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Swastika

    • Fertig gestellt
    • Campino
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  • 13. Juni 2015 um 01:12
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    • 2. September 2015 um 23:52
    • #41

    KTU - 09:15 Uhr


    Kevin hatte einen Umweg genommen. Statt direkt zur Dienststelle zu fahren, fuhr er einen Umweg über die KTU, um Hartmut einen Besuch abzustatten. Ohne anzuklopfen trat der junge Polizist in die große Garage, Hartmuts Arbeitsplatz, der Computerplatz, kleines Labor und Autowerkstatt miteinander verband. Das rothaarige Genie saß, wie eigentlich immer, an seinem Rechner und betrachtete endlos lange Zahlenkolonnen, die wohl niemand wirklich, ausser er, verstand. Er schien völlig versunken zu sein und beachtete gar nicht, dass Kevin von hinten mit der Sprühdose in einer Tüte und dem Molotov-Cocktail in der anderen Tüte heran kam. Auch der Polizist bemerkte, dass Hartmut völlig abwesend war, und nicht mal reagierte, als er ganz dicht hinter ihm stand und sich leicht neben Hartmuts Ohr nach vorne beugte.
    "Man könnte den Laden ausrauben, und niemand würde es bemerken.", sagte er ohne Begrüßung und Hartmut fuhr gewaltig zusammen, so dass er seine beiden Hände mit einem Mal auf die Tastatur schlug. Sofort erschienen neue Zahlen und Buchstaben, die für Kevin genauso wenig Sinn machten, wie der Rest. "Sag mal, bist du völlig wahnsinnig?", hechelte Hartmut und blickte seinen Freund mit weit aufgerissenen Augen und einer Hand auf der Brust an. "Du kannst mich doch nicht so erschrecken." Dann blickte er auf den Monitor und die Buchstaben und Zahlen, die da scheinbar nicht hingehörten. "Och nein... wie kommt das denn da rein.", jammerte er und legte den Kopf schief. "Vergiss es, die Rechnung stimmt eh nicht.", winkte Kevin ungeduldig ab, obwohl er keinen Plan hatte, was er da sah.


    "Rechnung?", quietschte Hartmut, als hätte man ihn gerade persönlich beleidigt. "Das ist ein Programmcode! PROGRAMMCODE! Mit diesem Programm werde ich die Ortung von Mobilfunktelefonen revolutionieren." "Ja, super. Hier.", zeigte sich Kevin besonders interessiert... nicht. Und Hartmut hatte mal wieder nur ein "Banause" für ihn und seine ebenfalls technisch wenig begabten Kollegen übrig. Der Polizist legte beide Tüten auf den Tisch. "Ich brauche die Fingerabdrücke hier von, und am besten auch gleich mal durch den Computer jagen." Hartmut sah ein wenig wehleidig nach oben. "Muss das jetzt sofort sein." Er konnte einen Seufzer seines Gegenübers vernehmen, ein leichtes Rascheln als Kevin hinter sich Griff und aus seiner Gesäßtasche eine, zugegebenermaßen, etwas eingedrückte Tüte mit einem Schoko-Crossaint und ein Tetrapak Kakaomilch hervor zauberte.
    Hartmuts Augen begannen zu leuchten, und sein Mund wurde breiter. "Wenn das so ist...", sagte er und wollte bereits zugreifen, doch Kevin hielt beides so hoch, dass der Rothaarige vom Stuhl aus nicht heran kam. "Erst die Arbeit, dann das Fresschen. Komm schon, ich habs eilig." "Na schön." Hartmut zog sich Einweghandschuhe an, nahm die beiden Tüten und ging herüber zu seinem Labortisch. Mit einigen Lösungen bespritzte er die beiden Beweisstücke, und konnte dann den Rest mit einem Pinsel entfernen. Dort wo Fingerabdrücke waren, blieb von der Substanz noch etwas übrig. "Ist das Suchen im Computer nicht mehr Aufgabe eurer Sekretärin?", fragte er ein wenig provokativ. "Andrea ist noch nicht wieder im Dienst. Aber kein Problem, ich geb das Ding Hotte... der freut sich dann aber auch über dein Frühstück.", meinte Kevin, der sich, mit dem Gesäß an Hartmuts Tisch gelegt, eine Zigarette drehte. "Schon gut, schon gut.", beschwichtigte Hartmut sofort.


    Nach wenigen Minuten kam der KTU-Techniker wieder zurück an seinen Computer, an dem ein Scanner angeschlossen war, mit dem er die Sprühdose abscannte. "An der Flasche mit dem Brennstoff war auch einer. Scheinen identisch zu sein. Da kann ich gleich mal durchs Glas schauen, ob ich Faserstoffe finde." "Wirst du wohl, ich hab das Ding mit nem Taschentuch angefasst.", sagte Kevin und steckte sich die Zigarette in den Mund. Hartmut stoppte sofort die Arbeit und sah Kevin an. "Mit Frühstück bringst du mich zum Arbeiten, aber wenn du hier drin rauchen willst, ist Feierabend.", meinte er streng und zeigte mit einer Kopfbewegung auf das "Rauchen verboten" - Schild an der Wand. "Mit den Chemikalien hier drin können wir einen Krater groß wie Bremen in den Boden hier sprengen." "Ich rauche ja nicht bei den Chemikalien.", raunte Kevin, zeigte aber Einsicht und steckte sich die Zigarette hinters Ohr.
    Er sah zu, wie Hartmut mit schnellen Fingern die Maus und Tastatur bediente, den abgescannten Fingerabruck in eine Programm importierte, und die Suche durch die komplette Datenbank der Polizei jagte. Der Balken bewegte sich nur mühsam von links nach rechts. "Lass mich wenigstens mal beißen...", nörgelte Hartmut, während er sich in seinem Chefsessel zurücklehnte, und wie ein Dackel Kevin von unten herauf ansah. Beinahe bekam der Polizist, der lächelte, ein wenig Mitleid, jedoch merkte er auch, dass ihm Hartmuts gute Laune richtig gut tat. Vielleicht sollte er öfters hierher kommen, wenn es ihm beschissen ging, statt nach Hause zu Jenny zu fahren. Nach Hause... war das sein zu Hause, fühlte er sich zu Hause? Die Gedanken der letzten beiden Tage stiegen auf einmal wieder in ihm auf, doch er wollte nicht zulassen, dass sie wieder Besitz von ihm ergriffen. Er schüttelte sie mit einer Kopfbewegung ab, was Hartmut als "Nein" verstand.


    Stattdessen nahm er die Molotov-Cocktail-Flasche in die Hand und bemühte sein Auge durch eine Vergrößerungslupe. Mit einer Pinzette entfernte er eine Faser, legte sie vorsichtig in eine Art kleines Plastikschälchen, um sie unter dem Mikroskop zu untersuchen. "Hmm...", sagte er nachdenklich. "Könnte wirklich von deinem Papiertaschentuch sein. Wenn da jemand versucht hat, was abzureiben, ist es ihm misslungen. Willst du mir nicht mal erzählen, was überhaupt passiert ist?" In kurzen knappen Sätzen erzählte der Polizist von dem kleinen Vorfall gestern Nacht. Und dass er die Sprühdose und Flasche heute morgen an der verzierten Wand gefunden hatte. "Warum hat er versucht, das eine abzuwischen, das andere nicht?"
    "Vielleicht hat er es erst später gemerkt... also, zu spät daran gedacht.", überlegte Hartmut. In Kevins Kopf arbeitete es... war der Attentäter wirklich so blöd... so hektisch? Jemand von den Rechten? Nachdem was Annie erzählt hatte, sollten das doch Profis sein, wenn sie wirklich so gefährlich waren. Oder doch aus der linken Szene? Der kleine Punk, der Kevin so misstrauisch angesehen hatte, als er mit Annie gestern verschwand... als würde der Polizist gerade seine Freundin abschleppen. Die Statur würde ja passen... ein wenig Nervosität ebenfalls. "Oder?", fragte Hartmut nochmals, und Kevin regestrierte, dass er gerade eine Frage des KTU-Technikers verpasst hatte. "Was?" "Na, es könnten ja auch zwei Täter gewesen sein.", wiederholte er, doch der Polizist schüttelte den Kopf. "Ich hab definitiv nur einen weglaufen gehört."


    Ein kurzes Signalgeräusch von Hartmuts Arbeitsplatz zeigte an, dass der Suchvorgang beendet war. Hartmut rollte sich mit seinem Stuhl zurück an seine Station, und meinte, beinahe schon liebevoll in Richtung seines Computers. "Ah, sie hat was gefunden..." "Sie?", wiederholte Kevin mit schelmischen Grinsen... doch das Grinsen blieb ihm im Halse stecken, der Herzschlag setzte einen Moment aus und er spürte, wie der Boden unter ihm zu wanken begann. "Die Fingerabdrücke gehören zu einer Annie Johnson. Kein fester Wohnsitz, der Vater englischer Staatsbürger, Mutter Deutsche. Oooh, die ein oder andere Vorstrafe. Landfriedensbruch, Körperverletzung gegen Polizeibeamte und Beamtenbeleidigung. Nettes Mädchen. Der Name ist auch schon öfters beim Staatsschutz aufgetaucht. Soll ich dir das ausdrucken?" Hartmut blickte hinter sich, als er keine Antwort erhielt. "Kevin? Ist alles klar?" Der Polizist sah desillusioniert auf das Bild vor sich, ein Foto aufgenommen scheinbar nach einer Verhaftung, Annie mit gelb-grün gefärbten Haaren, die Zunge rausstreckend und einer Schürfwunde an der Wange. Polizisten gingen mit Punks im Allgemeinen im zweiten und dritten Versuch nicht mehr zimperlich um, der Hass auf die "Staatsgewalt" der linken Szene kam nicht von ungefähr. "Kevin?" "Hmm? Ja... druck mir das bitte aus." Der Polizist fuhr sich durch die Haare, legte Hartmuts Belohnung auf den Tisch, und bedankte sich. Der KTU-Techniker konnte sich den raschen Stimmungswandel des Polizisten, von "etwas gestresst" zu "völlige Apartheit" nicht erklären.
    Auf dem Weg nach draussen zog Kevin sofort sein Handy. Annie anrufen? Nein... das musste er persönlich klären... Auge in Auge. Er wählte Semirs Nummer, und der kleine Polizist nahm auch sofort ab. "Was ist denn los? Bist du liegen geblieben?" "Ich war noch bei Hartmut. Auf der Spraydose sind Annies Fingerabdrücke.", kam er ohne Umschweife sofort zum wichtigen Punkt, und Semir war natürlich sofort im Bilde, sie hatten die Bilder ja bekommen. "Ach du Scheisse... auf dem Cocktail auch?" "Ja... da auch", sagte Kevin zögerlich. Der Cocktail war natürlich eine ganze Spur härter als harmlose Farbe, und ein Brand wurde nur verhindert, weil Kevin das Zischen der Dose hörte. Ich fahr zu ihr." "Sollen wir auch...", begann Semir und wurde, wie er schon vermutet hatte, sofort von Kevin unterbrochen. "Nein. Das mache ich lieber alleine." Trotz des mulmigen Gefühls bei dem erfahrenen Polizisten, nickte er, für Kevin nicht sehbar, am Telefon. "Na schön. Ich vertrau dir. Aber wenn du dich bis 11 Uhr nicht gemeldet hast, kommen wir hin." "Gib mir Zeit bis um 12.", verlangte Kevin und stieg in seinen Wagen. Bevor er auflegte sagte er noch: "Das muss ein Missverständnis sein. Ich weiß nicht genau was, aber irgendwas stimmt da nicht. Warum sollte Annie das tun?" "Vielleicht hat sie rausbekommen, dass du ein Bulle bist?", sagte Semir nachdenklich und Kevin verharrte für einen Moment. Dann schüttelte er den Kopf: "Selbst dann würde sie mich nicht versuchen, umzubringen." Und als bräuchte er selbst eine Bestätigung setzte er hinzu: "Nein... das würde sie nicht. Garantiert nicht."

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen

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    • 4. September 2015 um 10:22
    • #42

    Lagerhalle - 10:00 Uhr


    Kevin fühlte sich unwohl in seiner Haut... er hätte es nicht beschreiben können, wie sich dieses komische, ungute Gefühl genau anfühlte aber es war da, es präsent während er kompletten Autofahrt von der KTU bis ins Industriegebiet, und bei den Schritten zum Eingang der Lagerhalle. Bei seinem ersten Besuch überwog die Erinnerung an seine Jugendzeit beim Betreten der Halle, beim zweiten Besuch die Unsicherheit im Bezug auf Annie und das zweite Wiedersehen... unwissend, welche Gefühle sie noch für ihn hegte. Jetzt spürte er ein Ziehen im Magen, ein leichtes Pochen im Kopf als wolle sein Körper ihn vor drohendem Unheil warnen. Die Luft war kühl geworden, und es war zugig, als Kevin die Tür zur Halle öffnete und hinter sich wieder schloß. Durch die gerissenen Glasscheiben, die direkt unterm Dach an der Wand waren, zog der Wind pfeifend durch.
    "Annie?", rief Kevin nach einigen Schritten und sein Echo antwortete ihm mehrfach. Von den Punks war niemand zu sehen, am Eingang nicht, draussen auf dem Platz nicht und auch nicht als der junge Polizist nun in Sichtweite der Planen kam, die notdürftig die Schlafplätze abgrenzten. Ausser dem Wind und Kevins Schritten war nichts zu hören, mit ernster Miene und vorsichtigen Blicken sah sich der Polizist um, zog langsam und bedächtig die ein oder andere Plane zur Seite, bis er bei Annies Schlafplatz angekommen war... er war allerdings leer. "Fuck...", murmelte der Polizist. Seine Anspannung löste sich etwas, das ungute Gefühl nahm nicht ab.


    Es gab noch einen hinteren Bereich in der Halle, dort wo die Konzerte früher immer stattgefunden hatten. Aus diesem hinteren Bereich kamen sie jetzt... zuerst 5, dann waren es 10, und es wurden scheinbar immer mehr. Die Schritte klangen im Akkord, Schritte von Springerstiefeln und Chucks, klirrende Ketten, Baseballschläger die gegen die Stahlpfosten der Halle schlugen, murmelnde Stimmen. Kevin, trotz seines unguten Gefühls zuerst noch in der Annahme, dass die Punks glaubten, irgendein Eindringling wäre hier und sollte vertrieben werden, versteckte sich nicht. Er vertraute auf Annie, und die paar Jungs, die er mittlerweile kannte. Deswegen ging er aus dem Bereich der Schlafplätze wieder heraus und stellte sich den Geräuschen, die vom hinteren Teil der Halle kamen, quasi entgegen.
    "Hey, Leute... ich suche Annie.", sagte er und hielt beide Hände nach oben... doch zu seiner Überraschung wurden die Gesichtsausdrücke der Jugendlichen und jungen Männern, zwei oder drei Mädchen waren auch darunter, nicht freundlicher. Manche hatten einen bunten Iro, andere hatten die Haare auf andere Weise aussergewöhnlich, sie waren alle ähnlich gekleidete, manche hatten einen Baseballschläger in der Hand, Todschläger übergestreift oder waren mit einem Eisenrohr bewaffnet. Kevins mulmiges Magengefühl wurde immer stärker, als er sah, dass sich auch hinter ihm, den möglichen Fluchtweg abschneidend, einige Punks aufgestellt hatten, bis sie ihn komplett umkreist hatten. Insgesamt waren es vielleicht 15 Leute. Unter ihnen erkannte Kevin auch den roten Schopf von Annie, die jetzt zwischen ihnen sich Kevin gegenüber stellte. Er atmete erleichtert auf, doch die Erleichterung blieb ihm im Halse stecken, als er Annies feindseeliges Gesicht erblickte... und plötzlich wurde ihm schlagartig klar, dass es keine Falle war... dass man ihr die Sprühdose nicht untergeschoben hatte.


    "Was soll das werden, wenns fertig ist?", fragte der Polizist mit einem kurzen Schulterzucken. "Weißt du das denn wirklich nicht... Kevin?", fragte Annie mit ruhiger Stimme, die Arme vor der Brust verschränkt... bevor ihre Stimme schärfer und lauter wurde. "Oder sollte ich lieber sagen... Bulle?" Kevin biss sich auf die Lippen... also wusste sie es... aber woher? Woher hatte sie erfahren, dass Kevin sie belogen hatte... oder zumindest seinen wahren Beruf verschwiegen hatte. "Was denn? Ist das etwa falsch? Mach ich dich damit sprachlos? Du warst doch früher nie um eine Antwort verlegen, hmm?" Annie legte den Kopf ein wenig schief und riss die Augen weit auf, als sie die Worte sagte, und sie ging ein paar Schritte hin und her, auf Kevin zu und wieder weg. "Was soll ich sagen? Ja, ich bin ein Bulle... na und?", sagte er mit seiner monoton wirkenden Stimme und blickte wieder ein wenig zur Seite. Plötzlich spürte er, wie das Vertrauen zu Annie bröckelte. Wo er vor einer Stunde noch sicher war, dass Annie ihn niemals einer körperlichen Gefahr aussetzen wollen, war er sich jetzt plötzlich nicht mehr sicher.
    "Na und?", fragte Annie mit gespielt fragendem Blick. "Wir haben früher gerufen "Polizisten: Spießer, Schweine und Faschisten", als sie uns aus den besetzten Häusern gezerrt haben und Leute von uns zusammen geknüppelt haben. Wir haben Steine auf sie geworfen, weil sie die Nazi-Demos beschützt haben.", begann sie wieder mit schärferen Ton und kam Schritt um Schritt auf Kevin zu, biss sie ihn mit beiden Händen vor die Brust stieß und ihn damit nach hinten schubste, wobei sie laut schrie: "Verdammt nochmal, wie konntest du nur ein dreckiger Bulle werden??" Zwei, oder drei der Punks hinter ihm hielten ihn fest, doch Kevin war von der Situation, hinsichtlich seiner Gefühle gegenüber Annie völlig perplex, so dass er sich gar nicht wehrte.


    Wie konnte sich ein Mensch nur so verändern... und das dachten in diesem Moment beide gleichzeitig. Wie konnte einer von ihnen, der damals mit am extremsten in seiner Einstellung zum System war, einfach zum Feind überlaufen. Wie konnte der junge Punk Kevin, der bei Demos mit Pflastersteinen und Molis Beamte bewarf plötzlich selbst die Uniform überziehen? Und wie konnte er sie nur belügen. Annie wusste gerade nicht, was ihr mehr zu Schaffen machte, was ihren Hass, den sie seit Jahren in sich trug und gegen Andersdenkende richtete, mehr anfachte. Die Tatsache, dass Kevin Polizist war, oder dass er sie gestern angelogen hatte... sie hintergangen hatte. Und war dieses Gefühl nur deswegen so schlimm, weil sie ihn vermisst hatte, und sie immer noch in Kevin verliebt war?
    Kevin war erschrocken darüber, wie sich Annies Gefühl ihm gegenüber innerhalb von 24 Stunden geändert hatte. Gefühle, die man für einen Menschen hat, konnten doch nicht einfach in Hass umschlagen... nur weil der andere Mensch sich nicht mehr an den gleichen Idealen orientiert wie vor 14 Jahren. Es machte Kevin wütend, obwohl er vor 14 Jahren wohl selbst auch so gehandelt hätte. Vielleicht auch noch vor kürzerer Zeit, aber einer hatte ihm die Augen geöffnet... Jerry. Jerry hatte Kevin gegenüber, als er hörte dass er ein Bulle war, keinerlei Aversion, auch wenn es ihn geschockt hatte. Trotzdem hatte er ihm das Leben gerettet, und schlug sich auf die Seite seines Freundes. Er hatte den Menschen Kevin gesehen, während Annie jetzt nur den Polizisten sah.


    "Wie ich ein dreckiger Bulle werden konnte?", fragte der nun provokativ, und zerrte ein wenig an den Armen, die von den Typen festgehalten wurden, die offenbar befürchteten, der Kerl könnte auf Annie losgehen. "Weil niemand das Gleiche erleben sollte, wie ich als sie Janine umgebracht haben! Darum bin ich ein dreckiger Bulle. Aber eine Uniform verändert keinen Menschen.", rief er laut und wütend, und sie kamen sich vor wie bei einem ihrer Streitigkeiten während ihrer Beziehung, die genauso wild und leidenschaftlich war, wie ihre gute Zeit. Aber jetzt ging es nicht um Belanglosigkeiten... "Ich bin immer noch der Kevin, der ich auch früher war. Ein anderer Bulle hätte dich direkt mit aufs Revier genommen, und wegen Verschleierung einer Straftat angeschissen, wenn du ihm das Versteck der Faschos nicht verraten hättest. Und was hab ich getan? Hab ich das getan?" Annie atmete immer schneller, und diese Situation belastete sie. Sie spürte den Druck, den Hass der ihr zu schaffen machte, der Hass, der gar nicht gegen Kevin ging... sondern gegen sie selbst, und den sie nun auf ihren Ex-Freund projezierte.
    "Du hast mich hintergangen. DU warst nicht ehrlich zu mir.", warf sie ihm laut vor. "Wie hätte ich das sein können? Wenn ich mir sicher gewesen wäre, dass du in mir den Mensch Kevin siehst, und nicht den damaligen Punk, hätte ich es dir gesagt. Aber ich war mir nicht sicher." Und nach einer kurzen Pause setzte er etwas leiser hinzu: "Anscheinend zurecht..."

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

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    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

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    • 4. September 2015 um 19:31
    • #43

    Lagerhalle - 10:30 Uhr


    Die Situation war völlig surreal. Annie und Kevin standen sich gegenüber, hinter Annie einige Punks, kampfbereit, gewaltbereit. Andere hielten Kevin fest, so dass der gegen einen eventuellen Angriff wehrlos war, doch noch hatte der Polizist nicht das Gefühl, dass seine Ex-Freundin wirklich jeglichen Skrupel verlor. Kevins Worte schienen Eindruck zu hinterlassen, denn ihre Lippen zitterten, ihre Hände ebenfalls, doch sie wollte sich vor ihren Freunden, die sie als Älteste akzeptierten keine Blöße geben. "Nein, Kevin. Ich habe dich als Mensch gesehen. Ich habe dich als den gesehen, den ich damals geliebt habe und den ich immer noch liebe. Aber du hast mir etwas vorgespielt.", sagte sie mit erstickender, und zittriger Stimme. Ihr tat es weh, im Herzen tat es weh doch ihre Gefühle waren voll Hass. Kevin schüttelte den Kopf. "Ich bin aber nicht mehr der, der ich damals war, verstehst du? Die Zeiten ändern sich, Menschen ändern sich und trotzdem kannst du sie nicht einfach in Schubladen stecken, wie es dir passt!"
    Die Jungs und einige Mädchen, die dort standen und sich ansahen, waren sich unsicher. Annie hatte ihnen gesagt, dass sie wohl von einem Bullen getäuscht wurde, einige Heißsporne wollten Kevin persönlich auflauern, doch die Älteste hatte gesagt, dass er bestimmt nochmal hierher zurückkommen würde. Dass sie ihn durch ihre missglückte Sprayer-Aktion allerdings herlocken würde, hatte sie nicht geplant. Doch jetzt standen sie sich gegenüber, und sie fühlte, dass er ihr mental überlegen war. Er war wütend, er war sicher auch erschüttert... aber nicht verzweifelt, er schien auch keine Angst zu haben... weil er Annie vertraute? Weil er ihr nicht zutraute, dass sie die Meute über ihn herfallen ließe?


    Hass und Liebe fochten in Annies Herzen einen umbarmherzigen Kampf aus. Hass auf das System, Liebe zu Kevin. Sie wollte ihn am liebsten entzwei schneiden, die Polizisten-Hülle abstreifen und den abenteuerlustigen Kevin wieder haben. "Das ist also jetzt dein Leben, hmm? Und deine Freundin? Auch eine Polizistin?", meinte sie verächtlich, doch es klang nicht mehr überzeugend, das spürte Kevin. Er spürte Annies Unsicherheit, sie war bei früheren Streitigkeiten immer so sehr von sich selbst überzeugt, mit welcher Überzeugung sie ihren Standpunkt vertrat. Davon war jetzt nicht viel zu spüren... als wüsste sie, dass sie im Unrecht war, als mache sich Enttäuschung darüber breit, dass Kevin tatsächlich so war, wie er jetzt war. "Schön um 7 Uhr zur Arbeit, um 16 Uhr nach Hause, Haus bauen, Kinder kriegen, im Schosse des Staates." Sie zählte genau das auf, über was sich Kevin gestern noch Gedanken machte, ob er dieses Leben wirklich wollte, Annie legte den Finger in die Wunde. "Alles, wogegen du damals gesungen und geschrien hast. Alles, was wir uns damals abgeschworen haben, du und ich.", schrie sie ihm ins Gesicht.
    Hätte Kevin ihr sagen sollen, wie er darüber nachdachte? Dass er tatsächlich unsicher war, ob er das wollte, was sie ihm vorwarf? Aber wollte er das, was Annie gerade verkörperte wirklich? Seine Wahrnehmung eines abenteuerlichen Lebens hatte nichts mehr mit den linken Idealen zu tun, denn es würde auch bedeuten, seine jetzigen Freunde zu verraten. Er schüttelte den Kopf, und seine Stimme war nun ruhiger, ohne Aufregung, und dass ihm 15 gewaltbereite Punks gegenüber standen, schien ihm keine Angst zu machen. "Annie, wach auf. Ich bin nicht mehr der Punk, der ich mit 18 war.", sagte er und in ihm schien etwas zu sterben... und in Annie auch.


    "Warum bist du überhaupt hierher gekommen, Bulle?", fragte ihn ein Junge, der in etwa so groß war wie Kevin selbst und direkt neben ihm stand, ein Eisenrohr in der rechten Hand. "Ich wollte Annie ihre Spraydose zurückbringen.", sagte er und sah, nachdem er den Typ kurz angeblickt hatte, wieder zu der rothaarigen Frau. Keine Regung in ihrem Gesicht, keinerlei Anstalten den "Anschlag" abzustreiten. "Und wolltest du mich auch verhaften?", fragte sie provokant, worauf hin Kevin wieder seelenruhig mit dem Kopf schüttelte. "Für die Spraydose nicht. Wenn du aber deinen Molotov-Cocktail benutzt hättest, wäre mir wohl keine Wahl geblieben." Jetzt war das Zucken in Annies Gesicht, die Veränderung ihres provokanten Blicks hin zu einem überraschenden Ausdruck, unübersehbar. "Molotov-Cocktail?", fragte sie erst verwundert und sah dann kurz in die Masse hinein, während der Kerl neben Kevin ihn an seinem Jackenkragen packte. "Was willst du Annie da anhängen, du scheiss Bulle!" "Dann frag Annie doch mal, was sie gestern alles dabei hatte! Auf der Bierflasche, die hier massenhaft rumstehen, sind ihre Fingerabdrücke.", sagte der Polizist und behielt Annies Gesicht im Blick. Es blieb ausdruckslos, blieb unbeweglich doch ihre erste Reaktion ließ Kevin vage vermuten, dass sie entweder nicht wusste, was sie tat... oder den Cocktail selbst nicht dabei hatte.
    "Was machen wir jetzt mit ihm?", schallte es aus dem Block hinter Annie, und ihre Augen richteten sich wieder direkt auf Kevin. Der musste, ob dieser skurrilen und zugleich gefährlichen Situation auflachen. "Was? Bist du die Richterin, Annie? Und das hier sind deine Henker? Willst du jetzt das Urteil verkünden, ob der scheiss Bulle vom Volk tot geschlagen werden kann?", fragte er laut und wurde von seinem Bewacher mit einem aggressiven "Halts Maul, Bullenschwein", angefahren.


