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Der unheimliche Mönch

    • Fertig gestellt
    • Susan
  • susan
  • 8. Juni 2015 um 07:23
  • susan
    Erste Kriminalhauptkommissarin
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    • 20. Juli 2015 um 06:42
    • #41

    Der Arzt sah seinen Patienten an und fragte, fast ein wenig fassungslos, denn der hatte doch einen Spiegel an Schmerzmitteln, eigentlich dürften die Verletzungen nicht mehr so schmerzhaft sein: „Wo tut es denn weh, Herr Jäger?“ und Ben überlegte kurz: „Eigentlich überall-mein Arm, mein Bein, mein Bauch-ach ich weiss nicht!“ presste er hervor und rang dann mühsam unter der Maske nach Luft. Der Arzt überlegte. Hätte jetzt sein Patient einen einzelnen Körperteil benannt, dann hätte er sich den genauer ansehen können, aber so generalisierte Ganzkörperschmerzen waren natürlich blöd, aber die musste man symptomatisch behandeln. Nun fiel ihm auch eine Erklärung dafür ein. Wahrscheinlich hatte der junge Mann einen starken Muskelkater durch die Verkrampfung der Muskulatur um das Metallgitter. Das war ja eigentlich logisch, wenn da sogar Knochen gebrochen waren, hatte er vermutlich am ganzen Körper, auch an der Bauchmuskulatur, die ja bei ihm sehr ausgeprägt war, wie man sehen konnte, winzig kleine Muskelfaserrisse, die einfach noch weh taten. Machen konnte man da aber überhaupt nichts, das musste der Körper selber reparieren, nur eine stärkere Schmerzmedikation, also wieder Opiate konnte man ihm anbieten, vor allem auch, damit er gut durchatmete und nicht noch jetzt, wo das Schlimmste eigentlich vorbei war, eine Lungenentzündung bekam. Außerdem konnte die Physio da vielleicht mit leichten Massagen und Wärme etwas ausrichten, er würde das nachher gleich mal im PC anordnen, dann konnte man da ab morgen beginnen-heute am Extubationstag war das noch zu früh, da mussten die Patienten sich erst einmal erholen und wieder an eine normale Eigenatmung gewöhnen.

    Der Arzt musste auch sagen, dass er mit so schweren Stromunfällen bisher wenig Erfahrung hatte. Klar befanden sich relativ häufig Patienten, die einen kleinen Stromschlag bekommen hatten, weil z. b. die Kaffeemaschine defekt gewesen war, 24 Stunden zur Überwachung auf der Intensivstation, weil das rein theoretisch Herzrhythmusstörungen auslösen konnte, aber da war eigentlich nie etwas und wenn alle Leute einen Arzt aufsuchen würden, wenn sie Bekanntschaft mit Strom gemacht hatten, dann würde man vermutlich tausende mehr Überwachungsbetten in Deutschland brauchen. Aber die augenblickliche Empfehlung für Mediziner lautete da eben: Nach jedem Stromschlag 24 Stunden EKG-Monitoring und deshalb wurde das auch gemacht. Aber diese Patienten hatten in den seltensten Fällen Strommarken und reanimationspflichtig waren die auch nie-da war das bei Herrn Jäger schon ein wesentlich schwererer Verlauf. Meistens kamen Starkstromopfer nämlich in Verbrennungskliniken, weil da oft die schweren Haut- und Gewebeschäden dominierten, aber die waren bei seinem Patienten zwar schlimm, aber nicht lebensbedrohlich und er würde auch seine Hände nicht verlieren, denn häufig mussten stark verbrannte Extremitäten amputiert werden. So gesehen hatte er also eigentlich noch Glück im Unglück gehabt und das Wichtigste, was zu tun gewesen war, hatte seine Frau getan-sie hatte ihn sofort reanimiert und so sein Leben gerettet. Nachdem er jetzt sprechen konnte, klar und orientiert wirkte und auch die Vitalfunktionen, also Herzschlag, Atmung und Kreislauf problemlos funktionierten, hatte er in seinen Augen das Schlimmste überstanden und würde jetzt einfach noch Piritramid dazu bekommen, dann würden sie die Schmerzen schon in den Griff kriegen.

    Nachdem er innerhalb von Sekunden diese Gedankengänge verfolgt hatte, ordnete der Arzt mit einem freundlichen Lächeln an: „Herr Jäger bekommt jetzt noch Piritramid nach Bedarf dazu-das wird sicher bald besser werden-ich gehe von einem Ganzkörpermuskelkater aus, ach ja und die Magensonde darf auch raus und ab abends dürfen sie in kleinen Schlucken trinken!“ versuchte er seinem Patienten etwas Gutes zu tun und die Schwester, die ein wenig zweifelnd gekuckt hatte, ging dann nach draußen und holte das gewünschte Medikament in einem Perfusor. Bis das aufgezogen und aus dem Betäubungsmittelbuch ausgetragen war, dauerte es eine Weile und inzwischen lag Ben völlig verkrampft in seinen Kissen und versuchte, durch leichte Lageänderungen seine Schmerzsituation zu verändern, was aber nicht funktionierte. Semir stand hilflos neben ihm und beobachtete voller Mitleid, wie Ben gegen den Schmerz kämpfte. „Kann ich irgendwas für dich tun?“ fragte er, aber Ben schüttelte ganz leicht den Kopf, zu mehr war er gerade nicht fähig.

    Wenig später war der Piritramidperfusor eingespannt und bolusweise versuchte die Schwester sich an die Dosierung heran zu tasten, die ihren Patienten vielleicht nicht völlig schmerzfrei, aber immerhin die Situation aushaltbar für ihn machte. Das Problem bei allen Opiaten war, dass die eben zentral auch auf die Atmung wirkten und ebenfalls eine Weile brauchten, um anzufluten und die Schmerzrezeptoren im Gehirn zu besetzen. Wenn man da zu viel auf einmal gab, hörte der Patient einfach auf zu atmen und musste notfallmäßig reintubiert werden und das wollte man unbedingt vermeiden. So bekam Ben alle fünf bis zehn Minuten drei Milligramm als Bolus, bis er sich irgendwann-er war inzwischen schon völlig belämmert und hielt sich nur irgendwie an Semir´s Hand fest und konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen-dann doch ein wenig entspannen konnte und einschlief. Die Magensonde hatte die Schwester-wie vom Arzt angeordnet-auch einfach heraus gezogen, was ihn zwar kurz zum Würgen brachte, aber hinterher ein Gefühl der Erleichterung hinterließ, das Ding hatte in seinem Rachen doch sehr gestört.

    Semir holte nach einer Weile dann Sarah im Rollstuhl und erzählte ihr von den Qualen, die er ausgehalten hatte. „Armer Schatz!“ sagte Sarah mitleidig und strich ihm eine verschwitzte Strähne aus der Stirn, allerdings ohne ihn zu wecken. So gerne sie sich jetzt mit ihm unterhalten und ihm von seiner kleinen Tochter erzählt hätte, die sich prima entwickelte, aber lieber hatte er jetzt keine Schmerzen und schlief unter der Sauerstoffmaske ein wenig vor sich hin, als dass er wach mit ihr kommunizierte und dabei leiden musste. „Und du sagst er hat gesprochen und dich auch erkannt?“ fragte sie Semir leise und als der nickte, bemerkte sie glücklich: „Dann wird jetzt alles gut werden-ich fühle es!“ und Semir pflichtete ihr bei, obwohl ihm sein Bauchgefühl, das er aber schnell beiseite schob, etwas anderes sagte.

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  • susan
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    • 21. Juli 2015 um 07:36
    • #42

    Ben war langsam zu sich gekommen. Die letzte bewusste Erinnerung war, wie er voller Angst und Sorge um seine Familie den Worten des Mönchs gelauscht hatte, der sie ausräuchern wollte wie Ungeziefer. Nein, halt Stopp-die durften seiner geliebten Sarah und seiner wunderschönen Tochter nichts antun, er musste etwas dagegen unternehmen und war deshalb ans Gitter getreten und hatte versucht, den beiden jungen Männern Geld zu bieten, oder was auch immer sie wollten, wenn sie nur seine Familie verschonten. Erst als er ans Gitter gefasst hatte, war ihm bewusst geworden, dass er jetzt einen riesigen Fehler gemacht hatte, denn durch seinen Körper floss unter entsetzlichen Schmerzen der Strom und ein letztes Gurgeln entwich noch unbewusst seiner Kehle. Mit einem Rest an Bewusstsein wollte er das Gitter loslassen, aber es ging einfach nicht und er bemerkte, wie sich seine Muskeln anspannten, sein Bein brach und die Schulter aus der Pfanne sprang, bevor es dunkel um ihn wurde.

    Das nächste Mal kam er sich vor, als wenn er aus einem riesigen dunklen See auftauchte. Ihm war immer noch hundeelend und er konnte keinen vollständigen klaren Gedanken fassen, nahm aber durchaus seine Umwelt bruchstückhaft wahr. Er wusste nicht wo er war, hatte auch keinerlei Zeitgefühl, dafür fürchterliche Schmerzen und das Einzige an was er sich klammerte, war Semir´s vertraute Stimme, während er sich herumwarf. Manchmal dachte er, dass er noch im Keller sei, dann wieder öffnete er mühsam die Augen und stellte fest, dass er-wie schon so oft-im Krankenhaus war und überall Schläuche in ihm steckten. Dazu war ihm fürchterlich heiß, aber dann verwirrten sich seine Gedanken wieder, eine autoritäre Stimme hatte etwas von Schmerzen gesagt und dann wurde es etwas leichter-Gott sei Dank und irgendwann-er war inzwischen völlig fertig- sagte jemand was von Weaningversuch und Abbruch und dann glitt er erleichtert wieder zurück in die Schwärze, wo er keine Angst und keine Schmerzen spürte.

    Dann wurde er wieder langsam wach, diesmal ging es aber langsamer, es war eher so, als wenn er gerade ein Nickerchen machen würde, aber nicht völlig weggepennt war. Er begann erst die Geräusche um sich herum wahr zu nehmen und konnte klar sagen, dass er auf einer Intensivstation war, wie schon so oft in seinem Leben. Er erkannte sogar die Stimmen von ein paar Kolleginnen Sarah´s, die ja bei ihnen zuhause ein- und aus gingen. Erleichtert stellte er fest, dass Semir da war und auch bei ihm blieb. Anfangs hatte er gar keine Schmerzen, aber je wacher er wurde, desto mehr tat es weh, war aber noch erträglich. Semir sprach mit ihm und als er den Kampf gegen die bleierne Müdigkeit für einen Moment gewonnen hatte, sah er ihn an und drückte auch seine Hand. Dann erschien plötzlich Sarah´s Gesicht über ihm und jetzt war er froh, sie war anscheinend den Irren entkommen und sie wäre nicht so glücklich, wenn seinem Baby etwas geschehen wäre, also war da alles in Ordnung und er konnte die Augen wieder schließen und sich ausruhen. Dann war es anscheinend Nacht, er dämmerte vor sich hin-schlief manchmal ein, dann erwachte er wieder, aber es war in Ordnung, obwohl ein dumpfer Schmerz die ganze Zeit da war.

    Morgens wurde er gewaschen, man sprach freundlich mit ihm, aber so sehr er sich auch bemühte, so ganz konnte er die Augen nicht offen halten, obwohl er schon merkte, dass man ihn aufrichtete und einen Verband, der um seinen Oberkörper lag, zum Waschen abnahm und dann wieder anlegte. Er genierte sich sogar ein wenig, als er unten herum sauber gemacht wurde-oh mein Gott-er kannte doch die Schwester, obwohl ihm deren Namen gerade nicht einfallen wollte, zu sehr war er noch von den Medikamenten benebelt. Dann war Semir wieder da und plötzlich kam er wieder, der entsetzliche Schmerz. Er versuchte sich anders hin zu legen, um ihm zu entgehen, dann wieder lag er ganz still. Er nahm nun seine Umgebung wieder klar und deutlich wahr, spürte die ganzen Schläuche-am Unangenehmsten die in seinem Hals, bemerkte dass seine rechte Hand fest gebunden war und ein Verband um seinen Oberkörper die zweite Hand an seinen Bauch drückte, der doch so weh tat, genauso wie sein Bein und sein Arm. Die Missempfindungen nahmen von Minute zu Minute zu und schließlich kamen ihm die Tränen, woraufhin Semir ihm versicherte, dass es Sarah und dem Baby gut ginge. Na klar-das war auch eine wichtige Information, aber eigentlich wusste er das schon die ganze Zeit, denn Sarah hatte sich gestern über ihn gebeugt und ihn auf die Stirn geküsst.

    Jetzt war sein ganzes Sein nur noch Schmerz und er meinte wahnsinnig zu werden deshalb. Allerdings verstand das anscheinend niemand und so musste er warten, bis nach quälend langer Zeit, in der sich die Minuten zu Stunden dehnten und er still vor sich hin litt, ohne eine Chance sich mitzuteilen, endlich der Arzt kam, um ihm den Schlauch aus dem Hals zu ziehen. So weh es auch tat-er bemühte sich jetzt, zielgerichtet zu tun, was der sagte, machte auch den Mund zum Absaugen auf, nickte und schüttelte den Kopf, wie es verlangt wurde, nur damit er sich mitteilen konnte und sagen, welche Schmerzen er hatte. Dann wurde es kurz unangenehm, aber wenig später hatte er nach ein paar Hustenstößen den ersten Schlauch in seinem Hals los, man drückte ihm eine Sauerstoffmaske aufs Gesicht, machte seine Hand los und fuhr das Bett hoch, so dass er beinahe darin saß, was allerdings wieder furchtbar weh tat. Gerade hatte der Arzt ihm noch einen Vortrag gehalten, dass er jetzt schweigen solle und sich aufs Atmen konzentrieren, aber wie sollte er das machen, wenn der Schmerz in seinem Inneren tobte und er deshalb keinen klaren Gedanken fassen konnte? Also scherte er sich einen Dreck um die Anordnung und flüsterte, dass es so weh täte, woraufhin ihn Semir und der Arzt betroffen ansahen. Auf die Frage des Doktor´s, wo er denn die Schmerzen habe, versuchte er in sich hinein zu hören, aber es tat an so vielen Stellen weh, dass er mit der Aufzählung gar nicht richtig nachkam, außerdem strengte es ihn auch wahnsinnig an. Dann wurde noch die Magensonde entfernt und bis er endlich das erlösende Medikament bekam, versuchte Semir ihm beizustehen und das tat gut, obwohl der ja eigentlich nichts machen konnte.
    Dann floss das Mittel durch seine Adern, das ihn zwar müde machte, aber das war egal-Hauptsache die Schmerzen würden erträglich und langsam kam er mit jedem weiteren Bolus wieder in einen Zustand, der das Leben lebenswert machte, denn als er so stärkste Schmerzen gehabt hatte, wäre er lieber auf der Stelle gestorben, als das noch länger auszuhalten. Semir wich nicht von seiner Seite und beobachtete ihn besorgt, aber irgendwann übernahm dann das Opiat und er dämmerte einfach weg und bekam gar nicht mehr mit, wie Sarah geholt wurde und voller Freude in eine positive Zukunft sah.

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    • 22. Juli 2015 um 07:20
    • #43

    Langsam wurde es Abend. Ben kam eigentlich nur immer zu sich, wenn der Schmerz die Oberhand bekam. Dann verzog er das Gesicht, stöhnte auf, vor allem auch wenn man ihn anders hinlegte und als ihm die Schwester einen Schluck zu trinken anbot, lehnte er ab und flüsterte: „Mir ist ein bisschen schlecht!“ bevor er wieder wegdämmerte. Inzwischen machte auch Sarah sich Sorgen, denn sie hätte ihm so gerne von Mia-Sophie erzählt, die ihr jeden Tag mehr Freude machte, sie hatte hunderte Handybilder gemacht, auch zusammen mit Tim, der sein Schwesterchen jetzt immer halten wollte und das natürlich auch unter Aufsicht durfte, aber Ben sah nur kurz auf das Display, bevor ihm die Augen wieder zufielen.
    Wenn man allerdings versuchte die Opiate zu reduzieren, lag er innerhalb kürzester Zeit völlig verkrampft und schmerzgeplagt da und begann zu jammern, was die betreuende Schwester des Spätdienstes dann wieder dazu brachte, ihm eine Dosis Piritramid nachzugeben, damit er aufhörte.

    „Irgendwie drehen wir uns im Kreis, aber vielleicht braucht er einfach noch einen Tag, damit der Muskelkater weggeht und eventuell kann doch die Physiotherapie morgen etwas ausrichten!“ tröstete die Spätdienstschwester die beiden Besucher, die sich abwechselten, denn inzwischen kamen Sarah´s Kräfte langsam wieder zurück und sie schaffte die Strecke zur Intensivstation schon ohne Rollstuhl, allerdings mit Begleitung. Und lange konnte sie auch immer nicht an Ben´s Bett sitzen, denn ihr vernähter Unterleib tat da noch ganz besonders weh, so dass sie es vorzog nur kurz zu bleiben und sich dann wieder hin zu legen, denn Schmerzmittel wollte sie wegen des Stillens nicht nehmen.
    So verging die Nacht und auch wenn Semir einerseits schon zufrieden war, dass Ben wach und extubiert war, sein Kopf sich anscheinend wieder erholt hatte und auch sonst alle Werte stabil zu bleiben schienen, wollte sich dennoch kein Hochgefühl einstellen-da kam noch etwas nach-er fühlte es ganz deutlich!

    Am nächsten Morgen kam die Chefarztvisite und als der Stationsarzt jetzt zunächst einmal vor dem Zimmer über den Patienten Ben Jäger referierte, hörte die ganze Schar Weisskittel interessiert zu: „Wir konnten Herrn Jäger gestern problemlos extubieren, die Blutgase sind auch in Ordnung, er ist wach und orientiert, allerdings hat er noch einen ziemlichen Opiatbedarf. Ich weiss ja nicht, ob er zuvor relativ viel Alkohol getrunken, oder regelmäßig Schmerzmittel konsumiert hat, denn er gibt Schmerzen am ganzen Körper an, was mich darauf gebracht hat, dass er vermutlich einen Ganzkörpermuskelkater hat, der schon mal ziemlich weh tun kann. Alleine mit peripheren Schmerzmitteln kommt er nicht zurecht und die Temperaturen sind auch noch subfebril, aber immerhin ist das zentrale Fieber weg und wir müssen nicht mehr kühlen. Das Desmopressin-das war der Wirkstoff des Minirins-konnten wir auch seit vorgestern absetzen und die Urinausscheidung blieb trotzdem im normalen Rahmen, also ist die Hirnschwellung anscheinend komplett zurück gegangen, allerdings haben wir bisher das Dexamethason und die Antibiose noch weiter gegeben, das würde ich mit ihrem Einverständnis heute gerne absetzen. Ich habe Physiotherapie angefordert und vielleicht könnten die Unfallchirurgen langsam daran denken, das Wadenbein zu verplatten-ich würde ihn für OP-fähig erklären!“ erzählte der noch recht junge, aber engagierte Stationsarzt seinen Kollegen.

