur ruhig und schüttelte den Kopf. Ben kapierte es nicht, dass es für Kevin ein Gefühl des Versagens war, wenn er Annie im Stich ließ. Ein Gefühl, dass er damals bei Janine ebenfalls hatte, und das durch den Alptraum heute Nacht bestärkt wurde. "Dann erklär es mir doch endlich. Rede mit mir!", verlangte sein Partner, der das Gefühl eines Deja-Vues hatte... der verstockte schweigsame Junge, der nichts und niemanden hinter seine Fassade blicken ließ. Es musste wohl erst wieder etwas Schlimmes passieren, bevor Kevin in dieser Hinsicht vernünftig wurde. Ben überlegte, ob Semir der Schlüssel dazu war... wenn Semir wüsste, dass Kevin Annie helfen wollte, und dann auf Kevin einwirkte. Aber er konnte die Reaktion Semirs überhaupt nicht abschätzen, vor allem nicht in seinem, noch labilen psychischen Zustand. Von einem waisen Semir, der mit Kevin redete, bis zu einem Wüterich war da alles möglich. Das war Ben zu riskant.


    Kevin blieb eine Antwort schuldig... genauer genommen hatte er keine Zeit mehr eine zu geben. Denn das Krachen eines Schusses, das von weit entfernt klang wurde nur Sekundenbruchteile danach von dem Krachen eines platzenden Vorderreifens abgelöst. Kevin zuckte instinktiv ob des Geräusches zusammen und fuhr sofort aus seiner halb liegenden Position in die Höhe, während Ben keinerlei Gelegenheit hatte, zusammen zu zucken. Denn durch das Platzen des Vorderreifens auf der linken Seite wurde das Auto herumgerissen, was sich sofort an einem kräftigen Ruck im Lenkrad, das Ben sofort mit zwei Händen umklammerte, bemerkbar machte.
    Die nasse rutschige Fahrbahn tat ein Übriges dazu, dass Ben den schlingernden Wagen, trotz Bremsen nicht mehr unter Kontrolle bekam. "Scheisse!", konnte der Polizist noch vom Beifahrersitz hören, als der Wagen auf das Ende der Leitplanke zu steuerte, weil Ben es gerade noch schaffte, einem Kleinwagen auszuweichen. Wie von einem Katapult hob der Mercedes über das Plankenende ab, drehte sich um die Längsachse herum und schlug, aufgrund des höheren Gewichtes mit der Vorderachse auf die abschüssige Böschung hinter der Leitplanke wieder auf. Mit einem lauten Knall öffneten sich sämtliche Airbags im Wageninneren, während die ersten Metallteile durch die Gegend flogen, und der Wagen aufgrund der Böschung eine weitere Rolle am Boden drehte, bis er auf dem schneebedeckten Acker unterhalb der Böschung auf der Beifahrerseite liegend zum Stillstand kam...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen

    <3

    • Zitieren
  • Campino
    Kriminaloberkommissar
    Reaktionen
    563
    Beiträge
    2.180
    • 16. Dezember 2015 um 11:46
    • #25

    Semir's Haus - 10:15 Uhr


    Semir hatte sich sehr gefreut, als der Anruf der Chefin kam. Er war gerade dabei, seine für heute selbst gestellten Aufgaben zu erledigen, als sein Handy mit lautem Klingeln auf sich aufmerksam machte. Bei der Suche nach Aufgaben hatte ihm seine Frau Andrea freundlicherweise unter die Arme gegriffen und ihm am Morgen einen Zettel auf dem Küchentisch hinterlassen, auf dem stand: "Guten Morgen, mein Schatz. Hier deine Tagesaufgaben: Wäsche waschen, Küche aufräumen, deinen Arbeitskeller aufräumen. Ich wünsche dir einen schönen Tag. Kuss, Andrea." Der erfahrene Polizist musste ein wenig amüsiert grinsen, ob der Aufgabenstellung. Er kam sich vor wie in einer billigen TV-Sendung, Big Brother oder so, wo er Tagesaufgaben gestellt bekam um diese zu erfüllen.
    Doch er war dankbar dafür. Er hatte etwas zu tun und würde nicht wieder anfangen zu grübeln, über Dinge, die er sowieso nicht ändern könne. Morgen hatte er wieder einen Termin bei der Polizei-Psychologin und er nahm sich fest vor, diesmal von sich aus zu reden. Er wollte von dem Vorfall im Supermarkt erzählen, von der Wut gegenüber diesem Kaufhausdetektiv und seiner Beherrschung, die ihn zurückhielt wieder eine Dummheit zu machen. Und dass er sich danach richtig gut gefühlt hatte.


    Er war gerade dabei den Korb mit der trockenen Wäsche aus dem Trockner ins Wohnzimmer zu tragen, als sein Handy läutete. Er hörte die Stimme der Chefin. "Semir, wie gehts ihnen?" "Danke, mir geht es viel besser als die Tage. Das Gespräch mit der Psychologin hat mir sehr geholfen.", sagte Semir und ließ sich aufs Sofa fallen. "Das freut mich zu hören. Ben hat mir auch schon erzählt, dass sie auf einem guten Weg sind." "Ben?", fragte der Polizist etwas überrascht, hatte Ben doch noch zu ihm gesagt, dass er nicht unbedingt überall rumerzählen sollte, dass er und Kevin in Semirs Therapiesitzung geplatzt waren... weil sie nicht wussten, ob die Chefin darauf positiv oder negativ reagieren würde. "Ja. Er hat mir im dem Zuge auch vorgeschlagen... naja, sie vielleicht doch schon jetzt aus dem Krankenschein zu holen."
    Semir hätte Ben auf Knien danken können. Sein jüngerer Kollege wusste genau wie Semir tickte, wusste genau dass er Aufgaben brauchte und wusste genau, wie sehr der Familienvater seine Arbeit liebte. Abgelenkt sein durch seine Arbeit wäre viel besser für ihn, als abgelenkt sein durch Hausarbeit oder Aufräumen. Doch sofort kam ihm auch der Zwischenfall bei der Verkehrskontrolle in den Sinn... sein Kontrollverlust, die Prügelei, die Androhung der Suspendierung durch die Chefin. Aber direkt danach sprach sofort der Mut zu ihm... er hatte gestern die Kontrolle behalten, dann wird er sie auch jetzt behalten.


    "Chefin, das wäre großartig.", sagte der Polizist ehrlich mit einem breiten Grinsen. "Aber nur unter einer Bediengung.", ermahnte ihn die Chefin sofort, und Semir meinte, er könne ihren gehobenen Zeigefinger durch das Telefon sehen. "Sie machen erst einmal Innendienst. NUR Innendienst. Keinen oder so wenig Kontakt zu unseren Kunden. So etwas wie vor zwei Wochen darf nicht noch einmal vorkommen." Natürlich machte sich auch die Chefin Sorgen darüber, dass Semir noch einmal die Kontrolle verlieren würde. Schließlich war sie für die Dienststelle verantwortlich, und einen weiteren Zwischenfall könnte sie kaum vor den ihrigen Vorgesetzten plausibel erklären... schon gar nicht, wenn es von einem Beamten ausgeht, der eigentlich genau deswegen krank geschrieben wurde.
    "Ich verspreche es. Es geht mir wirklich besser.", sagte Semir voll Überzeugung. Er hätte der Chefin gerne von dem Vorfall im Supermarkt erzählt, quasi als Beweis dafür, dass er sich wieder im Griff hatte, aber er unterließ es. Er wollte, dass Anna Engelhardt ihm auch so vertraute. Er wollte, dass sie von sich aus sagte: "Ja, Semir. Sie schaffen das und ich weiß das." Ihre Worte klangen zwar anders, aber dennoch waren sie für Semir eine Wohltat. "Wenn sie wollen, können sie gleich vorbeikommen." Semir bedankte sich bei seiner langjährigen Vorgesetzten und machte sich sofort auf den Weg.


    Autobahn - 10:25 Uhr


    Es war mucksmäuschenstill... als hätte die Welt kurz angehalten, alle Geräusche wären verstummt. Bei Unfällen lief alles ab wie Zeitlupe, so auch jetzt. Das Abheben, der Überschlag, der Aufschlag auf den Boden und das zerreißen der Airbags war für Ben, als würde er die Wiedergabe-Taste seines Blu-Ray-Brenners drücken und einen Film gucken. Nur, dass es wehtat... es riss am Genick, der Airbag klatschte seitlich gegen seine Schulter und es dauerte gefühlte Minuten, bis der Wagen ruhig auf der Seite liegen blieb. Für einen Moment musste sich der Polizist orientieren... wo war oben und unten, das Lenkrad war noch vor ihm, okay, die Frontscheibe mit Rissen durchsetzt und blind. Rauch vom Airbag und vom Motorraum, dass durch die Kühlschlitze nach innen trat, beunruhigte ihn... Feuer? Gefahr? Als nächstes kontrollierte er seine Gliedmaßen, okay, Arme und Beine konnte er noch bewegen. Der Sicherheitsgurt schnitt ihm gegen den Körper, denn der hielt ihn davon ab vom Sitz nach unten auf seinen Beifahrer zu rutschen, da man auf der Beifahrertür lag.
    "Kevin?", war dann die nächste Reaktion, als er nach unten sah, und versuchte durch Rauch und hängende weiße Airbags seinen Kollegen zu lokalisieren? "Ja... ich bin noch in einem Stück.", kam die monotone Stimme seines Partners von weiter unten herauf, und Ben atmete auf. Immerhin...


    Mit leisem Stöhnen versuchte er, die Fahrertür nach oben zu stemmen, was ihm erst im zweiten Anlauf gelang, denn durch den Überschlag hatte sie sich leicht verformt. "Vorsicht da unten...", meinte er noch und wollt verhindern, mit den Füßen nach Kevin zu treten, als er sich mit einer Hand an der B-Säule festklammerte, mit der anderen Hand den Sicherheitsgurt löste, und sich dann mit aller Kraft in den Oberarmen versuchte, aus dem Wagen zu ziehen. Die Beine fielen, als er sie zwischen Pedale und Sitz aus der Fahrgastzelle gezogen hatte, nach unten in Kevins Richtung, der aber keinen Schuh von Ben abbekam. Er selbst lag mit dem Gesicht und den Oberkörper auf der geborstenen Seitenscheibe, einige Splitter hatten sich in seinen Mantelarm gedrückt und er konnte die feuchte Erde riechen.
    Ben konnte mehrere Menschen erkennen, die die Böschung hinunterliefen um zu helfen. Sie hatten offenbar den Unfall beobachtet und am Seitenstreifen angehalten. Einer hatte bereits ein Handy am Ohr, und schien die Polizei zu benachrichtigen. Der Polizist zog sich aus eigener Kraft aus dem Auto und setzte sich auf die B-Säule um nach unten zu sehen, ob er Kevin helfen müsste. Erst jetzt erkannte er, dass er an der Hand blutete. Sein Partner brauchte seine Hilfe nicht, er hatte sich abgegurtet, die Beine angezogen um sie unter dem Handschuhfach heraus zu ziehen und trat dann einmal, zweimal gegen die zersplitterte Frontscheibe, die leicht aus der Verankerung an den Seiten brach. So konnte Kevin ohne großen Kraftakt sich aus dem umgekippten Auto befreien und sich auf dem nassen Acker aufrichten.


    Ben glitt vom Wagen und kam zu seinem Partner, der sich den Dreck von der Jeans klopfte und einen kleinen Schnitt an der Wange aufwies. "Alles klar?", fragte der Polizist trotzdem nochmal nach und Kevin nickte. "Was war das?" "Keine Ahnung... ich hab nur gemerkt, wie der Reifen geplatzt ist und das Auto auf einmal herumgerissen wurde." Die beiden Polizisten sahen beide gleichzeitig zu dem Reifen, der bei dem, auf der Seite liegenden Wagen, jetzt natürlich oberhalb war. Ben beruhigte währenddessen die Leute, die herankamen, dass alles okay war und bedankte sich, dass einer bereits die Polizei benachrichtigt hatte. Sie waren schon kurz vor der niederländischen Grenze, so dass er sich nicht sicher war, ob die eigene PAST verständigt wurde.
    Die beiden Polizisten hatten den Reifen fast auf Augenhöhe. Er war der Länge nach aufgerissen, etwas verbogen und einige Gummiteile fehlten. "Der Reifen kann ja nicht einfach so platzen... bist du irgendwo drüber gefahren?", fragte Kevin und griff sich an den Hals, weil er einen leichten Schmerz verspürte. "Ne...", war nur die gedankenverlorene Antwort seines Partners, der eine Hand in die aufgerissene Lauffläche steckte und bis zum Innenteil der Felge greifen konnte. Er tastete im Inneren des Reifens, als würde er etwas suchen, und förderte tatsächlich etwas zu Tage... eine anspitzte Gewehrkugel, die genauso oder ähnlich aussah, wie die die sie am Tatort des Mordes an Björn Bachmann gefunden hatten...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen

    <3

    • Zitieren
  • Campino
    Kriminaloberkommissar
    Reaktionen
    563
    Beiträge
    2.180
    • 17. Dezember 2015 um 11:26
    • #26

    Dienststelle - 10:45 Uhr


    Es fühlte sich gut an, den BMW wieder auf seinen Parkplatz vor dem Dienststellengebäude zu stellen. Es war anders, als wenn man nach einem längeren Urlaub wieder arbeiten ging, man der freien schönen Zeit hinterher trauerte und sich nur mit anhand der Gedanken, die lieben Kollegen wieder zu sehen, irgendwie wieder mit der Arbeit anfreunden konnte. Es war anders, als wenn man nach einer Krankheit wieder arbeiten ging, die je nachdem wie unangenehm sie war, mit gemischten Gefühlen zur Arbeit ging. Semir war die Arbeit dann immer lieber je unangenehmer die Krankheit war. Als er wegen eines angeschossenen Oberschenkels zu Hause bleiben musste, war es herrlich... von leichten Schmerzen abgesehen lag er zu Hause auf der Couch, ließ sich von Andrea bedienen, er konnte essen und trinken was er wollte. Als er allerdings wegen Zahnschmerzen zu Hause bleiben musste, wünschte er sich nichts sehnlicher, als die Schmerzen gegen Arbeit einzutauschen, ganz davon abgesehen dass er nicht schlafen konnte und er nur Suppe zu sich nehmen konnte. Nein, das Gefühl jetzt war anders. Es war befreiend, es war wie ein kleiner Neuanfang. Und das, nachdem Semir gerade eben nochmal eine besondere Prüfung hinter sich bringen musste, bevor er sich auf den Weg machte.


    Er wollte den Gedanken nicht mit auf die Dienststelle nehmen, den Gedanken daran, dass er das unvermeidliche eh heute abend tun musste. Semir ging ins Badezimmer seines Hauses und sah in den Spiegel. Die müden Augen waren gewichen, ihn blickten wieder die wachen, aufmerksamen und warmen Augen an, die er gewöhnt war. Die Schatten darunter waren auch verschwunden, und er hatte das Gefühl, dass sein Bart nicht mehr ganz so grau war, wie noch vor wenigen Tagen. Das einzige, was ihm an seinem Erscheinungsbild immer noch ein Dorn im Auge war, war der Grund für sein Unwohlsein... das weiße, quadratische Pflaster an seinem Hals.
    Er musste es wechseln, denn es begann wieder zu jucken. Die Entzündung war mit der Besserung seines seelischen Zustandes auch zurück gegangen, und obwohl das Pflaster nur die Narbe verdeckte, wurde es mit der Zeit durchs Waschen unansehnlich. Der Polizist stand vor dem Spiegel und sein Herz schlug laut gegen den Brustkorb. Er hatte es seit gestern konsequent vermieden an diesen Abend zurück zu denken, und es fiel ihm überraschend leicht. Doch jetzt kehrten die Bilder des Messers zurück, das die obere Hautschicht an seinem Hals durchtrennte, als die rot leuchtende Narbe am Hals ihn entgegen strahlte.


    Die Erinnerung an das Schneiden war nicht das Schlimmste, nichts was ihn aus der Bahn befördert hätte... aber mit dieser Erinnerung kamen auch andere Erinnerungen, die er nicht mochte. Er hatte sich das neue Pflaster bereits zurecht gelegt, so dass er nicht lange mit der Narbe konfrontiert wurde. Doch er hielt für einen Moment inne, starrte auf das Gebilde an seinem Hals und strich mit den Fingern darüber. Semir spürte sein Zittern, er spürte seinen Herzschlag, und er spürte wie es ihm heiß wurde, obwohl sich seine Finger auf der Haut eiskalt anfühlten. "Ihr werdet mich nicht besiegen...", murmelte er leise und spürte auf einmal eine Stärke in sich aufsteigen. Ein tiefes Ein- und Ausatmen, ein letzter Blick, und dann verschwand die Narbe wieder unter einem frischen Pflaster.
    Daran dachte der Polizist gerade, als er über den freigeschaufelten Pfad, der vom Parkplatz zum Eingang der Dienststelle führte, schritt und endlich wieder in der vertrauten Umgebung war. Ja, es war ein anderes Gefühl, als aus dem Urlaub zurück zu kehren. Die Kollegen lächelten und freuten sich, Hotte umarmte ihn sogar und Andrea war überrascht. "Kommst du mich besuchen?", fragte sie nach dem Begrüßungskuss. "Nein, ich komme arbeiten.", und Semir konnte es nicht fassen dass dieser Satz mal eine so große Zufriedenheit in ihm auslöste.


    Die Chefin kam ebenfalls, als sie Semir erblickte, schüttelte seine Hand und sagte: "Ich freue mich, dass sie wieder da sind. Wir haben ja soweit alles beschlossen. Herzberger hat sie schon in den Dienstplan mit aufgenommen." Im Dienstplan standen eigentlich ausschließlich die Streifenbeamten der Dienststelle drin. Semir, Ben und Kevin hatten zwar ebenfalls Streifenfahrten zu erledigen, konnten sich diese aber selbst einteilen. Andrea als Sekretärin war sowieso immer im Büro. Aber für Jenny, Hotte und Dieter sowie den Rest der Belegschaft galt der Dienstplan, in dem genau festgelegt war, wer wann welche Streife mit wem zusammenfuhr, wer an einem Tag Bürodienst hatte und wer den Funk koordinierte. Seit über 25 Jahren oblag die Planung und Überwachung des Dienstplanes Horst Herzberger, der dies mit der nötigen harten Hand aber einer Menge Flexibilität und Fairness führte.
    Für Semir war es ein neues Gefühl, denn in gewisser Weise war Hotte nun eine Art Vorgesetzter für ihn, was der auch mit einem väterlichen Schmunzeln sofort kommentierte: "Dann wollen wir mal sehen, dass du bei mir auch in der Spur läufst.", und Semir verstand sofort Herzbergers Witz dahinter. Nicht umsonst arbeiteten die beiden jetzt schon fast 20 Jahre miteinander.


    Hotte hatte Semir für den Funk eingeteilt, der die Koordination unter den Streifenwagen regeln sollte. Gab es über die Notrufnummer eine Unfallmeldung oder ähnliches, gab die Beamtin vom Telefon diese Meldung an Semir weiter, der dann die jeweiligen auf Streife befindlichen Kollegen informierte. In seiner Ausbildung auf der Wache hatte Semir diese Aufgabe selbstverständlich schon übernommen, bei der Autobahnpolizei noch nie, hier kam er sofort als Kommissar her. An einem Monitor konnte Semir die, mit GPS überwachten Dienstwagen erkennen, um gleich zu überblicken welcher Wagen am ehesten an einen Unfallort ist. "Früher mussten sich die Wagen immer im 30-Minuten-Abstand melden, dann wurde an einer Karte mit Stecknadeln die Position bestimmt.", erklärte Hotte und murmelte: "Die gute alte Zeit." "Ich weiß, Hotte... ich war damals auch schon da.", meinte Semir zwinkernd.
    Langweilig wurde ihm nicht, denn er hörte immer sofort, wenn ein Funkspruch einging, so dass er auch mal ins Büro zu Andrea und Bonrath gehen konnte, wenn es ruhig war. Ansonsten dirigierte er seine Kollegen an Unfallstellen, an Baustellen wo es Probleme gab und an eine Schlägerei auf seinem Rastplatz. Nur Ben und Kevin konnte er nicht erreichen, weil sie sich ausserhalb des Funknetzes auf dem Weg nach Holland befanden...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen

    <3

    • Zitieren
  • Campino
    Kriminaloberkommissar
    Reaktionen
    563
    Beiträge
    2.180
    • 18. Dezember 2015 um 10:24
    • #27

    Autobahn - 11:00 Uhr


    Es dauerte nicht lange, bis die ersten Kollegen, gefolgt von einem Rettungswagen an der Unfallstelle eingetroffen waren. Zwei junge Kollegen, ein Mann und eine Frau hielten mit Blaulicht und Warnblinkanlage auf dem Seitenstreifen und kamen ebenfalls die Böschung herunter. Ben und Kevin wiesen sich aus und gaben kurz zu Protokoll, was passiert war, machten aber auch gleich klar, dass sie den Fall selbst übernahmen. Kevin verspürte ein leichtes Ziehen im Nacken und griff sich mehrmals an den hinteren Bereich seines Halses. Ben erschien er sehr wortkarg und nachdenklich zu sein nach dem Unfall, wobei sich der Polizist nicht sicher war, ob dies wirklich mit dem Unfall zu tun hatte, oder ob er mit seinen Gedanken schon wieder in Bogota war.
    Die Besatzung des Notarztwagens wollten die beiden Kommissare überreden, mit ins Krankenhaus zu fahren, doch beide lehnten ab. Der Arzt betastete zumindest Kevins Nacken und sagte: "Das könnte ein Schleudertrauma sein. An ihrer Stelle würde ich das sicherheitshalber untersuchen lassen, damit keine Wirbel angebrochen sind." Kevin versprach, dass er heute nachmittag bei seinen Orthopäden gehen würde, um sich checken zu lassen, und Ben grinste bereits. Als ob... beide unterschrieben eine Erklärung auf eigene Gefahr nicht ins Krankenhaus zu fahren, und organisierten über einen Kollegen die Rückfahrt zur Dienststelle.