    Doch Kevin blieb nicht ruhig. Er hatte die Schnauze voll. Vorgestern und gestern, als er hier zum ersten Mal seit langem war, hatte er nostalgische Gefühle, erinnerte sich an seine tolle Zeit in einer, wenn auch gewalttätigen Gemeinschaft zurück... aber es war eine Gemeinschaft. Klar, sie waren alle gegen die Polizei, sie waren alle gegen Rechts, sie waren zum Großteil kriminell und sie scheuten fast alle keine Gewalt. Aber sie waren eine verschworene Truppe, es gab keinen Anführer, mit Jerry höchstens eine Art "Papa", der der Einzige war, der auch in andere Kreise Kontakte hatte. Diese Jungs hier waren vielleicht befreundet und verschworen, aber mit dem Geist der damaligen Bewegung hatte es nichts zu tun. "Toleranz" hatte sich der Punk immer auf die Fahnen geschrieben... das hier waren keine Punks mehr. Es war ein Art Extremismus, gegen den Jerry sich immer versperrt hatte.
    "Ich sag dir mal was, Annie.", begann der Polizist, und wieder zerrte er ein wenig an seinen menschlichen Fesseln. "Wenn Jerry wüsste, was aus dir geworden ist... er würde sich schämen. Und ich weiß, dass er immer ein Vorbild für dich war, und du immer zu ihm aufgeblickt hast." Die Aggressivität aus Annies Blick wich, ihre Augen wurden größer, als würde sie die Erkenntnis treffen... und trotzdem wollte sie Sie nicht hören. "Sei still, Kevin.", sagte sie leise, doch der schüttelte nur den Kopf. "Als er im Knast erfahren hat, dass ich ein Bulle bin, weißt du was er getan hat? Weißt du, was er da gemacht hat?", fragte Kevin laut und die Meute um ihn wurde unruhig. "Er hat mir das Leben gerettet im Knast! MIR! Einem SCHEISS BULLEN! Aber der scheiss Bulle war immer noch sein Freund, verstehst du?"


    Die Stimme des Polizisten wurde immer lauter und unbeherrschter, sein Blick wütender und seine Kraft, mit der er an seinen Armen zerrte, unbändiger. Genauso wurde sein Bewacher unruhiger, und er herrschte Kevin zum zweiten Mal an, endlich die Klappe zu halten, während Annies Knie zitterten, ihre Hände sich zu Fäusten ballten. Langsam schüttelte sie den Kopf, um sich gegen eine Erkenntnis zu wehren, die Kevin ihr gerade entgegen schleuderte. "Sei bitte still!", sagte sie erneut, aber statt wie Kevin lauter zu werden, wie es früher war, wurde sie immer leiser. "Jerry hätte jedem Freund, der hierher zurück gekommen wäre, geholfen. Egal ob Bulle, Politiker oder Arbeitsloser, weißt du das! Ich hatte bei ihm auch erst Angst zu sagen, dass ich ein Bulle bin. Weil ich, genau wie bei dir, nicht wusste wie er reagiert. Und ich habe es bei ihm bereut, nicht ehrlich gewesen zu sein, denn ich hätte es können." "Halt endlich dein Maul, du Penner!!", bekam er ins Ohr geschrien. "Schlag ihn endlich tot, Ole!", erklang eine Stimme von der Seite und Annie war nicht mehr in der Lage auf den Mob einzuwirken.
    "Du hast Jerry's Ideale, die er in diese Gemeinschaft gebracht hat, verraten, Annie! Du grenzt Menschen aus, aufgrund von Äusserlichkeiten, ihrem Beruf. Wenn dich zwei Bullen unter Gewalt aus einem besetzten Haus zerren und verprügeln, dann ist auch der Bulle ein Arschloch, der dich geliebt hat und dich vielleicht immer noch liebt!" Auch Kevin dachte über die Wörter, die er gerade in seiner mentalen Situation sagte, nicht mehr sonderlich nach, und bei diesem Satz schossen Annie Tränen in die Augen, den sie hatte ihn ganz genau verstanden. "Ihr seid das, wogegen wir früher gekämpft haben! Ihr seid genauso Faschisten, gegen die ihr demonstriert!!", schrie Kevin, und bekam endlich seinen rechten Arm frei.


    Es war höchste Eisenbahn, denn gerade als er seinen letzten Satz herausgespuckt hatte, und damit Annie bis ins Mark erschütterte, hatte Ole genug und wollte mit der Eisenstange zuschlagen. Kevin schüttelte seinen rechten Arm frei, und schlug sofort mit dem linken Ellbogen zu dem Zeiten Typ, der ihn festhielt. Ihm gelang ein Treffer, und in Sekundenbruchteilen konnte er sich unter Oles Schlag hinwegducken. Die junge Rothaarige riss die Augen weit auf, der Mob begann zu rufen, wie bei einer Demonstration, doch die Zuversicht war nicht von langer Dauer. Wo Jerry früher die Jungs hier teilweise trainiert hat, um sie abzuhärten falls sie mal einem Nazi oder Polizisten gegenüber stehen, war bei Ole nur rohe Gewalt zu erkennen. Sein zweiter Hieb ging ins Leere, Kevin griff blitzschnell zu und drehte ihm die Arme mit der Eisenstange auf den Rücken. Ein Schmerzensschrei, und der Punk musste die Hände öffnen, so dass der Polizist ihn entwaffnen konnte, wobei er ihm mit der freien Hand einen Schlag auf die Leber versetzte, was Ole auf die Knie gehen ließ und Kevin ihm von hinten die Eisenstange gegen den Kehlkopf drücken, das Knie in den Nacken stemmen und Ole so in eine ziemlich unangenehme Situation kommen ließ. Es war reiner Selbstschutz, denn zwei Punks wollten bereits angreifen. "Wenn sich einer näherte, ich breche ihm das Genick!", sagte Kevin drohend und sah sich um... scheinbar hatte er sich mit den beiden schnellen Griffen doch ein wenig Respekt verschafft, aber auch Annie, bekam nur ein leises "Hört auf.", heraus. Sie wusste aber wohl, dass die Jungs nicht auf sie gehört hätten, ohne Kevins Drohung.


    Der Polizist atmete heftig, und er hielt den Griff aufrecht. Ole hatte die Eisenstange gepackt, um sie vom Kehlkopf wegzudrücken und besser Luft zu bekommen, doch es gelang ihm nicht. Kevin blickte zu Annie, in ihre wässrigen, rötlichen Augen. "Ich bin keiner von den Bullenschweinen, die ich selbst mit Steinen beworfen habe. Das war ich nie, und werde ich auch nie sein.", sagte er, nun ruhiger aber mit schwerer Stimme. "Ich bin Polizist, weil ich Menschen helfen will, und Leute aus dem Verkehr ziehen will, die anderen sowas antun, wie mir und Janine angetan wurde. Aber das ist nur ein Beruf. Wie es in meinem Herzen und in meinem Kopf aussieht, das weißt du nicht, Annie." Sein Blick aus seinen hellblauen Augen ging der jungen Frau durch Mark und Bein. Die Erkenntnis, dass er Recht hatte, hatte sie vollständig ergriffen und die Erkenntnis dass sie mit dem Hass auf Kevin unrecht hatte ebenfalls. Sie hatte ihn verloren, bevor sie ihn gewonnen hatte, und das war der Grund für ihre Tränen. "Denn wenn du es wüsstest...", sagte Kevin ein wenig leiser. "... dann wärst du gestern Abend zu mir gekommen... und hättest mit mir geredet."
    Annie brachte nur ein leises, beinahe schon flehentliches "Verschwinde endlich, Kevin." heraus, und scheinbar wussten ihre Freunde überhaupt nicht, wieviel Hass sie in ihrem Herzen trug, was sie belastete. Kevin war immer noch erschrocken... der Schock zu welchem Hass Annie fähig war, ließ sein Herz lähmen, in dem Bereich, wo Annies Stachel noch tief saß. Er ließ den Griff um Ole los, so dass dieser begann zu husten und die Luft tief ein zu atmen. Die Eisenstange fiel mit einem lauten Krachen auf den Boden, dass durch die Stille hallte. "Wie du willst...", sagte der Polizist leise und drehte sich um. Er wusste nicht warum er dieser Frau auch nur eine Sekunde vertraute, dass sie den Punk, der ihn jetzt doch hinterrücks niederstechen würde, noch zurückhielt... aber er wusste auch, dass Annie den Molotov-Cocktail nicht mitgebracht hatte. Sie hätte auch die Meute nicht auf ihn losgelassen, denn er bildete sich ein, ihre Skrupel gesehen zu haben.


    Er erreichte unbeschadet den Ausgang der Halle, und auch den Dienstwagen. Dort nahm er zuerst das Handy in die Hand, um Semir anzurufen. "Ich bin wieder raus.", sagte er, und seine Stimme hörte sich unendlich müde an. "Und, was hast du rausgekriegt?" "Das erzähl ich dir, wenn ich wieder zurück bin, okay?" "Alles klar." Der Polizist warf das Handy auf den Beifahrersitz, legte den Kopf an die Stütze, die Hände aufs Lenkrad und schloß die Augen. Innerlich zog an ihm ein Film vorbei... Annie und er früher, Annie vorgestern, gestern... und die andere Annie heute. Sein Gefühl ihr gegenüber, als er ihre Zeilen gelesen hatte, und sie in den Arm genommen hatte. Und das Gefühl, als sie ihn eben "scheiss Bulle" genannt hatte. "Scheisse!!", schrie er plötzlich und schlug mit beiden Händen auf sein Lenkrad ein, bevor er, ein wenig schneller atmend, das Lenkrad umklammerte, die Augen wieder offen und versuchte, seine Gefühle zu beruhigen... seine Emotionalität zu unterdrücken. Und Annie aus seinem Kopf zu streichen...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen

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    • 8. September 2015 um 00:32
    • #44

    Dienststelle - 11:00 Uhr


    Eigentlich wollten sie auf Kevin warten, doch die Chefin grätschte dazwischen. Keine Ermittlungsansätze, stockende Ermittlungen, da musste die Leiterin der Autobahndienststelle wieder mal besondere Wege gehen. Sie kam mit einem Lächeln ins Büro ihrer beiden besten Männer. "Meine Herren, machen sie sich auf den Weg. Dienststelle Köln-Deutz, dort finden sie einen Kollegen Eggestein. Der war bis vor 5 Jahren noch beim Staatsschutz und ist nicht unbedingt im Frieden mit dieser Abteilung auseinander gegangen, wie ich recherchiert habe. Ich kann ihnen nichts versprechen, aber vielleicht bekommen sie da ein paar Informationen, ohne sofort eine Staubwolke in anderen Abteilungen aufzuwirbeln." Ben blickte interessiert auf, und Semir lächelte. "Danke, Chefin.", sagte er artig und fand es toll, dass die Chefin sogar Ermittlungen unterstützte, die sie eigentlich offiziell gar nicht genehmigt hatte. "Ruf am besten Kevin an, der soll direkt dorthin kommen, das ist quasi um die Ecke bei ihm."
    Auf dem Weg nach draussen hatte Ben das Handy am Ohr, mit dem er Kevin anrief. "Ja - komm zur Polizeidienststelle Deutz. Ne, da ist ein Kollege, der hat vielleicht Infos für uns. Staatsschutz und so. Ja, siehste dann. Alles klar.", sagte er, während er sich in den BMW hineingleiten ließ. Der junge Polizist hatte seit dem Gespräch mit Semir bessere Laune, auch wenn natürlich die Angst in ihm drin nicht einfach verschwunden war. Aber es war gut zu wissen, dass sein Partner Bescheid wusste, und in der ein oder anderen Situation reagieren konnte. "Hat sich nicht gut angehört.", meinte er, als Semir den BMW vom Parkplatz manövrierte, und der erfahrene Polizist nickte. "Eben auch schon nicht. Ich denke, das Gespräch mit Annie war nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte."


    Die Fahrt durch die Stadt verlief, wie immer, zähfliessend und nervenaufreibend. Als Semir den Besucherparkplatz der Dienststelle anfuhr, sah er bereits den Dienstwagen von Kevin, inklusive des Besitzers, der auf der Motorhaube saß und eine Zigarette im Mund hatte. Die Füße hatte er auf die Frontstoßstange gestützt, Kratzer im Lack schienen im hierbei herzlich egal zu sein. "Wenn das Bonrath sieht.", meinte Ben grinsend in Richtung seines Freundes, als er ausstieg, doch er merkte sofort bei Kevins Gesichtsausdruck, dass dieser gerade nicht zu Scherzen aufgelegt war.
    Bevor sie die Dienststelle betraten, kam Semir zu Kevin und griff ihn am Oberarm. "Wie wars denn da hinten?" Der junge Polizist zuckte resignierend mit den Schultern und sagte, als ginge es um etwas völlig nebensächliches: "Annie war sauer, weil sie irgendwoher erfahren hat, dass ich Polizist bin. Brauch ich also nicht mehr auftauchen da hinten. Das Tag hat sie gesprayt, die Brandflasche... ich weiß nicht. Glaube ich eher nicht, auch wenn ihre Fingerabdrücke da waren..." Semir verzog die Lippen zu einer etwas mitleidigen Grimasse. "Hmm, Scheisse. Naja, schauen wir mal, was wir hier erfahren." "Ja... schauen wir mal." Semir erkannte sofort in Kevins Stimmlage, dass ihn nicht das Abhandenkommen einer möglichen Informationsquelle zu schaffen machte, sondern der offenbare Bruch mit Annie. Kevin hatte ihm in der Wohnung von dem Verhältnis erzählt, und wie er sich fühlte, sie wieder zu sehen. Nichts davon hatte er allerdings von Annies Brief gesagt, denn den hatte er erst später bekommen... Semir ging nur von einem Bruch der alten Bekanntschaft aus, und das schien Kevin auf dem Magen zu liegen, als die drei Polizisten zu dritt die Polizeidienststelle betraten.


    Es sah anders aus, als bei der Autobahnpolizei. Altmodischer irgendwie, gemütlicher, weniger hektisch. Im Empfangsraum war eine Art Theke, wo man sich anmelden konnte. Hier gab es keine Flatscreens an Wänden, Dutzende von Computern und eine Videowand mit den Überwachungskameras der Autobahn. Hier standen altmodische Telefone auf dem Schreibtisch, zwei Computer pro Raum und auf einem Tisch stand sogar eine alte Schreibmaschine. Ben würde es nicht wundern, wenn die sogar noch benutzt wird. Ein ältere Mann in Uniform kam zur Theke, als dort die drei, etwas ungleich wirkenden Männer erschienen. "Na, was kann ich für sie tun, meine Herren?", fragte er mit deutlichen kölschen Dialekt. Alle drei zogen ihre Dienstausweise und bei allen dreien war der Mann in Uniform überrascht, dass es sich um Polizisten handelte. "Wir würden gerne mit Herrn Eggestein reden." "Oha... sind sie von der Inneren? Hat der Otto was ausgefressen?" Scheinbar hatte er sich die Ausweise nicht ganz genau angesehn. "Nein, wir sind von der Autobahnpolizei.", verbesserte Semir ihn. "Wir haben in einem Ermittlungsverfahren einige Fragen an Herrn Eggestein." Der Mann nickte. "Gehen sie den Flur entlang, dritte Büro auf der linken Seite. Einfach anklopfen, der Otto müsste drin sein."
    Die drei Polizisten bedankten sich, und jeder dachte für einen Moment an die Vergangenheit. Auf so einem städtischen Polizeirevier hatten sie sich die Hörner abgestoßen und sind zum ersten Mal Streife gefahren, ausser Ben. Der hatte das Glück (oder Pech) in einem ländlichen Revier eingesetzt zu werden, wo, ausser einem ziemlich penetranten Hühnerdieb, der sich später als wilder Fuchs herausstellte, nichts, aber auch gar nichts passierte.


    "Herr Eggestein?", fragte Semir höflich und streckte den Kopf hinein. Otto Eggestein, auf dem besten Wege zur Pension, blickte vom Monitor auf. Graue, kurz geschorene Haare, ein markantes Gesicht, aber ein gutmütiges Lächeln, blickten Semir an. Die Schultern breit, das konnte er erkennen. "Ja?" Semir stellte sich erneut vor, ihm folgten Kevin und Ben, und der uniformierte Streifenpolizist stand auf, um allen dreien die Hand zu schütteln. Erst jetzt bemerkten sie die imposante Erscheinung, die sogar Ben und Kevin, alles andere als Zwerge, beinahe um einen Kopf überragte. Semir hätte eine Genickstarre bekommen, wenn er sich hätte im Stehen, dicht an dicht, länger mit dem Polizisten unterhalten hätte müssen. Zum Glück fanden sie alle einen Sitzplatz, Kevin auf der FEnsterbank und Otto kochte erstmal drei Tassen Kaffee. Semir schilderte so denn sein Anliegen, ließ auch nicht aus, dass er der Polizist mit der IS-Flagge war, die man ihm untergeschoben hatte.
    "Schlimme Geschichte...", stimmte Otto zu und hegte absolut kein Vorurteil gegenüber dem Polizisten mit türkischen Wurzeln. "Weiß der Staatsschutz, dass sie gegen die Sturmfront ermitteln?", fragte er. Ben blickte ein wenig unsicher, doch sein älterer Partner schüttelte sofort energisch den Kopf. "Nein. Und es wäre gut, wenn das auch so bleibt. Auf mich wurden psychische Anschläge verübt, auf meinen Partner...", wobei er auf Kevin zeigte "... ein Gewaltanschlag, wir könnten sogar von versuchtem Mord sprechen. Deswegen ermitteln wir." "Keine Angst. Von mir erfährt der Verein nichts." Dabei regte Otto Eggestein zwei Finger als Victory-Zeichen in die Luft, um seinem Versprechen Nachdruck zu verleihen.


    "Was können sie uns über die Sturmfront erzählen?", fragte Ben dann und lehnte sich interessiert im Stuhl zurück. Eggestein hatte die Hände gefaltet und die Ellbogen auf die Sitzlehne abgestützt. "Ich kann euch nur sagen, dass das ein verdammt gefährlicher Haufen ist. Nach aussen würde man meinen, man hat es mit einer Kameradschaft zu tun, die vor allem auf stumpfe Gewalt aus ist, auf Demonstrationen, wie eine Menge anderer rechter Hohlköpfe. Aber in Wahrheit sind diese Jungs verdammt gut organisiert, haben eine klare Struktur und schrecken vor Nichts zurück. Damals hatten wir sie beim Staatsschutz intensiv überwacht weil sie Verbindung zum National-sozialistischen Untergrund hatten. Ihr habt sicher von den NSU-Morden gehört." Semir und Ben nickten, Kevin sah aus dem Fenster und schien für einen Moment abwesend. "Jedenfalls war die Sturmfront nicht immer in Köln. Die sind schon in ganz Deutschland rumgekommen." "Wir bräuchten irgendetwas, wo wir ansetzen können. Wir haben die Befürchtung, dass die Truppe nicht aufhören wird, uns zu terrorisieren, warum auch immer." Otto sah Ben und Semir abwechselnd an. "Vor 5 Jahren habe ich beim Staatsschutz aufgehört. 3 Jahre zuvor bin ich von dem Fall abgezogen worden, ich kann euch also nur etwas von dem Stand vor 8 Jahren erzählen. Ein Typ namens Herner hat die Truppe damals geführt. Lasst mich mal nachdenken..." Er strich sich mit den Fingern über seine Lippen. "Breuer, ein recht bekannter Neo-Nazi war dabei. Ein Typ namens Heinrich Thomason war damals ebenfalls dabei, aber gerade neu." Den Namen "Heinrich" hatte auch Annie erfährt, dachte Kevin in diesem Moment... doch er sagte es nicht. Er würde es Semir draussen sagen... denn an irgendetwas erinnerte ihn dieser Eggestein. Er war unfähig direkt zu sagen woher... "Ich kann euch nur sagen, dass ihr aufpassen solltet euch nicht die Finger zu verbrennen. Ihr werdet diese Leute nicht einfach anklagen können."


    Ben und Semir sahen überrascht auf. "Warum nicht?" Der uniformierte Polizist presste die Lippen zusammen. "Ich will nicht sagen, dass der Staatsschutz diese Leute schützt... aber damals hatte man nur schwere Straftaten zur Anklage gebracht... was man einfach nicht vertuschen konnte. Man will diese Organisation nicht komplett aus dem Verkehr ziehen, weil der Staatsschutz über sie Informationen der NSU bekommt." "Aber die NSU existiert nicht mehr.", gab Ben zu verstehen, was Eggestein nur ein müdes Lächeln abrang. "Das sagen die Medien." "Und was sagen sie?", wollte der junge Polizist wissen. "Ich sage, dass ich es nicht weiß." "Warum haben sie eigentlich beim Staatsschutz aufgehört?", wollte Ben wissen. "Da gab es viele Gründe. Einerseits wegen beschriebener Thematik... andererseits hatte ich es satt, den Kopf hinzuhalten. Bei Demonstrationen werden wir oft als Beobachter eingesetzt... auf beiden Seiten. Wir sollten versuchen, einflussreiche Faschos, nicht von der Sturmfront sondern andere, aus dem Verkehr zu ziehen. Also sind wir auf beiden Seiten dabei... unerkannt. Dabei sind wir allerdings auch den Gefahren ausgesetzt." Kevins Blick war auf Otto Eggestein gerichtet, beinahe gefesselt, und seine Beine kribbelten, fühlten sich taub an. Es war, als könne der Polizist vorausahnen, was er jetzt erzählte, und sofort wusste er, wo er diese Statur und dieses Gesicht her kannte. "Ich habe mehrmals mit erlebt, wenn um dich rum Steine fliegen. Das ist nicht angenehm. Ein Kollege von mir wurde vor 13 oder 14 Jahren von Autonomen mit einem Pflasterstein am Kopf getroffen. Schädel-Basisbruch... der Mann ist heute Frührentner und... ich will nicht sagen ein Pflegefall... aber es hat sein Berufsleben, seine Karriere, ein Teil seines Lebens zerstört. Den Steineschmeißer hat man nie gefaasst... das wollte ich nicht mehr miterleben."
    Semir und Ben nickten mit Anteilsnahme. Die Frage nach dem damaligen Hauptquartier der Sturmfront, die Antwort dass es sich um ein damaliges Musikgeschäft handelte, bekam der Steinewerfer, der vor 13 Jahren mit dem Pflasterstein genau auf den Beamten, der neben Eggestein stand und der ihn ein halbes Jahr vorher mit einem Schlagstock bei einer Hausräumung zusammengeschlagen hatte, gezielt hatte, und jetzt mit seinen Freunden Semir und Ben auf der Fensterbank in Eggesteins Büro saß, nur durch einen Schleier mit...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

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    • 8. September 2015 um 23:24
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    Lagerhalle - 12:30 Uhr


    Schockzustand... das war das beste Wort, was Annies Gemütslage gerade beschrieb. Sie war zusammengebrochen, hatte jede Hilfe ihrer Freunde abgelehnt und es gerade noch geschafft, sich in ihr Gemach zurück zu ziehen, bevor sie von einem Weinkrampf geschüttelt wurde. Sie wusste nicht, ob sie aus Wut, Enttäuschung, Selbsthass oder Traurigkeit weinte, vermutlich war es eine Mischung aus allem. Wut auf Kevin, Enttäuschung über Kevin, aber Selbsthass weil sie es nicht schaffte, sich loszusagen von den Geistern ihrer alten Zeit... und die Traurigkeit zu erkennen, dass es eben vorbei war... es würde nie mehr so werden, wie es einmal war.
    Mit vielem, was Kevin eben gesagt hatte, hatte er Recht. Jerry war tatsächlich eine Leitfigur, nicht nur für Annie, aber ganz Besonders für Annie. Dass sie ihn verraten hatte, in dem sie Kevin quasi nur aufgrund seines Berufes wie einen Aussätzigen behandelte, hatte sie geschockt. Sollte das stimmen, was Kevin erzählte, was im Gefängnis zwischen dem Polizisten und dem Alt-Punk geschehen ist, dann hatte er wohl Recht. Jerry hatte sich mit Kevins neuem Leben arrangiert, für ihn stand der Mensch im Vordergrund, nicht dessen Beruf. Scheinbar hatte er auch gespürt, dass Kevin sich nicht verändert hatte, bevor er von dessem Polizistenjob erfahren hatte. Doch Annie merkte gleich, dass der junge Punk von damals nicht mehr so war, wie früher. Er war ruhiger, schien melanchonischer, nicht mehr das draufgängerische Energiebündel von damals. Und er hatte Janine erwähnt... seine Schwester, die er über alles geliebt hatte, und für die er vermutlich 1000 Tode gestorben wäre. Ihr Tod war für die ganze Szene ein Schock.


    Die Erkenntnisse prasselten auf die arme Annie herunter, und ließ sie ihr Gesicht tief in ihr Kissen graben. Ihre Finger krallten sich ins Laken, sie hätte am liebsten irgendetwas kaputt gemacht, ihre Wut rausgelassen, doch sie frass es tiefer in sich hinein. Sie fühlte sich müde und schlapp, zu fertig um wieder auf zu stehen. Sie wollte liegen bleiben, immer liegen bleiben, nie wieder raus in diese kalte Welt. Ein starker Arm schloß sich um ihre Hüfte, eine Hand fasste um ihren Bauch und eine Brust drückte sich an ihren Rücken, eine Schutzumarmung in die sie sich mit geschlossenen Augen hinein kuschelte. Es fühlte sich so gut an, geborgen zu sein, einen Zustand in den sie sich nie gerne hinein begab, weil sie es als Schwäche auslegte... doch es gab Momente, in denen sie diese Haltung genoß. In denen sie es genoß, dass Kevin da war, sie beschützte wie er auch seine Schwester beschützte.
    Ihre Finger strichen über Kevins Oberarm, sie drehte sich zu ihm um und beide schmiegten ihre Körper dicht aneinander. "Es tut mir so leid, Kevin...", sagte sie leise und konnte sein Herz deutlich schlagen spüren. Er erwiederte nichts... er blieb stumm. "Aber... ich... ich hab mich so gefreut, dich wieder zu sehen. Ich hab mich so sehr an die alten Zeiten erinnert, und dann ist plötzlich alles anders. Du bist ein Polizist... du hast eine Freundin, ein geregeltes Leben. Es ist... alles anders als vorher." Sanft spürte sie seine Hand durch die Kurzhaarfrisur streichen. "Ich will, dass alles so ist wie vorher... ich wünschte, ich hätte mich damals nicht gegen dich und für das wilde Leben entschieden. Entweder wären wir dann beide noch hier... oder beide dort, wo du jetzt bist." Annie spürte, dass ihre Vorbehalte gegen Kevins Beruf nur aus dem Selbsthass entstanden, und ihren Hass auf die einzelnen Polizisten, die sie schikaniert haben. Gegen die sie Steine geworfen haben. Sie hatte den Absprung verpasst, den Absprung den viele gemacht hatten.


