Der unheimliche Mönch

  • Es war Freitag. Semir und Ben brausten über die Autobahn und ließen ihre Blicke routiniert über den Verkehr schweifen. Bis zum nächsten Stau-wie am Freitagnachmittag so üblich. „Also wie besprochen-ihr kommt dann morgen und helft uns noch bei den letzten Einräumarbeiten und danach grillen wir auf der Terrasse!“ plante Ben den morgigen Samstag. Es war Spätsommer geworden und erst jetzt wurde gerade der Umzug Ben´s mit seiner Familie ins neue Heim-einem alten Gutshaus am Ortsrand eines malerischen Kölner Vororts-endgültig vollzogen. Sie hatten keine Eile gehabt, denn erstens würden sie die Stadtwohnung behalten, zweitens war Sarah hoch schwanger mit dem zweiten Kind und drittens hatten sie sich einfach Zeit gelassen, das schnuckelige Anwesen mit allerlei alten Möbeln und viel Flair einzurichten. Natürlich würde ein Umzugsunternehmen die Sachen, die sie mitnahmen, transportieren, aber es war immer schön, wenn man unter Freunden zusammen half und danach auch feierte.
    Nun ertönte die Stimme Susanne´s aus dem Lautsprecher: „Zentrale für Cobra 11-ihr sollt in etwa einer Stunde zur Besprechung in der PASt sein-schafft ihr das?“ fragte sie und gerade wollte Ben zur Antwort ansetzen, da brach vor ihnen das Chaos aus.


    Gerade hatte der Verkehr wieder zu fließen begonnen und der Stau sich aufgelöst, da brach ein unscheinbarer weißer Peugeot, der aussah wie ein Pharmalieferfahrzeug plötzlich aus und touchierte das Fahrzeug neben sich. Dieser Fahrer trat erschrocken auf die Bremse und so zog mit dem hässlichen Geräusch, wenn Metall auf Metall schrammte der Peugeot mit Vollgas vorbei, rammte das nächste Fahrzeug, das sich daraufhin quer stellte und so Semir zum Abbremsen zwang und raste dann über den Standstreifen in die Leitplanke, wo er mit immer noch aufheulendem Motor nach mehreren hundert Metern total demoliert zum Stehen kam: „Susanne-ich glaub nicht, dass wir es zur Besprechung schaffen-wir haben einen Einsatz-schick mal einen Rettungswagen und uniformierte Kollegen auf die A3-hier hat gerade ein Wahnsinniger einen Unfall mit mehreren beschädigten Fahrzeugen verursacht!“ rief Ben ins Mikrophon des Funkgeräts und hatte auch schon die Sirene und die Blaulichtleiste im BMW aktiviert. Semir setzte ein wenig zurück, fuhr ebenfalls auf den Standstreifen und war innerhalb weniger Sekunden bei dem total kaputten Peugeot angekommen, dessen Motor trotzdem immer noch lief. Beide Polizisten sprangen mit gezückter Waffe aus dem Fahrzeug-man wusste ja nie, was einen erwartete, aber nach kurzer Zeit steckten sie die wieder weg, denn hinter dem Lenkrad des verunfallten Wagens hing ein etwa sechzigjähriger Mann und war eindeutig tot, wie die gebrochenen Augen verrieten. Behutsam griff Ben über ihn und stellte den Motor des Fahrzeugs ab, die Tür hatte zwar ein wenig geklemmt, aber sich problemlos öffnen lassen und als er nun noch nach dem Puls des Mannes tastete, schüttelte er den Kopf-da war nichts mehr zu spüren.
    Trotzdem zogen sie ihn noch heraus und begafft von vielen Schaulustigen, die nun einen neuen Stau verursachten, begannen sie mit Wiederbelebungsmaßnahmen, bis der Notarzt eintraf und ihre Bemühungen mit seinen Assistenten erst übernahm und dann nach einer Weile ohne Erfolg einstellte.


    „So wie es aussieht-entweder Sekundenherztod oder Lungenembolie!“ vermutete der Notarzt und während sie nun auf das Eintreffen des Gerichtsmediziners, des Abschleppunternehmens und der Kollegen warteten, sahen sich Semir und Ben gleich mal das Fahrzeug an und schauten nach Papieren, die die Identität des Toten preisgeben konnten-man musste schließlich die Angehörigen verständigen. Sie fanden nichts außer einem älteren Handy, auf dem aber nicht zu ersehen war, mit wem sie es zu tun hatten. Die letzte Nachricht, die vor wenigen Stunden eingegangen war, lautete: „Abholung der Lieferung wie besprochen-der Mönch!“ und als sie die Ladung näher betrachteten, war das Fahrzeug bis obenhin voll mit Kartons, die nagelneue Computerspiele enthielten. „Schau mal Semir-das sind lauter hoch aktuelle Spiele!“ sagte Ben erfreut, aber Semir schüttelte den Kopf. „Ich weiss ja nicht, was du mit sowas anfangen kannst-spiel du lieber draußen mit deinem Sohn, das ist viel vernünftiger als dieser Computerscheiß!“ belehrte er ihn und Ben antwortete aufseufzend: „Ja Opa!“ denn in dieser Hinsicht war Semir seiner Meinung nach auf dem Stand des vorigen Jahrhunderts geblieben.


    Sie hatten Susanne das Kennzeichen des Wagens durchgegeben und als die sich nun meldete versteinerte Semir´s Miene, der das Gespräch angenommen hatte: „Dieses Kennzeichen gibt es nicht!“ sagte er zu seinem Kollegen und als er nun versuchte die verbeulte Motorhaube zu öffnen, was erst mit einem Brecheisen gelang, suchte er dort vergeblich nach einer Fahrgestellnummer. „Ich denke, da ist etwas gewaltig nicht in Ordnung!“ vermutete Ben und sein Partner nickte nachdenklich.

  • Das Fahrzeug wurde zu Hartmut in die KTU gebracht und der Tote in die Gerichtsmedizin zur Obduktion. Sowohl der Gerichtsmediziner als auch Hartmut wollten wissen, ob es wichtig war, noch vor dem Wochenende Ergebnisse zu liefern, denn inzwischen war es Freitagabend geworden und jeder hoffte auf ein freies Wochenende. Nach Rücksprache mit der Chefin beschied man den beiden Anfragenden, dass die Untersuchung bis zum Montag Zeit hatte, denn aktuell sah es nicht so aus, als wäre der Tote einem Verbrechen zum Opfer gefallen. Klar war da etwas nicht in Ordnung mit dem Fahrzeug und vermutlich lief da etwas Illegales, aber diese Ermittlungen konnten bis zum Montag warten und so verabschiedeten sich die beiden Freunde ein wenig verspätet in ihr freies Wochenende. Man setzte Bilder des Toten, die man schon ergebnislos durch den Fahndungscomputer hatte laufen lassen, in den PC, so dass jeder Polizist in Deutschland und dem europäischen Ausland das Gesicht des Toten betrachten konnte und wenn sich übers Wochenende nichts ergab, würden die Bilder auch in der Presse veröffentlicht werden mit dem Aufruf dazu: „Wer kennt diesen Mann?“


    So ging der Samstag ins Land und auch Ayda und Lilly, die immer gerne mit dem kleinen Tim spielten, waren sehr fleißig und halfen Spielsachen aus Kartons ins neue Kinderzimmer einzuräumen. Sarah sah mit ihrem dicken Bauch aus wie das blühende Leben und ihr wurde zwar von Ben strengstens untersagt, auch nur etwas aus der Nähe anzuschauen was schwer war, aber sie lachte ihn dann regelrecht aus: „Hör mal-ich bin schwanger und nicht krank, mir und der Kleinen gehts gut und das schwerste Gewicht, das ich aktuell trage, ist immer noch Tim-und den schaffe ich locker!“ beschied sie ihm und dem hatte Ben nun nichts entgegen zu setzen.
    Endlich war-auch durch die tatkräftige Hilfe Andrea´s und Semir´s- der Inhalt der letzten Kisten in den Schränken verschwunden und nun machten sich die beiden Männer fachmännisch daran den Kugelgrill, Ben´s neueste Anschaffung, anzuheizen und wenig später brutzelten leckere Steaks, Würstchen, gefüllte Paprika, Champignons und noch etliche andere wohlschmeckende Sachen vor sich hin. Andrea hatte einen Kartoffelsalat vorbereitet und mitgebracht und Sarah machte noch schnell eine Riesenschüssel bunten Salat in ihrer gemütlichen, heimeligen Wohnküche an und wenig später schmausten alle Sieben auf der Terrasse. Andrea hatte schon am Nachmittag schmunzelnd zu Semir gesagt: „Keine Sorge-du kannst was trinken, ich fahr schon nach Hause!“ und so stießen die beiden Männer mit einem Bier an, während die anderen eine alkoholfreie Bowle mit Früchten, Mineralwasser und Saft genossen.
    Mit einem Lächeln lehnten Sarah und Ben sich zurück, Ben drückte seine Frau an sich und sagte: „Das war die richtige Entscheidung mit dem Haus!“ denn kaum hatten sie gegessen, buddelten Tim und die Mädchen selbstvergessen in der Sandkiste, die direkt neben der Terrasse stand und Lucky nagte glücklich an einem Knochen. Endlich hatte auch er viel Platz zum Laufen und einen sicher eingezäunten hunde- und kindersicheren Garten und Ben bot noch an: „Wenn ihr über Nacht bleiben wollt-kein Problem-endlich haben wir sogar mehrere Gästezimmer und viel Platz!“ aber Andrea schlug das nette Angebot aus. „Heute nicht-wir haben ja auch gar nichts zum Übernachten mitgebracht, aber vielleicht ein andermal!“ sagte sie und als die Mädchen das hörten, nickten sie eifrig.


    Es war schon dunkel als die Gerkhan´s endlich nach Hause fuhren, die Mädchen schliefen prompt im Auto ein, aber zuhause angekommen nahm Semir seine Große und Andrea die kleine Lilly auf den Arm und sie trugen die müden Kinder ins Haus, wo sie wenig später in ihren Betten lagen und weiter schliefen. „Das ist wirklich ein schönes Haus und die beiden haben das total gemütlich eingerichtet!“ bemerkte Andrea und Semir nickte. „Aber bei uns ist es auch schön!“ sagte er und lehnte sich mit einem Aufseufzen auf seinem Sofa zurück. Wenig später lagen alle in den Betten und am Sonntag war es schon spät, als sie endlich erwachten.


    Ben ging am Sonntagmittag stirnrunzelnd durchs neue Haus und rätselte. „Hmmm-ich habe mir gerade die Stromrechnung während der Umbauphase angeschaut-da müssen die Handwerker aber ganz schön viele Maschinen in Betrieb gehabt haben!“ sagte er, denn immerhin hatten sie das Haus nun ja schon mehrere Monate und es war genau für ihre Zwecke hergerichtet worden. Für diese Zeit hatten sie Baustrom gehabt und da war nun am Freitag die Abrechnung gekommen. „Wir haben ja nur neueste energiesparende Geräte, LED-Lampen, Solar auf dem Scheunendach, ich denke die Energiekosten müssten gar nicht so hoch sein!“ sagte er und Sarah brach in ein glockenhelles Lachen aus: „Na hast du jetzt deine ökologische Seele entdeckt-und das sagt jemand, der einen Oldtimer-Porsche in der Remise stehen hat, der locker 20 Liter Super auf 100 km frisst, wenn nicht mehr!“ neckte sie ihn und nun musste Ben auch grinsen. „Du hast ja Recht!“ sagte er und nachdem sie zu Mittag die Reste vom gestrigen Grillabend gegessen hatten, machte sich Ben mit Lucky auf, um die Gegend zu erkunden, während Tim seinen Mittagsschlaf machte und Sarah noch ein wenig herumkramte.


    So ging das Wochenende herum und als Semir und Ben sich am Montagmorgen in der PASt trafen, gingen wenig später zwei fassungslose Anrufe ein. Der erste kam von Hartmut und als die Chefin verstanden hatte um was es ging, stellte sie das Telefon auf laut und alle Anwesenden hörten mit: „Leute ich fass es nicht-ihr habt mir doch am Freitag den Peugeot gebracht-der war ja beladen mit lauter Computerspielen, wie ihr ja gesehen habt-jetzt stellt euch vor-der Wagen ist zwar noch da, aber er ist völlig leer-und das Handy des Toten ist auch weg!“ rief er fassungslos ins Telefon. „Ich bin gerade dabei die Überwachungskameras und das Sicherheitssystem zu checken, aber da sind die entsprechenden Daten gelöscht, obwohl ich mir da schon Mühe gegeben habe, die Software sicher zu machen und das eigentlich für unmöglich gehalten hätte, dass hier jemand unbemerkt reinkommt!“ erklärte er und als wenig später die Gerichtsmedizin anrief und das Verschwinden der Leiche meldete, sahen die Chefin, Semir und Ben sich betreten an. „So ein Mist-wir haben den Fall unterschätzt, da hätten wir kein Wochenende darüber verstreichen lassen dürfen!“ sagte Semir und die Chefin nickte nachdenklich. „Sie haben Recht, Gerkhan, aber jetzt heißt es eben ab sofort zu ermitteln, wie das alles zusammenhängt und vor allem-wer dieser geheimnisvolle Mönch ist, der die Nachricht auf dem Handy hinterlassen hat!“ gab sie die Devise aus und wenig später machten Semir und Ben einen Plan, wie sie vorgehen wollten.

  • Zunächst fuhren die beiden Beamten zu Hartmut in die KTU, der nicht nur fassungslos war, dass es jemandem gelungen war unbemerkt, ohne Anwendung von Gewalt, in seine heiligen Hallen vorzudringen. Was ihm ebenfalls noch Sorgen machte-wenn da ein dermaßen guter Hacker am Werk war-an welche Daten auf seinem PC war der noch rangekommen? So saß Hartmut jetzt am Computer, seine Finger flogen über die Tasten, aber er konnte nicht feststellen, dass sich dort jemand Zutritt verschafft hatte-aber genau so war es ja auch mit den Räumlichkeiten. Wenn sich mehrere Menschen nicht ganz sicher gewesen wären, dass in dem demolierten Fahrzeug tatsächlich Computerspiele gewesen waren und man das Handy nicht separat in einer Plastiktüte auf Hartmut´s Arbeitstisch gelegt hatte, dann hätte man nicht bemerkt, dass irgendjemand eingedrungen war. Semir und Ben standen eine Weile neben Hartmut, bis Ben endlich sagte: „Denkst du nicht, dass es mehr Sinn macht jetzt einfach nach körperlichen Spuren zu suchen, nach DNA, nach Fingerabdrücken oder sowas-immerhin muss ja jemand Unbefugtes hier gewesen sein-außer ein Zauberer hat die ganzen Sachen weggezaubert, oder sie sind zu Staub zerfallen!“ und dieser Logik musste sich Hartmut jetzt beugen und begann so-angetan mit einem weißen Spurensicherungsoverall-nach Spuren zu suchen. „Leute-das kann dauern, ich melde mich, wenn ich etwas Relevantes gefunden habe!“ sagte er nach einer Weile genervt, denn soeben hatte sich Ben mit begehrlichen Blicken seinem zweiten Frühstück genähert, das er in einer Tüte auf dem Schreibtisch liegen hatte. Semir zog seinen Kollegen mit sich: „Wir gehen jetzt kurz beim Bäcker vorbei was essen und fahren dann in die Pathologie!“ sagte er und so machten sie es.


    Auch dort waren die Mitarbeiter fassungslos. Die Tür nach draußen war mit einem modernen Zahlenschloss gesichert, damit nicht mehrere Mitarbeiter einen Schlüssel haben mussten. Der Code wurde regelmäßig geändert und auch da war keine Unregelmäßigkeit zu entdecken. Der Raum mit den Kühlfächern war allerdings mit einem banalen Sicherheitsschloss gesichert gewesen und diese Tür hatte man einfach aufgehebelt. Das Brecheisen, das dazu benutzt worden war, stammte aus dem Werkzeugdepot der Pathologie und lag noch neben dem Eingang. Ein Spurensicherungstrupp der Kripo war gerade am Werk, suchte nach Fingerabdrücken und rekonstruierte, was die Täter so getrieben hatten. Der Leiter der Ermittlungen trat zu Semir und Ben. Er war aus dem Einbruchsdezernat und vom Sehen kannten sich die Beamten zufällig. „Hallo!“ begrüßte er sie. „Wir wurden heute Morgen vom ersten Mitarbeiter, der die Gerichtsmedizin betreten hat-einem Sektionsgehilfen-verständigt, dass ein Einbruch stattgefunden hat. Nachdem ja hier kaum Barschaft zu finden ist, außer ner Kaffeekasse, die aber noch da ist, mussten der oder die Täter nach etwas anderem gesucht haben und so hat der zuständige Pathologe die Kühlfächer kontrolliert und da fiel dann das Verschwinden eurer Leiche vom Freitag auf. Wir haben euch daraufhin gleich angerufen, aber bisher konnten wir noch nichts entdecken, was uns weiterbringt. Natürlich haben wir bereits von allen Mitarbeitern hier Fingerabdrücke zum Abgleichen genommen, aber durch die hochglänzenden und sehr sauberen Oberflächen müssten Abdrücke leicht zu finden sein, falls welche da waren-bisher haben wir aber noch nichts entdeckt!“ berichtete er und nachdem hier überall Handschuhspender herumstanden, war sich Semir beinahe sicher, dass da auch keine zu finden waren.
    Was interessant war, war wiederum die Überlistung des elektronischen Zahlenschlosses. Das war völlig unbeschädigt, also musste der Eindringling entweder den Code gekannt haben, oder ein versierter Elektronik-oder PC-Fachmann sein. „Darf sich unser Kriminaltechniker das Schloss später auch noch kurz ansehen?“ fragte Semir und der Kripobeamte nickte: „Meinetwegen, aber der wird vermutlich genauso wenig was finden, wie wir!“ vermutete er und fast befürchtete Semir, dass er Recht haben könnte.


    „So wie es aussieht haben der oder die Täter-ich vermute eher zwei, denn so eine Leiche ist ganz schön schwer-einen der Rollwagen mit Edelstahlaufsatz benutzt, den Toten aus dem Kühlfach genommen, zum Ausgang gerollt, durch den man normalerweise die Leichen anliefert und der nur von innen zu öffnen ist, weil da ein Riegel vorliegt, ihn dort hinaus gebracht und in ein bereitstehendes Fahrzeug gelegt. Danach hat jemand-vermutlich damit dem Sicherheitsdienst, der nachts und am Wochenende das Gebäude von außen kontrolliert, nichts auffällt-alles wieder sorgfältig verschlossen. Hier ist ja für Notfälle ein Bereitschaftsdienst eingerichtet, aber dieses Wochenende war keine Obduktion außerhalb der Regelarbeitszeit nötig und so können wir nicht einmal sagen, wann der Einbruch stattgefunden hat. Irgendwann zwischen Freitagabend 18.00 Uhr und heute Morgen 7.00 Uhr!“ berichtete der Kollege noch und nachdem sie die Lokalitäten in Augenschein genommen hatten, fuhren Semir und Ben wieder zurück zur PASt. Ben hatte zuvor mit scheelem Blick die Kühlfächer gemustert. Alle die vorne einen Zettel eingesteckt hatten, waren belegt, aber er hatte überhaupt kein Interesse daran zu sehen, was dahinter lag-ihm verursachten Leichen immer Übelkeit, auch wenn er natürlich professionell damit umgehen konnte, aber in nächster Zeit war ihm der Appetit mal wieder vergangen, bis der typische Geruch, der in diesen Räumlichkeiten herrschte, verflogen war. Gut dass er vorher bereits zwei Schokocroissants verdrückt hatte!