    Als die beiden, ungewohnterweise, auf der Rückbank eines Streifenwagens saßen um zurück zur Dienststelle zu fahren, meinte Kevin: "Ich fahre dann nachher gleich zum Arzt." Nun war Bens Gesichtsausdruck nicht belustigt, sondern eher überrascht, denn so kannte er seinen Partner nicht. Während Ermittlungen, nach Unfällen oder sonstigen Verletzungen, musste man Kevin eigentlich mit Waffengewalt zum Arzt bringen. Semir und Ben waren da nicht anders gestrickt. "Ist es so schlimm?", fragte Ben und der Blick, der ihn in diesem Moment von Kevin traf, war ihm unheimlich. Es war kein böser Ausdruck in den Augen, eher etwas... Kaltes... skrupelloses. "Du hast doch gehört... mit einem Schleudertrauma ist nicht zu spaßen. Vielleicht brauch ich einen Krankenschein."
    Diese Worte waren nun wirklich völlig ungewöhnlich. Tat ihm der Nacken wirklich so weh? Aber warum ist der dann nicht gleich mit dem Krankenwagen gefahren? "Wenn ich jedes Mal bei einem Schleudertrauma nen Krankenschein geholt hätte, könnte ich schon fast in Rente gehen.", meinte er und versuchte ein wenig, die betrückend wirkende Stimmung im Streifenwagen zu lockern, was zumindest bei dem Kollegen am Steuer für einen Lacher sorgte. "Aber du kennst deinen Körper besser als ich... du musst das selbst wissen.", betonte Kevins Partner nochmal, weil er keinesfalls seinen Freund zu etwas überreden wollte. Sollte es wirklich Haarrisse an der Wirbelsäule geben wäre der nächste Sturz oder Unfall ein sicherer Weg zum Rollstuhl. Ben selbst redete sich immer wieder ein, nach dem nächsten Unfall sich wenigstens durchchecken zu lassen. Doch meist trieb der Fall oder die Zeit, so dass es vertagt und später vergessen wurde.


    Der Streifenwagen bog die Abfahrt zur Dienststelle ab und ließ die beiden Polizisten am Parkplatz raus. "Danke fürs Mitnehmen.", sagte Ben dem Kollegen, der zu einem ganz anderen Polizeibezirk gehörte, nahe der holländischen Grenze. Der Kollege gab noch ein Handzeichen zum Abschied, bevor er wendete und wieder zurück zur Autobahn fuhr, während Kevin und Ben das Gebäude betraten und auf dem Flur Kevin auf die Toilette abbog. Ben ging zwei Schritte weiter, bis er plötzlich stehen blieb. Die Erkenntnis, die in ihm plötzlich aufkam, traf ihn wie ein Blitz. Wobei es noch keine gesicherte Erkenntnis war, eher eine Vermutung... ein Verdacht, der sich aber in seinem Kopf so schnell erhärtete und zu einer gefühlten Gewissheit wurde, dass sich seine Fäuste ballten.
    Für einige Sekunden blieb er wie angewurzelt im Flur stehen. Wenn ihn jemand beobachten würde, würde man meinen, er überlegte ob er nun zur Toilette müsste, oder nicht. Doch er war noch nicht auf der Höhe des Großraumbüros und auf dem Flur war auch gerade keiner. Er drehte um und ging mit schnellen und sicheren Schritten wieder zurück und trat ebenfalls in den Vorraum der Toiletten ein.


    Kevin stand am Waschbecken und trocknete sich gerade das Gesicht ab, scheinbar musste er nicht zur Toilette sondern säuberte sich ein wenig die Schnittwunde im Gesicht. Ben verlor keinerlei Zeit, sondern konfrontierte seinen Partner sofort mit seinem Verdacht. "Du willst krank machen, um nach Kolumbien zu fliegen, stimmts?" Kevin sah Ben nicht an. Seine Bewegung, das Papiertuch über seine Haut im Gesicht zu streichen, unterbrach er für einen Augenblick und sah starr in den Spiegel, während Ben nur einen Meter von ihm entfernt stand und ihn von der Seite her anblickte. "Du weißt genau, dass die Chefin dir jetzt keinen Urlaub geben würde während des Mordfalls. Der Unfall kommt dir gerade recht." Wieder wurde er von dem, diesmal ironischen, fast schon sarkastisch abwertenden Blick Kevins, ein wenig erschrocken. "Genau... und ich war es auch, der uns in den Reifen geschossen hat."
    Kevins Überheblichkeit machte Ben innerlich rasend, auch wenn er äusserlich noch die Fassung behielt. Doch seine linke Hand, die er auf das Waschbecken gestützt hatte, verkrampfte sich um den runden Rand und seine Lippen pressten sich aufeinander. "Also stimmt es? Du nutzt einen Krankenschein aus um nach Bogota zu fliegen und Annie zu suchen?", fragte er nochmal mit leicht zitternder Stimme. Er wollte eine klare Antwort von Kevin haben. "Das ist meine Sache.", sagte der nur ruhig.


    Semir hatte gerade einen Funkspruch abgegeben und verspürte Durst. Er sagte Hotte Bescheid, dass der kurz auf den Funk achtgab und machte sich auf den Weg zur Kaffeeküche, wo er auch an den Toiletten vorbeikam. Die Tür zum Vorraum war nur angelehnt, und der erfahrene Polizist konnte hinter der Tür eine, ihm wohlbekannte Stimme vernehmen... nanu, warum waren die beiden denn schon wieder da? Die sollten doch erst am Nachmittag zurückkommen. Den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, wollte Semir schon die Tür aufdrücken, doch der Inhalt des Gespräches hielt ihn davon ab. Er hörte sofort, dass die Stimmung zwischen den beiden Männern nicht gut war, und obwohl es ihm widerstrebte, sie zu belauschen, so hielt ihn ein innerer Widerstand davon ab, die Tür zu öffnen... vor allem, als sein eigener Name fiel.
    "Nein Kevin... das ist es nicht.", sagte Ben erregt und zeigte mit dem Finger auf seinen Kollegen, der sich mittlerweile vom Spiegel weggedreht hatte und sich Ben zu wandte. "Das ist auch Semirs Sache. Was willst du ihm denn sagen, hm? Hast du dir darüber mal Gedanken gemacht?" Kevin schüttelte den Kopf. Die Sache war eigentlich spontan, denn mit einem Unfall konnte ja keiner rechnen. "Semir braucht von der ganzen Sache nichts zu wissen. Das wäre für ihn sowieso das Beste."


    Bens Gesicht entglitt nun zu einem fassungslosen Ausdruck. "Das ist nicht dein Ernst...", sagte er nur ein wenig leiser, und schüttelte wie in Zeitlupe den Kopf. "Du willst ihn anlügen? Du willst ihm nicht mal sagen, dass du nach Kolumbien fliegst um die Frau zu suchen, die Semir fast das Leben gekostet hat? Die auch dran schuld ist, dass er zu einer Psychologin muss, weil es ihm so schlecht geht? Die nicht über ihren ideologischen Schatten springen konnte und geschwiegen hat, obwohl sie wusste, wo die Sturmfront ihn versteckt hielt?" Im Laufe der Fragen wurde Bens Stimme immer lauter und erregter, die Situation drohte immer mehr zu eskalieren. "Ja, genau das will ich. Und ich glaube, dass das für Semir auch besser ist.", sagte Kevin, und seine verdammte Ruhe in seiner Stimme brachte Ben immer weiter auf die Palme.
    "Ey Kevin, du raffst es einfach nicht, oder? Du verstehst einfach nicht was Vertrauen heißt.", sagte der Polizist mit der Wuschelfrisur fassungslos. Er konnte es einfach nicht verstehen, dass sein Partner immer den Weg über das Misstrauen ging, das Verheimlichen. "Vertrauen heißt, dass man sich die Wahrheit sagt. Auch wenn es unbequem ist, verdammt! Auch wenn Semir damit nicht einverstanden ist, genauso wenig wie ich. Aber damit musst du klar kommen. Du kannst doch nicht dein Leben lang deine Freunde anlügen." Er spürte, wie sein Herz vor Erregung schneller schlug. "Wenn du es verantworten kannst, Semir jetzt damit zu belasten, wo er noch nicht gefestigt ist... dann erzähls ihm.", ging nun Kevin in die Offensive und es fühlte sich an, als würde er damit Ben die Verantwortung über die Wahrheit aufbinden, was den noch weiter in seiner Adrenalinskala steigen ließ. "Ich werde das nicht verantworten, und deshalb sage ich ihm auch nichts. Manchmal ist es besser, einfach zu schweigen. Und was Annie angeht...", für einen kurzen Moment unterbrach Kevin seinen, für ihn ungewohnten, Redeschwall und schien sich kurz an seine Alpträume zu erinnern... an Alpträume, die er nicht mehr hatte seit Janines Mörder tot war "... ich kann nicht anders. Ich muss sie suchen." Ben spürte, dass es scheinbar nicht mal Kevins freier Wille war... zumindest nicht seine Überzeugung.


    Doch dazu konnte Ben nichts mehr sagen... denn er hörte nur, wie die Tür hinter ihm aufschwang, er sah Kevins Blick an Ben vorbei auf die Person, die dort im Türrahmen stand. Und erst, als der Polizist selbst sich umdrehte, denn er hatte die Tür im Rücken, konnte er in die fassungslosen braunen Augen seines Partners blicken. "Semir...", sagte er überrascht und spürte, wie der Boden unter ihm wankte. Er hatte mitgehört... natürlich hatte er mitgehört, den sein Blick drückte alles mögliche aus... Unverständnis... Wut... Fassungslosigkeit... Traurigkeit. Und sein Blick war in erster Linie auf Kevin gerichtet. "Das tust du nicht wirklich...", sagte er nur tonlos.
    Kevin fühlte sich ans Krankenhaus erinnert... als Ben unglücklicherweise von Kevins Vergangenheit sprach und die Chefin übersah. Doch jetzt spürte er selbst, wie wenig sein Kollege damals dafür konnte, dass die Chefin etwas mitbekam. Es ging so schnell dass man redete, was andere nicht wissen sollten. Und diesmal hatte er selbst auch Dinge erwähnt, die nicht für Semirs Ohren waren. Der musste sich nun an der Türklinke festhalten, dass seine Beine nicht nachgaben und der erfahrene Kommissar spürte, wie seine Hände zittern, wie sein Adrenalin stieg und wie ein beinahe unbändiger Zorn auf Annie und Kevin in ihm aufkam...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen

    <3

    • Zitieren
  • Campino
    Kriminaloberkommissar
    Reaktionen
    563
    Beiträge
    2.180
    • 21. Dezember 2015 um 11:20
    • #28

    Dienststelle - 12:00 Uhr


    Es war die totale Vollkatastrophe, die sich anbahnte. Es war genau das, was Kevin eigentlich durch seine Notlüge verhindern wollte. Er konnte sich vorstellen, wie Semir reagieren würde, wenn er hört, dass Kevin nach Annie sucht... dass er ihr helfen möchte. Der Frau, die mitverantwortlich dafür war, dass Semir so lange bei den Neo-Nazis im Keller ausharren musste. Der Grund, warum die beiden Polizisten nicht eine oder zwei Stunden früher in der Kneipe waren, um Semir zu befreien, der in dieser Zeit die Hölle erlebt hatte. Kevin hatte kein Verständnis von Semir erwartet, der sonst fast immer relativ gelassen und ruhig blieb, die Nerven behielt und irgendwo immer Verständnis oder Erklärungen für jemanden aufbringen konnte... und wenn er das mal nicht konnte, dann zumindest sachlich reagieren würde.
    Diesmal nicht, und das wollte Kevin vermeiden. Der erfahrene Kommissar blickte Ben und Kevin fassungslos an, er wiederholte seine Frage, auf die weder Ben noch sein Partner eine Antwort gab, weil die Antwort so eindeutig wie glasklar war... ja, er tat das wirklich. Dann drehte sich Semir auf dem Absatz um und ging mit schnellen Schritten ins Großraumbüro, als wolle er fliehen, als wolle er vor der Wahrheit, vor der Konfrontation fliehen. "Na super...", spuckte Ben die Worte in Richtung Kevin, bevor er Semir folgte, was einige Sekunden später auch Kevin tat.


    In Semir drehte sich alles. Er fühlte sich schrecklich verraten, denn es fühlte sich so an, als würde sich Kevin mit einem Feind zusammen tun und sich gegen Semir verbünden. Dabei wusste er gar nicht um was es geht, aber es war ein subjektives Gefühl. Ben hatte ihm kurz nach dem Erlebnis erzählt, was sich abgespielt hatte, während er gefangen war. Dass sie ihn suchten, dass sie bei Annie waren, die beharrlich geschwiegen hatte, weil sie den "Bullen", nicht mal Kevin, helfen wollte. Semir hatte die junge Frau, obwohl er sie nicht kannte, verflucht. Natürlich wusste er auch ein wenig, wie Kevin zu ihr stand, doch dieses Wissen blendete er jetzt unabsichtlich aus... denn dafür hätte er rational denken müssen, und das schaffte er in diesem Moment keinesfalls.
    Auf Höhe von Andrea's Schreibtisch hielt Ben Semir am Arm fest. "Warte jetzt! Lass uns das klären.", sagte Ben, denn er spürte ebenfalls, dass die Sache hier komplett aus dem Ruder lief. Er wollte keinen Streit zwischen Semir und Kevin, er wollte nicht, dass das Dreiergespann, das sich endlich zusammengefunden hatte, endlich gefestigt wirkte, wieder zerbrach. Auch wenn er selbst natürlich sauer auf Kevin war, und nur sehr wenig Verständnis der geplanten Rettungsaktion aufbringen konnte, aber er dachte für einen Moment daran, was er ihm eben gesagt hatte... "... ich kann nicht anders. Ich muss sie suchen."


    Semir drehte sich ruckartig um und zeigte mit dem Finger auf Kevin. "Was gibts da zu klären? Mein Kollege, der Typ den ich als meinen Freund bezeichnet habe, will die Frau suchen, die dafür verantwortlich ist, dass ich fast umgebracht wurde?", sagte er laut und erregt, so dass sofort alle Anwesenden in dem Großraumbüro etwas überrascht und geschockt aufsahen. Bonrath unterbrach das Tippen eines Unfallberichtes, Jenny, die hinter ihm stand, drehte sich um, Hotte stoppte kurz sein Mittagessen und auch Andrea blickte von ihrem Monitor auf, was sie schon getan hatte, als Semir mit schnellen Schritten durch das Büro gelaufen kam. Die Chefin war zu diesem Zeitpunkt zum Glück nicht in ihrem Büro, sie war kurz zuvor in die Mittagspause gegangen, ansonsten hätte sie längst auch etwas von der Situaton mitbekommen.
    "Und dann will er es noch für sich behalten? Was bist du nur für ein Partner?", warf Semir Kevin vor die Füße, der hinter Ben mit einem resignierten Gesichtsausdruck stand, sich von Semirs Worten an die Wand genagelt fühlte... vor allem von Semirs letztem Satz. "Ich wollte genau diese Situation verhindern.", brachte er dann mit ruhiger, beinahe sachlicher Stimme hervor, doch man konnte ihm anmerken, dass auch er in seinen Emotionen erregt war, kämpfen musste, seine Erregung im Zaum zu halten um die Sache nicht komplett eskalieren zu lassen.


    "Und das verhinderst du, in dem du mich belügst??", schrie Semir voll Wut und ging einen Schritt auf Kevin zu, wobei er Ben zur Seite schob. Andrea war von der Situation so geschockt, vor allem als sie hörte, was Kevin vor hatte, dass sie stocksteif auf ihrem Stuhl saß. "Warum willst du sie überhaupt suchen?" Kevin atmete tief durch, Semir war nur noch einen halben Meter von ihm entfernt und Ben, dessen Herz mittlerweile mit voller Kraft gegen seinen Brustkorb klopfte, legte Semir eine Hand auf die Schulter. Er wendete keine Kraft auf, um seinen Partner zurück zu ziehen... es war nur zur Beruhigung gedacht. Doch diese Geste verpuffte, als würde er Wasser auf glühend heißen Stahl giessen, es blieb nichts als durchsichtiger Rauch zurück...
    Was sollte Kevin sagen? Es war eh alles zu spät, er brauchte keine Geschichte mehr zu erfinden, auch wenn er fürchtete, dass die Wahrheit Semir nicht unbedingt beruhigen würde. "Ihre Freunde haben mich darauf angesprochen. Sie ist verschwunden und meldet sich nicht mehr, und sie befürchten, dass ihr etwas zugestoßen ist." Semirs Gesichtsausdruck war ein Ausdruck der Fassungslosigkeit... als schien er sich nicht entscheiden zu können, welche Reaktion seiner Wut entsprechend angemessen war. Andrea kam ihm jedoch zuvor indem sie vom Stuhl aufsprang und Kevin anschrie: "Dass ihr etwas zugestoßen ist? Für das, was sie Semir durch ihre Tatenlosigkeit angetan hat, sollte ihr alles Mögliche zustoßen!!"


    Kevin hatte das Gefühl, dass jeder Blick um ihn herum, feindseelig war. So hatte er Andrea noch nie erlebt, er spürte auch ihre Wut jetzt auf sich. Und sich zu Jenny umzudrehen, getraute er sich gar nicht, sie stand schräg hinter ihm und auch ihr Gesicht drückte Fassungslosigkeit aus... jetzt wusste sie, was ihn in den letzten Tagen so beschäftigt hatte, und sie konnte es nicht glauben, dass er sich ernsthaft darüber Gedanken machte... und sich dann scheinbar sogar dafür entschieden hatte. Jedenfalls fühlte sich der junge Polizist erbärmlich in die Ecke gedrängt, und hätte sich ein beschwichtigendes Wort von jemandem gewünscht... von Ben, der den meisten Einfluss auf Semir hatte, oder von Hotte, der in solchen Momenten mit Bierruhe und väterlichem Instinkt die Situation entschärfen könnte, weil er Verständnis für beide Seiten aufbringen würde... doch niemand sagte ein Wort.
    Semir packte an sein Pflaster am Hals, und Andrea hielt den Atem an. Er hatte es bisher nur seiner Frau und Ben gezeigt, was sich dahinter verbarg, doch Semir war in einer emotionalen Ausnahmesituation und dachte nicht mehr groß nach, was er tat. Er riss es sich von der Haut und die rotglühende Narbe kam am Hals zum Vorschein, so dass seine uniformierten Kollegen die Luft anhielten. "DAFÜR ist deine Annie verantwortlich! DAS hätte sie allein verhindern können! Und dafür willst du ihr jetzt helfen??", rief Semir und seine Stimme überschlug sich fast vor Wut.