    Natürlich hatten sie auch unter Jerry demonstriert, Nazis angegriffen, gegen die Polizei. Doch hatte Jerry dafür immer Gründe, aber auch die Weitsicht, die Polizei in Ruhr zu lassen, wenn sie eine der ihrigen Demonstrationen bewachte. Und Jerry hatte die Weitsicht, zwischen dem Menschen und dem Polizisten zu unterscheiden. In Annies blinder Wut hatte ihr die Weitsicht gefehlt... und sie bereute es. Sie hätte nicht die Mauer versprühen sollen... sie hätte mit Kevin reden sollen, über ihre Enttäuschung. Aber sie war blind... vor Wut... und vor Enttäuschung über die zurückgewiesene Liebeserklärung. Sie wünschte sich, dass sie mit Kevin wieder soetwas, wie einen Sinn gefunden hatte, in dem was sie hier tat... oder den Schlüssel nach draussen. Beides hatte sie kaputt gemacht.
    Und so verschwand die Illusion, der Traum von Kevin an ihrer Seite wieder, als sie die Augen aufmachte und merkte, dass sie unter Tränen eingenickt war. Sie spürte einen bitteren Geschmack im Mund, sie hatte Durst und richtete sich langsam wieder auf. Ein kurzes Nickerchen verursachte Kopfschmerzen, ausserdem hatte sie letzte Nacht wenig geschlafen und noch mehr getrunken. Als sie von der Matratze aufstand, hatte der Wind zugenommen und blies durch die Halle. Bald würde es unangenehm kalt werden, sie würden sich wieder mit einigen Ölöfen über Wasser halten und den Frühling herbeisehnen. Ihr Blick fiel auf die Flasche, und der Vorwurf von Kevin wurde wieder klar in ihrem Kopf. Ein Molotow-Cocktail mit ihren Fingerabdrücken. Sie sah sich in ihrem Gemach um... 1, 2, 3... da fehlte doch eine.


    "Diese Mistkerle...", knurrte Annie für sich. Sicherlich hatten die beiden Neo-Nazis eine Flasche mitgehen lassen, wussten sie doch um Annies Reaktion auf die Enthüllung um Kevin. Entweder hatten sie danach die junge Frau oder den Polizisten sowieso beobachtet, und die Gunst der Stunde genutzt, die Flasche dort hinterlassen, wo Annie die Spraydose fallen ließ, als Kevin sie überrascht hatte. Sie setzte sich auf die Matratze und starrte auf eine der Flaschen, als würde sie ihr Antwort geben auf ihre Fragen, die ihr im Kopf umher geisterten. Sollte sie Kevin anrufen? Ihm sagen, dass ihr eine Flasche fehlte, und dass die Faschos bei ihr waren? Dass die Kerle ihn verraten haben? Sich entschuldigen für das, was passiert war?
    Sie hatte auf ihrem altem Handy bereits seinen Kontakt ausgewählt, denn sie erst vor wenigen Tagen gespeichert hatte. Lange starte sie auf die Kolonne aus 8 Ziffern, die keinen Zusammenhang hatten. Statt auf die Schaltfläche mit "Nachricht schreiben" rutschte ihr Finger weiter herunter. Annie biss sich auf die Lippe. Nein, entschied sie. Es war vorbei. Kevin lebte nicht mehr in ihrer Welt, er lebte in einer anderen Welt in der es keinen Platz für sie gab. Und die kleine Möglichkeit, einen kleinen Platz in dieser Welt zu bekommen, hatte Annie sich selbst zerstört. Als die Schaltfläche "Kontakt löschen" markiert war, bestätigte sie es mit einem Tastendruck.


    Von draussen hörte sie Geräusche, Schritte hallten durch die Halle. Annie ging sofort um die dunkelblaue Plane herum um nachzusehen, und sah Ole und Matze diskutieren. "Hi Annie... gehts dir besser?", fragte Ole und die junge Frau nickte nur. "Und dir?" "Jaja... mich haut so schnell nichts um.", meinte der Punk grinsend, obwohl er sich vorhin noch in Grund und Boden schämte von einem Bullen so aufs Kreuz gelegt worden zu sein. Ausserdem schmerzte ihm immer noch der Kehlkopf. "Sag mal, weißt du wo Sammy ist?" In der Aufregung und der Wut auf ihren Ex-Freund hatte Annie gar nicht bemerkt, dass der kleine Punk heute morgen gar nicht dabei war. "Nein...", sagte sie nur langsam und zuckte mit den Schultern. "Wieso?" "Na, wir haben ihn seit gestern mittag nicht gesehen. Ist ja nicht ungewöhnlich, dass er mal wegbleibt, aber... naja, nachdem was in den letzten Tagen hier so passiert ist.", sagte Ole schulterzuckend, und seine Stimmte hallte in dem großen Gebäude nach.
    Annie dachte nach... es kam schon mal vor, dass einige über Nacht wegblieben. Sie übernachteten woanders, in besetzten Häusern, bei Freunden die eine Wohnung hatten, in der Tafel. Manchmal betranken sie sich auch, so dass sie den Weg zurück schlicht nicht fanden. Bei Sammy war es öfters so, auch wenn Annie auf den kleinen Punk so gut es ging acht gab... beinahe wie Jerry es mit dem, damals noch schmächtigen, Kevin tat. "Schaut mal im Park nach, ob er da irgendwo rumläuft. Ich klappere mal in unserm Viertel zwei Häuser ab. Er wird schon irgendwo sein." Matze und Ole nickten beide, und alle Drei machten sich auf den Weg.

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    • 9. September 2015 um 23:06
    • #46

    Lagerhalle - 02:30 Uhr


    Die Musik hämmerte aus den Boxen, den ganzen Leuten die in der Lagerhalle bei reichlich Alkohol, Drogen und dröhnendem Punk feierten waren durchnässt vom Schweiss. Jerry hatte sich echt ins Zeug gelegt, hatte mehrere, innerhalb der Szene bekannte Punkbands angeschrieben, die auftraten, hatte einen Bekannten, der Lichttechniker war, angeheuert der die alte Lagerhalle fast schon in eine Konzerthalle umbaute. Für einige Stunden verwandelte sich das "Rattenloch", wie einige es nannten, in eine Diskothek für den 18. Geburtstag seines jungen Freundes Kevin. Um 0:00 Uhr war es soweit gewesen, als die Band "Kotzreiz" mit einem schrillen Gitarrenriff zum "Happy Birthday" anstimmte, Jerry, Uwe und "Ratte", wie sich einer der Punks nannte, eine große Torte durch die Reihen trug mit Spritzkerzen, jeder Menge Alkohol und die Torte mit bunten Smarties karniert, wobei die Smarties nur äusserlich aussahen wie die bekannten bunten Schokolinsen. In Wahrheit waren es Muntermacher, LSD und Speed.
    Die ganze Halle sang, nein brüllte ein Geburtstagsständchen, bevor die Band auf der Bühne ihren unbändigen Krach und ihrer aggressiven Energie wieder freien Lauf ließ. Von der Torte wurde eher weniger gegessen, es wurde mehr damit herum geworfen und sich gegenseitig eingesaut, nur die Pillen darauf fanden ihren Weg in viele Mägen der Jungs und Mädels.


    Janine war Kevin zuerst um den Hals gefallen. "Alles Gute, Brüderchen. Jetzt bist du ein alter Sack.", sagte die 15jährige lachend und drückte ihrem großen Bruder einen Kuss auf die Wange. "Jaja, klar. Pfff.", lallte der nur, denn Kevin hatte schon einiges getrunken, war zwar noch nicht hacke aber auf dem besten Weg dahin. Ein wenig würde er sich zusammen nehmen müssen, denn er würde Janine irgendwann noch nach Hause bringen müssen. Kevins Vater schien zumindest oberflächlich auf Janine mehr Acht zu geben, als er es bei Kevin getan hatte, so war es ihm vor vier Jahren völlig wurscht wo Kevin übernachtete oder seine Zeit verbrachte, Janine musste zu Hause schlafen oder zumindest bei Kalle. Ansonsten, so drohte Erik Peters seinem Sohn, würde er höchstpersönlich die Bullen auf Kevin ansetzen.
    Jerry war der zweite Gratulant und herzte seinen Schützling, drückte ihm dabei die Schlüssel seines alten Choppers in die Hand... sein Geschenk, weil er sich vor einigen Tagen ein neues Motorrad gekauft hatte. "Wow, das ist ja irre.", freute sich Kevin und Jerry mahnte allerdings sofort. "Das war nur symbolisch. Gib mir die Schlüssel wieder, die kriegst du dann morgen früh nochmal... sonst fährst du mit dem Ding nachher noch nach Hause." Sofort zog der Junge Punk eine Schnute unter seinen wilden hellgrünen Haaren und rückte den Schlüssel widerwillig wieder heraus. Nach und nach kamen alle anderen zu ihm, drückten ihm die Hand, umarmten ihn, einige Mädels küssten ihn auf die Wange, ein junges Mädchen, dass sich die Haare bis auf einen Iro komplett abrasiert hatte, küsste ihn keck auf den Mund, weil sie in den jungen Punk verliebt war. Die einzige, die Kevin nicht gratulierte, war ein junges Mädchen, das sich den ganzen Abend schon von ihm fernhielt... Annie.


    Kevin hatte erst vor einigen Wochen Annies momentanen Freund ins Krankenhaus geprügelt. Getrieben vor Eifersucht, provoziert von ihrem Austausch an Zärtlichkeiten, benebelt von einem schlechten LSD-Trip. Er war heute zum ersten Mal seit langem wieder hier, war aber, ebenso wie Annie, nicht in Kevins Nähe gekommen. Janine beugte sich zu späterer Stunde zu ihrem Bruder, sie war ebenfalls schweissnass trotz ihres recht luftigen Tops. "Haben Annie und Zeck dich gratuliert?" "Der kann froh sein, wenn ich ihm nicht nochmal den Kopf abmontiere.", war die schmallippige Antwort des jungen Geburtstagskindes. "Du Doofkopp.", lachte Janine. "Steh doch endlich drüber und sieh ein dass Annie dich gar nicht verdient hat. Soll sie doch machen was sie will." Janine und Annie hatten sich angefreundet, als die kleine Schwester von Kevin langsam Kontakte in der Punkszene knüpfte. Die Freundschaft währte immer noch, und so fiel es ihr mehr als schwer seit der Trennung zwischen den Stühlen zu sitzen. Wenn es aber hart auf hart komme, würde sie immer zu ihrem Bruder stehen, und so hatte sie gegenüber Annie auch deutlich gemacht, dass sie es scheisse fand, wie sie sich gegenüber Kevin verhalten hatte.
    "Ich werde dich dran erinnern, wenn dich mal ein Typ abserviert.", neckte Kevin seine Schwester, die aber sofort schlagfertig konterte. "Ach hör doch auf. Als du Joey damals mit einer anderen hast knutschen sehen, hast du auch erst zugeschlagen und mich danach erst gefragt, um zu erfahren, dass wir gar nicht mehr zusammen waren." Das war wirklich peinlich für Kevin... er hatte den damaligen Freund seiner Schwester, einen 16jährigen Gymnasiast, der eigentlich überhaupt nichts mit der Szene zu tun hatte, gesehen, wie er mit einer anderen geknutscht hatte. Das Versprechen, was er ihm beim ersten Treffen gegeben hatte, "Wenn du meiner Schwester das Herz brichst, brech ich dir auch was." wollte er einhalten, und so kostete es Joey das Nasenbein. Erst später erzählte Janine, dass sie und Joey sich schon vor einer Woche getrennt hatten.


    "Es ist schon halb drei... um drei soll ich daheim sein.", sagte Janine missmutig und sah auf die Uhr. Kalle hatte Einsicht am 18ten Geburtstag, dass Janine solange wegblieb, und Kevin sollte sie dann aber nach Hause bringen. "Okay, ich sag kurz Jerry Bescheid." Er kämpfte sich schwankend durch die Menschenmenge, und schlug Jerry auf die Schulter, der sich gerade mit Timmy unterhielt. Kevins Stimme klang deutlich angetrunken als er sagte: "Du, ich bring Janine nach Hause, okay?" "Soll euch jemand begleiten? Du siehst mir nicht mehr aus, als dass du den Weg findest.", fragte Jerry grinsend und Timmy lachte. Kevin hielt nicht viel von dem Boxer, der eigentlich gar nicht ihrer Gruppe angehörte, sondern eher in der Boxschule rumhing mit anderen Typen wie Peter Becker, dessen Bruder im Ring gegen Kevin an einem Drogencocktail gestorben war vor einem Jahr. "Quatsch. Ich nehm die Abkürzung und bin in einer halben Stunde wieder da." Jerry nickte und schlug Kevin auf die Schulter.
    Die Luft draussen war warm aber erfrischend. Es war eine laue Sommernacht, beide Jugendlichen waren schweißüberströmt, kicherten und hielten sich aneinander fest, weil zumindest der Größere der beiden Gestalten nicht mehr ganz sicher auf den Beinen war. Trotzdem fühlte Janine sich sicher bei ihrem großen Bruder. Sie konnte sich auf ihn verlassen, egal in welcher Situation. Er war tatsächlich so etwas, wie der Fels in der Brandung, an dem sie sich jederzeit festhalten konnte, dem nichts zu schwer fiel, der alles irgendwie hinbekam, was er vor hatte. Janine vertraute ihm blind, auch als sie jetzt in die dunkle Gasse einbogen, in der kein Licht schien, in der es sofort etwas kühler wurde und in der ihre Stimmen ein wenig hallten, als Janine sagte: "Ich würde mich alleine ja nicht nachts durch solche Gassen trauen... aber solange du bei mir bist.", und dabei hakte sie sich fest bei ihrem großen Bruder ein.


    Sein Schrei kam unvermittelt, denn die Schritte hinter ihm hatte er nicht gehört. Ein stechender Schmerz breitete sich über seinen Rücken aus, ein Gefühl wie ein Stoß und etwas eiskaltes Drang in sein Fleisch. Sofort spürte er, wie er den Boden unter den Füßen verlor, er spürte das Gefühl, wie die Klinge des Messer wieder aus seinem Rücken glitt, um erneut, nur wenige Centimeter daneben das Fleisch zu zerteilen und erneut tief in seinen Körper einzudringen. Kevin packte mit der rechten Hand Janines Arm, mit aller Kraft, die ihm noch blieb. Das Mädchen konnte vor Schreck nicht einmal schreien, sie spürte nur, wie sie mit zu Boden gerissen wurde, als der schwerere Kevin durch den zweiten Messerstich in den Rücken in den Dreck fiel. "Kevin!! Kevin!!!", schrie sie wie wild, als sie an der Hüfte von einem Arm wie ein Schraubstock gepackt wurde, und von ihrem geliebten Bruder weggezerrt wurde.
    Sie waren viel zu stark... das Licht des Mondes fiel halb auf den stöhnenden jungen Mann im Dreck, und Janine konnte nur für einen Bruchteil erkennen, das sein Shirt am Rücken blutgetränkt war. Doch rational denken konnte das junge Mädchen in ihren letzten Minuten nicht mehr. Sie wurde von zwei Männern gegen die Wand gedrückt, sie schrie, versuchte zu schlagen und zu beißen, doch weder trafen ihre Hände, noch ihre Zähne. Dass der Typ, dem eine schwarze Strähne im Gesicht hing, ihren Rock hochriss, spürte sie nicht mehr... was sie spürte war ein stechender Schmerz im Unterleib, der sie wie wild zu schreien beginnen ließ. Dann ein Brennen im Hals... hatte sie zuviel geschrien? Wurde ihre Stimme taub, fiel sie durch den enormen Schmerz in Ohnmacht? Janine bekam Atemnot, ihr Japsen wurde kürzer und kürzer und sie erkannte noch kurz die hellblauen Augen ihres Bruders, der den Kopf zu ihr hob, das Gesicht verzerrt. Das letzte, was sie schmeckte, war der eklige Geschmack von eisenhaltigem Blut im Mund, das sie durch die aufgeschlitzte Kehle nicht mehr zurückhalten konnte...


    Kevins Schmerz verteilte sich über den kompletten Rücken, es lähmte ihn. Er spürte seine Beine nicht, seine Arme nicht, um ihn herum schien alles vor Schmerz verschwommen. Er sah nur, was mit seiner Schwester passierte, er hörte ihre Schreie, er hörte seinen Namen... und der junge Punk war unfähig etwas zu tun. Er lag einfach da, er zitterte am ganzen Körper, und konnte nur hören... Schmerzensschreie, Hilfeschreie, Verzweiflungsrufe und das unnatürliche Gurgeln, als Peter Becker Kevins Schwester das Leben abschnitt...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


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    • 11. September 2015 um 17:11
    • #47

    Jenny's Wohnung - 18:30 Uhr


    Ermittlungen, die unter der Hand verfolgt wurden, hatten einen Nachteil... sie mussten zurückstehen, wenn die Männer von Cobra 11 ihrer eigentlichen Arbeit nachgehen mussten. Ein Überfall auf einen Werttransporter, eine Verfolgungsjagd über die Autobahn, ein Unfall, drei Festnahmen... der Papier- und Schreibaufwand danach gewaltig, auch wenn die Männer, die sich nicht tollpatschiger bei der Flucht hätten anstellen können, sofort geständig waren. Niemand war wirklich bei der Sache. Semir noch am ehesten, riss er, ganz Chef-Ermittler, die meiste Arbeit an sich. Da er den Dienstwagen gefahren war bei der Verfolgungsjagd, schrieb er fast das komplette Protokoll des Einsatzes in Rekordgeschwindigkeit. Ben übernahm das Verhör der Verbrecher mit Kevin zusammen, wobei der junge Ermittler recht stumm und wortkarg nur daneben stand, während Ben Routinefragen stellte. Man rief den Haftrichter an, man verbrachte die Verbrecher zur Untersuchungshaft.
    Draussen war es bereits dunkel, und wie immer im Herbst, war diese Umstellung unangenehm. So schön es war, wenn es im Frühling immer länger hell blieb und immer früher hell war, so war es jetzt unbequem, man hatte das Gefühl der Tag sei schon am Ende, obwohl es gerade mal Feierabend war. "Wie siehts aus? Bist du fertig? Wir wollten doch noch etwas trinken gehen.", sagte Ben, als er vom Aufenthaltsraum ins Büro der Polizisten kam, wo Semir immer noch am Tippen war. "Ich brauch noch etwas... ausserdem bin ich eh tot für heute. Ich fahr gleich nach Hause." "Abscheisser.", meinte Ben trocken und blickte zu Kevin. "Aber wir schnappen noch einen." Der junge Polizist wog den Kopf hin und her... ihm lag die Sache mit dem Polizisten im Magen, aber etwas Ablenkung war jetzt nicht schlecht. "Dann lass uns zu mir in die Wohnung fahren, und ein bisschen Musik machen. Irgendwo auf viel Bla-Bla in einer Kneipe hab ich echt kein Bock." Ben fand den Vorschlag gut, und nickte sofort.


    Die beiden verabschiedeten sich von Semir, machten im Auto einen kleinen Abstecher zu Bens Wohnung, der dort seine Gitarre aus seinem Schlafzimmer nahm, und fuhren weiter zu Jennys Wohnung, wo Kevin momentan wohnte. Ben war zum letzten Mal hier, als es zu der verhängnisvollen Nacht zwischen ihm und Jenny gekommen war, womit beide schwer zu kämpfen hatten, die Sache Kevin zu erzählen der zu diesem Zeitpunkt zwar noch nicht mit Jenny zusammen war, die beiden hatten sich aber bereits angenährt. Doch das war vergeben und vergessen, und es gab nur noch ganz seltene Momente, in denen Kevin daran dachte. Mit Klimpern des Schlüssels sperrte er die Wohnungstür auf, und die beiden Männer traten ein. Jenny war nicht da, sie war an diesem Abend, wie angekündigt, zu ihren Eltern gefahren. Ansonsten hätte Kevin das Angebot, zu ihm zu fahren, nicht gemacht nachdem die beiden heute Morgen nicht gerade glücklich auseinandergegangen waren.
    Ben setzte sich auf das Sofa, nahm seine Gitarre und begann sie zu stimmen. "Bierchen?", fragte Kevin vom Kühlschrank aus. "Klar, wir sind doch nicht zum Spaß hier.", war die saloppe Antwort, die den melanchonischen und nachdenklichen Polizisten sofort zum Grinsen brachte. Eigentlich müssten Ben und Kevin beste Freunde sein... so unterschiedlich und so gleich waren sie gleichzeitig. So unterschiedlich in ihrer Art, der selbstbewusste Sunnyboy Ben, immer einen lockeren Spruch auf den Lippen und auf der anderen Seite der ruhige, schweigsame Kevin. So gleich aber, wenn es um das Thema Musik ging, für das sie beide lebten, um das Thema Freundschaft, was für sie beide wichtig war. Doch immer gab es irgendeinen Vorfall, der das Vertrauen zwischen den beiden zerüttete... Bens Ausraster im Krankenhaus, seine Nacht mit Jenny.


    Die beiden Männer spielten auf ihren Gitarren alte Rock-Klassiker, manchmal sang Ben ein wenig dazu, spielte oft die Leadgitarre der Songs, während Kevin die Begleitung dazu gab. Bei manchen Stücken, die Kevin besser konnte, wechselten sie die Rollen, hin und wieder spielten sie auch eine Fantasiemelodie, wobei der eine sich dem anderen anpasste. "Warum spielst du eigentlich nicht in einer Band?", fragte Ben, als sie eine kleine Pause machten und gerade das zweite Bier geöffnet hatten. "Hab ich... früher.", sagte Kevin und musste lächeln, als er sich an diese Zeit zurück erinnerte. "Aber eine andere Richtung." "Was denn? Schlager?", lachte Ben und die beiden prosteten sich zu. "Punk der einfacheren Sorte. Keine anspruchsvolle Musik, sondern einfach Krach." Der Polizist mit dem Wuschelkopf nickte, er wusste von Kevins Vergangenheit. "Warte mal..."
    Kevin stand auf und ging kurz ins Schlafzimmer. Er kam nach kurzer Zeit wieder heraus, mit seinem Karton unterm Arm. Dabei hatte er im Schlafzimmer einige persönliche Dinge und Fotos herausgeholt, und nur die Texte, die er geschrieben hatte, drin gelassen. "Hier... das ist quasi mein "musikalisches Schaffen" aus dieser Seite. Ich hab ein bisschen Gitarre gespielt, gesungen oder wie man das nennen konnte, und die Texte geschrieben." Ben nahm einige Zettel in die Hand, und Kevin fand es gar nicht schlimm, ihm diese Persönlichkeiten zu zeigen. Hätte Jenny ihn einfach gefragt, hätte er auch zu seiner Freundin nicht "Nein" gesagt. "Whoa... nagut... solche Texte würde ich jetzt vielleicht nicht singen.", meinte Ben grinsend als er gerade einen Text in der Hand hatte, der zur Gewalt gegen Polizisten und Neo-Nazis aufrief, diese beiden Personengruppen auf eine Stufe stellte. "Ja... ich heute auch nicht mehr.", sagte sein Partner dabei, und musste unweigerlich sofort an Annie denken...


    Ein Text gefiel Ben, er wollte es versuchen, mit Kevin zu spielen. Es klang, nur mit zwei Akkustikgitarren zwar nicht wie Punk, aber sie bekamen es hin und der Polizist, der nebenbei in einer Rockband spielte fand, dass Kevin gar kein so schlechter Sänger war. Der Text handelte von einem Mann, der sein Leben in einer Zeitschleife sah, mit Haus, Frau und Kindern, in dem er eigentlich glücklich war, aber doch immer mal von Zweifel geprägt. Kevin hatte den Text mit 16 geschrieben, als hätte er geahnt, dass er solche Gedanken 15 Jahre später haben würde. Im Zwischenteil heißt es:


    "Es gab da mal nen Zwischenfall, das ist schon länger her
    Und manchmal fragst du dich, wie es mit ihr gewesen wär
    Sie hatte alles was du mochtest, sie war frech, spontan und laut
    Doch sie wollte nach Australien, und das hast du dich nicht getraut."


    Ben gefiel das Lied. Ein bisschen mehr Melodie und ein bisschen langsamer, und es würde wirklich gut ins Line-Up seiner Band passen. Kevin freute es. "Ihr könnt es gerne mal spielen, wenn ihr wollt." "Wir bräuchten sowieso momentan einen Gitarristen. Unser jetziger hat ein Kind bekommen, und fällt ständig aus. Also wenn du Lust hast...", fragte Ben ein wenig vorsichtig, denn er konnte sich den Kevin, der er kannte, nicht als Stimmungskanone auf einer Bühne vorstellen. "Euer Gitarrist bekommt ein Kind?", wiederholte er in diesem Moment mit zweifelndem Gesicht, bevor er eindeutig anfing zu grinsen, und Ben boxte ihm gegen die Schulter. "Natürlich seine Frau, Doofkopp." Kevin merkte, wie schnell er sich von seinen Gedanken ablenken ließ, wenn er seine Freunde um ihn herum hatte... ob Ben, Jenny oder Semir. Auch wenn er wusste, dass die Gedanken heute Nacht zurückkommen würden.


    Ein Text fiel Ben noch in die Hände, als er das Stück Papier aufklappte und las, während sein Freund nicht genau sah, welchen Text er in der Hand hatte. "Hey, der ist aber auch toll... der passt gar nicht zum Rest.", meinte er anerkennend, und erst jetzt blickte Kevin genauer auf das Blatt. Es war nicht seine Schrift, und er erkannte den Text sofort, und sein Lachen verschwand für einen Moment. "Der ist auch nicht von mir." "Sondern?" "Von...", er verharrte kurz und biss sich auf die Lippen. "Den hat mal irgendjemand geschrieben damals... keine Ahnung." Ben spürte, dass diese Antwort Kevins ein astreines Ausweichmanöver war, doch er fragte nicht, er bohrte nicht... aber er war ergriffen von den Zeilen. "Habt ihr den gespielt?" Kopfschütteln, beinahe schon energisch.
    "Komm, lass uns dazu was schreiben... eine Melodie.", sagte Ben fast schon eifrig. Er genoß es, zu Texten ein Lied zu erfinden, eine Melodie, die ihm im Kopf herumschwebte, zu Papier zu bringen und zu spielen. Kevin sah noch ein wenig zweifelnd aus. "Also die Musik hatte damals immer jemand anderes geschrieben... das ist nicht so meins..." "Dann wird es jetzt eben deins." Eigentlich war der junge Polizist nicht so sehr begeistert, ausgerechnet jetzt zu Annies Liebestext ein Lied zu schreiben... aber er ließ sich darauf ein. Ben summte ihm eine Melodie vor, beide versuchten sie sie auf der Gitarre nach zu spielen. Sie schrieben sich die Noten auf, tranken mittlerweile das dritte und vierte Bier, spielten eine Begleitung dazu und versuchten zum ersten Mal den Text zu singen.


