Der Finne - Das ewige Lied des Nordens

  • Andreas Hansen saß in seinem Auto und sah durch die Windschutzscheibe auf das Krankenhaus. Seine braunen Augen scannten die Umgebung. Er konnte Joshua sehen, der vor dem Haupteingang nervös auf und ab stiefelte. Immer mal wieder fuhr sich der junge blonde Mann durch die Haare, setzte sich auf die Bank, um dann direkt wieder aufzustehen. Der Freund seines Sohnes schenkte seiner Umgebung keinerlei Aufmerksamkeit und so war es nicht schwer, sich vor ihm zu verbergen. Er griff in seine Hosentasche und zog ein Foto heraus. Sanft strich er mit dem Zeigefinger darüber. „Es tut mir leid. Es musste sein“, sagte er leise. Ihm war klar, dass er mit diesem Schuss alles verändert hatte. Sein Sohn würde ihn hassen, wenn er es nicht ohnehin bereits getan hatte. Nie würde Mikael die Wahrheit erfahren. Er wünschte, dass er ihm sagen könnte, dass er tief in seinem Inneren schwach war und nicht der starke unerschütterliche Mann, den er vorgab zu sein. Ihm sagen könnte, dass er immer das Wichtigste für ihn war und bleiben würde, egal was er in der Vergangenheit getan hatte. Denn eins wusste er, er war bei weitem nicht der Vater, der er hatte sein wollen, als seine Frau schwanger war. Sie hatten sich unendlich auf das Kind gefreut und er hatte alles besser machen wollen, als sein eigener Vater. Am Ende hatte er versagt und sich in seinen Geschäften verloren. Die Chance verpasst ein guter Vater zu sein. Nie würde er vergessen, was er deshalb seinem eigenen Sohn antun musste.


    Er hatte in der Falle gesessen und einfach keinen Ausweg gefunden. Jemand hatte ihn immerhin dabei gesehen, wie er bei Seifert gestanden hatte, als dieser den Sohn eines russischen Mafioso ermordet hatte. Hatte all das sogar auf Video. Wie hätte er jemals entkommen können? Es war ihm keine Wahl geblieben, als den Deal zuzustimmen. Was hätte er sonst tun sollen? Er war gezwungen worden, dieses Dokument von seinem Sohn zu bekommen und es zu vernichten. Man hatte von ihm verlangt, dass er Mikael tötete. Warum, darüber war es sich bis heute nicht im Klaren. Vielleicht nur so aus Spaß, vielleicht weil er es schon lange in seinem Gehirn abgespeichert hatte. Er hatte nach einer Alternative gesucht, doch Sebastian hatte ihn nie aus den Augen gelassen und als er ihn endlich los geworden war, da hatte er ihn nur noch mehr Probleme gemacht. Er hatte ihm ein Schlangengift für Jäger angedreht, mit dem Versprechen, er habe das Gegenmittel. Nichts hatte er! Er war betrogen worden und vielleicht bald nicht mehr nur der Mörder von Sebastian Seifert, sondern auch von Ben Jäger. Der Junge hatte gewiss schon seine letzten Atemzüge getan und das nur, weil er das Gesicht von Konrad Jäger sehen wollte, wie er um seinen Sohn bangt, nachdem er ihm damals alles genommen hatte. Den Moment auskosten und ihm dann triumphierend das Gegenmittel präsentieren. Vielleicht hätte er noch etwas Geld bekommen können, obwohl er es eigentlich nicht benötigt hatte. Mit einer Millionen und den Rücklagen aus dem Drogengeschäft ließ sich ganz gut leben.


    Er seufzte und ließ den Kopf gegen die Lehne des Sitzes fallen. Es war lange her, als er in einen solchen Schlamassel gesteckt hatte. Die Probleme, die er hatte, als Konrad ihn damals verriet, waren ein Kindergeburtstag gegen seine Jetzigen. Er war so naiv gewesen und hatte gehofft, dass er Mikael sicher in die Hände von Jäger übergeben konnte, doch er hatte sich getäuscht. Er hatte all die Zeit gewusst, dass er nicht alleine bei dieser Übergabe gewesen war. Jemand hatte sie beobachtet, genau geprüft, ob er es auch tat. Und er hatte es getan. Stümperhaft eine Wahrscheinlichkeit errechnet, wie er schießen musste, damit sein Sohn es schaffen würde und das obwohl es keine Garantie gegeben hatte, dass die Kugel im Körper seines Kindes einen anderen Weg nahm, als er sich erhoffte. Dazu war Mikael ohnehin schon am Ende gewesen. Aber es war seine einzige Chance geblieben. Was wäre passiert, wenn er nicht geschossen hätte? Vermutlich hätte man Mikael dennoch erschossen und Konrad und diesen Polizisten gleich mit. Seine Augen folgen einmal mehr Joshua, der weiterhin nervös auf und ab tigerte. Er löste seinen Blick und sah auf die Reisetasche voller Geld, die auf seinen Beifahrersitz lag. Es war Konrads eigene Schuld, dass er sein Spiel nicht durchschaut hatte. Hatte sein alter Freund wirklich geglaubt, er würde zwei Übergaben riskieren? Eine war schon halsbrecherisch genug, da brauchte er unmöglich eine Zweite. Hätte er Mikael übergeben, hätte er ihnen gesagt, wo Ben ist und bis dahin wäre er mit dem Geld längst über alle Berge gewesen. Das Geld würde reichen, um sich vorerst zurückzuziehen und seine Geschäfte in Finnland von seinem Stellvertreter leiten zu lassen. Er musste ja nur warten, bis sich die Russen wieder beruhigt hatten und er seinen Gegner bei den Bullen los war. Dann könnte er zurückkehren und vielleicht könnte er dann Mikael alles erklären. „Du bist albern Andreas, du hast deinen Sohn heute verloren“, sagte er leise zu sich selbst und sah wieder auf das Foto in seiner Hand. Das Foto war schon einige Jahre alt. Mikael trug darauf blaue Polizeiuniform und irgendwie hatte es ihn auch mit Stolz erfüllt, dass sein Sohn ihm nicht auf seinem Weg gefolgt war. Den Weg, dem ihn sein Vater damals vorgegeben hatte und auf den er Mikael nie drängen wollte, aber doch unterschwellig getan hatte. Er sah auf und verfolgte wie Joshua in das Krankenhaus ging. Er selbst griff in diesem Augenblick nach seinem Handy und rief in der Klinik an. Andreas Hansen lächelte in sich hinein. Man schien noch niemanden des Personals über die Umstände informiert zu haben und so war es leicht für ihn Informationen zu erhalten, als er der Schwester sagte, dass er der Vater war. „Ihr Sohn hat die OP gut überstanden“, hörte er sie sagen. Kurz darauf legte er auf. Mehr brauchte er nicht wissen. Er wartete noch einige Minuten vor dem Krankenhaus und sah zu, wie zwei uniformierte Kollegen das Gebäude betraten. Nun, damit hatte sein Plan noch besser geklappt, als er sich erhofft hatte. Niemand würde nur in die Nähe seines Sohnes kommen, endlich war er in Sicherheit, bis er die Sache geklärt hatte. Er startete das Auto und fuhr los. Er würde sich erst einmal einige Tage zurückziehen und dann Kontakt mit dem Mann aufnehmen, der seinen Sohn tot sehen wollte. Es war Zeit, dass er das Blatt zu seinen Gunsten drehte.