    Kevin wollte nicht, dass es eskaliert. Er wollte nicht, dass es soweit kommt. Doch in diesem Moment fühlte er sich so in die Ecke gedrängt, so allein gelassen von allen um sich herum, dass er den einzigen Ausweg in einer Antwort fand. "Nein, Semir. Dafür sind alleine die Typen von der Sturmfront verantwortlich. Sie haben dir das angetan, nicht Annie." Beinahe erschrak er sich über sich selbst, dass er Annie nun sogar in Schutz nahm, und Ben, der gerade noch wollte, dass Semir sich beruhigte, entglitt nun auch der Gesichtszug. Er konnte nicht fassen, was Kevin gerade gesagt hatte.
    Semirs Gehirn funktionierte in diesem Moment nicht. Er hörte nur Kevins Worte, und sein Körper tat nicht, was der vernünftige Bereich seines Kopfes gerade vor hatte... sein Körper reagierte einzig, auf den Bauch. Kevin sah den Schlag nicht kommen. Als Kickboxer in einer Kampfsituation hätte er sich sicher wehren können... wegducken, die Hände nach oben reißen, doch mit so einer Reaktion hatte der Polizist nicht gerechnet. Semirs Faust traf ihn auf die Lippe, ein brennender Schmerz zuckte durch seinen Kopf und ließ den einen Kopf größeren Mann sofort zu Boden gehen. Die Anwesenden hielten die Luft an, als Semir Kevin niederschlug und schon in dem Moment, wo Kevin am Boden ankam, nur kurz nach unten sah, mit in Wut verzerrtem Blick und scheinbar kurz nachdachte, ob er nochmal zuschlagen sollte, sich dann aber dagegen entschied, und mit schnellen Schritten den Weg aus der Dienststelle suchte. Ben und Andrea, die beide völlig geschockt waren von dem, was gerade passiert war, folgten Semir... Andrea nicht, ohne Kevin ein "Verschwinde von hier!" entgegen zu schleudern.


    Hotte und Dieter sahen sich für einen Moment an... von dem, was sie an Hintergründen wussten, konnten sie sich nicht alles zusammenreimen, aber Semirs Worte waren eindeutig. Und so zögerten sie kurz, Kevin zu Hilfe zu kommen, doch der hatte sich selbst stöhnend wieder aufgerappelt. Blut tropfte von der aufgeplatzten Lippe, und als er sich umsah, merkte er, dass er von mehreren Augenpaaren angestarrt wurde. Das, das ihn am durchdringendsten, beinahe hilflos ansah, war Jenny... und es schien ihm das Herz zu brechen. Auch ihr hatte er veschwiegen, was ihn beschäftigt und hatte seine Entscheidung ohne sie gefällt... und auch sie bewegte sich keinen Millimeter zu ihm hin... nein, es hatte was von einem "Abwenden" von ihm, als sie den Blick senkte und sich umdrehte...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen

    <3

    • Zitieren
  • Campino
    Kriminaloberkommissar
    Reaktionen
    563
    Beiträge
    2.180
    • 22. Dezember 2015 um 10:07
    • #29

    Vor der Dienststelle - 12:15 Uhr


    "Semir! Semir!!" Semir konnte die Stimme seines Partners und besten Freundes nur dumpf, wie unter einer großen Glasglocke, vernehmen als er vor sich nur noch die Tür an die frische Luft sah. Draußen empfing in sofort die stechend kalte Kälte, die durch sein dünnes Hemd stach und Besitz von ihm ergriff obwohl er das gar nicht wahr nahm... eigentlich nahm Semir in diesem Moment nichts wahr. Nicht den Boden unter seinen Füßen, nicht den Schnee, der langsam auf ihn herab rieselte und auch nicht die Hand seines Partners an seinem Arm. Doch, den nahm er wahr und schüttelte ihn sofort ab. "Lass mich!", zischte er obwohl er erst gar nicht merkte, wer ihn da festhielt. Ben wich etwas erschrocken zurück. "Semir... ich steh doch auf deiner Seite!"
    Semirs wütender Gesichtsausdruck, mit dem er Ben für einen Moment ansah, schwand langsam. Er schwand und verwandelte sich zu einem Ausdruck der Traurigkeit, der Verzweiflung und Niedergeschlagenheit, den sein Blick senkte sich zum weißen Boden. "Ich kann es nicht glauben...", murmelte er matt und müde, als hätte er gerade einen 10 KM-Lauf hinter sich. Dabei schüttelte er den Kopf und wurde sofort von seiner Frau, die jetzt die Dienststelle verließ, in den Arm genommen. Sie wollte ihn stützen, denn sie hatte unglaubliche Angst, dass dieser Vorfall all die Fortschritte, die Semir in den letzten 24 Stunden gemacht hatte, wieder vernichten würde.


    "Ich muss hier weg... ich... ich kann jetzt nicht hier bleiben solange er da ist.", sagte Semir über Andrea's Schulter. "Komm, lass uns kurz wegfahren. Ich schätze, Kevin wird gleich verschwinden.", sagte Ben und nickte in Richtung Semirs BMW. Sein Partner nickte dankbar, gab Andrea einen Kuss, die sich überwand wieder die Dienststelle zu betreten. Sie konnten jetzt nicht alle abhauen, wenn die Chefin gleich wiederkommen würde, würde es unangenehme Fragen geben. Semir ließ sich in den tiefen Sitz gleiten, schloß die Tür und seine Augen, als er sich gegen die Kopfstütze lehnte. Ben stieg auf der Fahrerseite ein, startete den Motor und manövrierte den Dienstwagen rückwärts aus der Parklücke heraus.
    Die Autobahn war notdürftig vom Schnee geräumt, nur in der Mitte der beiden Spuren hatte sich nasser Schneematsch gesammelt. Aber die Landschaft links und rechts von der Autobahn war winterlich weiß, die Felder bedeckt, die Bäume eingeschneit und an dem gefrorenen Metall der Autobahnschilder krallte sich der Schnee ebenfalls fest. Wasser spritzte gegen das Auto und Ben musste gegen das klebrige Spritzwasser auf der Frontscheibe mehrmals die Wasseranlage und die Scheibenwischer benutzen. Für Autoliebhaber war dieses Wetter der absolute Horror.


    "Ich hab ihn versucht ab zu halten. Zuerst, dass er das überhaupt tut, dann hab ich ihm gesagt, dass es nicht okay ist, es vor dir zu verheimlichen.", sagte Ben irgendwann. Ihm war es wichtig, dass Semir wusste, auf wessen Seite er stand, auch wenn es ihm mehr als weh tat, sich gegen Kevin zu stellen. Er konnte Kevin wirklich gut leiden, sie hatten einiges gemeinsam durchgemacht und es verband sie auch etwas... aber es gab eben auch solche Dinge, die Ben bei seinem Partner übel aufstießen. Semir sah ohne Regung aus der Frontscheibe heraus, er war etwas zusammengesunken in seinem Sitz. "Ich versteh es nicht...", murmelte er wie abwesend. "Warum tut er das? Nach dem, was du und er mir damals erzählt hat, hat ihn das Mädchen abgewiesen. Beinahe totschlagen lassen in der Halle. Sie hat ihn verraten und mich den Nazis zum Fraß vorgeworfen. Wie kann er sie verteidigen, wie kann er dich im Stich lassen und mir so in den Rücken fallen...", sprudelten nun die Fragen aus Semir heraus.
    Ben umklammerte das Lederlenkrad des BMW und wog den Kopf hin und her. "Ich will ihn nicht in Schutz nehmen...", begann er vorsichtig und vermied damit sofort Missverständnisse "... aber ich hab irgendwie das Gefühl... dass ihn die Situation an seine Schwester erinnert." Semir wandte nun den Blick zu seinem besten Freund und er schien auch nach zu denken. "Er wirft sich doch immer noch vor, sie damals nicht geschützt zu haben. Dieses Trauma wird er nie mehr los werden und immer, wenn eine Person die ihm mal wichtig war oder wichtig ist, in Gefahr ist, handeln."


    Für einen Moment war es still im Auto. Nur das Spritzen des Wasser der Fahrbahn unter dem Auto, sowie das dezente Dröhnen des Motors selbst war zu hören. "Die Frau ist schuld, dass ich fast alles verloren hab. Oder zumindest... mitschuldig.", sagte Semir leise. "In solchen Momenten muss ich mich einfach entscheiden. Oder verlange ich da zuviel?" Ben zuckte mit den Schultern, in diesem Moment war er grundehrlich. "Ich weiß nicht. Ich war noch nie in seiner Situation, dass ein Mensch der mir nahe steht, dich verrät oder schuld an einem schlechten Zustand deinerseits ist... und ich dann vor der Wahl stehe, diesem Mensch zu helfen oder nicht." Nein, darüber konnte er beim besten Willen keine Aussage treffen, aber er fügte sofort an: "Aber ich verstehe natürlich wie du dich jetzt fühlst."
    Er fühlte sich beschissen... hintergangen, betrogen, als hätte Kevin höchstpersönlich ihm einen Dolch zwischen den Schulterblättern in den Rücken getrieben. Nein, das konnte er einfach nicht so verzeihen, es fühlte sich zu falsch an. Und Semir entschied für sich selbst... er verlangte nicht zuviel, wenn er von Kevin verlangte sich für eine Seite zu entscheiden. Und wenn er sich für Annie entschied, entschied er sich automatisch gegen Semir. Er spürte, bei diesem Gedanken, einen Stich in seinem Herzen.


    "Kevin versteht einfach nicht, dass wir ihm nichts Böses wollen. Warum redet er nicht ehrlich mit uns? Wir haben doch alles für ihn getan, wir haben doch immer versucht ihm zu helfen. Wir sind doch das, was er in seinem früheren Leben niemals hatte...", sagte Ben irgendwann, nachdem die beiden wieder für einige Minuten geschwiegen hatten. "Auch wenn er mit mir darüber geredet hätte, hätte ich es schlimm gefunden, wenn er Annie helfen würde.", sagte sein Partner leise, setzte dann aber hinzu: "Aber zumindest hätte er mir dann vertraut... was er so nicht hat." "Ich hab ihm gesagt, dass er alles kaputt macht, wenn er das durchzieht." Doch Ben hoffte mittlerweile, dass Kevin es durchzog. Würde er jetzt die Reise nach Kolumbien nicht antreten, wäre das Tischtusch trotzdem zerschnitten und die nächsten Tage würden sehr schwierig werden. So hatte Semir Zeit, Abstand zu gewinnen, Kevin ein paar Tage nicht zu sehen und es würde langsam Gras über die Sache wachsen, und in einigen Wochen könnte man vielleicht nochmal drüber reden.
    Ben spürte, dass für Semir die Sache unverzeihbar schien. "Wenn Kevin jetzt der Chefin sagt, was passiert ist... dann sitz ich morgen wieder im Wohnzimmer und hör der Uhr beim Ticken zu.", meinte er missmutig und bereute den Schlag... jedoch nur wegen seinen eigenen Konsequenzen. Er fand immer noch, dass Kevin es verdient hatte, was er bekam auch wenn es normalerweise nicht Semirs Art und Weise war, Konflikte zu lösen. "Bei all der Scheisse, die Kevin baut... ich glaube nicht, dass er dich bei der Chefin anschwärzt wegen dem Schlag. Er weiß doch, was für dich auf dem Spiel steht." Doch Ben erwischte sich dabei, wie er seinen eigenen Worten nicht glaubte. Er hatte das Gefühl, diesen Mann, den jungen Polizisten, gar nicht zu kennen...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen

    <3

    • Zitieren
  • Campino
    Kriminaloberkommissar
    Reaktionen
    563
    Beiträge
    2.180
    • 23. Dezember 2015 um 10:10
    • #30

    Jenny's Wohnung - 17:30 Uhr


    Kevin hatte jegliches Gefühl für die Zeit an diesem Tag verloren, nach dem Vorfall auf der Dienststelle. Dass es langsam dem Abend zuging konnte er nur daran ausmachen, dass es dunkler wurde, als er gegen 16 Uhr das Krankenhaus verließ, und wieder an die Kälte trat. Zuvor hatte er sich aus der Dienststelle geschlichen... ja genau, so fühlte er sich nach dem Vorfall mit Semir. Als müsste er sich verstecken und wegschleichen, verstecken vor den Blicken der Kollegen. Natürlich wusste jeder Bescheid, auf der Dienststelle der Autobahnpolizei kannte jeder jeden, es wurde natürlich geredet. Semir war ein beliebter Kollege, als zweitältestes Mitglied der Autobahnpolizei. Kevin dagegen war ein Neuling auf der Dienststelle, und nicht unbedingt jeder Kollege war ihm und seiner Vergangenheit so unvoreingenommen, wie es Hotte oder Dieter waren.
    So waren die Sympathien eindeutig verteilt, doch der junge Polizist hatte sich noch nie was draus gemacht, was andere, die er kaum kannte, von ihm dachten. Doch wenn Menschen schlecht über ihn dachten, die ihm etwas bedeuteten, das machte ihn fertig. Und vor allem Jennys Blick, ihr wortloses Wegdrehen zu ihrem PC, wie sie weiter mit Hotte redete, als wäre überhaupt nichts geschehen, das verfolgte ihn den ganzen Tag, es verfolgte ihn ins Wartezimmer des Arztes und es verfolgte ihn wieder zurück in die Dienststelle.


    Jenny und Hotte waren auf Streife, Semir und Ben saßen in ihrem Büro als wäre es ein ganz normaler Tag, als er nochmal in die Dienststelle kam, um seinen Krankenschein abzugeben. Die Chefin hatte von Ben schon von dem Unfall, dem Anschlag berichtet bekommen und sah etwas sorgenvoll drein. "Ich hoffe, sie sind bald wieder gesund.", sagte sie und nahm den Zettel, der Kevin zwei Wochen Ruhe bescheinigte, entgegen. Der Polizist schwieg, er wollte keine Entschuldigung oder Bedauern äussern, Ben jetzt gerade alleine zu lassen. Dass er seine Nackenschmerzen nutzte um einen Krankenschein zu provozieren war schon nicht seine Art, jedes weitere Wort wäre Lüge und Heuchelei gewesen. Die leichte Blessur an der Lippe ordnete die Chefin dem Unfall zu... und hätte sie es nicht getan, hätte Kevin es getan. Für ihn stand ausser Frage, dass er der Chefin nichts zu Semirs Schlag sagte... das war eine Sache zwischen ihm und seinem Partner.
    Ben hatte eine kurze Geste mit den Augenbrauen und ein kurzes "Ssst" in Richtung Semir abgegeben, der daraufhin aufblickte und den Kopf drehte, um aus der Glasscheibe gucken zu können. Er sah gerade noch, wie Kevin ohne ein weiteres Wort mit den beiden zu wechseln die Dienststelle verließ. Semir war über diesen Umstand erleichtert, was ihm allerdings Herzklopfen bereitete, war dass die Chefin mit ernstem Gesichtsausdruck auf dem Weg in das Büro der Beamten war. Hatte Kevin doch geplaudert? Hatte er etwas gesagt über Semirs Aussetzer. Anna Engelhardt öffnete die Tür und blickte ins Büro: "Herr Peters fällt die nächsten zwei Wochen aus. Wir unterhalten uns morgen über das weitere Vorgehen im Fall Bachmann. Schönen Feierabend, meine Herren." Die beiden Polizisten nickten, und atmeten beide auf, als die Chefin das Büro wieder verließ.


    Kevin wollte nicht viel Zeit verlieren. Übers Internet hatte er sich erkundigt, dass jeden Nachmittag eine Maschine vom Frankfurter Flughafen nach Bogota flog, und die Maschinen nur selten voll besetzt waren. Er konnte also recht kurzfristig aufbrechen, weswegen er nun in der gemeinsamen Wohnung seine abgenutzte Sporttasche mit Kleidung packte. Doch er musste sich noch um einen Reiseführer kümmern, der sich dort unten auskennte. Dafür hatte er eine besondere Idee, um die er sich heute Abend noch kümmern musste. Doch vorher stand eine emotionale Hürde im Weg, die er erst überwinden musste, und diese Hürde drehte gerade den Schlüssel im Schloß der Wohnungstür und trat ein.
    Ihr Weg führte zunächst durchs Wohnzimmer, wo Winterjacke über dem Stuhl und der Schlüssel auf der Küchenablage landeten. Jenny sah durch die halb geöffneten Schlafzimmertür Licht schimmern und schritt zu der Öffnung hin. Sie hatte diesen Zeitpunkt des Tages schon in den Stunden zuvor gefürchtet, wie sie jede unangenehme Konfrontation mit Kevin fürchtete. Jetzt blieb sie im Türrahmen stehen und beobachtete, wie Kevin ein Shirt in die Tasche legte, und dabei zu seiner Lebensgefährtin aufsah. Sie schwieg dabei... sie blickte ihn nur an. Es machte Kevin wahnsinnig, eine Strategie des Stillseins, die erst sonst anwandte. Sein Herz pochte gegen den Brustkorb, bis er es nicht mehr aushielt und mit einem fragenden "Was?" die Stille unterbrach.


    "Das frage ich dich.", sagte Jenny und kam mit langsamen Schritten ins Schlafzimmer. "Wann wolltest du mir eigentlich sagen, dass du nach Kolumbien fliegst um nach deiner Ex-Freundin zu suchen? Kurz vorm Abflug? Oder vielleicht mit einem Brief auf dem Kopfkissen?", fragte sie beinahe provokant, auch wenn ihr zur gezielten Provokation die mentale Kraft fehlte, zu traurig fühlte sie sich in diesem Moment. Kevin jedoch trafen die Worte bis ins Mark und er blickte zu Boden. Natürlich war es falsch, Jenny nichts zu sagen. Es war genauso falsch, wie Semir alles zu verheimlichen und Ben nur einzuweihen, weil er eine Unterhaltung zwischen Kevin und Ole mitbekommen hatte. Ansonsten hätte er es wohl niemandem erzählt.
    "Ich hätte es dir schon noch gesagt.", sagte er etwas kleinlaut, doch es klang wie Hohn in Jennys Stimme. Ihr Freund saß da und packte Koffer für eine Reise, von der sie heute nachmittag zufällig erfuhr. Für eine Reise, mit der er sein, gerade erst mühsam aufgebautes stabiles Umfeld, komplett gegen sich aufbrachte. In der jungen Frau herrschte Wut und Traurigkeit über Kevin, über seine Heimlichtuerei, sein Misstrauen. Und sie konnte sich gegen die aufkommende Eifersucht gegenüber Annie nicht verwehren, die Angst dass Kevin noch Gefühle für seine Ex-Freundin hatte. Deswegen war sie so erleichtert, dass ihr Freund so klar mit Annie gebrochen hatte nach dem Fall mit der Sturmfront.


    Sie lachte etwas sarkastisch und schüttelte den Kopf. "Kevin... wenn du mir nicht vertraust... wem vertraust du überhaupt?", sagte sie und ihr kurzes Lachen stand grotesk zu ihrer traurigen, und beinahe tonlosen Stimmlage. Sie kam ganz nah zu Kevin heran, sie standen sich gegenüber und beide wünschten sich nichts sehnlicheres, als dass sie sich umarmten, küssten und alles wieder in Ordnung war. Doch beide hielt es zurück ob ihrer Gefühle, ihres Gefühlschaoses. "Wenn ich dir nicht vertrauen würde, hätte ich dir nicht soviel über mich erzählt...", sagte Kevin leise und blickte mit seinen kalt wirkenden hellblauen Augen zu Jenny, die ein wenig zu dem körperlich größeren Mann aufblicken musste, wenn sie so nah vor ihm stand. "Ich war mir doch selbst nicht sicher, ob ich es tun sollte. Gerade weil ich wusste, was sie getan hat. Aber ich kann einfach nicht anders... alles, wirklich alles holt mich ein. Ich träume Dinge, die ich nicht mehr geträumt habe seit Peter Becker tot ist. Wenn Annie jetzt was passieren würde, und ich hätte ihr nicht geholfen..." Kevin unterbrach kurz. Er blickte Jenny an und schüttelte kurz den Kopf. "Das könnt ihr alle nicht verstehen." Er meinte damit seine Gefühle, seine Angst und sein Trauma, das durch den Tod und seine Hilflosigkeit gegenüber seiner Schwester ausgelöst wurde. Und was ihn jetzt zwang, nach Annie zu suchen. "Nein Kevin... das können wir alle nicht verstehen...", schien Jenny ihn zunächst zu bestätigen, aber nur um anzufügen: "... aber nur, weil du uns alle im Dunkeln lässt, was dich und deine Gefühle angeht." Kevin schluckte und ein beklemmendes Gefühl stieg in ihm auf.


