Pirun palvelijan - Diener des Teufels

  • Semir sah auf die Akte, die in Antti Heikkinens Hand leicht auf und ab schwang. „Du weißt, dass du das nicht tun musst“, sagte er. Heikkinen presste ein müdes Lächeln heraus. „Nein. Ich muss es tun, ob ich es will, das ist wohl eher die Frage.“ Der Blick des Größeren fiel in den Verhörraum, wo Matti Lindström saß. Er atmete tief durch und trat dann in den kleinen stickigen Raum.
    Matti Lindströms Kopf hob sich und seine von Hass durchfluteten Augen sahen ihn an. „Sie haben meine Frau und meine Tochter auf dem Gewissen“, zischte er.
    „Nein, das haben Sie.“ Er setzte sich vor dem Mann hin und schlug die Mappe auf. „Waren Sie in die Pläne von Erik Blomling eingeweiht?“
    „Nein.“
    Antti legte ein Handy auf den Tisch. „Für das Band. Herr Lindström wird Beweismittel 5 gezeigt. Ein Smartphone“, spulte er runter. Lindström griff nicht nach dem Handy, sondern verschränkte die Arme vor der Brust. „Sie wissen, was wir darauf gefunden haben?“, fragte Antti.
    Sein Gegenüber antwortete nicht. „Herr Lindström. Es gibt einen detaillierten SMS-Verkehr mit Blomling und einen Plan der Finlandia-Halle.“
    „Ich rede nicht mit Mördern!“
    „Sie reden also nicht mit Mördern?“ Antti reichte ihm ein Foto, nachdem er das Beweismittel in dem Tonband vermerkt hatte. „Diese junge Frau wurde von ihrer Tochter niedergeschossen, ehe Sie auch meinen Kollegen Mikael Häkkinen erschießen wollte. Sie hat nur mit Glück überlebt!“
    Lindströms Augen zogen sich zu Schlitzen zusammen. „Ich werde nicht reden. Nicht mit Ihnen!“
    „Sie haben keine andere Wahl. Ihr Sohn will sie nicht mehr sehen, Herr Lindström. Sie haben ihn verloren, ein für alle Mal.“
    Diesen Kommentar weckte zumindest etwas Menschlichkeit in Matti Lindström. „Er will mich nicht sehen?“, presste er leise heraus.
    „Haben Sie das wirklich geglaubt, nach alldem was sie ihm angetan haben? Ist Ihnen bewusst, dass er an Rhythmusstörungen gestorben wäre? Wieso haben Sie diesen unmenschliche Ritual an Ihrem eigenen Sohn durchgeführt?“
    „Ich wollte ihn nur retten“, wehrte sich der Befragte.
    „Wovor? Vor dem was er ist? Ein glücklicher Mensch? Ein Freund, auf den man sich verlassen kann. Er ist voller Liebe, voller Freude und Sie, Sie denken, dass Sie ihm das nehmen mussten?“
    „Er war besessen!“
    „Das habe ich beim besten Willen nicht sehen können, Herr Lindström.“
    „Sie haben von so etwas auch überhaupt keine Ahnung. Sie sind kein reiner Mensch! Sie wissen doch überhaupt nicht, wie es um diese Welt steht!“
    Antti atmete einige Male tief durch. Er musste es auf anderem Wege versuchen. „Sie wollten also nur die Welt beschützen?“
    „Natürlich. Ich wollte nie etwas Böses!“
    „Aber Sie geben zu, dass Sie Ihren Sohn gegen seinen Willen mitgenommen haben und auch gegen seinen Willen diese Spritzen gegeben haben.“
    „Ja. Er hat ja selbst nicht gesehen, wie es um ihn steht.“
    „Und die Bombe? Weshalb haben Sie die gemeinsam mit Erik Blomling legen wollen? Es kann ja keine böse Absicht dahinter gesteckt haben. Sie wollen ja die Welt nur vor dem Bösen bewahren.“
    „Es kann nicht sein, dass sich falsche Religionen mit der reinen Christlichen mischen. Wir wollten nur wachrütteln. Es gibt nur einen wahren Glauben!“
    Antti nickte. „Sie waren also an den Planungen beteiligt?“
    „Ja, sicher.“
    „Haben Sie noch weitere Befreiungsaktionen der wahren Religion geplant?“
    „Nein. Es sollte der Anfang von etwas Großem werden.“
    „War Ihnen bewusst, dass dabei Menschen sterben könnten?“
    „Es war eine Bombe, wie sollte es mir nicht bewusst gewesen sein?“, kam sofort die Gegenfrage. Antti machte sich eine Notiz in die Akte und stand dann auf. „Das sollte es für’s Erste gewesen sein.“
    „Bitte lassen Sie mich mit meinem Sohn reden!“, ertönte hinter ihm Lindströms Stimme.
    „Es tut mir leid. Er will Sie nicht sprechen.“


    Antti zog die Tür auf und trat hinaus, wo Semir schon auf ihn wartete. „Und hat er gestanden?“
    „Ja. Im Großen, schon … ja.“
    „Aber? Ich sehe doch, dass da noch mehr ist.“
    Der Finne lächelte gezwungen. „Nein, es ist nur. Es fällt schwer den Vater von jemanden zu befragen, den man so gut kennt.“ Antti sah in den Befragungsraum. „Es ist doch komisch, wie aus so einem Mann etwas wie Veikko entstehen kann. Ich meine, sieh dir Mikael an. Er wird von seiner Familie verfolgt, sie lässt ihn nicht los, obwohl er doch schon lange keinen Kontakt hat und Veikko? Dem merkst du das nicht an.“
    „Er steht zu seiner Familie, deshalb“, mutmaßte Semir. „Er versucht es nicht auszuradieren. Er steht dazu, dass diese Menschen ein Teil von ihm sind und ihm auf gewisse Weise auch wichtig.“
    „Das wird es wohl sein“, murmelte Antti gedankenverloren und löste dann den Blick von Matti Lindström.