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  • Hier kommt ein neues Kapitelchen. Am Sonntag pausiere ich dann, weil ich über das lange Wochenende bis Montagabend weg bin.
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    Semir saß auf der Bank vor dem Krankenhaus. Die Diagnose war erschütternd gewesen und er hatte es einfach nicht mehr ausgehalten, hatte an die frische Luft gemusst. Bens Zustand hatte sich auf dem Weg zum Krankenhaus noch einmal verschlechtert. Er hatte intubiert werden müssen und sein Kreislauf war aus den Fugen geraten. Nun befand sich sein Partner und Freund auf der Intensivstation unter Dauerbeobachtung. Inzwischen waren sich die Ärzte sicher, dass Ben von Hansen ein Gift verabreicht wurde. Welches genau, das war bisher noch unklar. Die Fahndung nach Andreas Hansen lief, doch bisher gab es keinerlei Informationen, die ihnen weiterhelfen würden. Seit er Ben gefunden hatte waren schon viele Stunden vergangen, vermutlich war Hansen bereits aus dem Land und damit die Chance ihn zu finden um ein vielfaches geringer. Auf dem Gelände des Bergwerks hatte man eine große Menge Blut gefunden, die sich derzeit im Labor befand. Semir vermutete, dass es von Seifert war. Immerhin war der auch vom Erdboden verschluckt und bei der misslungenen Übergabe nicht dabei gewesen.
    Er fuhr sich mit seinen zitternden Händen über das Gesicht. Plötzlich fraß sich Schuld durch jede Faser seines Körpers. Vielleicht hatten sie nicht genug getan, um Ben und den finnischen Kollegen zu finden, ehe es zu spät gewesen war? Nun kämpften beide Männer darum, überhaupt zu überleben. Die ernste Miene des Arztes tauchte vor seinem inneren Auge auf und mit jeder verstrichenen Minute versuchte Semir verzweifelter zu verstehen, warum Hansen das alles getan hatte. Wer schoss auf sein eigenes Kind? Für ihn war diese Vorstellung unvorstellbar. Was für ein Mensch war Hansen? Er hatte in den letzten Tagen die deutschen Akten zu dem Mann eindringlich studiert. Nirgends gab es einen Hinweis, dass dieser Mensch über Leichen gegangen war. Er war ein harter Geschäftsmann, der seine Wege gehabt hatte, die andere Seite unter Druck zu setzen, aber kein Mörder. Obwohl, in dem verbrannten Haus wurden tatsächlich Leichen gefunden und irgendwo mussten diese ja hergekommen sein.


    Semir hörte Schritte und dann setzte sich jemand neben ihn hin. „Ich habe es schon gehört. Das ist so furchtbar. Weiß man schon was für ein Gift? Irgendetwas?“ Semir sah nicht auf. Er wusste, dass es sich um Joshua handelte. Er hatte diesen unverwechselbaren Akzent. Brüchiges Deutsch mit diesem langgerollten ‚R‘. Er schüttelte den Kopf. „Nein, Sie wissen noch nichts. Er muss künstlich beamtet werden, sein Kreislauf ist unstabil … ich kann das überhaupt nicht fassen!“
    „Unglaublich, dass Andreas Hansen zu so etwas fähig sein soll. Mord.“
    Semir sah nun auf und blickte in die Augen seines jungen Kollegen aus Finnland. „Wie meinst du das?“
    Joshua spielte mit seinen Pulloverärmeln. „Es ist nur, dass ich damals als ich 16 war eigentlich sehr gerne bei ihm war. Klar hatte Mikael oft Streit mit seinem Vater, aber er war auch liebevoll und hat ihm viel durchgehen lassen. Es ist schwer sich vorzustellen, dass er zu all dem fähig ist. Auf seinen Sohn schießen, Ben vergiften. Ich meine, er wusste, wie wichtig Ben für Mikael ist. Er hat doch immer das getan, was für Mikael das Beste war.“
    „Menschen ändern sich“, erwiderte Semir mit erdrückter Stimme. „Ja, da hast du wohl Recht“, bekam er von der Seite bestätigt.


    „Wie geht es deinem Freund?“, fragte Semir, nachdem sie sich eine Weile angeschwiegen hatten. Er hatte bei all der Sorge um Ben vollkommen vergessen, sich bei Joshua zu erkunden.
    „Die Ärzte sagen, dass er unheimliches Glück hatte. Die Kugel hat zumindest keine inneren Organe verletzt. Durch die entzündeten Wunden hat sich eine Sepsis entwickelt, aber sie sind guter Dinge … wenn es keine Komplikationen gibt.“ Joshua seufzte. „Wenn er wach wird, dann wird er nach Ben fragen und ich weiß nicht, was ich tun soll. Soll ich belügen? Oder soll ich ihm die Wahrheit sagen? Soll ich ihm sagen, was sein Vater getan hat?“
    Semir blickte auf die aufgehende Sonne vor ihnen. Sie waren also bereits die ganze Nacht im Krankenhaus. „Ich weiß es nicht“, gab er ehrlich zu. „Aber ich bin mir sicher, dass du die Antwort findest, wenn du dann zu ihm darfst.“
    Joshua lächelte. „Ja, vielleicht.“
    Sie verbrachten noch eine Stunde auf der Parkbank, ehe Joshua dann aufstand. „Ich werde mal nach Mikael sehen“, sagte er und vergrub dabei seine Hände in den Taschen. „Sina ist drin, sie wartet sicher auf mich. Wir wollten gleich gemeinsam zu Mikael.“ Semir nickte und spürte wenig später einen sanften Druck auf seiner Schulter. „Ich bin mir sicher, dass Ben das schafft. Mach dir keine Sorgen.“


    *


    Nach einem kurzen Gespräch mit einer jungen blonden und leicht müde wirkenden Schwester, hatte diese Joshua in das Krankenzimmer seines Freundes geführt. Er hatte seine Hand fest um die seiner Frau gelegt, die neben ihm stand. Mikaels Hautfarbe hatte einen hellen, fast gräulich wirkenden Ton und so traten die vom Fieber gekennzeichneten rötlichen Wangen noch mehr hervor. Seine Augenhöhen waren schwarz unterlegt. Er wirkte erschöpft und ausgemergelt, aber dennoch hatten sich seine Augen einen Spalt geöffnet, als sie hereingekommen waren. Vielleicht war es eine Art Reflex, dachte Joshua, immerhin hatte in den letzten Tagen eine sich öffnende Tür sicherlich nichts Gutes bedeutet.
    Joshua lächelte ihn an, sagte jedoch nichts, weil er nicht die passenden Worte fand.
    „Ich bin froh, dass es dir gut geht“, durchbrach Sina die Stille, die zwischen den beiden Freunden herrschte und holte einen Stuhl an das Bett. „Weißt du was dein Vater von dir wollte?“, stellte sie bereits die nächste Frage. „Sina, das kann doch warten“, fuhr Joshua dazwischen. Er wollt seinen Freund nicht daran erinnern, was geschehen war und was sein eigener Vater ihm angetan hatte. Er konnte es in Mikaels Augen sehen. Auch wenn die Müdigkeit darin überwog, war da doch dieser Blick, der dem ähnelte, den Mikael hatte, als er geglaubt hatte, dass seine Eltern gestorben waren. Es war eine eigenartige Wut gewesen, die seinen Freund damals beherrscht hatte und es hatte Jahre gebraucht, bis er darüber hinweg gekommen war.
    „Das Dokument“, antwortete Mikael leise, wich jedoch ihren Blicken aus und sah nun in die andere Richtung. „Die verschlüsselte Personenliste? Konntest du einige Namen inzwischen dekodieren?“, fragte die Blonde jetzt nach.
    „Ist das wichtig?“
    „Natürlich ist das wichtig. Du wurdest deshalb von deinem Vater und Seifert entführt, oder nicht? Kannst du dich noch an die Liste erinnern?“
    „Ich denke wirklich, dass wir das später noch bereden können“, mischte sich Joshua erneut ein. „Die Hauptsache ist doch, dass es Mikael gut geht. Verdammt, ich hatte wirklich Angst um dich. Jetzt wo du im Krankenhaus bist, da wird es dir sicher bald besser gehen.“
    „Gut, wie ihr meint“, hörte er seine Frau murmeln.
    Mikaels Kopf drehte sich wieder zu ihnen. „Wie geht es Ben? … Habt ihr ihn gefunden?“
    „Mach dir keine Gedanken. Es geht ihm gut. Nur ein paar kleinere Verletzungen … er liegt ein paar Zimmer weiter“, antwortete Joshua schnell.
    „Auf der Intensiv? Wieso … was hat …“
    „Nein, nein. Auf der normalen Station. Alles ist okay mit ihm. Sorry, es war nur so eine dumme Redewendung.“ Joshua schluckte, als Mikael seine Gesichtszüge studierte. Er war sich sicher, dass er nun auffliegen würde. Seine ganze Lüge gleich aufgedeckt war.
    Dann jedoch lächelte Mikael und schloss die Augen. „Bist du sehr müde? Du brauchst nur sagen, wenn wir gehen sollen. Du weißt, dass ich das verstehe und …“
    „Es ist okay, Josh. Alles ist gut.“ Der Blonde nickte und sie verfielen wieder in ein unangenehmes Schweigen.
    „Wir haben übrigens Lindholm festgenommen.“ Die Lider des schwarzhaarigen Kommissars flatterten und öffneten sich dann abrupt. „Lindholm?“
    „Ich habe gehört, wie er mit deinem Vater geredet hat. Er ist der korrupte Polizist. Er war es sicher auch, der dich damals verraten hat! Wenn ich könnte, dann würde ich ihn dafür grün und blau schlagen, dass musst du mir glauben!“, schimpfte Joshua laut und ballte dabei seine rechte Hand zur Faust. „Kaurismäki hat ihn immer noch in der Mangel. Er wird nicht davonkommen und wenn, sorge ich dafür, dass er nie den Tag vergisst, an dem er sich an meinem Freund vergangen hat!“
    „Daran habe ich keinen Zweifel“, kam es leise aus dem Bett. Joshua lächelte und drückte dann sanft Mikaels Unterarm. „Du solltest schlafen. Du bist vollkommen fertig und brauchst Ruhe.“ Er warf seiner Frau einen vielsagenden Blick zu. „Wir kommen morgen wieder, okay?“ Er wartete, bis er ein leichtes Nicken von seinem Freund erhielt und verließ mit einem mulmigen Gefühl das Krankenzimmer. Dieser Tag war wirklich mehr als beschissen gelaufen und er fühlte sich, als hätte er auf ganzer Linie versagt.