    Auch Hartmut hatte bisher nichts gefunden, wurde noch auf das Schloss der Pathologie angesetzt und wollte sich danach intensiv dem Peugeot widmen. So erstatteten Semir und Ben der Chefin Rapport und wurden am Nachmittag dann ganz normal auf Streife eingesetzt. „Merkwürdig-wie das wohl alles zusammenhängt und wer hinter dem Schreiber der SMS steckt?“ rätselte Ben noch, bevor sie pünktlich Feierabend machten. Jeder fuhr alleine zu sich nach Hause, denn nach dem Umzug lag Ben´s Wohnung nicht mehr auf Semir´s Weg, aber dafür hatten sie jetzt Platz ohne Ende.
    Als Ben nach Hause kam, saß Sarah mit einer Nachbarin auf der Terrasse bei einem Tee und Keksen und Tim spielte mit seinem neuen Freund, einem gleichaltrigen Jungen, deren Sohn- selbstvergessen im Sandkasten. Normalerweise war die Stunde nach Dienstschluss immer Vater-Sohn-Zeit, aber heute hatte Tim Besseres zu tun und begrüßte den Papa nur kurz. Sarah stellte die neue Nachbarin, die sehr sympathisch wirkte, vor und so nahm Ben, dem noch nach ein wenig Bewegung war, Lucky an die Leine und machte sich gemeinsam mit dem riesigen grauen Hund auf, die Umgebung zu erkunden. Kaum war er aus dem Ort machte er ihn los und Ben genoss es zu joggen und dabei zuzusehen, wie der lauffreudige Dearhound Kilometer machte, aber immer wieder brav zu Herrchen zurückkam. Dem machte es auch Spaß in seiner neuen Heimat und als Ben nach einem großen Bogen auf dem Rückweg war, begegnete er einem älteren Herrn mit einem winzigen Zwergrauhaardackel. Ben hatte seinen Hund erst abgerufen und Lucky war brav an seine Seite geeilt, aber nachdem der andere Hundebesitzer völlig normal erschien und Lucky sich anderen Hunden gegenüber hervorragend zu benehmen wusste, ließen die beiden Männer dann ihre Tiere zusammen und wenig später tollte das ungleiche Paar über die Wiese. „Sie sind also der neue Nachbar!“ bemerkte der ältere Herr und stellte sich vor-Ben ebenfalls. „Ich bin Geschichtsprofessor in Ruhestand und freue mich, dass so eine nette junge Familie in unsere Nachbarschaft gezogen ist!“ begrüßte er Ben herzlich und sie gingen ein Stück miteinander.
    Im Gespräch erfuhr der Polizist einige geschichtliche Hintergründe der Gegend, so dass hier früher zwei Klöster gestanden hatten, die aber in der Säkularisation geschleift worden waren. „Sicher wurden zum Bau ihres Hauses, das etwa um diese Zeit entstanden sein dürfte, Steine davon verwendet!“ erklärte ihm der emeritierte Professor und Ben nahm sich vor, noch viel mehr über die Gegend und die Geschichte seines Hauses zu erfahren. Nach einer freundlichen Verabschiedung strebte Ben heim zu seiner Familie-nur Lucky sah seiner neuen Freundin enttäuscht nach. „Na Lucky-hat du dich verliebt?“ fragte Ben schmunzelnd und als Antwort klopfte Lucky´s Schwanz mehrmals auf den Boden, bevor er sich erhob und mit Herrchen nach Hause ging.

  • Als Ben nach Hause kam, war die Nachbarin weg und sie aßen noch alle zusammen Abendbrot. Tim´s Sprachentwicklung schritt gerade in Riesensätzen voran, sein Wortschatz vergrößerte sich ständig und Ben lachte Tränen, als ihm Sarah die neuesten Wortschöpfungen erzählte, die da waren „Briefmann“ für den Briefträger, der immer Lucky mit Leckerchen bestach und deshalb schon dessen bester Kumpel war, „Lappsappe“ für Waschlappen und als man Tim nun nach dem Essen noch kurz abduschte, denn sonst würde er kiloweise Sand mit ins Bett nehmen, schlang er seine kleinen Ärmchen danach um Ben´s Hals und sagte: „Papa lieb!“ als er ihn ins Bett brachte und Ben hatte Tränen der Rührung in den Augen. Wie schön war ein Leben mit Kindern und bald wären sie zu viert!


    Als sie danach in dem kuschligen Wohnzimmer auf den beiden Biedermeiersofas rumlagen, die Sarah beim Trödler gefunden und stilgerecht hatte neu aufpolstern lassen, erzählte Ben seiner Frau von seiner Begegnung mit dem pensionierten Professor. „Weisst du, was der gesagt hat? Hier standen ursprünglich zwei Klöster und vermutlich dürften Steine davon beim Bau unsere Hauses verwendet worden sein-wir leben hier in geschichtsträchtigen Mauern!“ erzählte er ihr und als Sarah nun ächzend aufstand, ein wenig herumlief und sich in den Rücken fasste, sprang er sofort auf und fragte besorgt: „Geht´s dir nicht gut?“ aber Sarah schüttelte den Kopf: „Geht schon-ich habe nur Senkwehen!“-immerhin waren es nur noch drei Wochen bis zum errechneten Geburtstermin und die Krankenhaustasche stand bereits gepackt im Schlafzimmer. Hildegard-Tim´s vertraute Betreuungsperson war jederzeit in Stand by und nun erzählte Sarah noch: „Du die neue Nachbarin hat mir angeboten, falls es nachts plötzlich losgeht, dass sie solange rüberkommt, bis Hildegard da ist und auf Tim aufpasst!“ und nun sagte Ben froh: „Irgendwie fühle ich mich hier total wohl, die Leute im Dorf sind richtig nett-wir haben hier jetzt schon mehr Kontakte zu den Nachbarn, wie die ganzen Jahre mitten in Köln!“ und da konnte Sarah ihm nur beipflichten.
    Wenig später lagen sie aneinander gekuschelt in dem großen Bett, das Sarah stilgerecht passend zum Haus mit einem angedeuteten Betthimmel aus leichtem weißen Nesselstoff überspannt hatte, Ben umfasste von hinten seine Frau und fühlte, wie seine Tochter in ihrem Bauch trat und boxte. „Verdammt-immer wenn ich schlafen will ist Madame munter!“ seufzte Sarah und verzog das Gesicht, als sie einen schmerzhaften Tritt in die Leber erhielt. „Hoffentlich ändert sich das, wenn sie mal auf der Welt ist-sonst sehe ich schwarz für unsere Nachtruhe!“ befürchtete sie. „Das kriegen wir schon mein Schatz!“ sagte Ben nun liebevoll, küsste sie in den Nacken und wenig später waren alle drei eingeschlafen, auch Lucky schnarchte in seinem Körbchen im Schlafzimmer vor sich hin.


    In der Nacht erwachte Ben, weil Lucky leise knurrte. Er hatte den Kopf gehoben, aber als Ben lauschte, konnte er nichts vernehmen. Leise-um Sarah nicht zu wecken-stand er auf und machte-gefolgt von seinem Hund- einen Kontrollgang durchs Haus. Es war nichts zu entdecken, alle Türen waren verschlossen, Tim schlief selig in seinem Kinderbett und wenig später hatte sich auch Lucky wieder beruhigt. „Na Junge-hier draußen sind doch andere Geräusche als in der Stadt, da müssen wir uns noch daran gewöhnen!“ sagte Ben und trank in der Küche ein Glas Wasser. In einiger Entfernung fuhr ein Auto langsam weg und ein Käuzchen rief. Ben sah auf die Uhr-es war gerade mal drei! Wenig später lagen er und sein Hund wieder und schliefen durch bis in der Früh.


    Als Semir und er sich am nächsten Morgen in der PASt trafen, wurden sie zur Chefin gerufen. Auch Hartmut war zu ihrer Überraschung da und so gingen sie zur aktuellen Fallbesprechung in Kim Krüger´s Büro. „Ich habe das Auto regelrecht auseinander genommen!“ berichtete der. „Fingerabdrücke waren nur von einer Person zu finden, dem toten Fahrer,“ denn natürlich hatte man die gleich abgenommen und durch den Rechner gejagt, ohne allerdings einen Treffer zu haben-der Mann war zumindest in Deutschland noch nie erkennungsdienstlich behandelt worden. „Mir ist es allerdings gelungen mit Säure“-gerade wollte er mit vielen Fremdworten den genauen Vorgang, wie er das fertig gebracht hatte schildern, da fiel ihm Semir ungeduldig ins Wort: „Ja Einstein, wir wollen jetzt nicht wissen, wie du das gemacht hast, sondern was du gefunden hast!“ und nun fuhr Hartmut nach einem wütenden Blick auf seinen Kollegen fort: „Mir ist es gelungen, die eigentlich ausgeschliffene Motorennummer wieder sichtbar zu machen. Laut Herstellerangaben ist der Peugeot zehn Jahre alt und war als Neuwagen an einen gewissen Walter Steiner verkauft worden-hier ist die Adresse!“ sagte er und reichte Semir einen Zettel. Der warf einen Blick drauf. „Oh Ben-das ist ja ganz in der Nähe von deinem neuen Wohnort!“ sagte er dann und die Chefin nickte ihnen zu. „Na dann fahren sie mal dahin und versuchen etwas rauszubringen!“ befahl sie und wenig später waren Semir und Ben auf dem Weg zu der angegebenen Adresse. „Dann können wir bei der Gelegenheit gleich bei dir nen Kaffee trinken!“ überlegte Semir und Ben nickte.

  • Wenig später waren Semir und Ben bei der angegebenen Adresse angekommen. Mehrere gleichfarbige Fahrzeuge standen im Hof des Anwesens-überall mit einem Firmenaufdruck: „Steiner AG-eilige Arzneimitteltransporte“ war dort zu lesen. Gerade kam ein junger Mann heraus und schwang sich in eines der Autos. „Können sie uns helfen-wir suchen Walter Steiner?“ fragte Semir und der Mann zeigte auf ein unscheinbares Bürogebäude. „Der ist da drin!“ sagte er nur und fuhr dann zügig vom Hof. Als die beiden Polizisten das Gebäude betraten, stand ein etwa sechzigjähriger Mann, der hinter einem Schreibtisch am PC gesessen hatte, auf und kam verwundert auf sie zu. „Walter Steiner-wie kann ich ihnen helfen?“ fragte er und Semir kam gleich zur Sache: Wir sind von der Polizei!“ sagte er und zückte seinen Ausweis und Ben tat es ihm gleich. „Ein Fahrzeug, das vor zehn Jahren auf sie zugelassen worden ist, wurde in ein Verbrechen verwickelt-wir würden gerne wissen, was es damit auf sich hat!“ erklärte er und nun atmete Steiner tief durch und ging zu einem Ordner an der Wand, der den Aufdruck „Firmenfahrzeuge“ hatte. Dann hielt er einen Moment inne. „Was für ein Modell war es denn?“ und nun sagte ihm Ben den Typ und die Farbe-weiß, wie alle Fahrzeuge auf dem Hof übrigens und reichte ihm die Motorennummer auf einem Zettel, wo er sie notiert hatte.


    Steiner schlug den Ordner auf und begann zu erklären: „Ich kaufe immer so alle fünf bis sechs Jahre nagelneue Fahrzeuge. Wenn die eine gewisse Kilometerzahl erreicht haben, werden sie ungeachtet des Alters und Zustands weiter verkauft, denn in meinem Gewerbe ist Zuverlässigkeit und Schnelligkeit sehr wichtig. Die Fahrzeuge werden gut gewartet, aber auch aussortiert, wenn sie irgendwelche technischen Probleme machen. Ich kann mich da nicht mehr an jedes Einzelne erinnern, aber vielleicht finden wir ja heraus, um welchen Wagen es sich handelt!“ erklärte er und schlug die Seiten von vor zehn Jahren auf. „Hier werden der Fahrzeugbrief –jetzt natürlich nur noch als Kopie, denn der Wagen wurde ja verkauft-und alle anderen Unterlagen archiviert, ich hebe allerdings auch die Wartungspläne etc. noch eine Weile nach dem Verkauf auf-da habe ich nämlich schon die verrücktesten Dinge erlebt!“ sagte er, während er ein paar weitere Seiten aufschlug und Aufzeichnungen durchging.
    „Ah sehen sie-da haben wir es schon-ja jetzt erinnere ich mich. Das Auto wurde vor vier Jahren in einen Unfall verwickelt und es hat sich für uns nicht mehr gelohnt, es reparieren zu lassen, da es sowieso in Kürze abgestoßen worden wäre. Ich habe es für einen Appel und ein Ei an einen ehemaligen Schulkameraden aus der Grundschule verkauft, mit dem das Leben es nicht so gut gemeint hat. Der wohnt in einem total heruntergekommenen Bauernhaus ein paar Ortschaften weiter, war aber immer schon ein Autobastler und hat den wieder hergerichtet-ich habe ihn danach sogar noch ein paarmal fahren sehen-allerdings habe ich es ihm zur Auflage gemacht, meine Firmenaufschrift zu entfernen und das hat er auch gemacht!“ erklärte er und Semir und Ben wechselten einen Blick.


    Ben holte jetzt sein Handy heraus, worauf er das Foto des Toten gespeichert hatte. Das Alter könnte passen und als er nun das Bild dem Firmeninhaber zeigte, nickte der betroffen. „Ja das ist mein ehemaliger Schulkamerad Peter Fitz, dem ich den Wagen für 300€ verkauft habe, aber was ist mit ihm? Er sieht irgendwie so-äh tot aus!“ fragte er und Semir nickte. „Ja er ist auch verstorben, wir wissen allerdings noch nicht an was-auf jeden Fall waren wir Zeugen, als er auf der Autobahn mit diesem Wagen in die Leitplanke gerauscht ist und konnten ihn nur noch tot bergen!“ erklärte er kurz, ohne auf die näheren Umstände einzugehen. „Oh je-der hatte gar keine Angehörigen-er war immer alleine und ein Eigenbrötler, hat noch bis zu ihrem Tod vor einigen Jahren mit seiner Mutter zusammen gelebt, wie funktioniert denn das jetzt mit der Beerdigung?“ wollte der Mann wissen. „Bei uns ist es nämlich üblich, dass man da als ehemaliger Klassenkamerad hingeht!“ erklärte er, aber Semir ließ keine weiteren Informationen raus. „Das kann noch eine Weile dauern!“ wich er aus und Walter Steiner nickte. „Ich wäre ihnen sehr verbunden, wenn sie mich informieren würden, wenn sie etwa Näheres wissen!“ sagte er und hatte auch schon die Adresse von Peter Fitz auf einen Zettel geschrieben, den Ben dankend entgegen nahm. Zudem überreichte er noch eine Visitenkarte mit Firmen-und privater Handynummer und wenig später saßen Semir und Ben wieder im Wagen und hatten die angegebene Adresse im Navi eingegeben.


    „Der wirkte ganz ehrlich und zuvorkommend-ich glaube nicht, dass der irgendwie Dreck am Stecken hat!“ sagte Ben und Semir nickte. „Aber warten wir erst mal ab, bis wir den Fall gelöst haben und erlauben uns dann ein Urteil!“ sagte er weise und nun konnte ihm Ben nur zustimmen. Er gab auch gleich an Susanne den Namen Peter Fitz durch und wenig später hatte sie den Personalausweis abgeglichen und machte sich im Netz auf die Suche nach weiteren Informationen. „Immerhin wissen wir nun schon, wer der unbekannte Tote ist!“ sagte Semir, während er den BMW in den Hof des heruntergekommenen Bauerhauses lenkte, vor dem sich Gerümpel türmte. „Oh je-da kann man nicht von bester Wohnlage sprechen!“ sagte Ben, als er ausstieg und ihm sofort ein paar räudige Katzen um die Beine strichen. Sie sahen sich überall um, aber wie sie schon erwartet hatten, war die Tür verschlossen und niemand zuhause. „Wir werden erst mal in aller Ruhe einen Untersuchungsbefehl beantragen-so wahnsinnig eilig ist das ja nicht-und inzwischen befragen wir ein paar Nachbarn!“ beschloss Semir und bat via Funk die Chefin, das in die Wege zu leiten. Sie läuteten an mehreren Haustüren, aber nur wenige Nachbarn waren zuhause. Die waren abweisend, als sie den Namen Peter Fitz hörten. „Mit dem ist nicht gut Kirschen essen, seien sie vorsichtig!“ knarrte ein alter Bauer, ein direkter Nachbar, der gerade den sehr gepflegten Hof zusammen kehrte. Semir überlegte kurz und sagte dann: „Wir sind von der Polizei, mit uns würde er sich vermutlich nicht anlegen, aber der wird sie nicht mehr belästigen, er ist nämlich verstorben!“ sagte er und sofort erhellte sich das Gesicht des Bauern. „Na dann kommen sie mal rein in die gute Stube, das sind ja erfreuliche Nachrichten!“ sagte er und schrie über den Hof: „Frieda-stell dir vor, unser Sargnagel Peter ist tot-setz mal Kaffee auf, da sind ein paar nette Herren von der Polizei!“ rief er und wenig später saßen Semir und Ben in der gemütlichen, pikobello sauberen Küche des Hauses, tranken Kaffee und aßen dazu einen wundervollen frisch gebackenen Kuchen, während der alte Bauer zu erzählen begann.

  • „Wissen sie-begonnen hat das alles schon vor vielen Jahren. Früher hatte fast jeder hier im Dorf eine kleine Landwirtschaft. Köln war für uns-obwohl es ja nur ein paar Kilometer waren-weit weg. Man hatte ein paar Kühe, wenige Hektar Land, aber die Milch wurde gut bezahlt, man ernährte sich überwiegend von dem, was man selber erzeugte, schlachtete zwei Schweine im Jahr, hatte selber Hühner, einen großen Garten, dessen Früchte und Erträge man einkochte, die Kartoffeln wuchsen auf dem Feld und außerdem bekam man von der Regierung auch noch Subventionen. Uns Bauern gings also nicht schlecht-keinem von uns! Die mehr Land hatte waren wohlhabender, aber auch die mit wenig Fläche konnten davon leben. Dann hat sich die Struktur gewandelt, plötzlich sollte man sich spezialisieren, entweder Rinder, oder Schweine, oder Hühner und die althergebrachte Landwirtschaft warf nichts mehr ab, außerdem wuchsen auch die Ansprüche. Unsere Jungbauern gingen nebenbei arbeiten, man brauchte größere Traktoren, alles wurde auf Masse produziert und plötzlich konnten nur noch einige wenige Großbauern überleben. Uns allen blieb nichts anderes übrig als mit der Zeit zu gehen-die Kleinen haben dann ihre Äcker an die Großen verpachtet, wir z. B. haben damals zwar das Vieh weg, aber mein ältester Sohn, der den Hof übernommen hat, betreibt nach wie vor den Ackerbau weiter, was dank großer Maschinen auch ziemlich schnell geht und was er nebenberuflich stemmen kann-außerdem helfen wir Alten auch noch mit, so gut wir können.“ erklärte er.