    Sie verließen den Vorraum und fuhren anschließend hoch in die Büros der Mordkommission. Zum ersten Mal hatte Semir Zeit sich genauer umzusehen in dem kleinen Raum, den er bisher nur für wenige Minuten betreten hatte, als sie mit Kasper über Veikko gesprochen hatten. Die Tische standen etwas voneinander entfernt und wirkten beide sehr aufgeräumt. An der Wand hing ein Bild, auf welchem Antti gemeinsam mit Veikko und Mikael sowie ein paar anderen Kollegen abgebildet war, der er aber nicht kannte. Ansonsten hielt man sich mit Dekorationen zurück. Es stand noch eine Pflanze auf der Heizung, ansonsten aber Nichts. Semir sah auf den Schreibtisch, der unberührt schien. „Ist Kasper heute nicht hier?“
    „Er hat angerufen und sich freigenommen. Vielleicht ist es gut, vielleicht nicht. Ich kenne den Jungen nicht sehr gut, um beurteilen zu können, ob er gerade in seiner Schuld versinkt.“
    Semir nickte. „Lebt er alleine?“
    Antti hatte sich inzwischen hingesetzt und bettete die Beine auf seinen Schreibtisch. „Er hat keine Freundin soviel ich weiß. Lebt in einem kleinen Haus auf dem Grundstück seiner Eltern.“
    „Er hat ein Haus, für sich ganz alleine?“
    Der Finne lächelte. „Es ist kompliziert und hat mir bösen Gerüchten des Präsidiums zu tun.“
    Der deutsche Kommissar zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. „Klatsch und Tratsch also? Ich dachte darauf legst du keinen Wert?“
    Antti lachte laut. „Auch ich habe mal schwache Momente.“
    „Es hat mit Eva zu tun, oder? Es hat sich damals so angehört, als hätte sie eine Beziehung mit Kasper gehabt.“
    Antti gab sich geschlagen. Er verschränkte die Arme hinter den Kopf und lehnte sich in die Lehne seins Stuhles. „Ja du hast Recht. Sie hatten gemeinsam diesen Haus gebaut, große Pläne gehabt und dann, dann ist sie gegangen.“
    „Wegen Mikael?“
    „Nein. Es war in der Zeit, wo Mikael von der Internen durch den Fleischwolf gedreht wurde.“
    „Also wegen Mikael“, wiederholte Semir noch einmal.
    „Wie? Ich sagte doch, dass …“ Antti verstummte, als ihm ein kleines Detail bewusst wurde. Eva hatte bei der Internen gearbeitet, als sie noch im Polizeidienst war. Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. „Na hoffentlich verwandelt sich die Mordkommission nicht noch in eine Daily-Soap!“

  • Die kommenden Tage verliefen ohne große Vorkommnisse. Inzwischen war auch Andrea nach Helsinki gekommen und Semirs Frau kümmerte sich aufopfernd darum, dass es Eva im Krankenhaus an nichts fehlte. Für Mikael schien die Schussverletzung von Eva so etwas wie ein Weckruf gewesen zu sein. Seit diesem Augenblick arbeitet er unheimlich hart und nun hatten die Ärzte und die Krankengymnastin Sorge, dass er sich vielleicht überforderte. Ben hatte Mikael täglich für mehrere Stunden besucht. Die Nachdenklichkeit war zwar noch nicht wieder aus dem Gesicht seines Freundes verschwunden, aber es war um ein vielfaches leichter geworden auch mal entspannte Gespräche mit ihm zu führen.


    Es war zehn Uhr am Morgen, als Ben gemeinsam mit Semir aus dem Präsidium kam. Es waren vier Tage vergangen seit Erik Blomling Attentat auf die Stadt. Samuel Järvinen hatte vor zwei Tagen in einer Pressekonferenz seinen Rücktritt bekanntgegeben und somit den Medien einen Sündenbock für das Desaster geliefert. Im Präsidium war hingegen noch lange keine Ruhe eingekehrt. Jeder versuchte seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, wenn es um die Frage ging, warum man die Gefahr dieser Sekte nicht bereits viel früher erkannt hatte. Heute hatten sie zum letzten Mal die Berichte durchgesprochen mit der Sonderkommission und damit war zumindest für sie der Fall beendet. Die Soko ihrerseits würde in den nächsten Wochen und Monaten die anderen Gemeinden dieser Sekte genauestens unter die Lupe nehmen. Als sie aus dem Gebäude traten, erkannten sie Veikko. Der Finne saß auf den Treppen und schien in Gedanken versunken. „Hallo Veikko“, begrüßte Ben ihn und gab Semir dann ein Zeichen schon einmal vorzugehen.


    „Hey.“
    Ben setzte sich neben ihn auf die Stufen. „Warst du heute auch bei der Soko?“
    „Ja. Danach war ich noch kurz bei meinen Jungs in der KTU.“ Veikko atmete hörbar durch. „Ich hoffe, ich kann nun endlich damit abschließen. Ich hätte nie geglaubt, dass meine Familie so tief in ihren Wahn verfallen war.“
    „Du hast sie geliebt. Da ist es normal, dass man nicht alles sieht, oder nicht?“, versuchte Ben ihn zu beruhigen.
    „Vielleicht, ja. Dennoch wünschte ich, dass ich es hätte verhindern können.“ Er schluckte. „Mein Vater wird ins Gefängnis müssen, versteht aber dennoch nicht, was er falsch gemacht hat. Meine Mutter und Enni … Sie hat meinen besten Freund bedroht. All diese Dinge, die sie gesagt hat, getan hat.“
    Ben legte seine Hand auf Veikkos Schulter. „Ihr seid in dieser Sekte aufgewachsen. Sie kannte nur das eine.“
    „Vielleicht hätte ich sie schützen können, wenn ich sie zu mir geholt hätte“, murmelte Veikko leise.
    „Glaubst du das wirklich?“
    Veikko lächelte gezwungen. „Nein. Sie hätte sich nicht holen lassen. Sie hat viel zu sehr gehofft, dass ihre Familie wieder die Alte wird.“
    Ben nickte. „Hast du mit Kasper geredet?“
    „Ich habe ihm gesagt, dass ich dankbar bin, dass er Mikael beschützt hat. Vermutlich stimmt es, vermutlich hatte er keine andere Wahl.“
    „Er hatte keine andere Wahl“, bestätigte Ben und drückte seine Hand noch etwas fester auf Veikkos Schulter. „Hätte er nicht geschossen, dann wäre Mikael tot. Sie hat ihm nicht zugehört, nicht verstehen wollen.“
    Veikko stand auf und Ben löste seine Hand von dessen Schulter. „Ich muss los. Ich muss die Beerdigung von Enni und Mutter vorbereiten.“
    „Bist du sicher, dass du das tun solltest?“, gab Ben zu bedenken.
    „Meine Tate kümmert sich um alles. Sie hilft mir.“ Veikko schien irgendetwas in seinem Blick zu sehen. „Ich bin nicht Mikael, weißt du“, fügte der Finne hinzu. „ich werde nicht abstürzen.“
    „Das habe ich überhaupt nicht gedacht!“
    „Natürlich hast du das nicht!“ Veikko hob die Hand ein Stück und ging dann die Treppen runter in Richtung Bushaltestelle. „Man sieht sich!“, rief er ihm zu.