  • Joshua zog den Stuhl an Mikaels Bett und setzte sich. „Wie geht es dir?“, wollte er wissen und sah in die müden Augen seines Freundes. Dieser lächelte matt. „Willst du die Wahrheit … oder diese Floskeln?“ Er lachte. „Ich sehe schon, beschissen.“ Der Schwarzhaarige nickte. „Das trifft es ziemlich gut. Der Arzt sagte zwar, dass es aufwärts geht, aber ich fühle mich nicht so.“ Joshua nickte. „Brauchst du etwas? Ein Buch oder irgendetwas anderes? Sina ist noch in der Stadt und ich könnte sie anrufen, wenn du magst.“ Mikaels blauen Augen schienen ihn plötzlich zu durchbohren und in ihnen spiegelte sich eine Stärke wieder, die er vor wenigen Sekunden nicht wahrnehmen könnte. Mühselig richtete sich sein Freund in seinem Bett auf. „Wie wäre es mit der Wahrheit? Jetzt, wo ich nicht mehr ganz so vernebelt bin … ich sehe, dass irgendetwas nicht stimmt.“ Joshua wünschte sich gerade nichts mehr, als das er im Boden verschwinden könnte. Er biss sich nervös auf die Unterlippe und verfluchte sich dafür, dass er dadurch noch deutlicher zeigte, dass sein Freund Recht hatte. Natürlich stimmte etwas nicht. Bens Zustand war weiterhin kritisch und die Ärzte hatten noch keine Therapie gefunden, die anschlug. „Was ist es?“, hörte er Mikael sagen. Er starrte seinen Freund an. Urplötzlich schien sich sein Gehirn abgeschaltet zu haben. Ihm wollte keine passende Erklärung einfallen. Kein Wort wollte seinen Mund verlassen. Er spürte, wie Mikaels warme Hand nach seiner griff und sie drückte. Seicht und kraftlos. „Bitte … hör auf mich schützen zu wollen …“ Er schluckte. „Ich … Mikael.“ Seine Stimme versagte und er schüttelte den Kopf. Er wusste einfach nicht, wie er es sagen sollte. Er und Mikael verstanden sich blind, vertrauten aneinander und er wusste, dass er die Wahrheit nicht wegstecken würde. Mikael würde ins Grübeln verfallen, sich vielleicht selbst Vorwürfe machen und das wollte er nicht. Dennoch schien es unausweichlich. Was sollte er sagen? Er hatte sich in diese Sackgasse herein manövriert und nun kam er nicht mehr hinaus. „Es geht um Ben“, entkam es ihm nun leise und in einer brüchigen fremden Stimme. „Ich habe gelogen … dein Vater … Andreas, er hat ihm etwas gespritzt … ein Gift.“


    Mikael sah ihn an und er begann ihm zu erzählen, was passiert war, nachdem sein Vater auf ihn geschossen hatte. Er sah, wie Mikael die Tränen in die Augen traten. Trauer, Wut und Erschütterung zeichneten sich ab. „Von Andreas fehlt jede Spur. Wir wissen nicht, wo er ist. Nichts … deshalb auch die Wachen vor deiner Tür.“ Mikaels zittrige blassgraue Hand umgriff seine fester. „Nenn ihn nicht so“, nuschelte der Schwarzhaarige, „nenn ihn nicht so! Nie wieder nennst du ihn bei seinem Vornamen!!! Hansen hat es nicht verdient!“ Joshua nickte nur. Er konnte sehen, wie die Wahrheit tief in seinem Freund, wie ein Sturm wütete und begann ihn langsam zu zerstören. Zu stürzten, wie einen alten morschen Baum. „Es … ist meine Schuld.“ Die Worte seines besten Freundes sorgten auf eine seltsame und eigenartige Weise dazu, dass er wieder klar denken konnte. „Du bist nicht Schuld!“, sagte er mit scharfer Stimme, „Du kannst nichts dafür. Du bist ein Opfer, wie Ben!“ „Er wäre nie entführt worden ohne mich!“, gab Mikael Konter und wurde trotz seiner aktuellen körperlichen Schwäche laut. „Erzähl nicht so einen Blödsinn!“ „Er war wegen mir in diesem Haus … weil ich seinem Partner dieses Armband …“ Joshua spürte das Zittern von Mikaels Hand. „So darfst du nicht denken. Hör zu, wenn nur du verschwunden wärst, hätten wir dich gesucht ja? Dann wäre Ben unausweichlich darüber im Klaren gewesen, dass du in Köln bist und dann hätte Andreas …“, Joshua nahm den wütenden Blick seines Freundes wahr, „…Hansen, natürlich. Er hätte Ben dann vielleicht auch entführt, um an das Geld von Jäger zu kommen.“
    Mikael sagte nichts und blickte an ihm vorbei an die kahle Wand. Natürlich war er nicht zu ihm durchgedrungen. „Ich meine es ernst. Du hättest es nicht ändern können!“ Der Blick des Schwarzhaarigen änderte sich nicht. Nichts darin ließ Joshua erkennen, ob er zu ihm durchgedrungen war. „Mikael! Bitte grab dich jetzt nicht ein. Ich bin hier, bei dir. Wir stehen das durch und Ben … Ben wird es schaffen.“ Der Blonde verfolgte, wie eine Träne die Wange herunterlief und auf das Laken tropfte. „Warum hat Papa? … Ich verstehe das nicht Josh … er, er …“ Mikael kam nicht zum Abschluss, ehe er erneut verstummte. „Wir finden das raus. Wir werden herausfinden, warum er das getan hat“, versprach Joshua. „Wir werden ihn solange suchen, bis wir ihn gefunden haben und dann wird er nicht schweigen können! Er wird uns die Wahrheit sagen.“ Joshua vernahm, wie Mikael seine Hand nun wieder fester umschloss und auf seinen sich Lippen zumindest etwas Ähnliches wie ein Lächeln abzeichnete.


    Der blonde Hauptkommissar wartete noch, bis Mikael wieder eingeschlafen war und verließ dann leise das Zimmer. Als er auf den Gang getreten war, kam ihm Semir entgegen. Seine rotunterlaufenen Augen sprachen Bände. „Keine Neuigkeiten?“, fragte er, obwohl er sich die Antwort eigentlich denken konnte. „Unverändert kritisch“, antwortete Semir und schluckte dabei merklich. Er sah an ihm vorbei. „Und dein Freund?“ „Ich habe ihm die Wahrheit sagen müssen, was Ben anbelangt.“ Joshua schob die Hände in seine Taschen. „Und jetzt bin ich auf irgendeine seltsame Weise froh, dass er zu müde ist … sonst würde ihn nicht viel in diesem Bett halten.“ Er seufzte. „Lass uns auf die Dienststelle fahren, vielleicht finden wir ja endlich etwas, was uns Hansen ein Stück näher bringt.“ Semir nickte und so fuhren sie stumm in Richtung PAST. Beide in ihren eigenen Gedanken versunken.