    Das Geräusch des Reissverschlusses schnitt durch den Raum, als Kevin die Tasche zu zog. Er spürte die Hilflosigkeit, die von Jenny ausging, die eigene Hilflosigkeit und das Schweigen war schrecklich. Zu gern hätte er etwas gesagt, was Jenny beruhigte, was Jenny besänftigte... doch nichts fiel ihm ein, alles schien unpassend zu sein für diesen Moment. Auch Jenny fand nicht die Worte, die sie sich vorstellte oder die sie als hilfreich erachtete, denn in ihr hatte sich ein Chaos gebildet, aus dem es nur einen Ausweg gab. Doch dieser Ausweg schmerzte sie so sehr, dass sie sich am liebsten krümmend auf den Boden fallen lassen würde. Und so ließ sie ihren Worten freien Lauf und sagte, was sie dachte: "Ich weiß wirklich nicht, was ich machen soll."
    Es drückte genau das Gefühl aus, was die beiden gerade befiel. Doch der nächste Satz traf Kevin unvorbereitet, wie Semirs Schlag. "Ich weiß nicht, ob ich das so will." "Was meinst du damit?", fragte der Polizist. "Vor einem halben Jahr hatte ich gedacht, dass es schlimmer nicht geht... als ich deine Waffe in der Dusche gefunden habe und du mir von den Drogen erzählt hast. Ich hab gespürt dass du mir vertraust, dass du mir alles anvertraust und deswegen habe ich gewusst, dass wir das gemeinsam mit unserer Liebe überwinden können... alles überwinden können. Und dazu war ich bereit." Kevin spürte, wie sein Herzschlag beschleunigte. Er fühlte sich wie im freien Fall, und wartete nur auf den Aufschlag... und der Aufschlag waren Jennys Worte. "Aber ich spüre dieses Vertrauen nicht mehr."


    Es war nicht mehr weit bis zum Boden. Er kam ungebremst und ohne Sicherheitsseil oder weicher Unterlage. "Ich liebe dich, Kevin. Aber ich kann nicht mit dir zusammen sein, wenn ich ständig Angst haben muss, dass in deinem Kopf Dinge vorgehen, von denen ich nichts weiß oder ich immer Angst haben muss dass du in ein schwarzes Loch fällst, ohne es mir zu sagen." Damit spielte sie darauf an, dass es ihr wohl aufgefallen war, dass es ihm schlecht ging die letzten Tage, aber er immer wieder abwiegelte. Nicht die Gefahr des Absturzes Kevin ließ sie nun verzweifeln, sondern die Gefahr, davon nichts zu wissen, dass er keine Hilfe Jennys zuließ. Das machte die junge Frau fertig und sie fühlte, wie sie am Ende ihrer Kräfte war.
    Kevin war beinahe unfähig, sich zu bewegen als Jenny sich umdrehte und langsam das Schlafzimmer verließ. Am Türrahmen drehte sie sich nochmal um und sagte leise und mit schimmernden Augen: "Wenn du diese Reise tun musst, dann tu sie. Aber ich werde hier nicht auf dich warten..." Mit diesen Worten ließ sie den jungen Polizisten alleine und verschwand im Badezimmer, wo sie leise in Tränen ausbrach.


    Stunden später schrieb sie in ihr Tagebuch folgende Sätze mit ihrer Kater-Metapher: "Der Straßenkater, den ich aufgenommen hatte und versucht habe, zu pflegen und zu lieben, hat wohl heute beschlossen, wieder zum Straßenkater zu werden. Vorher aber hat er seinen Kratzbaum verwüstet, seine Spielkameraden verprügelt und mir einen Tatzenhieb ins Herz versetzt... ich bin unendlich traurig."

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen

    <3

    • Zitieren
  • Campino
    Kriminaloberkommissar
    Reaktionen
    563
    Beiträge
    2.180
    • 29. Dezember 2015 um 10:31
    • #31

    Innenstadt - 18:00 Uhr


    Der Tag war anstrengend, mit all seinen Vorkommnissen. Der Anschlag auf der Autobahn, der Unfall, der Schlag von Semir gegen Kevin... all das spukte Ben noch im Kopf, als er mit seinem Dienstwagen in die Innenstadt fuhr. Kevins Abgang kurz vor Feierabend tat sein Übriges, dessen Blick aus den kaltblauen Augen ließ ihn einen unangenehmen Schauer über den Rücken jagen. Die Fahrt jetzt in die Innenstadt, in Richtung der Wohnung von Carina Bachmann kam ihm deshalb fast wie eine Erleichterung vor, einerseits. Andererseits war ihm das Treffen mit der jungen hübschen Frau zwar sehr angenehm, doch die Präsenz ihrer kranken Mutter machte es schwer, völlig unbeschwert und fröhlich in so einen Abend zu gehen.
    Ben hätte Carina sehr gerne mal eingeladen... zum Essen, zum Tanzen, einfach mal um etwas anderes als die eigene Wohnung zu sehen, unter Leute zu kommen. Doch er wusste selbst, dass das für die junge Frau momentan beinahe unmöglich war, weil sie die Mutter keineswegs alleine lassen wollte. So steckte er diese eigenen Wünsche zurück und wollte das tun, wofür ihm Carina zuletzt so dankbar war... Anwesenheit. Ein Ohr leihen, dass Carina mal wieder Gespräche mit anderen Menschen führen konnte.


    Als Ben heute klingelte, dauerte etwas länger bis der Summer ertönte und die Haustür des Mehrfamilienhauses nachgab. Bereits im Erdgeschoss meinte der Polizist Stimmen zu vernehmen die immer lauter wurden, je weiter er nach oben zur Wohnung die Treppen hinaufstieg. Er klopfte an der Wohnungstür und konnte nun die Stimmen, die sich eher als Geschrei herausstellten, genau wahrnehmen. "Jetzt halt endlich still!" "Du dreckige Schlampe hast mir gar nichts zu sagen! Mich hier einsperren und ausnehmen wollen." Bens Herz klopfte bis zum Hals, und für einen Moment lang dachte er nach, was er tun sollte. Auf dem Absatz kehrtmachen und lieber nach Hause gehen, dieser unangenehmen Situation aus dem Weg gehen? Nein, das wäre nicht er...
    Als er ein lautes Klirren hörte, und dann Stille, wagte er es nicht nochmal anzuklopfen. Er drückte die Klinke der Tür nach unten, und wunderte sich darüber, dass diese nicht abgeschlossen war. Er dachte, bei einer Alzheimer-Patientinn wäre es gefährlich die Tür offen zu lassen, da er schon öfters, nicht nur im Beruf, gehört hatte, dass diese gern ausbüchsen auf dem Weg nach Hause, auf der Suche nach ihrem längst verstorbenen Mann oder aus irgendwelchen anderen wahnwitzigen Gründen das Weite suchte.


    Der Polizist betrat die Wohnung und sofort schlug ihm ein penetranter, abstoßender Geruch entgegen. Licht aus dem Badezimmer schien durch die offene Tür auf den Flur, in dem Carina weinend am Boden saß, die Hände vors Gesicht geschlagen, zitternd. Ben war mit einigen schnellen Schritten sofort bei ihr. "Hey... was ist denn los?", fragte er fürsorglich und fasste die junge Frau an der Schulter zart an. Er konnte das Zittern ihres Körpers spüren, und je näher er der Badezimmertür kam, desto stechender wurde der Geruch. "Ich... halte das ... nicht mehr durch...", schluchzte die junge Frau stockend und hatte sich vollends in einem Weinkrampf verfangen, aus dem sie erst mal keinen Ausweg mehr fand.
    Ein Blick ins Badezimmer verriet Ben dann auch das ganze Ausmaß der Situation. Auf dem Rand der Badewanne saß Carina Mutter Hermine, mit heruntergelassener Hose und Toilette so wie der Boden und der Rand der Wanne waren braun verschmiert. "Sie... lässt sich einfach nicht... nicht...", schluchzte die junge Frau und Ben biss sich auf die Lippen. Mit Situationen dieser Art hatte er überhaupt keine Erfahrung, zumindest was die Mutter anging. Mit weinenden Frauen konnte er da schon eher umgehen.


    "Hey... komm ganz ruhig. Sie hat es sicher nicht so gemeint, was sie gesagt hat, hmm?", sagte er leise zu Carina, deren Heulkrampf langsam abebbte. Nach einigen Minuten stand Hermine dann auf, zog sich die Hose hoch und ging einige Schritte bis auf den Flur. "Kind, was weinst du denn?", fragte sie dann mit ruhiger, fast schon verständlicher Stimme. Es schien, als hätte sie den Ausraster vorhin völlig vergessen, und Ben wunderte sich. Nicht über den plötzlichen Stimmungsumschwung bei Frau Bachmann sondern über Carinas Zusammenbruch. Sie musste solche Situationen doch gewöhnt sein, und wissen, wie man damit umgeht. "Komm schon, Carina. Ich helfe dir, das Bad sauber zu machen, und du hilfst deiner Mutter."
    Schweigsam und immer noch leise schluchzend stand Carina vom Boden auf, gab Ben Gummihandschuhe, Eimer und Putzzeug und der Polizist überwand seinen Ekel und begann die Spuren im Bad zu beseitigen. Carina tat das ebenso bei ihrer Mutter, die jetzt ruhig war und sich jegliche Säuberung gefallen ließ. Ben machte zusätzlich das kleine Fenster im Bad auf, damit etwas frische Luft einströmen konnte. Er war sich schon nach dem letzten Treffen klar geworden, dass er nun häufiger mit dem Schicksal der jungen Frau konfrontiert wurde, doch sofort mit so einer Extremsituation erschlagen zu werden, das hatte er nicht für möglich gehalten. Doch im Nachhinein war er etwas stolz auf sich.


    Eine Stunde später war der Spuk vergessen. Ben hatte für die beiden Frauen, und natürlich sich selbst, Pizza bestellt und eingeladen. Carina wollte es erst nicht annehmen, sie meinte, sie sei eigentlich zu Dank verpflichtet, doch Ben ließ nicht mit sich reden. Die Mutter war während des Essens sehr schweigsam, aß nur ein Viertel der Pizza und legte sich früh schlafen, was den beiden etwas Zeit alleine ermöglichte. "Mir ist das etwas peinlich, dass du das alles mit erleben musstest.", sagte die junge Frau, als sie das Geschirr abräumte und Ben die Pizzakartons handlich machte um sie ihm Papierkorb unter zu bringen. "Ach, das muss dir doch nicht peinlich sein. Ich weiß doch, dass deine Mutter dafür nichts kann." Nach einer kurzen Pause setzte er noch hinzu, was er eben auf dem Herzen hatte: "Es hatte mich nur gewundert... weil... also, ist das zum ersten Mal so extrem gewesen? Weil du so... aufgelöst warst?"
    Carina kam zurück zum Tisch und schüttelte den Kopf. "Nein, das kommt öfters vor. Aber manchmal... da habe ich nicht die Kraft und Energie, geduldig zu bleiben. Wenn es immer und immer wieder vorkommt. Du erklärst ihr ständig, dass sie einfach nichts tun soll, wenn es passiert... aber sie hört nicht, wird aggressiv, beschimpft mich. Manchmal macht mir das nichts aus, aber manchmal..." Ihre Stimme wurde leiser und Ben streichelte sanft ihren Arm. "Früher hat mir mein Bruder vieles abgenommen, wenn er zu Hause war...", sagte sie noch und ihre Augen füllten sich mit Tränen. "Es tut mir so leid...", war die ehrlich gemeinte Antwort von Ben.


    Ben wollte Carina noch nicht alleine lassen, und die junge Frau dankte es ihm. Die Frau, die er gestern noch als unheimlich stark empfand, wie sie ihren Alltag mit der kranken Mutter bewältigte, lernte er heute von einer anderen Seite kennen... einer schwachen, zerbrechlichen, doch nicht unerschütterbaren Frau. Eine Frau, die auch Schutz benötigte und einen Fels, zum Festhalten. Der Fels war mit dem Tod ihres Bruders weggebrochen, und Ben war sich nicht sicher, ob er selbst momentan stark genug war, Ersatz für Björn Bachmann zu sein. Als Carina ihren Kopf an seine Schulter lehnte, als sie beide auf der Couch saßen und langsam einschlief, hätte Ben diese Unsicherheit sofort verneint...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen

    <3

    • Zitieren
  • Campino
    Kriminaloberkommissar
    Reaktionen
    563
    Beiträge
    2.180
    • 30. Dezember 2015 um 09:27
    • #32

    Club - 22:30 Uhr


    Die düstere Atmosphäre des Clubs war immer noch die gleiche wie vor einigen Monaten - so lange war Kevin nicht mehr hier gewesen, so lange hatte er keinen Stoff mehr gebraucht. Früher, nach Janines Tod, war er hier Stammgast, sowohl an der Bar, als auch in den Hinterzimmern des Clubs, wo die Verkäufe stattfanden. Zuckowski, von allen hier nur "Zack" genannt, war damals sein Stammdealer, besorgte ihm auch später noch was, meist vergünstigt für gewisse Gegenleistungen, die Kevin damals als Polizist "erbringen" konnte. Um diese Uhrzeit war der Nachtclub noch sehr überschaubar gefüllt, auch wenn einige spärlich bekleidete Damen bereits aktiv waren, sowohl als Bedienung der Gäste, als auch auf den Tanzflächen.
    Kevin nahm den direkten Weg zur Theke wo er einen Whisky-Cola und "Brezeln" bestellte. Jeder normale Gast hier wusste, dass es in so einem Schuppen keine Brezeln gab. Wer trotzdem welche bestellte wusste das Codewort um Drogen zu kaufen. Der Barkeeper nickte, mixte Kevins alkoholisches Getränk und nahm, nachdem er den Polizisten bediente, kurz den Hörer in die Hand. "Kundschaft... ja, ich schick ihn rein." Der kahle, kantig gebaute Barkeeper, der auch in Personalunion den Türsteher geben könnte, nickte Kevin zu und zeigte mit den Fingern auf eine Tür neben der Bar, die der Polizist sowieso kannte.


    Würde Kevin der Drogenfahndung um Kommissar Bienert hier nur einen kleinen Tipp verraten, man würde hier auf einen Schlag mehrere Jahre Gefängniss einkassieren. Doch damit würde Kevin sich selbst die Quelle abschneiden, bei der er nicht sicher war, ob er sie jemals nochmal brauchte. Heute abend brauchte er sie, jedoch nicht um Drogen zu kaufen. Hinter der Tür wurde er erstmal durchsucht, um Schwierigkeiten zu vermeiden hatte er seinen Dienstausweis daheim aus dem Geldbeutel genommen, für den Fall dass Zack nicht da war. Doch als der aus einer der Türen in dem dämmrigen Flur sah, lachte er schon und winkte: "Spars dir, mein Freund. Der Kerl hat sicher nichts dabei.", lachte er und kam auf Kevin zu, der sofort in Ruhe gelassen wurde.
    Die beiden Männer schüttelten sich die Hände. "Kevin, mein Junge. Lange nicht gesehen." Zack war Mitte 50, ein Nachtclub-Besitzer vom alten Schlag. Er gab nichts auf Partys und Glitzer, er war zufrieden mit einer Havanna-Zigarre, gutem schottischen Whisky und seinem 76er Ford Mustang, der im Hinterhof parkte, und den er sich aus Drogengeschäften und seinem Nachtclub erwirtschaftet hat. Für ihn war ein Wort ein Wort, und ein Handschlag ein Handschlag. Bei allen Kriminellen mit denen Kevin zu tun hatte, war Zack neben Jerry der eheste, auf den er sich verlassen würde, wenn es hart auf hart kommen würde. "Stell die Plörre da weg...", sagte er mit einem Blick auf das Glas des Polizisten, denn dem Whisky-Liebhaber war Cola im Whisky ein Graus. "Ich hab hier drin was Feines."


    Zack schloß die Tür hinter sich und Kevin setzte sich auf die Sitzgruppe in der Ecke. Er beobachtete seinen kriminellen Freund dabei, wie er aus einer dunklen Flasche zwei Gläser Whisky pur ausschenkte und zum Tisch brachte. "Talisker, 35 Jahre. Den musst du probieren, mein Freund. Slanté" Mit schottischem Gruß stießen sie mit dem bitter-rauchig schmeckenden Getränk an. "Was führt dich zu mir?", fragte Zack obwohl er fest annahm, dass Kevin zu ihm kam, um Stoff zu kaufen, auch wenn er schon Monate nicht mehr hier war. "Ich möchte dich um einen Gefallen bitten." Zack grinste und seine weißen Zähne kamen zum Vorschein. Auch wenn er natürlich immer für seine Freunde da war, in erster Linie war Zack ein Geschäftsmann, und er half immer zuerst dort, wo für ihn Profit rausspringen konnte. Das wusste auch Kevin, weshalb er sofort anschließ: "Unentgeltlich."
    Das Grinsen verschwand: "Du gefällst mir. Unentgeltlich. Unentgeltlich höre ich dir zu, und umsonst bekommst du nen 700 Euro teuren Whisky. Die Antwort überlege ich mir dann." "Hast du noch deinen Kontakt nach Kolumbien?" Der Nachtclub-Besitzer zog die Stirn ein wenig in Falten. "Wieso fragst du? Brauchst du Insider-Tipps? Oder willst du selbst ins Geschäft einsteigen?" "Quatsch...", sagte Kevin und nahm einen Schluck aus dem Glas. "Ich brauch einen Reiseführer." Zacks Blick driftete noch ein wenig mehr ab in die absolute Verwirrtheit. "Einen Reiseführer?", wiederholte er. "Ich machs kurz: Eine Freundin von mir ist in Bogota verschollen, und ich will sie finden. Vielleicht hat sie etwas mit Drogen zu tun, und ich brauche jemand, der sich da hinten auskennt und mir hilft." Der Polizist vernahm ein Lachen, das ein wenig verächtlich klang. "Ich glaube, Juan hat Besseres zu tun, als für dich Kindermädchen zu spielen." "Hat er auch Besseres zu tun, als in ein paar Tagen ne Menge Geld zu verdienen?" Das Lachen verstummte wieder.


    "Na gut... ich versuch mein Glück." Er blickte auf die Uhr, in Bogota war es gerade 17 Uhr, später Nachmittag. "Ich würde dich nicht fragen, wenn es nicht wichtig wäre.", sagte der Polizist ernst und Zack nickte, während er auf seinem Handy eine Nummer wählte. "Juan, mi amigo. Que tal? Muy bien! Hör mal...", begann Zack erst auf Spanisch, dann auf Deutsch. Juan war als Kind von Kolumbien nach Deutschland gekommen, hier in Köln aufgewachsen und ist dann kriminell geworden. Er landete bei Zack, interessierte sich für Drogen und war nun schon 10 Jahre wieder in Bogota. "Ich hab hier nen guten Freund von mir sitzen, der nen... ich sag mal, etwas ausgefallenen Vorschlag hat. Er sucht nach einer Frau, die in Bogota sein soll, eventuell etwas mit Drogen, und er braucht dort Unterstützung." Ein schallendes Gelächter war die Antwort: "Was? Wie alt ist der Kerl? Weiß er, dass Bogota nicht Köln-Kalk ist, weiß er, was hier so abgeht?" Zack blickte mit einem Auge auf Kevin. "Das sagst du ihm vielleicht besser selbst." Dann reichte der Mann Kevin das Handy.
    "Hallo Juan, ich bin Kevin. Ich brauche deine Hilfe.", begann der Polizist und wurde sofort von der etwas schrill wirkenden Stimme, die sehr schnell aber ohne Akzent sprach, unterbrochen: "Hör mal, Kumpel. Hier ist kein Badeörtchen, wo du in Bermuda-Shorts an den Strand flanierst und nebenbei irgendwelche Mädels suchst. Hier will niemand freiwillig hin, ausser er arbeitet mit Drogen." "Genau deshalb brauche ich jemanden, der sich dort auskennt.", sagte Kevin bestimmt.