    Der Chefarzt trat nun an Ben´s Bett und streckte ihm die Hand entgegen. „Guten Morgen Herr Jäger!“ sagte er laut, denn Ben hatte die Augen geschlossen und dämmerte nach der letzten Piritramidgabe, die er zum Waschen gebraucht hatte, vor sich hin. Müde öffnete er die Augen und griff nach der ausgestreckten Hand. „Wie geht es ihnen?“ wollte der leitende Anästhesist nun wissen und Ben murmelte: „Ich weiss nicht genau-ich denke gut!“ um dann die Augen sofort wieder zu schließen. Der Arzt und seine Kollegen betrachteten den Monitor, auf dem alle Werte ziemlich im Normbereich waren, das Fieber betrug allerdings 38,2°C, was aber nicht besorgniserregend war, denn es gab ein sogenanntes Resorptionsfieber, wenn der Körper Schlackenstoffe abbaute, was auch nach Operationen häufig vorkam.
    „Gut-wir werden jetzt mit der Mobilisation beginnen, die Antibiose und das Cortison werden abgesetzt und wir bitten die Unfallchirurgen, sie die nächsten Tage auf den OP-Plan zu setzen, damit das Bein in Ordnung kommt-und den Schulterverband lassen wir auch weg, denn wenn sie wach sind halten sie die Schulter schon so ruhig, dass die nicht mehr luxiert, allerdings brauchen wir dazu ein gewisses Schmerzempfinden, damit sie die Bewegungen unterlassen, die dem Arm schaden. Das Piritramid wird reduziert, denn sonst provozieren wir eine Pneumonie und so starke Schmerzen dürften die Verletzungen nach dieser Zeit nicht mehr verursachen. Klar postoperativ steigern wir wieder, aber im Augenblick brauchen sie nicht mehr so viele Opiate, Herr Jäger, obwohl das sicher angenehm ist, wenn man nicht so ganz wach ist hier bei uns auf der Intensivstation mit dem Geräuschpegel und nach dem was sie hinter sich haben. Aber jetzt schauen wir nach vorne, sehen, dass wir sie aus dem Bett bringen und sie sich wieder bewegen können, was wir mit den starken Schmerzmitteln gerade unterlaufen. Ein bisschen was kann man auch aushalten und sie werden das schon schaffen!“ dozierte er, aber Ben hatte ihm gar nicht richtig zugehört, sondern die Augen waren ihm bereits wieder zugefallen. „Er bekommt maximal 2mg Piritramid in der Stunde, am liebsten noch weniger oder gar keines!“ bekam die betreuende Schwester jetzt die Anordnung und die wurde auch noch schriftlich fixiert, bevor der Tross weiter zog.

    Als man ihm nach der Visite den Gilchristverband auszog, schrie Ben vor Schmerzen auf, aber diesmal bekam er nichts außer einem Eisbeutel auf die Schulter. „Ich würde ihnen ja gerne etwas geben, aber ich darf nicht!“ bedauerte die Schwester , die er allerdings auch nicht privat kannte, weil sie ziemlich neu war und Ben nickte, biss dann allerdings die Zähne zusammen, als die Opiate langsam abflauten und er immer mehr Pein empfand. Oh Gott-was stand ihm noch bevor? Er konnte es doch jetzt schon kaum mehr aushalten, aber die Pflegekräfte und der Stationsarzt befolgten unbarmherzig die Anordnungen des Chefarztes.

    Semir war angehalten worden, heute zur Visite in seinem Zimmer zu bleiben und deshalb wartete er schon den ganzen Vormittag ungeduldig darauf, dass der Chefarzt der Internisten endlich kam, was sich aber verzögerte. Sarah konnte auch nicht zu Ben, denn heute würde ein speziell ausgebildeter Kinderarzt eine größere Untersuchung mit einer Ultraschallkontrolle der Hüften bei Mia-Sophie machen und da wollte sie natürlich dabei sein, denn Steißgeburten hatten ein höheres Risiko für Hüftleiden. So war Ben den Vormittag ganz alleine und als es Mittag wurde, hätte er sich vor Schmerzen am liebsten aus dem Fenster gestürzt-aber es war ihm unmöglich dorthin zu gelangen, deshalb blieb er nur völlig verkrampft und mit Tränen in den Augen in seinem Bett liegen und begann zu beten, dass der Schmerz nachließ, denn ansonsten würde er wahnsinnig werden, aber das interessierte anscheinend hier niemanden, sondern jeder befolgte strikt die Weisungen der Obrigkeit.

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  • susan
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    • 23. Juli 2015 um 08:13
    • #44

    Endlich war gegen Mittag der Chefarzt der Inneren bei Semir angelangt, der außer gelegentlichem Husten keine Symptome mehr spürte. Man hatte morgens noch Blut abgenommen, die Leberwerte die von dem Gift doch erhöht gewesen waren, waren deutlich gefallen und nun wurde der türkische Polizist ein letztes Mal gründlich abgehört. „Das sieht gut aus, Herr Gerkhan-von mir aus dürfen sie morgen nach Hause gehen!“ sagte er und Semir nickte, allerdings war er deswegen nicht euphorisch. Wegen Ben war es sehr praktisch gewesen mit dem Bett im Krankenhaus, aber der hatte ja jetzt das Schlimmste überstanden und so bedankte er sich beim Arzt, war aber froh, dass er nicht sofort gehen musste. Jetzt wurde auch gleich das Mittagessen serviert und danach sputete er sich, endlich zu seinem Freund zu kommen.

    Als er wenig später kurz vor der Intensiv warten musste, hörte er einen lauten Schrei und konnte den auch gut zuordnen-das war sein Freund gewesen-um Himmels Willen, was war da passiert? Als er dann herein gebeten wurde, eilte er mit wenigen Schritten ans Bett seines dunkelhaarigen Kollegen. „Ben was ist los?“ fragte er und erschrak bis ins Mark vor dem Anblick, der sich ihm bot. Ben lag blass und mit Schmerzfalten auf der Stirn, die sich tief eingegraben hatten, in seinen Kissen. Der Verband um seinen Oberkörper war weg, dafür ruhte der Arm auf einem Kissen und eine Kühlkompresse lag auf der Schulter. Das Gesicht seines Freundes war schweißnass und eine Schwester räumte gerade noch die verschwitzten Unterlagen und die Franzbranntweinflasche weg, anscheinend war er soeben gebettet worden. Als sie nun hinausging, sagte sie noch: „Das beruhigt sich schon wieder, versuchen sie sich zu entspannen, Herr Jäger, so schlimm dürften die Schmerzen nicht mehr sein, andere brauchen in ihrer Situation gar keine Schmerzmittel mehr!“ und Ben drehte nun den Kopf zur Seite, damit er die Schwester nicht mehr ansehen musste und kämpfte mit den Tränen.

    „Hey-geht’s dir nicht gut?“ fragte Semir besorgt und Ben schüttelte vorsichtig den Kopf. „Und was sagt Sarah dazu?“ wollte Semir nun wissen, aber Ben flüsterte nur: „Die war seit heute Morgen vor der Visite nicht mehr da-der Kinderarzt macht heute eine Ultraschalluntersuchung bei Mia-Sophie, da wollte sie dabei sein!“ und nun setzte Semir sich stumm ans Bett seines Freundes und nahm dessen unverletzte Hand. „Semir-die tun alle so, als ob ich eine Memme wäre, aber du kennst mich und weisst, dass das nicht stimmt! Ich habe solch fürchterliche Schmerzen-wenn ich aus dem Bett kommen würde, hätte ich mich vorhin aus dem Fenster gestürzt und es wird immer schlimmer anstatt besser!“ teilte er seinem Freund mit und erschauerte, als wieder eine Schmerzwelle durch ihn hindurch lief, die ihm erneut die Tränen in die Augen trieb.
    Semir sprang hoch: „Das kann man doch so nicht lassen!“ begehrte er auf. „Ich suche einen Arzt!“ beschloss er und stürzte aus dem Zimmer. Dort wurde er von der Schwester an den Stationsarzt verwiesen, der in seinem Büro saß und einen Verlegungsbrief in den PC hämmerte.
    „Mein Freund und Kollege Herr Jäger hat massive Schmerzen-sie müssen ihm etwas geben!“ forderte er, aber der Mediziner zuckte bedauernd mit den Schultern. „Erstens bekommt er ja etwas-er hat einen Basisspiegel mit zwei verschiedenen, hoch dosierten peripheren Schmerzmitteln und zusätzlich kriegt er noch jede Stunde eine festgelegte Dosis Opiat, eigentlich dürfte ihm trotz seiner Verletzungen gerade überhaupt nichts weh tun. Ich denke, er ist psychisch ein wenig überlagert, was ja auch kein Wunder ist, nach dem, was er hinter sich hat. Wenn es bis heute Abend nicht besser ist, bekommt er ein Psychopharmakum, das ihn ruhiger macht und ihn schlafen lässt, aber untertags muss er da jetzt durch. Ach eine Frage hätte ich noch-sie kennen ihn doch ganz gut-hat er eigentlich ein Alkoholproblem oder nimmt regelmäßig Schmerzmittel ein-sowas kann nämlich erklären, warum die Schmerzmedikation nicht so gut wirkt, aber auch da würden wir an der Therapie nichts verändern, es wäre nur interessant zu wissen!“ dozierte er und Semir sah ihn nun mit funkelnden Augen an.
    „Wenn dreimal die Woche ein Glas Bier nach Feierabend ein Alkoholproblem bedeutet, dann habe ich auch eins und nein-Herr Jäger nimmt auch nicht unkontrolliert Schmerzmittel und glauben sie mir-wenn seine Frau nicht mit ihm zusammen ist, dann bin ich das im Dienst und wir wüssten das, wenn es so wäre! Aber Ben nimmt nur in Ausnahmefällen eine Schmerztablette, also diesen Verdacht können sie sich abschminken. Wenn er sagt er hat Schmerzen, dann hat er auch welche und ich muss ihn mir nur ansehen, dann weiss ich, dass er fast umkommt deswegen und ich kenne ihn schon viele Jahre. Jetzt machen sie endlich etwas dagegen in Dreiteufelsnamen und ich hole jetzt dann auch seine Frau, die ist vom Fach, die kann ihnen das dann noch mit Fremdworten erklären, was ich ihnen jetzt gesagt habe!“ bemerkte er wütend und stürmte aus dem Arztzimmer, denn das war schon zu sehen-dieser Dödel von Doktor würde nichts unternehmen, so viel war klar!

    Semir raste nun regelrecht zur Entbindungsstation und nachdem Sarah nicht in ihrem Zimmer war, fragte er sich durch und wartete dann noch kurz vor dem Ultraschallzimmer, wo das Baby gerade untersucht wurde und empört vor sich hin quakte, obwohl so eine Untersuchung ja nun wirklich nicht weh tat, aber das Ultraschallgel war kalt und außerdem hatte man die kleine Maus gerade geweckt. Wenig später kam Sarah heraus, trug die inzwischen wieder angezogene Mia-Sophie im Arm und lächelte glücklich. „Mit den Hüften ist alles in Ordnung-wir sollen sie trotzdem breit wickeln, aber ansonsten ist sie kerngesund!“ erzählte sie Semir, während die nächste Mutter mit ihrem Neugeborenen in den Raum gebeten wurde. „Das ist schön!“ sagte der mit einem Lächeln-„aber du musst jetzt sofort mit zu Ben kommen, der hat massive Schmerzen, aber anstatt dagegen was zu unternehmen, fragt mich der Stationsarzt ob er ein Alkoholproblem hat, oder regelmäßig Schmerzmittel konsumiert!“ und nun wurde Sarah blass. Kaum im Zimmer angekommen, legte sie die Kleine wieder in ihr Babybettchen und fuhr das nun hinaus ins Kinderzimmer, wo sie läutete und das daraufhin von innen geöffnet wurde. Das war eine Sicherheitsmaßnahme, damit niemand ein Baby unbefugt an sich nehmen konnte. „Ich bin oben bei meinem Mann!“ sagte sie zur Kinderkrankenschwester und die nickte und nahm das Bettchen entgegen, worin Mia-Sophie inzwischen wieder friedlich schlummerte.
    Semir bot Sarah nun seinen Arm und so eilten die beiden nach oben zu ihrem Mann und Freund und machten sich schon unterwegs die größten Sorgen.

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    • 24. Juli 2015 um 08:50
    • #45

    In der Zwischenzeit war der Physiotherapeut zu Ben gekommen und hatte sich vorgestellt. „Hallo Herr Jäger-bei mir wurden Massagen und Dehnungsübungen für sie angefordert und die Schwester hat mir gerade gesagt, dass sie unter starkem Muskelkater leiden-ich würde mir das jetzt gerne einmal anschauen und dann versuche ich ihnen zu helfen!“ sagte er freundlich und musterte dabei seinen neuen Patienten interessiert und genau. Der sah aus, als würde er erst einmal ein Schmerzmittel brauchen, bevor er ihn anfasste, aber weil er eine Zusatzausbildung zum Schmerzphysiotherapeuten hatte, würde er versuchen, das auch mit seinen lockernden Griffen und Techniken hin zu bekommen.
    „Ich stelle jetzt erst einmal das Bett flach und sehe sie mir von oben bis unten an, dann erstellen wir einen Behandlungsplan und dann erst fangen wir an!“ teilte er seinem Patienten mit und Ben nickte voller Furcht, was sollte er auch sonst tun? Oh Gott-jede Berührung tat ihm doch sowieso schon schweineweh, jetzt wollten die auch noch an ihm herum zerren und massieren. Schon als das Bett flacher fuhr, verkrampfte er sich und ein Schmerzenslaut verließ seinen Mund. Wo blieb Semir bloß? Der musste ihm helfen und diesen Leuten erklären, dass er eigentlich keine Memme war und wirklich Schmerzen hatte. Die dachten alle, er würde sich nur anstellen und das war eigentlich das Schlimmste an der Sache, dass er nicht ernst genommen wurde und Angst vor seinen Ärzten und Pflegepersonen hatte.

    Der gewissenhafte Physiotherapeut hatte sich zuvor die Akte angesehen und gelesen, dass sein neuer Patient einen Stromunfall mit Reanimation und anschließender Hirnschwellung erlitten hatte. Die ausgekugelte Schulter hatte er zur Kenntnis genommen, auch das gebrochene und noch unversorgte Wadenbein und trotzdem musste er innerlich den Kopf schütteln. Lernten die es in diesem Krankenhaus nie, dass sie ihn schon Tage vorher hätten anfordern sollen? Schon als sein neuer Patient noch beatmet war, hätte er von passiven Bewegungsübungen profitiert. Der Abtransport der Wundflüssigkeit wäre gefördert worden und einem Verkleben der Schulter, was eine häufige Komplikation nach Luxationen war, hätte man schon eher vorbeugen können. In dem Krankenhaus in dem er vorher gearbeitet hatte, hatte auf jeder Intensivstation fest ein Physio zum Team gehört, aber hier war das anders organisiert und nicht immer zum Wohle der Patienten. Er sah schon, dass er zu diesem jungen Mann auch erst einmal ein Vertrauensverhältnis aufbauen musste, der war vor lauter Schmerzen und der Angst, er würde ihm noch mehr weh tun, so verkrampft, dass er sich gar nicht seinen heilenden Händen, wie ihm viele seiner Patienten schon versichert hatten, überlassen konnte.
    Als er sah, dass alleine das Flacherstellen des Bettes dem dunkelhaarigen Mann Pein bereitete, machte er das ganz langsam und hörte auch ein wenig vor Erreichen der Nullstellung auf. Dann nahm er mit einem freundlichen: „Darf ich?“ die Decke zur Seite und besah sich zunächst einmal den Körper seines Patienten. Man hatte das Hemd nur locker über ihn gelegt, denn auf der einen Seite war ja die blutunterlaufene luxierte Schulter und rechts lag der arterielle Zugang in seinem Unterarm, da war ein Hineinschlüpfen nicht sinnvoll und so schob der Mann, der etwa gleich alt wie Ben war, das Hemd so weit nach unten, dass zwar die Scham seines Patienten bedeckt war, er aber sonst den ganzen Menschen beurteilen konnte.

    Ben begann bereits angstvoll zu atmen, in Erwartung des nächsten großen Schmerzes. Schon alleine das Betten vorhin, als man ihn gedreht hatte, seinen Rücken mit Franzbranntwein eingerieben und die verschwitzten Unterlagen gewechselt hatte, war so schrecklich gewesen, dass er am liebsten laut losgebrüllt hätte. Der erfahrene und engagierte Krankengymnast ließ nun erst einmal Ben´s Anblick auf sich wirken. Meist wiesen die Patienten schon durch ihre Körperhaltung darauf hin, wo die größten Probleme waren, so war das auch hier. Der erste Eindruck zeigte einen schlanken, gut bemuskelten und trainierten Körper, der aber vor allem Probleme mit dem linken Arm und dem rechten Bein hatte-wobei der Fuß bis zum Knie in einer speziellen Vakuumschiene lag und deshalb schlecht zu beurteilen war. Allerdings war auch der eine Oberschenkel dicker als der andere und imponierend war ebenfalls die Schwellung des linken Oberarms und der Hand. Die Hand schien auch schlechter durchblutet zu sein, soweit man das unter den Verbänden beurteilen konnte. Die Strommarken befanden sich wohl unter den Feuchtverbänden beider Hände und auch da war es wichtig von Anfang an mit intensiver Dehnung der Handmuskeln Kontrakturen vorzubeugen-oh Mann, würden die das hier nie lernen? In der Klinik für schwer Brandverletzte in Ludwigshafen, wo er vorher gearbeitet hatte, bis ihn die Liebe nach Köln geführt hatte, war das eine Selbstverständlichkeit gewesen!