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  • Semir schluckte, atmete tief durch und betrat das Krankenzimmer. Ben lag unverändert im Bett, die Augen geschlossen. Der Brustkorb, der unter einer weißen Decke versteckt war, hob und senkte sich gleichmäßig. Ein Beamtungsschlauch führte in seinen Mund, denn noch waren die Lungen zu angegriffen, als das sie den Körper selbst mit Sauerstoff versorgen konnten. Jedes Mal, wenn Semir den Raum betrat, machte sich in seinem Inneren eine Art Schuld breit. Dieser Anblick von Ben an all den Leitungen und Schläuchen, wie er so hilflos dalag. Er schloss die Augen für einen Augenblick und setzte sich dann auf dem Besucherstuhl. „Hallo Ben.“ Er wartete auf eine Antwort, ob wohl er sich sicher war, dass keine kommen konnte. Nach einigen Sekunden begann er seinem Partner von dem Tag zu erzählen. Sie hatten immer noch keine Hinweise, wo sich Seifert und Hansen aufhielten. Akseli Lindström wurde nach Finnland überführt und befand sich dort in Untersuchungshaft. „Und Mikael geht es auch immer besser. Die Schussverletzung von seinem Vater macht kaum noch Probleme … nur die entzündeten Verletzungen setzten ihn noch zu“, schloss Semir seinen Tagesbericht ab. Er hatte den jungen Kommissar vor zwei Tagen das erste Mal besucht und auch wenn der finnische Kollege nicht gerade ein Plappermaul war, meinte er, dass er schon etwas mehr über sein Wesen herausgefunden hatte. Er wirkte nach Außen unerschütterlich, doch als er das mit Ben vor ein drei Tagen erfahren hatte, war da auch so etwas in seinem Blick, was Semir nicht wirklich zuordnen konnte. Außerdem nagte die Sache mit seinem Vater an Mikael. Der junge Kollege schwankte zwischen der Vorstellung, dass sein Vater so genau geschossen hatte, damit er überleben konnte und derer, dass sein Vater ihn wirklich hatte umbringen wollen. Als Semir in Mikaels Zimmer gewesen war, hatte er einige Zettel auf dem Nachtisch gesehen. Zwei Personen, verschieden groß waren darauf abgebildet. Er und sein Vater, vermutete Semir. Daneben waren Zahlen notiert gewesen. Winkel, Entfernungen und Geschwindigkeiten. Er hatte mit Joshua darüber gesprochen, doch er wusste auch nicht, wie er mit der Unruhe umgehen sollte, die seinen besten Freund befallen hatte. Semir griff nach der schlaffen Hand seines Freundes. „Bitte Ben, werde schnell wieder gesund. Bitte, du kannst jetzt nicht die Biege machen. Einfach so!“


    Als Semir das Zimmer nach einer Stunde wieder verließ, erblickte er Mikael. Er stand an der Scheibe, hatte die Hände tief in die Taschen seines Kapuzenpullovers geschoben und sah in das Zimmer. Der finnische Kollege war blass, feiner Schweiß bedeckte seine Haut und die Wangen waren noch immer leicht vom Fieber gerötet. Die Temperatur war zunächst runtergegangen, aber seit gestern wieder angestiegen. Vermutlich, weil Mikael sich die Ruhe nicht gönnte, die er jetzt brauchte. „Du sollst dich doch schonen“, ermahnte ihn Semir. „Es geht mir gut“, kam es leise von Mikael, der seinen Blick nicht von Ben gelöst hatte. „So siehst du aber nicht aus“, konterte er und stellte sich nun neben den Kollegen aus dem hohen Norden. „Ich kann mich auf meinen zwei Beinen halten, ohne umzukippen, also geht es mir gut.“ „Aber du hast Schmerzen. Ich sehe es doch.“ Mikael drehte sich zu ihm. „Ich musste einfach nachsehen, wie es Ben geht“, sagte er nun. „Du hättest eine Schwester fragen sollen, ob sie dich mit dem Rollstuhl herbringt.“ „Wozu? Ich habe es doch auch so geschafft.“ Semir schüttelte den Kopf. Es war nun wirklich nicht leicht, Mikael aufzuzeigen, dass auch er sich ausruhen musste, egal was mit Ben war. „Weißt du … ich verstehe es nicht. Ich verstehe nicht, wieso mein Vater das getan hat.“ Der Ältere sah, wie der Finne begonnen hatte zu zittern. Er presste die Hände noch tiefer in seinen Pullover und schluckte einige Male schwer, während sich Tränen in den Augen abzeichneten. Doch dann ließ nicht zu, dass sie an die Oberfläche kamen. Er schloss die Augen für einen Augenblick und atmete tief durch, ehe er sie wieder öffnete. „Ich werde zurückgehen, nicht das mich Konrad Jäger wieder hier sieht“, sagte er jetzt und drehte sich von Semir weg, um in Richtung der Fahrstühle zu gehen, da er nun nicht mehr auf der Intensivstation liegen musste. Semir ging ihm hinterher. „Was war damals der wirkliche Grund, warum du dich nicht bei Ben gemeldet hast?“ Mikael sah sich um. „Wie?“ „Ich habe gesehen, wie du gestern mit Konrad Jäger geredet hast. Du hattest keinen Respekt vor ihm. Das war nicht der Grund, warum du es getan hast … nicht wegen dem Geld von Jäger.“ Der junge Kollege blieb ihm lange eine Antwort schuldig. „Du hast Ben damit sehr verletzt, musst du wissen“, unterstrich Semir. „Ich weiß … es tut mir Leid.“ Sie hatten den Aufzug inzwischen erreicht und Mikael drückte auf den Knopf. „Konntest du dich nicht bei Ben melden oder wolltest du nicht? Ich meine, du hast doch diesen Anhänger auch all die Jahre bei dir getragen.“ Der Aufzug öffnete sich, doch der Finne stieg nicht ein. „Ich konnte nicht“, antwortete ihm Mikael schließlich. „Und warum?“ „Darüber möchte ich eigentlich nicht reden.“ Semir legte seine Hand auf die Schulter seines Gegenübers. „Was kann denn so schlimm gewesen sein?“ „Ich hatte eine schwere Zeit, nachdem mein Vater seinen Tot vorgetäuscht hat und dann … ich habe keine Ahnung. Vielleicht hatte ich nie den Mut. Vielleicht dachte ich, dass Ben besser dran ist, wenn er es nicht weiß.“ Der Schwarzhaarige hob langsam Semirs Hand von seiner Schulter und drückte den Knopf des Aufzuges abermals, um diesmal auch hineinzusteigen. Semir folgte ihm. „Warum sollte Ben besser dran sein ohne dich?“, setzte er zur nächsten Frage an. „Ich bringe den Menschen nicht besonders viel Glück. Das meine ich … manchmal habe ich das Gefühl, das ich das Unglück anziehe.“ Er lächelte gezwungen. „Seh dir doch Ben an. Die These kann nicht ganz falsch sein, oder?“