    "Was hast du vor?" "Ich suche eine Frau. Sie ist von hier abgehauen, und ich vermute, dass sie sich nach Bogota in Drogen geflüchtet ist. Ich will sie zurückholen." "Gib mir ne Beschreibung von ihr, und ich höre mich um. Das wars aber auch schon, hier selbst rumzuschnüffeln ist viel zu heikel. Vor allem für jemand, der sich hier nicht auskennt." Kevin schüttelte den Kopf, was der gebürtige Kolumbianer natürlich nicht sehen konnte: "Vergiss es. Aber okay, es gibt bestimmt genügend andere Jungs bei dir, die sich in ein paar Tagen 50 000 Euro verdienen wollen, und ein bisschen Spanisch werde ich auch noch hinkriegen. Adios." Der Polizist machte keine Anstalten aufzulegen, er wartete auf Protest, der auch sofort kam. "Warte warte, tranquillo." Die Summe schien Juans Neugier geweckt zu haben. Was ging es ihn an, wenn sie einem deutschen Touristen den Kopf abschnitten. Er würde ihm zeigen, was er suchte, und das wars. "Du weißt nicht, auf was du dich einlässt. Hier tobt gerade ein gottverdammter Krieg im Drogen- und Prostituiertengeschäft. Da kommt es nicht gut, wenn ein unbekannter, deutscher Typ herumschnüffelt." "Warum Prostituiertengeschäft?" Juan lachte kurz auf. "Du bist lustig, Kumpel. Das läuft hier genauso wie in Deutschland. Was meinst du, was die Dealer hier mit Frauen machen?" Kevin schluckte, als Juan fortfuhr. "Entweder, sie verdienen an ihnen, in dem sie ihnen Drogen verkaufen, so lange sie Geld haben. Oder sie verdienen anders an ihnen." So sehr Juan versuchte Kevin am Kragen von der Reise nach Kolumbien fernzuhalten, so sehr hatte er ihn mit dieser Aussage wieder zur Reise geschubst.


    "Der Unterschied zu Deutschland ist: Wenn du dich hier einmischst und deine Nase in Angelegenheiten steckst, die dich nichts angehen, wird dir nicht die Nase gebrochen, sondern du wirst an einer Tankstelle aufgehängt. Überleg es dir gut." Zacks Blick ruhte auf Kevin, dessen Herz gegen den Brustkorb schlug. Es war keine Angst, die er spürte, und wenn dann war es Angst, die er um Annie hatte. Vor seinem inneren Auge tauchte plötzlich Jenny auf, wie sie schlief in ihrem gemeinsamen Bett, und wie Kevin ihr eine Strähne aus dem Gesicht wischte um seine Freundin zärtlich zu küssen. Natürlich wusste er, dass ein Trip in die Drogenhölle von Kolumbien nicht ungefährlich sei, doch Juan zeigte ihm gerade schonungslos auf, dass die Befürchtung nicht nur eine Befürchtung sondern harte Realität sei. "Für 50 000 zeig ich dir die wichtigsten Ecken und bringe dich mit Leuten in Verbindung, denen ich vertraue. Aber ich kann dir nicht garantieren, dass dir das hilft. Und ich kann dir keinen Schutz garantieren... wenn etwas passiert, bist du auf dich allein gestellt? Comprende?", holte Juans Stimme den Polizisten in die Wirklichkeit zurück. Zack konnte Juans schnelle Stimme am Telefon mithören und schüttelte fast schon bedrohlich den Kopf, als wolle er Kevin vor einer großen Dummheit bewahren und der Polizist sah dem Nachtclub-Besitzer in die Augen. Für einen Moment dachte der, Kevin würde einen Rückzieher machen, als der kurz am Telefon verharrte, dann aber zu Juan sagte: "Ich komme morgen mit der Maschine aus Frankfurt. Müsste so gegen 8 Uhr abends sein." Scheinbar hatte auch Juan gehofft, der Typ am anderen Ende der Leitung würde letztlich verneinen. Er hatte zwar nichts gegen 50 000 Euro, jedoch hatte er weniger Lust den Reiseführer zu spielen. Doch der Geschäftssinn siegte: "Okay. Bezahlung im Voraus. Es nützt mir nichts, die Arbeit zu machen, und wenn du nachher tot bist, habe ich kein Geld. Adios." Der Kolumbianer unterbrach die Leitung und Kevin nahm einen weiteren Schluck Whisky...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen

    <3

    • Zitieren
  • Campino
    Kriminaloberkommissar
    Reaktionen
    563
    Beiträge
    2.180
    • 5. Januar 2016 um 04:22
    • #33

    Köln - 23:45 Uhr


    Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch hatte Kevin sich von Zack verabschiedet. Den Griff der Sporttasche fest in der Hand, die er mitgenommen hatte, schmerzte schon nach wenigen Metern, sie brannte sich quasi in seine Haut der Innenhand, bis er sie im Kofferraum seines Dienstwagens schließlich losliess. Inhalt der Tasche waren 50 000 Euro, die er sich von Zack gerade geliehen hatte... zu "absolut freundschaftlichen Zinsen.", wie der Nachtclubbesitzer, der zwar zweimal durchatmen musste, als Kevin ihm die Bitte stellte, aber dann dennoch zum Tresor ging und die Tasche vollmachte, versicherte. Kevin war klar, dass er dieses Geld am ehesten mit Informationen über bevorstehende Razzien in dieser Gegend abbezahlen würde, statt mit Euro-Scheinen.
    Weil er um Jennys Neugier mittlerweile wusste, fuhr er zum Kölner Hauptbahnhof und schloß die Tasche dort in eines der Schließfächer ein, während ihm kalter unbarmherziger Wind um die Ohren fegte. Hier war um diese Zeit wenig Betrieb, ein Penner fror auf einer Bank am Bahngleis und zwei junge Männer gingen rauchend aus dem Hauptgebäude heraus. Der Polizist steckte den Schlüssel ein und würde das Geld morgens, an dem Tag an dem er wegflog, noch holen gehen. Vermutlich kam dieser Tag schon morgen, wenn die Maschine nach Kolumbien noch einen Platz frei hatte.


    Als er aus dem Gebäude des Bahnhofes wieder an sein Auto trat, hinterließ die Zigarette im Mund durch die Eiseskälte mehr Dampf als normal. Mit zitternden Fingern nahm er den Glimmstengel, der bis kurz vor den Lippen abgebrannt war und schnippte ihn in den Schnee, bevor er einstieg. Die Hände aufs Lenkrad gelegt und den Kopf gegen die Nackenstütze angelehnt, wusste er für einen Moment nicht, was er jetzt tun sollte. Wie ein Schiff auf offener See, verloren und ohne Kompass fühlte er sich. Er wollte sich einfach treiben lassen und schauen, wo er rauskam, ob es ihn nun zu irgendeiner Pension trieb, zur alten Lagerhalle bei die Punks um dort zu übernachten, oder doch nach Hause zu Jenny ins Bett, die ihm offen das Ende ihrer Beziehung angedroht hatte, und wo er gerade gar nicht das Gefühl hatte, "nach Hause" zu kommen. Leider war er nicht auf dem Meer, er saß in einem Auto und ohne sein aktives Zutun würde er nirgends ankommen.
    Die Aussicht auf eine ruhige Nacht trieb ihn letztendlich doch in Jennys Wohnung. Es war bereits nach Mitternacht, als er seine Kleidung auszog und Jennys leises Atmen vom Bett her hörte. Für einen Moment hatte er das Bedürfnis, um schnell einzuschlafen, an den "verbotenen" Schrank zu gehen. In diesem Schrank stand ein einziges Döschen seiner Pillen. Es war, nachdem Jenny von seinem Drogenproblem, das nach dem Tod eines jungen Mädchen vor einem halben Jahr nochmal akut wurde, erfahren hatte ein stilles Abkommen zwischen den beiden. Kevin bekam Panik, wenn er wusste, dass er in einem Anfall von Turkey, einer Entzugserscheinung, nichts im Haus hatte. Er war überzeugt davon, dass er diesen Zustand eher kontrollieren konnte, mit dem Wissen, dass etwas da war. Jedoch hatte er Jenny versprochen, die Drogen nicht anzurühren, ausser er wäre in einer Extremsituation. In dieser war er jetzt nicht... er hatte nur Angst, nicht schlafen zu können.


    Er verwarf den Gedanken wieder, als er die Decke über sich zog. Der Schnee hatte aufgehört vom Himmel zu fallen und die Wolkendecke ließ den Mond durchs Fenster ins Zimmer hineinsehen. Er tauchte den Raum in ein dunkelblaues Licht mit unheimlich wirkenden Schemen und hellen Flecken. Ein solcher Fleck fiel auf Jennys Körper, ihre rechte Schulter, die ein wenig aus der Decke herausschaute, ihre Wange und ihre Haare. Sie lag mit dem Rücken zu Kevin, der nun dicht an sie herangerückt war, den Kopf auf die Hand, den Ellbogen aufs Kissen gestützt und dabei Jenny betrachtete. Mit einem Finger strich er sanft, so dass es Jenny im Schlaf nicht merkte, über ihren Oberarm von der Decke aus, über die Schulter zum Hals und ihre Wange. Er meinte sogar, getrocknete Tränenspuren dort zu erkennen. Jenny hatte geweint nachdem sie bemerkte, dass ihr Freund an diesem Abend nicht nach Hause kam, nach der Diskussion vorher.
    In diesem Moment hätte Kevin am liebsten alles vergessen. Mal wieder. Er hätte Juan angerufen und sich für seine Hilfe bedankt, aber das wird wohl doch nichts. Zack häte er sofort die 50 000 Euro zurückgebracht, danach Ole geschrieben, dass er ihm den Buckel runterrutschen könne. Bei Jenny hätte er sich am nächsten Morgen beim Frühstück entschuldigt, bei Semir spätestens auf der Dienststelle. Aber er tat es nicht. Morgen würde in seinem Innersten wieder Annie nach ihm rufen, und Janine würde ihn einen Mörder nennen. Morgen wäre der Dämon wieder da...


    Semirs Haus - 03:00 Uhr


    Andrea erwachte, weil sie durstig war. Sie griff neben ihr Bett, wo sie immer eine Flasche Mineralwasser stehen hatte, doch sie griff ins Leere. Verdammt... gestern Morgen war sie leer, und sie hatte keine Neue mit nach oben genommen. Sie überlegte für einen Moment und fühlte sich so schläfrig, dass sie wohl auch ohne Wasser wieder einschlafen würde. Gerade wollte sie sich zu Semir drehen und eine Hand nach ihm ausstrecken, als sie bemerkte, dass das Bett neben ihr leer war. Die Müdigkeit, die Schläftigkeit war wie weggeblasen, und sie fuhr aus ihrem Bett auf. Auch wenn ihr Mann in den letzten Tagen wieder sehr gefestigt erschien, und wieder gearbeitet hatte, gingen ihr sofort schlimme Gedanken durch den Kopf. Vor allem nach den heutigen Vorkommnissen mit Kevin.
    Sie knipste die Nachttischlampe an, und nun wurde das Fühlen zur Gewissheit. Semirs Seite des Bettes war leer. Andrea schlug die eigene Decke weg und tapste barfuß bis zur Tür zum Flur. Schon im Flur konnte sie vom Treppenaufgang her Licht schimmern sehen, das bei offener Tür aus dem Wohnzimmer schien. Andrea wusste nicht, ob das nun ein gutes oder schlechtes Zeichen war, und ihr Atem wurde schneller. Treppenstufe für Treppenstufe ging die Frau herunter und ihr kam die Treppe heute höher und länger vor als sonst. Sie dachte nicht an etwas Gefährliches, sah keine Veranlassung, ihr Pfefferspray aus der Schublade mitzunehmen, das Semir ihr mal besorgt hatte... sie machte sich plötzlich unglaubliche Sorgen um Semir.


    Mit pochenden Herzen sah sie nun, dass wirklich das Licht im Wohnzimmer brannte, und der Stein, der ihr vom Herzen fiel, hätte Panzerglas sprengen können. Ihr Blick ins Wohnzimmer erfasste sofort Semir, der im Schlafanzug am der Couch saß, ein halb volles Glas Wasser vor sich auf dem Wohnzimmertisch stehen und den Fernseher laufen, in niedrigster Lautstärke, so dass sie es vom Flur aus nicht hören konnte. Es lief irgendeine Nacht-Dokumentation auf einem Info-Kanal, und Andrea war sich ob des Gesichtsausdruckes nicht sicher, ob Semir wirklich aufmerksam zuhörte, oder ob er ganz woanders war. Stumm, ohne ein Wort, setzte sie sich zu ihrem Mann aufs Sofa und legte den Kopf an seine Schulter. Semir hatte Andrea natürlich längst bemerkt und legte seinerseits, ebenfalls stumm, den rechten Arm um ihren Oberkörper.
    "Konntest du nicht schlafen?", fragte sie dann nach einigen Minuten des gegenseitigen Schweigens und ihr Mann schüttelte nur den Kopf. "Kevin?", fragte sie eher rhetorisch nach dem Grund seiner Schlaflosigkeit, und Semir brauchte eigentlich gar nicht bejahen. "Ich habe noch nie einen Menschen gekannt, der so... so undurchschaubar war.", sagte Semir ohne den Blick von der Dokumentation über Erdmännchen zu nehmen. "Ich hatte immer gedacht, dass ich Menschen wegen meines Berufes gut einschätzen kann. Vor allem, wenn ich sie eine Zeitlang kenne. Kevin kenne ich jetzt schon über ein Jahr, und trotzdem tut er, wenn ich von etwas ausgehe, das er tut, genau das Gegenteil." Er seufzte, es schien ihn fertig zu machen, denn er mochte Kevin. Er mochte ihn sehr, denn er wusste, dass Kevin ein gutes Herz hatte, aber gerade jetzt hatte der junge Polizist sich entschieden, sein gutes Herz für Annie, und damit gegen Semir zu verwenden.


    Andrea hatte für Kevins Entscheidung kein Verständnis gezeigt, aber sie fühlte, dass es jetzt keinen Sinn machte, ihre Entrüstung nochmal zu zeigen. Sie spürte ganz genau wie sehr es Semir mitnahm, nicht mehr unbedingt ärgerte sondern traurig machte, wie der junge Polizist handelte. "Ich glaube ja zu wissen, was in ihm vorgeht. Warum er handelt, wie er handelt. Aber ich kann es nicht verstehen. Ich kann einfach nicht verstehen, wie er sich dazu getrieben fühlt einem Menschen zu helfen, die ihn wegen allem, für was er steht und kämpft, verstoßen hat. Fallen gelassen hat. Und warum er die Menschen, Ben, mich und auch dich, vor den Kopf stößt, die ihn eben nicht verstoßen und fallen gelassen haben. Die ihn aufgerichtet haben, als er im Dreck lag und die ihn festgehalten haben, als er gerade wieder zu fallen drohte." Semirs Stimme wurde immer deutlicher und etwas lauter, je mehr er redete. "Und vor allem Jenny...", fügte Andrea noch hinzu. "Ja...", sagte ihr Mann wieder etwas leiser. "Jenny natürlich auch. Gott..." Über die junge Kollegin hatte sich der erfahrene Polizist bisher am wenigsten Gedanken gemacht. Wie musste sie sich fühlen, denn wenn er es richtig mitbekommen hatte, hatte sie von Kevins Plan überhaupt nichts gewusst.
    Semir seufzte und sah jetzt seine Frau erst das erste Mal an, seit sie ins Wohnzimmer gekommen war. "Ich mag Kevin wirklich. Aber ich weiß nicht, ob ich jemals nochmal mit ihm arbeiten kann." Andrea hielt die Luft an und erwiderte nichts darauf. Sie wusste nur, dass sich Semir bisher mit jedem noch so widerspenstigen Kollegen arrangiert hatte. Dass er sowas sagte musste bedeuten, dass ihm Kevins Verhalten emotional wirklich sehr tief in der Seele steckte...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen

    <3

    • Zitieren
  • Campino
    Kriminaloberkommissar
    Reaktionen
    563
    Beiträge
    2.180
    • 7. Januar 2016 um 10:34
    • #34

    Dienststelle - 8:00 Uhr


    Jenny hatte sich am Abend davor in den Schlaf geweint, als er ihr klar wurde, dass alles zu zerbrechen drohte. Sie hatte in Kevin einen Halt gefunden, einen Mann den sie liebte, der sie faszinierte und an dem sie sich in der Krise festhalten konnte. Doch jetzt verursachte er diese Krise, in der sie sich befand. Damals, nach der Vergewaltigung, war er für sie da, bis er ins Gefängnis musste. Danach war sie für ihn da, als er wieder zu den Drogen griff. Sie hatte das Gefühl, dass sie sich gegenseitig brauchten, gegenseitig stützten auch wenn ihr klar war, dass eine Beziehung mit dem schweigsamen Polizisten viel Geduld, auch viel Kraft brauchen würde. Doch sie hatte sich darauf eingelassen, hörte auf ihr Gefühl und ihren Bauch, und den ersten Sturm hatten sie auch mit Bravour überstanden.
    Doch jetzt spürte sie, dass es zu zerbrechen drohte. Das kleine Glück, dass sie sich mit Geduld mühsam aufgebaut hatte, den Straßenkater den sie mit viel Liebe zu zähmen versucht hatte. Scheinbar war sie gescheitert. Die gepackte Tasche war das letzte Indiz für sie, dass er sich endgültig entschieden hatte, und das schlimmste für sie: Er hatte nicht mit ihr geredet. Er hätte sie vor vollendete Tatsachen gestellt, wahrscheinlich zwei Stunden vor dem Flug. Denn dass er wortlos, nur mit einer Notiz auf dem Küchentisch, abgereist wäre, das traute sie Kevin doch nicht zu. Aber es war ein großer Vertrauensbruch, nicht zu vergleichen mit Jennys Neugier, als sie in Kevins privaten Karton rumgeschnüffelt hatte.


    Als ihr Handy sie mit einem Alarmsignal weckte, fühlte sie sich schlecht. Ihr war übel, als sie langsam aus dem Bett kroch und den schlafenden Kevin aus dem Augenwinkel sah. Scheinbar war er nachts doch nach Hause gekommen, sie hatte davon nichts gemerkt und wusste jetzt nicht, wie sie reagieren sollte. Ihn aufwecken, nochmal versuchen mit ihm zu reden? Ihn schlafen lassen und, wie es Normalität ist, ihm einen sanften Kuss auf die Stirn zu geben, bevor sie das Haus verließ? Sie wurde traurig, wenn sie sich nur vorstellte, dass er demnächst nicht mehr da liegen würde. Nicht nur für die Zeit, in der er sich in Kolumbien befand, sondern auch danach, denn Jenny hatte ihm quasi angedroht, dass die Beziehung zerbrechen würde, wenn er die Reise wirklich unternahm. Obwohl sie nicht wusste, wie es weitergehen würde, wenn sie ihm nicht mehr vertraute, bereute sie ihre Aussage von gestern.
    Das Wasser im Gesicht half nur geringfügig, das Frühstück ließ sie ausfallen und verließ das Haus in Richtung Dienststelle. Weder die eine Möglichkeit der Konversation, noch die andere Möglichkeit des stillen Abschieds hatte sie letztendlich wahrgenommen, als sie in ihrem Kleinwagen auf die Autobahn fuhr und pünktlich in der Dienststelle ankam. Unterwegs nahm ihre Übelkeit immer weiter zu, das sie zu Beginn der Fahrt noch auf Hunger und fehlendes Frühstück schob, am Ende der Fahrt dann aber bereits aus handfester Brechreiz war.


    Noch bevor sie ins Großraumbüro kam, bog Jenny zur Damentoilette ab um sich dort in einer Kabine zu übergeben. Seit wenigen Tagen hatte sie immer wieder morgens Übelkeit, manchmal mit Erbrechen. Sie war zu Hause geblieben, doch ihr ging es bereits am Mittag wieder gut, dass sie etwas essen konnte und nichts mehr spürte. Deswegen versuchte sie die Übelkeit am Morgen zu überstehen und erst ab 11:00 Uhr auf Streife zu fahren und bis dahin wurde sie von Hotte zum Bürodienst eingeteilt. Heute aber konnte sie es nicht bei sich behalten und lehnte, eine Hand an die Wand gestützt, über der Toilettenschüssel und trank danach, um den ekligen Geschmack aus dem Mund zu bekommen, ein wenig Wasser aus dem Wasserhahn.
    Andrea kam zur Tür herein und sah Jenny am Waschbecken etwas gestützt stehen, das Gesicht blass aus dem Wasserhahn trinkend. "Guten Morgen, Jenny... alles okay bei dir?", fragte sie besorgt. Andrea hatte sich sehr um Jenny nach ihrer Vergewaltigung im Sommer gekümmert, mit ihr zum Arzt gefahren und hatte seitdem ein viel engeres Verhältnis zu der jungen Frau, die jetzt nur wenig überzeugend nickte. "Mir ist in letzter Zeit morgens immer etwas schlecht.", wiegelte sie ab.