    Nachdem sein neuer Patient ihn immer noch musterte wie eine Maus die Schlange-in Erwartung dass sie bald verschlungen werden würde-wachte der Physio jetzt auf und versuchte seinem Patienten zunächst einmal die Angst zu nehmen. „Herr Jäger-sie müssen keine Sorge haben, dass ich ihnen weitere Schmerzen zufüge. Ich muss mir jetzt erst einmal einen Eindruck von ihrem Körper, der Muskelspannung und dem Ausmaß der Verletzungen machen, werde sie aber nur ganz vorsichtig berühren und wenn sie es nicht aushalten können, sagen sie einfach: Stop! Dann werde ich sofort innehalten. So wie es aussieht, sind sie ziemlich sportlich-was machen sie denn so, um sich fit zu halten?“ wollte er wissen und nun entlockte er Ben, der langsam Vertrauen fasste, sogar ein kleines Lächeln. „Na dann ist es ja gut, wenn man das sieht! Im Winter gehe ich immer in die Muckibude, aber jetzt im Sommer bin ich hauptsächlich laufen-wir haben nämlich einen bewegungsfreudigen Hund. Außerdem haben wir ein Häuschen gekauft und da musste ich jetzt nach Anweisung meiner Frau ständig irgendetwas im Garten buddeln, Beete anlegen und unser knapp zweijähriger Sohn sorgt für mein besonderes Fitnessprogramm-dem fällt nämlich laufend etwas Neues ein, was er anstellen könnte und der ist flink wie ein Wiesel!“ informierte er seinen Masseur. Nun lächelte der Physiotherapeut ebenfalls: „Oh ja-da kann ich mitreden-ich habe auch einen Dreijährigen zuhause, der uns auf Trab hält!“ erzählte er und jetzt war irgendwie schon ein Band hergestellt und Ben begann sich trotz Schmerzen wohler zu fühlen.

    Nun begann der Behandler ganz vorsichtig Ben, der nun ganz still lag, von oben bis unten zu betasten. Er machte das so vorsichtig, dass die Schmerzen nicht zunahmen, stellte dabei aber Seitenvergleiche an und schloss teilweise sogar die Augen, um besser fühlen zu können und seinen forschenden Fingern, die aber nicht unangenehm waren, die intuitive Untersuchung zu gestatten. Seine Miene wurde dabei immer ernster-hier hatte man ordentlich etwas übersehen und die Lage war besorgniserregend. Jetzt war zunächst einmal nicht er gefragt, sondern ein Chirurgenteam und das würde er jetzt in die Wege leiten-verdammt noch mal-hatten die hier in diesem Krankenhaus noch nie etwas vom Eisbergphänomen gehört? Gerade als er die Decke wieder über Ben breitete, der ihn überrascht ansah und ihm mitteilen wollte, was er befürchtete, brachen wie eine Urgewalt Sarah und Semir zur Zimmertür herein und eine völlig aufgebrachte Sarah, deren Hormonhaushalt zusätzlich gerade für große Stimmungsschwankungen sorgte, fuhr ihn an: „Was machen sie mit meinem Mann, den muss sich sofort ein Arzt ansehen!“ und er kam gerade noch dazu zu antworten: „Genau das meine ich auch!“

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    • 25. Juli 2015 um 07:59
    • #46

    Sarah stutzte einen Moment. „Wer sind sie überhaupt?“ begehrte sie zu wissen, allerdings hätte sie der Bereichskleidung nach-weiße Hose, weinrotes Oberteil und Namensschild-schon wissen können, dass der Mann ein Physiotherapeut war, aber sie war so erregt davon, was Semir ihr berichtet hatte, dass sie im Augenblick auf jeden losgehen würde, der ihrem Geliebten Schmerzen zufügte, oder ihn nicht mit dem nötigen Respekt behandelte. „Frau Jäger, wenn ich richtig kombiniere?“ nahm der Krankengymnast auch sofort die Aggression raus und streckte ihr die Hand entgegen, die sie zögernd ergriff. „Mein Name ist Markus Burger, meines Zeichens Physiotherapeut. Ich wurde zu ihrem Mann gerufen, um ihn zu behandeln, habe aber einige Diagnosen gestellt, die eine sofortige chirurgische Intervention notwendig machen und werde das auch gleich dem Stationsarzt mitteilen!“ erklärte er ihr und Semir, dem er nun ebenfalls die Hand hinstreckte. „Ich bin Semir Gerkhan, der Freund und Kollege von Herrn Jäger!“ stellte der sich nun ebenfalls vor. „Da werden sie aber Pech haben mit dem Stationsarzt-bei dem war ich schon, aber der unterstellt meinem Freund erstens, dass er wehleidig ist und zweitens, dass er Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch betreibt!“ erzählte dieser nun erregt von seinem vorigen Disput mit dem Doktor.
    Der Physiotherapeut überlegte kurz. „Ich würde sagen, sie bleiben jetzt bei ihrem Angehörigen und ich mache mich alleine auf die Suche nach dem Arzt. Manche Doktoren reagieren empfindlich darauf, wenn man sie auf ihre Fehler hinweist, aber es bringt nichts, wenn man dann böse wird und Druck macht. Ich werde jetzt vernünftig mit ihm reden und versuchen, ihn dazu zu bringen, dass er sich seinen Patienten nochmals anschaut und wenn er sich weigert, gehe ich eine Stufe höher. Aber wir wollen ihm die Chance geben, sein Gesicht zu wahren, denn was bringt es, wenn man sich wegen Dingen streitet, die doch offensichtlich und nachprüfbar sind? Das werde ich ihm klar machen und dann sehen wir weiter!“ fügte er noch hinzu und Semir, der ja ebenfalls beruflich in solchen Fällen zu Besonnenheit tendierte, während Ben da häufiger impulsiv reagierte, musste ihm Recht geben.

    Als der Mann nun allerdings das Zimmer verlassen hatte, wäre Sarah ihm beinahe doch nach geeilt, um sich den Stationsarzt zur Brust zu nehmen, aber Semir hatte sie einfach zurück gehalten und die Wogen zu glätten versucht. „Sarah er hat Recht, lass ihn jetzt mal machen-auf den Putz hauen kannst du nachher immer noch, wenn er sich weigert etwas zu unternehmen, aber was hat jetzt Ben eigentlich, dass man gleich einen Chirurgen braucht?“ fragte er sie und nun fokussierte Sarah erst ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Menschen, um den es eigentlich ging-ihren Ben. „Ich weiss es nicht!“ musste sie gestehen und fragte nun Ben, der immer noch mit schmerzgeplagtem Gesicht da lag und die Aktionen um sich herum wortlos verfolgt hatte.
    „Was hat er gesagt-was fehlt dir?“ wollte sie nun von ihrem Mann wissen, aber der zuckte nur hilflos mit den Schultern, was er in derselben Sekunde bereute, denn die linke Seite tat höllisch weh und ein Schmerzenslaut entwich ihm. „Ich habe keine Ahnung, er hat mich von oben bis unten abgetastet und da anscheinend etwas gefunden, was meine Schmerzen erklärt. Ich glaube er wollte mir das gerade mitteilen, als du wie eine Furie zur Tür herein gestürmt bist-ich hatte schon Angst, du würdest dich jetzt gleich auf ihn stürzen und ihn verhauen, aber Gott sei Dank hat er dir mit seiner Besonnenheit den Wind aus den Segeln genommen!“ sagte nun Ben und Sarah bekam vor Scham einen roten Kopf. „Tut mir leid!“ murmelte sie und senkte den Kopf zu Boden. „Ich bin irgendwie gerade auch nicht ich selbst!“ bemerkte sie dann und Semir sagte nun: „Das ist glaube ich nach einer Entbindung normal-Andrea hat mir da auch mal was nachgeschmissen, obwohl ich gar nichts gemacht hatte und hinterher hat es ihr leid getan, aber jetzt ist wichtig, dass Ben geholfen wird und ich glaube fest daran, dass dieser Mann sich darum kümmern wird, der wirkte irgendwie sehr kompetent.“ gab er seinen Eindruck wieder und bevor sie sich versahen, stand nun auch der Mann im roten Oberteil mit dem Stationsarzt in der Tür.

    „Dürften wir sie bitten, kurz draußen zu warten?“ sagte er nun freundlich und Semir strebte schon Richtung Ausgang. Sarah allerdings hatte sich nun wie eine kampfbereite Glucke vor Ben´s Bett gestellt. „Ich bin Krankenschwester-ich bleibe bei den Untersuchungen und Eingriffen immer bei meinen Patienten!“ keifte sie, aber der Physio sagte ganz mild: „Frau Jäger-aber jetzt und hier sind sie als Angehörige da und glauben sie mir-alles was jetzt geschieht, ist zum Wohle ihres Mannes, unseres Patienten. Ich passe auf ihn auf und wir holen sie wieder herein, wenn die Untersuchung beendet ist!“ sagte er mit Nachdruck und weil Ben nun nickte und leise sagte: „Nun geh schon, Schatz!“ ließ sie sich nun doch widerwillig von Semir mit nach draußen zerren. Als dort allerdings der Adrenalinspiegel absank, wurden ihr gleich die Knie weich und Semir schaffte es gerade noch, sie in der Sitzecke flach zu legen und eine Schwester zu holen. „Sarah, du hast dir zu viel zugemutet!“ sagte die liebevoll, nachdem sie ihr den Blutdruck gemessen und etwas Süßes zu Trinken gebracht hatte. „Semir!“-das war wieder eine Freundin, die auch bei der Hochzeit gewesen war-„wenn ich dir einen Rollstuhl gebe-könntest du sie bitte zurück auf ihr Zimmer bringen? Sie soll sich jetzt hinlegen und ich sehe derweil nach Ben, ich habe ihn gerade im Spätdienst übernommen!“ erklärte sie und Sarah, der leider immer noch verdammt schummrig war, ließ sich nun ohne Protest in den Rollstuhl verfrachten, um auf ihr Zimmer gefahren zu werden. Mann was war nur gerade mit ihr los? So war sie doch sonst wirklich nicht? Aber so sagte sie noch zu ihrer Kollegin: „Pass mir auf Ben auf!“ und die versprach: „Klar mach ich das-jetzt leg dich flach und Semir kann ja danach wiederkommen und sehen, was der Arzt gefunden hat und dir später Bescheid geben!“ schlug sie vor und so wurde es gemacht.

    In der Zwischenzeit war der Physiotherapeut in aller Ruhe zum Stationsarzt gegangen und hatte sich dem gegenüber im Arztzimmer auf einen freien Stuhl gesetzt. „Was gibt’s?“ fragte der kurz angebunden-verdammt, er war heute ganz alleine und musste eine Menge Verleger schreiben, damit man die Betten leer bekam und die nächsten Patienten aufnehmen konnte, aber ständig wurde er gestört-erst von hysterischen Angehörigen und jetzt auch noch von den Physios! „Es geht um unseren gemeinsamen Patienten Ben Jäger!“ begann der Krankengymnast und der Arzt seufzte auf. Man sollte meinen, es ginge heute nur um diesen einen Patienten, dabei hatten sie einige wesentlich kränkere auf der Station liegen.
    „Ich weiss nicht wie viel Erfahrung sie mit Stromunfällen haben!“ begann nun der rot bekittelte, sportliche Mann zu sprechen. „Ich jedenfalls habe lange Jahre in einer Spezialklinik für schwerst Brandverletzte gearbeitet, wo Stromunfälle häufig zum Patientenklientel gehören.“ erzählte er und gerade wollte der Stationsarzt aufbegehren, wer war denn hier der Doktor und hatte zwölf Semester Medizin studiert, sich durch tausende langweilige Vorlesungen gequält und wurde jetzt in der Klinik mit unendlich vielen und langen Diensten verheizt? Aber weil sein Gegenüber so ruhig blieb, beschloss er, dem nun doch kurz zuzuhören, bevor er ihn raus warf, um mit seiner Arbeit weiter machen zu können.
    „Ich habe mir jetzt seinen Körper genau angesehen, was ja zu meinen Aufgaben als Physiotherapeut gehört und mir sind zwei Sachen aufgefallen, die erklären könnten, warum er so massive Schmerzen hat!“ fuhr Markus fort, der die Gedankengänge des überforderten Arztes gerade an dessen Gesicht ablesen konnte. „Langer Rede kurzer Sinn-ich weiss nicht, ob ihnen der Ausdruck Eisbergphänomen was sagt-es bedeutet jedenfalls, dass die nach außen sichtbaren Verletzungen eher klein sind, aber die wahre Katastrophe sich in der Tiefe abspielt. Ich vermute, dass es durch den Strom im linken Arm und auch im rechten Bein zu massiven Muskelnekrosen gekommen ist, die Schwellung ist deutlich spürbar und die Durchblutung der Extremitäten beginnt durch das Ödem schon eingeschränkt zu werden. Wenn wir nicht eine sofortige Fasziotomie anstreben, wird er seinen Arm und sein Bein verlieren!“ schleuderte er nun in den Raum und nun saß ein junger Doktor vor ihm, dem fast die Augen aus den Höhlen traten. Sollten da er-aber auch der Chefarzt- tatsächlich etwas übersehen haben? Aber vielleicht bildete sich das der Physio auch nur ein-auf jeden Fall musste er sich jetzt seinen Patienten nochmals genauer ansehen und sich selber ein Bild von der Situation machen, bevor er gegebenenfalls seinen Hintergrund hinzu zog!

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    • 26. Juli 2015 um 08:39
    • #47

    Nachdem der Physiotherapeut die Angehörigen weggeschickt hatte, trat der Stationsarzt wortlos zu Ben und nahm dessen Zudecke beiseite. Der Krankengymnast beeilte sich, ihren gemeinsamen Patienten zu beruhigen: „Herr Jäger, der Arzt möchte sich ihren Arm und ihr Bein jetzt ebenfalls ansehen!“ sagte er und schob wie vorhin das Hemd wieder so zurecht, dass Ben zwar bedeckt war, man seinen Körper aber gut sehen und Seitenvergleiche anstellen konnte. Allerdings ging der Doktor nicht so feinfühlig vor, wie der Therapeut und betastete nun ziemlich derb Ben´s Arm und dann das Bein, was dem die Tränen in die Augen trieb und ihn aufstöhnen ließ. Der junge Arzt war etwas verunsichert. Wenn er jetzt seinen Hintergrund, oder gar die Chirurgen verständigte und das war falscher Alarm und eine normale Schwellung, was ja bei einem Knochenbruch und einer ausgekugelten Schulter durchaus üblich war, dann machte er sich lächerlich. Wenn jetzt allerdings der Physio Recht hatte-und irgendwie wirkte der schon kompetent-dann war höchste Eile geboten, um die Extremitäten des Patienten zu retten. Allerdings fehlte ihm ehrlich gesagt die Erfahrung mit solchen Dingen und wenn er nur irgendwelche Messwerte vorlegen könnte, die die Verdachtsdiagnose untermauerten, dann wäre es auf jeden Fall besser. Merkwürdig war das allerdings schon, dass sein Patient immer noch so heftige Schmerzen hatte, trotz Schmerzmedikation, aber nachdem sie sich ja intern sozusagen darauf geeinigt hatten, dass der einfach ein wenig überempfindlich war, oder eben Schmerzmittel gewohnt, war das nun schwer, von dieser vorgefassten Meinung Abstand zu nehmen.

    Inzwischen hatten auch die beiden Schwestern die von der Frühschicht und Sarah´s Freundin von der Spätschicht den Raum zur Übergabe betreten und musterten neugierig, was der Arzt hier so trieb. Die übergebende Pflegekraft bekräftigte nochmals die Chefarztanordnung, dass Herr Jäger maximal 2mg Piritramid in der Stunde erhalten dürfe und der Physiotherapeut musterte jetzt fassungslos den Arzt und die Pflegekräfte. „Habt ihr eine Ahnung wie schmerzhaft so ein Kompartementsyndrom ist? Ich wünsche das meinem schlimmsten Feind nicht und natürlich braucht Herr Jäger sofort ausreichend Opiate!“ ging er ein wenig hoch. „Ja-aber nur unter der Voraussetzung, dass ihre Vermutung stimmt!“ sagte der Arzt jetzt etwas giftig, denn mehr als eine Umfangsvermehrung konnte er von außen nicht erkennen. Obwohl-was natürlich schon stimmte-die Hand war schlecht durchblutet und ganz weiß. Am Fuß konnte er das nicht sehen, denn dazu müsste man das Bein aus der Schiene nehmen und das wollte er jetzt nicht machen.
    „Bevor ich jetzt meinen Hintergrund verständige, bräuchte ich irgendetwas Greifbares, Beweisbares-nur auf einen vagen Verdacht hin, kommt der nicht aus dem OP!“ überlegte er laut und der Physiotherapeut seufzte innerlich auf. Mann dass diese Technokraten immer irgendeinen Messwert brauchten. Die Ärzte früher hatten doch auch nur ihre fünf Sinne gehabt-und vielleicht noch ein Stethoskop dazu-und hatten oft treffsichere Diagnosen gestellt. Außerdem eilte es jetzt langsam, denn je mehr Zeit verging, desto schlechter war die Prognose bezüglich der Folgeschäden.
    „Ein erfahrener Untersucher sieht das auf dem Ultraschall!“ schlug er nun vor, allerdings war das auch eine Methode mit der man vertraut sein musste. Die Darstellung von Bauchorganen, flüssigkeitsgefüllten Hohlräumen und Blutgefäßen war einem Anästhesisten zuzutrauen, aber straffes Gewebe zu beurteilen, das verlangte viel Erfahrung, also fiel das vermutlich schon mal weg. Der Arzt hatte auch schon den Kopf geschüttelt-vermutlich waren ihm gerade dieselben Gedankengänge durch den Kopf geschossen, wie dem Physio, aber jetzt mischte sich die Spätdienstschwester ein. Ben war der letzte der drei Patienten gewesen, die sie übernommen hatte und so war die Frühschicht inzwischen in ihren wohl verdienten Feierabend gegangen und sie war dageblieben, um sich- wie versprochen- um Ben zu kümmern.

    „Beim intraabdominellen Kompartementsyndrom“-einer furchtbaren, meist tödlichen Komplikation nach Bauchoperationen- „messen wir immer mithilfe eines Arteriensystems den Druck vor Ort-in diesem Fall in der Blase. Das müsste doch im Muskel auch möglich sein?“ schlug sie vor und erleichtert stimmte der Arzt ihr zu. Dann hatte er Messwerte, man konnte einen Ausdruck der Monitordaten machen und er wäre auf der sicheren Seite.
    Der Physio seufzte erneut auf. Da musste man den Patienten jetzt zur Diagnosesicherung nochmals unnötig quälen, aber wenn der feine Herr Doktor das unbedingt brauchte, dann sollte er mal hinne machen und seine Messungen durchführen. Dabei waren doch tastende Finger, die Spannungen, Schwellungen und Verhärtungen fühlten in seinen Augen die besseren, billigeren und auch ungefährlicheren Diagnosegeräte, aber das galt in der heutigen Zeit leider nichts mehr! Allerdings musste er auch zugestehen, dass er den ganzen Tag ja nichts anderes machte und seine Hände vermutlich sensibler waren, als die des Arztes, der noch dazu jetzt unter dem Druck stand, seinem Vorgesetzten eine Fehldiagnose, oder eher eine versäumte Diagnose verkaufen zu müssen.
    So bereitete die Schwester jetzt eilig ein frisches, steriles Drucksystem vor, nullte es am Monitor und der Arzt suchte sich eine geeignete Nadel aus dem Eingriffswagen, desinfizierte dann Ben´s Arm und Bein im geschwollenen Bereich und alleine diese Berührung brachte Ben schon wieder zum Aufstöhnen, der gerade immer schneller atmete, denn natürlich verstand er überhaupt nicht, was er haben könnte und die Fremdworte mit denen Ärzte und Schwestern da um sich schmissen, machten ihm eigentlich nur Angst.