    *


    Andreas Hansen lächelte entschuldigend. „Ich habe auf ihn geschossen. Ich konnte doch nicht ahnen, dass bereits eine Rettungswagen in der Nähe postiert war“, sprach er.
    Er bekam ein donnerndes Lachen von seinem Gegenüber als Antwort. „Du hattest nur diese Aufgabe. Räum Mikael Häkkinen aus dem Weg und was machst du? Du sorgst dafür, dass ich nun überhaupt nicht mehr an ihn herankomme. Zwei Polizisten stehen ununterbrochen vor seiner Tür!“
    „Shit happens“, erwiderte Andreas unbeeindruckt. Es gab Gegner vor denen er Angst hatte, aber vor diesem hier sicherlich nicht. Ihm war er um Längen überlegen.
    „Wo ist Seifert?!“, feuerte der Mann die nächste Frage auf ihn zu.
    „Er dachte mich um das Geld betrügen zu können. So etwas mag ich nicht.“
    „Ich glaube viel mehr, du wirst deinem Ruf doch nicht gerecht. Häkkinen scheint deine Vatergefühle geweckt zu haben.“ Der Mann trat näher auf ihn zu. Sein Gesicht war nun nur noch Zentimeter von seinem entfernt. „Kann es sein, dass du den Kleinen versuchst zu beschützen?“
    Andreas lachte. „Ich habe meinen Job erfüllt. Ich habe auf ihn geschossen. Du hättest etwas anderes verlangen sollen, wenn du wirklich sicher gehen wolltest, dass er stirbt. Was weiß der Junge, dass er dir gefährlich werden kann? Er kann sich nicht einmal erinnern, was wirklich in dieser Nacht war. Ich habe die Informationen gesehen, die du so dringend brauchtest. Da führt keine Spur zu dir. Nichts davon könnte dir gefährlich werden.“
    Sein Gesprächspartner zog die Mundwinkel nach oben. „Du bist nicht so schlau, wie dein Sohn. Es gibt eine Person in diesen Unterlagen, die direkt zu mir führt und wenn er diese Verbindung herstellt. Ob er sich an die Nacht in Helsinki erinnert oder nicht.“
    „Wenn du solche Angst vor seiner Intelligenz hast, dann hättest du ihm diesen Fall nicht geben sollen“, konterte Andreas.
    „Vielleicht, Hansen, liebe auch ich es zu spielen. Ich wollte sein Gesicht sehen, wenn er herausbekommt, dass du noch lebst. Weißt du, er ist dir nämlich nicht so unähnlich, nur das er seinen Ehrgeiz für die andere Seite gebraucht. Allerdings hat er davor begonnen sich etwas zu intensiv mit diesen Unterlagen aus Seiferts Firma zu befassen. Er hat im Präsidium unangenehme Fragen gestellt. Da wurde mir das Risiko zu groß.“ Ein schallerndes Lachen donnerte durch die Hafenhalle. „Ich könnte ihn verschonen. Gib mir diese Kiste und es wird ihm nichts passieren!“
    „Was macht dich so sicher, dass ich auf diesen Deal eingehen werde? Diese Kiste ist meine Versicherung. Es steht übrigens auch ziemlich viel über dich drin, mein alter Freund.“
    Er langte unter sein Jackett und zog eine Waffe hervor, auf die er den Schalldämpfer geschraubt war. „Du liebst deinen Sohn mehr, als du zugeben willst, sonst hättest du auf sein Herz geschossen! Sag schon, wo ist die Kiste!“
    Andreas lächelte amüsiert. „Und dann? Ich habe dafür gesorgt, dass der Schlüssel nicht mehr existiert … du könntest sie nicht öffnen! Ich lasse mich von dir nicht erpressen, nur weil du einen Mord aufgezeichnet hast, den Seifert begannen hat! Dein Spiel endet hier! Es wird Zeit, dass du lernst, wer die Zügel in der Hand hat. Durch deine lächerliche Erpressungsnummer mit Seifert hast du mir Zeit verschafft, alle Spuren zu beseitigen, die es gab.“
    Wieder lachte sein Gegner. „Wirklich?! Weißt du, was mir klar geworden ist in den letzten Tagen? Du hast nicht nur einen Schlüssel. Nein, da gibt es jemanden, der dir so viel wert ist, dass du ihm ebenfalls einen anvertraut hast.“


    Dann fiel ein Schuss und Hansen stürzte vornüber in den Dreck. Der Mann beugte sich runter und prüfte den Puls. „Nur dumm, dass dein Sohn niemals erfahren wird, wie sehr du ihn geliebt hast. Aber vielleicht trefft ihr euch ja bald im Himmel.“ Er lachte und löste sich von Hansens Leiche und verließ die Halle, zufrieden darüber, dass er es war der Hansen gestürzt hatte. Nun fehlte ihm nur noch dieser Schlüssel und er konnte den Platz von diesem Typen endlich einnehmen, nachdem er ihn all diese Jahre gedemütigt hatte. Am Ende war es überraschend einfach gewesen, diesen Mann umzubringen, der ihn in der Hand gehabt hatte. Hansen war in seiner Überheblichkeit zu unvorsichtig geworden und hatte nicht einmal eine Waffe dabei gehabt zu diesem Treffen. Er hatte ihn unterschätzt und das war der Fehler des großen Andreas Hansen.

  • Mikael saß auf der Parkbank vor dem Krankenhaus. Sein Blick war gesenkt auf ein Foto, welches ihn gemeinsam mit seinem Vater und seiner Mutter zeigte. Sie lachten fröhlich in die Kamera. Er hatte die letzten Tage versucht Antworten zu finden, doch er fand sie nicht. Er verstand nicht, warum sein Vater das tat. Wieso ließ er ihn immer und immer wieder in Stich? Wieso hatte er damals seinen Tod vorgetäuscht und wieso hatte er auf ihn geschossen? Wieso war alles was ihn derzeit beherrschte Leere und Wut? Wut darüber, dass er Ben nicht hatte schützen können und so schwach gewesen war. Er hatte seinem Vater nichts entgegengebracht, hatte es nicht verhindern können. Eine Träne tropfte auf das Foto. Mikael wischte sie schnell mit seiner Hand weg. „Er hat es nicht verdient!“, sagte er laut zu sich selbst. Die nächste Träne fand ihren Weg und tropfte auf die Fotografie. Er wollte doch nur verstehen! Er zog ein Feuerzeug aus seiner Hosentasche und hielt das Foto knapp darüber. Dann ließ er das Feuerzeug aufflammen. „Es wird Zeit, dass du aus meinem Leben verschwindest! Du hast keinen Platz in meinen Gedanken!“ Er senkte das Foto ein Stück, doch ehe es Feuer fangen konnte, griff jemand danach und zog es weg. Mikael sah auf und erblickte Joshua, der vor ihm stand.


    „Gib es mir zurück!“, forderte er. Er wollte doch nur jeden Beweis an die Existenz seines Vaters loswerden. Er hatte es nicht verdient, dass er ein Foto von ihm bei sich trug. Andreas Hansen hatte nicht verdient, dass er immer an ihn gedacht hatte. Er war kein Vater, sondern ein Verbrecher. Ein Monster, das seinen eigenen Sohn erschießen würde! „Du solltest das nicht tun“, sagte Joshua und setzte sich dann neben ihn auf die Bank. „Tu dir das nicht an Mikael … bitte tu dir das nicht schon wieder an! Lass dich nicht zerstören von dem Wenn und Warum!“ Er hielt ihm das Foto wieder hin und er griff danach. „Du hast doch überhaupt keine Ahnung! In deinem Leben ist alles perfekt! Alles geht die Bahnen, die es gehen soll!“ Wütend zerknüllte er das Foto in seiner rechten Hand und ließ es auf die Erde fallen. „Er hat auf mich geschossen! Verstehst du!? Ich habe keinen Wert für meinen eigenen Vater“, schrie er, wurde dann jedoch leiser, „ich habe überhaupt keinen Wert!“ Joshua war von seinen Vorwürfen unbeeindruckt. Er sah ihn eindringlich an und tippte dann auf seine Brust, dort wo sein Herz war. „Hast du vor das hier wieder einzubetonieren? Wie damals, als du dachtest, dass er tot ist?“ „Vielleicht wäre es besser nichts zu fühlen?“, stellte er leise die Gegenfrage. Es war sicherlich besser, als diese Schuld und diese Vorwürfe mit sich herumzutragen. Diese Ungewissheit nagte an ihm, zerfraß ihn von Innen und ließ ihn nicht mehr klar denken. Joshuas Finger löste sich von seiner Brust und der Blonde lehnte sich in der Bank zurück und sah in den Himmel. „Mir gefällst du besser, wenn du etwas fühlst. Dir ist die Welt um dich herum nicht egal, auch wenn du es gerne den anderen Menschen vormachen willst. Du willst dich nicht an andere Menschen binden, hast aber Angst alleine zu sein.“ Joshua senkte den Kopf und sah ihn nun wieder an. „Wieso hast du diesen Anhänger Ben zukommen lassen?“ Er zuckte mit den Schultern. Er wusste es nicht. Es war ein Reflex gewesen, eine Kurzschlussreaktion. Im Grund hatte er nicht vorgehabt, sich bei Ben zu melden und im Nachhinein wäre es sicherlich auch besser gewesen. Dann wäre Ben nichts geschehen. „Vielleicht weil du wusstest, dass du ihm vertrauen kannst?“, hakte Joshua nach. „Weil da nach all diesen Jahren noch etwas war, was dich so sicher machte, dass du ihm vertraust.“