    Andrea lächelte etwas und legte ihre Hand auf Jennys Schulter. "Vielleicht bist du schwanger." Eigentlich sollte der Satz scherzhaft klingen, denn auch wenn Andrea wusste, dass Jenny und Kevin zusammen waren, wusste sie genauso, dass beide nicht geplant hatten, ein Kind zu bekommen. Doch Jennys erstarrter Gesichtsausdruck bemerkte die zweifache Mutter sofort, und ihr Lächeln verschwand auch. "Das sollte eigentlich ein Scherz sein... wie lange hast du die Beschwerden denn schon?" "Ein... paar Tage jetzt...", sagte die junge Frau ein wenig unsicher. An die Möglichkeit einer Schwangerschaft hatte sie überhaupt nicht gedacht, zu groß war in den letzten Tagen der Streß und sie schon die ständige Übelkeit auf die Ereignisse der letzten Tage.
    "Nimmst du die Pille?" Jenny nickte, doch die Pille erachtete sie nicht als 100prozentigen Schutz. "Und... verhütet ihr... sonst irgendwie?" Andrea wusste, dass das eine sehr persönliche Frage war, aber die beiden Frauen waren sich in den letzten Monaten so sehr näher gekommen, freundschaftlich, dass sie auch schon mal über solche Dinge gesprochen hatten. "Ja... also... meistens.", stotterte Jenny etwas unsicher und schüttelte danach sofort den Kopf. "Eigentlich ja. Wir haben immer aufgepasst dass nichts passiert." Andrea lächelte nun wieder etwas verständnisvoller, beinahe mütterlich. Sie hielt Jenny natürlich nicht für einen unreifen Teenie, der vom Thema Verhütung keinen Plan hatte und denken würde "Wird schon nichts passieren." Nein, so war Jenny nicht, aber es konnte eben auch etwas passieren, mit Pille und mit Vorsicht.


    "Naja, jetzt mach dir mal nicht soviele Gedanken. Geh doch einfach heute mittag bei deinen Arzt, und dann weißt du Bescheid.", meinte Semirs Ehefrau, die beinahe etwas froh war über die Ablenkung, die Möglichkeit eine starke Freundin an Jennys Seite zu sein. "Es gibt doch diese Tester.", meinte Jenny, aber Andrea schüttelte den Kopf. "Ja, aber ich halte von denen nichts. Bei Lilly hatten die mir ein falsches Ergebnis angezeigt. Der Arzt sagt dir zu hundert Prozent, was Sache ist." Die junge Frau fasste sich mit der Hand an die Stirn. "Oh Gott..." "Wäre es denn so schlimm? Okay, ihr seid jetzt noch nicht so lange zusammen, aber..." Jenny unterbrach ihre Freundin: "Es wäre eine Katastrophe..."
    Die Polizistin seufzte und sah ihre Kollegin an: "Ich hab Kevin gestern gesagt, dass wenn er nach Kolumbien fliegen würde, dass ich dann... vielleicht nicht auf ihn warten werde." Andrea verstand diese Formulierung sofort und biss sich auf die Lippe. "Wie hat er darauf reagiert?" "Gar nicht...", sagte Jenny traurig, denn danach war sie ins Badezimmer gegangen. "Ausserdem weiß ich nicht... ob ich für ein Kind schon soweit bin. Und bei Kevin kann ich es mir gar nicht vorstellen." Sie war der Meinung, dass Kevin gar nicht der Typ für ein Kind war... zumindest nicht, so lange er noch so anfällig für psychische Schwankungen war, und da musste Andrea ihr dann doch zustimmen. "Vielleicht würde die Nachricht, dass er Vater wird, umstimmen, was die Reise angeht.", meinte Andrea vorsichtig und Jenny sah wieder in den Spiegel. Auf einmal bildete sie sich ein, dicker zu wirken. "Ich weiß nicht..."


    Später saß Jenny nachdenklich an ihrem Schreibtisch und starrte in den Monitor. Ein Kind... es würde alles durcheinander werfen. Alles... ihr Leben, die Beziehung zu Kevin, die es vielleicht nicht mehr lange gab. War sie bereit für ein Kind? Sie als Mutter... Kevin als Vater? Sie konnte sich den schweigsamen Mann einfach nicht vorstellen, wie er mit einem Kind im Arm lachend da stand, wie er am Tisch saß und mit einem kleinen Jungen Hausaufgaben machte... das war völlig utopisch für sie. In Gedanken verloren strich sie sich mit beiden Händen über ihren Bauch, als würde sie das Kind streicheln, das darin lag und sah herab, bis Hottes Stimme sie aus den Gedanken riss: "Hast du Hunger?", fragte der dicke Polizist lachend, denn es sah tatsächlich so aus, als streiche Jenny sich vor Hunger über den Bauch. Sie lächelte etwas gezwungen zu Hotte, und verneinte seine Frage, nahm dabei wieder beide Hände auf den Tisch...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen

    <3

    • Zitieren
  • Campino
    Kriminaloberkommissar
    Reaktionen
    563
    Beiträge
    2.180
    • 8. Januar 2016 um 12:10
    • #35

    Dienststelle - 8:30 Uhr


    Irgendwann werden sie wohl hier umräumen müssen, um in dem kleineren Büro zu dritt Platz zu haben. In den letzten Wochen, seit Kevin fester Bestandteil des Teams war, war es immer so dass einer der beiden Kommissare ausgefallen war, und deshalb man immer zu zweit da saß. So auch jetzt. Semir saß am Schreibtisch und war damit beschäftigt, Anzeigen und Strafzettel in das IT-System einzutragen, sein Dienst für heute. Ben saß gegenüber und warf einen, etwas besorgten Blick auf Jenny, die mit besorgter Miene zusammen mit Andrea gerade ins Großraumbüro kam. Scheinbar nahm sie die Sache mit Kevin ziemlich mit und es war wohl wirklich so, dass sie gestern auch eher zufällig von seiner geplanten Reise nach Kolumbien erfahren hatte.
    Anna Engelhardt, die Chefin der Dienststelle, kam gerade mit schnellen Schritten aus ihrem eigenen Büro und warf einen Blick auf Hotte und Jenny. "Bonrath liegt mit Grippe im Bett. Jenny, sie fahren bitte mit Herzberger Streife heute." Andrea bekam den Satz mit und spürte sofort den etwas hilflosen Blick von Jenny. Sie wollte sich gern später eine Stunde absetzen, um zum Arzt zu fahren, was aber nicht ging, wenn sie auf Streife musste. "Was ist denn mit Semir? Kann der nicht auf... Streife?", fragte Andrea vorsichtig, denn eigentlich mischte sie sich nicht in den Dienstplan der Kollegen ein. Aber die Chefin hatte es zu eilig um in das Büro ihrer besten Männer zu kommen, so dass sie sich über die Anfrage ihrer Sekretärin keine Gedanken machte. "Den brauche ich für etwas anderes.", war nur ihre kurze Antwort.


    Was das war erfuhr Semir nur wenige Sekunden später, als die Chefin ins Büro der beiden Autobahnpolizisten ohne Anklopfen hereinschneite... was im wahrsten Sinne des Wortes war, wenn man einen Blick nach draussen warf und überlegen musste, ob man sich wirklich in Köln, oder vielleicht doch in Österreich befand. Sie schloß die Tür hinter sich. "Guten Morgen, meine Herren.", begrüßte sie die beiden Beamten, die ebenfalls einen guten Morgen wünschten. "Da Herr Peters jetzt zwei Wochen vermutlich ausfällt...", begann sie und konnte den kurzen Blick, den sich Semir und Ben bei dem Wort "ausfällt" zu warfen nicht so recht deuten "... und Ben nicht alleine in dem Mordfall ermitteln soll... und ausserdem Bonrath jetzt noch ausfällt..." die Chefin unterbrach kurz und sah Semir mit bereits kritischem Blick an, der diesen Blick erwiederte. "Ja?"
    "Semir, sie bringen mich in Teufels Küche. Kann ich ihnen vertrauen? Wirklich, mit allem was sie haben?", sagte die Chefin beinahe flehentlich, und faltete sogar die Hände. "Keine Ausraster, keine Alleingänge, nicht mal ein verschrotteter Dienstwagen. Wir bekommen Druck vom Polizeipräsidenten, weil sich in dem Mordfall nichts tut, ausser einem Anschlag auf meine Beamten." Semir grinste und auch Bens Laune besserte sich sofort. Die Ansprache war klar, Semir sollte mit Ben ermitteln und nicht mehr im Büro versauern. "Ich verspreche es ihnen, Chefin. Es geht mir wirklich viel besser als vor einigen Wochen." "Ich passe auf den Kleinen auf.", meinte Ben noch wagemutig und auch die Chefin musste lachen. "Wenn sie es versauen, dann beschleunigen sie meinen Ruhestand. Darüber wäre ich nicht sehr froh."


    Nachdem die Chefin das Büro verlassen hatte, warf Ben seinem Partner einen, noch spärlich gefühllten Aktenordner zu, damit er sich informieren konnte. Berichte zur Leiche, Berichte zum Tatort, erste Zeugenbefragung bei Carina Bachmann und den Kollegen des Toten waren darin aufgezeichnet. Der erfahrene Ermittler brauchte nur eine halbe Stunde um alles durch zu lesen und zu verinnerlichen, sich ein paar Zusammenhänge zu bilden und er fühlte sich endlich wieder komplett in seinem Element. Vergessen waren die Neo-Nazis, vergessen war das Pflaster an seinem Hals und der morgige Termin bei einer Art "Schönheitsklinik", wo er sich erkundigen wollte, was man gegen diese unschöne Narbe tun konnte. Vergessen war auch Kevin, sein Verrat und Semirs Groll auf ihn. Sollte er doch machen, was er wollte.
    Ben dagegen war mit seinen Gedanken, während er mit einem Tennisball auf einen kleinen Basketballkorb, der an der seitlichen Wand hing, warf bei Carina Bachmann. Er hatte sich gestern abend noch im Internet ein wenig schlau gemacht, Erfahrungen gelesen von Menschen, die demenzkranke Verwandte zu Hause pflegten. Wie musste man da reagieren, welche Dinge beachten, wie konnte man als Aussenstehender helfen, und wie kann man Betroffene unterstützen. Er hatte auch oft gelesen, dass sich die Leute Hilfe ins Haus geholt haben... private Pfleger, die stundenweise den Betroffenen unter die Arme griffen, so dass die auch mal in Ruhe shoppen gehen konnten, abends ausgehen konnten und sich einfach mal für ein paar Stunden aus der Verpflichtung lösen könnten. Ben wollte Carina das vorschlagen, doch er hatte Bedenken. Würde sie ihre Mutter einem Fremden anvertrauen? Würde Carina das vielleicht in den falschen Hals bekommen, dass Ben die Frau für sich vereinnahmen wollte, dass dies sein primäres Ziel war, statt der Mutter zu helfen? Weder noch, dachte der Polizist. Er wollte vor allem Carina helfen...


    "Wer wusste denn alles, dass ihr das Treffen mit dem niederländischen Kollegen habt?", fragte Semir irgendwann, nachdem er die Lektüre beendet hatte. Ben hatte sich bis jetzt darüber und auf den Anschlag bezogen noch keinen Kopf gemacht. "Ich meine, der Attentäter läuft ja nicht den ganzen Tag auf der Brücke rum, und wartete bis ihr zufällig vorbeifahrt." "Und wenn es einfach ein Verrückter war, der auf Autos geballert hat?", meinte Ben und drehte den Tennisball artistisch in der Handfläche. "Ausgerechnet an dem Tag, an dem ihr in dem Fall ermittelt? Das wäre des Zufalls zuviel, glaub ich.", meinte sein Partner und Ben spürte beinahe ein nostalgisches Gefühl in sich aufsteigen. Es erschien ihm Jahre her, dass er mit Semir zusammen einfach nur seiner Arbeit nachgegangen war.
    "Eigentlich wusste das, ausser Kevin und mir, und eben dem Kollegen... ähm...", Ben blätterte in seinen Notizzetteln nach dem Namen "... Huub Bakker. Wem der es noch erzählt hat, weiß ich natürlich nicht." Semir strich sich mit dem Finger über die Lippen. "Was auch immer in diesem Sportgeschäft und der Versicherung da läuft... oder gelaufen ist. Vielleicht hängen da auch niederländische Kollegen mit drin.", überlegte er laut. Die undichte Stelle auf dem Kommunikationsweg war für Semir ein erster Anhaltspunkt.


    Ben sah auf einmal etwas starr an Semir vorbei. Plötzlich arbeitete sein Gehirn, plötzlich lief es ihm heiß und kalt den Rücken herunter. Hatte er vorgestern nicht Carina etwas erzählt? Nein.... doch? Er hatte sie nach dem Sportgeschäft in Holland gefragt, das wusste er noch. Hatte er gesagt, dass sie dort hinfuhren? Vielleicht später, als sie spazieren gingen? Er schüttelte den Kopf. Nein, das war zu absurd. Was sollte Carina mit dem Mord zu tun haben? An ihrem eigenen Bruder? Dafür war auch ihre Reaktion auf die Todesnachricht zu authentisch... oder perfekt geschauspielert. "Ist alles klar?", fragte Semir, denn er bemerkte Bens Gestik. "Ich hatte gerade nur etwas überlegt." "Lass mich teilhaben."
    Der Polizist mit der Wuschelfrisur blickte auf, und hatte sofort einen alternativen Gedanken zur Hand: "Vielleicht auch Bakker selbst. Vielleicht hat er uns deshalb zum Gespräch gelockt. Er wusste dann auch, wann wir wo ungefähr waren." Semir nickte: "Auch möglich. Vielleicht wäre es gut, wenn wir Herr Bakker einfach hierher einladen." Ben griff zum Telefon und wählte die holländische Vorwahl, während draussen Hotte und Jenny zu einem Unfall gerufen wurden.

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen

    <3

    • Zitieren
  • Campino
    Kriminaloberkommissar
    Reaktionen
    563
    Beiträge
    2.180
    • 11. Januar 2016 um 09:44
    • #36

    Jenny's Wohnung - 10:00 Uhr


    Obwohl Kevin auf eine positive Antwort hoffte, war er niedergeschlagen, als sie wirklich eintraf. Ja, es gab noch Tickets nach Bogota, die Maschine startete um kurz nach zwei und Kevin müsse sich jetzt auf den Weg machen, da er zwei Stunden vor Abflug einchecken sollte, zwei Stunden musste er noch bis Frankfurt fahren. Innerlich fühlte sich Kevin schlecht, aber er war entschlossen, Annie zu helfen. Zu sehr spukte sie in seinem Kopf, zu sehr brannte der Dämon in ihm, der ihn Horrorbilder vorgaukelte. Annie in einer Gasse, alleine, auf einem Trip, in irgendwelchen dunklen schmuddeligen Kneipen, wie Kevin sie selbst aus seiner Jugend kannte. Und immer wieder kam dieses Gefühl des Versagens in ihm hoch.
    Ihr reservierte sich ein Ticket telefonisch auf seinen Namen am Schalter, und wählte danach Jennys Handynummer. Er wusste selbst nicht, was er ihr sagen wollte... auf Wiedersehen? Du, ich mach es wirklich? Sich nochmal entschuldigen und erklären, was ihn antrieb? Nein, er wusste es tatsächlich nicht. Wahrscheinlich würde er schweigen wie ein verliebter Teenager, der seine Klassenkameradin anrief und aus Scham und Aufregung kein Wort herausbrachte. Würde eine Erklärung überhaupt noch was ändern? Retten? Jenny nahm ihm die Entscheidung ab, in dem sie nicht ranging und Kevin wertete es als Zeichen der Ignoranz.


    Er seufzte, packte die Tasche und zog die leichte Jacke an, in Bogota würde er seine warmen Jacken nicht brauchen. Bevor er die Tür hinter sich zu zog, warf er nochmal einen Blick ins Wohnzimmer, wie versteinert wanderten die Augen durch den Raum. Ein komisches Gefühl, wenn man nicht wusste, ob man diesen Raum jemals wieder als Bewohner, und nicht als Besucher betreten würde. Wenn Jenny konsequent war und auf ihren Standpunkt beharrte, und sich von Kevin trennen würde, hatte er jetzt gerade seine Beziehung weggeworfen... eine Beziehung, in die er soviel Hoffnung hereingesteckt hatte, soviel Hoffnung selbst hatte, dass sie ernsthaft sei, auch für seine Zukunft und die ihm so gut getan hatte. Die ihn vor allem vor sich und seiner Selbstzerstörung gerettet hatte, nachdem ein Mädchen bei einem Feuer verbrannt war, das er nicht retten konnte.
    Kevin erschien sich selbst paradox. Er hatte manchmal das Gefühl, alles Gute in seinem Leben würde zerstört werden, so dass er sich vor seinem eigenen Glück fürchtete, weil es wieder zerbrechen könnte. Als er in sein Auto einstieg, den Motor startete und aufbrach spürte er, dass er es vor allem selbst war, der sein Glück zerstörte. Als er selbst damals bei der Autobahnpolizei über seine Jugend-Straftaten berichtete hatte er es zerstört, als er Jennys Vergewaltiger brutal zusammengeschlagen hatte, hatte er es zerstört. Er hat es versucht, bei seinem Drogenrückfall, und jetzt tat er es wieder. Es schien, als würde Kevin aus Angst davor, dass ihm das Glück jemand stehlen könnte, das Glück selbst nehmen zu wollen, und es weg zu werfen.


    Die Autobahn kam ihm vor wie ein langer Schlauch, die fallenden Schneeflocken wie die Störung eines Fernsehbildes... man sah sie, man nahm sie wahr, aber sie störten nicht und trübten nur ein wenig das Bild. Das gleichmäßige Summen des Motors trat in den Hintergrund, das Zischen des Wassers unter den Reifen war kein Störfaktor Kevins Gedanken, die ihm durch den Kopf zogen. Sein innerer Film wurde nur unterbrochen, als er hin und wieder versuchte Jennys Nummer zu wählen, doch immer wieder meldete sich nach einigen vergeblichen Anrufversuchen die Mailbox... und auf die wollte er nun wirklich nicht sprechen. Es kam ihm zu billig, zu feige vor, sich der Antwort zu entziehen. Dann könnte er auch eine SMS schreiben...
    Frankfurt rückte mit jedem Autobahnschild näher, die Kilometerzahl auf den blauen Blechhinweisen nahm immer weiter ab, bis er die Scheinwerfer der Start und Landebahn erkennen konnte, das durch den nebligen Schneeschleier schnitt. Das große Gebäude rechts und links neben der Autobahn tauchte langsam aus dem Gestöber auf und Kevin nahm die nächste Abfahrt ins Parkhaus. Bevor er ausstieg um den nächsten entscheidenden Schritt zu gehen, atmete er nochmal durch und blieb im Auto sitzen. "...ich werde hier nicht auf dich warten...", hallte in seinem Kopf nach, und es klang so real, als würde Jenny hinter ihm sitzen. "Es ist vorbei, Annie. Es ist vorbei, bevor es noch einmal hätte beginnen können. Tut mir leid.", hörte er eine andere Stimme, die sich verdammt unglaubwürdig anhörte... es war seine eigene. Und Janine flüsterte ihm leise "Mörder" ins Ohr, so dass sich seine Fingernägel ins Leder des Lenkrades bohrten...


    Das laute, nachhallende Knallen der Autotür riss ihn wieder hinaus aus seinem Tagtraum, als er aus dem Auto stieg. Er spürte seinen Herzschlag, er spürte seinen trockenen Mund. Die Anzeichen, dass es wieder soweit war, verdichteten sich, und trieben seinen Puls nach oben. Das künstliche Licht des Flughafengebäude brannte ihm in den Augen, als er von dem dunklen Parkhaus die Rolltreppe nach unten fuhr. Der Schalter des Reisebanbieters, bei dem er sich erkundigt hatte, fiel ihm sofort in den Blick, die Tasche über die rechte Schulter gepackt nahm er Kurs auf die lächelnd junge Dame, die lachenden Urlaubern und schlecht gelaunten Geschäftsmännern Tickets verkaufte, über Flüge beriet oder Informationen weitergab.
    "Ich hatte angerufen. Flugticket nach Bogota, Peters.", sagte Kevin und zeigte seinen Personalausweis. Die junge Frau hatte seine Reservierung gespeichert, druckte das Ticket aus und rechnete über seine Kreditkarte ab. "Da haben sie sich aber kurzfristig für so eine weite Reise entschieden.", meinte die Frau lachend und händigte dem merkwürdig blickenden Mann mit den hellblauen Augen das Ticket aus. "Brauchen sie kein Rückflugticket?" Der Polizist schüttelte den Kopf: "Ich weiß noch nicht, wann ich zurück komme." Innerlich erschrak er, als er das "wann" mit einem "ob" tauschte...