    Der Arzt hatte sich Handschuhe angezogen sah auf den Monitor und stach dann ohne viel Federlesens die doch recht dicke lange Nadel zunächst kerzengerade in Ben´s Oberschenkel. Ben schrie auf, obwohl der Physiotherapeut tröstend seine gesunde Hand genommen hatte. Sein Blutdruck schoss in die Höhe, aber es war klar ersichtlich, dass tatsächlich der Druck in seinem Bein um ein Vielfaches zum Normalwert erhöht war. Jetzt reagierte die Schwester und gab Ben, der inzwischen haltlos schluchzte, einen großzügigen Bolus Piritramid und daran hätte sie sich auch vom Arzt nicht hindern lassen. Oh Gott-was hatte ihr Patient und Mann ihrer guten Freundin in den letzten Stunden ausgehalten! Den zweiten Einstich mit einer frischen Nadel, diesmal in seinen Oberarm, merkte er kaum, denn nun wirkte das Opiat und zusammen mit der Fürsorge und den freundlichen Worten von Markus, half es ihm die Augen zu schließen und ein wenig weg zu dämmern. Die Schwester fertigte einen Ausdruck der Monitordaten an und Minuten später war der Arzt damit auf dem Weg in die OP-Schleuse.

    Nachdem er den Chefarzt dorthin hatte rufen lassen, zeigte er ihm die Ausdrucke und erklärte in kurzen Worten, was er vermutete. Der sah seinen Assistenzarzt bewundernd an: „Sehr gut-eine diagnostische Meisterleistung, sogar noch durch die Messungen gesichert!“ lobte er ihn. „Ich rufe sofort die Unfallchirurgen an, sie bereiten Herrn Jäger bitte gleich auf die OP vor und geben ihm bis dahin ausreichend Opiate. Jetzt wo ich die Daten sehe, fällt es mir wie Schuppen von den Augen-na klar, wir hätten an das Eisbergphänomen bei Stromverletzungen denken müssen, aber hier rächt sich eben, dass heute die meisten Stromunfälle in Spezialkliniken für Brandverletzte landen, da fehlt uns ein wenig die Routine. Aber jetzt hoffen wir eben, dass wir noch nicht zu spät sind und die Chirurgen seinen Arm und sein Bein erhalten können!“ erklärte er und griff schon zu seinem Telefon, um die Unfallchirurgen zu verständigen.

    Inzwischen war Semir wieder zu seinem Freund zurück gekehrt und stand nun an dessen Bett, während rund um den geschäftiges Treiben ausbrach, wovon er aber kaum mehr was mitkriegte, denn er war durch die hohen Dosen Piritramid, die ihm Sarah´s Freundin großzügig zukommen ließ, jetzt schon beinahe im Reich der Träume. Ein Unfallchirurg, der gerade eine Operation beendet hatte, war schnell aus dem OP gesprungen und hatte sich den Befund angesehen. Nachdem er nur kurz das Bein und den Arm betastet hatte, was Ben dazu brachte, erschrocken die Augen aufzureißen, bestätigte er die Diagnose und legte zudem die Notfallindikation fest. Dadurch erübrigte sich die Aufklärung für die OP und die Narkose, denn Ben war durch die Opiate so weit weg, dass seine Unterschrift sowieso nicht gültig gewesen wäre. So baute man den Transportmonitor um, nahm die Arterie und eine Infusion als Trägerlösung mit, zog Ben eine OP-Haube über und Minuten später wurde er aus dem Raum gefahren. Semir konnte ihm nur noch alles Gute wünschen und dann blieb er einen Augenblick wie paralysiert im Zimmer stehen, bis der engagierte Physiotherapeut hinter ihn trat und fragte, wo Sarah wäre. „Wissen sie was-ich komme noch kurz mit zur Entbindungsstation, die liegt eh auf meinem Weg und erkläre ihnen und Frau Jäger dort, was es mit dieser Diagnose und der unbedingt nötigen Operation auf sich hat, bevor ich meiner weiteren Arbeit nachgehe. Ich denke aber, dass wir uns in nächster Zeit noch oft sehen werden, denn meine Arbeit an ihrem Freund beginnt jetzt erst-und da haben wir noch einiges zu tun!“ prophezeite er und Semir nickte wie erschlagen-zu viel war jetzt auf einmal über ihn herein gebrochen.

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    • 27. Juli 2015 um 06:39
    • #48

    Ben, der dank der Opiate in einem Dämmerschlaf da lag und herzlich froh darüber war, denn er hätte es wohl keine Sekunde mehr ausgehalten, wurde in die OP-Abteilung gebracht. Er hatte Semir´s Rückkehr mitbekommen, die ganzen Ärzte, die um ihn herum standen und ihn anfassten, aber jetzt war es ihm egal. Die Gespräche plätscherten dahin, ohne dass er sich betroffen fühlte, dann setzte sich sein Bett in Bewegung und er musste die Hand seines Freundes loslassen. Er wurde auf eine Art Fließband gepackt und dann sah ihn ein Augenpaar über einem Mundschutz an und sagte etwas zu ihm, was er aber gar nicht richtig verstehen konnte und so dämmerte er weiter, bis er in der Einleitung das Narkosemittel gespritzt bekam und dann endgültig weg war.

    Man intubierte ihn problemlos und als er wenig später in den Saal gebracht wurde, waren dort schon die Bilder seiner Wadenbeinfraktur am Bildschirm an der Wand aufgerufen. Der Unfallchirurg, der ihn sich auf der Intensiv angesehen hatte, und ein Kollege besahen sich die und kamen überein, die Frakturversorgung und die Fasziotmie des Beins gleichzeitig zu erledigen. „Sonst zieht sich das wieder ewig, bis wir ihn verplatten können und jetzt liegt er schon mal in Narkose, dann nutzen wir das auch aus!“ wurde beschlossen. „Wir beginnen aber mit dem Arm!“ wurde der OP-Schwester Bescheid gesagt und die nickte. Allerdings war da kein großer Aufwand nötig-das Wichtigste an Instrumentarium war da ein Skalpell, ein paar Pinzetten und eine derbe Schere. Man strich also zunächst einmal den Arm von der Schulter bis zu den Fingern dreimal mit Desinfektionslösung ab, entfernte zuvor auch den Feuchtverband an der Hand und nun konnte man auch, ohne dass der gut narkotisierte Patient dagegen spannte, das Ausmaß der Gewebeschwellung erkennen. „Das ist wirklich kurz vor knapp-gut dass unser junger Kollege so schnell geschalten hat!“ stellte der eine Chirurg fest und begann nun, nachdem man den Arm noch auf ein steriles Tischchen ausgelagert hatte, mit einem großzügigen Schnitt die Haut des Oberarms über dem Bizepsmuskel zu spalten. Die blutete ein wenig, aber mit elektrischer Blutstillung und Tupfen war das bald im Griff und als man nun vorsichtig mit der Schere die Muskelfaszie spaltete, war es eigentlich erschreckend, dass aus diesem ansonsten so gut durchbluteten Gewebe kein Tropfen kam. Durch die massive Druckerhöhung in der Muskulatur hatte sich der Körper sozusagen selber die Blutversorgung abgeschnürt. Eine kleine Muskelnekrose in der Nähe des Oberarmknochens wurde noch ausgeräumt, die anscheinend der elektrische Strom verursacht hatte und dann ließ man den Arm einfach offen und schlang nur ein grünes Tuch herum.

    Nun wandten sich die Operateure dem Bein zu. Zunächst wurde wieder abgestrichen, diesmal-nach Entfernung der Schiene- das Bein von den Zehen bis zur Hüfte. Der Springer hatte zuvor noch rasiert, dass kein Härchen mehr zu finden war und nachdem die beiden Operateure nun frische Sterilkittel und Handschuhe angezogen hatten, eröffneten sie hier in zwei Schichten das Bein auf der ganzen Länge von der Wade bis zum Oberschenkel, denn leider war die Blutversorgung auf der ganzen Linie schlecht. Auch hier fand man sowohl im Oberschenkelmuskel, als auch in der Wadenmuskulatur sterile Nekrosen die man ausräumte und es war auch imponierend, wie gleich die Blutversorgung im Fuß besser wurde und der seine Farbe von leichenblass zu rosig wechselte, als die Faszie eröffnet war und das Blut wieder ungehindert zirkulieren konnte. Nun versorgte man noch mit Platten und Schrauben die Fibulafraktur, machte dort unten auch einen korrekten Wundverschluss mit Drainagenanlage und nach knappen zwei Stunden waren die Eingriffe beendet.

    Arm und Bein waren nur locker in sterile Tücher gehüllt und auf dem postoperativen Verordnungsbogen, den der Springer noch rasch ausdruckte stand, dass man die Wunden weit offen lassen und nur steril abdecken solle. Die Chirurgen würden da immer wieder einen Blick darauf werfen und wenn es notwendig war, konnte man dann die Wunden mit Ringerlösung feucht halten. Auch stand noch darauf, dass man die Extremitäten hoch lagern solle, damit die Gewebeflüssigkeit schön zum Körper hin abtransportiert wurde. „So das war kurz vor knapp, aber ich hoffe jetzt schon, dass man ihm Arm und Bein erhalten kann. Es darf jetzt nur keine Infektion hinein kommen, aber bisher war ja kein Eiter in seinem Organismus zu finden und das bleibt auch hoffentlich so!“ bemerkte der Unfallchirurg und dann besprach man noch mit dem Anästhesisten, der gerade dabei war, Ben wieder aufwachen zu lassen, dass man ihn bei diesen riesigen Wundflächen doch antibiotisch abdecken würde und das Antibiotikum, das ja erst morgens abgesetzt worden war, nun einfach weiter laufen würde.

    Wenig später kam Ben langsam zu sich, begann zu husten und schon zog man den Tubus aus seinem Hals. Ben war durch die ganzen Opiate und Schlafmittel noch sehr gedämpft, aber voller Erleichterung stellte er fest, dass der Vernichtungsschmerz in Arm und Bein einem anderen, dumpfen Schmerz, der aber viel besser erträglich war, gewichen war. Nur der Unterschenkel tat weh, dort war der Schmerz scharf, aber als er das auf Nachfrage schilderte, bekam er sofort etwas dagegen und wurde dann vorsichtig über das Schleusenband in sein Bett befördert. Auf der Station verkabelte man ihn wieder an seinem Bettplatz, legte ihn auf den Rücken und packte dicke Lagerungskissen unter Arm und Bein.
    „So-jetzt rufen wir auf der Entbindungsstation an, dass Sarah vorbei kommen kann, die hat sonst sowieso keine ruhige Minute, bevor sie ihn nicht gesehen hat!“ beschloss die Spätdienstschwester und hängte sich auch gleich ans Telefon. So waren wenig später eine sehr besorgte Sarah und ein fast ein wenig erleichterter Semir, weil das bange Warten nun ein Ende hatte, gemeinsam auf dem Weg zu Ben, der noch seinen Narkoserausch ausschlief.

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    • 28. Juli 2015 um 06:09
    • #49

    Während Ben in den OP gebracht wurde, hatte der Physiotherapeut Sarah und Semir erklärt, was es mit dem Eisbergphänomen so auf sich hatte. Das war Spezialwissen, das in der Intensivpflegeausbildung nur am Rande behandelt wurde, denn wer in einer Verbrennungsklinik arbeitete, bekam das dann vor Ort mit, allerdings hätten Ärzte da schon daran denken müssen, vor allem musste man auf so massive Schmerzen einfach reagieren und konnte den Patienten nicht als Memme abstempeln und musste da gründlicher nachsehen, aber da hatte Ben einfach Pech gehabt. „Nach so schweren Stromverletzungen mit Verkrampfungen der Muskulatur die gleich zu Luxationen und Frakturen führt, kommt es recht häufig zu Muskelnekrosen unterschiedlichen Ausmaßes. Häufig führt das dann zu massiven Ödemen rund um die Verletzungsstelle und in den Extremitäten kann dann das Gewebewasser nicht oder nur schlecht ablaufen, was zu so einem Kompartmentsyndrom führt, weil die Faszie, die den Muskel umschließt nicht oder kaum nachgibt. Unbehandelt führt das zu einer Schädigung von Nerven und Blutgefäßen in den betroffenen Extremitäten, wenn die Fasziotomie aber noch rechtzeitig kommt, was wir jetzt einfach hoffen, dann heilt das folgenlos ab. Allerdings kann es eine ganze Weile dauern, bis man die Wunde wieder verschließen kann und manchmal sind auch Hauttransplantationen zur Deckung notwendig!“ erzählte er aus seinem Erfahrungsschatz. „In der Verbrennungsklinik haben wir bald nach der OP mit Lymphdrainage begonnen und das Krankheitsbild so positiv beeinflusst, ich werde das auch bei ihrem Mann und Freund anordnen lassen und mich ab jetzt intensiv um ihn kümmern!“ kündigte er an und Sarah bedankte sich.

    „Wenn sie die Ärzte da nicht darauf aufmerksam gemacht hätten, was ihm fehlt, hätte er vielleicht Arm und Bein verloren-ich danke ihnen ganz herzlich dafür!“ sagte sie und der Krankengymnast lächelte. „Das ist doch selbstverständlich, jeder tut was er kann zum Wohle unserer Patienten, aber jetzt werde ich mal langsam meiner anderen Arbeit nachgehen-ich sehe aber wieder nach Herrn Jäger!“ versprach er und in diesem Augenblick wurde das Babybettchen mit einer kleinen vor Hunger brüllenden Mia-Sophie hereingefahren. Sein Blick erhellte sich und er fragte: „Darf ich?“ und als Sarah nickte, hatte er schon die kleine Maus, deren Gesicht hochrot angelaufen war, so musste sie ihren Kummer in die Welt hinausschreien, aus dem Bettchen genommen, kurz an sich gedrückt und dann der Mutter überreicht. „Ach ich finde so kleine Babys einfach entzückend. Unser Sohn ist schon drei und wir hoffen darauf, dass es bald einmal klappt mit dem Zweiten, aber wenn nicht, dann können wir es auch nicht ändern, aber so ein süßes kleines Mädchen-das wäre schon was!“ sinnierte er noch und fügte dann hinzu:
    „Die Operation wird sicher so ein bis zwei Stunden dauern, ich würde vorschlagen sie lassen sich von der Intensiv verständigen, wenn Herr Jäger zurück ist und sehen jetzt erst einmal zu, dass dieses kleine hungrige Wesen etwas bekommt!“ schlug er vor und Semir nickte: „Sarah-ich gehe jetzt noch ein wenig auf mein Zimmer und gebe Andrea Bescheid, dass ich morgen entlassen werde. In einer Stunde komme ich wieder und dann warten wir hier gemeinsam darauf, dass wir nach Ben sehen können!“ und so geschah es.

    Als Semir wieder zurück war, schlief eine satte und zufriedene Mia-Sophie auf Sarah´s Bauch und sie unterhielten sich leise, bis endlich der ersehnte Anruf von der Intensivstation kam, sie das schlafende Baby vorsichtig ins Bettchen legten und im Kinderzimmer abgaben. Diesmal nahm Semir vorsichtshalber gleich einen Rollstuhl für Sarah mit, damit die mit ihren Kräften Haus hielt und wenig später standen sie an Ben´s Bett, bzw. saßen, denn Sarah´s Freundin hatte gleich noch einen Stuhl für Semir neben den Rollstuhl gestellt, den die vorausschauende Schwester auf der Entbindungsstation mit einem Sitzring für Sarah ausgestattet hatte und so streichelten sie ihn, hielten seine Hand und warteten bis Mann und Freund ganz wach würde.
    Nach einer ganzen Weile schlug Ben die Augen auf und sah verwundert um sich, aber als er Sarah und Semir an seinem Bett sitzen sah, zog ein Lächeln über seine Züge, bevor er wieder einschlief. Noch ein halbes Stündchen später kam seine betreuende Schwester, kontrollierte die Blutgase und die Durchblutung der Hand und des Fußes und als er von der Berührung erwachte, fragte sie ihn: „Schmerzen?“ aber Ben schüttelte den Kopf. Ach wie herrlich war es, einfach schmerzfrei da zu liegen und vor sich hin zu schlafen-behütet von seiner Familie und seinem besten Freund und was sie jetzt mit ihm gemacht hatten, würde er schon noch rechtzeitig erfahren, aber eigentlich war es ihm gerade auch völlig egal.

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    • 29. Juli 2015 um 07:37
    • #50

    Nach einer Weile brachte Semir Sarah wieder zurück in ihr Zimmer, denn Hildegard und Tim würden jetzt kommen, empfing seine eigenen Besuche-Jenni und Bonrath hatten vorbei gesehen-und ging dann wieder zurück auf die Intensiv. Ben war inzwischen ganz wach und wurde gerade frisch gemacht und ein wenig anders hingelegt. Der Fuß mit der Redondrainage ziepte ganz ordentlich, aber das war ein klarer, sauberer Schmerz, der auch wieder nachließ, als er ruhig da lag und außerdem bekam er ja auch Schmerzmittel. Dieser andere Schmerz war so entsetzlich gewesen-er hatte gemeint sein Arm und sein Bein würden demnächst abfallen, es hatte getobt und ihn zermürbt, während die Extremitäten jetzt ein wenig zogen, aber das war gut auszuhalten.

    Bevor er in den verdienten Feierabend ging, sah einer der Unfallchirurgen noch nach all seinen frisch operierten Patienten und stand deshalb lächelnd an Ben´s Bett. „So Herr Jäger-haben sie alles gut überstanden?“ fragte er und Ben lächelte noch ein wenig erschöpft zurück und nickte. „Ich möchte mir nur noch schnell die Wunden ansehen, darf ich?“ fragte der Chirurg und der dunkelhaarige Polizist nickte. So zog der Arzt nach der routinemäßigen Händedesinfektion Einmalhandschuhe an, betastete erst den Fuß, der mit elastischen Binden gewickelt war, war aber sehr zufrieden und dann schlug er das grüne Tuch ums Bein, das teilweise ein wenig angeklebt war, vorsichtig zurück. Semir sah interessiert zu-er war Ben schon bei ziemlich vielen Behandlungen beigestanden und hatte eigentlich einen starken Magen, aber jetzt wurde er grün im Gesicht.