    Um halb 1, gerade als Jenny zur Wohnung hereinkam, und die beiden Männer mit Gitarren am Wohnzimmertisch, der gepflastert war mit 12 leeren und 2 viertelvollen Bierflaschen war, hatten sie das Lied mit einer Gesangslinie, zwei Gitarrenlinien und einem fiktiven Schlagzeug fertig. "Ich zeig das mal meinen Jungs... das wird Bombe. Und das musst DU singen.", sagte Ben, beseelt vom Alkohol, der Euphorie und dem Spaß mit Kevin zu musizieren. Sie ergänzten sich toll, musikalisch wie menschlich... wo Ben den Perfektionismus des Rockn Roll in sich hatte, hatte Kevin die Energie und die Einfachheit des Punks. Ausserdem spürten sie beide, wie nah sie sich menschlich doch sind, wie gut sie sich verstanden, und wie leicht es ihnen fiel, gemeinsam Sorgen hinter sich zu lassen.
    Jenny grinste nur und meinte, sie würde Ben besser nach Hause fahren mit gespielt kritischem Blick auf den Tisch voll Bierflaschen. Mit Handschlag verabschiedeten sich die beiden Männer, und als Jenny zurückkam, war Kevin auf dem Sofa bereits eingeschlafen. Lächelnd faltete Jenny alle Blätter mit Buchstaben und Zeilen zusammen, ohne einen neugierigen Blick darauf zu werfen, und legte alles zusammen in den Karton...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

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    • 14. September 2015 um 11:49
    • #48

    Köln - 19:00 Uhr


    Nur eine Viertelstunde nachdem Ben und Kevin das Büro der Autobahnpolizei verlassen hatten, machte auch Semir Feierabend. Er gähnte, als er den Monitor in seinem Büro ausschaltete ausgiebig, es war ein harter Tag gewesen und er freute sich auf seine Couch. Als er nach draussen in die Dunkelheit trat, und er bemerkte dass es ordentlich kalt war, dachte er noch darüber nach, heute Abend ein wenig Holz herein zu holen und den Ofen anzufeuern um es vor dem Fernseher gemütlicher zu haben. Der erfahrene Polizist stieg in seinen Dienstwagen, startete ihn und drehte sofort die Sitzheizung an, bevor er das Gelände der PAST auf die Autobahn verließ.
    Die Sturmfront beobachtete ihn nun schon seit zwei Tagen. Sie kannten Semirs Weg zur Autobahndienststelle, sie kannten seine Abkürzung durch ein recht einsames Waldgebiet auf einer Landstraße. Heute hatten sie den Angriff minutiös geplant, wie eine Schlacht an der Kriegsfront... so hatte es Rocky bezeichnet. Er gab der Attacke sogar einen Namen, "Operation Brücke", so wie es viele Heeresführer im ersten und zweiten Weltkrieg getan hatten. Jedem Zug, jedem Angriff auf die Front, allen geplanten Überfällen wurden bekannte Namen gegeben, um sie voneinander abzugrenzen. Genauso tat es die Sturmfront, und ihr Anführer hatte diesen Plan, der eigentlich recht simpel war, schon vor einigen Wochen ausgearbeitet. Heute abend würde er umgesetzt werden.


    Heinrich hatte Stellung bezogen, auf der genannten Brücke. Es war eine kleine Fußgängerbrücke, die die beiden Waldstücke für Wanderer und Spaziergänger miteinander verband. Unter ihr führte die Bundesstraße hindurch, auf der jetzt wenig Verkehr war. Zwei weitere Neonazis sitzen mit Funkgeräten im Gebüsch nahe der Straße und kündigten das Kommen des silbernen BMWs an. "Beobachter an Attentäter: Er kommt jetzt.", knarzte es aus Heinrichs Funkgerät und der gab nur ein kurzes "Okay" zurück. Sie hatten nur einen Versuch an dieser Brücke, die Rückfallebene war eine Straßenbrücke 2 Kilometer später. Aber da war öfters um diese Uhrzeit noch Verkehr, so dass es schwierig war, unerkannt zu bleiben. Deswegen "Wäre es gut, wenn der erste Versuch klappt.", sagte Rocky, und seine Worte klangen wie eine Drohung bei der Vorbesprechung.
    Semir ahnte nichts. Die Bäume zogen links und rechts an ihm vorbei, und die Brücke, die ihm jetzt ins Sichtfeld gelangte, sah nicht anders aus als sonst. Ein schwarzer Bogen über der Straße, dahinter der dunkelblaue, teils mit schwarzen Wolken behangene Nachthimmel. Die dunkle Gestalt auf der Brücke, die sich mit einem großen schweren Stein nun erhob, nahm er nicht wahr. Nur das laute Krachen, als der Stein auf die Motorhaube aufschlug, um danach noch gegen die Frontscheibe zu prallen, und diese auf der Beifahrerseite splittern ließ, nahm Semir wahr. Der Schreck fuhr ihm in die Glieder, instinktiv griff er das Lenkrad fest um den Wagen nicht aus der Kontrolle zu verlieren und trat direkt auf die Bremse.


    Die Reifen frassen sich in den Asphalt, und ruckartig kam der Wagen am Straßenrand zum Stehen. "Was zum...", japste Semir und hielt sofort ein. Ein Stein, der von der Brücke kam... dann kann der Werfer noch nicht weit sein. Er löste die Gurte und riss die Tür auf, doch die Planungen der Sturmfront hatten genau das vorgesehen. Aus dem Wald kamen sie wie ein Überfallkommando, 4 oder 5 vermummte Typen mit Gewehren, die wie Sturmgewehre aussahen. Semir blickte sich um und sie zogen den Kreis um den Polizisten sofort zu. "Ein Griff zur Waffe, Türke, und wir richten dich hier und jetzt!", schrie einer drohend, als Semirs Hand langsam zu seiner Waffe an seiner rechten Körperseite wanderte. Er hielt dennoch ein... denn die Entschlossenheit in den Augen, die er durch die Schlitze der Sturmmaske erkennen konnte, machte ihm ein wenig Angst. Dieser Typ würde sofort abdrücken, und selbst wenn er es schaffen sollte ihn auszuschalten, würden seine Kollegen schiessen.
    "Was wollt ihr von mir?", rief Semir, als die Typen näher kamen, einer ihm den Lauf des Gewehrs sofort gegen die Wirbelsäule stieß, so dass der Polizist auf die Knie fiel. Der andere griff sofort zu seiner Dienstwaffe, um Semir zu entwaffnen, alles geübt. Scheinbar hatten die Kerle für diesen Auftritt trainiert, es wirkte aber nicht wie ein Training von SEK oder MEK, das Semir kannte, sondern eher wie Soldaten. Semir wurde zur Entwaffnung nicht flach auf den Boden gelegt, sondern in die Knie gezwungen. "Wir säubern unseren Staat!", gab ihm einer der vermummten zur Antwort, und sofort packten sie ihn, um ihn wieder auf die Beine zu ziehen, mit Kabelbinder wurden seine Hände auf dem Rücken fixiert.


    "Los, ab in den Wagen mit ihm.", befahl einer der Vermummten, der scheinbar das Kommando hatte. Er ging zu Semirs BMW und sah hinein... der Schlüssel steckte. Der Wortführer wies einen seiner Männer an, den Wagen wie besprochen "zu entsorgen." Währenddessen zogen und zerrten der Rest der Männer den gefesselten Polizisten in den Wald zu einem kleinen Waldweg, wo ein alter Geländewagen schon bereitstand. Dort zwangen sie ihn unter Waffengewalt zum Einsteigen. "Ihr seid die Sturmfront, das weiß ich. Ihr könnt euch die lächerliche Maskerade sparen.", keifte Semir genervt zu seinem Nebenmann, und der Wortführer, der auf der Beifahrerseite einstieg, zog sich die Maske vom Kopf. "Ihr habts gehört, Männer. Unser Staatstürke ist nicht so dumm, wie seine Landsleute." Nacheinander zogen die 4 Männer um ihn herum in dem Geländewagen die Masken vom Kopf. Neben sich erkannte er einen der Typen, die vor seiner Haustür waren, um die Nachbarin einzuschüchtern. Er wurde von hasserfüllten Augenpaaren angeguckt, und der Fahrer startete den Motor.
    "Was wollt ihr von mir? Warum lasst ihr mich nicht in Ruhe.", fragte Semir nochmal, denn er konnte sich diesen Angriff nicht erklären. Bisher war die Sturmfront gegen ihn nur mit subtilem Psychoterror vorgegangen, aber nicht mit körperlicher Gewalt. Eine Entführung? Was nützte es ihnen? Wollten sie Lösegeld erpressen? Das passte doch überhaupt nicht in die Ideologie dieser Typen. Aber warum sollten sie ihn dann entführen?


    Der Wagen schaukelte auf dem buckeligen Waldboden hin und her, der Fahrer fuhr nicht gerade langsam und alle vier mussten sich im Fahrzeug ein wenig festhalten. Nur Semir konnte nicht, seine Hände waren auf dem Rücken, eingeschnürt von scharfkantigen Kabelbinder, die sich in sein Fleisch hineinschnitten. "Wir müssen der Gesellschaft zeigen, wie wir uns unser Land vorstellen. Was wir besser machen wollen und welcher Abschaum in unseren Straßen patroullieren darf. Mit einer Marke und einer Waffe in der Hand. Und mit dir, mein kleiner türkischer Freund...", und dabei zeigte der Wortführer, Rocky, mit seiner Waffe auf das Gesicht des Polizisten. "...fangen wir an." Semir schluckte... wenn das eine große Öffentlichkeitsaktion werden sollte, dann konnte man mit dem Tod eines Polizisten mit Migrationshintergrundes gut schocken... vor allem, wenn dieser vor einigen Tagen eine Flagge einer islamistischen Terrorvereinigung gehießt hatte. Semir wurde es mulmig... es war erst Abend... Andrea dachte eigentlich, dass Semir mit Ben und Kevin noch etwas trinken geht und würde ihn wohl nicht vermissen. Sie würde ins Bett gehen, einschlafen und erst morgen früh merken, dass etwas nicht stimmt... und vorher auch nicht Ben und Kevin alarmieren. Semir war auf sich alleine gestellt...

    Wenn Engel hassen

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    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

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    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


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    • 15. September 2015 um 07:35
    • #49

    Germania, Keller - 21:00 Uhr


    Er hing am seidenden Faden... im wahrsten Sinne des Wortes. Sammy, der Punk aus Annies Gruppe, hatte Probleme mit dem Atmen. Sicher hatte er einige Rippen gebrochen, sein Gesicht glühte vor Platzwunden und Blutergüssen, sein Kopf dröhnte schmerzhaft von den Schlägen und Tritten, bis er bewusstlos wurde. Sie hatten ihn dann in diesen feuchten miefigen Keller geschleift, und an den Handgelenken zusammengebunden wie Schlachtvieh aufgehängt... was anderes sei er nicht, hatte ihm einer der Neo-Nazis gesagt. Er hatte sich dämlich drangestellt, das wusste er spätestens jetzt als er aufwachte, mit brutalem Stechen in den Schultern. Seine Beine waren eingeknickt wie Streichhölzer, die Fußspitzen berührten den Boden. Wenn er Kraft finden würde, könnte er seine Arme wenigstens etwas entlasten, in dem er sich aufrecht hinstellte... er wollte, er versuchte es und biss auf die Zähne.
    Es war nur wenig Entlastung, aber immerhin. Seine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit um ihn herum... er war immer mal wieder wach geworden, immer mal im Dämmerschmerz Geräusche und Gestalten wahrgenommen, aber durch das verschlossene Kellerfenster hatte er jeglichen Sinn für Zeit verloren. Wie lang war er hier? Ein paar Stunden? Tage, Wochen? Nein, Wochen nicht... dann wäre er wohl längst verdurstet. Sein Shirt war blutverschmiert, ein Auge zugeschwollen und er spürte die krustigen Blutspuren überall in seinem Gesicht. Annie und die Gruppe würde ihn hier rausholen... ganz sicher...


    Wieder hörte er Geräusche. Das Schlagen einer Autotür, Stimmen, Lachen, Schritte. Knarzendes Holz direkt über ihm. Das Geräusch bewegte sich weg, wieder hin und wieder weg als würde jemand unruhig Auf und Ab gehen. Dann Schritte auf der Treppe, wieder ein Rufen, doch Sammy konnte nicht verstehen, was gemeint war, wer gemeint war bis sich die Holztüre des alten Kellers, die er jetzt erst als Holztüre wahrnahm, öffnete und das Licht des Flures in den Raum fiel. An einem altmodischen Drehschalter knipste einer der Faschos, die allesamt ganz in Schwarz angezogen waren, das Licht an, im Schlepptau hatten sie einen Mann in Lederjacke und kurzen Haaren. Nur mit anderthalb Augen, eins halb zugeschwollen, versuchte Sammy die Gesichter zu erkennen.
    "Na, Kleiner? Wie gehts uns denn?", fragte Breuer, der seine Frisur fast schon zynisch als extremen Seitenscheitel gegelt hatte. Er ging zu Sammy, packte ihm grob an seine geschwollene Wange und drehte den Kopf hin und her. "Oh, das sieht aber böse aus.", meinte er gespielt fürsorglich. "Ich glaube, da müssen wir ein wenig kosmetisch tätig werden." Sammy hatte die Augen zugekniffen vor Schmerz, presste den schmerzenden Kiefer aufeinander und sagte kein Wort. "Lasst den Jungen gehen! Ihr habt jetzt mich, reicht das nicht?", ereiferte sich Semir und zog ein wenig Alibimäßig an den Griffen der muskulösen Nazi-Händen. Rocky kam hinter der Gruppe herein und meinte zu Semir: "Keine Sorge... unser kleiner linker Freund wird nicht mehr lange hier sein."


    Mit freundlichem Lächeln ging Rocky zu Breuer, der das Gesicht des Punks wieder losgelassen hatte und stieß den hilflosen Jungen ein wenig an, so dass der an den Füßen sofort wieder den Halt verlor. "Und weißt du auch warum? Weil es wie im wahren Leben ist. Die Deutschen müssen Platz machen für die Ausländer." In Semir stieg ein ungutes Gefühl auf... noch schlechter als das Gefühl, was er seit der Bundesstraße sowieso schon hatte. "Weißt du eigentlich, welcher Abschaum bei uns eine Marke und eine Waffe herumtragen darf?", fragte Ronny den Gefangenen an den Seilen, der nur schwer atmete. "Guck da rüber. Und genau wie jeder ordentliche Deutsche seine Wohnung für Flüchtlinge, Asylbetrüger und kriminelle Ratten ihr Haus räumen muss... so musst du jetzt diesen gemütlichen Keller räumen. Und weißt du, was mit den armen Leuten dann passiert?" Semir hatte die Hände zu Fäusten geballt, als Rocky mit seinem Gesicht dicht an Sammys Ohr heranging. "Sie erfrieren, mein Junge... sie sterben. Wie findest du das, als Deutscher... hmm?"
    Sammys kleiner Körper zitterte, vor Erregung, vor Schmerz, aber auch vor Angst. Doch er würde vor diesen Typen, seine größten Feinden, Nazis und Polizisten, niemals einknicken. "Deutschland verrecke.", quetschte er unter Schmerzen heraus, eine linksradikale Parole die Semir genauso wenig teilte wie rechtsradikale Parolen. Dabei wurde ihm klar, dass solche Dinge wohl auch Kevin als Jugendlicher gerufen haben muss, und ähnlich dachte. Für den Jungen war es vielleicht noch nicht zu spät. "Was hast du gesagt?", fragte Rocky fast schon drohend, obwohl er die Worte klar vernommen hatte. "Deutschland... verrecke...", wiederholte Sammy mit zitternder Stimme. Der Neo-Nazi grinste und drehte sich zu Semir um. "Hey, Kanacke. Kennst du den Film "American History X?" Semir stand hilflos da, unfähig einzugreifen, immer noch wurde er bedroht und mehrer Hände hatten sich um seine Arme gelegt. Er schwieg zu der Frage. "Da geht es um einen amerikanischen Neo-Nazi... der geläutert wird.", erklärte Rocky mit ruhiger Stimme, und fügte ein leises "Unrealistisch" dazu. "Und da gibt es eine ganz bekannte Szene... ich werde sie dir zeigen. Schafft sie nach oben in den Hof."


    Sammy war auf das Abschneiden des Seiles, an dem er hing, nicht vorbereitet und krachte zu Boden. Vier grobe Hände packten den schlaffen, sehr schmalen und leichten Körper und beförderten ihn mit Stößen und Zerren die Treppen nach oben. Semir folgte ihm auf die gleiche Weise, allerdings auf den eigenen Füßen. "Lass den Jungen gehen, verdammt. Er hat hiermit nichts zu tun.", sagte er nochmal und erkannte die Hoffnungslosigkeit seiner Worte. Diese Typen hatten einen klaren Plan, von dem sie niemand abbringen konnte. Und sie brauchten Semir im Prinzip nicht. Mag sein, dass sie etwas besonderes mit ihm vor hatten, doch wenn sie es wollten, könnten sie ihn auch einfach töten, wenn er sich wehrte. Draussen glänzte der grobe Asphalt im Hinterhof vom leichten Regen, als sie die Germania verließen. Die Gegend, wo die Kneipe war, war einsame, die alten verkommenen Wohnungen standen weitestgehend leer. Niemand würde sie hier hören, als Rocky Sammy zu Fall brachte, der dann vor einem leicht erhöhten Bordstein kniete.
    Der Boden war hart, und Sammys Körper war voll Schmerzen. Er wusste nicht, wie es um ihn geschah, aber er hatte eine Hoffnung. Diese Typen würden ihn doch nicht töten. Neo-Nazis waren dumpfe Typen mit wirren Parolen, die Aufmärsche durchführten und vielleicht bei einer Schlägerei mal zu fest zu schlugen... aber sie würden ihn doch nicht einfach abknallen. Semir beobachtete die Szene, beobachtete wie Sammy auf dem Boden kniete und begann fester an seinen menschlichen Fesseln zu zerren. "Beiß in den Bordstein.", sagte Rocky leise, hinter Sammy, der diese Worte nicht fassen konnte. Eine Demütigung für einen Menschen, sich so zu unterwerfen und zynisch, dass Rocky den Ausländern in Person von Semir die Schuld dafür gab. "Na los! Beiß in den Bordstein."


    Sammy hatte zu viel Angst, als dass er sich wehrte. Zuviel Angst vor Schmerzen, zuviel Angst wieder geschlagen zu werden. Er beugte sich stöhnend nach vorne, sein Gesicht kam dem Bordstein immer näher, es schmeckte nach Staub und Dreck an seiner Zunge, als er seine Zähne an die Kante des Bordsteins hielt und seine Lippen den nassen Asphalt berührten. "Hört auf damit! Hört auf damit!!", begann Semir zu rufen und Breuer, der Semir ebenfalls mit festhielt, hielt ihm eine Pistole an den Kopf. "Du bist Zuschauer, du hast kein Rederecht, Kanacke.", machte er ihm klar.
    Rocky grinste ihn die Runde, als sich Sammy vor ihm erniedrigte in den Bordstein zu beißen. "Was hast du eben im Keller gesagt, Zecke?", fragte er nochmal nach unten, doch er hörte von Sammy nur ein Wimmern. "WAS HAST DU EBEN IM KELLER GESAGT?", schrie der Neo-Nazi dann und setzte seinen schweren Schuh auf Sammys Hinterkopf, seine Zähne kratzten durch den Druck über den Bordstein und ein schmerzhaftes Stöhnen entglitt dem jungen Punk. "HÖR AUF, du Arschloch!", schrie der Polizist nun, riss kräftig an seinem rechten Arm, konnte ihn sogar befreien, doch er bekam sofort einen Schlag in die Magengrube, der ihn auf die Knie fallen ließ. Er stöhnte auf und Rocky drehte sich um. "Genieß es... du wirst der Nächste sein." Dann wandte er sich wieder zu Sammy, reckte den rechten Arm in die Luft und brüllte den Gruß, wobei er ein "Für Deutschland" hinterher schmetterte, bevor er mit dem rechten Fuß, der noch an Sammys Hinterkopf ruhte, ausholte, und zutrat. "NEEEIN!", hörte er hinter sich noch Semirs Stimme, der bei dem ersten unnatürlichen Geräusch von Sammys Kiefer- und Schädelknochen die Augen zukniff und zur Seite sah. Einmal, zweimal, dreimal trat Rocky mit Wucht auf den zuckenden Kopf von Sammy, von dem kein Wort mehr aus seinem Mund kam, der nur langsam zuckend zur Seite fiel.


    Als Semir die Augen wieder öffnete, weil zwei Hände von hinten seinen Kopf umfassten, und seinen Blick zwanghaft auf den Körper des jungen Punks richteten, lag dieser in seinem eigenen Blut, das aus Mund, Nase und Ohren lief. Sein Kopf hatte eine unnatürliche Form angenommen, doch genauer wollte der Polizist, der schon allerhand Unfallopfer in seinem Leben gesehen hatte, nicht hinsehen. "Ihr verfluchten Bastarde...", brachte er nur hervor, als Rocky mit blutverschmierten Schuh auf Semir zukam. "Du darfst jetzt gerne seinen Platz einnehmen.", sagte er seelenruhig und die strammen Hände rissen Semir wieder nach oben, um ihn zurück in den Keller zu verfrachten. Der Kopf der Sturmfront beugte sich zur Seite zu Heinrich. "Und ihr bringt den Kadaver dieser Zecke dorthin, wie es geplant war. Hinterlasst ihnen einen schönen Gruß von mir." Heinrich nickte mit diabolischem Grinsen.

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

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    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

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    • 16. September 2015 um 10:26
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    Schlafzimmer - 2:30 Uhr


    Gerade mal zwei Stunden lang hatte Kevin geschlafen... ein Gefühl, was er nur selten erlebte. Von Müdigkeit übermannt zu werden und zu schlafen, dazu war meistens entweder harte Arbeit oder Alkohol nötig. Gestern abend wars viel harte Arbeit und ein wenig Alkohol, von dem er jetzt aber nichts mehr spürte. Er lag im Dunkeln, und dachte nach... über sich und sein Leben, Zufriedenheit, über die Frau die gerade neben ihm lag. Jenny lag mit dem Rücken zu ihm und es fühlte sich für den Polizisten an, als zeige sie ihm absichtlich die kalte Schulter, obwohl sie natürlich nur zufällig so schlief. Kevin lag dahinter ebenfalls auf der Seite, beobachtete die sich langsam gleichmäßig bewegende Schulter Jennys, ihren Nacken und ihre Wange. Er hatte den Kopf auf die Hand gestützt, den Ellbogen ins Kissen.
    Das Gefühl, dass er verspürte als er wieder bei Annie war, bekam er nicht mehr aus dem Kopf. Freiheit, Abenteuer, tun was man will. Keine Regeln. Wollte er das wirklich noch? Er war nicht mehr der sorglose Junge, der mal eben Polizisten mit Steinen bewarf ohne sich Gedanken über die Folgen zu machen. Jetzt bekam er die Folgen auf dem Silbertablett serviert... Pflegefall, Berufsende, Frührente. Heute machte Kevin sich Gedanken, heute hatte Kevin Schuldgefühle auch wenn ein kleiner Teil seines alten Lebens, das noch in ihm steckte, sich rechtfertigte. Dieser Polizist hatte vorsätzlich und ohne Not mit einem Schlagstock auf die Punks geprügelt, und dabei einen von ihnen ebenfalls schwer verletzt. War das jetzt ein Teil von Gerechtigkeit? Wollte er diese Gerechtigkeit heute noch?


    Und wollte er diese Frau aufgeben, die sich einließ auf den schwierigen Typen, auf den drogenabhängigen Polizisten? Die Opfer vollbrachte, keine normale Beziehung ohne (ausser die alltäglichen) Sorgen zu führen, sondern sich auf ein Abenteuer einzulassen. Die Angst hatte, ihrem Freund gewisse Dinge zu sagen, weil sie nicht wusste wie er reagierte... dieser Satz stach tief in Kevins Gedanken, ohne dass er es zugeben wollte. War er tatsächlich so unberechenbar im Sinne seiner Reaktion, plötzlich sich wieder zu verschließen? Hätte er sich wieder verschlossen, wenn Jenny nach der Kiste gefragt hätte, statt sie einfach zu nehmen?
    Der Polizist seufzte und strich der jungen Kollegin mit der Hand liebevoll über die Schulter, die nur von einem dünnen Träger ihres Nachthemds bedeckt war. Er wollte sich gerade wieder gemütlich hinlegen, als er den Klingelton seines Handys im Wohnzimmer vernahm. Kevin stieg aus dem Bett und tapste barfuss aus dem Schlafzimmer schnurstracks Richtung Tisch, auf dem das Handy lag, klingelte und blinkte... es war die Zentrale. "Ja?" "Kevin? Entschuldige wenn ich dich wecke...", hörte der Polizist die Stimme seines Freundes Herzberger, der scheinbar Nachtdienst hatte. "Kein Problem Hotte... ich hab sowieso noch nicht geschlafen. Was gibts?" "Wir hatten gerade einen merkwürdigen Anruf, anonym. Im Industriegebiet an der Lagerhalle hätte jemand eine Leiche gefunden. Du weißt schon..." "Dort, wo die Autonomen sind?", bestätigte Kevin quasi Hottes kleinen Wink mit dem Zaunpfahl, und ihm lief ein Schauer über den Rücken. Das war sicher kein Zufall. "Genau. Ich dachte, ich rufe dich zuerst an, bevor ich die Kollegen hinschicke." Natürlich war der dicke Streifenpolizist über die ganze Sache eingeweiht, wie auch sein Partner Bonrath. "Danke, das war gut. Ich schau mir das mal an, und melde mich dann." Die beiden trennten die Verbindung und Kevin kehrte zurück ins Schlafzimmer, wo er schnell seine Jeans anzog und das Schlafshirt gegen sein Langarmshirt tauschte. "Was ist denn los?", hörte er Jennys verschlafene Stimme hinter sich, die durch den Lärm geweckt wurde. "Ich muss nochmal weg...", sagte er nur leise und kurz. Die junge Frau sah besorgt, wie er seine Schuhe schnürte und die Kapuzenweste anzog, denn draussen war es kalt. "Du gehst wieder zu den Punks?" Es war eher eine Feststellung, als eine Frage und Kevin sah zu seiner Freundin. "Mach dir keine Sorgen... sie werden mir nichts tun." Er gab Jenny nur einen flüchtigen Kuss auf die Wange, bevor er den Autoschlüssel griff und die Wohnung verließ.


    Lagerhalle - 3:00 Uhr


    Kevin fuhr nicht bis an die Lagerhalle heran, sondern stellte den Wagen auf dem Bürgersteig ab. Er hatte Ben und Semir nicht angerufen, weil er erst einmal selbst nachschauen wollte... ausserdem war es wohl besser alleine zu sein, wenn er nochmal auf die Punks traf. Alleine konnte er sich vor ihnen eventuell besser rechtfertigen, auf Annie besser einwirken, als wenn er mit der ganzen Kavallerie hier auftauchte. Der Polizist ging durch das dunkle Tor und knipste seine schwere Taschenlampe an, um nicht irgendwo gegen Wände zu laufen oder den Müll zu stolpern, der hier überall herumlag. Der Mond versteckte sich hinter dichten Wolken und die Nacht war ungewöhnlich dunkel. Lichtquellen gab es hier keine, keine Straßenlaterne, keine Lampen an den Eingängen der Lagerhalle. In einer der Oberlichter der Halle konnte Kevin ein Flackern vernehmen... die Autonomen hatten abends und nachts desöfteren Kerzen brennen, und er stellte sich vor, dass vielleicht sogar Annie es war, die nicht schlafen konnte wie er.
    Schritt für Schritt tastete Kevin sich über das Gelände. Unter seinen Schuhen knarrten Steine, und krachten leise Glasscherben. Er hatte über seine Kapuzenweste seinen Mantel für kalte Tage angezogen und der Wind strich ihm durch die abstehenden Haare. Der Lichtkegel der Taschenlampe schwebte wie ein Geist über dem Asphalt, erhellte Grasbüschel an einer bröckeligen Trockenmauer und schwang immer wieder hin und her, während Kevin irgendwelche Hinweise auf ein Verbrechen oder die gemeldete Leiche suchte. Dabei klopfte sein Herz gegen den Brustkorb, denn er wusste ja nicht, wenn er finden würde...