    Ben warf Semir nun einen Blick zu-eigentlich wollte er jetzt erfahren, was mit Peter Fitz war, nicht die Geschichte der Landwirtschaft der letzten 50 Jahre hören, aber Semir, der interessiert zuhörte, bedeutete ihm mit einem Blick, geduldig zu sein. „Peters Vater war schon ein schwieriger Mensch, mit dem nicht gut auskommen war, aber Peter schlug den noch um Längen. Anstatt sich nach der Schule einen Job zu suchen, verdingte er sich als Gelegenheitsarbeiter, half wohl mal bei der Ernte, aber einer richtigen geregelten Arbeit ist er nie nachgegangen. Der Vater starb schon vor vielen Jahren und er hauste dann mit seiner Mutter weiter wie gleich nach dem Krieg. Sie wollten sich verwehren, als wir alle an die Kanalisation angeschlossen wurden-wenns nach Peter gegangen wäre, hätten wir wohl noch alle unser Toilettenhäuschen neben dem Misthaufen-versuchte er mit allen Mitteln das zu hintertreiben, na klar das musste man ja auch bezahlen und das war von der kleinen Bauernrente seiner Mutter fast nicht möglich. Ich habe ein paarmal mit ihm geredet und ihm angeboten, seinen Hof zu kaufen-der natürlich nur noch den Grundstückswert besitzt, sonst ist alles herunter gekommen und verfallen, aber er hat abgelehnt, allerdings so nach und nach die paar Felder, die sie hatten, nach dem Tod der Mutter verscherbelt, um zu überleben und die Beerdigung bezahlen zu können. Er hat immer Autos gebastelt, das konnte er gut, obwohl er es eigentlich nie gelernt hatte und als die Wende kam hatte er mal eine gute Phase, als er jedes Altauto hergerichtet und mit Gewinn in den Osten verkauft hat, aber die Kehrseite der Medaille war eben auch, dass er immer mehr Schrottfahrzeuge angesammelt hat und fast einen privaten Schrottplatz da drüben hatte. Als dann Öl im Grundwasser zu finden war, haben wir ihn angezeigt, weil er Gesprächen nicht zugänglich war und seit damals war die Feindschaft riesengroß. Wenn er unser nur ansichtig wurde, hat er Bösartigkeiten über den Hof geschrien. Er ist immer mehr herunter gekommen und auch der Bürgermeister konnte nichts ausrichten, obwohl der oft versucht hat, mit ihm zu reden.“ fuhr er fort.


    Nun allerdings hielt es Ben nicht mehr: „Wissen sie, das ist ja alles sehr nett zu erfahren, aber uns hätte jetzt interessiert, was sie in den letzten Tagen für Beobachtungen gemacht haben, wer auf dem Hof aus-und einging usw.“ wollte er wissen, aber der alte Bauer sagte in aller Seelenruhe: „Dazu komme ich gleich!“ und Semir musste jetzt schmunzeln-er hatte den Mann schon richtig eingeschätzt, den musste man reden lassen, der ließ sich nicht drängen-ein typischer rheinischer Bauer eben, mit einem Dickschädel, der dem Ben´s in nichts nachstand!
    „Vor drei oder vier Jahren hat Peter sich dann ein Unfallauto gekauft und her gerichtet, das trotzdem noch gut in Schuss war, so einen Peugeot mit Ladefläche, wo normalerweise eilige Arzneimittel transportiert werden. Kurz darauf habe ich ein paarmal in der Dämmerung einen Mann im langen schwarzen Umhang bei ihm ein und ausgehen sehen und seitdem ging es mit ihm ein wenig aufwärts. Er war wieder ordentlich angezogen und rasiert, fuhr oft mitten in der Nacht weg und war dann den ganzen Tag verschwunden, hatte nach seiner Rückkehr allerdings Einkäufe im Wagen, anscheinend hat er also irgendeinen Job gefunden. „Ist der Mann im Umhang öfter gekommen, oder hatte er sonst irgendwelchen Besuch?“ fragte nun Semir, aber der Bauer schüttelte den Kopf. „Das war nur damals-seitdem habe ich niemand Fremdes mehr auf dem Hof gesehen!“ sagte er bestimmt und seine Frau, die bisher schweigend zugehört hatte, stimmte ihm zu.
    Semir und Ben waren sich sicher, dass die beiden eine genaue Personenbeschreibung hätten liefern können, wenn sie den Besucher oder jemand anderen genau gesehen hätten, denn anscheinend waren die beiden alten Bauersleute mit einer gehörigen Portion Neugier ausgestattet. So aber mussten sie sich jetzt dringend auf dem Hof umsehen-vielleicht war da ein Hinweis zu finden, was das mit den Computerspielen und dem Job auf sich hatte.



    Die beiden Polizisten bedankten sich für die Auskunft, erfuhren noch, dass Peter Fitz am Donnerstag zum letzten Mal gesehen worden war und gingen dann zum Wagen, um zu erfahren, wie weit die Chefin mit dem Durchsuchungsbeschluss war. „Meine Herren-sie müssen noch ein wenig Geduld haben, Frau Schrankmann versucht gerade den Richter davon zu überzeugen, aber ohne Leiche glaubt der der Identifizierung nicht und ziert sich noch ein wenig!“ bekamen sie Auskunft. Semir und Ben sahen sich an, nachdem sie aufgelegt hatten. „Hmm-ich glaube ich habe da drin gerade nen Hilferuf gehört!“ sagte Ben grinsend und Semir antwortete: „Da muss ich dir zustimmen!“ und die beiden näherten sich der Haustür. Die war fest verschlossen und zwar mit einem modernen Sicherheitsschloss, was so ziemlich das Einzige Neue an diesem Haus mit den verfaulten Läden und der abblätternden Farbe war. Gerade musterte Ben die Tür, um sie aufzubrechen, da gebot ihm Semir Einhalt. „Diese Bauernhäuser haben doch alle einen zweiten Eingang!“ gab er zu bedenken und so betraten sie kurz darauf den ehemaligen Stall, der mit einer unglaublichen Menge an Schmutz, Müll und Gerümpel gefüllt war. Allerdings führte ein schmaler Durchgang tatsächlich zu einer zweiten Tür und binnen Kurzem hatte Ben das einfache Schloss mit seinem Dietrichsatz offen.


    Sie betraten die Wohnräume und mussten beinahe die Luft anhalten, so stank es hier nach Katzenkot, ungelüfteten Räumen und Armut. In der Küche stand überall verschimmeltes, schmutziges Geschirr in der Spüle und auf der Anrichte, auf dem alten Kochherd-von Elektroherd war hier keine Spur-waren Töpfe mit angebrannten Essensresten, im stinkenden Kühlschrank fanden sich ein paar Packungen abgelaufene Fertiggerichte und im Schlafzimmer sah es nicht besser aus. Überall lagen Kleider herum-ungewaschen und vor sich hin müffelnd, das Bett war zerwühlt und sicher schon lange nicht mehr frisch bezogen worden. Im Wohnzimmer stand ein großer Fernseher auf dem alten Wohnzimmerbüffet und auf einem durch gelegenen alten Sofa lagen ein Kopfkissen und eine Wolldecke. „Mein Gott-wie kann man nur so leben!“ sagte Ben erschüttert und auch Semir besah sich die Örtlichkeiten kopfschüttelnd. Allerdings war nirgendwo ein Computer, eine Spielekonsole oder etwas Ähnliches zu finden, auch Telefon-oder Internetanschluss gab es keinen, also für den Eigenbedarf hatte der Tote die Spiele nicht herumgefahren.
    „Wenn du hier etwas verstecken wolltest-wo würdest du das tun?“ fragte Semir und warf noch einen Blick in das Bad, das zwar neuer war, aber genauso schmutzig-allerdings stand darin eine relativ neue Waschmaschine und die Badewanne sah auch benutzt aus. Der Mann hatte auch nicht verwahrlost ausgesehen, als sie ihn angeschaut hatten-anscheinend war es ihm gelungen wenigstens nach außen hin noch einen Rest Normalität und Selbstachtung aufrecht zu erhalten.
    Ben ließ prüfend seinen Blick durch die Küche, in der sie nun wieder standen, gleiten. „Wo haben die alten Leute früher ihr Geld oder andere Wertsachen aufbewahrt?“ überlegte er. „Meine Großmutter in der Türkei hat das im Küchenschrank gemacht!“ sagte Semir und so öffneten sie die Türen des Küchenbüffets. Da war auch nicht so viel Staub wie überall sonst und nun fiel Ben´s Blick auf eine alte Kaffeedose und irgendwie wurde er von diesem Objekt magisch angezogen. Er zog Einmalhandschuhe, von denen er immer ein Paar in der Tasche hatte, heraus, zog sie an und griff nach der Dose, die genau in seiner Augenhöhe stand. Er öffnete sie und als er einen Blick hinein warf, zog ein Lächeln über sein Gesicht: „Bingo!“ rief er und nun war es an Semir ihn fragend zu mustern.

  • Ben trat an den schmutzigen Tisch und stellte da die Dose ab. Als er hinein fasste, war da als Erstes ein kleines Bündel Geldscheine. Als er es heraus nahm und zählte, waren da gerade mal 120€ in lauter Zwanzigern aufgerollt-also kein großes Vermögen. Allerdings war noch etwas in der Dose und zwar mehrere Din A 4-Zettel auf denen eng gedruckt viele Adressen in Köln und dem ganzen Westen standen. Als Semir und der gutaussehende dunkelhaarige Polizist die interessiert durchgingen, holte Ben dann sein Handy heraus und gab da hintereinander mehrere davon im Internet ein. Es handelte sich um überwiegend kleine Elektronikfachgeschäfte, Läden für gebrauchte Spielekonsolen oder ominöse Handelsgesellschaften. „Vielleicht sind das alles Abnehmer für die Computerspiele. Ich habe mir die leider nicht so genau angeschaut, aber eventuell waren das Raubkopien in dem Wagen und der Täter war deshalb so scharf darauf, sie wieder zu bekommen, damit wir ihm nicht auf die Schliche kommen! In der Herstellung kostet so eine DVD ja kaum was, ein leistungsstarker Drucker für die Cover und eine Foliermaschine, schon hast du da ein perfektes Duplikat, nur den Entwicklern dieser Spiele, die sich das einen Haufen Geld kosten lassen, entgeht da der Gewinn, aber wenn die Artikel gut gemacht sind, bemerkt der Käufer da nichts davon!“ erklärte er Semir und der sah ihn mit gerunzelter Stirn an. „Ist denn da so viel damit verdient, dass sich das lohnt?“ fragte er seinen Kollegen und der nickte: „So ein angesagtes Spiel kostet schon mal 50€, wenn du da sagen wir Herstellungs-und Vertriebskosten mit 10€ veranschlagst und du das Spiel 10€ billiger verkaufst als die Konkurrenz, bleiben dir immer noch 30€ pro Spiel-rechne das mal hoch, dann bleibt da ordentlich was hängen! Unsere Kollegen vom Zoll und ganze Spezialeinheiten, die sich ausschließlich mit Produktpiraterie befassen, wissen, was das für ein heißes Pflaster ist. Natürlich kommen sehr viele dieser illegalen Kopien aus Fernost, oft mit dem Schiff, aber diesen Tätern fehlen meist die Vertriebswege, die Kopien sind schlecht, so dass die Spiele nicht stabil laufen und sowas spricht sich in der Gamerszene sofort rum und dann kaufen die Leute lieber das Original. Wenn das nun irgendwo nur ein wenig billiger ist, kommt niemand drauf, dass es sich da um eine gut gemachte Raubkopie handelt und ich denke um genau das handelt es sich in diesem Fall. Am besten lassen wir jetzt die ganzen Adressen von Susanne überprüfen und statten der einen oder anderen da mal ganz unauffällig einen Besuch ab-ich denke da primär an Testkäufe, denn wenn wir davon ausgehen, dass unser Toter der Lieferant war und die Ladeninhaber sich da auf illegale Geschäftchen eingelassen haben, werden die uns keinen Ton sagen, wenn wir in offizieller Funktion kommen!“ erklärte Ben seinem Freund und der schüttelte den Kopf. „Oh Mann-das ist ja so gar nicht meine Welt!“ sagte er, aber Ben grinste: „Ich weiss auch schon, wen ich da als Testkäufer engagiere, denn du fliegst ja bereits nach fünf Minuten auf, so wenig Ahnung wie du hast-ich werde Hartmut mitnehmen!“ beschloss er und nun musste Semir ebenfalls lächeln. Ja-das war da genau der richtige Mann dafür und vermutlich würde es ihm auch noch Spaß machen, in dieser Szene zu ermitteln.


    Nun läutete Semir´s Handy, die Chefin war dran: „Ich habe den Durchsuchungsbefehl-wie viele Leute brauchen sie?“ fragte sie und Semir überlegte. „Schicken sie mal vier oder fünf, wir schauen inzwischen schon mal, ob wir über einen Nebeneingang ins Gebäude kommen!“ sagte er unschuldig und als eine Weile später die Verstärkung mit einem Mannschaftswagen in den Hof fuhr, hatten sie die Haustür von innen geöffnet. „Wir haben auch schon was gefunden!“ begrüßte Semir die Kollegen und überließ denen das Feld, während er und Ben sich noch kurz auf den Weg zu Ben nach Hause machten, bevor sie nach Köln zurückfahren würden. Ben hatte bereits mit dem Tablet die Listen fotografiert, die Fotos geschickt und Susanne überprüfte die angegebenen Adressen.
    Ben und Semir ekelte es dermaßen-sie hatten das Gefühl, dass der Schmutz überall an ihnen klebte und so sprangen sie kurz am Gutshaus, das nur zehn Kilometer von dem Haus des Toten entfernt war, unter die Dusche-gut dass auch Semir immer eine Plastiktüte mit Wechselklamotten im Kofferraum herum fuhr!
    Sarah hatte zufällig gerade das Mittagessen fertig, so dass sie sich gleich noch stärken konnten, obwohl der Kuchen ja noch gar nicht verdaut war, aber Ben konnte immer essen. Tim, der der Mama am Vormittag geschäftig im Garten geholfen hatte, die die letzten Spätsommertage ausnutzte, bevor der Herbst endgültig über sie hereinbrach, war sehr erfreut den Papa und auch Semir zu sehen, der ihm von klein auf sehr vertraut war. Er aß alleine Spaghetti mit Tomatensauce und danach mussten die beiden Männer lauthals lachen, denn er sah ein wenig aus wie ein Indianer danach. „Na kleine Rothaut!“ sagte Ben, während er vor dem Aufbruch seinem Sprössling noch Hände und Gesicht wusch, der sich danach sofort freiwillig zum Mittagsschlaf in sein Bettchen legte. „Seit wir umgezogen sind ist er durch die viele frische Luft immer so müde-ich werde mich auch gleich ein wenig mit hinlegen!“ sagte Sarah glücklich und Ben küsste sie zärtlich zum Abschied. „Pass auf dich auf-bis heute Abend!“ sagte er liebevoll, bevor er und Semir wieder in den BMW sprangen und zurück zur Dienststelle fuhren.

  • Von unterwegs hatte Ben schon mal dem Kriminaltechniker sein Anliegen unterbreitet und der war Feuer und Flamme. „Au ja-das ist doch eine Tätigkeit so ganz nach meinem Geschmack!“ sagte er und machte sich ebenfalls von der KTU auf zur PASt. Dort trafen sie fast gemeinsam ein und nachdem sie kurz der Chefin Rapport erstattet hatten, machten sich Ben und Hartmut gemeinsam auf, um die erste Adresse abzuklappern. Semir setzte sich derweil aufseufzend an den Schreibtisch. „Ach Mann-und ich darf jetzt wieder Berichte schreiben!“ maulte er, aber klar war diese Vorgehensweise das Vernünftigste, was sie tun konnten. Die Chefin hatte ein kurzes Lob ausgesprochen, immerhin hatten sie binnen Kurzem den Toten identifiziert und ein mögliches Motiv, zumindest für den Diebstahl der Spiele und des Handys ermittelt. Wer allerdings die Täter waren, das stand bisher in den Sternen, aber klar war, dass da jemand am Werk war, der sich mit Computern und Überwachungsanlagen bestens auskannte. Hartmut hatte während ihrer Abwesenheit gründlich das Fahrzeug untersucht, aber keine weiteren Spuren entdeckt, danach hatte er sich wieder an den PC gesetzt und versucht heraus zu finden, wie es dem oder den Einbrechern gelungen war, unbemerkt in sein so sicher geglaubtes System einzudringen, aber er hatte es nicht nachvollziehen können.
    Der erste Laden war ein kleiner Gamer-Treffpunkt, nicht gerade in Kölns bester Gegend, aber kaum hatten Hartmut und Ben das Geschäft betreten, waren sie in ihrem Element. Für die Kunden standen einige Spielekonsolen zum Ausprobieren zur Verfügung, mehrere Jugendliche und Erwachsene nutzten dieses Angebot und nachdem Ben wenigstens fünf verschiedene Spiele bei seinem Blick in den Laderaum hatte identifizieren können, fragten sie gezielt nach denen und ließen sich da auch was demonstrieren. Der Besitzer des Ladens war ein Zocker, das konnte man gleich erkennen, aber binnen Kurzem waren die drei am Fachsimpeln und als sie wenig später den Laden verließen, hatten sie drei Spiele im Sonderangebot erstanden-Ben hatte seinen Geldbeutel gezückt- um erst einmal zu schauen, ob sie mit ihrer Vermutung richtig lagen. Kaum waren sie um die Ecke verschwunden, riss Hartmut die Zellophanverpackung des ersten Spiels auf und noch im Fahrzeug konnte er die Vermutung einer Raubkopie bestätigen. Trotzdem fuhren sie zur KTU und der Rothaarige erklärte Ben, woran er so sicher feststellen konnte, dass das keine Originalspiele waren.


    „Weisst du was-jetzt drehen wir den Spieß um!“ beschloss der dunkelhaarige Polizist und unterbreitete Hartmut seinen Plan. So standen sie einige Zeit später wieder in dem Laden und Ben hielt dem Verkäufer anklagend das Spiel entgegen: „Das läuft nicht rund-ich möchte sofort mein Geld zurück und werde den Hersteller kontaktieren. Mann das war zwar im Sonderangebot, aber trotzdem hat es noch einen Menge Geld gekostet!“ beschwerte er sich und der Verkäufer wurde blass. „Gib her und du kriegst entweder ein anderes oder natürlich das Geld wieder, wenn du möchtest!“ sagte er schnell. „Ich schicke das selber ein-immerhin hast du das Spiel im Fachhandel gekauft und ich hafte schließlich dafür. Wenn die anderen nicht richtig gehen, kannst du die natürlich auch zurück bringen!“ bot er an, aber Ben schüttelte den Kopf. „Die haben wir noch nicht ausprobiert, aber die sind von zwei ganz anderen Herstellern, das wäre schon ein blöder Zufall, wenn an denen auch was nicht in Ordnung wäre!“ behauptete er und nun wurde sein Gegenüber noch ein wenig blasser, besonders als Ben nun die Stirn runzelte und langsam, als wäre es ihm gerade erst eingefallen, eine Vermutung in den Raum schmiss. „Es sei denn, das wären gar keine Originalspiele-aber dann gehe ich zur Polizei, ich schwörs dir, denn mich linkst du nicht!“ sagte er zornig und Hartmut nickte bekräftigend. „Mann Jungs, jetzt regt euch doch nicht so auf-wisst ihr was-ich mache euch nen Vorschlag: Behaltet die Spiele, ich lege sogar noch ein paar drauf und das Geld kriegt ihr trotzdem zurück, geht nach Hause und vergesst da Ganze!“ schlug er vor und nach kurzer Überlegung willigte Ben pro forma ein. Er bekam sein Geld ausgehändigt, einige neuere Spiele dazu, sie verließen gemeinsam den Laden und als sie aus den Augenwinkeln den Geschäftinhaber in irgendwelchen Privaträumen hinter der Theke verschwinden sahen, drehte sich Ben blitzschnell um, hastete in das Geschäft zurück, in dem sie gerade zufällig die einzigen Kunden gewesen waren und verbarg sich hinter einem Verkaufsstand.