    Mikael hob die Beine auf die Bank und zog die Knie an seinen Körper. Von seiner Schussverletzung ging in diesem Augenblick ein stechender unangenehmer Schmerz aus, doch er ignorierte ihn. „Ich-ich … ja … vielleicht dachte ich, dass sich nichts geändert hat. Aber alles hat sich geändert … ich habe mich geändert.“ Er fuhr sich mit seinen zittrigen Händen durch die Haare. „Ben will durch diese Mauer, die mich umgibt, aber ich kann das nicht zulassen! Ich kann das nicht, weil ich Angst habe … Angst, das er nicht versteht, wieso ich all diese Fehler gemacht habe!“ Es herrschte lange Stille, ehe Joshua seine Stimme erhob. „Du solltest nicht in der Vergangenheit leben. Es ist egal, was damals war. Was zählt ist doch die Gegenwart und die Zukunft.“ Der Schwarzhaarige löste seine Hände wieder aus den Haaren und schlang sie um seine Beine. „Ben hat vielleicht keine Zukunft … wegen meinem Vater …“ Seine Stimme klang dünn und zerbrechlich, doch im Augenblick kümmerte ihn das nicht. Vor Joshua musste er nicht stark sein. Vor ihm brauchte er keine Maske. Sein Freund kannte alle Seiten von ihm, die hässlichen und die guten. Joshuas Hand umgriff seinen Unterarm. „Sowas darfst du nicht denken. Hör mal, die Ärzte sind doch guter Dinge. Es geht doch aufwärts und sein Zustand verbessert sich. Ben wird es schaffen.“ „Wieso denkst du hat Hansen das getan?“ Mikael sah auf, blickte Joshua an, doch der Blonde zuckte nur mit den Schultern. „Wenn jemand mit deinem IQ es nicht rausbekommt, gibt es darauf vielleicht keine Antwort. Es gibt nicht immer auf alles Antworten. Es gibt Dinge, die immer verborgen bleiben. Aber dann sollte man sie ruhen lassen, denn sonst zerstört es einen und ich will nicht, dass du wieder zerstört wirst.“

    *


    Semir beobachtete die Szene aus dem Fenster des Krankenhauses. Als er hergekommen war, um nach Ben zu sehen, hatte er bereits verfolgt, wie Mikael sich aus dem Krankenhaus vor die Tür gekämpft hatte. Er hatte schon befürchtet, dass der junge Kommissar auf dumme Gedanken kam und sich selbst auf die Suche seines Vaters begab, doch dann endete Mikaels Flucht schon auf der nächstbesten Bank. In der Zwischenzeit war er bei seinem Partner gewesen und mehr als erleichtert, dass die Ärzte endlich etwas gefunden hatten, was Ben half. Es ging aufwärts. Er dachte an das Gespräch zurück, was er gestern mit dem Finnen geführt hatte. Häkkinen hatte sich unwohl gefühlt, als er diese Dinge angesprochen hatte. Gleichzeitig war in seinen Augen diese Verzweiflung, Schuld und Wut gewesen. Ob gegen sich selbst oder seinen Vater. Das konnte Semir bis heute noch nicht ausmachen. Vielleicht war es ja Beides?


    „Denken Sie, dass es gerecht ist?“ Semir sah zur Seite. Er war so in Gedanken vertieft, dass er Konrad Jäger nicht bemerkt hatte. „Wie meinen Sie das?“, fragte er und sah wieder aus dem Fenster. Mikael und Joshua waren inzwischen aufgestanden und gingen langsam in Richtung Krankenhaus. Es war klar, dass Konrad Jäger auf Mikael ansprach. Wenn er den Sohn von Andreas Hansen ansah, hatte Bens Vater etwas in seinem Blick, was Semir nicht gefiel. Etwas Verachtendes. „Ich weiß nicht Herr Gerkhan…in mir schleicht sich immer wieder der Gedanke ein, dass ich ihm nicht hätte helfen sollen. Vielleicht wäre Ben dann jetzt hier und wir würden über diese Sache lachen. Aber nun ist alles ganz anders gekommen.“ „Ich weiß, dass es schwer für Sie ist Herr Jäger, aber ich denke Hansen hätte auch so Ihren Sohn nicht gehen lassen.“ Bens Vater erwiderte mit brüchiger Stimme, dass er da wohl Recht habe und ging mit weiter in Richtung des Zimmers seines Sohnes. Semir nickte nur und sah dann wieder heraus. Hatte Konrad Jäger diese Vorwürfe auch gegenüber Mikael geäußert? Zumindest würde es die tiefe Schuld des jungen Mannes erklären.

  • Semir saß auf der Bank und beobachtete das Treiben im Park. Seine Gedanken kreisten vor allem um Ben, dem es immer besser ging und bereits Extubiert werden konnte. Derzeit war sein Vater bei ihm. Semir hatte Konrad Jäger vorher aus dem Zimmer von Mikael kommen sehen. Wahrscheinlich versuchte er durch ihn an Andreas Hansen heranzukommen. Doch er war sich sicher, dass Mikael nicht wusste, wo sein Vater war und Vorwürfe, die machte sich der junge Polizist selbst genug. „Gibt es immer noch nichts Neues wegen Hansen?“, ertönte es und jemand setzte sich neben ihm hin. „Eigentlich sagt es dein Gesicht schon“, fügte die Person etwas später außer Atem hinzu. Er blickte zur Seite. Mikael saß neben ihm und atmete hektisch. Die Kollegen vor seiner Zimmertür hatten es also einmal mehr nicht geschafft sich durchzusetzen und Mikael war nach draußen geflüchtet. „Du sollst doch im Krankenhaus bleiben, wo man dich beschützen kann. Seifert und dein Vater sind noch da draußen“, ermahnte er ihn. „Wäre es nicht ziemlich kontraproduktiv direkt vor einem Krankenhaus auf mich zu schießen?“, schnaufte der Schwarzhaarige und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. „Darfst du überhaupt schon so weite Ausflüge machen? Sieh dich an, du triefst vor Schweiß.“ Mikael zuckte mit den Schultern. „Ich habe jetzt nicht um Erlaubnis gefragt, wenn es das ist, was du meinst … außerdem treibt mich dieser Kasten in den Wahnsinn. Ich weiß wirklich nicht, wie man da zur Ruhe kommen soll, bei den ganzen Geräuschen!“
    Semir schüttelte den Kopf. So viel Starrsinn war ihm selbst bei Ben noch nicht untergekommen. „Jetzt weiß ich, was Joshua gemeint hat, als er sagte, ich soll dich nicht zulange aus den Augen lassen.“
    „Kannst dich ja beschweren bei ihm … er ist heute im Lande, damit der Fall offiziell ans LKA geht“, gab Mikael ihm Widerworte. Semir nickte. Es war zwei Tage her, da hatte Joshua zurück nach Finnland gemusst, heute sollte es eine abschließende Besprechung geben, dann war dieser Fall nicht mehr in den Händen der Finnen, sondern des LKA. Die Chefin hätte es gern gesehen, wenn er auch zu diesem Meeting gekommen wäre, aber er hatte dankend abgelehnt. Es ging doch am Ende nur darum ein paar Akten zu übergeben.
    Der Deutschtürke stand auf. „Komm, lass uns wieder reingehen. Es ist ziemlich frisch draußen und du bist noch nicht wieder hundertprozentig fit.“
    „Hat dir schon jemand gesagt, dass du ziemlich überfürsorglich bist? Wenn nicht, erledige ich es hiermit.“
    Semir hielt Mikael die Hand hin. „Nun komm!“
    Der Jüngere zog seine linke Augenbraue hoch. „Du denkst doch nicht, dass ich deine Hilfe brauche, um aufzustehen?“ Mikael erhob sich mit einem Ruck und sah in Richtung Krankenhaus. „Mir graut es jetzt schon vor dem elenden Gestank nach Desinfektionsmitteln.“
    „Ein paar Tage noch und du hast es ja überstanden“, ermutigte Semir den Finnen und gab ihm einen freundschaftlichen Klaps. „Nun komm.“