    Plötzlich hörte er ein Geräusch, und blieb stehen. Es war wie ein Knurren, ein Schmatzen, aber kein menschliches. Der Lichtkegel der Taschenlampe fuhr herum, und das Geräusch schien aus einer Ecke zu kommen, wo zwei der Lagerhallen im rechten Winkel zueinander gebaut waren. Kevin nahm seine Waffe aus dem Halter unter seiner Jacke und entsicherte sie, während er langsam dem Geräusch folgte. Er versuchte seinen Atem zu kontrollieren um seinen Puls, der vor Aufregung und vor allem um Sorge in ungeahnte Höhen schnellte. Wer sollte eine Leiche jetzt ausgerechnet hier ablegen... oder hier umbringen. War es einer der Punks, die überfallen wurde? Ein Neo-Nazi, der sich hierher verirrte. "Bitte lieber Gott, lass es nicht Annie sein.", erwischte sich Kevin dabei, an den schlimmsten Fall zu denken, und schüttelte den Gedanken schnell wieder ab.
    Langsam kam in dem Lichtschein etwas zum Vorschein, was Kevin befürchtet hatte, auch wenn der schlimmste Fall nicht eintrat. Das Schmatzen war jetzt deutlich, doch wurde es unterbrochen als Kevin dichter kam, ein wildes Quieken dreier Ratten, die sich auf dem Leichnam niedergelassen hatten, suchten das Weite. Kevin atmete aus, und steckte die Waffe weg, der Lichtschein fuhr von den Springerstiefeln über die zerflickte Hose nach oben zum Oberkörper und dem blutüberströmten und deformierten Kopf des jungen Mannes. "Scheisse...", murmelte der Polizist leise, als er das Ausmaß der, wahrscheinlich tödlichen Kopfverletzungen sah. Er ging neben Sammy in die Hocke und erkannte den Punk dann doch an einigen Gesichtszügen... es war der Junge, der ihn recht eifersüchtig angeblickt hatte, als er bei Jenny war.


    Kevin zückte sein Handy und rief Herzberger wieder an. "Und, hast du was?" "Kann man wohl sagen... schick mir bitte die Spurensicherung zu der Adresse... die sollen aber ohne lautes Tatütata kommen, ich hab keine Lust die Punks aufzuscheuchen.", sagte er, obwohl es wohl unmöglich war dass mehrere Autos über das Gelände fuhren, ohne dass irgendjemand in der Halle etwas davon mitbekam. "Alles klar, Kevin. Die werden in wenigen Minuten bei dir sein.", sagte der erfahrene Polizist und trennte die Verbindung, um sofort weiter zu telefonieren.
    Der junge Polizist zog sich Gummihandschuhe, die er wohlwissentlich aus dem Auto eingesteckt hatte an, und betrachtete im Schein der Taschenlampe den Kopf des Opfers. Dabei verzog er zwar angewidert das Gesicht, doch so manches Mordopfer bei der Mordkommission, wo er mal war, sah noch schlimmer aus... er war einiges gewöhnt. Einige Zähne waren abgebrochen, Sammys Mund unnatürlich aufgerissen, womöglich der Kiefer gebrochen. Dazu war der Hinterkopf weich, der Schädel eingedrückt. Da muss jemand ordentlich zugeschlagen haben, dachte Kevin... und er hatte sofort die Neo-Nazis in Verdacht. Was hatte der kleine Kerl getan, dass ausgerechnet er ein Opfer werden musste...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

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    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

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    Einmal editiert, zuletzt von Campino (17. September 2015 um 15:14)

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    • 19. September 2015 um 04:42
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    Lagerhalle - 3:15 Uhr


    Die Ratten ließen sich nicht mehr blicken, so lange etwas Lebendiges, Kevin, in der Nähe war. Der Polizist hatte sich eine Zigarette gegen die aufkommende Kälte angesteckt und zog an dem Glimmstengel. Er hatte für einen Moment noch nachgedacht, Ben und Semir anzurufen um sie über diesen Fund zu informieren... aber das würde Zeit haben bis morgen früh. Sie würden in dieser Nacht eh nichts unternehmen, die Leiche müsste genau untersucht werden... auch das würde wohl bis morgen dauern. Kevin war in die Knie gegangen und durchsuchte die Taschen des Toten, doch er fand, bis auf Tabak und ein paar Münzen nichts was ihm sonderlich geholfen hätte. Dann ging Kevin einige Meter von der Leiche weg und sah im feinen Sand Schleifspuren.
    Kevin hörte die Schritte erst, als sie ganz nah waren, denn das Knarzen des Sandes, hatte den Angreifer verraten. Den Baseballschläger hatte Ole bereits im Anschlag, bereit Kevin von hinten niederzuschlagen. Doch im letzten Moment war der Punk zu unvorsichtig und sah wohl an dem Polizisten auch nicht vorbei auf Sammy, der einige Meter weiter im Dunkeln lag. Das Geräusch ließ den Polizisten blitzschnell aufstehen und sich umdrehen, um zu erkennen, dass der Angreifer nur noch wenige Meter entfernt war. "Jetzt wird dir keine Annie helfen, Bulle.", knurrte Ole angriffslustig und ließ den Schläger drohend einige Male über dem Kopf kreisen und Schritt für Schritt näher kommen. "Lass den Schläger fallen, Junge.", sagte der Polizist mit eisesruhiger Stimme.


    Sie standen sich vielleicht in anderthalb Meter Entfernung gegenüber, immer wenn Ole einen Schritt auf Kevin zumachte, wich dieser einen zurück. "Willst du Annie damit beeindrucken? In dem du mich hier zusammenschlägst?", fragte Kevin und regte den Kopf ein wenig nach oben. "Vergiss es. Ich zeig dir nur was mit Bullen passiert, die ihre Nase in fremde Angelegenheiten stecken." Ole hob den Schläger nun drohend, machte einen Schritt auf Kevin zu, der diesmal stehen blieb, in seine Jacke griff und blitzschnell seine Waffe zog und auf Ole richtete, noch bevor dieser zuschlagen konnte. "Und ich zeig dir was mit Jungs passiert, die mit nem Baseballschläger zur Schiesserei kommen.", sagte er drohend und doch gleichzeitig lächelnd. Ole verharrte in seiner Schlagstatur. "Du bist doch nur ein feiger scheiss Bulle." "Hör auf mit dem Scheiss. Glaubst du, ich lass mich jetzt hier mit dir auf ne Schlägerei ein?" Langsam, wie in Zeitlupe ließ Ole den Knüppel zu Boden sinken.
    Der Punk hätte keine Sekunde später kommen dürfen, denn in der Ferne blinkte das Blaulicht um die Ecke und wurde erst, wie auf Geheiß von Kevin, abgeschaltet, als man auf das Gelände fuhr. "Fuck, was ist das hier?", fragte Ole in Panik und sah sich um als ein Kleinbus und ein Polizeiauto vorfuhren. "An deiner Stelle würde ich den Baseballschläger jetzt wegwerfen, und zwar so weit wie es geht!", riet ihm der junge Polizist und Ole, der bei dem Anblick der Autos in Panik geriet, tat wie ihm geraten. Mit einem Klimpern fiel der Baseballschläger hinter dem Zaun auf den Asphalt.


    Aus dem Kleinbus stiegen einige Männer in weißen Schutzanzügen, unter anderem auch Roland Meisner, der Chef der Pathologie. "Bleib hier... es wird dir nichts passieren. Wenn du jetzt abhaust, kann ich dir nicht helfen.", zischte Kevin zu Ole, der gerade Anstalten machte, zu fliehen und griff ihm ans Handgelenk. "Ihr seid alle in Gefahr. Sie haben Sammy getötet.", raunte er ihm noch zu. "W...was?", stotterte Ole und wurde kreidebleich, was Kevin sogar im Dunkeln erkennen konnte. Meisner stapfte durch den Sand auf Kevin zu. "N'abend, mein Junge. Wo haben wir denn die Leiche?", fragte er und er sah aus, als käme er gerade von einem feinen Essen, denn Meisner war immer top gepflegt. Kevin hatte ihn noch nie mit einem Drei-Tage-Bart gesehen, und seine Haare saßen immer akkurat gleich lang, als wäre er jeden Tag beim Frisör. Der Polizist machte eine Kopfbewegung in die Ecke, wo es noch dunkler war, als auf dem übrigen Gelände, und Meisner ließ sofort die Strahler aufbauen.
    "Was... was ist passiert?", fragte Ole dann, als die Männer in den weißen Uniformen mit der Arbeit begannen. "Wir sind anonym angerufen worden, dass hier eine Leiche gefunden wurde.", bekam der Punk zur Antwort. Langsam ließ er sich auf einem Betonsockel nieder und fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht. "Sammy... er war seit vorgestern nachmittag verschwunden. Wir dachten, er übernachtet im Park, aber wir haben ihn nirgends gefunden.", sagte Ole, ohne dass Kevin konkrete Fragen stellen musste. "Er... er ist vielleicht..." "Was ist er?" "Vorgestern waren zwei von diesen Faschos bei uns... von der Sturmfront. Sie hatten mit Annie geredet." So langsam dämmerte es Kevin... sie hatten Annie verraten, dass er ein Bulle ist. Wenn sie ihn immer noch beobachtet hatten, wusste er, dass er zweimal bei Annie war, und sie bekamen mit, als Annie den Schriftzug an der Hauswand ansprayte. Also konnte sie die mitgenommene Flasche als Brandanschlag Annie unterschieben. "Glaubst du, Sammy hat die Typen verfolgt?" "Ich... ich weiß es nicht."


    Der Polizist ließ Ole erstmal alleine... der war so geschockt, dass er nicht dran dachte, jetzt einfach abzuhauen. Kevin ging mit knarzenden Schritten durch den Sand zu Meisner, der bereits kräftig bei der Arbeit war. "Und?" Mit weißen Gummihandschuhen hob der Arzt gerade den Kopf des Toten an, was sehr unappetitlich aussah und sich entsprechend anhörte. "Da hat jemand ganze Arbeit geleistet. Gewalteinwirkung von vorne und hinten. Von vorne auf jeden Fall mit einem Gegenstand. Schädelbruch, Kieferbruch, mehrere Kampfspuren am Körper. Der Junge wurde äusserst brutal verprügelt und dann erschlagen." "Was denkst du, wie lange ist das her?" "So lange nicht... vielleicht drei bis acht Stunden ungefähr. Aber Fundort ist ungleich Tatort." Kevin sah sich kurz um. "Also ist er nicht hier getötet worden?", fragte er nach, obwohl er die Aussage des Pathologen schon verstanden hatte. "Offener Schädelbruch... das muss geblutet haben wie ein Schwein, aber hier ist nur sehr wenig. Der Junge wurde definitiv nicht hier umgebracht."
    Nachdenklich nickte Kevin. Wollte Sammy vielleicht Annie beeindrucken, nachdem die Nazis hier waren, und war ihnen gefolgt... bis zu ihrem Unterschlupf? Und dort wurde er getötet? Aber warum bringen die Typen ihn hierher? Warum rufen sie selbst anonym die Polizei? Wollten sie bewirken, dass Kevin hierher kommt, und es vielleicht für die Punks so aussieht, als hätte die Polizei Sammy getötet. Von daher war es ja gut, dass Kevin alleine hierher gekommen war, und man nun nicht zu dritt um den Leichnam herumgestanden hatte. Aber wenn diese Theorie zuträfe... es war ja nun reiner Zufall, dass Ole hierher kam... oder?


    Kevin ging noch einmal zu dem Punk. "Warum bist du hier draussen? Hast du mich gehört?", fragte er. Ole schüttelte den Kopf und sah dabei Richtung Boden. "Nein. Ich war in der Stadt bei einigen Obdachlosen und bin jetzt zurück gekommen. Ich hab dich von der Straße gesehen, wie du deinen Wagen abgestellt hast." "Also war es reiner Zufall? Niemand hat dich angerufen?" Ein Nicken... "Ja... reiner Zufall." Ole schien zu ahnen, dass dieser Schock über den Tod von Sammy ihn vermutlich einige Nächte in Gewahrsam kosten würde. Er vertraute Kevin nicht, der den Angriff sicher zur Anzeige bringen würde.
    Kevins Handy klingelte, und er war perplex als der Name "BEN" auf dem Display blinkte. Er nahm ab. "Ben, warum schläfst du nicht?" "Das Gleiche könnte ich dich fragen.", hörte er aus der Leitung schnarren. "Andrea hat mich gerade angerufen... Semir sei nicht zu Hause." In Kevin breitete sich blitzschnell ein ungutes Gefühl aus. "Wie?" "Ja... sie war davon ausgegangen, dass wir noch weg sind, also ging sie ins Bett. Jetzt ist sie wachgeworden und bemerkt dass Semir immer noch nicht zu Hause ist, und hat mich angerufen. Da stimmt doch was nicht." Im Hintergrund konnte Kevin ein Rauschen hören... Ben schien bereits unterwegs zu sein. "An der Lagerhalle wurde die Leiche eines der Punks gefunden... vermutlich getötet von den Faschos.", sagte Kevin mit ernster Stimme. "Oh nein, bitte nicht... glaubst du dass Semir...?" Die Stimme von Semirs Partner klang ängstlich und besorgt. "Keine Ahnung... wo bist du jetzt?" "Auf dem Weg zu eurer Wohnung.", war Bens schnelle Antwort. "Komm zur Lagerhalle. Ich warte dort auf dich.", sagte sein Partner, dann trennten sie die Verbindung.

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    • 21. September 2015 um 12:28
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    Ben's Wohnung - gleiche Zeit


    Er schlief... ja, er schlief. Er schlief schnell ein und schlief tief und fest bis ihn der Klingelton seines Handys aus den Träumen riss. Er hatte seine Sorgen, Ängste und Gedanken, die er seit Wochen mit sich herumschleppte, vergessen. Einfach mal verdrängt, einfach mal unterdrückt und mundtot gemacht. Das Gespräch mit Semir hatte ihm sowieso geholfen, und dieser Abend mit Kevin hatte Ben soviel Spaß gemacht, dass er in diesen Stunden einfach mal nicht daran dachte, was ihm im Kopf umher geht. Es tat so gut, er spürte wieder, dass er mit Kevin eigentlich sehr gut auf Wellenlänge funkte, obwohl die beiden grundverschiedene Typen waren. Doch gemeinsames Hobby, Musik verbindet. Sie hatten komponiert, gespielt, gelacht und getrunken. Ja, sogar gelacht hatte Kevin.
    Jenny hatte ihn danach nach Hause gefahren, Ben fühlte sich nicht betrunken sondern war aufgezogen, wie eine Spielzeugpuppe. Er hätte am liebsten noch weiter geschrieben und gespielt, doch die Aussicht darauf morgen früh aufzustehen, ließ ihn dann doch wieder müde werden. Er duschte, und schlief sofort ein, nachdem er die Decke über sich gezogen hatte. Jetzt, nur 2 Stunden später wurde er wieder wach. Neben ihm rumorte es, der Vibrationsalarm ließ sein Handy über den Nachttisch wandern und er erklang das Intro von "Smoke on the Water", sein momentaner Klingelton. "Verdammt...", sagte er leise, als er bemerkte, dass er nicht träumte, sondern dass ihn tatsächlich gerade jemand aus dem schönsten Schlummerschlaf riss.


    "Jäger?", meldete er sich verschlafen und erkannte die nervöse, etwas ängstlich klingende Stimme von Andrea sofort. "Ben... bitte sag mir, dass ihr noch unterwegs seid.", sagte Semirs Frau und Ben konnte das Zittern in der Stimme deutlich hören. Scheinbar dachte Andrea, Semir wäre mit den beiden Kollegen noch auf die Piste gegangen, wie eigentlich geplant... und jetzt war sie wach geworden, und das Bett neben ihr noch leer und kalt. "Ähm... nein... aber Semir war auch gar nicht mit. Der wollte nach dem Dienst nach Hause.", sagte der Polizist wahrheitsgemäß. "Ben... er ist nicht zu Hause. Sein Auto ist nicht da, er ist hier nicht angekommen. Was..." "Andrea, jetzt beruhig dich. Dafür gibt es bestimmt eine Erklärung." Auch wenn ihm gerade keine einfiel. Was sollte Semir dazu bewegen, mitten in der Nacht unterwegs zu sein? Ein wichtiger Anruf auf unseren Fall bezogen? Aber, dann hätte er doch Ben und Kevin informiert. "Ich hab solche Angst, dass was passiert sein könnte...", sagte Andrea, der jetzt klar wurde, dass etwas nicht stimmte. Sie hatte gehofft, Ben würde ans Handy gehen, und mit Musik im Hintergrund sagen, dass man versackt wäre und gleich nach Hause käme.
    "Hast du auf seinem Handy probiert?" "Ja, das ist ausgeschaltet. Er hat sowas noch nie getan, wenn er was anderes vor gehabt hätte, was so lange dauert, hätte er mich angerufen." Andrea stiegen die Tränen in die Augen, die Erinnerung an das spurlose Verschwinden ihrer Tochter wurde wieder wach, alte Ängste erwachten zu neuem Leben. "Ich mach mich sofort auf den Weg. Wir finden Semir, hab keine Angst. Soll ich... soll ich vorbeikommen?" "Nein... nein. Such ihn bitte, und sag mir schnellstmöglich Bescheid."


    Ben schlug die Decke von sich und setzte sich auf den Rand des Bettes. Er war sofort hellwach und dachte nach. Was war jetzt der nächste Schritt? Erstmal cool bleiben, ruhig bleiben. Du bist Polizist, auch wenn es um deinen Partner geht. In Gedanken ging Ben den Abend durch. Sie hatten die Dienststelle verlassen, Semir hat die Akten bearbeitet. Dann wollte er nach Hause fahren, und ist dort nicht angekommen. Was hatte ihn bewogen, etwas anderes zu machen, und wo hat sich die Spur verloren? Instinktiv wählte der Polizist die Handynummer seines Partners, doch die Mailbox ertönte sofort, das Handy war tatsächlich ausgeschaltet. Entweder wollte er nicht erreicht werden, oder jemand verhinderte, ihn zu erreichen. Hartmut musste helfen.
    Der Polizist erhob sich von der Bettkante und sprang in Rekordzeit in Jeans, Schuhe, Shirt und Pullover, schnappte seine hellbraune Lederjacke von der Garderobe und lief aus der Tür zu seinem Wagen. Er war noch nicht angeschnallt und auf der Hauptstraße in Richtung Kevins Wohnung, als er die Privatnummer von Hartmut wählte. Es dauerte einige Freizeichen, bis das KTU-Genie abnahm. "Was, zum Henker...", meldete er sich ziemlich verschlafen. "Hartmut, ich brauche deine Hilfe. Es ist dringend.", sagte Ben ohne Umschweife, um dem rothaarigen Techniker keine Gelegenheit zu geben, zu meckern und lamentieren. "Weißt du wie spät es ist? Nicht nur, dass ihr mir tagsüber Überstunden bereitet, jetzt auch noch nachts...", doch Ben unterbrach Hartmut sofort. "Bitte Hartmut. Semir ist verschwunden."


    Nach diesem Satz war Hartmut hellwach und saß aufrecht im Bett. "Was kann ich tun?", fragte er sofort, und Ben dankte ihm insgeheim. "Ich brauch den Standort von Semirs Handy beim letzten Signal. Er hat seit einigen Stunden das Handy abgeschaltet." "Okay. Ich handel das ab über "Gefahr für Leib und Leben", und werde beim Netzbetreiber die Koordinaten der Funkzelle anfragen. Ich melde mich.", sagte Hartmut und beugte sich seitlich aus dem Bett heraus, um seinen Laptop vom Boden aufzuheben. Von dort aus konnte er sich auf seinen Server in der Werkstatt verbinden und das benötigte Fax heraussenden. "Ben, warum schläfst du nicht?", meldete sich der junge Polizist statt mit seinem Namen, und Ben war überrascht, dass er sich fit anhörte und sofort abnahm... zu schlafen schien er nicht. "Das Gleiche könnte ich dich fragen.", meinte er sarkastisch, schob aber die Erklärung gleich hinterher. "Andrea hat mich gerade angerufen... Semir sei nicht zu Hause." "Wie?" "Ja... sie war davon ausgegangen, dass wir noch weg sind, also ging sie ins Bett. Jetzt ist sie wachgeworden und bemerkt dass Semir immer noch nicht zu Hause ist, und hat mich angerufen. Da stimmt doch was nicht." Schweigen auf der anderen Seite. Kevin schien nach zu denken, doch statt einer Antwort lieferte er die Erklärung, warum er gerade nicht schlief. "An der Lagerhalle wurde die Leiche eines der Punks gefunden... vermutlich getötet von den Faschos." Ben rutschte das Herz in die Hose. Das konnte kein Zufall sein, dass heute Nacht einer der Punk getötet wird, und Semir verschwindet... verdammt. "Oh nein, bitte nicht... glaubst du dass Semir...?" "Keine Ahnung... wo bist du jetzt?", fragte Kevin, der etwas ruhiger zu sein schien, als Ben selbst. "Auf dem Weg zu eurer Wohnung.", antwortete er und fuhr nach einer roten Ampel wieder an. "Komm zur Lagerhalle. Ich warte dort auf dich.", hörte er seinen Partner und wechselte die Richtung.


    Er brauchte nicht lange bis zu dem betreffenden Gebiet und hielt seinen Dienstwagen hinter dem Pathologie-Dienstwagen und dem schwarzen Leichenwagen. Er konnte das Licht der eingeschalteten Strahler entdecken und kam mit schnellen Schritten an die Menschenmenge heran. Zwei uniformierte Kollegen, einige in weißen Anzügen, Kevin und einer der Punks, der auf dem Betonsockel saß. "Und?", fragte Ben nervös, während Kevin mit einer Nickbewegung in die Ecke deutete, wo Meisner seine Arbeiten gerade abschloss. "Erschlagen, aber nicht hier. Wurde scheinbar als Gruß an die Autonomen hier abgelegt. Dass es die Faschos waren kann ich nur spekulieren, aber mir fällt nichts logisches ein. Wurde anonym gemeldet. Ausserdem waren gestern zwei Faschos bei Annie, und vielleicht ist Sammy ihnen gefolgt." "Und er?", fragte Ben mit einem Blick auf Ole. "Der... kam zufällig vorbei.", wich der junge Polizist aus.
    Ben ging auf Ole zu, der aufblickte und Ben scheinbar auch sofort als Bullen erkannte. "Was weißt du über die Sturmfront?", fragte Ben sofort und Ole schaute unsicher. "Nicht viel... wir wollen, dass sie uns in Ruhe lassen." "Wo haben sie ihr Hauptquartier?" Ole sah, als hätte man ihm die Frage auf chinesisch gestellt. "Das weiß ich nicht... das hab ich dir doch schon gesagt.", sagte er mit Blick auf Kevin. "Ich will es auch gar nicht wissen. Das sind keine normalen Faschos, das sind alles Schwerverbrecher." "Ist Annie drin?", fragte Kevin, den er wusste dass Annie das Quartier kannte. Ole schüttelte den Kopf. "Wo ist sie?" Der Punk biss sich auf die Lippen. "Ich glaube nicht, dass sie dich nochmal sehen will, Bulle." Ben drehte sich weg, denn er hatte das Bedürfnis zu zu schlagen. "Es ist mir scheissegal, was du glaubst. Ich will wissen wo sie ist!", wiederholte Kevin ein wenig schärfer. Als Ole nicht sofort antwortete, packte Ben zu. Er griff Ole an seiner Lederjacke und zog ihn auf seine Höhe. "Mein Partner, mein Freund ist verschwunden! Entweder sagst du mir jetzt, wo die Sturmfront sich verkriecht, oder wo Annie ist! LOS!" "Ihr Bullen seid doch alle gleich!", spuckte Ole aus, und in diesem Moment wendete Ben die Methode an, die Kevin als Punk zu dem damaligen Steinewurf hinreissen ließ... Gewalt. Heute wusste er, dass es manchmal nötig war. "Was ist jetzt?", rief Ben deutlicher, so dass auch Meisner und die Streifenbeamten sich zu den Drei umblickten, doch Kevin machte eine beruhigende Handbwegung, das alles unter Kontrolle war.


    "Sie ist nicht hier... ich weiß nicht wo sie ist. Sie wollte alleine sein, und über alles nachdenken, aber ich weiß es wirklich nicht." Kevin griff Ben an die Schulter. "Ich weiß wo sie ist! Los komm." Ben blickte etwas verwirrt, aber er ließ den Punk los. Im Vorbeilaufen sagte Kevin zu den Polizisten noch: "Lasst die Jungs da drin zu Frieden. Die haben nichts damit zu tun." Dabei deutete er auf Ole und die Lagerhalle, der verwirrt blickte. Dass Kevin die Punks in Schutz nahm, hatte er nicht erwartet.

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


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    • 23. September 2015 um 12:14
    • #53

    Besetztes Haus - 03:40 Uhr


    Das Haus war baufällig, so wie es vor 14 Jahren schon war. Drinnen war es größtenteils dunkel, nur vereinzelt brannten Öllampen, wo jemand übernachtete, Kerzen oder Taschenlampen. In den, teilweise zerbrochenen Fenstern konnte man von der Straße das Flackern erkennen. Es war ein großer Block, gekauft vor 20 Jahren zur Immobilienspekulation, eigentlich leer stehend mit mehreren Etagen und Wohnungen. Der Putz blätterte ab, die Wohnungen waren teilweise dem Vandalismus zum Opfer gefallen. Irgendwann hatten sich in der Nähe vermehrt Punks, Hausbesetzer und Autonome eingefunden, Antifa-Fahnen wehten aus dem Fenster, es gab immer wieder Übergriffe mit der Polizei. Hier hatte Kevin Nächte und Tage verbracht, es war sein zweites Zuhause gewesen, neben der Lagerhalle.
    Es gab in diesem Haus ein Zimmer im oberen Stockwerk, von wo aus man einen Ausblick bis ins Industriegebiet hatte. Dort hatten Annie und Kevin oft gesessen und auf die düstere, dreckige Stadt geschaut. Oft war sie dort aber auch alleine, nachdem sie sich gestritten hatten, wenn Kevin dann wutentbrannt das Haus verlassen hatte, konnte er Annies roten Schopf im Fenster erkennen. Meistens war er dann schon umgekehrt. Wenn sie die Angewohnheiten, wenn sie nachdenken musste sich dort hin zurück zu ziehen, beibehalten hatte, dann wäre sie genau dort.