    Ben sah ihm hinterher und schob dann die Hände in seine Jeanstaschen. Er setzte sich ebenfalls in Bewegung Richtung Parkplatz. Veikko hatte ihn durchschaut. Natürlich hatte er sich diese Gedanken gemacht und sich gefragt, ob auf Veikko ein ähnliches Schicksal warten würde, wie auf Mikael. Ihn hatte Joshuas Tot auch nach all der Zeit nicht losgelassen. Als Ben auf den Parkplatz ankam, lehnte Semir an dem Leihwagen. „Warum setzt du dich nicht rein?“
    „Du hast die Schlüssel.“
    Ben griff in seine Jackentasche und zog den Autoschlüssel mit einem Grinsen hervor. „Das ist natürlich ein Grund.“
    Semir schüttelte mit einem Lächeln den Kopf. „Wir sollten uns beeilen. In einer halben Stunde müssen wir bei Antti sein. Andrea hat sich wirklich Mühe gegeben und ein tolles Menü für uns gezaubert.“
    Sie stiegen ein und Ben startete den Wagen. „Sie hat dir also schnell wieder verziehen deine Herzensdame, was?“
    „Ja, aber erst nachdem ich ihr hoch und heilig versprochen habe, dass ich in den nächsten Monaten keine Bomben kutschieren werde.“
    „Und das hat sie dir abgenommen?“, fragte Ben herausfordernd.
    „Nun werd ja nicht frech!“




    *



    Kasper Kramsu war sich nicht sicher, was er da tat. Warum zur Hölle war er hierhergekommen? Weil Eva es ihm gesagt hatte? War er wirklich noch so leicht beeinflussbar? Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, als er an die Tür klopfte. Er hatte schon gehofft, dass von Innen keine Antwort kommen würde, doch kurz darauf kam sie. Er zog die Tür langsam auf und trat ins Zimmer. Mikael Häkkinen saß im Bett und sah ihn verwundet an. Unsicher hob Kasper seine Hand. „Hei, Häkkinen.“
    „Kramsu. Was verschafft mir denn die Ehre?“
    Er zeigte auf einen der Stühle. „Darf ich mich setzen?“ Mikael zuckte mit den Schultern. Er setzte sich auf den Stuhl und betrachtete sein Gegenüber. Er war blass, dunkle Ringe zierten seine Augen. Es war ihm wirklich anzusehen, dachte er. Die letzten Monate. „Wie geht es dir?“
    „Du bist doch nicht hier um Smalltalk zu halten.“
    „Nein. Eigentlich weiß ich nicht, warum ich hier bin. Eva sagte, ich solle es tun, aber nun … scheiße, ich weiß es nicht.“ Er stand wieder auf und war bereits dabei fluchtartig das Zimmer zu verlassen, als Mikaels Stimme erneut ertönte. „Ich weiß, wieso du die Stelle angenommen hast.“
    Er drehte sich um. „Ich will dir Eva nicht wegnehmen. Sie hat damit nichts zu tun!“
    „Habe ich auch nicht gesagt. Samuel hat es mir erzählt.“
    „Oh.“ Er setzte sich wieder hin. „Hat er das?“
    „Vielleicht sogar des Öfteren.“ Mikael tippte mit dem Zeigefinger der rechten Hand gegen seinen Kopf. „Ich bin mir derzeit nicht wirklich so sicher.“
    „Als ich davon gehört habe, war ich zuerst Schadenfroh. Kalle Blomkvist hat einen Fehler gemacht, dachte ich, wurde auch Zeit.“ Der blonde Kommissar kratzte sich verlegen am Kopf. „Aber als ich gehört habe, wie schlimm es war und das du vielleicht sogar sterb … naja du weißt schon was ich meine … es tut mir ehrlich leid. So etwas hat niemand verdient. Egal was damals zwischen uns war.“
    „Blomkvist macht viel mehr Fehler, als du glaubst.“
    „Achja? Deine Quote ist einer der Besten. Nicht nur deshalb hast du noch eine Chance bekommen, nachdem das mit deinem Vater ans Licht kam.“
    „Was bringt es, wenn die die ich mache so schwer sind?“, sagte Mikael und sah aus dem Fenster.
    „Er ist tot, weil ich nicht gesehen habe, was Kaurismäki plant.“ Die Stimme des Schwarzhaarigen wurde leiser und Kasper sah, wie er mit den Tränen kämpfte. Er merkte, wie sein Herz begann schneller zu schlagen. Diese Situation wurde ihm unangenehm. Er war sicherlich nicht der Richtige, um Trost zu spenden. „Scheiße, das ist creepy!“, presste Mikael heraus und schluckte schwer. „Es tut mir leid … ich wollte nicht … hier vor dir.“
    „Es ist okay. Ich verstehe das.“ Kasper atmete tief durch und dann prasselte es einfach aus ihm heraus: „Ich verstehe das wirklich, diesen Gefühl, wenn dir der Gedanke daran all die Luft zum Atmen nimmt und du von dieser Dunkelheit umgarnt wirst.“
    Mikael antwortete nicht darauf, sondern sah ihn einfach nur an. Der blonde Kommissar fühlte sich noch unwohler in seiner Haut. Es war ein verdammter Fehler gewesen hierher zu kommen. „Ich hab Angst vor der Zukunft“, hörte Kasper sein Gegenüber leise murmeln. „Ich habe Angst, dass ich nach und nach alles verliere, was mir wichtig ist.“
    Mikael setzte sich mühselig in seinem Bett auf. Kasper wollte ihn erst zur Hilfe eilen, doch als der Schwarzhaarige mit der rechten Hand abwinkte, ließ er es bleiben. „Du weißt, was ich meine. Ich habe es gesehen, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Damals in der Polizeiakademie.“
    „Ja.“
    „Wie hast du es geschafft zu überwinden?“
    „Wieso fragst du ausgerechnet mich?“
    „Du bist die einzige Person, die mich bisher noch nicht wie einen Schwerkranken behandelt hat. Vielleicht deshalb.“
    „Ich weiß nicht. Ich habe das Gute am Leben wiederentdeckt, denke ich.“
    Mikael nickte und schwieg eine Weile, so dass Kasper wieder unwohl in seiner Haut wurde. Dann jedoch lächelte ihn sein Gegenüber ein. „Danke … für alles. Für diesen Tipp und dafür, dass du mich nicht erschossen hast.“ Der Schwarzhaarige lachte. „Bei deinen Schießergebnissen ist es eigentlich ein Wunder, das ich nicht die Kugel im Kopf habe.“
    „Ich habe nicht wirklich auf ihren Kopf gezielt“, gab er zu. „Ich weiß nicht, ob ich überhaupt gezielt habe. Ich habe einfach nur geschossen, dachte ich muss etwas tun.“
    „Das beruhigt mich jetzt nicht wirklich“, kam es aus dem Bett.
    Kasper sah, wie sein ehemaliger Klassenkamerad der Polizeiakademie immer wieder für wenige Sekunden die Augen schloss. Vermutlich war er fürchterlich müde. Der blonde Kommissar stand auf. „Ich sollte jetzt gehen.“ Kasper stellte den Stuhl in die Ecke des Raumes und sah noch einmal zum Bett, ehe er die Tür öffnete. „Wirst du dich an dieses Gespräch überhaupt erinnern?“
    Mikael zog den rechten Mundwinkel nach oben. „Das wirst du sehen, wenn du das nächste Mal vorbeikommst.“
    „Ich werde nicht noch einmal kommen Häkkinen.“
    „Das werden wir sehen, Kramsu.“