    Auch Ben hatte den Kopf ein wenig gehoben und zunächst einmal wie unbeteiligt an sich herunter gesehen, der Schmerz war ja gering und er hatte keine Ahnung was ihn erwartete. Als er aber nun sein Bein sah, das völlig offen vor ihm lag, entwich ihm ein Entsetzenslaut. Es sah aus, als hätten die Ärzte mitten während der Operation aufgehört und nicht zu Ende operiert. Sein Bein klaffte auseinander, nur im Bereich des Knies ging die Haut noch rund herum. Sowohl am Unter-als auch am Oberschenkel lagen die bauchigen, dunkelroten Muskelbälge bloß, man konnte Sehnenscheiden und Gefäße in der Tiefe schimmern sehen und ein klein wenig Blut, allerdings wirklich ausgesprochen wenig, war auch herunter gelaufen. Ben atmete mit einem Entsetzenslaut aus. „Ich glaube mir wird schlecht!“ sagte er tonlos und begann zu würgen. Die Schwester sprang herbei und hielt ihm eine Nierenschale vor.
    „Herr Jäger-auch wenn sie mir das vielleicht jetzt nicht glauben wollen, aber das sieht gut aus!“ sagte der Arzt, während er das Tuch wieder zurück schlug und sich nun auch noch den Arm ansah, wo allerdings nur der Oberarm betroffen war. Ben hatte die Augen jetzt geschlossen, aber so sehr er auch versuchte die schrecklichen Bilder aus seinem Kopf zu bekommen-es gelang ihm nicht. „Was haben sie mit mir gemacht? Bleibt das so?“ fragte er nun tonlos und ein schleimiger Blutfaden lief aus seinem Mundwinkel, den die Schwester stirnrunzelnd betrachtete und dann mit Zellstoff abwischte. Hatte er sich jetzt etwa noch auf die Zunge gebissen? Irgendwie fasste ihr Patient gerade in die Vollen.

    „Ja Herr Jäger-momentan muss das so bleiben, das war die einzige Möglichkeit ihr Bein und ihren Arm zu erhalten!“ begann nun der Arzt zu erklären. So ein Mist-weil sein Patient vorher mit Opiaten so abgeschossen gewesen war, hatte man ihn ja gar nicht richtig aufklären können und so hatte der vermutlich gerade den Schock seines Lebens erlitten. „Durch den Durchfluss des Stroms durch ihren Körper ist Muskelgewebe abgestorben, sowohl im Arm als auch im Bein und durch die darauf folgende Schwellung hat sich ihr Körper sozusagen selber die Versorgung abgeschnitten. Wenn wir das nicht weit eröffnet, so den Druck weg genommen und die Blutzirkulation wieder ermöglicht hätten, wären das Bein und der Arm abgestorben und spätestens morgen hätten wir nur noch amputieren können-übrigens ein Schicksal, das viele Stromopfer haben. Auch wenn das jetzt wild aussieht-das Gewebe wird heilen und wir haben ein paar Signalfäden an den Wundrändern belassen, so dass wir in ein paar Tagen vielleicht schon damit beginnen können, die Haut, die sich leider durch ihre elastischen Fasern als erstes zurück zieht, wieder anzunähern. Falls uns das nicht gelingt, werden wir mit Spalthaut die Defekte zu decken versuchen, aber glauben sie mir, das wird verheilen und wenn es bisher noch nicht zu Nerven- und Gefäßschäden gekommen ist, dann wird sie in ein paar Wochen nur noch ein wenig Narbengewebe an diesen rettenden Eingriff erinnern“ versuchte er seinen Patienten zu beruhigen, aber der würde-wie sein Freund auch- wohl noch eine Weile brauchen, um den Anblick zu verarbeiten.

    Kurz prüfte er noch die Sensibilität der Finger und auf die Frage ob er die Berührung spüre, nickte der. Auch wenn er sich fast nicht traute-er schaffte es auch mit den verbundenen Zehen zu wackeln und fühlte auch das Kneifen, als der Chirurg so das Gefühl dort prüfte. Jetzt musste er allerdings erst einmal runter kommen und auch Semir atmete tief durch und war froh, dass die Übelkeit langsam nachließ, vor allem auch, weil nun die Tücher wieder fein säuberlich zugeschlagen waren und die Decke über seinen Freund gebreitet wurde. „Geben sie ihm doch ein wenig Tavor zur Beruhigung!“ ordnete der Chirurg, nachdem er seine Handschuhe entsorgt und die Hände erneut desinfiziert hatte, an. Die Schwester nickte und als der Arzt sich verabschiedet hatte, holte sie schnell eine Ampulle aus dem Kühlschrank und spritzte sie ihrem Patienten, dem daraufhin die Augen zufielen. Lorazepam wirkte beruhigend und Angst lösend und das war genau das, was Ben jetzt brauchte.
    Semir, der schon befürchtet hatte, er müsse ebenfalls um eine Kotzschale bitten, hätte am liebsten auch etwas von dem tollen Zeug verlangt, das seinen Freund selig wegdämmern ließ, aber so musste er in sein Zimmer zurück und hatte die schrecklichen Bilder immer noch so präsent in seinem Kopf, als wenn der Verband nicht wieder verschlossen worden wäre.
    Als er später am Abend nochmals mit Sarah nach oben ging, schlief Ben immer noch und sie ließen ihn schlafen. So würde er vermutlich momentan am besten mit der Situation zu Recht kommen und morgen war ein neuer Tag und da konnte man dann über die ganze Sache sprechen. Semir hatte Sarah voller Entsetzen auf dem Herweg erzählt, wie die Wunden aussahen, aber die hatte mit den Schultern gezuckt. „Semir-ich weiss wie das aussieht, wenn man eine Fasziotomie vorgenommen hat-das ist nichts für schwache Nerven, aber zusammen werden wir das schaffen, Ben wird sich an den Anblick gewöhnen und immerhin konnte man Arm und Bein erhalten-das ist das Wichtigste!“ sagte sie und nach kurzem Zögern hatte Semir ihr zugestimmt.

    In der Nacht bekam Semir starke Atembeschwerden und musste sogar Sauerstoff kriegen. Ihm und auch dem hinzu gerufenen Arzt war nicht ganz klar, ob das eine körperliche Ursache hatte, oder ihm eher seine Nerven einen Streich spielten. So durfte er erst inhalieren, bekam dann auch von dem guten Tavor-allerdings als Tablette- und die für den nächsten Tag geplante Entlassung wurde verschoben, man würde sich statt dessen die Lunge nochmals näher ansehen. So schliefen die beiden Freunde-jeder in seinem Bett- dann doch noch selig vor sich hin und auch Sarah erholte sich. Morgen wäre ein neuer Tag-man würde sehen, was der bringen würde!

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    • 30. Juli 2015 um 09:41
    • #51

    Als Semir am Morgen erwachte, fühlte er sich wie ausgehöhlt. Erstens hatte ihn das Beruhigungsmittel total ausgeknockt und dann meinte er auch Fieber zu haben und musste ständig husten. Als die Schwester mit dem Ohrthermometer kam, bestätigte sich das auch, es war zwar nur 38,5°C, aber Semir fühlte sich nicht sehr wohl. Er wurde angehalten zur Visite im Zimmer zu bleiben und das Frühstück wollte ihm auch nicht richtig schmecken. Gleich nach der Morgenmahlzeit kam der Oberarzt zu ihm, besah sich seinen Patienten, ließ sich die neuesten Komplikationen berichten und beim Abhören klang es nun auf einmal nicht mehr normal. So wurde ein Thorax-CT angemeldet, das im Laufe des Vormittags stattfinden sollte und Blut abgenommen. Nun rief Semir erst Andrea an, dass seine Entlassung gecancelt war, schlich dann kurz zu Sarah, um der Bescheid zu geben und sah schnell bei Ben vorbei, der gerade gewaschen wurde.
    „Und hast du den Schock verdaut?“ fragte er seinen Freund und der schüttelte wortlos den Kopf. Wenn er wach war konnte er an nichts anderes denken, als an den schrecklichen Anblick unter den Tüchern und hatte schon regelrecht Angst davor, wenn die gewechselt würden. Außerdem fühlte er sich insgesamt nicht wohl, hatte Bauchschmerzen, was aber kein Wunder war, denn er war ja seit dem Tag als Mia geboren wurde, nicht mehr auf der Toilette gewesen und man hatte ihm schon angekündigt, dass heute Abführmaßnahmen anstünden, was natürlich nicht zu seiner Begeisterung beitrug. Er hätte essen und trinken dürfen, aber er wollte überhaupt nichts zu sich nehmen, denn die latente Übelkeit ging einfach nicht weg.

    Als er dann aber seinen Freund näher ansah, bemerkte er, dass der auch nicht gerade wie das blühende Leben aussah und fragte ihn jetzt, was mit ihm los sei, während die Schwester noch das Waschzeug wegräumte und er die Rasur verweigert hatte. Verdammt, warum wollten die ihm nur immer an seinen Dreitagebart? Er stutzte den zuhause alle paar Tage mit dem Langhaarschneider, aber in der Zeit als er intubiert gewesen war, hatte man ihn, wie meistens im Krankenhaus, wenn er sich nicht wehren konnte, glatt rasiert. „Schatz, das wird gemacht, damit man den Tubus besser verkleben kann-außerdem wächst der Bart ja wieder!“ hatte ihm Sarah erklärt, als er sich deshalb beschwert hatte, aber trotzdem war das einfach nicht er, wenn er Wangen, glatt wie ein Kinderpopo, hatte.

    Jetzt aber richtete er seine Aufmerksamkeit doch auf Semir, der wirklich krank aussah. „Los jetzt sag schon was los ist und leg dich bitte danach sofort wieder ins Bett. Du siehst wirklich besch…. aus!“ bat er ihn und Semir, dem gerade wirklich nicht gut war, teilte ihm nur kurz mit: „Ich habe Fieber und Atemprobleme, da werden heute noch Untersuchungen gemacht!“ und dann musste er tatsächlich zurück ins Zimmer, brauchte Sauerstoff und lag nach Atem ringend, mit erhöhtem Oberkörper in seinem Bett. Verflixt was war nur mit ihm los?

    Sarah ging es heute ein wenig besser und sie konnte alleine zu Ben, wenn auch nicht lange. „Wie geht es dir?“ fragte sie liebevoll und strich ihm eine vorwitzige Strähne aus dem Gesicht. „Na ja!“ lautete die Antwort, aber als die Gegenfrage von Ben kam, musste sie lächeln. „Wie fühlst du dich und was machen meine kleine Prinzessin und der Prinz, den ich übrigens furchtbar vermisse!“ wollte er wissen und Sarah zog nun ihr Handy aus der Tasche ihres weiten Shirts und zeigte Ben ein paar Fotos, wo Tim seine kleine Schwester im Arm hielt und stolz grinste. „Ist das Antwort genug, was unsere Kinder betrifft?“ fragte Sarah und Ben nickte lächelnd. „Und mir geht es mit jedem Tag besser, ich muss eben den Blutverlust noch aufholen, was sicher noch einige Zeit dauern wird, außerdem habe ich das Gefühl, die hätten mich da unten zusammen gezurrt wie verrückt-das sage ich dir-im Moment kann ich mir nicht vorstellen, dass wir jemals wieder miteinander ins Bett gehen könnten, aber das war nach Tim´s Geburt ja auch so und das hat sich alles wieder gegeben!“ berichtete sie ihm und Ben bestätigte jetzt, dass ihm gerade alle möglichen Gedanken durch den Kopf gingen, außer der Wunsch nach Sex.

    „Aber Semir macht mir Sorgen!“ berichtete nun Ben und sein Blick verdüsterte sich. „Der hat Fieber und kriegt schlecht Luft-ich habe ihn gleich wieder weg geschickt. „Oh-das habe ich gar nicht so richtig mitgekriegt, aber ich habe gerade gestillt, als er heute Morgen da war und da hat er nur kurz den Kopf zur Tür herein gesteckt und gesagt, dass er doch nicht entlassen wird und jetzt zu dir geht-ich hatte eigentlich erwartet, ihn hier noch anzutreffen!“ erzählte Sarah und nun machten sie sich plötzlich beide Sorgen um ihren Freund. „Du weisst ja noch gar nicht, dass er uns allen das Leben gerettet hat in dem Keller, denn der eine der Mönche hatte schon eine giftige Maulwurfspatrone gezündet, als Semir ihn tödlich getroffen hat. Er hat die dann gepackt und so schnell er konnte nach draußen befördert, aber sicher kommen seine Atemprobleme von diesem Giftzeugs, das uns sonst alle umgebracht hätte!“ erzählte sie ihm und Ben´s Herz floss nun nahezu über vor Dankbarkeit. Ihm selber hatte Semir schon mehrfach den Arsch gerettet, aber jetzt hatte er ihm auch noch das Leben von Frau und Tochter zu verdanken, wie konnte er das nur je wieder gut machen? „Sarah-wenn es bei dir irgendwie geht-könntest du nach unserem Freund sehen, oder dich zumindest bei deinen Kollegen erkundigen, ich mache mir jetzt echt Sorgen um ihn, so bescheiden, wie er vorher ausgesehen hat!“ bat Ben und Sarah nickte, bevor sie sich mit einem zarten Kuss, den Ben voller Liebe erwiderte, von ihrem Mann verabschiedete. Sie entschied, dass sie kräftig genug war, um auf der Inneren vorbei zu sehen, aber als sie an seine Zimmertüre klopfte, war der Bettplatz leer, gerade hatte man Semir zum Thorax-CT gebracht und sie knöpfte ihren Kollegen das Versprechen ab, ihr zumindest Bescheid zu geben, wenn er wieder zurück war, wenn sie schon über den Befund nichts sagen durften. So ging sie wieder auf ihr Zimmer zurück, war jetzt aber redlich froh, als sie sich wieder flach legen konnte. Auf die letzten Meter hatte sie schon das Gefühl gehabt, ihre Innereien zu verlieren, aber das war nach einer Geburt normal, das war bei Tim auch so gewesen und darum hieß es ja auch Wochenbett und da war man auch besonders schützenswert als Frau, was sogar der Gesetzgeber wusste und deshalb die mehrwöchige Schutzfrist danach eingeführt hatte.

    Bei Ben war nun noch vor der Visite der nette Krankengymnast eingetroffen und musterte ihn lächelnd. „Na Herr Jäger-hoffentlich können wir heute etwas machen und sie müssen nicht wieder in den OP, nachdem ich da gewesen bin!“ flachste er, aber mehr als ein leises Lächeln bekam er nicht von Ben, denn der machte sich gerade unheimliche Sorgen um seinen Freund-diesmal fühlte er ganz tief in seinem Bauch, was ja sonst eher Semir´s Part war, dass mit dem etwas nicht stimmte und er konnte jetzt nicht einmal bei ihm sein, was für ein Mist!

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    • 31. Juli 2015 um 07:17
    • #52

    Als die Computertomographie des Thorax befundet und die Laborwerte da waren, kam der behandelnde Arzt mit ernstem Gesichtsausdruck zu Semir ins Zimmer. Der hatte wieder inhaliert, weil er das Gefühl hatte, er würde einfach nicht genügend Luft bekommen und ohne Sauerstoff ging gerade gar nichts. Außerdem fror der kleine Türke jetzt erbärmlich und hüllte sich mit klappernden Zähnen in seine Decke. „Herr Gerkhan-ich habe leider keine guten Neuigkeiten. Zunächst einmal hat sich bei ihnen eine Pneumonie entwickelt-vermutlich auch als Reaktion auf das Gas, das sie eingeatmet haben und leider Gottes ist direkt neben dem Hauptbronchus eine Abszesshöhle zu sehen, wo Lungengewebe vermutlich abgestorben ist und sich die Überreste eitrig zersetzt haben. Wir beginnen jetzt sofort mit einer Antibiotikatherapie und werden dann versuchen, im Rahmen einer Bronchoskopie die Abszesshöhle zu entleeren und zu spülen. Allerdings müssen sie dazu auf der Intensivstation überwacht werden, denn es kann jederzeit zu Komplikationen wie eines Pneumothorax bis hin zu einer Eiteransammlung im Pleuraspalt kommen, einem sogenannten Pleuraempyem. Wenn der Abszess größere Blutgefäße anfrisst, könnten sie sich verbluten und wenn es zu einer Einschwemmung in den Organismus kommt, dann haben sie eine Sepsis, also eine Blutvergiftung. Wir verlegen sie also sofort, beginnen mit der Antibiose und in etwa einer Stunde machen wir dann oben die Bronchoskopie, dabei wird ein dünnes Schläuchlein in ihre Luftröhre eingeführt und wir versuchen dann die Eiteransammlung aufzuspüren.“ erklärte er und der geschockte Semir wolle nur noch eines wissen: „Ist das ansteckend?“ denn mit Entsetzen dachte er an Andrea und die Kinder, Sarah, Ben und vor allem Mia-Sophie, die da ja wohl nichts entgegen zu setzen hatte.

    Der Arzt schüttelte lächelnd den Kopf. „Nein-diese Art von Lungenentzündung ist nicht ansteckend, die ist eher im Rahmen einer Verätzung des Lungengewebes entstanden, das dann anfällig für Erreger aus der Mundhöhle und der Atemluft ist. Sie können also weiterhin Besuch empfangen und auch im Mehrbettzimmer liegen-wir haben sie auf der Intensiv schon avisiert-mal sehen, was die sich haben einfallen lassen!“ sagte er geheimnisvoll und nun packte die Schwester schon seine Sachen zusammen, der Arzt legte ihm einen Zugang und hängte das erste Fläschchen Antibiotikum an und mit Sauerstoff wurde er dann eilig auf die Intensiv gebracht-zufällig dieselbe, auf der auch Ben lag. Enttäuschung machte sich in Semir breit, als er an dem Raum vorbei gefahren wurde, in dem Ben lag, Mann jetzt wurde es schwierig mit den Besuchen, aber umso überraschter war er, als er in ein anderes Zimmer kam und ihn da schon jemand aus dem zweiten Bett anstrahlte, der gerade dabei war, Krankengymnastik zu machen.
    „Hallo Semir-die Schwestern haben mich gefragt, ob wir vielleicht zusammen liegen möchten, aber das andere Zimmer ist zu klein dafür, deshalb wurde ich um geschoben-wie geht´s dir denn?“ erkundigte sich Ben und trotz aller Sorge und Verwirrung musste Semir jetzt unter seiner Sauerstoffmaske lächeln. Wenn schon Intensiv, dann wenigstens gemeinsam-und gleich fühlte er sich besser. Der verlegende Arzt machte noch Übergabe an den Stationsarzt, kündigte den Besuch des Pulmologen in einer halben Stunde an und sagte zu Semir: „Ich werde ihre Frau anrufen und ihr mitteilen, dass sie verlegt wurden, jetzt wünsche ich ihnen alles Gute!“ und damit verabschiedete er sich und verließ gemeinsam mit der Schwester von Station den Raum.