    Ben hielt den Dienstwagen vor dem Haus und öffnete bereits Gurt und Tür, als er Kevins Griff am Ärmel spürte. "Lass mich alleine hochgehen." Ein etwas entgeisterter Blick traf den jungen Polizisten, und Ben protestierte: "Kevin, es
    geht hier nicht um dich und Annie... es geht um Semir. Wir gehen jetzt zusammen da hoch, und quetschen sie aus." "Wenn wir jetzt zu Zweit da aufkreuzen, wird sie garantiert keinen Ton sagen. Lass mich bitte alleine hoch gehen. Vertrau mir, ich weiß dass es um Semir geht." Ben fiel es unheimlich schwer, die Hand um Kevins Jackenarm zu öffnen. Nicht, dass er Kevin nicht vertraute... aber es ging um Semirs Leben. Da wollte er das Kommenado nur ungern aus seinen Händen geben. Sein Blick drückte auch eher Zerissenheit, jetzt untätig im Auto zu sitzen und zu warten, aus statt Misstrauen. "Na gut.", meinte eher zögerlich und Kevin nickte.
    Die Tür, nur angelehnt, knarrte als Kevin den dunklen Flur betrat. Mit schnellen Schritten hechtete er die knarrenden Holztreppen nach oben, manche Wohnungstüren standen auf, manche waren verschlossen, überall waren Graffiti-
    Sprayereien zu sehen, meistens Parolen aus dem linken Spektrum, Anarchie-Symbole und durchgestrichene Swastikas.
    Der junge Polizist kannte das Zimmer, in dem er und Annie immer saßen. Sein Herz klopfte, als er die Klinke der Wohnungstür herunterdrückte, und sie langsam knarrend nachgab. Eine Mischung aus muffigem Geruch, aber auch der kühlen Prise des offenen Fensters gegenüber der Tür, an dem eine schlanke Gestalt auf der Fensterbank saß, schlug ihm entgegen. Annie hatte ihn scheinbar schon unten auf der Straße gesehen, und für einen Moment blieb Kevin im Türrahmen stehen, als Annie sich umdrehte.

    "Verschwinde.", war ihre erste Reaktion auf den jungen Polizisten, denn das nicht verschreckte und nicht erstaunte. Entgegen ihrer Aufforderung trat er ein, und dass Annie gegen ihren eigenen Willen sprach, gegen ihr Bauchgefühl
    sprach erkannte er, dass sie sich nicht rührte, als er langsam auf die zu kam. "Annie, ich will nur mit dir reden. Und nicht über uns beide." Ihre Augen funkelten ihn an, ihr Gesicht verkniffen, die Lippen aufeinander gepresst, als er
    zwei Meter von ihr entfernt stehen blieb. In seinem Mantel und seiner zerschlissenen Jeans sah er immer noch eher wie ein Punk, als ein Polizist aus. "Lass mich in Ruhe. Ich hab mit euch Polizisten nichts zu schaffen." Jedes Wort, das sie sprach, tat ihr in der Seele weh, weil sie gleichzeitig auch mit dem Menschen Kevin sprach, den sie im Innersten noch liebte. Dieser Mensch sah nun kurz auf den Boden, auf die schmutzigen Holzdielen die unter ihm knarrten.
    "Vielleicht willst du ja eher was mit Kevin zu schaffen haben.", sprach er genau ihren inneren Konflikt an, und sie blieb erst stumm.
    Die unangehme Wahrheit musste raus, und vielleicht würde sie Annie auch gesprächiger machen. "Was willst du?", fragte sie immer noch feindseelig, erzwungen feindseelig. "Wir haben Sammy gefunden.", sagte er mit ernster Stimme, und die Verkniffenheit wich Angst und Entsetzen. "Gefunden... was?" "Sammy ist tot. Wahrscheinlich die Faschos..." Für einen Moment blieb Annie wie erstarrt. Sie blickte den Mann an, der ihr gegenüber stand, rutschte von der Fensterbank und dann lösten sich alle Fesseln. Ihr Gesicht verzerrte sich, ihre Augen füllten sich und ihr Beine gaben ihr nach, so dass Kevin mit zwei Schritten bei ihr war, und sie festhielt. Ein Weinkrampf schüttelte das Mädchen, eine Mischung aus Weinen und Schluchzen, sie klammerte sich an Kevins Arme, der sie fest im Arm hielt.


    Obwohl ihm die Eile unter den Nägeln brannte, ließ er Annie einige Minuten Zeit, bis sie sich beruhigt hatte. Sie löste sich auch sofort von ihm, obwohl es ihm ganz und gar nicht unangenehm war, und ging zwei Schritte um sich, leise
    schniefend wieder auf die Fensterbank zu setzen. "Du musst mir sagen, wo die Sturmfront ihr Versteck hat.", sagte er dann eindringlich, ohne dass das Mädchen reagierte. Sie blickte nur auf die Holzdielen und dachte an Sammys Lachen, an seine Scherze, an seine Versuche sie aufzumuntern, wenn es ihr schlecht ging. Unablässig kullerten immer wieder Tränen über ihre Wangen.
    "Annie...", brachte sich Kevin zurück in ihre Wahrnehmung. "Ich kann es dir nicht sagen.", sagte sie tonlos, ohne ihn anzublicken. Kevin ging vor der sitzenden Annie in die Hocke, um sie von unten anzusehen, kam mit dem Gesicht dicht an sie heran. "Mein Partner ist verschwunden. Wahrscheinlich haben die Faschos ihn entführt. Ich will ihn nicht auch finden müssen, wie ich heute Sammy gefunden habe.", sagte er eindringlich. Er wusste, dass er mit roher Gewalt bei Annie rein gar nichts erreichen würde, und war froh dass Ben im Auto geblieben war. Der hätte wohl, spätestens jetzt, die Nerven endgültig verloren. "Sie werden mich umbringen." "Niemand wird dich umbringen. Wenn wir wissen, wo die Bande ist, werden die alle in den Knast gehen." Annie blieb stumm... ihr Blick getrübt, auf den Schmutz des Bodens gerichtet.

    Kevin erhob sich wieder ruckartig, ging einige Schritte durch den Raum und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Warum schwieg sie... war es wirklich Sorge um sich selbst? War es Sorge um Kevin? War es die späte Rache an einem Polizisten, der jetzt vielleicht sterben würde. Der Polizist blickte das Mädchen an, sie schien undurchdringbar. Mit zwei Schritten war er wieder bei ihr und beugte sich wieder herunter. Seine Stimme war eindringlich, aber ruhig. "Du deckst Sammys Mörder. Willst du das?" Sie schienen für ein Moment wie ein Stillleben, Annie auf der Fensterbank sitzend nach vorne gebeugt, Kevin neben ihr leicht gebeugt, der auf eine Reaktion wartete. "Niemand ist schuld an Sammys Tod, ausser der Verursacher. Aber ich sage dir etwas: Wenn du uns nicht sagst, wo die Sturmfront ihr Quartier hat, wird jemand sterben. Und daran hast du schuld. Und wenn die Sturmfront dann nochmal bei euch aufkreuzt, und wieder tötet, wirst du auch schuld sein." Ihre Finger, mit denen sie sich abstützte, zuckten. "Und ob du es glaubst oder nicht, ich fühlte mich immer noch mit euch verbunden. Denn durch unsere Begegnung habe ich gemerkt, dass zwei Herzen in meiner Brust schlugen. Aber heute vormittag die Begegnung hat vieles kaputt gemacht. Ihr habt euch genauso verändert, wie ich. Ihr seid nicht mehr die von Früher."
    In ihm wurde es unruhig. Er spürte, dass er gegen eine Wand lief, und dass die einzige Spur im Sande zu verlaufen drohte. Annie schwieg, auch wenn es in ihrem Innersten brodelte. Sie konnte den Hass, den sie spürte nicht unterdrücken, die Liebe zu Kevin konnte den gleichzeitigen Hass gegen ihn nicht aufwiegen. Hass auf seinen Beruf, Hass auf ihn, dass er die schönen Träume, die sie nach dem Wiedersehen strickte, zerstört hatte. Und ihr Hass gegen sich, die Angst um ihn und um ihre Freunde, Angst vor der Rache der Sturmfront. Sie konnte sich nicht durchringen, dem Polizisten zu helfen. Trotz der Träume, trotz ihrer Einsicht... die anderen würden sie als Verräterin erachten, mit der Polizei zusammengearbeitet zu haben. "Wir werden das für Sammy selbst regeln.", murmelte sie leise.

    Kopfschüttelnd wandte sich Kevin von ihr ab, ging einige Schritte Richtung Ausgang, bevor er sich nochmal zu ihr umdrehte. "Ich hatte erwartet, dass du geschockt bist, wenn du erfährst, wer ich wirklich bin. Deswegen habe ich dir nichts gesagt, weil ich dich immer noch mochte und dir diese Enttäuschung ersparen wollte. Aber ich hätte gedacht, dass du jetzt, in dieser Situation, den Menschen siehst, und nicht den Polizisten. Semir ist ein enger Freund, genau wie Sammy dein enger Freund war. Und scheinbar willst du mich bestrafen, in dem ich mich vielleicht morgen genauso fühle, wie du jetzt." Eine kurze Pause folgte. "Aber du wirst die Zeit dadurch nicht zurück drehen können, Annie. Niemand kann das. Du wirst mich nicht mehr ändern, Annie. Es ist vorbei!" Ihr Blick traf ihn. Ihr Blick, traurig und gebrochen von Sammys Tod und ihrer Sehnsucht. Sie hatte beide verloren... und Kevin fühlte sich schrecklich hilflos. "Und ich verspreche dir... wenn Semir stirbt, weil du uns nichts gesagt hast... Dann werde ich für dich nicht mehr der Mensch sein... sondern der scheiss Bulle, der dich drankriegt wegen Beihilfe zum Mord. Das schwöre ich dir." Sie konnten beide ihre Herzen schlagen hören... und Kevin spürte, dass er das, was in der Halle heute vormittag in ihm gestorben war, nicht wiederbeleben konnte... so sehr er es auch wollte... Annie ließ es nicht zu.

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

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    • 24. September 2015 um 13:23
    • #54

    Dienstauto - 3:55 Uhr


    Kevin kam im Laufschritt aus dem Haus heraus... und doch tief enttäuscht. Nicht mal ein solcher Notfall hatte Annie erweichen lassen, ihren Hass der Polizei gegenüber abzulegen. Sie sah den Polizisten, der einem anderen Polizisten helfen wollte, und nicht den Menschen Kevin, der einem engen Freund das Leben retten wollte. Sie blieb stumm, bis Kevin den Raum verlassen hatte, und bis zur Treppe hoffte der Polizist noch, dass er die schnellen Schritte seiner Ex-Freundin hörte, die ihm hinterherlief und ihn zurückhielt, um ihm letztendlich doch die benötigte Information zu verraten. Aber nichts passierte. Sie hatte das letzte bisschen Hoffnung in Kevin, dass sie sich vielleicht doch ändern könnte, zerstört mit einem Schweigen.
    Ben sah bereits an Kevins Haltung, an seinem Gesichtsausdruck, einfach an seiner Ausstrahlung der Enttäuschung, dass das Gespräch negativ verlaufen war. Sein Puls stieg, sein Atem beschleunigte und mit einem kräftigen Ruck seines Körpers war er aus dem Auto ausgestiegen, und ging mit schnellen Schritten auf Kevin zu. Auf halber Höhe des Weges, der zur Eingangstür des Blocks führte, trafen sie sich, und der junge Polizist ahnte sofort, was sein Partner vor hatte.


    "Wenn sie es dir nicht sagt, wird sie es mir sagen.", knurrte Ben, und wurde von Kevin gestoppt, der ihn mit beiden Händen an der Schulter festhielt. "Lass es. Es wird nichts bringen." Kevins Stimme klang nicht belehrend, nicht mahnend, sondern deprimiert. "Das werden wir ja sehen." Ben wollte sich aus dem Griff losreißen und stieß Kevin zur Seite, getrieben von Angst um seinen Partner, getrieben von Wut auf diese Frau, die für ihre Ideale einfach das Leben seines Freundes opfern wollte. Doch bevor er die Tür erreichte, spürte er wieder, dass er gebremst wurde, diesmal mit einem Griff am Arm. "Hör auf Ben! Es bringt nichts, sie wird es dir nicht sagen." Kevin befürchtete Eskalation, er wusste wieviel Semir Ben bedeutete, er wusste wie wenig Annie Ben bedeutete. Er wusste aber auch, dass Annie nur darauf wartete, nun von seinem Kollegen körperlich unter Druck gesetzt zu werden, und es würde das Vorurteil der Punks bestätigen... Polizeigewalt. Es würde genau zum Gegenteil führen...
    "Lass mich los, Kevin.", sagte Ben mit drohendem Unterton. Die beiden Männer blickten sich an, Kevin zum Haus mit ausgestreckten Arm und den Griff fest um Bens Handgelenk, der mit Schrittrichtung zum Eingang, den Oberkörper durch Kevins Haltegriff aber zu seinem Partner gedreht. "Reiß dich jetzt zusammen, Mann.", kam vom jungen Polizisten, obwohl er sich gerade schrecklich hilflos fühlte. Er versuchte Ben die einzige Chance auszureden, Semir zu finden und wusste selber keinen Rat, wie er die Suche fortsetzen wollte.


    "Ich soll mich zusammenreißen? Ich soll mich zusammenreißen??? Bist du eigentlich bescheuert?", rief Ben nun erbost und Kevin direkt ins Gesicht. Logisches Denken war nicht mehr möglich bei ihm in diesem Moment, zu erregt war er ob der Situation. "Semir passiert bei diesen Irren gerade weiß Gott was, und diese Frau sitzt da oben, weiß vermutlich wo er ist, und verschweigt es aus Stolz vor... ja vor was eigentlich? Und du kommst ganz locker runter, und sagst mir, dass ich mich zusammenreißen soll??" Mit etwas mehr Gewalt als vorher versuchte er sich loszureißen von Kevins Griff. "Lass mich SOFORT los!", wiederholte er schärfer. "Ben, jede Minute, die du da oben mit Annie verbringst ist verloren! Sie wird es uns nicht sagen, weil wir Bullen sind.", gab ihm Kevin erregt zur Antwort und bemühte sich nach Kräften, nicht auch noch die Nerven zu verlieren. Er blieb in der Rolle, die er früher bei seiner Schwester eingenommen hatte, für die seine Schwester ihn geliebt hatte... er blieb ruhig, er behielt die Kontrolle... nur einen Ausweg sah er noch nicht.
    "Wieso schützt du sie?", fragte Ben provokant, und der Polizist musste sich selbst ermahnen, nicht wieder etwas zu sagen, was ihm leid tat... das Gleiche war ihm damals passiert, als sie beide im Krankenhaus waren, nachdem Jenny angeschossen wurde, und Ben seinem Partner unschöne Dinge an den Kopf geworfen hatte, was zum Bruch zwischen den beiden führte. "Ich schütze sie überhaupt nicht.", entgegnete ihm Kevin. "Aber ich kenne sie, und ich weiß wie sie tickt. Ich habe an ihr Gewissen ermahnt, an Sammy, dass sie ihren Mörder deckt. Das hat alles nichts genützt. Was willst du tun? Sie verprügeln? Dann wird sie erst recht nichts sagen. Glaub mir!"


    Bens Wut schlug um in Verzweiflung. Sein erregtes, ärgerliches Gesicht, was ihn immer ein wenig den Mund offen stehen ließ, die Stirn in Falten und die Augen etwas aufgerissen, entkrampfte langsam. Seine Schultern senkten sich, und Kevin spürte an seiner Hand, dass seine angespannten Handgelenksmuskel sich ebenfalls entspannten. "Fuck.", rief er laut und trat gegen die Mülltonne, die neben den beiden Polizisten stand. Nun traute sich Kevin auch, den Griff zu lösen, und den Arm seines Partners los zu lassen. "Wir müssen ihn finden, Kevin. Wenn ihm etwas passiert... das... das würde ich nicht ertragen."
    In diesem Moment klingelte Bens Handy, und Hartmuts Nummer leuchtete auf dem Display auf. "Hartmut, hast du was?", meldete sich der Polizist aufgeregt. "Ich habe Antwort des Netzbetreibers bekommen. Das letzte Funksignal stammt von einem Funkmast ausserhalb der Stadt auf der Bundesstraße zu Semirs Wohngebiet. Die Funkzelle ist aber ziemlich groß, fast über den ganzen Wald, einen Teil der Bundesstraße, zwei Fussgängerbrücken und eine Autobrücke. Ich schick dir die grafische Aufbereitung, aber ich befürchte fast, dass ihr ohne Unterstützung da nichts finden werdet." Ben bedankte sich bei dem rothaarigen KTU-Beamten, öffnete die Nachricht, die bald danach aufs Handy kam um den Ausschnitt der Karte zu betrachten. "Ich kenne Semirs Heimweg. Los gehts.", sagte er und die beiden Polizisten stiegen in den Dienstwagen ein.


    Ben bog gerade auf die Bundesstraße ein, es waren noch mehrere Kilometer bis zur betreffenden Zelle, als Kevin auf dem Beifahrersitz plötzlich den Kopf zu Ben drehte. "Ich habe ne Idee! Kehr um!", sagte er und Ben trat, beinahe erschrocken, sofort in die Eisen. Die Straße war so verlassen, dass niemand in die rot aufleuchtenden Bremsleuchten hineindonnerte, als er den Benz auf wenige Meter auf 0 bremste. "Was denn?", fragte er verwirrt, warum sollte er umkehren? War ihm noch was eingefallen, um Annie unter Druck zu setzen?
    "Fahr zur JVA!", sagte Kevin eifrig und nickte. "Zur JVA?" Ben war verwirrt, er sah etwas irritiert und wollte das Auto noch nicht wenden, bis sein Partner ihm die Idee schmackhaft machte... er kannte noch jemanden, der das Quartier der Sturmfront kennen könnte... und der würde es ihnen garantiert sagen.

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    • 28. September 2015 um 22:52
    • #55

    JVA - 4:20 Uhr


    "Habt ihr sie noch alle? Habt ihr schon mal auf die Uhr geguckt?" Der Beamte an der Pforte der JVA Düsseldorf war recht ungehalten, als er die beiden Polizisten vom Besucherparkplatz an das Eingangstor gelaufen kommen sah. "Hören sie, es ist ein absoluter Notfall. Wir müssen sofort mit einem Gefangenen sprechen.", sagte Ben mit rasendem Atem, der ungefähr genauso schnell ging, wie die Fahrt von dem besetzten Haus bis zur JVA. "Ich glaube, es donnert. Erstens mal wisst ihr genau dass ihr dazu einen staatsanwaltischen Beschluss braucht, und zweitens ist die Besuchszeit...", doch er wurde von Ben unterbrochen, dem so langsam die Nerven durchgingen. Annie schwieg, was Ben zum Kochen brachte und seinen Partner Kevin mehr als nur schwer enttäuschte, und dieser sture Beamte ritt nun auf Paragraphen herum. "Scheiss auf die Besuchszeit! Mein Partner stirbt, wenn wir nicht mit Jerry reden."
    Kevin legte Ben die Hand auf die Schulter, um ihn zu beruhigen. Er wusste, dass wir mit Lautstärke nichts erreichen würden, auch nicht bei dem Beamten. "Hören sie, unser Partner wurde entführt, und nur Jerry weiß, wo er sein könnte. Bringen sie uns bitte zu ihm, sie wollen doch sicher nicht schuld dran sein, wenn ein Polizist stirbt.", meinte der Polizist eindringlich, während Ben sich abwand und sich die Haare raufte. "Ich kann doch nicht auf eine Vermutung hin alle Regeln hier brechen. Woher weiß ich, dass ihr mir keinen Horrorstory auftischt." Kevin trat ein wenig näher an den Wärter heran: "Es sind noch nicht alle Aussagen zu dem Drogenskandal vor einigen Monaten gemacht. Hoffentlich beschreibe ich nicht einen Wärter, der darin verwickelt war, der dir ähnlich sieht.", sagte er leise mit scharfer Stimme, die Ben aufschauen ließ. Es war eine hammerharte Drohung, die Drohung einer Falschaussage, aber Kevin riskierte es für Semirs Leben. "Willst du mich erpressen?", fragte der Wärter, aber wirkte sofort etwas nervöser, und Kevins kalte blauen Augen beeindruckten ihn. "Ach, leck mich doch! Los, mitkommen!", sagte er in bester Wachmann-Manier, informierte kurz seinen Kollegen und ging dann mit den beiden Polizisten in den Zellentrakt.


    Zelle 139 war Jerrys Zuhause. Als der Wärter die Tür aufsperrte und das Licht anmachte, konnte Kevin nur Jerrys Kopf aus einer Decke herausragen sehen, er lag auf der Seite und schlief fest. Sein Zellenkumpan, in einem Bett daneben, wurde ebenfalls wach und zwinkerte ins gleißende Licht. "Was zum Teufel...", begann er müde und sah die drei Gestalten in der Zelle an. "Ruhe, Weißmann. Wir haben es nicht mit dir.", sagte der Wärter sofort und streckte ihm, wie bei einem Stopbefehl, die Handfläche entgegen. Kevin ging zu Jerry und schüttelte an der Schulter des breiten Mannes. "Jerry! Wach auf."
    Nun wurde auch Jerrys Schlaf unterbrochen. Er blinzelte in das Neonröhrenlicht seiner Zelle, und war erst verwirrt, als er Kevins Gesicht sah, das ihn weckte. Er musste sich vorkommen, als wäre er durch die Zeit gereist und würde träumen, er liegt in der Lagerhalle in auf seiner Matratze und wird von Kevin gerade geweckt, weil entweder Nazis oder die Polizei auf dem Weg war. "Was zum... was ist denn los? Kevin?" Langsam kam der Mann zu sich, er drehte sich auf den Rücken und setzte sich auf. Ben trat einen Schritt zu dem Wärter. "Können sie uns 5 Minuten alleine lassen?" Er wollte nicht, dass der Kollege etwas von Semirs Entführung mitbekam, schon gar nicht von den Entführern, denn er erinnerte sich an die Worte von Eggestein. "Jetzt reichts aber. Sie können froh sein dass...", begann der Mann zu protestieren, doch Ben kam ihm zuvor, und sein zischendes "Bitte", war mehr Aufforderung als Wunsch. "Ach, machen sie doch was sie wollen. Wenn ihnen etwas passiert, ich habe sie nie hier gesehen.", krakelte er und verließ die Zelle und ließ die beiden Polizisten mit Jerry und dessen Zellenkumpanen allein.


    "Was macht ihr hier mitten in der Nacht, Jungs? Brennt der Knast?", fragte Jerry und rieb sich mit der flachen Hand über die kurzen Haare. "Jerry, wir brauchen deine Hilfe. Semir wurde von einer Nazi-Gruppe entführt... der Sturmfront." Jerrys, gerade noch verschlafen wirkenden Augen waren auf einmal hellwach. "Der Sturmfront? Oh, das ist nicht gut..." Ein Satz, der die Sorgen von Ben und Kevin nicht unbedingt minderte, im Gegenteil. Es war eine spontane Reaktion, das spürten die beiden Polizisten, und sie war ehrlich und nicht gespielt. "Wir müssen wissen, wo sie ihr Hauptquartier haben. Wo sie sich verkrochen haben.", fragte der Beamte mit dem Wuschelkopf eifrig und stand in der Zelle, als stehe er barfuss auf glühenden Kohlen.
    Jerry blickte von Ben auf Kevin, mit sorgenvollem Blick. "Was habt ihr vor?" "Wir müssen unsern Partner da rausholen natürlich. Wer weiß, was die mit ihm anstellen.", antwortete der sonst so stille Polizist. "Das sind nicht einfach ein paar hohle Faschos, Kevin. Die Sturmfront ist quasi eine kleine Widerstandsgruppe, teilweise ausgebildete Bundeswehrsoldaten. Ich glaube nicht, dass sich da soviel dran geändert hat, seit ich von der Bildfläche verschwunden bin, und ich weiß nicht, ob du dir vorstellen kannst, was euch da erwartet." Auch das war nicht beruhigend, schlug es doch in die gleiche Kerbe, in die Annie vor einigen Tagen stieß, als sie aus Angst um Kevin nicht mit der Sprache rausrückte, wo die Jungs sich versteckt hielten. "Völlig egal, Jerry... weißt du wo sie stecken, oder nicht? Wir haben keine Zeit."


    Der alternde Punk schien mit sich zu kämpfen. Es kam ihm vor, als würde er die beiden Jungs zur Hinrichtung schicken. "Ich hab auch Annie gefragt, aber sie hat mir nichts gesagt... obwohl sie es weiß.", setzte Kevin hinzu um deutlich zu machen, dass Jerry die letzte Hoffnung ist. Auch er hockte auf glühenden Kohlen, es kribbelte in jedem Muskel, die Unwissenheit um Semirs Schicksal ließ bei beiden jegliche Müdigkeit verschwinden. "Du warst bei Annie?", fragte Jerry ein wenig ungläubig, denn er wusste in welchem Verhältnis die beiden auseinander gegangen waren, und er wusste auch, dass sich dieses Verhältnis bei Kevins plötzlichem Verschwinden nach Janines Tod, nicht gebessert hatte. Kevin seufzte und nickte, seine Enttäuschung konnte er nicht verbergen.
    "Und warum hat sie es dir nicht gesagt?", fragte Jerry. "Beim ersten Mal hatte sie Angst um mich...", begann der junge Polizist, und sein damaliger Mentor nickte zufrieden... "...beim zweiten Mal wusste sie, dass ich ein scheiss Bulle bin.", sagte er dann mit etwas sarkastischem Unterton. Nun wandelte sich Jerrys Gesichtsausdruck von Zufriedenheit in einen genervten "Das-hätte-ich-mir-denken-können"-Ausdruck. "Das Erste war richtig, das Zweite war... dumm.", war sein Urteil über Annies Verhalten. "Und beim zweiten Mal wusste sie dass Semir entführt ist, und dass es nur um das Leben unseres Partners geht.", gab Ben zu bedenken. "Aber wir sind halt nur scheiss Bullen, Jerry...", vollendete sein Partner, und Jerry konnte bei seinem Zögling die Enttäuschung deutlich heraushören. "Ich glaube, wir müssen uns demnächst mal unterhalten, wenn du noch Gelegenheit dazu hast...", meinte er etwas düster klingend.


    Es klang unheilvoll, Jerrys Zusatz, aber auch hoffnungsvoll. Denn es klang so, als wüsste er etwas, und als wäre er bereit, Ben und Kevin in die tödliche Gefahr zu schicken. "Bitte Jerry. Ich weiß, dass du dich sorgst. Aber wir müssen Semir helfen, das sind wir ihm schuldig." Kevins Stimme klang bittend, aber überzeugend, etwas leiser setzte er hinzu: "Und du bist uns, und ihm auch noch etwas schuldig." Er erinnerte daran, dass sich die drei Polizisten sehr für Jerry einsetzten, weil er ihnen geholfen hat, seine eigene Bande aufliegen zu lassen, als Kevin im Knast war.
    Er seufzte... er wollte Semir helfen, aber er wollte vor allem Kevin nicht in Gefahr schicken, und er wusste, welche Gefahr auf ihn lauerte. "Ihr momentanes Versteck weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass sie sich damals, und was ich hin und wieder mal so hier höre, wenn geplaudert wird, auch heute noch oft in einer Kneipe treffen." Ben und Kevin hingen an Jerrys Lippen. "Die Kneipe heißt Germania, in einem kleinen Vorort...", sagte er und beschrieb den beiden Polizisten, wo die Kneipe zu finden war...