  • Kasper Kramsu sah durch das große Fenster und beobachtete Mikael dabei, wie er mit Hilfe der Physiotherapeutin mühselig einen Fuß vor den anderen setzte. Er wusste nicht, was ihn in den letzten Tagen wiederholt hierher getrieben hatte. Es war einfach passiert. Automatisch war er immer wieder hier gelandet. Dieser Mann war nicht der derjenige, den er auf der Polizeiakademie zu hassen gelernt hatte. Das hier, war jemand anderes. Die Kälte, die Mikael Häkkinen immer umgeben hatte, war verschwunden. In den vergangen Tagen hatten sie viel zusammengesessen und geredet.


    Er beobachtete, wie Mikael wieder in den Rollstuhl gesetzt wurde und kurz darauf begrüßte ihn die junge Physiotherapeutin. Er überlegte, ob er sie zum Essen ausführen sollte, verwarf den Gedanken jedoch sofort wieder. Nein, er war noch nicht über seine letzte Beziehung hinweg. Es wäre nicht fair ihr gegenüber.
    „Sah nicht besonders elegant aus, was?“, sagte Mikael als er ihn erblickte.
    „Nein, nicht wirklich. So wirst du dein Team beim diesjährigen Fußballspiel nicht zum Sieg bringen Häkkinen.“
    „Vielleicht könnten wir zu Handball wechseln, dafür braucht man keine Beine.“
    „Nein, ich glaube, dafür würdest du nicht die Mehrheit der Stimmen erhalten. Außerdem macht dein linker Arm auch Probleme. Damit wirst du nicht gut werfen können.“
    Kasper schob die Hände an die Schiebegriffe des Rollstuhles und sie setzten sich in Bewegung in Richtung des Zimmers. „Erinnerst du dich noch an den Satz, den du in der Polizeiakademie gesagt hast?“, fragte Kasper, als er die Tür zu dem Zimmer aufzog.
    „Ich habe nicht viel gesprochen, aber sicher mehr als einen Satz“, kam es trocken von vorne. Kasper stellte den Rollstuhl an den kleinen Tisch an das Fenster und setzte sich auf den gegenüberliegenden Stuhl.
    „Du kannst niemanden trauen. Nicht einmal dem Menschen, den du liebst. Letzten Endes, sind wir alle alleine“, wiederholte er die Worte, die ihm bis heute im Kopf geblieben waren. „Es war in der Vorlesung von Laine. Er hat darüber philosophiert, dass man seinem Team vertrauen muss. Unter allen Umständen.“ Kasper lächelte. „Du warst nicht ganz seiner Meinung. Hast ihm heftig widersprochen.“
    „Ja. Ich erinnere mich daran.“
    „Und? Denkst du immer noch so?“
    Mikael wich seinem Blick aus und sah aus dem Fenster. „Als ich in das Drogendezernat kam, dann habe ich begonnen allen zu vertrauen. Du weißt, wohin es geführt hat …“
    „Also ja“, stellte Kasper fest. „Du vertraust Antti und Veikko also nicht … nicht einmal Eva?“
    „Ich war noch nicht fertig“, widersprach der Schwarzhaarige. „Ich habe versucht ihnen nicht zu vertrauen. Ich habe versucht Antti auf Distanz zu halten, doch dann.“ Mikael löste den Blick vom Fenster und sah nun wieder Kasper an. „Ich bin nicht alleine. Das habe ich jetzt begriffen.“
    „Kennst du einen Knud Saari?“ In Mikaels Augen veränderte sich etwas, was Kasper nicht packen konnte. War es Angst, Wut oder Schuld? Er nickte nur. „Stimmt es was er erzählt? Er ist ein Bekannter meines Vaters, sie spielen gemeinsam Golf. Er hat es mir im Vertrauen berichtet.“
    „Ich weiß ja nicht, was er erzählt.“ Die Stimme von Mikael war unheimlich dünn und verwaschen geworden.
    „Du hast auf ihn geschossen, als ihr 16 wart. Du wolltest ihn umbringen.“
    „Unter gewissen Umständen, ist jeder zu Mord fähig“, murmelte Mikael leise.
    „Es stimmt also?“
    „Darüber will ich nicht reden.“ Kasper beobachtete, wie Mikaels Hand zu zittern begann und das war der Augenblick, wo er Zweifel bekam, ob er die ganze Geschichte kannte. Ob es wirklich stimmte, was Saari gesagt hatte. Wenn es das nicht tat, dann würde es sein ganzes Bild von Häkkinen weiter ins Schwanken bringen.
    Der Blonde lehnte sich etwas vor. „Hör zu Häkkinen. Ist das die ganze Wahrheit? Du hast Saari überfallen, als er durch das Viertel ging, wolltest sein Geld und hast ihm gedroht, wenn er zur Polizei geht, bringst du seine Familie um?“
    „W…ie? Nein … so-o war es nicht.“
    „Nein?“
    „Ist das hier jetzt ein Verhör!“, wütend krallte Mikael seine Hand in die Jogginghose. „Du … du willst mich fertig machen, stimmt’s? Du bist sauer … weil-weil ich Eva habe und du alleine bist! Weil dich niemand mag Kramsu. Weil du ein beschissener alter Schnösel bist, der nach Daddys Pfeife tanzt und nie etwas verkehrt macht!“
    Blitzschnell war Kasper aufgestanden und griff nach dem T-Shirt von Mikael. „Halts Maul Häkkinen. Du weißt nichts über mich!“
    „Ich mache doch nicht, was du mir sagst! Ich werde nicht zulassen, dass du mir einen Mordversuch anhängst! So einfach werde ich nicht den Weg räumen, damit du dich in meine Familie einnisten kannst. Oskari wird DICH niemals Papa nennen!“
    „Ich will Eva doch überhaupt nicht! Sie liebt nur dich dummen Idioten! Meinst du wirklich, dass ich mich noch einmal auf die Rolle als Platzfüller einlasse? Ich will nur wissen, wer du bist. Das ist alles, zur Hölle!“ Er ließ wieder los und stolperte zurück zu seinem Stuhl. Er versuchte, sich zu beruhigen, indem er langsam und kontrolliert ein- und ausatmete. Er war kurz davor gewesen Mikael zu schlagen. Einen Mann, der sich gegen ihn nicht hätte wehren können.


    „Knud Saari und ich waren Freunde“, ertönte es leise und Kasper sah auf. „Er hatte diese Gang im Viertel, als ich aus Deutschland kam … ich wollte nur dazugehören. Ich war so wütend, dass mein Vater mich einfach mitgenommen hatte, wo ich doch überhaupt nicht wollte.“
    „Moment“, unterbrach Kasper. „Saari ist auch dort aufgewachsen?“
    Er bekam ein leises sarkastisches Lachen als Antwort. „Wenn du dort sagst, klingt es fürchterlich erniedrigend. Weißt du? Aber ja. Er kommt auch aus dem Viertel.“
    Kasper nickte. Also hatte Saari in diesem Fall also schon einmal gelogen. Seine Eltern hatten nicht eine tolle Geschäftsidee gehabt, die ihm schon froh zu Geld verholfen hatte. „Eines Abends, da hatten wir eine Meinungsverschiedenheit.“
    „Worüber?“
    „Ist das von Bedeutung?“
    „Vielleicht.“
    „Er wollte ein Mädchen vergewaltigen. Ich nicht. So einfach ist das.“
    Kasper schluckte schwer. „Und dann? Hast du ihn dann mit der Waffe bedroht?“
    „Ich hatte den Schutz der Gruppe verloren. Ich weiß nur noch, wie er meinen Kopf immer und immer wieder gegen die Steine gehauen hat.“
    Der blonde Kommissar sah, wie Mikael das Gesicht verzog. Er überanspruchte ihn mit dieser Sache. Er schien fürchterliche Kopfschmerzen zu haben. „Wir sollten ein Pause machen“, setzte er an, doch Mikael schüttelte den Kopf. „Ich war ein paar Tage im Koma deshalb. Vor allem wegen innerer Verletzungen. Sie müssen noch auf mich eingeprügelt haben, als ich bewusstlos war.“
    Der Ton, in dem Mikael sprach, verriet ihm, dass es etwas war, was vielleicht niemand wusste. So vorsichtig. Jedes Wort schien er sorgfältig zu wählen, als hätte er Angst, dass er es falsch verstehen könnte und verdrehte. „An einem Tag, da habe ich meinen Vater streiten gehört mit meinem Großvater. Es war bei uns zu Hause … und doch war er nicht da, um mich zu besuchen.“ Mikael sah auf seinen Schoß. „Ich habe … ich habe gehört, wie er mich schwach und nutzlos genannt hat. Irgendwas ist in diesem Moment passiert. Ich hatte eine solche Wut auf Knud bekommen. Ich habe mir die Waffe besorgt und auch wenn Josh versucht hat mich davon abzubringen, bin ich zu Knud und habe ihn die scheiß Knarre vor seine große Fresse gehalten.“ Die Wut packte zu und nun schien Mikael nicht mehr darauf zu achten, ob er die richtigen Worte wählte. „Er hat gewinselt, dass ich ihm nichts tun soll. Sich sogar angepisst dabei … am Ende habe ich nur auf seine Schulter geschossen, weil er so erbärmlich war! Der Rest, den er erzählt hat, entsprach der Wahrheit.“