    Die Intensivschwester reichte Semir nun ein Krankenhaushemd, half ihm sein Shirt auszuziehen und klebte Überwachungselektroden auf seinen Brustkorb. Der Blutdruckapparat wurde momentan um seinen Arm geschlungen und das erste Blutgas kapillär aus dem Ohrläppchen entnommen. Der Stationsarzt hörte nun Semir noch ab, kündigte an, ihm später eine Arterie zu legen und sagte dann zur Schwester: „Solange der Kreislauf stabil ist, brauchen wir keinen zentralen Venenkatheter, ich lege momentan auch keinen Wert auf einen Dauerkatheter, solange wir ihn anderweitig bilanzieren können. Wir geben erst einmal Infusionen, schreiben ein EKG und nachher, wenn die Bronchoskopie gelaufen ist, werden wir forcierte Atemgymnastik mit dem NIV machen!“ ordnete er an und die Schwester nickte. Semir war inzwischen wenigstens mit einem Arm in das Flatterhemdchen geschlüpft und am erleichtertsten war er, weil er keinen Blasenkatheter brauchte, er durfte sogar seine Unterhose anbehalten. „Hey das ist ungerecht!“ moserte Ben aus dem Nebenbett, wo der Physiotherapeut inzwischen aufseufzend die Krankengymnastik abgebrochen hatte. Sein Patient war abgelenkt, konnte sich nicht konzentrieren und lugte die ganze Zeit um ihn herum, um nach seinem Freund zu sehen. „Herr Jäger-ich komme morgen wieder und hoffe, dass sie dann mehr bei der Sache sind!“ sagte er, aber immerhin hatte er ihn jetzt schon trotz der Umschiebeaktion eine halbe Stunde behandelt und auch Lymphdrainage und Handgymnastik gemacht, was Ben sicher gut getan hatte. Aber jetzt konnte der nicht anders-sein Fokus galt seinem Freund im Nebenbett und kaum war das EKG bei dem geschrieben, kamen auch schon eine Schwester und ein Arzt mit dem sogenannten Bronchoskopieturm um die Ecke gefahren.

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    • 1. August 2015 um 06:26
    • #53

    „Herr Gerkhan, sie bekommen von uns jetzt zuerst ein betäubendes Spray in den Rachen gesprüht, das nimmt den Würgereiz und wenn das dann wirkt, werde ich mit diesem dünnen Schläuchlein“ zeigte ihm der Arzt das Instrument „in ihre Luftröhre und so weit möglich die Bronchien sehen. Auf den CT-Bildern konnte man einen Abszeß erkennen, den versuche ich aufzuspüren und zu entlasten. Sie werden immer genügend Luft bekommen, auch wenn das Fremdkörpergefühl natürlich unangenehm sein wird und auch einen Hustenreiz verursacht. Den versuchen sie bitte so weit möglich zu unterdrücken und wenn es gar nicht geht, bekommen sie etwas zur Beruhigung-nur ganz schlafen legen können wir sie leider nicht, weil sonst die Schutzreflexe ausfallen und das dann gefährlich wird, wenn wir den Abszeß finden!“ erklärte er und Semir nickte ergeben. Was sollte er auch anderes machen? Die ganzen Komplikationen, die ihm der Arzt auf der Station aufgezählt hatte, machten ihm Angst und er wollte beileibe nicht sterben, daher blieb ihm nichts anderes übrig, als zuzustimmen und nachdem man das widerlich schmeckende Xylocainspray in seinen Rachen gesprüht hatte, unterschrieb er in der Wartezeit den Aufklärungsbogen und erlaubte so dem Arzt, den Eingriff vorzunehmen.

    Er war sowieso wegen der Luftnot in halb sitzender Position, man nahm nun die Sauerstoffmaske komplett weg und ersetzte sie durch eine Sauerstoffbrille, die das rettende Gas durch seine Nase strömen ließ, löschte das Licht und die Schwester hatte inzwischen den Turm eingesteckt und an die Vakuumsaugung angeschlossen. Kurz überlegte der Arzt, ob er einen Beißschutz einlegen sollte, denn das Instrument war teuer und ein Biss zerstörte die Glasfiberbündel im Inneren, aber da sein Patient sehr kooperativ und vernünftig wirkte, verzichtete er darauf. Semir atmete ergeben ein letztes Mal tief durch und sah zu Ben hinüber, der voller Bangen das Schauspiel betrachtete, ihm aber dennoch ein aufmunterndes Lächeln schenkte und den Daumen nach oben hielt, ein Zeichen, das Semir erwiderte und dann ging es auch schon los.
    Das Zimmer war jetzt verdunkelt und der Arzt schob nun das Bronchoskop in Semir´s Mund und navigierte es an der Speiseröhre vorbei in die vorne liegende Luftröhre. Ein kurzer Würgereiz überkam den türkischen Polizisten, der dann von einem Hustenstoß abgelöst wurde, den der Arzt geschickt ausnutzte, um die sich dabei öffnenden Stimmbänder zu überwinden.
    Man sah nun auf dem Videobildschirm oben am Bronchoskopieturm, dass die Bronchien völlig gereizt und entzündet waren, vermutlich von dem ätzenden Gas. Die Wände waren von zähem Schleim bedeckt, den der Arzt nun systematisch absaugte. Er kontrollierte erst den linken Hauptbronchus und folgte den Verästelungen, so weit wie möglich, saugte weiter, was Semir manchmal fast an die Kante brachte, weil sein Körper ihm eigentlich befahl, das Ding raus zu husten und wenn er sich nicht ständig unter Kontrolle gehabt hätte, hätte er schon lange nach oben gefasst und das Endoskop aus seinem Hals gerissen. Nur sein Verstand und seine Selbstbeherrschung hielten ihn davon ab und die Intensivschwester hatte wie beiläufig nach seiner Hand gegriffen, an der er sich jetzt beinahe ein wenig fest hielt. „Gut machen sie das, Herr Gerkhan!“ flüsterte sie ihm zu und Ben hätte am liebsten auch seine Hand ausgestreckt, um seinem Freund nahe zu sein, aber sein Bett stand eindeutig zu weit weg.

    Der Pulmologe und alle anderen die am Bett standen, hatten einen dichten Mundschutz an, der auch gegen Tuberkel undurchlässig war, denn man schützte sich da einfach routinemäßig und gerade Abszesse in der Lunge konnten auch bei einer Tuberkulose vorkommen, auch wenn die Blutuntersuchungen bei Semir bisher unauffällig gewesen waren. Nun arbeitete sich der Arzt an die Stelle vor, wo der Abszess sitzen musste und je näher er kam, desto röter und geschwollener wurde die Schleimhaut und Semir´s Hustenreiz nahm zu. Man spritzte ihm jetzt Codein, ein Präparat, das den Hustenreiz dämpfte und auch dem Betäubungsmittelgesetz unterlag, denn es war ein sogenanntes Morphiumderivat und bei Süchtigen sehr beliebt, aber für Semir wurde es dadurch leichter, auch wenn das nicht richtig beruhigend wirkte. Nun sah Ben, der, obwohl es ihm selber auch noch nicht gut ging, gebannt auf den Videobildschirm starrte, wie der Arzt jetzt eine Engstelle überwand, die den Bronchus nach unten hin systematisch abgeklemmt hatte und schon entleerte sich rahmiger Eiter, den der Arzt nun absaugte. Man hatte an die Saugung oben ein Bakteriologieröhrchen angeschlossen, wo gleich eine Probe direkt hineinfloss und nachdem die Schwester das dann entgegen genommen und mit einem sterilen Stöpsel verschlossen hatte, wurde nun die Abszesshöhle systematisch mit Kochsalzlösung ausgespült. Das war zwar für Semir sehr unangenehm und er hatte inzwischen die Augen geschlossen und konzentrierte sich nur noch auf die tröstende Hand der Schwester und versuchte an Andrea und seine Kinder zu denken, aber als der Weg wieder frei war, bekam er nun plötzlich besser Luft, denn die Atemoberfläche hatte sich nun vergrößert, weil der Teil der Lunge, den der Abszess abgedichtet hatte, nun wieder belüftet wurde.
    Endlich zog der Arzt das Instrument aus ihm heraus, das Deckenlicht wurde angemacht und der Arzt sagte: „So Herr Gerkhan-sie haben es überstanden und der Eingriff war erfolgreich. Ich hoffe, dass die systemische Antibiose jetzt ihr Übriges tut und wir die Pneumonie bald im Griff haben. Nachher sollten sie noch eine spezielle Atemgymnastik machen, aber jetzt ruhen sie sich erst einmal aus. Das Sekret geht in die Bakteriologie und von denen werden wir erfahren, ob wir mit der Antibiose richtig liegen, aber das kann ein paar Tage dauern. Ich wünsche ihnen jetzt eine gute Besserung!“ und damit zog er die Schutzkleidung und den Mundschutz aus, desinfizierte seine Hände und verließ, gefolgt von der Endoskopieschwester mit ihrem Geräteturm den Raum.

    Semir wurde noch mit einem kühlen Waschlappen auf die schweissnasse Stirn versorgt und Ben bekam jetzt von der Intensivschwester noch das angekündigte Klistier, aber er beklagte sich nicht-das war sicherlich weit weniger unangenehm als das, was Semir gerade hinter sich hatte. „Und geht´s?“ wollte er nun ein wenig auf der Seite in Richtung seines Freundes liegend, wissen und der nickte, schloss aber dann die Augen und wenig später verrieten regelmäßige Atemzüge, dass er eingeschlafen war.

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    • 4. August 2015 um 08:11
    • #54

    Ben lauschte in sich hinein. Er hatte immer noch Bauchschmerzen und wartete eigentlich auf das Rumoren, das eine Entleerung ankündigte, aber nichts rührte sich. Nach einer halben Stunde kam die Schwester und fragte leise, um Semir nicht zu wecken, ob er denn nicht langsam auf die Toilette müsste, aber er konnte nur verneinend den Kopf schütteln. Trotzdem setzte sie ihn vorsichtshalber auf die Schüssel, aber ohne Erfolg. Kaum war er wieder drunten und ebenfalls in einen leichten Dämmerschlaf gefallen, da standen plötzlich die beiden Unfallchirurgen, die ihn operiert hatten vor ihm.
    „Hallo Herr Jäger-wie geht es ihnen?“ wollten sie wissen und der dunkelhaarige Polizist riss erschrocken die Augen auf. Auch Semir war wach geworden, der sich aber schon viel besser fühlte. „Ich weiss nicht!“ antwortete Ben und beschloss, diesmal die Augen fest geschlossen zu halten, denn der Anblick der Wunden hatte sich tief in sein Gedächtnis gebrannt und er hatte Angst davor, sich das ein zweites Mal anzusehen. Außerdem war ihm sowieso schon schlecht und wenn er jetzt da nochmals hin schaute, würde ihm vermutlich das große Kotzen kommen. Also presste er nun tatsächlich die Augen zu und als die beiden Chirurgen nun gemeinsam die Tücher weg nahmen, stöhnte er auf, denn die waren teilweise angeklebt und während einer der Ärzte das Bein hielt, löste der andere den Verband von dem Gewebe ab, was sich anfühlte, als würde er die Haut mit entfernen. „Ab sofort halten wir die Wunde mit Ringerlösung feucht!“ ordnete der Mediziner an und seine betreuende Schwester, die mit frischen sterilen Tüchern bereit stand, nickte.

    „Ansonsten sieht es gut aus, Herr Jäger, das Gewebe ist rosig und gut durchblutet, zumindest hier am Bein-den Arm kontrollieren wir noch. Ich sehe keine Entzündungszeichen und die Schwellung hat ebenfalls bereits nachgelassen, ich denke, dass wir morgen damit beginnen können, die Wundränder täglich ein wenig zu adaptieren. Wir haben nämlich hier einige dicke Fäden angebracht, damit wir wissen, wie Haut an Haut gehört und wenn wir die nun jeden Tag ein wenig einander näher bringen, können wir vielleicht eine Hauttransplantation zur Deckung vermeiden, aber das werden wir sehen.“ referierte er und Ben hatte nun doch einen vorsichtigen Blick unter halb geschlossenen Lidern hervor riskiert, was er sofort wieder bereute. Verdammt-es sah immer noch genau so schlimm aus, wie er es in Erinnerung hatte und er konnte zwar neben der Wunde die dicken schwarzen Fäden, von denen der Arzt gesprochen hatte, erkennen, aber das half ihm auch nichts, denn nun war ihm wirklich nur noch schlecht, was er auch zwischen den zusammen gepressten Lippen hervor stieß. Die Schwester hielt ihm erst eine Schale vor und er würgte ergebnislos, während die beiden Ärzte nun die frischen sterilen Einmaltücher um das komplette Bein schlangen und diese gleich mit der keimfreien Spüllösung aus der Flasche, die ebenfalls bereit stand, befeuchteten. Die Schwester ließ kurz die Schale los und legte wasserabweisende Einmaltücher unter, damit das Bett nicht beschmutzt wurde und dann kam Ben´s Bein wieder auf das Lagerungskissen, damit die Gewebeflüssigkeit ablaufen konnte.

    Er würgte derweil weiter und schnell griff die Schwester, die sich gerade mindestens vier Hände wünschte, wieder mit ihren behandschuhten Händen nach der Schale. „Durch die Nase ein- und durch den Mund ausatmen!“ versuchte sie Ben abzulenken, damit er sich auf seine Atmung und nicht auf den Verbandwechsel konzentrierte, aber dem war nur noch hundeelend und er hyperventilierte, während die beiden Chirurgen nun noch den Verband am Arm erneuerten, was ihm zusätzliche Schmerzen bereitete. Die Schwester gab ihm einen Opiatbolus, woraufhin es ihm noch mehr übel wurde, sein Kreislauf rebellierte und als die Chirurgen nun das Zimmer verließen-die nächste OP wartete- überlegte sie schon, nach ihren Kollegen zu rufen, damit die ihr ein Medikament brachten, aber die holten gerade zu zweit einen Patienten aus dem OP und der dritte Kollege legte mit dem Stationsarzt einen ZVK, wie sie wusste.

    Da ertönte Semir´s Stimme aus dem Nebenbett, der die Situation und die gehetzten Blicke der Pflegekraft richtig einschätzte. „Schwester-fahren sie mein Bett neben das meines Freundes, ich werde ihn beruhigen und ihm beistehen!“ bat er und nach einem Blick auf ihren jungen Patienten, der nun kalt schwitzte und dessen Hände sich wegen der schnellen flachen Atmung schon zu verkrampfen begannen, pfiff die Schwester auf die Hygienevorschriften, stellte die Schale einen Moment weg und tat, um was Semir sie gebeten hatte. Die Kabel waren lang genug, ihr zweiter Patient war relativ stabil, auch wenn er nachher noch eine Arterie bekommen würde und auch noch Sauerstoff brauchte, aber die Leitungen reichten alle weit genug und so fühlte wenig später Ben, in dessen Kopf es zu brausen begonnen hatte und der gerade dabei war, sich in eine Panikattacke hinein zu steigern, die beruhigende Berührung Semir´s und der sprach mit fester, ruhiger Stimme zu ihm, auf die er sich jetzt konzentrierte und bereits bevor die Schwester mit dem Dimenhydrat-einem zentral wirksamen Medikament gegen die Übelkeit, auch bekannt als Vomex, das auch sedierend wirkte- zurück kam, war er ein wenig ruhiger geworden und seine Hände hatten begonnen, sich wieder zu entkrampfen. Er bekam nun noch das Medikament und jetzt fielen ihm die Augen zu, die Übelkeit ließ nach und die Schwester atmete auf, als sich die Werte am Monitor wieder normalisierten. „Danke Herr Gerkhan!“ flüsterte sie und Semir nickte lächelnd, der immer noch seinen Freund beruhigend berührte und ihm Nähe signalisierte. „Schon in Ordnung-ich denke sie können uns jetzt alleine lassen!“ flüsterte er zurück und als sie sah, dass Ben jetzt endgültig eingeschlafen war, machte sie das und eilte nach draußen, um ihren Kollegen bei der Versorgung des Neuzugangs zu helfen.

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    • 5. August 2015 um 07:56
    • #55

    Sarah war auch wieder hoch gelaufen, aber als sie sah, dass Ben in einem neuen Zimmer schlief, Semir´s Bett direkt neben dem seinen stand und der seine Hand hielt, überzog ein Lächeln ihr Gesicht. Ihre Kollegen hatten ihr Bescheid gesagt, dass Semir auf die Intensiv verlegt worden war, ohne dass sie eine Diagnose wusste und als Semir ihr nun leise erzählte, dass er bronchoskopiert und ein Abszess eröffnet worden war, erschrak sie bis ins Mark. „Mensch Semir-pass bloß auf dich auf und schon dich-sowas kann übel ausgehen!“ sagte sie betroffen und konstatierte gerührt, dass er sich trotz seiner selber sicher nicht fabelhaften Verfassung, so intensiv um Ben kümmerte. „Bei dem waren die Chirurgen da und er kann anscheinend den Anblick seiner Wunden immer noch nicht ertragen-auf jeden Fall war ihm ziemlich schlecht beim Verbandwechsel und er hat ein wenig meinen Zuspruch gebraucht!“ erzählte er und Sarah seufzte auf. Oh je, das würde noch was werden. Sie wusste, dass es starker Nerven bedurfte, so eine Fasziotomiewunde anzusehen und wenn es vielleicht jetzt auch nicht mehr so mega schmerzhaft war, wie vorher, aber das würde noch eine ganze Weile übel aussehen, da würde er sich daran gewöhnen müssen. Wenn er wach gewesen wäre, hätte sie ihm von einer weiteren Untersuchung von Mia-Sophie erzählt, die vorher gelaufen war und die wieder bewiesen hatte, dass mit ihr wenigstens alles in Ordnung war, aber so strich sie ihm nur kurz liebevoll übers Haar, was er aber gar nicht bemerkte und ging dann zurück auf ihr Zimmer zum Mittagessen.