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    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

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    • 30. September 2015 um 15:07
    • #56

    Keller - 4:45 Uhr


    Wie lange er jetzt schon an diesen Seilen hing? Semir konnte es nicht genau sagen. Im Dunkel des Kellers hatte er sein Gefühl für die Zeit völlig verloren. Aber draussen wurde es noch nicht heller, jedenfalls konnte er das durch die Ritzen des zugenagelten Kellerfensters halbwegs erkennen. Seine Arme schmerzten, denn sein gesamtes Körpergewicht zog an seinen Muskeln nach unten, sie hatten ihn gefesselt und mit den Händen an einem Ring an der Decke fixiert. Seine Fußspitzen berührten nur ganz leicht den Boden, er konnte sich minimal abstützen um seine Muskeln zu entlasten, doch dann schmerzten irgendwann die Oberschenkel und seine Fußgelenke. So langsam musste Andrea doch mal aufgefallen sein, dass er nicht zu Hause ist, dachte der Polizist... und irgendjemanden informieren. Aber niemand wusste wo er war... verdammt noch mal.
    Sein Herz schlug schneller, als er an die Brutalität der Neo-Nazis zurückdachte, mit welcher Skrupellosigkeit sie den jungen Punk einfach totgetreten hatten. Das Krachen der Knochen, als Rocky das erste Mal zutrat, hallte ihm noch im Ohr. Hatten sie ihren Gegner unterschätzt? Keine einfache Nazi-Schlägertruppe, diese Typen schreckten auch vor eiskaltem Mord nicht zurück, was Semirs Situation nicht angenehmer machte... im Gegenteil. Was hatten sie mit ihm vor? Ein Exempel statuieren, über Internet Propaganda betreiben und damit die härtesten aller fremdenfeindlichen Menschen auf ihre Seite zu ziehen? Schaut her, das machen wir mit Ausländern, wenn wir an der Macht sind? Oder hatten die Kerle einfach Spaß an dem, was sie taten...


    Er hörte Geräusche, das erste Mal seit mehreren Stunden konnte Semir Geräusche wahrnehmen. Das Poltern von schweren Schuhen auf der Treppe, Gejohle und Gespräch. Die Tür ging auf, das Licht wurde angeknipst und Semir musste die Augen zusammenkneifen, weil das gleißende Licht in seine Pupillen stach, nach 6 Stunden Dunkelheit. Er blinzelte und sah verschwommen, wie mehrere Männer auf ihn zu kamen. "Jetzt bekommst du dein Zeichen, Türke. Und dann machen wir eine kleine Zeitreise.", hörte er Rockys Stimme an seinem Ohr, und das Klacken eines Butterfly-Messers neben ihm ließ sein Herz höher schlagen. Er drehte den Kopf weg, und begann, zur Seite auszutreten um Rocky irgendwie am Knie oder einer anderen schmerzhaften Stelle zu erwischen. "Verschwinde, du Wahnsinniger!", rief der Polizist dabei, doch statt Rocky wirklich weh zu tun erhielt er einen kräftigen Schlag in den Magen, was sofort jegliche Gegenwehr unterband. Der Neo-Nazi allerdings wollte auf Nummer sicher gehen, und fixierte Semir die Beine mit Kabelbinder fest aneinander, dass er diese nicht mehr als Waffe benutzen konnte. Der Polizist windete sich, ätzte und stöhnte, wollte den Kampf nicht aufgeben und musste aber einsehen, dass er unfähig war, sich gegen die drohende Gefahr zu wehren. "Hör auf zu zappeln! Sonst werde ich dafür sorgen, dass du dich nie wieder bewegen kannst.", sagte Rocky drohend, zog Semir auf der rechten Seite die Jacke halb von der Schulter und riss ihm die obersten beiden Knöpfe des Hemdes auf. Semirs Herz schlug schneller, es raste, als sich ein stechendes Gefühl an seinem Hals nach oben und unten ausbreitete. Es war ein scharfer brennender Schmerz, als die Messerklinge die erste Hautschicht durchtrennte und sein warmes Blut aus dem Schnitt trat. Rocky schnitt nicht, er ritzte nur, nicht tief aber tief genug um später ein deutliches Abbild zu sehen. Und obwohl Semir nicht sehen konnte, was der Neo-Nazi ihm da für ein Zeichen in den Hals schnitt, konnte er es durch die Kälte der Klinge in seiner Haut erraten... es war das Symbol einer Swastika, eines Hakenkreuzes.


    Es waren nur kleine und wenige Schnitte, die Rocky für sein Werk brauchte. Dann ging er lächelnd einen Schritt zurück und nickte zufrieden. "Damit wird jeder sehen, wer für Ordnung sorgen wird.", sagte er zufrieden, während einer der umstehenden Nazis das Handy hochhielt. "Ihr verfluchten Bastarde.", stöhnte Semir und spürte, wie ein wenig Blut seinen Hals herunterlief, und das Brennen nur langsam abklang. "Und jetzt gehts weiter.", sagte der unbeeindruckt von Semirs Wutausbruch. Der Typ, den sie Breuer nannten, kam hinter Semir, schnitt den Kabelbinder an dessen Handgelenken durch, unvorbereitet, so dessen Beine nachgaben und er zu Boden fiel. Semir war mit Schmerzensstöhnen noch nicht fertig, da hatte Breuer den kleinen Polizisten schon gepackt und ihm einen frischen Kabelbinder um die Handgelenke gelegt und zugezogen.
    "Wie gut kennst du dich denn in der Geschichte aus?", fragte Rocky beinahe wie ein Lehrer, als Breuer Semir wieder auf die zitternden Beine zog. Der Polizist stöhnte, sein Atem raste, noch geschockt von dem, was ihm hier gerade passierte. Es war ein Alptraum, es war der blanke Horror, er fühlte sich schrecklich hilflos. Diese Menschen konnten mit ihm machen, was sie wollten, niemand konnte ihm helfen und die Hoffnung auf Rettung schwand immer mehr. Und was immer wieder in seinem Kopf hämmerte... diese Typen taten es nicht aus Profitgier, weil sie Geld von Semir wollten, oder weil er zuviel wusste. Sie taten es, weil er kein Deutscher war. Weil er aus der Türkei stammte, weil er keine blonden Haare hatte und nicht an das glaubte, an das sie glaubten. Er antwortete nicht.


    "Dann wollen wir dir mal eine kleine Nachhilfestunde geben.", sagte Rocky grinsend und nickte Breuer zu. Sie stießen Semir, der mit gefesselten Füßen nur hüpfen konnte, einen kurzen Flur entlang in einen anderen Raum unter der Kneipe. Dort blickte Semir auf eine graue Eisentür, die Breuer jetzt aufsperrte. Der Rahmen war kein normaler Türrahmen, er war mit einer dicken Gummiumrandung ausgestattet, was dem Polizisten sofort auffiel. Dann stießen sie Semir in den Raum, ihm fiel sofort auf dass der Raum recht klein war, das Neonlicht erhellte ihn ungemütlich kalt, er war gefliesst, sowohl der Boden als auch die Rände und die Decke. Semir lag halb auf dem Boden, weil er mit den zusammengebundenen Füßen das Gleichgewicht schnell verloren hatte, und sah sich panisch auf.
    Breuer durchschnitt ihm erneut die Kabelbinder an Händen und Füßen, und der kleine Kommissar sah es als einmalige Chance, als er versuchte, mit der Faust Breuer zu treffen und sich auf die wackeligen Beine zu stemmen. Es war eine Verzweiflungstat, denn er wusste dass ausserhalb des kleinen Zimmers noch mindestens 4 oder 5 Neo-Nazis warteten, und als Semir auch nur zuckte, traten zwei weitere in den Raum, und bestraften den Fluchtversuch mit Fausthieben und Tritten, bis Semir stöhnend und Blut hustend am Boden lag, und die klinisch weißen Kacheln versaute. Auch aus einem Cut über dem Auge lief Blut über das Gesicht des Polizisten. "Ihr kranken Schweine...", sagte er mit erstickender Stimme, als die Kerle rückwärts aus dem Raum traten und die Tür luftdicht abschlossen.


    Semir krabbelte unter schmerzhaften Stöhnen an eine der Kachelwände, um sich aufrecht zu sitzen. Was hatten diese Irren vor? Er sah sich in dem Raum um, ein Raum ohne Fenster der ihn zuerst an einen Duschraum erinnerte, wenn auch einen sehr kleinen Duschraum. Immerhin war das Sitzen hier bequemer als von einer Decke hängen, doch sein wild schlagendes Herz ließ ihm keine Ruhe. Hier stimmte etwas nicht, das war kein normaler Duschraum. Die Rohre, die an den Wänden und an der Decke vorbeiführten hatten keinen Duschkopf und kein Thermostat, der Boden keinen Abfluß.
    "Oh, mein Gott...", hauchte der Polizist als ihm klar wurde, wo er war... denn erst jetzt hatte er die kleinen Löcher in den Stahlrohren erkannt. Eine Gänsehaut befiel ihn, eine Panik kam ihn ihm auf. Horrorgeschichten des zweiten Weltkrieges, die er in Geschichtsbüchern gelesen oder in Dokumentarfilmen gesehen hatte, sich aber niemals vorstellen konnte, wurden auf einmal greifbar. Ihm wurde schwindelig, ihm wurde übel, und der Schmerz im Gesicht und an seinem Hals war auf einmal wie betäubt, als er zitternd mehr zur Tür fiel als wirklich lief, und mit der Kraft, die ihm blieb gegen die Tür hämmerte. "Lasst mich raus!! Hört auf damit!!" Er hatte nicht erwartet, dass eine Antwort kam, er hämmerte, schlug und schrie in Panik, bis ihn die Kraft verließ, und mit dem Rücken zur Tür wieder in eine sitzende Stellung sank. Mit einem Schlag erlosch das Licht im Raum, alles um ihn rum wurde schwarz, als er erst ein Gurgeln, und dann ein immer lauter werdendes Zischen vernahm, das von den Rohren ausging. Semir hielt instinktiv die Luft an, was er aber nicht lange durchhielt, und es unter Panik noch ein- zweimal versuchte, doch die Zeitabstände wurden immer kürzer, und zwischen durch atmete er immer einmal tief durch. Es war sinnlos... es gab keinen Ausweg... Semir entschloß sich, nicht weiter zu kämpfen, und atmete ganz normal weiter, schloß die Augen und dachte an Andrea, Ayda und Lilly...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

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    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

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    • 1. Oktober 2015 um 17:58
    • #57

    Landstraße - 4:50 Uhr


    Sie waren ganz alleine auf der Straße. Um diese Uhrzeit waren in der Woche entweder Nachtschwärmer unterwegs, die in der Stadt die Zeit vergessen hatten, und nun unter Alkoholeinfluss versuchten den Nachhause-Weg zu finden, oder eben zwei Polizisten, die auf dem Weg waren, ihren besten Freund zu retten. Das Blaulicht erhellt für Sekundenbruchteile die Landstraße, den länger hielten sich Ben und Kevin nicht auf einem Kilometer auf. Die Tachonadel zeigte auf dem kurzen Geradeausstück, das rechts und links gesäumt war von Bäumen ohne eine, bei dieser Geschwindigkeit eh nicht mehr rettende Leitplanke, 190. Kevin, dem hohe Geschwindigkeiten in einem Auto nichts ausmachten, sah immer nur einen Schatten an Bäumen an sich vorbeifliegen und bemerkte nur kurz und süffisant, dass es länger dauern würde, wenn sie den Benz erst von einem Baum abkratzen mussten und sich ein neues Auto suchen müssten. Dass man die beiden Polizisten dann allerdings ebenfalls vom Baum kratzen müsste, erwähnte er gar nicht erst.
    Ben hörte nicht zu. Komischerweise nagte die Angst um sein Leben in diesem Moment gar nicht an ihm, denn im Moment erinnerte ihn nichts an die Schiesserei im Krankenhaus, auch wenn er gerade genauso sein Leben für Semir aufs Spiel setzte. Mit quietschenden Reifen bog er an einer dunklen Kreuzung ab auf eine andere Landstraße, die in Richtung des Dorfes führte, was Jerry ihnen genannt hatte.


    "Was ist jetzt? SEK oder nicht?", fragte Kevin die gleiche Frage, die er beim Startschuss aus dem Gefängnis bereits gestellt hatte. Ben wog, genau wie beim Start, den Kopf hin und her. "Ich weiß nicht... Was ist, wenn der Tip ne Ente ist.", befürchtete er. Also wieder keine klare Antwort... Kevin legte das Funkgerät beiseite. Das gelbe Schild mit der Aufschrift des Ortes konnte er nur kurz erkennen, als es an ihnen vorbeihuschte, und der Beifahrer schaltete das Blaulicht aus. "Mach langsam jetzt...", mahnte er, weil sie sonst zu sehr auffallen würden.
    Anhand Jerrys Wegbeschreibung hatten sie die Kneipe "Germania" schnell gefunden. Ben hielt den Mercedes auf der gegenüberliegenden Straßenseite, das Fenster zur Straße war schwach erleuchtet. Ben und Kevin sahen beide durch die Frontscheibe auf das Objekt ihrer Hoffnung. "Also?" Ben blickte zu Kevin, der blickte zurück zur Kneipe. "Wenn wir das SEK rufen und auf die Jungs warten, ist es da drinnen zu spät, und wir haben keine Chance, Semir zu retten. Wenn der Tipp eine Ente ist, haben wir ausserdem den Verfassungsschutz auf dem Hals.", analysierte Semirs bester Freund, während Kevin nickte: "Gehen wir alleine rein, lebt Semir vielleicht noch, und wir könnten ihn retten. Oder aber, wir sterben alle drei zusammen.", vollendete er die Analyse, und wieder sahen sich die beiden so ungleichen Freunde, die schon zwei emotionale Tiefphasen miteinander erlebt hatten und gestern wieder so etwas wie eine Auferstehung ihrer Freundschaft gefeiert hatten, an. Sie wechselten kein Wort, sie kommunizierten mit Blicken und Gesten, beide nickten sie entschlossen. Ben griff zu seinem Hosenbund um seine Waffe zu nehmen, das Magazin zu prüfen und zu entsichern, während Kevin für den gleichen Vorgang in seine Mantelinnentasche griff. Es war eine Geste, die beide verstanden: Wir holen Semir JETZT da raus.


    Keller - gleiche Zeit


    Semir konnte die Tränen der Verzweiflung nicht unterdrücken, als er mit dem Rücken zur verschlossenen Tür saß, und sich in Gedanken seine trauernde Frau und die weinenden Kinder vorstellte. Er konnte die Hilflosigkeit, die Wut und den Zorn nicht mehr in Kraft umwandeln. Das Zischen aus den Rohren verwandelte den Raum in eine Nebellandschaft, es wurde warm und wärmer. Fühlte sich so der Tod an? Er konnte in dem Raum eh wenig erkennen, er spürte aber Feuchtigkeit auf seinen Händen und seinem Gesicht. Sein Herz schlug schneller, es kam ihm vor, als könne Semir nicht richtig atmen, doch der harmlose Wasserdampf, der aus den Löchern in den Raum entwich, beeinträchtigte nicht seine Atmung. Nur die Angst lähmte ihn, die Verzweiflung, den Horror den er gerade erlebte.
    Er wusste nicht, wie lange er in dieser umfunktionierten Kammer gesessen hatte, wie lange dieses grausame Zischen gedauert hatte. Irgendwann hörte es auf, und die Tür hinter ihm gab nach, so dass er nicht darauf vorbereitet war, und rückwärts auf den Boden fiel, wo ihn sofort kräftige Hände packten, und ihm wieder gleißendes Licht in die Augen brannte. Er war schweißüberströmt, vor Angst und von dem heißen Wasserdampf, der diesen kleinen Raum in eine Sauna verwandelt hatte. "Ich denke, du weißt jetzt, was deinesgleichen hier bald wieder erwartet.", hörte er Rockys Stimme. Semir sah sich um... er war nicht tot, er lebte. Diese Schweine spielten ein Spiel. "Doch jetzt ist das Spiel zu Ende.", sagte Rocky unheilsvoll, und die beiden Männer, die Semir gepackt hatten, zerrten ihn durch den Flur nach draussen, an die für Semir eiskalte Luft. An die gleiche Stelle im Hinterhof an den gleichen Bordstein, wo im Schein der schwachen Hinterhoflampe noch Sammys Blutfleck auf dem Asphalt schimmerte.


    "Los, knie dich hin.", sagte er und stieß Semir ebenfalls eine Waffe ins Kreuz, um ihn zu zwingen. Doch der Polizist, der nur wackelig auf den Beinen stand, sah sich um. Hasserfüllte Gesichter, die ihn tot sehen wollten, gedemütigt im Staub, die Wangen feucht von Schweiß und Tränen. Plötzlich erwachte in Semir ein Verzweiflungs-Kampfgeist. Ein Kampfgeist eines Mannes, der dem Tod geweiht war, der nichts mehr zu verlieren hatte, weil er sowieso sterben würde, weil er nicht mehr an Hilfe glaubte. In der Zelle war dieser Geist tot, weil er alleine war, weil er keinen Ausweg fand. Jetzt hatte er Gegner, er sah die Männer, die ihn töten wollten, und so schüttelte Semir langsam den Kopf. Breuer trat dem Polizisten in die Kniekehle, so dass dessen zittrigte Beine doch nach gaben, und er vor dem Bordstein auf den Asphalt fiel.
    "Beiß in den Bordstein, Türke." Semirs Brustkorb hob und senkte sich, seine Hände waren frei neben seinen Hüften, zerkratzt mit Striemen vom Kabelbinder am Handgelenk. Er blickte auf den blutverschmierten Bordstein, seine Stirn glänzte von Schweiß, seine Wangen von Blut und Tränen. Wie in Zeitlupe schüttelte er den Kopf und sagte leise "Nein." Rocky stieß einmal, zweimal mit dem Lauf ins Genick des Polizisten. "Ich werde nicht zögern, dir einen Genickschuss zu verpassen, wenn du nicht tust, was ich sage. Beiß in den Bordstein." Alle Unwegsamkeiten, die Semir überwunden hatte, um ein Leben in Deutschland zu führen, gingen ihm durch den Kopf. Das Deutsch lernen in der Grundschule, die Lästereien auf der Realschule, so mancher Spruch in der Polizeiausbildung. Andrés Vorwürfe, er sei auf einem Auge blind, als ein Cousin von ihm des Mordes verdächtigt wurde. Er hatte einen Beruf, er hatte eine Familie und er hatte vielen Deutschen das Leben gerettet. Nein... er, Semir, würde sich nicht in den Staub werfen, sich demütigen lassen.


    "Knall ihn ab, Rocky.", sagte Breuer, als er merkte, dass sich der Polizist nicht zitternd in den Staub warf, wie der kleine Punk Sammy. Doch der Anführer der Nazis hörte nicht auf seinen Kameraden, und wiederholte nochmal, deutlicher und schärfer seine Anweisung an Semir, der nun langsam, mit festem Blick, ohne eine Spur der Verzweiflung in den Augen zur Seite, nach hinten zu Rocky blickte. "Ich werde mich von dir... von euch nicht demütigen lassen." Seine Stimme klang erst leise, und wurde dann immer kraftvoller, immer lauter, immer selbstbewusster. "Ich habe in diesem Land eine Familie. Ich habe Deutschen, Türken, Russen und anderen ihr Leben gerettet, und ich habe genauso viele ins Gefängnis gebracht. Ich habe für dieses Land mehr getan, als ihr mit eurer Vision jemals tun könnt."
    Breuer sah unsicher zu Rocky, dessen Blick immer mehr verkniff, als er Semirs Widerstand hörte. Auch der Nazi mit dem Handy in der Hand, wurde unsicher, und blickte herum. Er wimmerte nicht, er jammerte nicht, er bettelte nicht um sein Leben. Er kniete zwar, aber er kniete aufrecht, trotz aller Schmerzen, seelisch und körperlich. "Ich bin deutscher, als ihr alle zusammen.", spuckte er ihnen vor die Füße, und langsam drehte sich sein Blick von links nach rechts, durch die Runde, an die Nazis, die noch dabei waren, 4 oder 5 neben Breuer und Rocky. "Die Menschen, die jetzt Angst vor FLüchtlingen haben, werdet ihr nicht bekehren mit Gräueltaten. Die Menschen sind durch den 2. Weltkrieg aufgeklärt, ihr Idioten. Ihr werdet kein viertes Reich gründen können, versteht ihr das.", sagte er und spürte deutlich den Lauf von Rockys Waffe im Genick. Dabei schüttelte er den Kopf und biss die Zähne aufeinander, sein Atem ging immer noch etwas heftiger zwischen den Worten. "Das ist Wahnsinn.", setzte er noch dahinter um zog Luft durch die Nase, die vom Blut ein wenig verstopft war.


    Rocky biss sich auf die Zähne. Er platzte vor Wut, dass dieser Türke nicht wie ein Hund vor ihm lag, sondern sich so verhielt, wie es gerade Neo-Nazis und damals die alten Nazis von ihren Männern erwarteten. Stolz und aufrecht, ohne Angst. War der Kerl nur ein Schauspieler, ein verdammter Schauspieler, oder hatte der Türke so etwas wie Ehre im Leib. Jedenfalls hörte Rocky zu, und ahnte bereits, dass eine weitere Aufforderung, endlich sich zu demütigen und in den Bordstein zu beißen, nichts bringen würde. Er sah dann wieder, wie sich Semirs Kopf zu ihm drehte und sich die braunen Augen auf ihn richteten... wie sich der Polizist langsam aufrichtete, und sich noch mehr Stolz verschaffte, als aufrecht zu knien... nämlich aufrecht vor Rocky zu stehen, Auge in Auge, auch wenn der seine Waffe noch auf Semirs Oberkörper richtete.
    "Du wirst mich vielleicht töten...", sagte der Polizist mit fester Stimme, spürte zwar seine weichen Knie, aber das Adrenalin ließ ihn aufrecht stehen. "... aber du wirst mich nicht demütigen. Du wirst mir nicht meine Ehre nehmen. Nicht meine türkische Ehre und nicht meine deutsche Ehre. Beim Leben meiner Töchter!"

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    • 5. Oktober 2015 um 16:36
    • #58

    Kneipe "Germania" - 5:00 Uhr


    Die Straße war wie leergefegt um diese Uhrzeit in dem kleinen Dörfchen, als die beiden Polizisten mit gezückten Waffen die Straße überquerten. Ben lehnte sich neben der Eingangstür an die Wand, während Kevin davor in die Knie ging um seinen Dietrich zu zücken. Mit ruhiger Hand und ohne ein Zittern hantierte der junge Polizist an dem Schloß herum, während Ben auf einmal seinen Herzschlag spüren konnte... er raste und pochte so fest gegen die schützenden Rippen, dass er glaubte, es würde ihm herausspringen. Auf einmal war die Angst wieder da, die Panik die er mit sich herumtrug, seit der Schießerei in dem alten Krankenhaus, bei der er schwer verletzt wurde. Seine Hände krampfen sich um den Griff der Waffe und das Blut rauschte ihm in den Ohren.
    "Vielleicht... sollten wir... also wir sollten vielleicht... doch warten... auf das SEK...", stammelte er plötzlich und Kevin unterbrach seine Tätigkeit am Türschloß für einige Sekunden, um Ben schief und verständnislos anzublicken. Doch bevor er etwas sagen konnte, schüttelte Ben selbst den Kopf, als sei er gerade zur Besinnung gekommen. "Nein! Nein... wir gehen jetzt rein." Dabei nickte er, als wolle er seine zögernden Worte selbst nochmal unterstreichen. Mit
    einem leisen "Klack" fiel der Schließbolzen in die Tür zurück, und diese gab auf sanften Druck nach. Kevin steckte den Dietrich zurück in die Tasche, nahm wieder die Waffe auf und stellte sich aufrecht hin. "Bleib dicht hinter mir.",
    sagte er zu Ben, denn er spürte die Unsicherheit seines Partners.

    Drinnen empfing die Beiden ein schummriges Licht, denn nur eine Reihe an Lampen über der Bar brannte. Der Schankraum war gesäumt von Stühlen und Tischen, hinter der Theke in einem Regal standen Dutzende Flaschen. Gerade als Ben die Tür hinter sich schloß, erhob sich hinter der Theke ein bulliger Glatzkopf, um die beiden Polizisten mit einer Schrotflinte in Empfang zu nehmen. Scheinbar hatte er Wache gehalten, und das Geknacke des Dietrichs richtig interpretiert. Ben und Kevin konnten gerade noch nach links und rechts hinter einer Tischreihe in Deckung gehen, als die Schrotkugeln die Eingangstür aus Holz zersplittern ließ.
    Mit lautem Geräusch lud der Nazi hinter der Theke seine Schrotflinte nach und nahm nun Kevins Deckung ins Visier, der sich dahinter duckte und Zähne zusammen biss. Er sah herüber zu Ben und wunderte sich, warum der die Gunst nicht nutzte um zu schießen, den der Angreifer konzentrierte sich ausschließlich auf Kevins Deckung. "Was ist nur mit dem los?", dachte der junge Polizist, der mit dem Rücken zum umgekippten Tisch saß, und wartete bis der Rauch sich verzogen hatte. Als der Angreifer dann Bens Deckung unter Beschuss nehmen wollte, schnellte Kevin hinter seiner Deckung hervor und betätigte seinen Abzug zweimal, wobei er den Angreifer an Schulter und Arm traf, der dann stöhnend hinter der Theke zu Boden sank. Blitzschnell war der junge Polizist bei ihm, zog die Schrotflinte weg und sicherte den wimmernden Mann mit Handschellen.

    "Ben?", rief er dann, da sich sein Partner nicht hinter der Deckung raustraute. Etwas verwundert, mit Adrenalin im Blut ging Kevin von der Theke zurück zu den Tischen und schaute bei Ben hinter die Deckung. Der Polizist saß immer noch mit dem Rücken zu den Tischen, und hatte die Pistole fest umklammert. "Was ist denn los mit dir?", wurde er verwundert gefragt, und sah herum zu seinem Freund. "Hast du gesehen wie knapp das war?", sagte er mit erregter Stimme. "Ja, natürlich hab ich das gesehen. Komm jetzt, Semir braucht uns." Er streckte Ben die Hand hin, der einschlug und sich hochziehen ließ. Er schämte sich ein wenig für seinen Auftritt, kontrollierte über die Atmung seinen rasenden Puls und folgte Kevin zu einer Tür an der Rückwand des Schankraums.
    Die beiden Polizisten positionierten sich rechts und links neben der Tür, die zum dahinter liegenden Flur aufging. Auf einmal hörten sie Schritte, Getrampel und Schüsse ausserhalb des Hauses, allerdings nicht nach vorne zur Straße,
    sondern nach hinten zum Hof. "Scheisse...", sagte Ben erschrocken und malte sich schon so manches Horror-Szenario aus. Zumindest war es für die beiden eine Bestätigung, dass hier so manches nicht richtig lief und ein klarer Hinweis, dass die Nazis etwas zu verstecken hatten.