    Kasper saß auf einem Stuhl und betrachtete den Mann, der gegenüber von ihm saß. Es gab für ihn keinen Grund zu zweifeln, dass Mikael ihm nicht die Wahrheit erzählte. Er hatte zu viel zu verlieren, um zu lügen. „Wenn das rauskommt, könnte es dein Untergang sein“, sagte er.
    Mikael lachte. „Mein Untergang? Sieh mich an? Was habe ich noch zu verlieren und außerdem würde Knud niemals zur Polizei. Denn auch er kann dabei nur verlieren.“
    Kasper nickte und verfiel dann wieder in Schweigen. „Du hast wohl nie etwas falsch gemacht, was?“, hörte er Mikael schnippisch fragen.
    „Doch vieles.“ Der Blonde lächelte müde. „Ich habe mir die falschen Freunde gesucht, damals auf der Polizeiakademie. Im Nachhinein wünschte ich, dass ich mich da schon an Veikko gehalten hätte.“ Er fuhr sich durch die Haare. „Im Grunde bin ich neidisch auf dich. Joshua, Veikko und Antti, die würden für dich durchs Feuer gehen. Meine Freunde haben sich abgewandt, als ich ein Disziplinarverfahren hatte.“
    „Wir werden keine Freunde, nur weil du dich bei mir ausheulst.“ Kasper lachte und schüttelte den Kopf. Typisch Häkkinen. Kalt und sachlich, wie immer. „Das erwartete ich auch nicht“, erklärte er.


    Sie saßen noch einige Zeit stumm an dem Fenster, ehe sich Kasper entschied zu gehen. „Schreib dir auf, dass ich hier war und über was wir geredet haben. Das Gespräch war unangenehm und ich will es ungerne noch einmal führen.“
    „Meine Schrift kann man derzeit doch überhaupt nicht lesen, ich bezweifle, dass ich überhaupt ein Wort hinbekomme.“
    Kasper öffnete die Tür und trat in den Flur. „Dann gibt dir Mühe, dass du es nicht vergisst!“