    Die Abgabe des Gepäcks, der Gang durch die Sicherheitsschleuse ließ der junge Mann schweigsam über sich ergehen. Anderthalb Stunden warten wurden zur Hölle werden, wenn einen der Dämon mit Namen "Sucht" einholte, an ihm bohrte und fraß, und ihn zum Wahnsinn treiben wollte. Äusserlich wirkte der Polizist ganz ruhig und geduldig, als er auf einem der unbequemen Stuhlreihen saß, und scheinbar durch die großen Fensterfronten auf die Rollfelder sah, wo er aber allenfalls Lichterscheine erkennen konnte, wenn er aufmerksam schauen würde, denn das Schneegestöber war mittlerweile sehr dicht, der Himmel bleigrau und diesig. Doch es hätte auch ein Flugzeug auf die Landebahn stürzen können, der junge Kommissar hätte es wohl in diesem Moment nicht wahrgenommen.
    Bis zum Aufruf seines Fluges schien Engelchen und Teufelchen, Kopf und Bauch, Hirn und Herz in ihm einen Kampf auszufechten. Es war nicht nur unerträglich, dass keiner der beiden jeweils gewann und Kevin mit seiner Entscheidung, die er traf, als er ins Flugzeug stieg, leben konnte... noch schlimmer war, dass die Kämpfenden immer wieder die Seiten wechselten, und selbst sein Herz ständig zwischen Jenny und Annie wechselte. Als er ins Flugzeug stieg war das Ergebnis lediglich, dass er sich unglaublich müde fühlte, nachdem er nochmals, letztmals versucht hatte, Jenny anzurufen. Doch Jennys Handy lag im Streifenwagen auf der Autobahn, während sie nach einem Unfall draussen den Verkehr regelte, und die von Kevin vermutete Ignoranz war in Wirklichkeit nur ein grausamer Zufall...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen

    <3

    • Zitieren
  • Campino
    Kriminaloberkommissar
    Reaktionen
    563
    Beiträge
    2.180
    • 12. Januar 2016 um 09:11
    • #37

    Dienststelle - 10:30 Uhr


    Semir und Ben konnten sich die morgendliche Streife sparen, da sie auf ihren Besuch aus den Niederlanden warteten. Unglücklich waren sie, bei einem Blick aus dem Fenster, ganz und gar nicht. Das Schneegestöber in Verbindung mit Wind wurde immer dichter, so dass die Autobahn immer mehr im Dickicht verschwand. Es war ganz und gar keine Freude bei diesen klimatischen Bediengungen vielleicht irgendwo auf dem Seitenstreifen zu stehen und Pannenhilfe zu leisten, oder einen Unfall auf zu nehmen. Das Großraumbüro dagegen lief auf Notbetrieb. Nur Andrea, Pia am Funk, die Chefin und Holger am Telefon waren da, alle anderen Beamten im Einsatz, da es bei diesem Schneetreiben massenhaft Unfälle gab. Jedes Jahr schüttelten die Autobahnpolizisten den Kopf über den Leichtsinn mancher Menschen, selbst im Januar noch mit, meist abgefahrenen Sommerreifen unterwegs zu sein.
    "Hoffentlich kommt Bakker auch hier an bei dem Wetter.", meinte Semir im warmen Büro. "Das wird ja nicht der erste Schnee sein, den der Mann erlebt.", war Bens Antwort, der mal wieder den Tennisball in Richtung Basketballkorb warf, aber verfehlte. "Vielleicht war es nicht so gut, ihm am Telefon zu sagen, dass er ne andere Route nehmen soll, wegen dem Attentat.", überlegte der erfahrene Autobahnpolizist und strich sich mit einem Finger über die hohe Stirn. Ben verharrte kurz und sah seinen Partner etwas fragend an.


    "Naja... wenn ohne unsere Warnung nichts passiert wäre, dann hätte das zumindest ein Hinweis sein können, dass er vielleicht die Stelle ist." Es waren nur Gedanken, die Semir durch den Kopf gingen, und die er frei aussprach. Ihm war es wichtig, dass er das bei Ben, seinen Partnern generell, tun konnte. Auch wenn er manchmal sprach, ohne nochmal nach zu denken, aber das passierte ja jedem Mal. "Ein ziemlich schwacher Hinweis.", war Bens Antwort, und Semirs bester Freund legte den Kopf ein wenig schief. "Wir hätten damit wissentlich sein Leben riskiert. Mir ist kein Hinweis dann lieber, als einen Kollegen so einem schießwütigen Attentäter auszuliefern. Vor allem, da wir uns Informationen von Bakker erhoffen." "Ja... stimmt auch wieder. Hast recht."
    Ben grinste ein wenig, rollte mit dem Stuhl um den Tisch zu seinem Partner und trat ihm freundschaftlich ans Schienbein. "Bist ein wenig eingerostet, dort oben?", fragte er und streckte schelmisch die Zunge heraus. Semir stand, gespielt erbost auf und hob eine Faust. "Pass bloß auf. Hast ja gestern gesehen, was passiert, wenn man mich provoziert." Beide lachten befreit, und spürten im selben Moment, dass es gut war, dass sie scherzhaft über gestern dachten. Ben war sogar erleichtert darüber, weil er merkte, dass Semir damit umgehen konnte, und sagte wieder etwas ernsthafter: "Ich bin echt froh, dass du wieder da bist.", und dabei legte er eine Hand auf die Schulter des kleinen Polizisten. Auch wenn er mit Kevin gut klar kam, und mit ihm gute Arbeit machte... mit Semir zusammen war es einfach etwas anderes, viel vertrauteres. Und Ben fand es unendlich schade, dass Kevin dieses "Vertraute" einfach nicht gelang.


    Gegen 11 Uhr hielt ein dunkler Mercedes mit niederländischem Kennzeichen auf dem, vom Hausmeister geräumten Parkplatz der Dienststelle an. Ein etwas runderer Mann in den Vierzigern stieg im Mantel aus und hatte einen recht altmodischen Schlapphut auf, so dass man von seinem Gesicht nicht viel erkennen konnte, aus der Beifahrertür stieg ein drahtiger, junger Mann aus, in Jeans und Kapuzenpullover. Auf einer Abifeier wäre er wohl kaum aufgefallen, so jung sah er aus, und kleidete sich dementsprechend. Beide meldeten sich an der Pforte an und wurden in die Dienststelle gelassen, nachdem sie sich als Huub Bakker und Andrew Keertzel ausgewiesen hatten. Holger führte sie in das Großraumbüro und wies mit dem Finger geradeaus in Richtung der Glastür zu Semirs und Bens Büro.
    Dort klopfte Huub mit dem Finger an die Scheibe und trat danach ein. Die vier Polizisten begrüßten sich und schüttelten sich die Hände. Huub nahm seinen Schlapphut ab, darunter lag ein leicht faltiges Gesicht für dieses Alter, welches er mit einem Schnauzbart versuchte aufzubessern. Ein Goldzahn blitzte beim Lächeln aus dem Mundwinkel. "Ich hatte das Gefühl, wir fahren nach Österreich.", sagte der Mann mit unüberhörbaren holländischen Akzent und bezog sich auf das Schneetreiben draussen. Ben bot den beiden Männern Kaffee an und man hielt kurz Smalltalk. So erfuhren die beiden Autobahnpolizisten von Bakker zum Beispiel, dass er 10 Jahre lang in Niedersachsen seinen Polizeidienst verrichtete, und deshalb so gut deutsch sprechen könne.


    Danach kam man aufs Wesentliche zu sprechen. Ben erzählte den beiden holländischen Kollegen nochmal, was man bisher herausgefunden hatte. Der Mord an Björn Bachmann, die Telefonliste und das Auftauchen der niederländischen Nummer, die zu dem Sportgeschäft gehöre. Und die Information der Versicherung, für die Bachmann gearbeitet hatte, dass es in dem Sportgeschäft schon dreimal gebrannt hatte und man jeweils immer die Versicherungssumme kassiert hatte. Diese Information war neu für Huub Bakker und sein Partner machte sich Notizen auf holländisch. "Das ist auch eine Art, sein Unternehmen zu finanzieren.", meinte der Polizist. "Sie sagen das in einer Art, die nicht unbedingt auf das Unternehmen Sportgeschäft schließen lässt.", vermutete der jüngere deutsche Polizist, nachdem sein Bericht geendet hatte.
    "Da haben sie verdammt recht, Herr Jäger.", pflichtete ihm Bakker bei und nickte. Aus seiner Tasche zog er eine Ermittlungsmappe und schob sie den beiden Polizisten hin. "Dieses Sportgeschäft steht schon lange bei uns im Verdacht die Zentrale einer kriminellen Organisation zu sein. Alles, womit man illegal Geld machen kann." Semir schlug die Mappe auf und las, eher überflog Verhöre, Bilder von Verdächtigen und verschiedene Auflistungen von Straftaten. "Prostitution, auch illegal jung, Schleuserkriminalität, Waffenschieber, auch Drogenhandel. Ein All-in-One-Betrieb quasi. Der Organisation wird auch Kontakte zu Rockerbanden wie den Hells Angels nachgesagt."


    Ben, der ebenfalls neben Semir Blicke in die Mappe warf nickte anerkennend. "Schwere Fische." "Die schwersten, die es momentan in der Nordsee zu fischen gibt. Wir ermitteln in einer Sonderkommission schon einige Zeit in dem Metier. Mit mäßigem Erfolg, wenn ich ehrlich bin." "Ist der Name Björn Bachmann bei ihren Ermittlungen aufgetaucht?", fragte Semir und sah von der Mappe auf. Bakker schüttelte den Kopf: "Wir wissen aber von Kontakten nach Deutschland. Ob das der Kontakt war... keine Ahnung. Das gilt es, heraus zu finden." Semir sah zu Ben und nickte kurz. Dann griff er zum Telefon: "Frau Engelhardt, haben sie kurz Zeit?" Ein kurzes Nicken, dann legte er auf. "Lassen sie uns kurz das Büro wechseln. Ich denke, diese neuen Informationen sind auch für unsere Vorgesetztin interessant."
    Die vier Polizisten wechselten also von den Bürostühlen auf die gemütliche Ledercouch-Garnitur im Büro von Anna Engelhardt. Die Erkenntnisse wurden nochmals ausgetauscht. "Ich würde mich freuen, wenn sie uns unterstützen würden und neue Erkenntnisse an uns weiterleiten würden.", sagte Bakker, nachdem man die Chefin ebenfalls informiert hatte. "Im Gegenzug werden wir ihnen natürlich alle Informationen zukommen lassen, die ihnen helfen den Mordfall zu lösen." Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit war sehr angenehm, sonst waren Ben und Semir es gewöhnt, dass eine andere Dienststelle ihnen am liebsten den Fall sofort wegnahm, weil er mit einem größeren Verfahren zu tun hatte.


    "Wir sind immer an Zusammenarbeit interessiert, wenn es ihnen und uns hilft, Herr Bakker.", sagte Anna Engelhardt von ihrem Schreibtisch aus und fügte hinzu: "Ich frage mich nur: Eine kriminelle Organisation, die alles betreibt mit dem Ziel des Gewinns braucht Versicherungsbetrugsfälle, um sich zu finanzieren?" "Es ist ein Teil des Gewinns, Frau Engelhardt. Versicherungsbetrug gehört zum Geschäft.", antwortete Bakker. "Aber warum benutzt man dazu die Zentrale? Warum nicht irgendeine Immobilie, die man besitzt, warum geht man das Risiko ein, bei einem Brand die Zentrale zu verlieren?", fragte der jüngere deutsche Polizist. Huub Bakker nickte ob des Einwands und bemerkte: "Das ist eine gute Frage. Wobei sie sich nicht täuschen sollten. Es ist nicht so, dass im Keller des Sportgeschäftes ein Bordell eingerichtet ist, und dort im Safe Drogen lagern. Wir haben dieses Geschäft schon mehrfach durchsucht. Es scheint nur als Treffpunkt zu dienen, als zentrale Anlaufstelle um Gespräche zu führen. Der Nachtclub als solche Anlaufstelle, wie es früher einmal war, scheint zu klischeebeladen zu sein." Den letzte Satz sagte er mit einem Grinsen.
    Doch noch ein weiteres Thema brannte Ben auf der Zunge. "Halten sie es für möglich, dass es in ihrer Soko eine undichte Stelle gibt? Wir hatten sie ja gewarnt, die direkte Route zu fahren." Bakker nickte: "Darüber habe ich mir, nachdem sie von ihrem Anschlag erzählt haben, auch schon Gedanken gemacht. Wir wollen eine Untersuchung einleiten, die von zwei meiner vertrautesten Mitarbeitern durchgeführt werden soll, denen ich absolut vertraue. Ich werde sie informieren, wenn wir etwas herausfinden." "Ich würde vor allem bei denen anfangen, die wussten, dass wir die Tage zu ihnen kommen wollten." Der holländische Kommissar dachte nach, daran hatte er nicht gedacht. Denn er hatte von dem Treffen niemandem mehr an diesem Tag erzählt, denn er war alleine im Büro. Ben und Semir bemerkten die Unsicherheit, als Bakkers Blick auf das Telefon auf dem Schreibtisch der Chefin fiel...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen

    <3

    • Zitieren
  • Campino
    Kriminaloberkommissar
    Reaktionen
    563
    Beiträge
    2.180
    • 15. Januar 2016 um 11:33
    • #38

    Stadtbereich - 14:30 Uhr


    Manchmal konnte der Job eines Kripo-Beamten langweilig sein. Wo es Tage gab, an denen Ben und Semir die Autos um die Ohren flogen, wo es Tage gab, an denen sie rannten, schossen und ihre Fäuste gebrauchen mussten, gab es eben auch jene Tage wie diese... Ermittlungen, Papierkram und Polizeiarbeit. Nachdem sie ihren Besuch aus den Niederlanden verabschiedet hatten, war der KTU-Bericht im Faxgerät gelandet. Aus dem Tank des Wagens fehlten nur wenige Liter. Hartmut hatte ausserdem den elektronischen Speicher des Autos ausgelesen und konnte genau den Durchschnittsverbrauch feststellen, seit der letzten Betankung. So konnten die beiden Kripo-Beamten einen Kilometerkreis um den Tatort ziehen und alle möglichen Tankstellen eingrenzen, wo der Tote getankt hat. Semir bestand darauf, das ganz altmodisch auf einer Straßenkarte und mit einem Edding zu bewerkstelligen, und erntete dafür den ein oder anderen spöttischen Spruch seines besten Freundes.
    Drei Tankstellen kamen dafür in Frage, denn deutschlandtypisch war das Netz an Tankstellen auch in Köln sehr dicht. Ben konnte es nie nachvollziehen, wie man ohne Sprit auf der Autobahn liegen bleiben konnte, was sie immer wieder beobachten konnten. Dafür musste man schon blind sein, oder vorsätzlich nicht tanken wollen.


    Die beiden Polizisten machten sich auf den Weg in die besagte Gegend. Der Schnee hatte um die Nachmittagszeit nachgelassen, alles war in Weiß getaucht. Die Eiskristalle hatten einen weißen Teppich über das Land gelegt, und etwas gedankenverloren blickte Semir aus dem Seitenfenster in diese Landschaft. Trotz aller Ablenkung konnte er nicht verhindern, dass seine Gedanken hin und wieder abschweiften, vor allem zu seinem dritten Partner im Bunde. Saß er noch zu Hause, saß er schon im Flieger? Als der Himmel etwas aufriss und er zwischen den grauen Wolken am blauen Himmel ein Flugzeug sah, dachte er an Kevin. Nein, er konnte es einfach nicht nachvollziehen, was den jungen Polizisten antrieb, so zu handeln.
    "Welches Interesse könnte eine kriminelle Organisation an einem Versicherungsfritzen haben?", dachte Ben laut nach und riss den erfahrenen Kommissar aus seinen Gedanken. "Wirklich nur ein Kontaktmann bei dem Betrug? Ich meine... wir kennen ja jetzt schon ein paar organisierte Banden. Den eigenen Treffpunkt immer wieder abfackeln um ne Summe zu kassieren, die man mit Drogen und Prostitution viel schneller wieder drin hat?" Der jüngere Polizist sah herüber zu Semir. "Das kaufe ich unserm holländischen Kollegen irgendwie nicht ab." Semir zuckte mit den Schultern: "Vorstellbar ist das schon. Da kann man recht einfach ne hohe Summe kassieren. Aber warum haben sie es so derart übertrieben, dass sie aus der Versicherung geflogen sind? Hat der Bachmann da vielleicht selbst ne Untersuchung eingeleitet, und musste deshalb sterben?" "Aussteiger vielleicht?", fragte Ben und bog zur zweiten der drei Tankstellen ab. Bei der ersten hatte sich auf den Überwachungsbändern nichts ergeben.


    In einem kleinen Hinterraum der Tankstelle hatten sie die Möglichkeit an einem PC die Überwachungskamera des betreffenden Tages zu sichten. Was früher immer eine pixelige und ungenaue Angelegenheit war, war heute komfortabel. Man konnte in der Zeitlinie springen ohne spulen zu müssen, es gab keine Bildstörungen und moderne Kameras, die sich jede Tankstelle leisten konnte, übertrug ihr Bild in FullHD an den Zentralrechner der Tankstelle, so dass man bei näherem Heranzoomen nicht nur problemlos Nummernschilder erkennen konnte, sondern auch Gesichtsausdrücke.
    Nach einer dreiviertel Stunde erblickten sie das Auto mit dem bekannten Nummernschild, und konnten auch sofort den Mann identifizieren, der das Fahrzeug betankte. Semir und Ben beugten sich sofort aus einer bequemen Liegeposition auf dem beiden Stühlen nach vorne, um genau auf den Monitor zu blicken, als Ben das Bild stoppte und heranzoomte, soweit die Wiedergabe-Software der Kamera das zuließ. "Sieht etwas gestresst aus, hmm?", meinte Semir sofort. Die Augen von Björn Bachmann blickten hin und her, sein Kopf fuhr mehrmals herum und seine Schritte und Bewegungen waren schnell und hektisch. "Irgendwie, als würde er verfolgt werden. Oder dass er nervös war." Sie betrachteten die Aufnahme bis zum Ende, bis Björn Bachmann mit schnellen Schritten zum Wagen zurückkam, einstieg und die Zapfsäule für den nächsten Kunden wieder freimachte.


    Der Kassierer der Tankstelle wurde hereingerufen, um sich die Bilder des Mannes anzusehen. "Wer hatte um diese Uhrzeit Dienst?", fragte Semir und zeigte mit dem Finger auf den Zeitstempel auf dem Monitor. "Ich. Warum?" "Erinnern sie sich an den Mann, der dort tankt?" Der Kassierer, mit hoher Stirn und Schnauzbart, blickte genauer auf den Monitor und runzelte die ebenso in Falten gelegte Stirn. Er schien nachzudenken, und nickte dann langsam. "Doch, ich erinnere mich. Der wirkte ziemlich nervös. Schien es eilig zu haben." Das deckte sich mit den Beobachtungen der beiden Polizisten. "Ist ihnen sonst noch was aufgefallen an dem Mann?" Wieder brauchte der Kassierer kurz, verschränkte die Arme vor der Brust und ging einen Schritt weg vom Monitor.
    "Ja... der hat mit nem 500er bezahlt. Ich hatte mich noch geärgert, weil ich zu der anderen Kasse musste." "Mit nem 500er?", wiederholte Ben und erinnerte sich sofort an das Geld, das sie im Wagen gefunden hatten. "Ja. Und er hatte ihn nicht etwa im Geldbeutel, er nahm ihn so aus der Hosentasche. Also, ich persönlich hätte soviel Geld, wenn ich es überhaupt mit dabei hätte, nicht einfach in der Hosentasche, sondern im Geldbeutel... oder? Also, mir kam es etwas komisch vor, aber der 500er war echt, deswegen hab ich mir keine Gedanken gemacht." "Viele Tankstellen holen doch keine 500er mehr an.", bemerkte Semir. "Aber nur, wegen der Gefahr des Falschgeldes. Wir haben ein Testgerät, deswegen nehmen wir sie wieder an.", erklärte der Kassierer und zeigte sich sofort kooperationsbereit, als Ben darum bat, die Aufnahme mitnehmen zu dürfen.