    Der Polizist musste nur die Tür aufdrücken, da kamen bereits die ersten Kugeln geflogen und zersplitterten im Hintergrund Fensterscheiben und aufgehängte Dekoration. Zwei Neonazis, einer davon Lunikoff, der Kevin im Boxring vorgeführt hatte, hatten sich in zwei Zimmer links und rechts des Flures verschanzt und eröffneten nun das Feuer auf die Polizisten, die dieses immer wieder erwiederten. Ben meist blind, in dem er sich nocht aus der Deckung wagte und einfach nur den Arm in den Flur streckte. Die Kugeln schlugen in der hinteren Wand ein, wo der Flur eine Kurve machte.
    "Wäre jetzt vielleicht Zeit, die Kavalerie anzurufen?", schrie Ben in den Krach der Schüsse herüber zu Kevin, der antwortete: "Ich glaub' auch." Ben zückte in sicherer Deckung sein Handy und wählte die Bereitschaftsnummer der SEK- Leitstelle und forderte umgehend Verstärkung an. "Es wäre echt super, wenn ihr euch beeilt.", schrie er heiser, bevor er auflegte und erschrocken herüber zu Kevin sah, der gerade sich für weitere Schüsse aus der Deckung neigte, als
    Lunikoff einen Schuss abfeuerte. Die Kugel flog so dicht an Kevins Hals vorbei, dass dieser sofort einen brennenden stechenden Schmerz verspürte und instinktiv zurückwich und sich an den Hals fasste. Die Kugel hinterließ eine
    Schrammwunde, die sofort ein wenig blutete. "Aah scheisse...", fluchte der Polizist mit verzerrtem Gesichtsausdruck, und Ben fragte sofort ob alles okay sei. "Scheisse, ich hab keine Munition mehr, Ulrich.", rief Lunikoff herüber zu
    seinem Kameraden. Der wagte sich aus der Deckung, schoss noch zweimal in Richtung der Polizisten und verschwand um die Kurve des Ganges, während Luni sich in das Zimmer verzog, aus dem er heraus geschossen hatte. "Schnapp dir den Typ, der den Flur entlang gelaufen ist.", sagte Kevin, als die Luft rein war.

    Die beiden Polizisten stürzten in den Flur, Ben sicherte sich vor der Kurve im Flur nochmal ab, dass Ulrich nicht lauerte, doch am Ende des Flures war eine offene Tür, die scheinbar in eine Art Hof führte. Ben lief diesen Flur entlang, und linste aus der Tür hinaus ins Freie.
    Kevin ging mit vorgestreckter Waffe in das Zimmer hinein, wo Lunikoff hineingegangen war. An der Wand tastete der Polizist nach einem Lichtschalter. Als er ihn fand und betätigte, stand Luni direkt vor ihm und ließ sofort einen harten
    Gegenstand in das Gesicht des Polizisten sausen. Von der Wucht des Schlages taumelte Kevin nach hinten, sofort schoss Blut aus beiden Nasenlöchern, und die Waffe klackerte auf den Boden. Lunikoff hatte mit seiner eigenen, leeren Pistole zugeschlagen und stürzte sich sofort auf die Waffe des Beamten, der diese Bewegung regestrierte und sofort aus dem Zimmer rannte. Er bog nach links ab Richtung Schankraum, weil er da um seine Deckung wusste. Der Neonazi brauchte zu lange, um die Waffe aufzuheben und zu zielen, und obwohl Kevin während des Sprints nur darauf wartete, gleich mehrere Kugeln in den Rücken zu bekommen, schaffte er es im Schankraum mit einem Hechtsprung über den gekippten Tisch in Deckung, bis Lunikoff die ersten Schüsse abfeuerte, die wiederrum in den Tisch einschlugen. Zu Kevins Glück war aber auch seine Waffe so gut wie leer, so dass sein Gegner die Kugeln nutzlos verschenkte. "Was seid ihr den für Bullen, dass ihr nur ein volles Magazin habt. Wie kann man denn so in einen Krieg ziehen?", sagte er beinahe höhnisch und warf die Waffe hinter den Tresen, als Kevin aus seiner Deckung auftauchte. Hätte der Typ eine weitere Waffe gehabt, wäre jetzt eh alles zu Ende gewesen.

    Doch er stand da, hob die Fäuste nach oben und grinste. "Na komm schon. Du kriegst eine Revanche.", sagte er selbstsicher, als der Polizist hinter dem Tisch hervorkam. Aus seiner Nase lief das Blut über die Lippen, ein wenig spuckte Kevin davon auf den Boden, und das Atmen durch die Nase fiel schwer. Boxen ohne Boxhandschuhe könnte verdammt weh tun, wenn der recht weiche Polster der Handschuhe fehlt, aber Kevin war es egal. Er hörte den Lärm draussen, und wollte so schnell wie möglich den Kerl ausschalten, um Ben zur Hilfe zu kommen...

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    • 8. Oktober 2015 um 01:48
    • #59

    Kneipe Germania - gleiche Zeit


    Rocky schien nicht glauben zu wollen, welches Schauspiel der türkischstämmige Polizist ihm gerade bot. Mit Stolz, trotz Schmerzen und der Tatsache, dass eine Waffe auf ihn gerichtet war, hatte er sich aufgerafft und nicht vor Angst wie der kleine Punk Sammy in den Bordstein gebissen. Er ließ sich nicht demütigen wie ein Hund, Semir hatte dafür zuviel mitgemacht in seinem Leben, war so oft dem Tod Auge in Auge gegenüber gestanden und hatte soviele Hürden überwunden. Von einem Menschen mit solch einem kruden Weltbild wie dem der Neonazis, ließ er sich nicht unterkriegen. Sie hätten ihn schlagen können, foltern können... dass er in der gefaketen Gaskammer vor Angst zusammengebrochen war, war bereits Scham genug.
    Der Anführer der Sturmfront schien nachzudenken, seine Meute hinter ihm wurde unruhig. Sollte er den Polizisten einfach abknallen. Würde das seine Position stärken, schwächen? Er kam nicht mehr dazu, sich für eine Lösung zu entscheiden, als er laute Schüsse im Inneren der Kneipe hörte. Instinktiv sah er herüber zur Hintertür des Hauses, eine Gelegenheit, die Semir sich nicht nehmen ließ. Mit einem schnellen Griff, zigtausend Mal in Selbstverteidigungstrainings mit seinen Expartnern André und Jan geübt, entwaffnete Semir den Mann, der gerade noch die Waffe auf ihn gerichtet hatte. Ein Mann mit strengem Mittelscheitel schräg neben ihm reagierte als Erster und griff in seine Innentasche, doch der Polizist drückte instinktiv den Abzug und schaltete den Neonazi aus.


    In die zuvor noch starre Szene im Hinterhof kam auf einmal Bewegung. Der getroffene Neo-Nazi ging zu Boden, Stuka zog eine Waffe und warf sich zur Seite hinter eine Holzkiste, bevor er das Feuer auf Semir eröffnete. Eine Brennen im linken Arm, der für Semir so etwas wie eine Zielscheibe geworden ist, so oft wie er dort schon getroffen wurde, signalisierte ihm, dass es mal wieder soweit war, bevor er hinter einer großen Mülltonne in Deckung ging. Auch die anderen beiden Neo-Nazis suchten sich Deckungen, und Semir wurde von drei Zielen unter Beschuss genommen.
    Rocky wollte gerade in die Kneipe rennen, um sich im Waffenlager auszurüsten, als Ulrich ihm entgegen gestürzt kam. "Die Bullen sind hier... was?", fragte er atemlos, als er fast mit Rocky zusammenstieß und mitbekam, dass im Hinterhof eine große Schiesserei im Gange war. Gerade wurde einer der Nazis von Semir in der Schulter getroffen, und es waren nur noch zwei übrig. "Wir müssen hier raus!", schrie Rocky seinem Kameraden zu. Der Hinterhof war in sich abgeschlossen, von der Kneipe, einem Nachbarhaus und kleineren halbhohen Schuppen. Rocky rannte zu einer Feuerleiter und sprang die ersten Sprossen hinauf, was Semir im Augenwinkel sah. Nein, das durfte nicht wahr sein, er durfte diesen Mistkerl nicht entwischen lassen. Aber er konnte sich nicht aus der Deckung raustrauen, ohne von den anderen beiden Neo-Nazis getroffen zu werden.


    In diesem Moment linste Ben um die Tür aus der Kneipe hinaus, und sah, was sich im Hinterhof abspielte. Ulrich stand in seiner Nähe, und wollte gerade Rocky hinterher, doch Ben stoppte ihn mit einem gezielten Schuss in den Oberschenkel. In diesem Moment war er noch innerhalb der Kneipe und für die anderen beiden Nazis nicht einsehbar. Die Luft war erfüllt von Schüssen und Dampf der Pistolen. "SEMIR?!", rief Ben laut hinter seiner Deckung, in dem er sich mit der halboffenen Tür schützte, nachdem die beiden anderen Angreifer mitbekamen, dass dort noch ein Polizist aufgetaucht war. "Ben, ich bin hier!", gab Semir von dem gegenüberliegenden Müllcontainer zur Antwort, und Ben fiel ein Stein vom Herzen, auch wenn sein Herz gerade explodieren wollte, so aufgeregt war er, als die Kugeln gegen die Feuerschutztür knallten.
    Ben kam für Semir wie gerufen. "Gib mir Feuerschutz, Ben!", rief er laut, ohne wirklich zu sehen, wo Ben überhaupt stand. Das bedeutete, Ben musste aus seiner Deckung heraus und Dauerfeuer auf die beiden Ziele geben, damit diese in dem Moment nicht schießen konnten. Aber aus seiner Deckung heraus? Ben begann sofort zu schwitzen und zu zittern. Das ging doch nicht... das ging doch schon mal schief. "BEN??? Was ist los??", schrie Semir gehetzt, denn je länger sie warteten, desto weiter weg entfernte sich Rocky der Verhaftung. "Ich... ich...", stammelte Ben und wünschte sich so sehr, Kevin würde auftauchen. Doch sein junger Partner war gerade mit Lunikoff in der Kneipe beschäftigt. "BEEEN!!", hörte der Polizist erneut die Stimme seines besten Freundes. Er schloß die Augen, er biss auf die Zähne bis sein Kiefer schmerzte. Er wechselte das Magazin, denn im Gegensatz zu Kevin hatte er sich ein volles eingesteckt. "Jaaa! Auf drei!!", schrie er mit unsicherer Stimme zurück. Es war für Semir, für seinen Freund! "DREI!"


    In einer sekundenlangen Feuerpause aus der Deckung der beiden Nazis drehte Ben sich um die Tür und schoß, was das Magazin hergab. Die Kugeln prallten von den Deckungen und der Wand hinter dem Versteck der beiden Nazis ab, doch hätten sie nur den Kopf ein bisschen hinter der Deckung hervorgestreckt, hätte Ben sie getötet. Semir nahm all seine Kraft zusammen, und sprintete hinter seiner Deckung zur Feuerleiter, und wuchtete sich, zwei Sprossen auf einmal nehmend, das halbhohe Dach des Schuppens herauf. Auf dem Dach wurde er von dem Dunkel der Nacht verschluckt, und als sein Partner sah, dass Semir es geschafft hatte, drehte er sich wieder zurück hinter die Tür... und atmete tief durch, denn er spürte, dass die Beine unter ihm nachgeben wollten.
    Es war schwierig für Semir die Orientierung zu behalten. Es war dunkel auf dem Flachdach des Schuppens, aber wenn Rocky entkommen wollte, gab es nur einen Weg... die Straße. Diese Richtung konnte er erkennen, denn die Straßenlaternen erleuchteten den Horizont ein wenig. Semir lief, er sprang über ein Geländer, das zwei Dächer voneinander trennte, als er an dem Abgrund zur Straße ankam. Er konnte gerade noch eine Gestalt in ein Auto springen sehen... Rocky startete den Motor. Er wollte seine Kameraden nicht im Stich lassen, aber wenn alle gefasst werden würden, wäre es weitaus schwieriger, wieder heraus zu kommen. Er musste zu einer anderen Untergrundgruppe, musste sich Alibis verschaffen um mit Hilfe des Staatsschutzes und seiner Verbindung zu einer noch gefährlicheren Organisation auf freiem Fuß zu bleiben. Es war der Notfallplan, den er und seine Kameraden geschmiedet hatten... einer versucht zu fliehen.


    Semir sah, wie der Wagen sich vorwärts bewegte, und mit quietschenden Reifen Fahrt aufnahm. Um das Dort zu verlassen, musste er an der Hinterseite des Schuppens nochmal vorbeifahren. Vom Dach bis zur Fahrspur war es nur die Breite des Bordsteins, die er hatte überqueren müssen. Semir ging einige Schritte zurück, und atmete... er atmete, er spürte keinen Schmerz, so voll von Adrenalin war sein Körper. Als der Wagen eine gewisse Distanz entfernt war, rannte Semir los. Er rannte, drei, vier Schritte bis seine Schuhspitze genau den letzten Flachdachziegel vor der Regenrinne traf. Dort sprang der Polizist, eine Hand um die Waffe geklammert und er überwand die Distanz zum Bordstein. Statt auf dem Dach, wie geplant, schlug Semir auf der Motorhaube des Fluchtwagens auf und bekam mit der linken freien Hand den Scheibenwischer zu greifen.
    Rocky hätte vor Schreck fast den Wagen verissen, doch als er sah, wer ihm da gerade auf das Auto gesprungen war, begann er wild Zick Zack über die freie Straße zu fahren. "Türkischer Bastard!", rief er wütend, als dieser zwar wild über die Haube rutschte, es jedoch schaffte sich festzuklammern und die lebensnotwendige Waffe nicht los zu lassen. Der erfahrene Polizist wollte dem Treiben ein Ende bereiten und schlug mit der Waffe auf die Frontscheibe, die beim zweiten Versuch zersplitterte und Rocky jegliche Sicht nahm. Durch den zweiten Schlag jedoch verlor Semir den Halt am Scheibenwischer, durch einen Ruck des Fahrzeugs kam er nun endgültig ins Rutschen. Zu seinem Glück fiel Semir seitlich von der Motorhaube auf den Asphalt, was zwar erneut schmerzhaft war, er aber zumindest vom Auto nicht überfahren wurde. Er schürfte sich die Haut an den Händen und im Gesicht ab, da er sich nur mit der linken Hand abfedern konnte. Die rechte behielt er fest um die Waffe geklammert. Er hatte sich gerade fertig abgerollt, lag nur für Sekundenbruchteile auf dem Bauch, als er drei der letzten vier Kugeln auf Rockys Wagen abfeuerte.


    Die dritte Kugel ließ den Hinterreifen des Wagens laut zerbersten. Mit einem Ruck wurde das Lenkrad verissen, und die Mischung aus einem geplatzten Reifen und einer geborstenen, undurchsichtigen Frontscheibe machte die Flucht für Rocky unmöglich. Mit einer hohen Geschwindigkeit traf der Wagen direkt hinter dem letzten Haus des kleinen Dorfes einen Grenzstein vor dem Ortschild und hob ab, bevor er auf einem Acker aufschlug und sich noch zweimal überschlug, bis er auf den Rädern zum Stehen kam. Stöhnend raffte Semir sich erneut auf die Beine und lief, so schnell es ging, zu dem dampfenden Wrack. Er hörte schon ein Stöhnen des Fahrers, der im Gesicht blutüberströmt überm Lenkrad hing. Semir riss die verbogene Tür auf, der Gurt war gerissen, und Rocky kippte ein wenig aus dem Auto, doch ein fester Griff um seinen Kragen hielt ihn aufrecht.
    "So, du beschissenes Arschloch!", knurrte Semir wütend und zog Rocky aus dem Auto heraus. Der fiel zuerst im feuchten Acker in der Dreck, stolperte und taumelte dann mehr als er lief, einige Meter vor Semir her, aus dem Acker heraus, auf die Straße zum Bürgersteig. Dort gab der Polizist dem Nazi einen Stoß, so dass er auf seine wackeligen Knie fiel. Beide Männer atmeten schwer, vor ihren Gesichten bildete sich Kondensdampf. Rocky spürte Schmerzen im Gesicht und im Rücken, doch was er vor allem spürte war Semirs Waffe im Genick. "Los! Beiß in den Bordstein." Der Neo-Nazi konnte nicht glauben was er hörte. "Das... darfst du nicht, Bulle.", sagte er mit keuchender Stimme... Keuchend wegen des Unfalls, keuchend vor Aufregung, und keuchend vor Semirs Wut und Entschlossenheit. "Du glaubst gar nicht, wie scheiss egal mir das ist! Los!! Tu was ich dir sage!!", schrie er, und erkannte sich fast selbst nicht wieder...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen

    <3

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    • 9. Oktober 2015 um 09:53
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    Kneipe Germania - 5:10 Uhr


    Die Schüsse im Hinterhof hallten durch den Flur bis in den Schankraum, wo sich Kevin und Luni gegenüber standen. Verdammt, musste er sich jetzt hier mit diesem Kirmesboxer abgeben, statt seinen Freunden zu helfen, dachte Kevin missmutig. Die beiden Männer standen sich auf einen Meter gegenüber und gingen langsam im Kreis, jeder abwartend wer zuerst angreifen würde, sich zuerst aus der Deckung wagen würde. Lunikoff war vielleicht ein guter Boxer, aber als Karatekämpfer und Kickboxer hatte Kevin ein paar Finten, und er würde sich nicht scheuen, sie gegen den Typen einzusetzen. "Du kannst froh sein, dass ich im Ring nicht ernst gemacht habe, sonst hätte ich dich tot geschlagen.", drohte der Neo-Nazi, was den Polizisten nur ein müdes Lächeln entlockte. "Hättest du mal besser gemacht.", war seine Antwort im Hinblick auf die Abreibung, die er sich gleich einfangen würde. "Kommt noch, linke Zecke... jetzt hol ich nach, was ich verpasst habe." Kevin blieb stehen, denn er hatte von dem Abtasten genug, hob eine Faust vors Gesicht und grinste. "Dann mach mal." Luni schlug zu... seine Schläge waren hart und gezielt, doch Kevin sprang immer wieder einen Schritt nach hinten, so schnell, dass Luni mit keinem seiner Schläge ernsthaft traf. Als die bedrohliche Wand hinter ihm näher kam, setzte er zum Vorwärtsgang ein, der nur einen Schlag beinhaltete, ein Fauststoß zum Bauch, der Luni wehtat, und dessen Schlagserie erstmal unterbrach. Mit zwei Händen konnte Kevin den Angreifer von sich wegdrücken und sich von der Wand abwenden.

    "Na, was ist denn? Ist die Luft schon raus, Fascho?", provozierte Kevin den Kerl und fühlte sich um Jahre zurückversetzt. Soviele Schlägereien hatte er mit Rechtsradikalen, oft gingen sie gut aus, am Anfang musste der Punk für seinen Übermut häufiger mal bezahlen. Luni nahm Luft und sein Gesicht drückte nun mehr Wut und Zorn statt Überheblichkeit aus. "Na warte...", knurrte er wütend und kam schnell wieder auf Kevin zu. Ein gezielter Schlag gegen Kevins Rippen traf dieses Mal, mit der anderen Hand gegen die Schläfe ließ er den Polizisten taumeln, und zu Boden gehen. Verdammt, der Typ verstand sein Handwerk doch, schoß es dem Polizisten durch den Kopf. Doch Luni machte spätestens jetzt klar, dass er kein Interesse an einem fairen Boxkampf hatte.
    Statt Kevin aufstehen zu lassen, holte er aus und trat mit seinen Springerstiefeln dem Polizisten gegen den Kopf. Manches ändert sich eben nie, dachte der Polizist als seine Augenbraue aufplatzte und ein kleiner Blutstrom an seinem
    Auge vorbei über die Wange lief, sein Kopf brannte und alles um ihn herum verschwamm. Bei Prügeleien zwischen Punks und Nazis wurde selten fair gespielt. Es wurde reingetreten, wenn jemand am Boden lag, es wurde noch weiter
    geschlagen, wenn jemand längst aufgegeben hatte. "Los du Schwächling. Wehr dich gefälligst!", schrie Lunikoff voll Adrenalin, als er den Polizisten blutend am Boden hatte. Gerade als sich Kevin hochstemmen wollte, trat Luni wieder zu, diesmal gegen seinen Körper, woraufhin Kevin wieder zu Boden sank, und das hämische Lachen hören konnte.

    "Jetzt bist du fällig." Ein Schnappgeräusch eines Butterfly-Messers war es, was Kevin in die Realität zurückholte. Er drehte sich schmerzhaft auf den Rücken, sein Blick vom Blutnebel ein wenig verschleiert, doch das Messer konnte er im Schein des schummrigen Lichtes deutlich aufblitzen sehen. So oft hatte er, auch unter Bedrängnis geübt, einem Angreifer mit einem Messer zu entwaffnen. Bei einer Übung war alles so leicht, es ging um nichts, das Messer war aus Plastik und dein Lehrer würde nie zustechen. In der Realität war dein Lehrer ein Totschläger, das Messer war echt und es gab keinen zweiten Versuch.
    Luni holte aus und stach zu, doch die Klinge kam nicht dazu Kevins Shirt zu durchstechen, den sein Griff legte sich ums Handgelenk des Nazis, der davon so überrascht war, dass er nicht dazu kam noch einmal mit der anderen Hand zuzuschlagen. Mit unbändigem Willen, der den Schmerz in den Muskeln besiegte, drehte Kevin das Handgelenk herum, bis es knirschte und Luni aufschrie. Klackernd fiel das Messer auf die Holzdielen, krachend landete Kevins linke im Gesicht seines Gegners, der zurücktaumelte und den Polizisten endlich die Gelegenheit gab zum Aufstehen. Er wischte sich das Blut von der Lippe, schubste das Messer in den Flur und wandte sich dann zu Lunikoff, der sich die
    Gesichtshälfte hielt. "So, unfair willst du werden, so wie früher. Kein Problem.", sagte er und der Nazi verstand nicht, was Kevin meinte... doch er verstand in den nächsten Sekunden was passierte, wenn Kevin unfair war.

    Den ersten Tritt zur Leber konnte Luni gar nicht kommen sehen. Er sah nur eine Bewegung und dann hörte er schon den dumpfen Aufprall von Kevins Fuß und spürte das scharfe Brennen, was ihm den Atem raubte. Die zwei aufeinanderfolgenden Faustschläge ins Gesicht ließen seine Lippe und Augenbraue aufplatzen, und Kevin war imponiert von Lunis Nehmerqualitäten. Er stöhnte zwar und taumelte nach hinte, doch er ging nicht zu Boden. Nur, wehren tat er sich auch nicht mehr, denn bereits der erste Lebertritt hatte seine Wirkung erzielt. Ein hochgezogenes Knie in die Magengrube ließ ihn sich nach vorne beugen und wieder ein paar Schritte zurücktaumeln, so dass er mit dem Rücken schon fast die Fensterfront hinter ihm berührte. Luni sah nochmal auf, mit blutverschmiertem Gesicht und schwer atmend. "Respekt...", sagte Kevin diesmal hämisch. "Dein Führer hätte sich längst selbst umgebracht."
    Mit einer Körperdrehung riss der Polizist, obwohl es nicht mehr nötig war, und er den Fascho verhaften hätte können, das rechte Bein nach oben und trat Lunikoff direkt am Kopf. Durch die Wucht des Trittes wurde der Nazi nach hinten
    geschleudert und durchbrach mit lautem Klirren die Fensterscheibe hinter sich und stürzte bis nach draussen auf den Bordstein, wo er regungslos liegen blieb. Mit lautem und schnellem Atem sah Kevin nach draussen. Er fühlte keinen Stolz oder Genugtuung, dass er dem Typen jetzt mehr weh getan hatte, als nötig. Früher war das anders. Mit schmerzverzerrtem Gesicht lief Kevin hinter den Tresen und nahm dort die Schrotflinte des Barmanns auf, der dort immer noch gefesselt war. "Ich leih mir die mal aus."

    Er folgte den Schüssen, lud die Flinte durch und sah an der Tür Ben in Deckung stehen, der immer noch zwei Neo-Nazis im Schussduell hatte. "Wie läufts?", fragte er seinen Partner der gerade wieder in Deckung ging, nachdem er Semir Feuerschutz gegeben hat. "Semir ist dem Anführer hinterher. Und mir geht langsam das Material aus.", sagte Ben mit gehetzter Stimme. Die Nervosität war, nachdem er die Schüsse gerade schadlos überstanden hatte, ein wenig gesunken, und er war schon wieder zu Scherzen aufgelegt. "Bei dir läufts aber auch.", sagte er und zeigte mit dem Finger auch auf die blutende Wunde an Kevins Schläfe. "Müsstest den anderen erstmal sehen.", war dessen flapsige Antwort, und mit einem lauten mechanischen Geräusch zog er die Schrotflinte auf.
    Er drehte sich um die Tür und feuerte eine Ladung ab, was die hölzerne Deckung eines der Nazis zur Hälfte zersplittern ließ, so dass sich dieser die Hand vors Gesicht halten musste um vor den Splittern nicht getroffen zu werden. Auch der zweite Schuss auf die zweite Deckung hinterließ mehr Schaden als alle Kugeln aus Bens Waffe. Kevin drehte sich wieder zurück hinter die Deckung. "Was brauchst du eigentlich so lange?", fragte er mehr sarkastisch und Ben sah ihn mit gespielt genervten Ausdruck an. Ihm tat der Zeigefinger schon weh vor lauter Abdrücken, und Kevin kam mit einem Großkaliber und hinterließ mehr Schaden in kürzester Zeit. "Danke fürs Gespräch. Das nächste Mal nehme ich mir ne Panzerfaust." Die Lockerheit tat Ben gut wie nie in diesem Moment.

    "Wenn ihr nicht wollt, dass ich euch mit den nächsten Schüssen eure hässlischen Nazischädel pulverisiere, dann will ich jetzt sofort eure Waffen auf dem Boden sehen!", rief der Polizist laut, und linste um die Tür. Ben kniete vor
    Kevin und war bereit, eine Etage tiefer auch nochmal zu schiessen. Einer der Nazis warf tatsächlich die Waffe über die Holzkiste und kam mit erhobenen Händen heraus, doch der andere hatte andere Pläne. Er kam aus der Deckung heraus und schrie laut den Führergruß und "Für Deutschland", bevor er wild schießend auf die Deckung von den beiden Polizisten zulief. Er schoß aber auf Höhe von Kevins Kopf, der sofort zurückwich und Ben anschubste. Der beugte sich auf Kniehöhe nur wenig aus der Deckung heraus und schaltete den Irren mit zwei Kugeln im Oberschenkel aus. Wimmernd blieb er, so wie die anderen auch, liegen und hielt sich die ungefährliche Fleischwunde.
    Das SEK hatte sich beeilt, die Straße war erfüllt von Blaulichtern, und die ersten Maskierten stürmten durch die Eingangstür. Sie kamen von der anderen Seite des Dorfes und erkannten am Dorfausgang Semir und Rocky nicht. Sie waren verwundert darüber, dass bereits alle Nazis aufgegeben hatten, oder verwundet waren. Ben und Kevin liefen in den Schankraum und wiesen sich aus. "Gut dass ihr kommt. Kehrt hier zusammen, wir müssen unseren Partner suchen.", sagte Ben eilig und die beiden Polizisten liefen nach draussen auf die Straße, wo sie sich umsahen. Im aufkommenden Nebel, an einer Straßenlaterne am Ortsausgang, konnte Ben etwas erkennen. "Guck mal, da hinten... was ist das? Ist das...?" Sie sahen nur Umrisse eines dampfenden Autos, und zwei Personen davor. Eine kniete, die andere stand hinter ihr. Beide Polizisten rannten los...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


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