  • Ben stellte den Leihwagen auf den Parkplatz ab und stieg dann aus. Heute würde er sich von Mikael verabschieden müssen, da er am Abend zurück nach Finnland fuhr. Andrea und Semir hatten das Glück und konnten noch ein paar Tage hier bleiben, aber er wollte nicht zu viele seiner Urlaubstage verschwenden. Immerhin wollte er seinen Freund auch in den nächsten Wochen besuchen. „Hoffentlich vergisst er es nicht“, murmelte er in Gedanken, als er den langen Kiesweg zur Klinik heraufging. Zu seinem Erstaunen stellte er fest, dass Mikael nicht auf seinem Zimmer war, sondern mit Kasper unter dem Pavillon am See saß. Hatte ihm Veikko nicht erzählt, dass die beiden sich überhaupt nicht leiden konnten? Er ging langsam auf das Paar zu. Keiner von ihnen, schien in zu bemerken und so blieb Ben einige Meter von ihnen entfernt stehen. Sie hatten einig Bilder vor sich auf dem Tisch ausgebreitet und Kasper las etwas auf Finnisch vor. „Was genau macht ihr da?“, fragte er nach einer Weile laut. Die beiden Finnen sahen auf.
    „Kramsu hat mir einen Fall mitgebracht“, antwortete ihm Mikael und legte das Foto, was er in der Hand hielt auf den Tisch. Ben sah den Blonden skeptisch an. „Einen Fall? Ist das nicht etwas zu anstrengend.“
    „Wieso?“
    Ben tippte so unauffällig wie möglich gegen seine Stirn.
    „Ich bin anwesend, weißt du“, kam es von Mikael.
    „Das sehe ich. Du sitzt ja dort.“
    „Dann tue nicht so, als wäre ich es nicht“, schimpfte der Schwarzhaarige leise.
    Kasper lächelte und suchte die Fotos zusammen, um sie dann in die Mappe vor sich zu stopfen. „Er sitzt den ganzen Tag hier rum und langweilt sich. Ich wollte nur für etwas Abwechslung sorgen.“
    „Und da bringst du Arbeit mit?“
    „Ich brauchte eine zweite Meinung.“
    „Eine zweite Meinung?“, entkam es dem deutschen Polizisten etwas skeptischer, als er wollte.
    „Ben“, unterbrach ihn Mikael.
    „Was?“
    „Ich bin ein erwachsener Mann.“
    Er zog die rechte Augenbraue leicht nach oben. „Ja und?“
    „Du nimmst mir alles ab! Du schaust nicht einmal, ob ich es auch alleine könnte. Auf die Dauer ist das etwas erniedrigend.“
    Der deutsche Kommissar schluckte schwer, als er die Kritik hörte. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Mikael es vielleicht falsch verstehen würde. „Ich meinte es nur gut.“
    „Das weiß ich. Ich bin dir auch wirklich dankbar für deine Besuche, aber bitte lass mich selbst entscheiden, was ich kann und was nicht. Ja?“
    „Natürlich.“ Geschlagen setzte er sich hin. „Was ist das denn für ein Fall?“, fragte er nun wieder in Kaspers Richtung.
    „Eher privater Natur“, murmelte der Angesprochene leise.
    Ben sah die beiden Finnen abwechselnd an. Er konnte nicht verhindern, dass er sich ausgeschlossen fühlte, während die beiden Männer, die Veikko als Erzfeinde bezeichnet hatte, hier zusammen saßen und geheime Fälle besprachen. „Na dann.“
    Kasper schien seine Enttäuschung richtig zu Deuten. „Gut … es geht um den Tod meiner Schwester. Ich wollte schauen, ob es vielleicht Hinweise gibt, ob Matti Lindström damit zu tun hat. Immerhin war auch damals bei diesen Ritualen dabei, meine ich“, lenkte Kasper ein und öffnete die Mappe wieder, um ihn die Unterlagen zu reichen.
    Ben lächelte. „Ich kann kein Finnisch. Lass mal.“
    Kapser legte das Blatt wieder zurück und legte den Kopf auf seinen rechten Arm. „Ich glaube, da ist ohnehin Nichts, was man gegen ihn als Beweis benutzen könnte.“
    „Du gibst zu schnell auf“, schimpfte Mikael und zog ihm die Fotos unter den Arm weg.
    „Jaja Häkkinen. Ich habe es dir in den letzten zwei Stunden doch schon zwei Mal alles erklärt. Du bist derjenige, der es sofort wieder vergisst. Du hältst damit alles nur auf!“
    Ben blieb für einen Augenblick die Luft weg. Wie zur Hölle konnte Kasper es wagen, Mikael so grob darauf anzusprechen. Er musste doch etwas Fingerspitzengefühl an den Tag legen können. Es war ja immerhin nicht Mikaels Schuld, dass er es wieder vergaß und er selbst war eigentlich dazu übergegangen, dass er es ignorierte.
    „Du hast sie mir gebracht, Kramsu. Also sei leise und las dir helfen!“ Mikael zog weitere Fotos zu sich rüber und breitete sie vor sich aus. „Was ist mit DNA-Spuren?“
    „Wie ich schon zwei Mal sagte, es gibt Keine“, nuschelte Kasper.