    Nun kam der Arzt zu Semir, sein Bett wurde wieder auf seinen normalen Platz zurück gefahren und er bekam nun einen arteriellen Zugang in den Unterarm gelegt, damit man die Blutgase und auch den Blutdruck kontrollieren konnte. Wie das aussah und funktionierte, wusste Semir schon von seinem Freund, allerdings war das schon mehr als unangenehm, als der Arzt ein wenig in ihm herum bohrte, bis er grün vermummt endlich die Radialisarterie punktiert hatte und danach das Schläuchlein verklebt war. Wenn Semir allerdings daran dachte, wie weh dagegen Ben´s riesige Wundflächen tun mussten, schwieg er still-er war ja auch kein Pimpel und konnte schon was aushalten, außerdem war die Bronchoskopie wesentlich unangenehmer gewesen! Danach schnallte man ihm eine Nasenmaske auf, mit der er eine effektive Atemgymnastik mit einem speziellen Beatmungsgerät machen musste und während er die Luft konzentriert mit Druck in sich hineinströmen ließ, hörte er, wie Ben erwachte und die angebotene Suppe ablehnte. Das war merkwürdig, denn normalerweise war es die größte Angst seines Freundes, er könne verhungern und deshalb war er ständig am Futtern. Ihm selber hatte man erklärt, dass er vorläufig nichts zu essen bekommen würde und nur in kleinen Schlucken Wasser trinken dürfe, denn erstens wusste man nicht, wie die Pneumonie sich entwickeln würde und ob man nicht doch noch intubieren musste und außerdem war der Rachen auch noch von dem Spray betäubt, ein Verschlucken war also vorprogrammiert. So atmete Semir brav durch die Nase ein und aus, wie man ihn angewiesen hatte und hoffte, dass sich die Werte bald besserten und er wieder auf Normalstation, oder besser noch heim durfte.

    Nachmittags kam Andrea, die seit dem Anruf des Arztes am Morgen voller Sorge war, der man aber gesagt hatte, dass ein Besuch wegen der anstehenden Behandlungen erst später sinnvoll war. Sie hatte die Kinder bei einer Freundin untergebracht, denn die durften ja nicht mit auf die Intensiv, was bei beiden Tränen gekostet hatte, weil sie sich morgens noch unterhalten hatten, dass der Papa heute heim kommen würde und jetzt war plötzlich wieder alles ganz anders. „Was machst denn du für Sachen!“ sagte sie liebevoll und küsste Semir auf die Stirn. „Das wird schon wieder!“ sagte er tapfer und so lange Besuch da war, nahm die Schwester, die schon mehrfach die Blutgase kontrolliert hatte, die Maske ab. „Aber nachher geht’s weiter, Herr Gerkhan!“ ermahnte sie ihn und Semir nickte.
    Andrea war auch kurz an Ben´s Bett getreten, aber obwohl der kein Schlafmittel mehr hatte, lag der blass und teilnahmslos in seinen Kissen, hatte kleine Schweissperlen auf der Stirn und auch Andrea fühlte, dass er noch nicht über dem Berg war. Er bekam regelmäßig Schmerzmittel und das Antibiotikum, aber die OP hatte ihn wohl sehr mitgenommen, was ja doch verständlich war. Trotzdem lächelte er kurz, als sie ihm über den Arm strich, sagte leise und mit schwacher Stimme „Hallo!“ um dann die Augen wieder zu schließen und weiter vor sich hin zu dämmern. Sein Bauch tat weh, aber das war ja auch kein Wunder nach dieser ganzen Sache-er hatte sicher Sodbrennen, aber mit den Opiaten war das erträglich und so sagte er niemandem etwas davon-auch Semir hatte ja genügend mit sich selber zu tun!

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    • 6. August 2015 um 19:11
    • #56

    Sarah hatte nachmittags ziemlich viel Besuch, ihre Geschwister waren mit den Kindern vorbei gekommen, was einen ziemlichen Trubel verursacht hatte und auch Tim war lange da gewesen, weil Hildegard etwas erledigen musste, wo sie ihn nicht mitnehmen konnte und so war sie abends ziemlich erschossen und sah nur noch kurz bei Ben vorbei, der sowieso schon vor sich hin schlief. Er hatte immer mal wieder ein Schmerzmittel verlangt und die betreuende Schwester fand das wegen der riesigen Wundflächen durchaus normal und vertretbar, dass er da sofort etwas bekam. Und wenn er dadurch dann eben vermehrt müde war, war es auch egal-immerhin regenerierte sich der Körper im Schlaf und sie hatte ehrlich gesagt immer noch ein schlechtes Gewissen, weil sie sich den Anordnungen des Chefarztes gebeugt hatte und bevor das Kompartmentsyndrom festgestellt worden war, bei ihm mit Opiaten gegeizt hatte, was ihn sicher vor Schmerzen beinahe hatte wahnsinnig werden lassen..

    Semir machte fleißig Atemgymnastik und auch wenn das auf Dauer ziemlich anstrengend war, er würde alles tun, was die Ärzte anordneten, nur damit er bald wieder hier raus kam. Als Besucher war so eine Intensivstation schon recht, aber nicht als Patient! Abends ließ man ihn zum frisch machen kurz in die Dusche-allerdings mit Sauerstoff- aber er fühlte sich danach doch wieder besser und weniger verschwitzt. Im Vorbeigehen strich er kurz über Ben´s Schulter, der ein letztes Mal vor der Nacht gebettet und ebenfalls frisch gemacht worden war. Er wollte immer noch nichts essen und nicht einmal einen Schluck trinken und dämmerte die ganze Zeit nur vor sich hin, aber Semir wusste nicht wie er so daliegen würde, wenn er in dessen Haut steckte. So ein Stromunfall mit anschließender Reanimation war schließlich kein Zuckerlecken und sie konnten froh sein, dass er bei Sinnen war und seine Kinder selber aufziehen konnte und so wie es aussah auch mit zwei gesunden Händen und Füßen, wenn man den Ärzten Glauben schenken durfte, die das ziemlich gelassen sahen.

    So wurde es Nacht und Semir konnte heute sogar gut einschlafen, aber die letzte Nacht war für ihn einfach furchtbar anstrengend gewesen und die Behandlung und der ganze darauffolgende Tag nicht weniger. Ab und zu hörte er im Unterbewusstsein wie Ben leise stöhnte, aber der Schlaf umfing ihn wie Blei und er schaffte es fast nicht, seine Augen zu öffnen. Auch hatte er immer noch Fieber und war schwach, obwohl der Abszeß ja ausgeräumt war, aber die Lungenentzündung machte ihm trotzdem zu schaffen und so schlief Semir dann doch wieder weg, während Ben´s Herzfrequenz allmählich anstieg und sein Blutdruck sank.
    Die Schwestern hatten in der Nacht ziemlich viel Arbeit-ein Patient wurde mehrmals reanimiert und verstarb dann letztendlich doch und so fielen die Veränderungen, die ja langsam und schleichend kamen nicht so sehr auf. In den frühen Morgenstunden gellte plötzlich ein schriller Alarm von Ben´s Betttplatz und Semir stand sozusagen senkrecht im Bett, während die Schwestern ihre andere Arbeit unterbrachen und sofort zu ihrem jungen Patienten rannten, der plötzlich drucklos war und aschfahl bewusstlos in seinem Bett lag.

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    • 7. August 2015 um 08:12
    • #57

    Semir starrte entsetzt zum Nachbarbett, während sich das Zimmer plötzlich mit Schwestern füllte und dann auch der hinzu gerufene Arzt dazu kam. Man hatte zunächst die Decke weg gerissen, das Bett in Kopftieflage gebracht und versuchte herauszufinden, warum der Blutdruck des jungen Polizisten plötzlich lebensbedrohlich abgesackt war. Sein Herz schlug zwar noch, aber es jagte mit einer Frequenz um die 200 vor sich hin. Der Notfallwagen wurde gebracht und der Arzt ordnete zunächst einmal einen Liter Infusion im Schuss an und eine Ampulle Akrinor, was die Gefäße dazu bringen sollte, sich eng zu stellen, damit der Körper wieder einen Blutdruck aufbauen und die lebenswichtigen Organe, allen voran das Gehirn, mit Sauerstoff versorgen konnte. Kaum war das Medikament gespritzt, begann der Blutdruck wenigstens ein bisschen anzusteigen und Ben fing an sich ein wenig zu regen, was Semir mit Erleichterung erfüllte. Immerhin lebte er also noch, denn ansonsten war Semir´s Blick zum Bett seines Freundes von dem ganzen medizinischen Personal verstellt. Der Arzt zog nun Ben´s Augenlider nacheinander nach unten und prüfte die Pupillenreflexe, die Gott sei Dank in Ordnung waren.

    „Herr Jäger-sehen sie mich an!“ sagte er laut und im Befehlston und tatsächlich-obwohl ihm immer noch total schwindlig war, schaffte es Ben seine Augen bewusst zu öffnen und den Arzt verwundert an zu schauen. Dann zog er allerdings die Beine ein wenig an den Leib und fasste unbewusst nach seiner Körpermitte, wo ein entsetzlicher Schmerz tobte. Der Arzt hatte mit routiniertem Blick die Bewegung erfasst und fragte: „Darf ich mal?“ während er ohne eine Antwort auf die eher rhetorische Frage zu erwarten, nun den Bauch seines Patienten betastete und den so zum Aufstöhnen brachte. „Bring mir bitte jemand das Ultraschallgerät!“ bat der Arzt jetzt das Pflegepersonal und wenig später stand das Gerät im Zimmer. „Seit wann haben sie solche Bauchschmerzen?“ fragte der Arzt nun in strengem Ton, denn Ben war schon wieder dabei abzudriften, denn erneut sank der Druck, weil die Wirkung des Akrinors nachließ. „Ich weiss nicht!“ murmelte Ben, bevor er wieder die Augen verdrehte. „Hängt bitte Noradrenalin an und er braucht Volumen, viel Volumen!“ sagte der Arzt und die Schwestern stellten alle Infusionen bis auf die Trägerlösung für das Adrenalin so schnell wie möglich. Eilig hatte man einen Perfusor mit dem lebensrettenden Medikament aufgezogen und angehängt und gerade kontrollierte der Arzt mit dem Sonographiegerät Ben´s Bauchraum, da kam der wieder zu sich. Semir konnte gerade einen Blick auf das käsebleiche, Schweiss überströmte Gesicht seines Freundes erhaschen, dessen dunkles Haar feucht an seinem Kopf klebte, da jammerte der wieder auf und versuchte den Schallkopf von seinem Bauch weg zu schieben, der ihm solche Pein bereitete, denn so ganz orientiert war er gerade nicht. „Halt mal einer die Hände fest, ich muss mir einen Überblick verschaffen!“ sagte der Doktor und eine Schwester drückte nun Ben´s Hände nach unten, während der geübte Untersucher das graue Gewaber auf dem Bildschirm gebannt betrachtete.

    „Verdammt-wir haben eine Perforation übersehen, im Bauch ist viel freie Flüssigkeit-ich werde sofort die Chirurgen verständigen!“ fluchte der Arzt verhalten und Semir gefror nun beinahe das Blut in den Adern, als er das hörte. „Ist das schlimm?“ stotterte er fragend und nach kurzer Überlegung antwortete der Arzt: „Sogar sehr schlimm-ich hoffe, dass wir ihn retten können!“ und dann lief auch schon die Maschinerie an, die vielleicht Ben helfen konnte.
    Der Chirurg , der Bereitschaftsdienst hatte, war aus dem Ruheraum geholt worden und stand Minuten später neben dem Bett. Auch er fasste nur kurz auf Ben´s bretthart gespannten Bauch und rief dann sofort im OP an: „Bitte alles für eine Notfalllaparoskopie vorbereiten-vielleicht müssen wir den Bauch auch aufmachen, aber erst einmal versuchen wir es so!“ sagte er dem diensthabenden OP-Koordinator, der sofort einen freien Saal mit dem zugehörigen Personal reservierte. Ein Anästhesist schleuste sich ein, ein chirurgischer Assistent und nachdem eine Patientenaufklärung in dessen Zustand sinnlos war, verzichtete man darauf und schob ihn eilig mit den notwendigen Infusionen, Perfusoren, Sauerstoff und dem Transportmonitor Richtung OP.
    Als man an Semir´s Bett vorbei fuhr, der völlig panisch auf seinen Freund sah und nun selber vor Aufregung wieder Atemnot verspürte, streckte er die Hand aus und berührte Ben am Arm. „Machs gut Mann-du schaffst es!“ sagte er mit Tränen in den Augen und als man Ben nun weiter fuhr, formulierte der mühsam die Worte, die ihm wichtig waren: „Pass mir auf Sarah und die Kinder auf, falls ich es nicht überlebe!“ bat er, während er seinen Kopf nun wieder zurück sinken ließ, den er kurz unter Schmerzen angehoben hatte und als das Bett nun um die Ecke gefahren wurde, hatte Semir Mühe damit, seine Tränen im Zaum zu halten. „Mach ich Ben-mach ich!“ flüsterte er und hoffte, dass er aus diesem Alptraum bald aufwachen würde.

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    • 8. August 2015 um 08:55
    • #58

    Ben hatte Angst-und zwar eine furchtbare Angst zu sterben. Nicht nur wegen sich, sondern auch wegen seiner Frau und der Kinder. Er wollte nicht, dass Sarah nun plötzlich alleine da stand. Mia-Sophie und nach einer Weile vermutlich auch Tim würden sich nicht mehr an ihn erinnern können und es war einfach nicht richtig, wenn man seine Familie im Stich ließ, daher beschloss er mit aller Kraft um sein Leben zu kämpfen, obwohl er sich einfach schrecklich fühlte. Wie im Traum fuhr das Bett um mehrere Ecken, grüne Türen öffneten sich lautlos und automatisch und bis er sich versah, wurde das Bett neben dem Schleusenband arretiert. Er wollte mithelfen, um sich dort hinüber zu legen, aber seine betreuende Schwester sagte zu ihm: „Ganz ruhig liegen bleiben, Herr Jäger-wir machen das schon!“ und so ließ er es geschehen und wie erst wenige Tage vorher wurde er wieder mit allen Perfusoren auf den OP-Tisch transferiert, in die grün geflieste Einleitung gebracht und ein älterer Anästhesist mit gütigen Augen sagte: „Ich lasse sie jetzt schlafen und werde gut auf sie aufpassen!“ und noch während er nickte, fielen Ben´s Augen zu und er wusste nichts mehr.

    Erneut intubierte man ihn problemlos, aber sein Blutdruck sackte durch die Wirkung des Narkotikums nochmals ziemlich ab, so dass man das Noradrenalin steigern musste. Die freie Infusion tropfte so schnell das Lumen des ZVK das zuließ und der Anästhesist beeilte sich, Ben ans Narkosegerät zu hängen, denn die Gase gingen nicht so stark auf den Kreislauf, wie die intravenösen Narkotika. Trotzdem betrachtete er sorgenvoll die fahle Blässe und den kalten Schweissfilm auf der Haut seines Patienten. Mit all seiner Erfahrung-er hatte es im Gefühl, dass ihnen allen jetzt ein harter Kampf um das Leben des jungen Mannes bevor stand. Schnell legte er noch eine Magensonde, denn bei laparoskopischen Eingriffen mussten Magen und Blase leer sein und als man die Sonde nach der Lagekontrolle ansaugte, kam nur sehr wenig Magensaft, dafür aber ein bisschen Blut. „Ich denke ich weiss, woher die freie Flüssigkeit kommt!“ flüsterte er und die beiden Operateure, die sich inzwischen steril gewaschen hatten und gerade von der OP-Schwester angezogen wurden, nickten sorgenvoll, als sie den Inhalt des Saugers sahen. „Verdammter Mist-warum haben wir das nicht eher bemerkt?“ fragte der eine der beiden, aber er erntete nicht mehr als ein Schulterzucken-das herauszufinden war müßig, oder zumindest half es diesem Patienten kein bisschen-allerdings würde man das später aufarbeiten und mittels CIRS, eines klinischen anonymisierten Meldeverfahrens allen Kliniken die angeschlossen waren und das waren weltweit eine ganze Menge, den Fehler präsentieren, um so etwas in Zukunft vielleicht zu vermeiden.

    Das OP-Personal arbeitete routiniert Hand in Hand und so lag Ben wenig später fixiert auf dem Tisch, die Körpermitte ein wenig aufgeklappt, indem man das Kopf-und das Fußteil abgesenkt hatte und der eine der Operateure hatte ihn dreimal von den Brustwarzen bis zur Mitte der Oberschenkel und seitlich bis über die Mittellinie mit dem grell orangen Desinfektionsmittel abgestrichen. Man strich so weit, dass man notfalls ohne erneutes Desinfizieren den Bauch eröffnen konnte, falls es nicht mit der Laparoskopie alleine ging. Der Patient war unheimlich kreislaufinstabil und der Narkosearzt bemühte sich, ihm möglichst viel Volumen zukommen zu lassen, denn noch war nicht klar, aus welchem Grund sein Kreislauf vorhin zusammen gebrochen war. War es ein Volumenmangelschock, oder ein septisches Kreislaufversagen, aber das würde man bald erfahren. Nun deckte man grüne Einmaltücher über ihn, so dass nur ein kleiner Teil des gut bemuskelten Bauchs rund um den Nabel zu sehen war und dann ließ sich der Operateur das Skalpell anreichen, der Assistent bewaffnete sich mit einer Pinzette und Kompressen und die Operation begann.
    Ein kleiner Schnitt wurde direkt am Nabel gemacht und dann ließ sich der Chirurg den Trokar anreichen. Er fasste fest eine Falte an Ben´s straffem Bauch, was gar nicht so einfach war, aber der Anästhesist verabreichte ihm jetzt noch ein Muskelrelaxans und wenig später erschlaffte die Muskulatur und der scharfe Spieß bohrte sich durch die Muskelschicht und das Bauchfell. Als der letzte Widerstand nachließ, zog der Operateur rasch das scharfe Innere des Spießes heraus und ersetzte es mit einer Optik, allerdings floss nun schon, kaum dass der Bauchraum eröffnet war, eine schmutzige, übel riechende Soße heraus, die der Assistent sich nun bemühte abzusaugen. „Bitte gleich eine Probe in die Bakteriologie!“ bat der Operateur und so wurden Abstriche gewonnen und erst danach verdunkelte man das Licht und sah nun nur noch über den Videobildschirm in das Innere des Patienten. Schnell machte man am Unterbauch noch zwei kleine Schnittchen und führte darüber die Arbeitsgeräte ein, was man nun gefahrlos unter Sicht machen konnte, denn man konnte nun Ben´s innere Organe, soweit sie innerhalb des Bauchraums lagen, inspizieren, aber binnen Kurzem war klar, wo das Problem lag-Ben hatte eine Magenperforation und vermutlich war schon seit einigen Tagen scharfer Magensaft in sein Inneres geflossen, hatte eine schwere Peritonitis verursacht und auch das Netz und Fettgewebe angeätzt. „Verdammt-das war doch ein Stromunfall-da kann es immer zur Perforation von Hohlorganen kommen, warum hat man das denn übersehen?“ fragte der Assistent, aber der Chirurg und der Narkosearzt starteten einen Erklärungsversuch.