    Der Ladenbesitzer hatte anscheinend einen Sensor hinten angebracht, der ihm die Türöffnung anzeigte und kam sofort wieder heraus. Hartmut hatte sich gebückt und hielt fluchend den Autoschlüssel in die Höhe. „Mann ohne den kommen wir hier nicht weg!“ sagte er schnell und Ben hörte, wie der Mann erleichtert aufatmete, als Hartmut nun endgültig den Laden verließ. Erneut verschwand der Ladeninhaber in dem Raum und Ben schlich ihm leise wie eine Katze hinterher. Dort ging der Typ an einen Laptop und schrieb eine Nachricht, bis draußen erneut die Türglocke ging. Ben war fast unsichtbar hinter einem Vorhang verborgen und als sich der Verkäufer nun an ihm vorbei in den Verkaufsraum begeben hatte, ohne ihn zu bemerken, huschte er in das Büro, oder den Aufenthaltsraum, oder wie auch immer man zu diesem Ort sagen wollte, packte den Laptop, öffnete das Fenster und schwang sich katzengleich hinaus. Wenig später saß er bei Hartmut im Mercedes, der den Wagen derweil um die Ecke rangiert hatte und übergab dem den kleinen PC. „Na jetzt werden wir mal sehen, wem und was er da geschrieben hat-rutsch rüber, ich fahre!“ bestimmte Ben und steuerte die KTU an, denn Hartmut hatte den Kopf geschüttelt und: „So einfach geht das nicht!“ gemurmelt. Schon unterwegs begann Hartmut wie ein Wilder auf der Tastatur herum zu hämmern und beschied Ben. „Ich denke das dauert eine Weile, bis ich herausgefunden habe, an welche IT-Adresse er geschrieben hat und auch an den Inhalt der Mail komme ich nicht so einfach ran!“ erklärte er. „Aber du schaffst es?“ vergewisserte sich Ben und Hartmut nickte empört: „Natürlich, was denkst du denn?“ antwortete er und so ließ Ben Hartmut mit ihrer Beute aussteigen und beschloss nach einem Blick auf die Uhr für heute Feierabend zu machen. „Du rufst mich an, wenn du was rausgefunden hast?“ bat er Hartmut und der nickte- konzentriert war er gerade dabei, die angeblich so sichere DE-Mail, die der Verkäufer versendet hatte, zu knacken. Ben schloss sich telefonisch noch mit Semir kurz, der immer noch in der PASt hockte und erzählte ihm vom Fortgang der Ermittlungen. „Ich fahre jetzt trotzdem heim und werde Sarah ein wenig entlasten-die letzten Wochen vor der Geburt möchte ich eigentlich keine Überstunden machen!“ teilte er seinem Kollegen mit und der stimmte ihm zu. „Morgen ist auch noch ein Tag!“ sagte er und machte sich ebenfalls auf den Weg nach Hause zu Andrea und den Kindern.

  • Als Ben zuhause angekommen war, musste er sofort mit seinem Sohn in die Sandkiste gehen-Tim bestand darauf! Er hatte nämlich von Hildegard, die nachmittags ein wenig vorbei gekommen war, ein neues Sandspielzeug bekommen. Wenn man den losen Sand da rein füllte, drehten sich Räder und ein einfacher Mechanismus kam in Gang. Tim war so fasziniert, dass er gerade gar nichts anderes mehr spielen wollte. Er belud das Ding mit seinem Schaufelbagger, benutzte Förmchen und Kinderschaufeln, um seine Phantasie auszuleben und Sarah sagte lächelnd zu Ben, während sie heute drinnen den Tisch deckte und das Abendbrot zubereitete, es wurde nämlich gerade kühl im Freien: „Das ist so toll mit dem Sand. Tim ist beschäftigt und ich kann auch nebenbei was machen-hoffentlich bleibt es noch ein Weilchen wenigstes untertags schön, denn langsam wird es abends jetzt draußen ungemütlich!“ was auch normal war, denn inzwischen war es Oktober geworden und der Herbst rückte näher. Nachdem man Tim ausgeredet hatte, dass er das neue Spielzeug mit ins Bett nahm, den jungen Mann kurz abgeduscht und in den Schlafanzug gesteckt hatte, aßen sie gemeinsam und Ben ging, als sein Sohn im Bett war, heute mal ein wenig später mit Lucky spazieren.


    Die Dämmerung war schon herein gebrochen und erste Nebelschwaden waberten durch die Rheinniederung. Ben fröstelte und zog seine Jacke ein wenig fester um sich. Etwa einen halben Kilometer von ihrem Haus entfernt war ein kleines Wäldchen und nachdem er eh kein Ziel hatte, ging er mit Lucky dorthin. Dem Hund war es egal wohin-er freute sich laufen zu können, roch interessiert an verschiedenen Spuren, die Artgenossen hinterlassen hatten und verschwand immer mal wieder kurz, wenn er einen Spurt hinlegte, aber Ben hatte keine Sorge, dass er ihn verlieren könnte, denn bei ihnen war es umgekehrt wie bei anderen Mensch-Hund-Konstellationen. Lucky hatte sich sein Herrchen ausgesucht, ihn mit seinem Leben gegen ein paar beisswütige Bestien verteidigt-er würde nicht weglaufen, sondern achtete im Gegenteil peinlich darauf, sein Herrchen nicht zu verlieren!
    Als sie sich dem Wäldchen näherten, verharrte der Hund, sträubte sein zotteliges graues Fell und knurrte. „Was ist denn, Lucky?“ fragte Ben verwundert, denn er konnte eigentlich kaum etwas erkennen, so dämmrig war es inzwischen geworden. Sie waren nun direkt vor der Ansammlung von Bäumen und Sträuchern angekommen. Ein breiter, hell geschotterter Weg schlängelte sich hinein, der sich gegen die Umgebung abhob, aber ansonsten war es nochmals dunkler geworden. Plötzlich war da eine Bewegung und nun sträubten sich plötzlich auch Ben´s Haare und ihn befiel ein ganz ungutes Gefühl. In einiger Entfernung rührte sich etwas und als Ben genauer hinsah, meinte er seinen Augen nicht zu trauen. Da war tatsächlich-in ein unwirkliches Licht getaucht- ein Mönch in dunkler Kutte. Die Kapuze ragte so in dessen Gesicht, dass man die Züge nicht erkennen konnte, nur die feingliedrigen Hände waren zu sehen. Er stand einfach so da und als Ben genauer hinsah, überkam ihn das Grauen-denn der Mönch stand da nicht-nein-er schwebte!


    In diesem Augenblick kannte Lucky kein Halten mehr. Er hatte bisher zitternd bei Herrchen verweilt, aber jetzt jaulte er auf, machte auf dem Absatz kehrt und rannte davon. Ben rief ihm hinterher: „Lucky!“ aber zum ersten Mal in seinem Leben, gehorchte der Hund nicht, sondern blieb in der Dunkelheit verschwunden. Als Ben, der ihm natürlich nachgeblickt hatte, sich nun wieder umwandte, war der Mönch ebenfalls weg und langsam glaubte Ben, dass er sich das nur eingebildet hatte, dass der geschwebt war. Er überlegte kurz, ob er nach dem unheimlichen Typen in seiner Kutte suchen sollte, aber er hatte weder eine Taschenlampe noch seine Waffe dabei und wenn er ehrlich war, gruselte es ihn immer noch ein wenig. Nun rief auch noch ein Käuzchen und so beschloss Ben sich jetzt doch zurück zu ziehen und seinen Hund zu verfolgen. Er rief immer wieder laut: „Lucky!“ und lockte ihn mit freundlichen Tönen, aber der blieb verschwunden.


    Plötzlich läutete Ben´s Handy-Sarah war dran und klang ganz aufgeregt: „Geht´s dir gut, Schatz?“ sprudelte sie nur so hervor. „Gerade ist Lucky nach Hause gekommen und hat winselnd und total verstört an der Haustür gekratzt, ich hatte solche Angst, dass dir was passiert ist!“ rief sie in den Hörer, aber Ben beruhigte sie: „Nein-mir geht’s gut, Lucky ist mir nur abgehauen!“ sagte er und beschloss im selben Augenblick, ihr von seiner unheimlichen Begegnung nichts zu erzählen. Da musste er sich erst morgen mit Semir darüber unterhalten und mit dem gemeinsam bei Tageslicht und bewaffnet in das Wäldchen gehen. So strebte Ben rasch nach Hause, allerdings sah er sich unbewusst ein paar Mal um, ob er verfolgt wurde, aber alles blieb ruhig. Als sie später ins Bett gingen, kontrollierte Ben noch unauffällig, ob wirklich alle Türen und Fenster gut verschlossen waren, aber dann fiel er doch in einen traumlosen Schlaf.

  • Am nächsten Morgen läutete kurz nach dem Frühstück sein Telefon und Hartmut war dran. „Ben-tut mir leid, dass ich dich erst so spät informiere, aber ich muss gestehen, ich wollte nur ein kleines Päuschen machen, weil die Rückverfolgung der IP-Adresse doch länger gedauert hat als vermutet und bin dann einfach hier auf dem Boden eingeschlafen. Jetzt habe ich zwar den Inhalt der Mail, aber der Empfänger hat seine Identität sehr gut verborgen. Ich wurde über mehrere Proxi-Server in der ganzen Welt umgeleitet und kann einfach den Adressaten nicht herausfinden-das macht mich fast wahnsinnig!“ erklärte er erzürnt. „Und-was steht in der Mail?“ wollte Ben nun ungeduldig wissen: „Habe Ärger mit Kunden, die die Polizei einschalten wollen, sie haben den Verdacht geäußert, ich hätte ihnen Raubkopien verkauft-was soll ich tun?“ las Hartmut vor. „Und eine Antwort ist auch kurz darauf gekommen: „Ruhe bewahren-Ware wird abgeholt-der Mönch!“ fuhr er fort und nun lief Ben wieder ein eiskalter Schauer über den Rücken, als er bei der Erwähnung des Kuttenträgers an sein unheimliches Erlebnis vom Vorabend dachte.


    Allerdings packte er nun den Autoschlüssel, gab Sarah und Tim einen Kuss zum Abschied und machte sich dann schleunigst auf den Weg Richtung PASt. Sie mussten unbedingt den Laden observieren-vielleicht ging ihnen der Typ in die Falle-einer seiner Helfer, vielleicht sogar der einzige, war schließlich tot. Wenn sie Glück hatten, kam der Mönch persönlich und außerdem mussten sie auch noch das Wäldchen durchsuchen, wobei Ben da sein Gruseln vom Vortag inzwischen fast ein wenig peinlich war. Als ob da ein Mönch geschwebt wäre-er hatte wohl zu viele Gruselfilme gesehen-das Ganze musste eine natürliche Erklärung haben! Als er dann allerdings daran dachte, wie Lucky da in wilder Panik geflohen war, wurde er doch ein wenig unsicher. Es gab einfach mehr zwischen Himmel und Erde, als man sich vorstellen konnte und Tiere hatten da ein unertrügliches Gespür dafür, wann es besser war, die Flucht zu ergreifen. Allerdings war das schon merkwürdig, dass er gerade sozusagen von Mönchen verfolgt wurde-beruflich wie privat, ob da nicht ein Zusammenhang bestand?


    Wenig später trafen Semir und er fast gemeinsam in der PASt ein. Wenn sie jetzt natürlich Pech hatten, war die Ware in der Nacht bereits abgeholt worden, aber einen Versuch war es wert und so saßen nach einem kurzen Gespräch mit der Chefin wenig später Semir und Ben ein wenig abseits vor dem Computerladen im BMW, so dass sie den Eingang überwachen konnten. Ben hielt sich unauffällig zurück und hatte auch eine Schildmütze aufgesetzt und tief ins Gesicht gezogen-ihn kannte der Ladenbesitzer schließlich-aber Semir benahm sich völlig normal. Der Laden hatte nur diesen einen Eingang und zum Transport von einigen Computerspielen brauchte man ein Fahrzeug, also mussten sie hauptsächlich darauf achten. Während die Stunden vergingen, ohne dass etwas geschah, erzählte Ben seinem Partner von seiner unheimlichen Begegnung am Vorabend. „Ich weiss natürlich, dass das nicht möglich ist, aber stell dir vor-ich habe mir tatsächlich eingebildet, da wäre ein Mönch über dem Boden geschwebt. Aber die ganze Situation war so unwirklich-die Nebelschwaden, die Dämmerung, das Käuzchen-ich habe mich stark an so alte Edgar Wallace-Verfilmungen erinnert gefühlt, da hat auch immer der Nebel über der Themse gewabert, während unheimliche Gestalten böse Dinge getan haben. Erst kürzlich habe ich mit Sarah mal wieder: „Der schwarze Abt!“ angesehen und ein wohliges Gruseln hat uns da befallen!“ erzählte Ben und Semir lachte. „Na dann wissen wir ja schon, was bei dir solche Halluzinationen auslöst! Du beschäftigst dich einfach zur Zeit zu viel mit Mönchen, Äbten und so nem Scheiß, da kann man leicht mal ein wenig überschnappen!“ versuchte er seinen Freund zu erden, aber der bestand trotzdem darauf, dass sie später das Wäldchen durchsuchen sollten und Semir sagte ihm zu, das nach Feierabend mit ihm zu erledigen.


    Parallel hatte die Chefin Jenni und einen anderen jüngeren Kollegen in Zivil –Bonrath wäre da wohl nicht der Richtige dafür gewesen-ausgesandt, um weitere Testkäufe in einigen Computerläden zu machen, die auf der Liste standen, aber genau die Spiele nach denen sie fragten, waren angeblich aktuell ausverkauft, nicht lieferbar oder noch nie im Sortiment gewesen. „Ich befürchte, da hat jemand Lunte gerochen und ist uns einen Schritt voraus!“ sagte Semir enttäuscht, als er davon erfuhr. Letztendlich beorderten sie am Nachmittag Jenni und ihren aktuellen Partner noch zum von ihnen observierten Laden, aber auch da waren die Spiele angeblich ausverkauft, in den Geschäftsräumen standen keine Kartons herum und als Ben –während Jenni und ihr Kollege den Ladenbesitzer ablenkten-noch durchs Fenster ins Büro sah, war auch dort nichts gelagert. „So ein Mist-wir sind zu spät! Vermutlich hat der Ladenbesitzer seine Mails mit dem Handy abgerufen und ob er überhaupt einen Zusammenhang zwischen dem Diebstahl seines Laptops und den Spielen hergestellt hat, kann man so nicht sagen, das hier ist schließlich nicht Kölns beste Gegend und wenn er das Fenster aufgelassen hätte, könnte das auch ein Junkie oder so gewesen sein-immerhin war der Laptop dort hinten das einzig Wertvolle in dem Raum!“ überlegte Ben und mit Einverständnis der Chefin brachen sie nun die Observierung ab.


    Nachdem sie beide genügend Überstunden hatten, machten sie ein wenig früher Feierabend und fuhren nun zu Ben´s Landhaus. Sarah war gar nicht da und nun fiel Ben ein, dass sie gesagt hatte, dass sie Tim zu Hildegard bringen wollte und dann zur Schwangerschaftsgymnastik gehen würde. In der Küche lag ein Zettel: „Essen steht im Kühlschrank!“ aber das würde er später einnehmen, sie hatten sich mittags gut an einem Dönerstand versorgt und so hatte er noch gar keinen allzu großen Hunger, außerdem wollte Semir auch heim zu seiner Familie. Lucky war natürlich mit zu seinem Hundefreund Frederik gefahren und so machten sich Semir und Ben wenig später gemeinsam auf den Weg zum Wäldchen.
    Es war noch Tag, aber man merkte, dass der Herbst hereinbrach, denn die Blätter an den Laubbäumen hatten begonnen sich herbstlich zu färben. Sie schritten zügig aus und waren wenig später an ihrem Ziel angelangt. Ben blieb stehen. Irgendwie sah das Ganze bei Tageslicht ganz anders aus-das hier war einfach ein wunderschöner Wald mit Moospolstern, letzten Pilzen, die darauf standen, Laub-und Nadelbäumen, Baumstümpfen und Unterholz-einfach ein Wald wie jeder andere. Er versuchte den Platz zu finden, wo er gestern gestanden hatte, was aber gar nicht so einfach war. Auch die Entfernungen kamen ihm heute anders vor als gestern, aber nach einigem Überlegen deutete er auf ein Moospolster und sagte: „Da müsste der-äh Typ-gestanden haben!“ Als Semir und er sich nun aber dem Ort näherten schüttelte sein älterer Kollege den Kopf. „Ben das kann nicht sein-sieh mal, da ist völlig unversehrtes Moos mit allerlei empfindlichen Pflanzen-man müsste da noch Spuren sehen-das war nicht der Ort!“ und nun wurde Ben doch unsicher. Ziellos streiften sie kreuz und quer durch das Wäldchen, aber da war überhaupt nichts Unheimliches, nur Vögel zwitscherten, ein Eichhörnchen beäugte sie neugierig und dann scheuchten sie sogar einen Hasen auf. „Bist du dir ganz sicher, dass dir da deine Phantasie keinen Streich gespielt hat?“ fragte Semir nun seinen Freund, der immer unsicherer wurde. „Ich weiss nicht!“ murmelte er. „Das Ganze mit dem Umzug, der nahenden Geburt, dann noch der Film und die Story des Geschichtsprofessors-wahrscheinlich warst du einfach nur überreizt und müde und dein Unterbewusstsein wollte dich schnellstmöglich heim aufs Sofa schicken!“ sagte Semir und Ben nickte nun fast überzeugt. Bisher hatte er seinen fünf Sinnen immer trauen können, aber als Semir noch fragte: „Und hattest du vielleicht vor deinem Spaziergang noch das eine oder andere Bierchen?“ da musst er beschämt gestehen, dass er tatsächlich gestern etwas getrunken hatte. Verdammt erst jetzt fiel ihm ein, dass das wohl ganz schön blöd gewesen war. Wenn die Geburt in der Nacht begonnen hätte, hätte er gar nicht fahren können, ab sofort würde er, bis ihr zweites Kind geboren war, nichts mehr trinken-jetzt schalt er sich wegen seiner Fahrlässigkeit. Langsam gingen sie zurück zum Haus und als Semir sich wenig später von ihm verabschiedet hatte, aß Ben die vorbereitete Mahlzeit und kurz darauf kamen auch Sarah und Tim zurück.


    Obwohl Lucky mit seinem Freund gespielt hatte, machte Ben in der Dämmerung mit ihm noch eine kleine Runde über die Felder und dort trafen sie wieder auf Lucky´s neue Freundin, die kleine Rauhaardackelin. Während die Hunde begeistert tobten, erzählte der Geschichtsprofessor, der Ben freudig begrüßt hatte, weiter von der Geschichte dieser Gegend. „Dort drüben, wo jetzt das Wäldchen ist, stand früher die alte Abtei-dort war das Männerkloster, während die Nonnen mitten im Ort ihre Räumlichkeiten hatten. Als man die beiden Klöster 1806 geschleift hat, wurden neben den Mauern einige Babyskelette gefunden, wie die Aufzeichnungen belegen. So viel zu dem Thema Keuschheit-das ist einfach unnatürlich und die Kirche hat es sich immer schon leicht gemacht!“ schimpfte der Professor.
    „Ich war heute mit einem Kollegen in dem Wäldchen zum Pilzesammeln!“ erzählte Ben nun, ohne auf den wahren Grund einzugehen und das schien ein guter Vorwand, obwohl weder Semir noch er irgendeine Ahnung von Pilzen hatten. „Da hat man aber überhaupt keine Ruinen mehr gesehen!“ sagte er nachdenklich. „Ja zu dieser Zeit war Baumaterial begehrt und nachdem man die Mönche und Schwestern teilweise getötet oder davon gejagt hatte, hat die weltliche Macht sich alle Wertsachen einverleibt und dann wurde die Allgemeinbevölkerung aufgerufen, sich an dem zu bedienen, was noch übrig war. Viele Gebäude in unserem Dorf, wie ja auch ihr Haus, haben sozusagen historische Anteile, da blieb fast nichts übrig!“ erzählte der alte Professor. „Haben sie dann auch Pilze gefunden? Das müsste eigentlich ein guter Platz sein, denn die Dorfbevölkerung geht nicht so gerne in das Wäldchen, weil dort angeblich die ermordeten Mönche herum spuken!“ sagte er dann noch und nun verschlug es Ben für einen Augenblick die Sprache.