    „Vielleicht solltest du ihn verhören.“
    „Und dann? Denkst du er wird es zugeben? Einfach so.“ Der Blonde lehnte sich zurück. „Was kann ich ihm überhaupt nachweisen? Ist es überhaupt Todschlag, Mord?“
    „Naja fahrlässige Tötung ist es doch auf jeden Fall“, fuhr Ben dazwischen.
    Kasper fuhr sich durch die Haare. „Ich kann es Veikko ohnehin nicht antun. Nicht nach dem, woran ich schon Schuld bin.“
    „Woran bist du Schuld?“, hörte Ben Mikael fragen.
    Kasper stöhnte laut auf. „Himmel Häkkinen, dein Käsegehirn hätte ich gerade auch gerne. Krankenhauspark, Waffe gegen deinen Schädel, Enni Lindström.“
    „Sag mal bist du noch ganz Di …“ Weiter kam Ben nicht, ehe Mikael die Hand hob. „Daran erinnere ich mich, Kramsu. Ich habe es ja nun oft genug gehört. Aber daran, das meinte ich. Du hast nur deinen verdammten Job gemacht. Diese Verrückte …“ Der Schwarzhaarige hielt inne. „Enni“, korrigierte er sich dann. „Sie wollte nicht hören! Dafür kannst du überhaupt nichts.“
    „Denkst du das wirklich?“ Die Stimmlage von Kasper war wieder ruhiger geworden.
    „Du denkst, dass ich dir ein reines Gewissen einreden würde? Sicher Kramsu“, erwiderte Mikael trocken und sah dann wieder auf die Bilder. „Ich kann darauf nichts erkennen.“ Er reichte sie Kasper zurück. „So leid es mir tut. Du könntest Veikko danach fragen. Er kann auch ein bisschen Profilern.“
    „Es ist schon gut. Vielleicht sollte ich einfach damit abschließen, ein für alle Mal.“
    Der blonde Finne packte die Bilder und Zettel wieder in die Mappe und stand dann auf. Er reichte Ben die Hand. „Gute Heimreise. Vielleicht sieht man sich ja demnächst ja wieder.“ „Ja vielleicht“, erwiderte er und sah dann zu, wie Kasper sich kurz bei Mikael verabschiedete und dann in Richtung Parkplatz lief.
    „Du musst zurück nach Köln?“ Ben sah wieder in Richtung seines Freundes. „Ja. Mein Urlaub ist leider nur begrenzt und wenn ich die nächsten Wochenenden zu Besuch kommen will, muss ich mir das etwas einteilen.“
    „Achso.“
    „Bist du enttäuscht?“, hakte er nach.
    „Nein. Wieso sollte ich?“
    „Ich höre es doch an deiner Stimmlage. Diesmal komme ich ja auch in ein paar Tagen wieder.“
    Mikael nickte. „Ich habe das mit den Wochentagen noch nicht wieder wirklich drauf. Ich glaube nicht, dass ich es mir merken kann, wie viele Tage nun vergangen sind.“
    „Ich bin mir sicher, Eva hilft dir. Sie wird ja in zwei Tagen entlassen.“
    Ein Strahlen huschte über das Gesicht des Schwarzhaarigen. „Ich vermisse sie schon.“
    „Und wenn ich das nächste Mal hier bin, dann hoffe ich doch, dass du ganz ohne Rollstuhl zurechtkommst.“
    „Ich gebe mein Bestes.“


    Ben sah auf den See und beobachte ein paar Enten dabei, wie sie unter Wasser tauchten. Mikael schien es heute viel besser zu gehen. Es war einer der guten Tage, wo er viel mitkam von der Welt um sich herum. Vielleicht war es ja der Augenblick, um ihm zu sagen, was wirklich passiert war, ehe sie Westhof besucht hatten? Dass sich fürchterlich gestritten hatten? Andererseits. Mikael hatte in den letzten Tagen aufgehört zu fragen, vielleicht war es nun nicht mehr wichtig. „Du Mikael?“
    „Hmm?“
    „Die Tage vor dem Sturz. Erinnerst du dich daran inzwischen besser?“
    Sein Freund blieb lange stumm und schien genau zu überlegen. Dann schüttelte er allerdings den Kopf. „Nein. Es ist alles eine Suppe aus Nichts. Ich weiß ein paar Bruchstücke, mehr nicht.“
    „An was erinnerst du dich denn?“
    „Das wir im Büro waren, mit diesem Buch. Ich habe Eva angerufen, aber ich habe keine Ahnung, worüber wir gesprochen haben. Den Streit und den Abend. Ich lag im Bett und habe überlegt, wie ich mich entschuldige.“ Mikael lächelte. „Aber mir scheint ja etwas eingefallen zu sein.“
    Ben erwiderte das Lächeln gedrungen. „Ja. Die Entschuldigung ist dir gut gelungen“, antwortete er flapsig und ärgerte sich im gleichen Augenblick, dass er es wieder einmal verpasst hatte, die Wahrheit zu sagen und das, obwohl Mikael gerade erst gepredigt hatte, dass er niemand brauchte, der ihn beschützt.
    Er hörte ein Lachen. „Gut gelungen? Das hört sich total bescheuert an!“
    Ben atmete tief ein und aus, um seine angespannten Nerven zu beruhigen. „Komm, ich bring dich wieder rein. Und danach muss ich dann auch wohl los.“