    Sie wollten sich gerade in Bewegung setzten, da ertönte aus Richtung der Straße Joshuas Stimme. „Stellt euch vor! Gerade als wir bei euch in der PAST waren, da kommt ein Kollege rein und …“ Der Blonde stützte beide Hände auf seine Knie ab und rang schwer japsend nach Luft. „Wir haben die Leiche von Andreas Hansen gefunden!“ Er sah in Semirs Richtung. „Du hattest dein Handy aus. Ich soll dich abholen.“
    „Die Leiche von Hansen?“, wiederholte Semir ungläubig. Er hatte geglaubt, dass dieser Mann sich bereits einen schönen Urlaub in der Karibik macht. Joshua nickte. „Ja. zweifelsfrei!“
    Semir sah auf Mikael. Der Schwarzhaarige war noch bleicher geworden, als ohnehin schon und blickte Joshua stumm an.
    „Gut, fahren wir mit deinem Wagen, Joshua? Meiner steht in der Tiefgarage“, durchbrach der deutsche Kommissar die aufkommende und gleichzeitig auch unangenehme Stille.
    „Ja, können wir.“ Joshua sah seinen Freund für einen Augenblick an. „Ich komme danach vorbei, ok?“
    Nun kam Leben in Mikael. „Ich komme mit!“
    „Nein das geht nicht“, erwiderte Joshua blitzschnell. Mikael zuckte mit den Schultern, schob die Hände in die Pullovertaschen und begab sich Richtung Auto, welches am Straßenrand im Halteverbot parkte. Joshua hastete sofort hinter ihm her. „Mikael! Du solltest wirklich hier bleiben!“, merkte er an. „Er ist mein Vater“, widersprach Mikael sofort. „Eben, er ist dein Vater. Lass es Mikael. Es ist sicherlich kein schöner Anblick.“ Der Schwarzhaarige Kommissar blieb stehen. „Ihr braucht jemanden, der ihn identifizieren kann oder nicht?“ Joshuas Hand fuhr auf Mikaels Schulter. „Ich kenn deinen Vater, wir sind schon lange Freunde vergessen? Und Semir war bei der Übergabe dabei.“
    Mikael fuhr herum. „Es ist mir egal, ob er mein Vater ist! Uns verbindet nichts mehr. Er hat auf mich geschossen, ich war ihm offensichtlich nicht wirklich etwas wert. Vielleicht hat er es ja verdient im Dreck zu enden, erschossen!“ „Das meinst du nicht so“, gab Joshua zu bedenken. „Und ob ich das so meine! Und das weißt du auch, Hansen hat mir nur Ärger gebracht. Nichts als Ärger!“ Mikael hatte sich wieder in Bewegung gesetzt und Joshuas Hand fiel von dessen Schulter. „Du solltest seinen Namen nicht mit einer solchen Verachtung sagen. Du weißt, dass Andreas auch seine guten Seiten hatte.“ Die Stimme des Blonden klang weiterhin ruhig, doch sein Freund ließ nicht mehr mit sich reden und war bereits in das Auto gestiegen.
    „Nie wieder nennst du ihn so! Das habe ich schon einmal gesagt!“
    „Er ist dein Vater!“
    „Nein, er ist nicht mein Vater. Er wollte mich töten! Er hat mich erschießen wollen, also erzähl mit nicht, wie ich ihn zu nennen habe!“
    Joshua blickte sich hilfesuchend nach Semir um, doch auch der erfahrene Polizist wusste nichts zu erwidern. Er konnte Mikael nicht davon abhalten. Der junge Kommissar hatte schon in der kurzen Zeit, die er ihn kannte, bewiesen, dass er seinen eigenen Kopf hatte und so stimmte er zu, dass sie Mikael mit zum Fundort nahmen. Immerhin hatten sie ihn so im Blick und wussten, dass er nichts anstellen würde.



    *



    Mikaels Blick fuhr über die Leiche seines Vaters. Ein Schuss in den Kopf. Unter ihm hatte sich eine Blutlache gebildet, die allerdings schon getrocknet war. Er schaute in die Richtung des Gerichtsmediziners. „Wie lang liegt er schon hier?“, wollte er wissen.
    „Etwa drei Tage.“
    „War es Selbstmord?“, fragte nur Semir.
    „Das kann ich erst nach genaueren Untersuchungen sagen, Herr Gerkhan.“
    Mikael machte ein paar Schritte um die Leiche seines Vaters herum. „Er hat sich nicht umgebracht. Das ergibt doch alles keinen Sinn. Wieso sollte er das tun? Er hat das Geld, die Polizei hatte keine Spur, wo er war. Nein, er hat sich nicht umgebracht“, sagte er mehr zu sich selbst, als zu Joshua und Semir, die neben ihm standen.
    Mikael war sich sicher es steckte mehr dahinter und er wusste auch, dass er sich endlich erinnern müsste was bei seinem total misslungenen Einsatz passiert war. Er versuchte sich erneut in die Nacht zurück zu versetzen. Es war alles in Ordnung, alles war nach Plan gelaufen doch irgendetwas musste dann schief gelaufen sein. Alles was er wusste war, dass er damals in die Halle reingegangen war danach war alles Schwarz. Er machte ein paar Meter nach links mit der Hoffnung, dass ihm hier der Richtige Gedanke kam. Wer sollte sich die Mühe machen Hansen umzubringen? Hatte Semir mit seinen Untersuchungen irgendwo Staub aufgewühlt und es wurde den Hintermännern zu heiß oder hatte er sich einfach mit den falschen Drogenhändlern abgegeben. So könnte es gewesen sein. Vielleicht sollte die Halle als ein Übergabeort dienen. Ein Geräusch kämpfte sich in seine Gedanken und urplötzlich war alles wieder da. Jede verdammte Einzelheit des Einsatzes!


    Er ging in die Lagerhalle. Alles hatte geklappt. Dem Zugriff stand nichts mehr im Wege. Er war sich sicher, dass man nur noch ein paar Minuten warten müsse, bis man alle wichtigen Personen bei diesem Drogendeal zusammen hatte. Als er gerade um die Ecke biegen wollte, erblickte er plötzlich eine ihm sehr bekannte Person. Das konnte nicht sein. Wie konnte sein Vater noch leben? Bis zu diesem Moment war er der festen Überzeugung gewesen, dass sein Vater gemeinsam mit seiner Mutter bei einem Verkehrsunfall gestorben war. Er soll getrunken haben, hatte ihm die Polizei immer wieder gesagt. In diesem Moment wusste er, dass er einer riesengroßen Lüge aufgesessen war. Er schüttelt mit dem Kopf, um die in ihm aufkommende Wut zu unterdrücken und schlich leise nach draußen, um Lindholm und Joshua bescheid zu geben. „Wir haben ein Problem Joshua. Wir müssen sofort zustechen versteht du?“, flüsterte er das Funkgerät. Danach schlich er wieder in die Halle und blickte auf das Treiben von Hansen. Nach einiger Zeit kam eine weitere Person hinzu. Auch ihn kannte er aus seiner Kindheit. Es war Seifert, er hatte schon damals allerhand krumme Geschäfte mit seinem Vater gedreht. Das Geräusch von Stöckelschuhen, die auf den harten Betonboden hastig voranschritten, ließen ihn hektisch werden. Er musste sich bis zum Zugriff irgendwo in Sicherheit bringen! Er konnte wohl kaum riskieren, dass ihn Hansen oder Seifert entdeckten, dann wäre wohl alles vorbei. Gerade als er sich aus dem Staub machen wollte, trat ihm das nächste bekannte Gesicht vor die Augen. Er blickte direkt auf seinen Chef, der ihm die Waffe entgegenhielt. „Wenn ich du wäre, würde ich jetzt keinen Schritt mehr machen!“, zischte Harri Kaurismäki und lächelte ihn überheblich an. „Harri..ich…was suchst du hier? Was soll das?“ Sein Gegenüber begann noch breiter zu grinsen. „Ach komm, sei nicht sauer. Es war praktisch, dass du diese ganzen linken Bullen für uns aus dem Geschäft rausgehalten hast. Denn umso weniger faule Eier es bei der finnischen Polizei gibt, desto mehr fällt für uns ab.“ „Du wirst damit nicht durchkommen das weißt du. Joshua und Lindholm sind bereits auf den Weg und…“ Kaurismäki begann zu lachen. „Lindholm, der bekommt auch ein großes Stücken vom Kuchen. Glaubst du wirklich er wird sich beeilen hier hin zu kommen?“ Der Finger seines Chefs näherte sich dem Abzug. „Es wird mir ein Vergnügen sein, dich aus dem Weg zu räumen!“