  • Nachdenklich ging Ben mit seinem Hund zum Haus zurück. Langsam wusste er nicht mehr was er denken sollte. Semir hatte es beinahe geschafft gehabt, ihn davon zu überzeugen, dass er eine Halluzination gehabt hatte, als er den schwebenden Mönch gesehen hatte, aber jetzt war er sich da plötzlich gar nicht mehr so sicher. Allerdings waren sie doch hier nicht in der Geisterbahn und eigentlich glaubte er überhaupt nicht an übersinnliche Phänomene, außerdem wollte er sich darüber auch gar keine Gedanken machen, denn sie hatten dieses wunderschöne, gemütliche Haus vom ersten Besichtigungstermin an ins Herz geschlossen und gewusst: „Das ist es!“ Tim war die meiste Zeit draußen an der frischen Luft, Sarah´s Haut war trotz Herbst leicht gebräunt und auch er genoss die gute Luft, spazieren zu gehen, ohne ständig auf andere Leute zu treffen-na ja außer dem Professor halt, aber dessen Erklärungen interessierten ihn auch und außerdem war Lucky ja ebenfalls begeistert, wenn er Amy, seine neue kleine Freundin traf.


    So kam er zuhause an, als es schon stockdunkel war und sah Sarah wieder im Wohnzimmer herum wandern und sich den Rücken halten. „Schatz, was ist?“ fragte er besorgt, aber Sarah lächelte. „Nur wieder die blöden Senkwehen-ich kenne das ja schon von der letzten Schwangerschaft. Allerdings hat die Hebamme, die die Gymnastik heute geleitet hat, gemeint, es würde wohl bei mir nicht bis zum Termin gehen, weil der Bauch schon relativ weit unten sei, aber ehrlich gesagt bin ich froh, wenn das so ist-langsam wird’s manchmal ein wenig beschwerlich und ich komme mir gerade vor wie ein Elefant mit angelaufenen Füßen-irgendwie so prall und unförmig-du findest mich sicher gerade überhaupt nicht hübsch und ich kanns dir nicht verdenken!“ sagte sie ein wenig traurig. Ben allerdings trat nun hinter sie, umfing sie mit seinen beiden Armen und küsste zärtlich ihren Hals: „Du bist die schönste Frau, die ich kenne und bist auch mit Babybauch für mich hochattraktiv-immerhin trägst du darin ja einen Teil von mir und ich freue mich unheimlich auf das neue Baby. Wie sie wohl aussehen wird-unsere kleine Mia!“ sagte er provokativ und jetzt drehte sich Sarah empört um. „Sie wird Sophie heißen-der Name hat mir immer schon wahnsinnig gut gefallen und du weisst das-was hast du nur immer mit diesem blöden „Mia“-war das eine Verflossene von dir, der du jetzt ein Denkmal setzen willst?“ sagte sie ein wenig giftig, aber nun lachte Ben. „Warten wir ab, bis sie da ist-dann entscheiden wir endgültig, wie sie heißen soll!“ beschloss er und nachdem sie noch ein wenig ferngesehen hatten, gingen sie bald ins Bett und schliefen eng aneinander gekuschelt ein.


    Mitten in der Nacht erwachte Ben wieder, weil Lucky leise grollte. Heute wurde auch Sarah wach. „Ben-was ist los-ist da jemand im Haus?“ fragte sie angstvoll, aber sie konnten beide kein Geräusch vernehmen. Ben stand auf und griff nach seiner Waffe, die er heute aus unerfindlichen Gründen aufs Nachtkästchen gelegt hatte. Normalerweise schloss er die immer in dem kleinen Safe ein, den sie extra deswegen erstanden und auch gleich einmauern hatten lassen, aber gestern hatte er das vergessen. Lucky sprang nun mit auf, Ben machte das Licht an und kontrollierte erst einmal, ob es Tim, der im Nebenzimmer schlief, gut ging. Sarah holte ihn aus seinem Bettchen und legte ihn ins Elternbett, wo er sofort weiter schlief. Ihre Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt und Ben bat sie im Flüsterton, die Schlafzimmertüre von innen zuzusperren. Nun machte er alle Lichter an und vollendete-gefolgt von Lucky, der immer noch seine Haare wie eine Bürste gesträubt hatte- seinen Kontrollgang durchs Haus. Aber wie beim letzten Mal konnte er nichts Auffälliges feststellen, nicht einmal im Keller, der wunderbar ausgebaut war und sogar eine Sauna enthielt. Als er allerdings auf den Stromzähler sah, bewegte sich das Kontrollrad relativ schnell-wo zum Teufel verbrauchten sie gerade so viel Energie? Ben beschloss, deswegen einen Elektriker oder einen Energieberater, oder noch besser Hartmut kommen zu lassen-nicht dass er sich eine hohe Stromrechnung nicht leisten konnte, aber das war schon merkwürdig!


    Trotz aller Mühe konnte er nichts entdecken und inzwischen hatte auch Lucky seinen Pelz wieder geglättet, lief in die Küche zu seinem Wassernapf, trank ein paar Schlucke und stellte sich dann wieder mit den Vorderbeinen auf die Treppe, was bedeutete: „Komm Herrchen, ich bin noch müde und will weiterschlafen!“ und aufseufzend folgte Ben seinem Hund nach oben. „Sarah mach auf-ich habe nichts gefunden-wahrscheinlich hat Lucky schlecht geträumt!“ rief er und Sekunden später drehte sich der Schlüssel im Schloss. Lucky plumpste auf seine Decke vor Ben´s Bett und nach kurzer Überlegung drehte Ben den Schlüssel wieder von innen um. „Nur so zur Vorsicht!“ sagte er harmlos und Sarah sah ihn merkwürdig an. Ben steckte die Waffe in sein Nachtkästchen, damit Tim nicht rankam und schlüpfte dann unter die Decke. Sie brauchten alle beide eine Weile um wieder einzuschlafen, denn Tim war ein unruhiger Schläfer und trat und boxte manchmal um sich, aber irgendwann übermannte sie alle der Schlaf, allerdings waren sie am Morgen als der Wecker klingelte wie gerädert. Die Sonne schien zum Fenster herein, das Haus und der Garten, der in spätherbstlicher Pracht vor ihnen lag, blitzten, denn in der Nacht war ein wenig Regen gefallen. „Ich weiss nicht, was Lucky und uns heute Nacht so beunruhigt hat?“ sagte Sarah verwundert, „hier ist es doch so schön und unschuldig-vermutlich haben wir uns nur noch nicht an die Landluft gewöhnt!“ sagte sie und als Ben die Terrassentür öffnete musste er ihr beipflichten und schloss sie schnell wieder. Der Bauer nebenan fuhr nämlich anscheinend schon in aller Herrgottsfrühe seine Jauche auf die abgeernteten Felder und ein intensiver Gestank durchzog die Luft.


    „Ist mit dir auch wirklich alles in Ordnung und ich kann zur Arbeit fahren?“ fragte Ben, der sich vorsichtshalber nochmals gründlich umgesehen hatte, aber überhaupt nichts Gefährliches hatte entdecken können. „Natürlich kannst du fahren-was uns da heute Nacht beunruhigt hat, waren vermutlich nur Hirngespinste-oder ein alter Gutsherr spukt des Nachts durch die Gemäuer!“ sagte Sarah lachend, aber Ben konnte das im Augenblick gar nicht lustig finden!


    Trotzdem machte er sich wenig später auf zur PASt, wo Semir schon vor ihm eingetroffen war, denn Ben schaffte es auch von seinem neuen Zuhause aus, immer auf den letzten Drücker loszufahren und gerade noch rechtzeitig vor einem Anschiss der Chefin einzutrudeln. Sie wurden zur Besprechung ins Büro bestellt und nachdem verschiedene unauffällige Testkäufe in den Geschäften auf der Liste nichts gebracht hatten, beschloss man nun, bei dem einen Computerfritzen, von dem sie die Raubkopien erworben hatten, eine Durchsuchung der Geschäftsräume und auch seiner Privatwohnung durch zu ziehen. Vielleicht würde der plaudern, wenn man ihm ein wenig auf den Zahn fühlte, Kim Krüger hatte schon den Durchsuchungsbeschluss vom Richter bekommen und so fuhren sie mit großem Polizeiaufgebot los. Auch Hartmut war mit von der Partie-sie würden sich jetzt nicht mehr verbergen, sondern Polizeipräsenz zeigen, damit der Typ möglichst eingeschüchtert wurde.


    Der rothaarige Kriminaltechniker fuhr bei Semir und Ben im Wagen mit und unterwegs fragte ihn der jüngere Polizist, ob er sich mit schleichenden Energieverlusten auskenne. „Weisst du Hartmut-ich habe in unserem neuen Haus eine Mega-Stromrechnung, irgendwie muss da was defekt sein, oder irgendein Gerät, das ich noch nicht gefunden habe, Strom ziehen! Vielleicht magst du dir das mal ansehen und bei der Gelegenheit gleich unser neues Heim besichtigen!“ lud Ben seinen Kollegen ein. „Zu essen und zu trinken gibt’s natürlich auch was und du muss das auch nicht umsonst machen!“ fügte er noch hinzu und nun war Hartmut fast beleidigt. „Also Ben hör mal-sowas ist ein Freundschaftsdienst, das kostet auch nichts, wenn ich mich da mal ein wenig bei euch umsehe. Ich bringe auch ein paar Messgeräte mit-vielleicht finde ich ja was raus!“ versprach er und so war das ausgemacht.
    „Allerdings nicht heute Abend-da muss ich nämlich mit Sarah zum Geburtsvorbereitungskurs mit Besichtigung des neuen Kreißsaals in der Uniklinik. Ich weiss zwar nicht was das soll, denn ich habe das Ganze ja schon mal hinter mir, aber Sarah besteht da drauf!“ sagte er und Semir musste lächeln. Andrea hatte die Geburten alleine durchstehen müssen, ihm wurde da nämlich schlecht und er war umgefallen, gut dass Susanne da gewesen war, um ihr beizustehen, aber Ben hatte das bravourös gemeistert und später sogar damit angegeben, dass er höchstpersönlich die Nabelschnur durchgeschnitten hatte. Aber schließlich war so eine Geburt schon ein Erlebnis und auch ein wichtiger Moment in der Bindung der Eltern zu den Kindern, Ben sollte da ruhig dabei sein und wenn es losging würde der dunkelhaarige Polizist sofort seinen dreiwöchigen Urlaub antreten und sich in der Zeit nur um seine Familie kümmern, egal was derweil in der PASt so anstand.

  • Als die Polizeifahrzeuge vor seinem Laden vorfuhren, erschrak der Besitzer des Computerladens bis ins Mark. Er konnte sich schon vorstellen, was nun kam, denn er erkannte sofort Hartmut und Ben als die Käufer, war allerdings ziemlich erstaunt, als sie sich selber als Polizisten outeten. Eigentlich hatte er zunächst gedacht, dass er keine Sorge mehr haben müsse, denn nur wenige Stunden nach seinem Anruf war die heiße Ware abgeholt worden-er war gerade fertig geworden mit dem Zusammenpacken. Der Diebstahl seines Laptops hatte ihm allerdings große Sorgen gemacht und er hatte sich eigentlich nicht daran erinnern können, dass er das Fenster in seinem Büro aufgelassen hatte, aber als er einen Kunden bedient hatte und kurz darauf wieder nach hinten gegangen war, fehlte sein tragbarer PC, aber sonst nichts und das war durchaus merkwürdig, denn Einschleichdiebe aus der Umgebung hätten sicher die Geldkassette ebenfalls mitgenommen, in der sich immerhin mehrere hundert Euro befanden und die recht offensichtlich fast daneben gestanden hatte.
    Allerdings hatte er dem Mönch davon nichts mitgeteilt, denn der ältere Mann, der sonst die Ware lieferte, hatte ihm einmal im Vertrauen erzählt, dass sein Auftraggeber gefährlich war, aber auch seine Komplizen schützte und er sich deshalb keine Sorgen zu machen brauche, solange er den Mund hielt-ansonsten würde es böse für ihn enden. So hatte er weiter nichts gesagt und als der junge Typ, den er dreieinhalb Jahre nicht mehr gesehen hatte, plötzlich vor ihm gestanden und gesagt hatte: „Schöne Grüße vom Mönch-ich soll hier was abholen!“ hatte er ohne mit der Wimper zu zucken die Kartons ausgehändigt und sich noch gewundert, dass das so schnell gegangen war. Die Antwort auf seine Mail hatte er kurz zuvor auf seinem Smartphone gelesen.


    Um Eindruck zu schinden und den Mann zu verunsichern nahmen Semir und Ben ihn mit in die PASt zum Verhör und zuvor hatte er entsetzt zugesehen, wie das beeindruckende Polizeiaufgebot in seinem Laden verschwand. Der Durchsuchungsbefehl für seine Privatwohnung, die sich gleich in der nächsten Querstraße befand, wurde ihm ebenfalls präsentiert und nun fiel ihm siedend heiß ein, dass er dort noch ein paar Joints versteckt hatte. Niedergeschlagen nahm er deshalb im Verhörraum der PASt Platz und Ben und Semir setzten sich ihm gegenüber. Im Kopf des Computerladenbesitzer ratterte es. Man konnte ihm ansehen, dass er stark verunsichert war und Angst hatte. Ganz formell wurde er zunächst zu seinen Formalien befragt und darauf gab er auch bereitwillig Auskunft. Dann allerdings fing Ben an, ihm etwas zu erzählen und ihn zu befragen: „Mein Kollege und ich waren vorgestern bei ihnen im Laden und haben einige Computerspiele erstanden. Wir haben nach kurzer Zeit gemerkt, dass es sich um Raubkopien handelt-wo haben sie die her?“ fragte er mit einiger Schärfe im Ton. Der Ladenbesitzer konnte Ben nicht ansehen und behauptete: „Ich weiss nicht, wovon sie sprechen!“ Nun erhob sich Semir, beugte sich halb über den Tisch und sagte mit einem gefährlichen Unterton in der Stimme: „Jungchen-versuch nicht uns zu vergackeiern, wir wissen, dass du in der Sache mit drin steckst und wenn wir nun noch den Zoll auf dich hetzten, wirst du gestraft, dass du keinen Fuß mehr auf den Boden bringst. Ich würde dir vorschlagen du kooperierst und erzählst uns, wie du mit dem Mönch in Kontakt gekommen bist. Nur zu deiner Information: Es gibt in diesem Fall einen Toten und wenn wir nachweisen können, dass du da deine Finger mit drin hast, nehmen wir dich noch wegen Beihilfe zum Mord fest!“ warf er ihm an den Kopf und nun war der Ladenbesitzer völlig am Ende. In diesem Augenblick läutete auch noch Semir´s Telefon und als er ran gegangen war, sagte er: „Und von den Joints in deiner Wohnung wollen wir gar nicht reden!“ und jetzt streckte der junge Mann, der erst 25 war, die Waffen und begann zu erzählen:


    „Ich war immer schon ein Gamer und als ich von meiner Oma, bei der ich aufgewachsen bin, nach deren Tod vor vier Jahren ein kleines Vermögen geerbt habe, habe ich beschlossen, mir damit meinen Traum vom eigenen Laden zu erfüllen. Obwohl erst 21, habe ich das Geschäft eröffnet und tatsächlich läuft das eigentlich schon, auch weil natürlich alle meine Gamerkumpels bei mir einkaufen. Der große Gewinn allerdings ist ausgeblieben, es hat jeden Monat gerade so gelangt die Miete für den Laden und meine Wohnung zu bezahlen, auch essen usw. konnte ich mir kaufen, aber viel mehr hat es nicht abgeworfen. Dann war da vor etwa dreieinhalb Jahren ein Typ mehrmals in meinem Geschäft und mit dem bin ich ins Gespräch gekommen. Er hat mir angeboten, mich mit Raubkopien der neuesten Spiele zu versorgen, hat mir ein paar zur Probe da gelassen und die waren so gut gemacht-ohne Fachkenntnis konnte man den Unterschied nicht erkennen. So hat meine Geschäftsbeziehung mit dem Mönch begonnen. Ich habe meine Bestellung via Mail aufgegeben, so etwa ein bis zweimal im Monat kam die Lieferung und endlich hat mein Geschäft was abgeworfen. Ich verdiene zwar nur etwa 10€ am Spiel, aber auf die Menge gesehen, reißt es das raus!“ erzählte er. Ben hatte schweigend zugehört und holte nun das Foto des toten Peter Fitz heraus: „Ist das dein Lieferant?“ fragte er und mit geweiteten Pupillen musterte der junge Mann das Bild und nickte schweigend. „Der sieht so tot aus!“ flüsterte er und Ben nickte ungerührt. „Ist er auch-jetzt weisst du, dass der Mönch tatsächlich gefährlich ist!“ sagte er.


    „Jetzt beschreib uns mal den Typen, der den Kontakt damals hergestellt hat!“ forderte er ihn auf, aber die Beschreibung war relativ nichtssagend. Anfang zwanzig, schlank- eher schmächtig, normal mit Jeans und Shirt gekleidet, dunkelblonde Haare, Basecap-eine Beschreibung die auf tausende junger Männer in Köln und Umgebung zutreffen würde. „Das war also derselbe, der dich damals angesprochen und vorgestern die Ware abgeholt hat?“ versicherte sich Semir nochmals und der Ladenbesitzer nickte. „ Und wie lange nachdem du die Mail geschrieben hattest war der da?“ fragte Ben und hätte beinahe dazu gefügt- und nachdem ich deinen Laptop geklaut habe-aber das erwähnte er jetzt lieber nicht, denn immerhin waren sie illegal an den ran gekommen, etwaige Beweise darauf würden vermutlich vom Richter nicht anerkannt werden, aber was Besseres war ihm damals nicht eingefallen. „Und mit was für einem Wagen war der da?“ fragte nun Semir-der Abholer konnte die Kartons ja nicht einfach so unter dem Arm rausgetragen haben. „Es war etwa zwei Stunden nachdem ich die Mail abgeschickt hatte und das Fahrzeug war ein alter weißer, gepflegter 190er Mercedes Diesel, ein richtiges Bauernauto!“ sagte der Ladenbesitzer und Ben zermarterte sich jetzt den Kopf, wo er so ein Fahrzeug erst kürzlich gesehen hatte, aber es wollte ihm gerade nicht einfallen.
    „Hast du aufs Nummernschild gekuckt, oder war da sonst noch irgendwas Besonderes drin?“ fragte nun Semir und nach kurzer Überlegung antwortete der junge Mann: „Ja hinten auf der Ablage waren so eine umhäkelte Klorolle und ein Hut!“ und jetzt seufzte sogar Semir auf-dieser Wagen bediente jetzt schon mal alle Klischees! „Das Nummernschild war so mit Schlamm verschmiert, dass man es nicht lesen konnte, aber ich glaube vorne stand ein „K“ für Köln.“ fügte der Ladenbesitzer hinzu und nachdem mehr aus ihm jetzt nicht raus zu kriegen war und er sich ja kooperativ gezeigt hatte, schickte man ihn noch zum Polizeizeichner an den PC und der versuchte jetzt die Beschreibung des gesuchten jungen Mannes nach den Anweisungen des Ladenbesitzers umzusetzen. „Sie hören von uns und falls der Mönch wieder versucht mit ihnen Kontakt aufzunehmen, verständigen sie uns bitte sofort!“ sagte Semir , der jetzt aus Berechnung wieder ins förmliche Sie fiel und gab ihm seine Visitenkarte. „Und die Sache mit dem Zoll und so?“ stotterte der Mann. „Das werden wir uns noch überlegen!“ legte Semir sich nicht fest und dann gingen Ben und er ins Büro von Frau Krüger, um ihr von ihren Erkenntnissen mitzuteilen.