  • Epilog ( 2 Monate später)


    Eva hob den Kopf ein Stück an und sah in den Himmel. Unablässig fiel leichter Schnee, in großen Flocken segelte er auf die eisige Erde zu. Der Strand war in ein trübes Winterlicht gehüllt und dennoch konnte sie von sich behaupten, dass sie trotz des Wetters nicht betrübt war.
    Mikael lief neben ihr. Sein Arm war in ihren gehakt und seine Schritte waren noch immer wackelig und unkoordiniert. Manchmal wirkte er wie ein Betrunkener, wenn er mal nach rechts und mal nach links schwankte, aber auch das ließ inzwischen immer mehr nach. Einzig die Dinge in seinem Kopf schienen noch auf sich warten zu lassen. Mikael hatte immerzu fürchterliche Kopfschmerzen und Schwindelanfälle und er vergaß noch sehr viele Dinge. Seine Konzentration reichte derzeit nur eine Sache - sobald mehrere Dinge ins Spiel kamen, war er überfordert. Und trotzdem, sie war der Auffassung, dass er angesichts der Umstände Glück hatte. Die Ärzte hatten ihnen deutlich weniger Hoffnung gemacht.


    Sie merkte, wie Mikael langsamer wurde und schließlich stehen blieb. Er löste seinen Arm von ihrem und hockte sich wackelig vor ihr hin. „Eva, willst du mich heiraten?“ Er sagte die Worte hastig und zugleich auch leise, als wäre er ein schüchterner Schuljunge.
    Ihre Augen weiteten sich. Völlig verblüfft schaute sie auf ihn hinunter. „Kniest du gerade vor mir nieder?“
    „Ja.“
    Sie lachte verlegen. „Sei nicht albern. Steh wieder auf!“
    „Willst du mich heiraten? Willst du meine Frau werden?“, wiederholte er abermals. Seine raue Stimme, die diese unerwartete Frage gestellt hatte, klang ihn ihrem Kopf nach.
    Ihre Wangen liefen rot an. Sie fühlte sich, als würden alle Spaziergänger am Strand sie auf einmal ansehen. „Die Leute gucken schon alle!“
    „Und das sollte dir zeigen, wie ernst es mir ist.“ Er zog einen Ring hervor. „Ich möchte, dass wir Drei, dass wir eine richtige Familie sind … die letzten Monate. Ohne dich, ich hätte das nicht geschafft. Es ist mir egal, wie steinig der Weg noch ist, solange du an meiner Seite bist!“
    Eva kniete sich zu ihm herunter. Ihr Kopf war ganz dicht neben seinem. „Ja doch. Ich will“, flüsterte sie in sein Ohr und gab ihm dann einen Kuss. „Und jetzt komm wieder hoch. Das Überkitschige passt nicht zu dir.“ Sie griff nach seinem Arm und half ihm wieder nach oben. „Dabei hatte ich noch James Blunt auf mein Handy gezogen!“


    Sie umarmte ihn und fuhr liebevoll durch sein Haar, während sie ihn abermals küsste. „Den können wir ja dann für den Hochzeitstanz nehmen, nicht?“
    „Wenn ich eine Waffe dabei haben darf, um mich danach zu erschießen, gerne“, antwortete Mikael und lachte leise. Er löste sich aus der Umarmung und griff nach ihrer Hand. „Und nun, lass uns schauen, ob der Ring auch passt.“ Er steckte den Ring an ihren Finger und sie lächelte, während sie ihn betrachtete. Er war schlicht, aber dennoch schön. Mit einem einzelnen Stein im Brillantschliff. Er war der Beweis dafür, dass sie das alles nicht träumte. Er hatte sie gefragt, ob sie seine Frau werden wollte. Er band sich an sie und Oskari. Das war ein Versprechen, das sie zusammengehörten. „Ich liebe dich!“, sagte sie und gab ihm abermals einen Kuss. Mit einem schmalen Lächeln sah er sie an. Sie ließ ihre rechte Hand seinen Brustkorb hinab gleiten und auf seinem Herz rasten. Es hämmerte fürchterlich gegen ihre Handfläche. So aufgeregt hatte sie ihn sicherlich noch nie erlebt - nein, das stimmte nicht. Bei Oskaris Geburt, da hatte Mikael ebenfalls vor Aufregung keinen klaren Gedanken fassen können.
    Er griff nach ihrer Hand und hielt sie fest in ihrer. „Danke, dass du mich gerettet hast“, flüsterte er und drückte ihre Hand sanft.
    Sie verharrten einige Minuten im Schweigen. Dann ging er langsam weiter und hakte sich wieder bei ihr ein.
    „Woher hast du ihn überhaupt?“, fragte Eva, während sie die Hand vor ihrem Gesicht hin und her drehte und den Ring betrachtete. Mikael musste Hilfe gehabt haben. Er hatte die Reha-Klinik erst heute Morgen verlassen.
    „Ben hat mir geholfen. Er war beim Juwelier und hat mir ein paar Fotos geschickt. Gefällt er dir?“
    Sie nickte. „Ja doch, er ist wunderschön!“
    „Als Gegenzug besteht er allerdings darauf der Trauzeuge zu sein“, erklärte Mikael neben ihr.
    Eva lachte. „Nun, das lässt sich machen.“



    -FIN-

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