    Die Sonne brach etwas durch die Wolken und ließ die weiße dichte Schneedecke herrlich weiß aussehen, zumindest dort, wo sie unberührt war. Auf der Straße verwandelte sie sich, durch den Einsatz von Streumitteln und Autoabgasen schnell in ein breiiges Grau bis Schwarz. Die beiden Polizisten gingen über den Vorplatz der Tankstelle zurück zu ihrem Dienstwagen. "Denkst du das gleiche, was ich denke?", fragte Ben in Semirs Richtung, und der nickte sofort. "Eine Übergabe, die schief lief. Er hatte einen Termin, war deswegen nervös. Der Mörder wusste, wann er im Wald stand und wartete. Also wird Bachmann umgelegt, und das Geld wird mitgenommen, dabei gehen ein paar Scheine verloren." "Wenn er aber Geld zur Übergabe dabei hatte, warum wird die Übergabe nicht durchgezogen? Was ist schief gelaufen?", fragte der junge Polizist wiederrum, worauf Semir natürlich keine Antwort hatte.
    "Ich glaube, es wird langsam Zeit für ein paar stichhaltige Beweise, die auf die Organisation hindeuten. Am besten Namen, nicht nur das Sportgeschäft.", sagte Semir entschlossen und legte die Hände auf das Dach des Mercedes. "An was denkst du?" "Durchsuchungsbefehl für Bachmanns Wohnung. Irgendwelche Unterlagen, Akten, vielleicht Überweisungen. Irgendwas wird da zu finden sein." Ben konnte ein etwas geschlagenes Gesicht nicht verbergen. Er wusste, dass eine Durchsuchung der Wohnung Streß bedeuten würde, für Carina und ihre Mutter. Dass es Misstrauen schuf. Aber er war Polizist, da musste er durch... schließlich war es auch für Carina von Interesse, den Mörder ihres Bruders vor Gericht zu wissen. "Vielleicht brauchen wir da keine Beschluss...", meinte er nachdenklich und stieg ins Auto ein.

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen

    <3

    • Zitieren
  • Campino
    Kriminaloberkommissar
    Reaktionen
    563
    Beiträge
    2.180
    • 18. Januar 2016 um 11:44
    • #39

    Innenstadt - 15:45 Uhr


    Natürlich hatte Semir verwundert reagiert, als Ben andeutete, dass man eventuell keinen Durchsuchungsbeschluss brauchen würde, um die Wohnung des Toten etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Und natürlich hatte er, sofort nachdem die beiden Autobahnpolizisten von der Tankstelle aus aufgebrochen waren, nachgefragt. Grundsätzlich waren Semir und Ben immer ehrlich zueinander. Sie wussten, dass sie einander blind vertrauen konnten und jeder kannte so ziemlich jedes Geheimnis des anderen. Semir hatte sogar scherzhaft mal gemeint, dass Ben besser über Semir Bescheid wisse, als Andrea, immerhin Semirs Frau. Nur, manchmal war es so, dass sie gegenseitig sich erst dazu drängen mussten, zu reden. In Extremsituationen kam es auch dazu, dass sie sich etwas verschwiegen, aber das war wirklich sehr selten und endete dann aber nicht selten im Desaster.
    Jetzt schwieg Ben nicht. Auf dem Weg zu dem Mehrfamilienhaus in der Innenstadt erzählte er seinem besten Freund von der ersten Begegnung mit Carina Bachmann, als sie die Todesnachricht überbrachten. Er erzählte, dass sie nun ihre kranke Mutter alleine pflegen musste, die Krankheit selbst erwähnte er nicht. Dass er sie jetzt schon zweimal besucht hatte, und etwas "versteckt" erwähnte er, dass er öfters an sie dachte. "Du weißt ja, was Staatsanwälte davon halten, wenn der ermittelnde Beamte eine Beziehung mit im Fall involvieren Personen eingeht.", meinte der erfahrene Polizist. "Herrgott, Semir... ich habe gesagt, dass ich hin und wieder an sie denke, und nicht, dass ich eine Beziehung mit ihr möchte." Semir hob beschwichtigend die Hände.


    Wollte er, wollte er nicht? Ein paar Minuten schwiegen die zwei Männer, und Ben hing seinen Gedanken ein wenig nach. Eine Beziehung klang so groß, so weit weg... so unreal? Wie lange war es jetzt her, dass er eine feste Freundin hatte... puh? Zwei, drei Jahre? Immer mal wieder eine nette Bekanntschaft, auch mal eine, die mit ihm nach Hause kam, aber Ben beneidete Semir um seinen Halt zu Hause. Eine Frau, die auf ihn wartete, Kinder, Familienglück. Auch auf Kevin war er etwas neidisch, der das Glück hatte, scheinbar beim ersten Versuch mit Jenny die Richtige gefunden zu haben, auch wenn jetzt nicht ganz klar war, wie es weiterging, nach seiner Entscheidung in Kolumbien nach Annie zu suchen.
    Ja, Ben wollte gerne wieder eine Beziehung. Etwas langfristiges, wegweisendes. Er war jetzt Mitte 30, eigentlich in dem Alter, eine Familie zu gründen oder schon gegründet zu haben. Für sich im Leben hatte er die perfekten Voraussetzungen... sicherer Job, gutes Umfeld, finanziell durch seine Familie abgesichert. Nur, die Richtige wollte er und hatte er einfach noch nicht kennengelernt. Und bei Carina konnte er sich immer noch nicht entscheiden, ob es wirklich erste Verliebtheit, oder einfach Sympathie mit einem kleinen Schuss Mitleid war, die sein Ritter-Gen antrieben.


    Der junge Polizist parkte den Dienstwagen und beide traten an die, mittlerweile klirrende Kälte. Die Wolken waren aufgerissen, die dunklen Schneewolken hatten sich verzogen und die Sonne war bereits auf dem Weg, den Tag zu beenden. Es würde wohl einen herrlichen Sonnenuntergang geben, ein Vorbote auf eine eiskalte Nacht, die bei klarem Himmel angekündigt war. Ben drückte auf den Klingelknopf des Hauses und wartete einen Moment, doch bevor sich Carinas Stimme meldete, kam ein Mann aus der Tür des Mehrfamilienhauses, und die beiden Kommissare konnten durchschlüpfen. Ben sah dem Mann kurz hinterher und prägte sich ein, was er in dem kurzen Moment wahrnehmen konnte. Er hatte den beiden Polizisten lächelnd zugenickt, wobei ihm eine Strähne unter der Schirmmütze ins Gesicht hing. Grüne Augen. Ohrring links. Soll es ein Instinkt sein, der Ben sagte, dass der Mann eigentlich nicht hierher gehörte, oder spielte ihm eine Eifersucht einen Streich... Carinas Freund?
    "Wer hat denn da geklingelt?", schallte es durch den Flur, und Ben antwortete auf Carinas Stimme: "Hier ist Ben." Ein Lächeln huschte über Carinas Gesicht, als sie den Polizisten erblickte, aber es kam Ben etwas gequält vor. Ihre Hände rieben nervös übereinander und ihre Zunge fuhr immer wieder kurz über ihre Lippen.


    "Hallo Ben... oh, wen hast du da mitgebracht?" "Das ist mein Partner, Semir.", stellte Ben seinen besten Freund vor, und Semir begrüßte die junge Frau, in dem sie sich die Hände gaben. Ben und Carina umarmten sich kurz. "Ich bin heute dienstlich hier, Carina.", sagte Ben ohne sein Lächeln abzuschalten, auch Carinas leicht gequältes Lächeln wich nicht. "Wie... wie geht es deiner Mutter heute?", fragte der Polizist dann noch, bevor er zum eigentlich Dienstlichen kommen wollte. "Oh, heute geht es ihr wirklich gut. Sie ist gut drauf, redet viel und ist sehr umgänglich.", war die Antwort Carinas. Ben meinte zu erraten, dass das der Grund für ihr gequältes Lächeln war. Vielleicht war wieder etwas ähnlich unangenehmes vorgefallen wie gestern, und sie wollte ihren wahren Gemütszustand nicht zeigen.
    "Du hast gesagt, du bist dienstlich hier... gibt es etwas Neues?" "Leider noch nicht. Aber... wir wollten uns mal in der Wohnung deines Bruders umsehen." Nun wich das Lächeln der Überraschung. "Umsehen in Björns Wohnung? Aber... warum das?" Die beiden Polizisten spürten sofort ihre Verunsicherung. Doch wo Ben sofort daran dachte, dass Carina das einfach unangenehm war, so stellten sich bei Semir sofort seine misstrauischen Polizeiantennen, sein Instinkt auf. Man konnte so reagieren, weil es einem einfach nicht Recht war, weil man Angst hatte, dass das Familienmitglied Dreck am Stecken hatte... oder, weil man etwas verheimlichte.


    "Das ist Routine. Wir wollen doch alles tun, um den Mörder deines Bruders zu finden.", versuchte Ben ihr die Sorge ein wenig zu nehmen, auch wenn er wusste, dass es durchaus sein konnte dass Björn Bachmann in den kriminellen Machenschaften dieses Sportgeschäftes steckte. Aber der Polizist wollte vorurteilsfrei an die Sache gehen, vor allem weil er es Carina wünschte, dass ihr Bruder keine Leichen im Keller hatte. "Wir haben ein paar Infos über das Sportgeschäft, nach dem ich dich gefragt hatte, erhalten...", begann Ben und Semir fiel seinem besten Freund ins Wort: "Und wir wollen jetzt sehen, ob wir mehr Hinweise finden." Es war ein Abwürgen, denn der erfahrene Kommissar hatte befürchtet, dass Ben Ermittlungsergebnisse ausplauderte.
    Mit einem etwagigen Durchsuchungsbeschluss brauchten die beiden Polizisten nicht drohen. Zwar etwas nervös, aber ohne Widerworte nahm Carina den Schlüssel der obersten Wohnung, in der Björn Bachmann wohnte, vom Schlüsselbrett und reichte ihn Ben. "Ich muss bei Mama bleiben... wenn ihr etwas braucht, rufst du mich?", entschuldigte sie sich und Ben versuchte sie, mit seinem Lächeln etwas zu beruhigen. "Machen wir... danke." Dann zog Carina die Tür hinter sich zu und die beiden Männer gingen nach oben. "Warum bist du mir denn so ins Wort gefallen?", fragte Ben sofort als die beiden auf dem Weg nach oben waren. Semir wollte seinem besten Freund keine Vorwürfe machen, oder etwas unterstellen. "Ins Wort gefallen? Oh sorry, das war nicht bewusst.", meinte er und klopfte seinem Partner freundschaftlich auf die Schulter.

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen

    <3

    • Zitieren
  • Campino
    Kriminaloberkommissar
    Reaktionen
    563
    Beiträge
    2.180
    • 20. Januar 2016 um 22:02
    • #40

    Bachmanns Wohnung - 16:30 Uhr


    Draußen dunkelte es bereits. Der Schneefall hatte gegen Nachmittag endgültig aufgehört, und die ganze Stadt verharrte nun unter des Winters kalten weißen Glanz. Nur der städtische Winterdienst hatte etwas dagegen, und sorgte dafür, dass immerhin ein dunkler Streifen Straße sich von dem weißen Einerlei abhob. Ben, der mit einem mulmigen Gefühl die Treppen nun ganz nach oben stieg, hielt den Schlüssel für Björn Bachmanns Wohnung in der Hand. Er hatte die Befürchtung, sie würden etwas finden. Er hatte die Befürchtung, gleich runter zu Carina gehen zu müssen, und ihr eine unangenehme Wahrheit über ihren geliebten Bruder erzählen. Ben hatte selbst Geschwister, eine Schwester um genau zu sein, und er konnte gut nachfühlen, wie mies sich das anfühlen musste.
    Mit leicht zitternden Fingern sperrte der Polizist die Tür auf, und die beiden Freunde traten ein. Die Wohnung war exakt so geschnitten, wie die Wohnung von Carina, sie war nur spartanischer eingerichtet. Praktischer, weniger Dekoration, weniger Farben. Man merkte sofort, dass hier ein Mann gewohnt hatte, der sich nicht viel darum scherte, ob es nun gemütlich war, oder nicht. Viel zu Hause schien er nicht gewesen zu sein. Die Wohnung hatte ebenfalls ein Wohnzimmer, ein Badezimmer, Küche und einen weiteren Raum.


    Der Raum schien für Semir und Ben am Interessantesten zu sein, sah er doch aus wie ein typisches Arbeitszimmer. Ein Schreibtisch mit Laptop, Unterlagen, Akten, ein Bild von seiner Schwester und seiner Mutter, offenbar schon einige Jahre her. Ausserdem ein dunkelbrauner Schrank, in dem mehrere Ordner standen. "Dann wollen wir mal.", meinte der kleingewachsene Kommissar, und die beiden machten sich an die Arbeit. Ben klappte als erstes den Laptop auf und schaltete ihn ein, doch das Betriebssystem war passwortgesichert. Der Polizist probierte ein paar Standardpasswörter wie "123", "password" oder "admin". Auch den Namen der Mutter und den Namen der Schwester probierte er, doch nichts funktionierte. "Nehmen wir für Hartmut mit.", meinte er dann zu Semir.
    Der wiederrum hatte sich bereits zum untersten Gefach des Schrankes gebeugt, nahm nacheinander Ordner aus dem Schrank und blätterte. Natürlich stellte er alles zurück, er hinterließ keine Unordnung, wie manch andere Kollegen, die bei Durchsuchungen wie ein Berserker wüteten. Doch ausser Steuererklärungen, allerlei Rechnungen, Versicherungspolicies seiner eigenen Versicherungen, die seiner Schwester und seiner Mutter, fand er nichts was interessant war. An einem Ordner blieb er hängen und las ein wenig.


    "Die Mutter ist schwer demenzkrank.", sagte er, ohne von dem Ordner aufzusehen, während Ben mittlerweile bei den Schubladen des Schreibtisches war. "Ich weiß.", war nur dessen kurze Antwort. Semir blickte kurz hoch zu Ben... es war kein misstrauischer oder mahnender Blick... er war... komisch. Ben konnte ihn nicht deuten. "Was?" "Ach, nichts...", würgte Semir ab. Nein, er wunderte sich nicht... wundern war in diesem Falle ein blödes Wort, und er hätte das Gefühl, dass er gerade bekam, nicht richtig ausdrücken können, ohne dass es vielleicht falsch rübergekommen wäre. Aber Semir hatte natürlich ein wenig gemerkt, dass Ben nicht aus Langeweile öfters hier war. Ob es nun schon eine leichte Verliebtheit war, oder einfach sein Helfergen... sich in solch ein freundschaftliches Verhältnis zu begeben konnte für den jungen Polizisten eine große Abhängigkeit bedeuten. Vor allem als er las, dass die Geschwister Hilfe vom Staat bekamen, weil sie die Mutter privat zu Hause pflegten.
    Ben war für Carina scheinbar ein wenig der Ersatzbruder, der rettende Engel, weil sie es alleine nur schwer schaffte. In so einer Situation konnte man dann nicht nach einigen Monaten einfach sagen: "Okay, das wars." Vor allem nicht, wenn vielleicht Bens Verliebtheit nicht auf fruchtbaren Boden bei der jungen Frau fiel.


    Ein wenig gedankenverloren stellte Semir den Ordner wieder weg. Er dachte, dass es ihm scheinbar wirklich wieder gut gehen musste, wenn er sich soviel Gedanken um seinen Partner machte, statt um sich selbst. Er strich sich über das Pflaster am Hals und suchte weiter, doch nach einer halben Stunde gaben sie auf. "Entweder hat hier jemand bereits sauber gemacht, oder Björn Bachmann hat hier einfach nichts gelagert.", meinte Semir, als er sich den Laptop unter den Arm klemmte. "Ja, oder Björn hat einfach keinen Dreck am Stecken.", meinte Ben achselzuckend.
    Sie verließen die Wohnung wieder und kehrten zu Carina zurück. Die musste einen Beleg unterschreiben, den Semir fix anfertigte, dass man den Laptop beschlagnahmte. Sie schaute zwar etwas befremdlich, aber setzte ihre Unterschrift unter das Papier, während die Mutter im Hintergrund am Fernseher saß. "Als wir eben kamen, ging ein Mann unten die Tür heraus. War der bei euch?", fragte Ben mehr beiläufig, als Carina den Stift hielt. Sie sah sofort auf: "Ein Mann? Achja, der hatte sich im Haus vertan. Der wollte eigentlich zwei Häuser weiter.", antwortete sie. Die älteren Mehrfamilienhäuser in dieser Straße glichen sich wirklich sehr. Kannte man sich nicht aus, und hatte nicht die genaue Hausnummer, konnte man sich leicht verlaufen.


    "Der Mann hatte sich doch mit dir unterhalten.", sagte die Mutter aus ihrem Fernsehsessel plötzlich und sah zu den drei Erwachsenen herüber. "Ja, Mama. Aber er hat nur gefragt, ob das die Hausnummer 13 ist. Aber da war er falsch." Bens Herz schlug ein wenig schneller und Semir sah die ältere Frau aufmerksam an, die scheinbar mit der Antwort ihrer Tochter nicht zufrieden war. "Nein, nein. Ihr habt euch laut unterhalten. Ich dachte, ihr streitet sogar. Und er hat ständig Björn erwähnt." Das Herz des Polizisten schlug noch etwas schneller und fester und Semirs Blick fixierte nun Carina unangenehm. "Meine Mutter ist krank. Sie hat Alzheimer, und redet öfters mal Zeugs, was nicht passiert ist.", sagte Carina lächelnd.
    Semir wandte sich an Hermine Bachmann: "Frau Bachmann... wissen sie denn über was die beiden geredet haben?" Er wusste natürlich, dass die alte Frau durch ihre Krankheit längst vergessen haben könnte, aber ein Versuch war es wert. Doch Frau Bachmann sah den kleinen Polizisten nur ausdruckslos an, sie schien zu überlegen und sah dann wieder zum Fernseher. Eine Minute verging, zwei Minuten, bis sie wieder zu Semir blickte, und die Frage vergessen zu haben schien. "Wann werden sie Björn eigentlich finden?", fragte sie dann mit ernster Miene. Semir und Ben sahen sich kurzeinander an, und Ben schüttelte den Kopf, was bedeutete: "Lass, das hat keinen Zweck." "Lassen sie nur.", meinte Carina, um den kleinen Polizisten nicht zu einer Erklärung oder einer Antwort zu nötigen.


    Als die beiden Polizisten dann gleichzeitig einen Blick auf den Fernseher warfen, wurden sie abgelenkt von dem, was dort zu sehen war. Ein Mann und eine Frau schienen sich dort zu streiten, und der Mann sagte laut: "Ich wusste es doch. Warum hast du es nicht zugegeben? Du hast mich mit Björn betrogen! Wie kannst du nur!" Bens Herzschlag wurde langsamer und er schien fast aufzuatmen. "Da sehen sie...", meinte Carina noch und auch Semir schien zu verstehen. Hermine Bachmann hatte die Serie mit dem Leben verwechselt, ein typisches Symptom dieser schrecklichen Krankheit. "Tut uns leid, Carina...", meinte Ben, aber die junge Frau schüttelte den Kopf. "Du weißt doch... ich bin es gewohnt." "Wir müssen nun auch wieder. Danke für ihre Kooperation, Frau Bachmann.", verabschiedete sich Semir. Ben und Carina umarmten sich nochmal kurz, bevor die beiden Polizisten die Wohnung verließen.

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen

    <3

    • Zitieren

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!

Benutzerkonto erstellen Anmelden

Letzte Beiträge

  • 2 Neue Filme ab 14.1.2025

    Captainfrog 29. Juli 2025 um 00:11
  • Ankündigung: 21. internationales "Alarm für Cobra 11" - Fantreffen

    Marco 28. Juli 2025 um 20:40
  • Drehorte Berlin 90er Jahre

    Marco 16. Juli 2025 um 19:17
  • Offizieller YouTube-Kanal von Alarm für Cobra 11

    Marco 14. Juli 2025 um 19:31
  • Alarm für Cobra 11 - Fortsetzung 2024

    PAST 30. Juni 2025 um 18:25

Heiße Themen

  • Offizieller YouTube-Kanal von Alarm für Cobra 11

    8 Antworten, Vor 4 Wochen
  • AFC 11 Zitate/Sprüche raten

    4.078 Antworten, Vor 15 Jahren
  • 2 Neue Filme ab 14.1.2025

    25 Antworten, Vor 7 Monaten
  • Herbststaffel 2020

    763 Antworten, Vor 6 Jahren
  • Die Person nach mir...

    3.327 Antworten, Vor 16 Jahren

Statistiken

Themen
5.433
Beiträge
153.081
Mitglieder
308
Meiste Benutzer online
16.106
Neuestes Mitglied
Kevinswelt

Benutzer online

  • 1 Mitglied und 63 Besucher
  • Rekord: 16.106 Benutzer (16. März 2022 um 04:09)
  • Airbus340
  1. Impressum
  2. Datenschutzerklärung
  3. Nutzungsbedingungen
  4. Unterstütze uns
Community-Software: WoltLab Suite™