    Semir trat an die Karte von Köln und Umgebung. „Überlegen wir mal, was wir da haben! Nachdem der Mönch persönlich, oder ein Helfershelfer-das wissen wir ja noch nicht-schon etwa zwei Stunden nachdem er informiert wurde, die heiße Ware abgeholt hat, muss der Abholer, der ja nicht mit dem Mönch identisch sein muss, aber durchaus sein kann, sich in diesem Umkreis um Köln befunden haben!“ sagte er und zog einen Kreis, der allerdings fast bis nach Frankfurt reichte. „Wenn wir jetzt allerdings davon ausgehen, dass der Wagen ein Kölner Nummernschild trägt, können wir den Radius eingrenzen!“ sagte er und zog einen zweiten, wesentlich engeren Kreis und Ben nickte. „Susanne soll alle alten weißen Mercedes 190 darin heraussuchen und wir befragen inzwischen noch ein paar weitere Ladenbesitzer von unserer Liste!“ beschloss nun Semir und nachdem die Chefin einverstanden war, machten sie sich nach einem kleinen Mittagsimbiss am Kiosk um die Ecke, auf den Weg zur nächsten Befragung.


    Der Polizeizeichner hatte inzwischen das Phantombild aufs Tablet geschickt und als Semir und Ben nun jedes Mal mit der Tür ins Haus fielen und die anderen Verkäufer, Ladenbesitzer etc. gleich mit einigen Tatsachen konfrontierten, ihnen die Bilder des toten Peter Fitz und des Phantoms zeigten, fielen die reihenweise um und bestätigten die Kontaktaufnahme vor drei bis vier Jahren, den Liefermodus durch Peter Fitz und auch die Abholung der gefährlichen Spiele durch den jungen Mann mit einem alten weißen Mercedes mit Hut und Klorolle. „Natürlich kann das ein Einzeltäter sein, aber Peter Fitz war ja nicht so leicht-ich glaube dennoch, dass es da noch einen zweiten Mann gibt, der zumindest dabei geholfen hat, den Toten weg zu schaffen. Susanne soll noch zusätzlich die Überwachungskameras der Umgebung der Pathologie checken-vielleicht ist darauf auch ein weißer Mercedes zu sehen und man kann das Nummernschild erkennen!“ überlegte Semir und nun sah Ben auf die Uhr. „Tut mir leid Semir, aber ich muss jetzt zurück zur PASt und Feierabend machen-wir haben doch heute den Kreißsaal-Besichtigungstermin, ich hoffe ja ohne Geburtsfilm, ich glaube nämlich, da muss ich sonst kotzen!“ sagt er und Semir lachte nun: „Aber live hat es dir nichts ausgemacht?“ fragte er und Ben schüttelte den Kopf. „Das ist doch was ganz anderes!“ sagte er, aber Semir legte fest: „Nein überhaupt nicht-ich finde das beides eklig!“

  • Als Ben zuhause ankam, wartete Sarah schon auf ihn. „Hildegard war heute Nachmittag da und hat Tim und Lucky gleich mitgenommen. Die bleiben beide heute Nacht bei ihr, ansonsten müssten wir Tim wieder aus dem ersten Schlaf reißen und ob er danach wieder so problemlos einschlafen würde, steht in den Sternen. Aber jetzt ist er erst ein paar Stunden weg, hat mir zum Abschied noch zugewinkt und einen Handkuss verteilt und ich vermisse ihn jetzt schon. Ich glaube, ich werde nach der Entbindung nicht lange im Krankenhaus bleiben, wenn es mir und dem Baby gut geht. Die Nachbarin, die kürzlich da war, hatte sogar eine Hausgeburt, aber da hätte ich einfach zu viel Angst, dass etwas schiefgeht!“ erzählte Sarah und Ben aß noch gemeinsam mit ihr zu Abend. „Ich hole mir nur schnell eine andere Jacke und gehe noch zur Toilette!“ rief Sarah. „Mit welchem Wagen fahren wir?“ fragte sie und Ben entschied: „Mit der Familienkutsche-die ist erstens für dich bequemer zum Einsteigen als der Porsche und falls wir Tim aus irgendwelchen Gründen doch mitnehmen müssten, wäre dort der Kindersitz gleich eingebaut!“ sagte er und ging schon mal raus, um den Wagen vorzufahren.


    Nachdem ihr Haus ja ein alter Gutshof mit vielen Nebengebäuden war, hatten sie die alte Remise neben dem ehemaligen Pferdestall, wo früher wohl bereits die verschiedenen Kutschen der Gutsherren gestanden hatten, kurzerhand als Garage umgewidmet. Das Gemäuer war aus alten Backsteinen mit einem groben Verputz-vermutlich stammte ein Teil davon von den alten Klöstern-und von den Vorbesitzern stand da noch so einiges an historischem Gerümpel herum, wie Ben das immer bezeichnete. Sarah hatte allerdings darauf bestanden, das aufzuheben. „Sieh mal Ben-diese hölzernen Wagenräder können wir irgendwann mal an der Wand befestigen, diesen alten Ochsenpflug ebenfalls-und in dieses Ding, wovon ich nicht weiss, was das ist, kann ich Blumen pflanzen!“ hatte sie bestimmt, als Ben das alles entsorgen lassen wollte. So war neben den Fahrzeugen, die dort aber trocken und sauber standen, eben eine ganze Wand voller merkwürdiger Dinge-vielleicht würde Ben demnächst einmal sogar den Geschichtsprofessor fragen, was das war und zu was man diese Dinge in alten Zeiten gebraucht hatte.


    Als er jetzt seinen Blick wie zufällig darüber schweifen ließ-den Wagen hatte er schon aufgesperrt und den Fahrersitz auf seine Größe eingestellt-da fiel ihm auf einmal ein kleiner Spalt auf. Nanu? War da eine Tür? Die war ihm noch nie aufgefallen und die war auch nicht aus Holz, sondern fügte sich ins Mauerwerk ein und war verputzt wie die Wand außen herum. War das etwa eine Geheimtür? Und warum stand die jetzt ein wenig auf? Hatte er irgendwie versehentlich einen Mechanismus betätigt, der sie öffnete?
    Voller Neugier ging Ben um den alten Ochsenpflug herum. Er musste auch nichts beiseite räumen, da gab es einen regelrechten Durchgang, als würde der Weg des Öfteren benutzt. Als er näherkam konnte er es deutlich sehen-hinter dieser Geheimtür war ein Gang, der nach unten führte und zu seiner Überraschung war der hell erleuchtet. Das konnte doch nicht wahr sein? Hatte er soeben entdeckt, wo der Energieverlust herkam?
    Langsam öffnete Ben die schwere Tür weit. Sie schwang in verborgenen Angeln, die aber nicht quietschten. Zögernd setze er ein paar Schritte hinein und in diesem Augenblick hörte er auch schon Sarah kommen. „Schatz wo bist du?“ rief sie und warf ihre Handtasche schon mal ins Auto, da sah sie auf einmal die offen stehende Tür. Wie Ben näherte sie sich neugierig der Geheimtür und trat ebenfalls ein. „Was zum Teufel ist das?“ fragte sie erstaunt, aber in diesem Augenblick schwang die Tür zu und alle Lichter gingen aus. Sie waren gefangen!

  • Ben stürzte mit einem Fluch zur Tür zurück-oder zumindest, wo er die Tür vermutete, denn jetzt war es wirklich stockfinster, aber auch als er sich dagegen warf-die Tür öffnete sich nicht! Gedämpft hörten sie Stimmen aus der Remise, als sie angespannt lauschten, aber sie konnten kein Wort verstehen, nur dass da zwei Personen sprachen war klar. „Hey-macht die Tür auf!“ schrie Ben, aber nur ein dumpfes, unheimliches Gelächter war die Folge. Nun flüsterten die Männer-denn Frauenstimmen waren das keine-und wenig später hörten Sarah und Ben wie ihr Auto davon fuhr und auch das Schiebetor der Remise noch geschlossen wurde.


    Ben hatte sein Handy heraus gezogen, aber hier drinnen hatte er null Empfang, allerdings konnte er die Taschenlampenfunktion nutzen und so sahen sie sich erst die Tür an, die aber innen keinen Griff oder Ähnliches hatte. Verzweifelt suchten Sarah und er die Wand ab, um vielleicht irgendeinen Mechanismus zu finden, wie man die massive Türe öffnen könnte, aber sie entdeckten nichts. Ben warf sich nochmals mit voller Wucht dagegen, aber außer einer geprellten Schulter hatte es keinen Effekt und so sahen sie vorsichtig in die andere Richtung, wo ein grob in den Fels gehauener Gang nach unten führte. Vorsichtig tastend bewegten sie sich vorwärts und nahmen die Lampe nur, wenn es unbedingt notwendig war, denn der Akkuverbrauch war nicht zu unterschätzen. Irgendwann wurde der Gang gerade und Ben schätzte, dass sie sich jetzt in etwa Kellerniveau befanden. Allerdings führte der Gang vom Haus weg und wenn den dunkelhaarigen Polizisten seine Orientierung nicht trog, liefen sie jetzt unterirdisch in Richtung auf das kleine Wäldchen zu. Es war unheimlich und als Ben immer mal wieder die Taschenlampe kurz anmachte, sahen sie Mäuse und Ratten davonhuschen. Die Temperatur war etwa bei 12°C und eng hintereinander gehend, tasteten sie sich vorwärts. „Ben-ich habe Angst!“ flüsterte Sarah. „Was geht hier vor und was für eine Bewandtnis hat es mit diesem Höhlenbauwerk?“ fragte sie, aber ihr Mann konnte ihr keine Antwort geben.


    Trotzdem liefen sie, sich Schritt für Schritt vorwärts tastend, weiter und dann begann es irgendwann fürchterlich zu riechen. Ben , dem bei diesem Geruch immer schlecht wurde, wusste sofort, was sie jetzt finden würden und auch Sarah kannte diesen schrecklichen Gestank aus ihrer Arbeit-hier verweste irgendetwas und als sie noch ein paar Schritte weiter gegangen waren und der Geruch immer stärker wurde, verlangsamte Ben seine Schritte. Beim nächsten Aufleuchten der Taschenlampe sahen sie eine menschliche Gestalt in einer Nische des Geheimgangs liegen und als Ben kurz in das tote, bereits schwarze Gesicht leuchtete, wusste er-sie hatten gerade Peter Fitz gefunden, die verschwundene Leiche.
    „Wer ist das?“ fragte Sarah und begann leise zu weinen. Auch wenn sie normalerweise nicht so zart besaitet war, aber ihre Schwangerschaft machte sie auch empfindlicher als sonst und die Nerven lagen sowieso blank. „Sarah-das ist ein Mann, der bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist. Seine Leiche wurde aus der Gerichtsmedizin entwendet, ich kenne die Zusammenhänge nicht, aber ich werde uns hier raus bringen-hörst du!“ versuchte Ben sie zu beruhigen, aber in diesem Moment stöhnte Sarah auf, ein reißendes Geräusch war zu hören und dann platschte eine größere Menge Flüssigkeit auf den Felsboden. Voller Entsetzen machte Ben wieder das Licht an und sah Sarah zusammengekrümmt dastehen, die Augen angstvoll aufgerissen. „Ben-gerade ist die Fruchtblase geplatzt-unser Baby kommt!“ sagte sie gepresst und nun wurde Ben einen Augenblick selber beinahe schwarz vor Augen!


    Susanne hatte eine Überwachungskamera, die in der Nähe der Gerichtsmedizin installiert war, ausfindig gemacht. Obwohl sie eigentlich schon Feierabend hatte, wollte sie jetzt zumindest diesen Film noch fertig anschauen, auf der Suche nach dem weißen Mercedes. Sie hatte von Sonntag rückwärts gespult und war gerade bei Mitternacht von Freitag auf Samstag angelangt, als tatsächlich das beschriebene Fahrzeug darauf zu sehen war. Leider war das Nummernschild geschwärzt und außer den Umrissen eines „K“ konnte sie darauf nichts erkennen. Als sie sich allerdings nun die Insassen des Fahrzeugs ansah, lief es ihr kalt über den Rücken-darin saßen-die Kapuzen weit in die Gesichter gezogen-zwei schwarz gekleidete Mönche. Auch Susanne war ein großer Edgar- Wallace –Fan, aber gerade hatte sie ein sehr ungutes Gefühl! Trotzdem griff sie zum Telefon und informierte Semir, der gerade mit seiner Familie zu Abend gegessen hatte. „Mann-hier sind mir eindeutig zu viele Kuttenträger unterwegs, aber nachdem Gespenster nicht Auto fahren-glaube ich zumindest-werden Ben und ich der Sache morgen auf den Grund gehen. Danke Susanne!“ sagte Semir und nach einem Blick auf die Uhr, entschied er sich dagegen, seinen Freund heute noch davon in Kenntnis zu setzen-der sah sich sicher gerade den Geburtsfilm an und schmunzelnd brachte Semir nun seine Töchter zu Bett-er hatte dennoch eine gute Beziehung zu seinen Kindern, obwohl er die Geburten- äh- eher aus der Entfernung verfolgt hatte!

  • Ben nahm Sarah fest in seine Arme. „Schatz-wir schaffen das-meinst du, du kannst noch ein wenig weiterlaufen? Ich meine ja nur, wegen der Leiche?“ fragte er und Sarah nickte. Langsam gingen sie den Weg weiter, allerdings musste Sarah nach kurzer Zeit stehen bleiben, weil sie eine heftige Wehe hatte. „Diesmal ist es völlig anders als beim letzten Mal, wo die Wehen langsam, wie Kreuzschmerzen angefangen haben!“ flüsterte sie, lehnte sich gegen ihren Mann und versuchte die Wehe zu veratmen, wie sie es gelernt hatte. Ben machte erneut kurz das Licht an seinem Handy an und stellte voller Entsetzen fest, dass der Akku nicht mehr lange halten würde. Oh nein, sie konnten doch ihr Kind nicht im Stockdunkeln, auf dem kalten Höhlenboden, neben einer Leiche zur Welt bringen! Nachdem die Wehe vorbei war, gingen sie wieder ein Stück weiter, aber als Sarah die nächste Wehe überrollte, waren gerade mal drei Minuten vergangen. Ben stützte sie so gut es ging, aber sie musste laut aufjammern, so heftig war das! Nochmals drei Minuten und ein gutes Wegstück weiter, sagte Sarah plötzlich: „Ben-ich glaube, wir müssen uns jetzt ein Plätzchen suchen, unsere Tochter will dringend raus,“ denn der Druck nach unten nahm bei ihr ständig zu. Ben zog gerade seine Jacke und seinen Pulli aus, um Sarah ein behelfsmäßiges Lager zu machen, da ging auf einmal das Licht an. Entlang des Ganges waren lauter kleine LED-Lichter angebracht, die den jetzt in ein zwar düsteres Licht tauchten, aber wenigstens konnten sie wieder etwas sehen. Sarah stöhnte erneut auf, so schnell kam die nächste Wehe, aber Ben hatte jetzt auch gesehen, dass sich der Gang ein Stück weiter vorne erweiterte, es sah aus wie ein Keller, was da kam und so nahm er seine Frau kurzerhand auf den Arm und trug sie ein Stück. Sie schmiegte ihr schweißnasses Gesicht an seinen nackten Oberkörper, hielt Pulli und Jacke fest und sagte: „Oh lieber Gott-lass das gut gehen und unser Kind gesund zur Welt kommen!“ und darauf hatte Ben nichts zu erwidern.


    Als er noch etwa 20 Meter gelaufen war, zweigte da eine offen stehende Tür vom Gang ab, der inzwischen wieder gemauert und nicht in den rohen Fels geschlagen war. Der Raum dahinter war hell erleuchtet und Ben entwich nun ein Seufzer der Erleichterung, als er um die Ecke sah. Dieses Zimmer diente anscheinend als Aufenthaltsraum-für wen auch immer. Darin waren zwei Matratzen, auf denen sogar einigermaßen sauberes Bettzeug lag. Mehrere Kisten Mineralwasser und Limonade standen aufeinander gestapelt in einer Ecke und sogar einige Dosen und Schnapsflaschen waren auf einem Regal. Sanft legte Ben seine Sarah auf dem Bett ab und wenige Sekunden später knallte die Tür hinter ihnen zu und der Schlüssel wurde im Schloss gedreht. Ben fluchte auf und war mit ein paar Schritten wieder am Ausgang, aber so sehr er auch rüttelte, die Tür war verschlossen. „Ihr Schweine-lasst uns sofort raus-meine Frau kriegt gerade unser Kind und muss dringend in ein Krankenhaus!“ brüllte Ben, aber von draußen kam keine Reaktion, nur ein heftiges Aufstöhnen ertönte nun vom Bett, wo Sarah inzwischen die vom Fruchtwasser feuchte Umstandshose und den Slip ausgezogen hatte. „Ben-wir schaffen es eh nicht mehr ins Krankenhaus!“ stöhnte sie. „Du musst mir jetzt helfen-zusammen schaffen wir das!“ machte sie ihm Mut, obwohl ihr selber nicht danach war.


    Mit ein paar Schritten war Ben wieder bei Sarah und in seinem Kopf fuhren die Gedanken Karussell. Was um Himmels Willen brauchte man denn für eine Geburt? Beim ersten Mal war er sozusagen nur Zuschauer gewesen, die Hebamme und der Arzt, dazu noch eine Schwester hatten Sarah behütet und angeleitet, aber was genau die eigentlich gemacht hatten, wusste Ben nun auch nicht mehr. Er konnte sich noch an den Moment erinnern, wo Tim´s Köpfchen durchgetreten war und er die vielen schwarzen Haare gesehen hatte, dann wieder, als er die Nabelschnur durchgeschnitten hatte, die die Hebamme sachgerecht zuvor abgebunden hatte. Irgendwie wurde in den ganzen alten Filmen, wo das als Nebenhandlung vorkam, immer Wasser heiß gemacht, aber wozu um Himmels Willen man das brauchte, war ihm auch nicht klar.
    Sarah hatte inzwischen wieder eine Wehenpause und sagte nun zwar schwer atmend, aber gefasst:„ Ben-so eine Geburt ist was ganz Natürliches, da muss man eigentlich gar nichts machen, das Baby kommt schon raus. Unser Lehrer in Geburtshilfe hat immer gesagt, wichtig ist es aufzupassen, dass das Neugeborene nicht zu Boden fällt, ansonsten ist das ein natürlicher Vorgang und wir sind ja alle Säugetiere, die das auch ohne medizinische Hilfe können!“ machte sie ihm Mut, obwohl sie selber große Angst hatte.
    Aber wenigstens war sie nicht alleine und als die nächste Wehe sie mit Macht überrollte, hatte sie schon einen unbändigen Drang zu pressen. Nachdem sie sich an ihre letzte Entbindung, die ja gerade mal zwei Jahre her war erinnerte, versuchte sie dem Drang nicht sofort nachzugeben, damit das Gewebe Zeit hatte, sich zu dehnen. „Ben schau mal nach, ob du das Köpfchen schon siehst!“ bat sie ihn, als die Wehe vorbei war und als Ben nun einen Blick zwischen ihre Beine warf, erschrak er bis ins Mark. Da war kein Köpfchen, sondern ein einzelner, kleiner blauer Fuß war vorgefallen!