    „Als der Patient eingeliefert wurde war er ja gerade reanimiert worden und beatmet. Da hat man freilich im Notfall-CT und im Ultraschall den Bauch angesehen, aber das winzige Löchlein war da noch nicht zu entdecken. So ist da eben jeden Tag mehr und mehr Magensaft ausgelaufen, vielleicht hatte sich auch zunächst ein Stück Netz über die Perforationsstelle, die ja nun wirklich nicht groß ist, gelegt. Er hatte zwar sicher Schmerzen, aber durch das Kompartmentsyndrom waren eben andere Schmerzen weit schlimmer, so dass er das auch nach der Extubation niemand gesagt hat. Freilich hätte man, wenn man ihn täglich gründlich von Kopf bis Fuß durch untersucht hätte, eine Abwehrspannung im Bauch feststellen müssen, aber das wurde wohl versäumt. Jetzt hat der Körper mit Exsudatbildung und einer Verschiebung der Flüssigkeit in den Bauchraum reagiert-wenn wir Glück haben wird er uns nicht komplett septisch, aber wir können jetzt eigentlich nichts weiter tun, als die Perforationsstelle zu übernähen, den Bauch zu spülen und dann eine kleine Vakuumpumpe anzuhängen, die das Sekret absaugt, das sich sicher weiter bildet, als Entzündungsreaktion. Im Augenblick halte ich es für unnötig den Bauch komplett aufzumachen und morgen oder übermorgen müssen wir sowieso den Schwamm wechseln, dann sehen wir uns das Ganze nochmals an!“ beschrieb der Chirurg sein weiteres Vorgehen und der Narkosearzt presste so schnell es ging, einen Liter Flüssigkeit nach dem anderen in seinen Patienten. Der Darm stand durch die peritoneale Reizung natürlich auch total still-jetzt war auch klar, warum das Klistier keine Wirkung gezeigt hatte, obwohl der Darm durchaus gefüllt war, wie man von außen sehen konnte.

    Der Operateur ließ sich Nadel und Faden anreichen, fasste die geschickt mit einem Fasszängchen, das durch Ben´s Unterbauch in sein Inneres ragte und während der Assistent die Optik festhielt, packte der Operateur mit dem zweiten langen Instrument das Gewebe und begann eine saubere Naht über das Loch im Magen zu legen. Ja die Routine in den endoskopischen Techniken machte heute viele ausgedehnte Operationen unnötig, man vermied große Bauchschnitte und die Patienten waren schneller wieder fit. Zuletzt wurde noch ein Scherchen durch den Arbeitskanal geschoben, mit dem man die Fadenenden abschnitt und dann spülte der Chirurg mit fast zehn Litern Ringerlösung den kompletten Bauch und der Assistent saugte ab, damit die schädigende Säure und die Bakterien momentan weg waren. Man sah Fibrinbeläge am Bauchfell, als Zeichen, dass der Prozess schon einige Tage ging und zu guter Letzt verschloss der Chirurg zunächst die beiden Arbeitskanäle am Unterbauch mit feinen Nähten und dann legte er einen speziellen Silberschwamm, der passgenau zugeschnitten wurde in Ben´s Nabelwunde. Darüber kam eine dichte Spezialfolie, worin ein Loch geschnitten wurde und auf das die Absaugung aufgeklebt wurde. Die angeschlossene Vakuumpumpe nahm ihre Arbeit auf und mit einem Sog von 120 mm/Hg zog sie die Flüssigkeit aus dem Patienten kontinuierlich in das 800ml-Gefäß der Pumpe. Der Silberschwamm zog sich der Körperform angepasst zusammen und so sah man von außen kaum mehr etwas von dem schlimmen Befund im Bauch des Patienten.
    „Sollen wir ihn nachbeatmen, oder wach werden lassen?“ fragte der Anästhesist den Operateur. „Gut-er muss zwar morgen oder übermorgen bereits wieder in den OP, je nach Exsudatmenge, aber bisher hat er pulmonal meines Wissens keine Schwierigkeiten gemacht-lass ihn doch wach werden!“ überlegte der Chirurg und der Anästhesist nickte. Er nahm sein Gas raus und wartete, bis allmählich Ben´s Eigenatmung einsetzte. So schlug wenig später ein noch sehr müder, immer noch instabiler, aber immerhin lebender Ben die Augen auf und ließ sich ohne Gegenwehr den Tubus aus dem Hals ziehen.

    „Die Magensonde bleibt als Drainage auf Ablauf, wegen der Peritonitis und dem paralytischen Ileus können wir ihn sowieso nicht ernähren, er kommt jetzt zurück auf die Intensiv und wir hoffen, dass die Kollegen gut auf ihn aufpassen!“ sagte der Chirurg, der sich schon ausgezogen und die Hände erneut desinfiziert hatte. So wurde die Intensiv zur Abholung angerufen und wenig später fuhr ein noch benommener Ben zurück in sein Zimmer.

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    • 9. August 2015 um 13:17
    • #59

    Sarah hatte fest geschlafen, als ihre Kollegin, die Nachtdienst hatte, mit ernstem Gesichtsausdruck ins Zimmer kam. Es war gerade mal vier Uhr und Sarah dachte eigentlich, das vielleicht Mia-Sophie schon wieder Hunger hatte, obwohl sie die eigentlich zwei Stunden vorher erst gestillt hatte, aber dann wurde sie kreidebleich, als sie hörte, was die Kollegin ihr zu sagen hatte. „Sarah, deinem Mann geht es schlecht-der wird gerade notoperiert, sie haben freie Flüssigkeit in seinem Bauch entdeckt!“ informierte die sie und nach Sarah´s Herz griff eine eiskalte Hand. „Um Himmels Willen-ich muss sofort rauf!“ flüsterte sie, stand auf , ging noch kurz ins Bad und zog sich ein Shirt und Leggins an. „Sagst du mir Bescheid wenn meine Kleine Hunger kriegt?“ bat sie dann die Schwester und machte sich danach voller Bangen auf den Weg durch die um diese Zeit menschenleeren Gänge des Krankenhauses, nach oben auf die Intensiv.

    Als sie bei Semir im Zimmer ankam, dessen verzweifelten Gesichtsausdruck sah und auf den leeren Bettplatz blickte, wurde sie nochmals panischer. Oh mein Gott-was war nur geschehen? Mit wenigen Schritten war sie an dessen Bett und fragte: „Was ist passiert?“ und ihr Freund berichtete ihr vom Kreislaufzusammenbruch, der nachfolgenden Untersuchung und jetzt der Fahrt in den OP. Allerdings verschwieg ihr Semir, um was sein Freund ihn gebeten hatte. Sarah war eh schon fix und fertig, wenn sie jetzt noch hörte, was Ben ihm aufgetragen hatte, dann würde sie den Mut verlieren und so begann für die beiden ein banges Warten. Sarah war noch kurz zu ihren Kollegen gegangen, aber die hatten ihr auch nicht mehr sagen können als Semir und so stellten die ihr einen bequemen weichen Stuhl ins Zimmer und mit zitternden Knien nahm Sarah Platz. Bei Semir war die Sättigung auch wieder schlechter und gerade als Sarah deswegen reagieren wollte, kam schon ihre Kollegin, die gerade den letzten Morgendurchgang machte und schnallte ihm das CPAP wieder aufs Gesicht. „Herr Gerkhan, sie sollten noch ein wenig Atemgymnastik machen!“ sagte sie freundlich und irgendwie war Semir froh darüber, denn auch wenn das anstrengend war, er merkte, wie er dadurch deutlich weniger Atemnot hatte.

    Endlich ging die Tür auf und ein noch halb schlafender Ben wurde herein gefahren. Sarah sprang auf und musste sich im selben Moment festhalten, denn so stabil war ihr Kreislauf noch nicht. Der abholende Arzt sagte mit einem Seitenblick auf Sarah, denn er wusste genau, welche Fragen jetzt auf ihn herein prasseln würden: „Er hatte eine Magenperforation die laparoskopisch übernäht wurde, dazu eine heftige Peritonitis und deshalb hat er einen VAC-Verband. Er ist zwar kreislaufinstabil, aber sie haben ihn trotzdem extubiert. Gib uns ein wenig Zeit, um ihn zu stabilisieren, dann kannst du an seinem Bett sitzen und Händchen halten!“ fasste er in Kürze zusammen, was Sarah jetzt am Meisten interessierte.
    Nun schellte auch noch das Stationstelefon und wenig später streckte eine andere Schwester, die aktuell die übrigen Patienten versorgte, den Kopf zur Tür herein. „Sarah, die Entbindungsstation hat angerufen-da ist anscheinend jemand dem Hungertod nahe-ich habe eure Kleine durchs Telefon brüllen hören!“ richtete sie aus und nun machte sich Sarah zwar schweren Herzens, aber doch vernünftig auf den Weg nach unten zum Stillen. „Ich komme dann gleich wieder hoch!“ versprach sie und gab im Vorbeigehen Ben, der noch nicht so ganz bei sich war und jetzt heftig zu Zittern begonnen hatte, einen Kuss auf die schweißfeuchte Stirn. „Ich bin gleich wieder da!“ flüsterte sie und der Stationsarzt, der gerade zum Stethoskop gegriffen hatte, lächelte ihr aufmunternd zu. „Wir werden ihn jetzt versorgen, wie du es nicht besser könntest!“ sagte er beruhigend und nun beeilte Sarah sich, schnellstmöglich nach unten zu kommen. Klar vertraute sie ihren Kollegen, aber lieber wäre sie dabei geblieben, allerdings wäre es ein Blödsinn Mia-Sophie nur aus diesem Grund ein Fläschchen zu geben-in einer halben Stunde wäre sie wieder da und derweil war sie durchaus der Meinung, ihre Kollegen könnten auf Ben aufpassen-außerdem war Semir ja auch noch da!

    Ben lag derweil schlotternd in seinem Bett. Man hatte für einen Augenblick alle Decken weg genommen, denn das Fachpersonal musste sich einen Überblick verschaffen und dokumentieren, was es sah, aber Ben fühlte sich einfach massiv schlecht. Ihm war schwindlig und kalt, er zitterte, hatte Schmerzen und mit einem Rest Bewusstsein genierte er sich auch noch, als so viele Blicke auf ihm ruhten. Sarah hatte ihn auf die Stirn geküsst, aber wo war die jetzt und was war eigentlich los? Und Semir? Wo steckte Semir? Der war doch vorhin neben ihm gelegen, dann war er in den OP gekommen, aber jetzt kannte er sich gar nicht mehr aus! Der Arzt hatte irgendetwas von Magen gesagt, aber er kapierte nicht richtig was der Sarah erklärt hatte, zu sehr hing ihm die Narkose noch in den Gliedern. Nach einem kurzen Moment wurde er wieder zugedeckt, er fühlte beruhigende Griffe an seinem Körper, jemand sprach mit ihm, ohne dass er die Worte so richtig verstehen konnte, das leise Summen einer Pumpe drang in sein Bewusstsein, ihm war übel und schon wieder steckte so eine blöde Magensonde in seiner Nase.

    Routiniert hatte der Stationsarzt ihn abgehört, die Schwester hatte Blut aus dem arteriellen Zugang abgenommen, die Infusionen waren jetzt wieder umgehängt und langsam beruhigte er sich ein wenig, obwohl er jetzt wegen der Schmerzen laut stöhnen musste. „Sie kriegen sofort was Herr Jäger!“ hörte er und dann piepte es und es wurde leichter und er dämmerte wieder weg. Als er kurz darauf wieder erwachte, war es ruhig um ihn herum und als er mühsam die Augen öffnete, stand niemand mehr neben seinem Bett. Als er nun allerdings wieder unruhig wurde, ertönte plötzlich Semir´s Stimme, die beruhigend sagte: „Ben bleib einfach ruhig liegen-es wird alles gut werden!“ und so tat er einfach, was sein Freund ihm befohlen hatte und schlief wieder ein.

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  • susan
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    • 11. August 2015 um 08:58
    • #60

    Sarah war nach dem Stillen sofort zu ihrem Mann zurück geeilt und hatte sich neben sein Bett gesetzt, obwohl ihr jetzt selber ziemlich schummrig war. Als Ben das nächste Mal erwachte, war Sarah da und er war zwar beruhigt, aber trotzdem fühlte er sich hundeelend. Sein Bauch schmerzte die ganze Zeit, er fror immer noch und registrierte dankbar, wie Sarah sein Gesicht mit einem Waschlappen abwusch. Die Schwester kam wieder herein und hängte eine neue Infusion an und zwei Perfusoren, um auszugleichen, was die Laborkontrolle für Mängel angezeigt hatte. Man musste trotz Volumengabe das Noradrenalin steigern, die Nierenfunktion wurde schlechter und bald war auch der Kanister der Vakuumpumpe voll und kündigte mit schrillem Piepen an, dass er gewechselt werden musste.

    Semir hatte man seine CPAP-Maske wieder vorübergehend abgenommen und ihn zum Duschen geführt. Auch er war schwach und übernächtigt von der Aufregung, aber wie am Vorabend ließ er es sich nicht nehmen auf dem Rückweg ans Bett seines Freundes zu treten, den anzufassen und ihm seinen Beistand zu versichern. Allerdings war der kalte Schweiß, der Ben bedeckte wohl kein besonders gutes Zeichen, aber trotzdem stand Semir ein wenig neben ihm und Sarah und sagte: „Ben-das wird wieder, Hauptsache man hat heraus gefunden, was dir fehlt!“ und Ben nickte leicht, obwohl er gerade überhaupt keine Kraft hatte, weder zu sprechen, noch sich zu bewegen, aber das Nicken ging gerade noch. Auch der Stationsarzt sah mehrmals nach ihm, ordnete noch Hydrocortison an und weitere Infusionen.

    Sarah, die kurz davor war vom Stuhl zu kippen, forderte er dann resolut auf: „So junge Frau-du wirst jetzt wieder auf die Entbindungsstation gehen-vielmehr bringt dich eine deiner Kolleginnen dahin-und dich ins Bettchen legen. Wir haben hier schon genügend Arbeit, wir können uns nicht noch um dich auch noch kümmern, wenn du in Kürze aus den Latschen kippst!“ sagte er und zwar widerstrebend, aber doch einsichtig, fügte Sarah sich der Anordnung und wieder einmal wurde sie nach einer zärtlichen Verabschiedung von Ben im Rollstuhl zurück in ihr Zimmer gebracht und dort von den Schwestern der Wochenstation übernommen. „Jetzt iss und trink erst mal was-wir sagen dir Bescheid, falls sich was massiv verschlechtert, aber du weisst doch-wir kennen uns mit Magenperforationen und Vakuumpumpen bestens aus!“ versuchte die Kollegin sie zu ermutigen, bevor sie wieder mitsamt Rollstuhl den Rückzug antrat. „Aber wir haben alle miteinander schon so viel übersehen-was kommt als Nächstes?“ flüsterte Sarah mutlos, die sich selber die größten Vorwürfe machte, aber darauf wusste leider auch niemand eine Antwort.

    Nach der Rückkehr wusch die Schwester gemeinsam mit einer Kollegin Ben, während Semir schon wieder Atemgymnastik machte. Verdammt der Ausflug in die Dusche war im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend gewesen und auch sein Fieber war noch immer so um die 38°C, lange hielt er es ohne die Maske auf seiner Nase gerade nicht aus. Mehr als schluckweise Wasser erlaubte man ihm auch nicht zu sich zu nehmen, nicht dass sich sein Zustand ebenfalls nochmals verschlechterte und man ihn doch noch intubieren musste. Die große Visite kam und man nahm besorgt die Ereignisse der Nacht zur Kenntnis und der Chefarzt sagte draußen vor dem Zimmer zu seinen Kollegen: „Verdammt, bei Herrn Jäger haben wir uns wirklich nicht mit Ruhm bekleckert, so viel, wie wir bei ihm schon übersehen oder vielmehr sehr spät bemerkt haben-ich hoffe, dass der das übersteht, aber aktuell wirkt er auf mich, als würde die Sepsis erst so richtig aufflammen!“ und so war es auch.
    Das Fieber stieg und stieg, aber er fror so und war dermaßen kreislaufinstabil, dass man keine mechanische Kühlung anwenden konnte. Paracetamol zum Fieber senken hatte er sowieso schon und das Novalgin setzte man kurzerhand ab, weil die Nierenwerte angestiegen waren. „Da sind eine Menge Stoffwechselabbauprodukte abzutransportieren, es ist klar, dass die Entgiftungsorgane da Höchstleistungen zu bringen haben!“ erklärt die zuständige Schwester einer Praktikantin, während sie den völlig fertigen und ebenfalls mühsam atmenden Ben sehr vorsichtig ein wenig anders hinlegten. Der Stationsarzt der Tagschicht kam dann zum Untersuchen und diesmal sah er sich Ben wirklich gründlich von Kopf bis Fuß an, aber nach seinem Dafürhalten, hatten sie jetzt nichts mehr übersehen.

    Ben dämmerte inzwischen, besorgt von Semir betrachtet, vor sich hin und als der Krankengymnast kam, der natürlich von der Sache ebenfalls schon wusste, konnte er nicht einmal lächeln, als der in tadelndem Ton, aber mit freundlicher und besorgter Miene zu ihm sagte: „Na Herr Jäger, sie tun wohl Alles, damit sie nicht so heftig mit mir turnen müssen?“ und das ganz klar war, dass der einen Scherz machte. Trotz des schlechten Allgemeinzustandes nahm sich der Physiotherapeut viel Zeit, bewegte Ben´s Gelenke teils passiv durch, mobilisierte Flüssigkeit im Gewebe und die Griffe waren doch erleichternd und wohltuend. Als dann noch die Unfallchirurgen kamen und die Tücher an Arm und Bein und den Verband an dem verplatteten Fuß erneuerten, blieb der Therapeut bei ihm und nachdem Ben diesmal die Augen einfach geschlossen hielt und man die Wunden auch feucht gehalten hatte, war es nicht ganz so schlimm wie am Vortag. Als der Physiotherapeut interessiert die Wundflächen betrachtet hatte, sagte er hinterher zu seinem Patienten: „Ich habe ja viel Erfahrung mit derartigen Operationen, wie ich ihnen erzählt habe-nach meinem Dafürhalten sieht das ganz gut aus und wenn sie jetzt nicht wegen der Bauchsache so viele Infusionen bräuchten, hätte man heute sicher schon damit beginnen können, die Wundränder zu adaptieren, aber glauben sie mir-das wird!“ und irgendwie schöpfte Ben dann doch wieder ein wenig Hoffnung, so schlecht er sich eigentlich auch fühlte.

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