  • Sarah bemerkte an seinem Blick sofort, dass da etwas nicht in Ordnung war. Auch sie hatte ein komisches Gefühl-es war so anders als beim letzten Mal, wo sich die Wehen langsam über Stunden gesteigert hatten, in den Abständen und auch in der Intensität. Diesmal war es Knall auf Fall losgegangen und die äußeren Umstände waren denkbar ungünstig. Auch fühlte es sich da unten anders an und als sie Ben nun aufforderte nachzusehen, wusste sie irgendwie schon, dass da keine gute Nachricht käme. „Sarah, da schaut ein kleiner Fuß raus-und er ist blau!“ sagte Ben nun, denn es machte keinen Sinn, das Sarah zu verheimlichen. Ihm war klar, dass das nicht normal war, aber was das jetzt bedeutete und was es für Konsequenzen hatte, das wusste er einfach nicht-er war schließlich kein Geburtshelfer. „Oh mein Gott!“ sagte Sarah und wurde blass. Fieberhaft versuchte sie sich zu erinnern, was sie in Geburtshilfe gelernt hatte. In der Klinik würde man jetzt sofort einen Kaiserschnitt machen, das war klar, aber diese Option fiel nun einfach weg. Bevor sie sich richtig konzentrieren konnte, kam schon die nächste unheimlich starke Wehe und sie konnte nicht anders, sondern schrie und stöhnte ihren ganzen Schmerz, ihre Angst und ihren Kummer heraus, bemühte sich aber, jetzt auf gar keinen Fall zu pressen, wie ihr Körper ihr eigentlich vorgab.
    Als die Wehe vorbei war, sammelte sie ihre Gedanken und sagte zu Ben, der ihre Hand gehalten und hilflos ihren Nacken massiert hatte, solange die Wehe anhielt. „Das ist eine Beckenendlage, aber nicht die Schlechteste. Der gefährlichste Moment für unser Baby ist, wenn der Körper geboren ist, aber der Kopf noch im Mutterleib ist, dann ist nämlich die Blutversorgung des Gehirns unterbrochen, weil die Nabelschnur abgedrückt wird. Das heißt, dieser Zustand muss so schnell wie möglich vorbei gehen. Bei der nächsten Wehe werde ich also tun, was mir die Natur vorgibt und werde pressen, was das Zeug hält. Du musst versuchen mir zu helfen und unsere Kleine so schnell wie möglich an den Beinchen herausziehen, damit sie keinen Hirnschaden kriegt. Wenn das Füßchen blau ist-das macht nichts, das wird schon wieder!“ sagte sie fest und atmete mehrmals tief ein und aus, um die Sauerstoffsättigung in ihrem Blut und damit auch in der Plazenta zu erhöhen.


    Wie sehr wünschte sie sich gerade in die Klinik, umgeben von blinkenden und piependen Apparaturen, helfenden Menschen, die sich auskannten und das Leben ihres Kindes retten würden, aber so waren Ben und sie auf sich alleine gestellt und vielleicht waren sie in ein paar Minuten alle beide tot-sie und das Kind und was dann ihre Peiniger mit Ben anstellen würden, wagte sie sich gar nicht vorzustellen. Aber zumindest er musste überleben und sich um Tim kümmern, sie würde jetzt ihr Bestes geben, aber wie es ausgehen würde, wagte sie sich nicht vorzustellen. Sie merkte, wie plötzlich die nächste Kontraktion ihren Uterus zusammenzog und jetzt packte sie selber ihre Beine in den Kniekehlen und presste mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte. Ihr Kopf lief hochrot an und der Schweiß lief in Strömen von ihrem Körper, aber Ben, der sich nun zwischen ihre Beine gekniet hatte, sah fasziniert, wie sie den kleinen Babykörper immer mehr heraus schob. Erst kam der kleine Po und dann flutschte auch schon das zweite Füßchen, das nach oben geschlagen war, hinterher. Wie Sarah ihm befohlen hatte, packte er nun die kleinen blutig-glitschigen Beinchen und begann gefühlvoll zu ziehen. Der Po und der zweite Fuß hatten auch eine normale Farbe, was ihm im Unterbewusstsein zwar auffiel, aber er funktionierte jetzt einfach wie eine Marionette und tat, was Sarah ihm gesagt hatte. Die hatte fast übermenschliche Kräfte entwickelt, aber gerade jetzt flachte die Wehe ab. Sarah bemühte sich, wieder zu Atem zu kommen und Ben fragte hektisch: „Was soll ich tun?“ denn gerade rührte sich seine Tochter keinen Moment von der Stelle. Ohne Wehe hatte er keine Chance an das Kind zu kommen, aber die Natur war gnädig und schickte sofort eine erneute heftige Kontraktion hinterher und nun zog Ben, als ob es um sein Leben ginge und siehe da-plötzlich rutschte der kleine Körper, der nun doch ebenso blau geworden war, wie das einzelne Füßchen, heraus.


    Voller Entzücken und gleichzeitig entsetzt sah Ben nun auf das kleine Baby, das sich momentan nicht rührte, sondern schlaff in seinen Armen hing. Nun aber wurde es durch die Nabelschnur, die ja jetzt nicht mehr abgequetscht war, wieder mit Sauerstoff versorgt und wenig später begann es sich zu regen. Instinktiv hielt Ben seine Tochter nun an den Beinen hoch-in irgendeinem alten Film hatte er das einmal gesehen und klopfte ihr zart auf den kleinen Po, was mit einem ersten Einatmen und danach einem kläglich gurgelnden Schrei beantwortet wurde.
    Sarah, die einfach nicht mehr konnte und völlig erschöpft versucht hatte, wieder zu Atem zu kommen, hob nun den Kopf. „Sie lebt!“ sagte sie glücklich und breitete die Arme aus, woraufhin Ben nun seine neugeborene Tochter auf den Bauch ihrer Mutter legte, die sie voller Liebe mit den Armen umschloss. Sarah küsste das kleine Köpfchen, das nur mit wenig hellem, aber jetzt noch feuchtem Flaum bedeckt war und tastete mit geübten Händen den kleinen Babykörper ab, auch das kleine Herz schlug rasch und regelmäßig, so wie es sein sollte. Es schien alles in Ordnung zu sein und während Ben sich beeilte, eine warme Decke über Sarah und die Kleine zu breiten, zog Sarah ihr Shirt hoch, streifte den BH ab und wenig später versuchte eine kleine hellwache Maus schon an ihrem Busen zu saugen.


    Ben sagte voller Entzücken und vergaß für einen Augenblick völlig, in welcher prekären Lage sie sich immer noch befanden, zu seiner Frau: „Da hast du deine Sophie-danke mein Schatz, dass du mir so eine wunderschöne Tochter geschenkt hast!“ aber Sarah schüttele den Kopf. „Sie soll Mia heißen, das ist auch ein schöner Name und ohne dich hätte ich das nicht geschafft!“ antwortete sie und nun antwortete Ben weich: „Bevor wir uns jetzt wegen der Namensgebung streiten-was hältst du von Mia-Sophie?“ und nun nickte Sarah und drückte ihr Kind, das die großen tiefblauen Augen weit geöffnet hatte, nur noch fester an sich.
    Nach einer Weile sah Sarah sich um, sie hatte jetzt wieder Wehen und bald würde die Plazenta geboren werden-es war an der Zeit die Kleine abzunabeln. „Ben-nimm aus meinen Turnschuhen die Schuhbändel und tauche sie in den Schnaps von dort oben-der Alkohol desinfiziert wenigstens ein wenig!“ befahl sie und Ben tat wie ihm befohlen. Sarah stöhnte derweil auf, als die Plazenta aus ihr herausglitt und kurze Zeit später hatte Ben nach ihrer Anleitung zwei feste Knoten ein Stück hinter dem Nabel und fünf Zentimeter daneben gemacht. Es war zwar kein Messer oder eine Schere in dem Raum, aber mit einem scharfen Stein, der in der Ecke am Boden lag, durchtrennte Ben nun das Gewebe und Sarah nahm ihre Kleine, die man dazu kurz der Kälte hatte aussetzen müssen, dann sofort wieder an sich, um sie zu wärmen. Ben legte Sarah nun auf das zweite Bett, das ja noch frisch und trocken war. Er selber hatte zwischendurch kurz seinen Pulli angezogen, aber nachdem er nochmals vergeblich versucht hatte die Tür zu öffnen, legte er sich zu seiner Frau und seiner neugeborenen Tochter, wärmte und schützte sie und obwohl sie es nicht für möglich gehalten hatten, schliefen sie nach einer Weile alle drei ein-zu groß war die Anstrengung gewesen-sie mussten sich jetzt erst einmal alle miteinander von der Geburt erholen.

  • Die beiden Mönche, die in ihrem Computerraum saßen, hörten die Schreie Sarah´s. „Verdammt, die kriegt gerade ihr Kind!“ fluchte der eine der beiden verhalten. „Trotzdem müssen wir die drei erledigen-die wissen zu viel!“ befahl er seinem Komplizen, der nun aber heftig erwiderte: „Dann bin ich raus aus der Sache-ich werde keine Mutter mit nem neugeborenen Baby töten, irgendwann ist Schluss!“ sagte er heftig. „Das ist zwar ganz nett mit dem Geld, aber so viel, dass wir beide sorgenfrei davon leben könnten, wirft unser Geschäft auch nicht ab. Wir müssen ständig investieren in Computer, neue Verpackungsmaschinen etc.-irgendwie haben wir doch mehr ne kleine gutgehende Firma als alles andere-mit dem einzigen Unterschied, dass es illegal ist, was wir machen und dass wir keine Steuern zahlen!“ überlegte er.
    „Aber Spaß hat es doch über die Jahre sowohl dir, als auch mir gemacht!“ verteidigte sich nun der Zweite gegen seinen Kumpel. „Das mag schon sein, aber wenn du nicht zufällig auf der Gegenfahrbahn vorbeigefahren wärst und erkannt hättest, dass Peter verunglückt ist, dann hätten sie uns da schon am Wickel gehabt!“ befürchtete der Erste. Sein Gegenüber erwiderte: „Die können nicht zurückverfolgen woher das Fahrzeug ist. Peter hat mir versichert, dass er die Fahrgestellnummer aus dem Motor raus geschliffen hat und nachdem es uns gelungen ist, seine Leiche an uns zu nehmen, führt auch da keine Spur zu uns. Ihn wird auch niemand vermissen, er hat ja schließlich keine Freunde-alle werden froh sein, dass er Ruhe gibt und den Nachbarn werden wir schon vorspielen, dass er noch in seiner Bude hockt. Wenn da abends-wie heute auch-immer mal ein Auto kommt oder wegfährt, denken alle, der Eigenbrötler geht jetzt nur noch nachts raus und vielleicht können wir auch eine Zeitschaltuhr in seinem Haus installieren, damit da immer mal das Licht an-und ausgeht, das macht die Sache noch sicherer.“ überlegte er.


    „Aber der Coup an sich war der Einbruch in die KTU. Wie du dem Autotransporter gefolgt bist, der das Unfallauto weggebracht hat und wir dann in der Nacht gleich dort eingebrochen sind, das Handy und die Computerspiele, die zu uns hätten führen können, an uns genommen haben, die Firewall und alle anderen Dinge gehackt haben, die der durchaus fähige Computerfuzzi dort installiert hatte, das war eine reife Leistung!“ freute sich sein Gegenüber und war nun doch wieder besänftigt. Sie beide waren einfach die Kings!
    „Klar-wir mussten ja auch damit rechnen, dass irgendwann mal ein Gamer uns auf die Schliche kommt und die Polizei einschaltet, das ist jetzt eben zufällig passiert, aber wir haben ja da ebenfalls rechtzeitig reagiert und unsere Ware in Sicherheit gebracht, auch da führt keine Spur zu uns. Wenn ein wenig Gras über der Sache gewachsen ist, suchen wir uns neue Kunden, vielleicht sollten wir einen Internetshop einrichten-mit unseren Kenntnissen ist es doch leicht, unsere Spuren zu verwischen. Wenn wir dann die Pakete von immer wechselnden Postämtern und Shops versenden, fällt das auch nicht auf, da sparen wir uns sogar noch das Geld für den Kurier!“ spann er einen kleinen Exkurs in die Zukunft, aber nun wurde sein Compagnon wieder ernst.
    „Das funktioniert aber nur, wenn der Typ, der das Haus gekauft hat und dessen Familie verschwinden-siehst du das jetzt ein?“ fragte er und betreten nickte nun der junge Mann. „Die sind jetzt erst einmal auf Nummer sicher, wir fahren nun beide nach Hause, damit wir nicht auffallen und schlafen eine Nacht drüber. Morgen wird uns schon was einfallen, wie wir die erledigen können, ohne uns die Finger schmutzig zu machen!“ beschloss er und so verließen die beiden wenig später ihr unterirdisches Versteck.


    Ben erwachte kurz, als das Licht ausging, aber als er dann lauschte, hörte er nichts mehr, außer dem gleichmäßigen Atmen seiner Frau und seines Babys. So schloss er seine Augen wieder-im Augenblick konnte er nichts tun und vermutlich würde er seine Kräfte noch brauchen, wenn er seine Familie befreien wollte.

  • Am nächsten Morgen seufzte Semir auf, als er zum wiederholten Mal auf die Uhr sah. Ben würde sich nie ändern! Mit seinem Zuspätkommen hatte es sich zwar sehr gebessert, seitdem er mit Sarah zusammen war, aber immer wieder zwischendrin-so auch heute-kam das vor. Die Chefin hatte auch schon einen Blick zur Uhr geworfen und dann anklagend auf den leeren Schreibtischstuhl neben Semir geblickt-der dunkelhaarige Polizist würde sich auf eine Standpauke gefasst machen können, wenn er endlich eintrudelte.
    Obwohl sie immer noch gähnte-es war gestern doch ziemlich spät geworden- stand Susanne bereits wieder auf der Matte und hatte zusammen mit Hartmut, der ebenfalls früh angefangen hatte, die Ausschnitte von dem Überwachungsband vorbereitet und schon analysiert, soweit es in ihren Möglichkeiten stand. Außerdem hatte sie die Liste aller Mercedesbesitzer, auf die ein Wagen dieses Modells zugelassen war, ausgedruckt-und das waren noch eine ganze Menge, obwohl das Fahrzeug bereits vor zwanzig Jahren auf den Markt gekommen war. Dieses Modell hatten sich anscheinend massenhaft verkauft und waren sehr beliebt und stabil gewesen. Unauffällig sah Semir auf die Uhr-Ben war bereits eine halbe Stunde zu spät- und unter dem Vorwand zur Toilette zu gehen, zog er im Waschraum sein Handy heraus und wählte Ben´s Nummer an. Nach kurzer Zeit ging die Mailbox ran und Semir zischte in sein Smartphone: „Ben verdammt noch Mal-wo steckst du? Schwing deinen Hintern sofort ins Büro-die Chefin ist schon sauer!“ vertraute er dem Nachrichtendienst an.


    In der Gegend wo Ben jetzt wohnte, gab es immer wieder Funklöcher, das war anders als in der Stadt, wo sie fast überall Empfang hatten. Als eine weitere Viertelstunde vergangen war, rief Semir zunächst die Festnetznummer seiner Freunde an, aber auch da ging nur der Anrufbeantworter ran. Als nächste Möglichkeit versuchte er es auf Sarah´s Handy, aber da meldete sich sofort die Mobilbox und langsam begann Semir die Sache unheimlich zu werden. Nun stand die Chefin in der Tür: „Wenn Herr Jäger es heute nicht für notwendig erachtet, zum Dienst zu erscheinen, fangen wir eben ohne ihn an!“ sagte sie giftig. „Ich gehe jetzt davon aus, Gerkhan, dass sie bereits versucht haben ihren Kollegen zu kontaktieren und dem auch eine dumme Entschuldigung einfallen wird, wenn er denn endlich eintrudelt!“ fügte sie hinzu und nun warf Semir ein: „Ich erreiche ihn zwar nicht, aber vielleicht kommt ja das Baby gerade zur Welt-das wäre doch eine Entschuldigung, die wir alle akzeptieren könnten!“ und darauf fiel der Chefin nun auch nichts mehr ein. Gut wenn das so war, wäre er momentan sowieso raus aus den Ermittlungen und hätte ab sofort Urlaub, darum würden sie die Besprechung jetzt ohne ihn abhalten.


    Alle trafen sich vor dem großen Bildschirm der PASt, auch Jenni, Dieter und mehrere andere Streifenpolizisten und nun begannen Susanne und Hartmut abwechselnd zu erklären, was sie aus dem Bildmaterial hatten herausfiltern können: „Zunächst einmal zum Kennzeichen-obwohl es nicht nur geschwärzt ist, sondern anscheinend mit einer schlammfarbenen Masse sogar aufgefüllt wurde, konnten wir noch die letzte Zahl zumindest teilweise kenntlich machen-es ist entweder eine Null, oder eine Neun. Allerdings wissen wir ja nicht, ob das Kennzeichen überhaupt ein echtes Nummernschild ist-aber wenn das so ist, konnten wir die Fahrzeuge schon auf 82 Stück eingrenzen-das müsste zu schaffen sein, die zu kontrollieren-vielleicht nicht an einem Tag, aber doch an zweien.
    Nun zu den Insassen!“ fuhr Hartmut fort. „Susanne und ich haben uns die Umrisse angesehen und versucht die Figur der beiden Mönche in etwa zu rekonstruieren. Was besonders auffallend war, sind die feingliedrigen langen Finger des Fahrers, wir können allerdings nicht ausschließen, dass eventuell auch eine Frau dabei sein könnte. Eine winzige Spiegelung lässt uns das Gesicht des Fahrzeuglenkers zumindest erahnen, Susanne hat daraus am PC ein Phantombild erstellt-das seht ihr hier!“ demonstrierte Hartmut und auf dem großen Schirm erschien eine Gestalt, die allerdings niemand von ihnen jemals gesehen hatte und die auch irgendwie geschlechtsneutral war. „Wir haben das Bild auch schon durch den Computer gejagt, leider keinen Treffer erzielt, aber vielleicht erkennt ihr bei den Kontrollen der Fahrzeughalter jemanden, der dem Bild zumindest ähnlich sieht!“ fügte er hinzu.


    Semir fiel nun blitzartig etwas ein-genauso hatte Ben den schwebenden Mönch in dem Wäldchen beschrieben-vielleicht war da doch was dran gewesen, auf jeden Fall musste er sich jetzt in der Nähe von Ben´s Wohnort nochmals umsehen. „Wir teilen die Adressen auf-Susanne, könntest du bitte erstens für Ben und mich die heraussuchen, die in der Nähe von Ben´s neuem Wohnort sind und mir die ausdrucken? Ich versuche inzwischen nochmals ihn zu erreichen und rufe im Krankenhaus an, ob Sarah da eingeliefert wurde!“ machte Semir sich einen Plan und die Chefin stimmte zu. So wurden drei Trupps ausgesandt, um die Fahrzeughalter zu überprüfen und die ersten zwei machten sich auch gleich auf den Weg. Semir rief nun zunächst nochmal alle drei Nummern an, die er vorher schon versucht hatte zu erreichen, mit dem gleichen Ergebnis-nichts! Dann fragte er erfolglos in der Uniklinik nach Sarah, bat Susanne danach noch die näher gelegenen Krankenhäuser abzutelefonieren, vielleicht hatte es so pressiert, dass sie es nicht mehr bis zur Uniklinik geschafft hatten, aber auch Susanne konnte nichts herausfinden. Die Ortung von Ben´s Wagen brachte das Ergebnis, dass der bei ihm zuhause stand und auch die Handyortung ergab, dass sich das Smartphone zuletzt am vorigen Abend gegen achtzehn Uhr in oder bei seinem Haus das letzte Mal ins Netz eingewählt hatte, ebenso war es mit Sarah´s Handy.
    „Ich fahre jetzt als erstes Mal zu Ben nach Hause und sehe da nach dem Rechten-den Hausschlüssel habe ich sowieso bei mir daheim in Verwahrung- und vielleicht kann ich herausfinden, wo er steckt!“ informierte Semir die Chefin und die nickte. Langsam begann auch sie sich Sorgen zu machen und als sie in das Gesicht des türkischen Hauptkommissars sah, wusste sie, dass es dem ebenso ging. „Viel Glück Gerkhan-und wenn sie Unterstützung brauchen, melden sie sich!“ ermunterte sie ihn und mit einem Nicken verließ Semir die PASt, sprang in seinen BMW und brauste davon.

  • Am Morgen erwachten die beiden Mönche, jeder in seinem Haushalt und bei dem einen klingelte auch kurz darauf das Telefon. Er lauschte in den Hörer und sagte dann artig: „Ja Oma, mach ich!“ und war insgeheim froh, dass er nun aus der Sache momentan raus war-er hatte nämlich Angst davor, welche Idee sein Freund aus Kindertagen über Nacht ausgeheckt hatte, um die kleine Familie im Keller zu erledigen.
    Das mit den Computerspielen war zwar illegal, aber sie hatten das wie einen Sport betrieben und bisher war außer den großen Herstellerfirmen dieser Spiele, die ja sowieso in ihrem Geld schwammen und die man ruhig ein wenig betrügen konnte und dem Deutschen Staat, dem die Steuereinnahmen entgingen, keiner so richtig geschädigt worden. Sie beide waren in der Grundschule bereits immer die Freaks gewesen, die nicht mit den anderen Jungen aus dem Dorf getobt und ihre körperlichen Kräfte im Spiel gemessen hatten, sondern sich in ihre Zimmer zurück gezogen und dort die neuesten Spiele am PC gespielt hatten. Sie hatten selber Programme geschrieben und versucht eigene Spiele zu entwickeln, was aber irgendwie nicht so erfolgreich war.


    Die reale Welt da draußen war etwas, womit sie eigentlich nur ungern konfrontiert wurden und darum lebte er-Felix-immer noch im Elternhaus in seinem Kinderzimmer und wenn seine Eltern und Großeltern, die ebenfalls auf dem Familienanwesen wohnten, gewusst hätten, dass er in einer Geldkassette unter seinem Bett so viele Euros gehortet hatte, dass er damit ein kleines Häuschen würde finanzieren können, würden sie vermutlich in Ohnmacht fallen. Er hatte sich bisher nicht einmal ein eigenes Auto gekauft, denn der alte Mercedes seines Großvaters stand sowieso die meiste Zeit nur rum und den durfte er jederzeit nutzen, denn die Oma hatte keinen Führerschein und der Opa fuhr nur noch ein wenig über die Feldwege, um zu sehen, wie das Getreide stand. Dafür brachte er als braver Enkel die Oma immer hin, wo sie hin wollte-zum Einkaufen in den Supermarkt im Nebenort, oder gelegentlich mal nach Köln, denn Zeit hatte er ja genug.


    Nach der Schule hatte er zwar eine Ausbildung als Einzelhandelskaufmann gemacht, war dann aber nicht übernommen worden und jobbte jetzt lediglich als Vorwand in einer Tankstelle-kein Wunder-er war untertags auch immer chronisch müde gewesen, denn die Nächte verbrachten er und sein Freund da schon in den Katakomben des alten Klosters, die sie durch Zufall entdeckt hatten, als Lars-sein Freund-den Hund seiner Tante hatte ausführen müssen und der in dem kleinen Wäldchen in ein Loch gefallen war. Um den zu retten, hatten sie Steine und Wurzeln weggeräumt und waren plötzlich vor einer halb verfallenen Treppe gestanden, die nach unten führte. Sie hatten zunächst den Hund geborgen und nach Hause gebracht, sich dann Taschenlampen geholt und mit vor Aufregung zitternden Knien hatten sie dann erkundet, wo die Treppen hinführten und waren so im Keller des ehemaligen Männerklosters gelandet. Die Räume waren eigentlich ganz gut erhalten und so hatten sie da zunächst einmal ihr geheimes Lager eingerichtet. Ihre Eltern waren froh gewesen, dass sie sich nun jeden Tag auf ihre Fahrräder schwangen und unter dem Vorwand ein wenig rumzufahren, verschwunden waren. Denen war es eher sauer aufgestoßen, dass die beiden Freunde so viel Zeit in ihren Zimmern und vor den PCs verbrachten und sie freuten sich, dass die nun endlich ein wenig aktiver wurden.


    Mit der Zeit hatten sie da unten ihr Lager eingerichtet mit Matratzen, Getränken und Lebensmitteln, aber die Beleuchtung war ein Riesenproblem gewesen, da vor wenigen Jahren die LEDs, anders als heute, ja noch ziemlich teuer gewesen waren und sie so alles mit normalen Batterien betrieben hatten. Sie hatten da zwar schon Laptops besessen, aber auch deren Akkus hielten nur begrenzt und so waren sie alle anderen Möglichkeiten durchgegangen.
    Ein Notstromaggregat fiel schon mal weg, denn das machte Krach und dann würde die Dorfbevölkerung auf die Ruinen aufmerksam werden. Auch Solarenergie war riskant, sie hatten zwar mal einige Zeit ein paar Solarzellen auf einem Baum montiert gehabt, aber die Gefahr der Entdeckung war groß gewesen, denn sie brauchten ja auch Kabel und Batterien. Um diese Zeit hatten sie auch angefangen, sich als Mönche verkleidet ab und zu einsamen Spaziergängern-bevorzugt in nebligen Novembernächten-zu zeigen und so hatte das Wäldchen bald den Ruf, dass es dort spuke und die Menschen hielten lieber Abstand.


    Eine Wand, die Richtung Dorf lag, war von Steinen und Geröll verschüttet gewesen, man hatte aber noch erkennen können, dass dahinter ein massives Eisengitter war. Irgendwann hatte Lars einmal bemerkt: „Warum haben die wohl die Wand mit einem Gitter geschützt?“ und dann hatte ihnen diese Frage keine Ruhe mehr gelassen. Über Wochen hatten sie den Schutt und das Geröll abgetragen, bis das stabile, in den Fels gemauerte Gitter vor ihnen lag. Aufmerksam hatten sie es gemustert und dann auch Angeln bemerkt-man konnte das Gitter also öffnen, es war aber kein Torgriff, keine Lücke-einfach nichts zu finden gewesen und sie hatten erst einmal enttäuscht aufgegeben. Durch puren Zufall hatte Lars sich irgendwann einmal gegen eine Ecke gelehnt und plötzlich hatte ein verborgener Mechanismus sich in Bewegung gesetzt und unter Quietschen und Ächzen war das Gitter aufgeschwungen. Mit vor Aufregung klopfenden Herzen hatten sie versucht das Tor zu blockieren, damit es nicht plötzlich hinter ihnen zu schwang und sie gefangen waren und waren dann Schritt für Schritt dem Gang gefolgt, der Richtung Dorf führte. Nach einigen Metern waren sie wieder umgekehrt, weil sie nach Hause mussten und Felix auch plötzlich eingefallen war, dass es ja gar nicht sicher war, ob es hier unten genügend Sauerstoff gab.


    Also waren sie am nächsten Tag mit Kerzen wiedergekommen und hatten ihre Erkundungstour weiter fortgesetzt-die Sauerstoffversorgung hier unten war anscheinend durch raffinierte Lüftungskanäle gesichert. Der Gang führte zum Dorf und irgendwann hatte er begonnen anzusteigen. Nach ihrer Schätzung mussten sie sich jetzt unter dem alten Gutshaus, das am Ortsrand lag, befinden und es gab zwar in der anderen Richtung noch eine Art Abzweig, aber der war völlig verschüttet. So standen sie nun in einem größerem Hohlraum und hatten plötzlich Stimmen gehört. Die vorigen Besitzer des Gutshauses waren sehr alt gewesen und wurden von einem Pflegedienst in den eigenen vier Wänden versorgt. Man hatte Autos wegfahren hören und sie hatten Tage gebraucht, bis sie auch diesen verborgenen Mechanismus entdeckt hatten, der die Türe zum Gutshof öffnete. Sie kamen in einer Ecke der Remise hinter lauter Gerümpel heraus, das sie mühsam und leise weg räumten.
    Lars hatte die zündende Idee gehabt, dass man doch die Stromleitung anzapfen könne und sie so den dringend benötigten Saft in ihrem geheimen zweiten Zuhause bekommen könnten. So hatte Felix sich seiner Oma unauffällig angeschlossen, die hin und wieder die alten Leutchen besuchte, hatte den Schlüssel zur Nebeneingangstür, die direkt in die Remise führte gemopst, sie hatten den nachmachen lassen und wenig später hatte er das Original heimlich zurück gebracht, ohne dass das groß aufgefallen war, denn die Tür wurde eigentlich kaum mehr benutzt und die alten Leutchen waren ziemlich schwerhörig und dement. Sie hatten also heimlich Leitungen verlegt, den Gang beleuchtet und Lars hatte einen Anschluss am Sicherungskasten, sogar mit eigener Sicherung und Beschriftung hergestellt, der so unauffällig war, dass es niemandem auffiel.


    Lars war nämlich auch ein wenig schlauer als Felix und hatte nach der Realschule das Fachabitur gemacht und studierte jetzt- zumindest auf dem Papier- Elektrotechnik. Allerdings wohnte er schon in einer eigenen Wohnung, hatte ein eigenes Auto und konnte so von seinen Eltern nicht mehr so kontrolliert werden. Nach und nach hatten sie begonnen dort unten Computer zu installieren und die ersten Spiele zu kopieren. Durch Zufall war Lars bei Ebay auf eine Verpackungsmaschine aus einer Betriebsauflösung gestoßen, sie hatten die günstig gekauft und waren erst mit Kleinmengen in Produktion gegangen, die sie bei ihren ehemaligen Klassenkameraden verhökert hatten. Irgendwann wurden auch die Cover professioneller und so war ihre Produktion ins Laufen gekommen. Inzwischen hatten sie dort unten auch Starkstrom und mehrere leistungsstarke Computer kopierten die Spiele und über die Jahre hatten sie Abnehmer und Vertriebssysteme optimiert. Zur Abwehr neugieriger Wanderer war ihnen ebenfalls etwas eingefallen und so hätte das ewig weitergehen können, wenn nicht plötzlich die alten Leutchen ins Altenheim gekommen wären, dort wenig später gestorben wären und deren Kinder den alten Gutshof verkauft hätten.


    Felix hing immer noch seinen Gedanken nach, als die Oma durch den Hausflur rief: „Kommst du Junge-ich wäre so weit!“ und Felix nach einer kurzen Whats- App-Nachricht an Lars sich aufmachte, mit der Oma im weißen Mercedes ganz klassisch mit Hut und umhäkelter Klorolle im Fond aufbrach, die Wocheneinkäufe zu erledigen.


    Ben und Sarah waren inzwischen aufgewacht. Ben hatte am Vorabend noch im Unterbewusstsein registriert, dass auf dem Regal auch einige Teelichter in einem Beutel waren und daneben auch ein Feuerzeug lag. So konnten sie immerhin etwas sehen und den Handyakku schonen. Trotzdem bemerkte Ben, dass Sarah sehr blass war und auch wenn seine Tochter eifrig an deren Brust saugte und warm eingekuschelt mit den zu Windeln und behelfsmäßiger Kleidung und Vorlagen umfunktionierter Bettwäsche und Küchenrollen anscheinend ganz zufrieden war, musste er seine Familie dringend hier rausbringen-er hoffte, ihm würde bald etwas einfallen. In der Ecke stand ein Eimer mit Deckel, der anscheinend genau zu diesem Zweck diente, für den sie ihn auch benutzten-zur Verrichtung ihrer Notdurft, aber bei Sarah entleerte sich neben dem Urin nicht nur der normale Wochenfluss, sondern, wie sie selber ganz entsetzt konstatierte, viel zu viel Blut.

  • Lars war mehrfach in der Nacht aufgewacht. Er würde seine Gefangenen nicht davon kommen lassen. Noch jetzt könnte er sich verfluchen, dass sie nicht vorsichtiger gewesen waren. Es hatte irgendein Problem mit dem Strom gegeben und als Felix, den er losgeschickt hatte die Sicherung wieder reinzudrücken, es nicht geschafft hatte, die Stromversorgung wieder herzustellen, war er beim zweiten Anlauf mitgegangen, um nach dem Rechten zu sehen. Inzwischen hatten sie leistungsfähige Stirnlampen, die den düsteren Gang in ein helles Licht tauchten, auch wenn die Stromversorgung ausfiel, was zur Zeit immer öfter vorkam und die Geheimtür funktionierte sowieso mechanisch mit einem raffinierten Räderwerk und Umlenkrollen, demselben Mechanismus wie er auch an dem Eisentor war, das den Gang von den eigentlichen Kellerräumen abtrennte.


    Felix hatte sich ins Haus geschlichen, obwohl die Bewohner da waren. Mit der Zeit waren sie immer sorgloser geworden, denn in dem alten Gutshaus gab es so viele Winkel, in denen man sich verstecken konnte, nur der Hund hatte ab und zu gegrollt und Felix hatte vorgeschlagen, den mit Wurst zu bestechen, er war aber dafür gewesen, den Köter zu erledigen. So ne Rasierklinge in der Wurst würde ihn ein für alle Mal zum Schweigen bringen, aber Felix war da noch dagegen gewesen und wenn ihn sein Kumpel aus Kindertagen auch manchmal nervte-trotzdem brauchte er ihn und sonst war der auch völlig loyal. Nur diese Skrupel, die er gestern geäußert hatte, hatten ihn wütend gemacht. Immerhin war er hier in seinen Augen der Chef und es wurde gemacht, was er befahl!


    Sie hatten hier eine einmalige Gelegenheit gefunden, seit vielen Jahren ihr eigenes Reich zu erschaffen, wo niemand sie aufstöbern konnte. Er würde sich das jetzt nicht alles kaputt machen lassen, nur weil dieser Polizist und seine Frau durch Zufall die Geheimtür gefunden hatten. Wer hatte auch ahnen können, dass der dunkelhaarige Mann heute früher von der Arbeit kommen würde und die danach nochmals wegfahren wollten. Sonst war der auch immer sofort ins Haus gegangen, hatte nach dem Abendbrot meist noch ein Ründchen mit Kind und Hund gedreht, aber in die Remise war nie jemand gekommen. Darin standen ein Porsche und die Familienkutsche mit der üblicherweise die Frau fuhr. Ein Platz für den Dienst-Mercedes des Polizisten war auch da, aber meistens stand dieses Auto-zumindest bisher, es war ja auch noch nicht kalt- über Nacht draußen, vermutlich weil es dem Kripobeamten zu mühsam war, das morgens aus der Remise zu holen, deren Tore man ja von Hand öffnen musste. Der Sicherungskasten war in einem kleinen Zwischenflur, der das eigentliche Wohnhaus mit den Nebengebäuden verband, man konnte da normalerweise ran, ohne dass die Hausbewohner das merkten.
    So waren sie gemeinsam ins Haus geschlichen und als sie zurück gekommen waren und es ihm mit ein paar Kniffen gelungen war ihre Stromversorgung wieder herzustellen, hatte sie schier der Schlag getroffen, denn das Tor der Remise stand sperrangelweit offen und gerade hatte der Mann die Geheimtür entdeckt. „Verdammt-was sollen wir nur tun?“ flüsterte Felix entsetzt und in diesem Moment war die hoch schwangere Frau ebenfalls dazu gekommen, hatte ihre Handtasche auf den Beifahrersitz geworfen und war dann ihrem Mann in den Gang gefolgt. Lars war mit einem Satz dazu gesprungen, hatte der Tür einen Schubs gegeben-von außen konnte man das nämlich- und Sekunden später hatte er die Sicherung wieder rausgenommen, so dass ihre Gefangenen da drinnen nichts mehr sehen konnten.


    Felix war käsebleich geworden. „Was sollen wir denn jetzt nur machen?“ hatte er gejammert, aber da hatte Lars sich schon wieder gefasst und begonnen einen Plan zu schmieden, den er seinem Freund erklärte. Zunächst einmal musste das Familienauto verschwinden, damit niemand auf die Idee kam das Haus und dessen nähere Umgebung genauer zu untersuchen. Sie hatten deshalb das Auto, dessen Schlüssel bereits steckte, weggebracht, waren damit zunächst zum Wäldchen gefahren, wo Lars´ Wagen geparkt war, waren dann mit den zwei Fahrzeugen zu Peter Fitz´ Anwesen gerast und hatten den BMW-Kombi dort in die Garage gestellt, die ja seit dem Unglück ihres Besitzers verwaist war. Dort würde niemand nach dem Fahrzeug suchen. Aus dem Handy in der Handtasche hatten sie sofort den Akku entnommen, damit man das nicht orten konnte und aus eigener Erfahrung wussten sie, dass man in dem Geheimgang keinen Empfang hatte. Nach einiger Überlegung waren sie nochmals zum Haus zurück gekehrt, hatten dann doch die Sicherung wieder reingedrückt, die ganz brav mit „Nebengebäude“ beschriftet war und waren dann nach einem kurzen Rundgang durchs Haus, um nach dem kleinen Jungen und dem Hund zu sehen, die aber nicht da waren, zurück zum Wäldchen gefahren.


    Inzwischen war es finster geworden, sie hatten ihren perfekt getarnten Eingang betreten und sich unten vorsichtig umgesehen, hatten aber dann die Frau stöhnen und schreien gehört. „Ich glaube, die kriegt gerade das Kind!“ flüsterte Felix entsetzt und als sie sich vorsichtig tastend in die Richtung der Schreie wagten, hatte die kleine Familie anscheinend ihren Aufenthaltsraum gefunden und es war ein Leichtes gewesen, auch diese Tür zu verschließen.
    Danach war die Diskussion losgebrochen und Lars war wütend gewesen, dass sein Freund zunächst nicht einsehen wollte, dass sie die Leute einfach nicht am Leben lassen konnten, wenn sie nicht auffliegen wollten-aber zum Schluss hatte er doch das Gefühl gehabt, er würde einlenken. Er hatte immer schon einen großen Einfluss auf Felix gehabt, er würde den schon dazu bringen, irgendwie die kleine Familie zu erledigen, die waren immerhin selber schuld-wären sie nicht in den Geheimgang gelaufen, sondern wären einfach weg gefahren, müssten sie jetzt nicht sterben. Allerdings war ihm die zündende Idee bisher auch nicht gekommen, wie sie das machen sollten. Einfach verhungern und verdursten lassen würde eine Weile dauern-zu viele Vorräte waren in dem Aufenthaltsraum, wobei das irgendwann schon passieren würde, aber das konnte Wochen dauern. Dazu mussten sie sich die Finger natürlich nicht schmutzig machen, aber ihm wäre es lieber, sie könnten das schnell erledigen. Allerdings hatte er keine Ahnung, ob der Polizist seine Waffe dabei hatte-er glaubte zwar eigentlich nicht, aber sicher konnte er es nicht sagen. Vermutlich lag die in dem kleinen Tresor im Hausflur, aber da konnte er ja nicht rein sehen und seine Fähigkeiten als Tresorknacker waren nun doch nicht besonders ausgeprägt, also blieb diese Ungewissheit. Natürlich würde man sicher bald beginnen, nach den Vermissten zu suchen-es wäre viel besser, man würde deren Leichen in Kürze irgendwo ganz anders finden. Er hatte vor, die nach deren Ableben in ihren Wagen zu setzen und den entweder in einen Steinbruch stürzen zu lassen, oder im Rhein zu versenken. Wichtig war nur, dass sie weit weg vom Gutshof gefunden wurden, damit keine Spur zu ihrem Versteck führte.
    Lars begann systematisch nachzudenken. Wie konnte man jemanden umbringen, ohne ihm nahe zu kommen? Nach einiger Überlegung fielen ihm mehrere Möglichkeiten ein: Gift, Wasser, Gas und Strom-oder eine Kombination daraus, aber jetzt musste er erst einmal im Internet recherchieren und sich danach mit Felix beraten, der erst noch mit seiner Oma einkaufen fahren musste. Verächtlich hatte er auf das Telefon geblickt, als die Nachricht eintraf, aber er konnte nichts dagegen machen, dass Felix so an seiner Familie hing-jetzt hieß es einfach abwarten!

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