    Mikael suchte verzweifelt nach einem Ausweg aus seiner Situation. Als ein Geräusch ertönte und Harri sich für einen Moment wegdrehte, sah er seine Chance und holte zum Schlag aus, der seinen Chef direkt ins Gesicht traf, danach rannte er einfach los in der Hoffnung, dass niemand die Situation bemerkt hatte. Keuchet kam er vor der Halle an und war mehr als froh darüber ein bekannte Gesicht zu sehen. „Sina … ich … Harri, du musst …“ Er sah sich um. „Wo ist Josh?“ Erst als er direkt in den Lauf der Waffe blickte, begriff er. Doch zu spät, die erste Kugel hatte sich bereits ihren Weg durch seinen Körper gesucht und er fiel zu Boden. Immer wieder durchzog ein lauter Knall den finnischen Nebel. Das Letzte, was er sah bevor alles Schwarz wurde waren rote Stöckelschuhe…

    „Häkkinen. Was zum Teufel machst du hier?“, schrie der finnische Abteilungsleiter durch die Halle. Semir fuhr zusammen, so erschrocken war er. Der Deutschtürke hatte sich in den letzten Sekunden nur auf Mikael konzentriert, der immer kreidebleich ins Leere starrte, dass er überhaupt nicht mitbekommen hatte, wie Harri Kaurismäki und Sina Lehto den Tatort betreten hatten. Erst die Stimme seinen Chefs schien ihn zurück zu holen „Ich … nichts Harri. Ich bin dann auch weg … es sind ja eure Ermittlungen.“ Semir sah wie Mikael seine Hände fester in seine Taschen des Kapuzenpullovers drückte, damit man sein zittern nicht sah. Was zum Teufel war in den letzten Sekunden passiert, dass den Kollegen so aus der Fassung gebracht hatte? Mikael lächelte ihn unsicher an. „Ich … ich warte dann am besten draußen“, ließ er ihn und Joshua wissen und war dann verschwunden.

  • Semir musterte Mikael während der Autofahrt zurück zum Krankenhaus. Der junge Hauptkommissar schien vertieft in seine Gedanken. Er blickte aus dem Fenster und hatte seinen Kopf mit der rechten Hand abgestützt. Es herrschte eine tödliche Stille, die nur von dem leisen Motorengeräusch des Wagens durchbrochen wurde. Der erfahrene Kommissar der Autobahnpolizei war sich sicher, dass es mit Mikaels Benehmen in der Lagerhalle zu tun hatte. Sicher, er hatte seinen toten Vater gesehen, aber ließ er dieses Erlebnis wirklich so offensichtlich an sich heran? Semir schüttelte Innerlich den Kopf. Nein, das würde er nicht tun. Er war erpicht darauf nach Außen vorzugeben, dass er Andreas Hansen hasste, auch wenn es in seinem Inneren vielleicht vollkommen anders aussah und er immer noch zu hadern schien. Ganz egal was es ist, dachte er, er würde ihn zurück im Krankenhaus darauf ansprechen. Vielleicht hatte er ja Glück und Mikael würde es ihm erzählen.
    „Du…Josh…Sina vertraust du ihr eigentlich?“, ertönte nach 20 stillen Minuten Mikaels Stimme. Semir sah im Rückspiegel, wie Joshua eine Grimasse zog. „Wieso stellst du solche Fragen?“ „Nur so.“ Joshua drückte aufs Bremspedal und brachte den Wagen so ruckartig zum stehen, dass Semir fast mit seinem Kopf gegen die Lehne geprallt wäre. Noch bevor er sich über den Fahrstil beschweren konnte, war Joshua ausgestiegen und öffnete seinerseits die Tür des Beifahrers. Er zerrte Mikael am Ärmel aus dem Auto und drückte ihn anschließend dagegen. So hart, dass dem Schwarzhaarigen ein leises Stöhnen entfuhr. Semir versuchte durch die Scheibe wahrzunehmen, worüber die beiden Kommissare stritten, doch zu seiner Enttäuschung sprachen sie Finnisch miteinander.


    „Du fragst nichts nur einfach so! Was ist los?!“, stellte Joshua vor dem Auto wütend klar.
    „Es ist nicht wichtig, Josh. Es war nur ein kleiner Gedanke, der mir gekommen ist.“ Mikael wollte zurück zum Auto, doch Joshua riss ihn erneut zu sich. „Verfluchte scheiße nochmal, was kann so schwer sein, dass du deinem besten Freund nichts darüber erzählen kannst. Du musst nicht immer der einsame starke Rächer sein. Es ist verflucht okay, wenn die Sache einfach ein wenig zu groß für dich ist!“
    „Ich kann mich an die Lagerhalle erinnern. Okay. Ich weiß wer auf mich geschossen hat. ES WAR DEINE FRAU!“ Joshuas Gesicht wurde erst ernst, dann begann der Blonde jedoch zu grinsen. „Ach komm, dass musst du dir einbilden. Wieso sollte sie denn auf dich schießen?“
    „Was weiß ich denn, aber ich weiß, dass sie es war!“, schimpfte Mikael leise und löste sich aus Joshuas Griff.
    „Du hast wohl zu viele Tabletten geschluckt. Vielleicht spielt dir deine Erinnerung einen Streich. Es ist nur natürlich, dass dich das ganze überfordert! Ich meine, du hast gerade deinen toten Vater gesehen.“
    „Achja und wo war Sina!? Hör zu … vertrau ihr oder mir!“
    „Das kannst du nicht verlangen!“
    Mikael lachte. „Ich habe es gerade!“ Er löste sich abermals von Joshua, doch auch diesmal wollte der Blonde ihn nicht gehen lassen. „Wieso sollte sie das tun? Sie würde niemals!“


    In ihre Diskussion verstrickt merkten die Beiden nicht wie ein schwarzer Jeep immer langsamer wurde umso näher er dem Szenario kam. Semir nahm das fremde Fahrzeug hingegen mit Argwohn wahr und handelte fast automatisch, als er eine Waffe sah, die durch das leicht geöffnete Fenster geschoben wurde. Er riss die Autotür auf, rannte heraus und zog die beiden Jungkommissar mit sich, als er in das Weizenfeld am Straßenrand sprang. Die Worte runter halten immer noch in seinem Gedächtnis als der erste Schuss bereits gefallen war.


    Der Deutschtürke spürte sein Herz laut schlagen und er drückte sich dicht an den Boden. Viel zu viele Fragen schrien in seinem Kopf gleichzeitig nach Aufmerksamkeit, ohne das er eine von ihnen packen konnte, um sich ihrer anzunehmen. „Hast du deine Waffe dabei Semir?“, hörte er neben sich Mikaels Stimme.
    Semir nickte. Er hatte sie eingesteckt, da er nach seinem Krankenhausbesuch noch zur Dienstelle hatte fahren wollen. Zum Glück, wie sich herausstelle. Semirs Antwort schien Mikael zu gefallen und ein kleines Grinsen huschte ihm über seine Lippen. „Gib sie mir rüber!“, forderte er und der Angesprochene kam dem Wunsch sofort nach.
    „Was hast du vor? Der Typ sitzt in einem Auto, wir hier draußen auf einem Feld, du denkst doch nicht wirklich eine Chance zu haben?“, fragte Semir leise. Sicher hätte er auch selbst schießen können, aber bisher schien ihm nicht der richtige Moment gekommen zu sein. Der unbekannte Verfolger saß im Wagen versteckt, bot kaum Angriffsfläche.
    „Vertraue mir Semir, ich verschaffe uns jetzt einen Vorteil“, flüsterte ihm Mikael leise zu und gab anschließend einen Schuss in Richtung des Wagens ab.
    „Ihr solltet aufgeben und aus dem Wagen kommen“, folgte es kurz danach etwas lauter in Richtung des Autos. „ Ich könnte euch mit einem gezielten Schuss grillen!“
    Die Autotür begann sich langsam zu öffnen und Semir staunte nicht schlecht, als ihm Harri Kaurismäki gegenüberstand. „Ist noch jemand im Wagen Harri?“, schrie Mikael ihm rüber, doch sein Chef schüttelte nur den Kopf. „Weißt du, dass klingt für mich nicht besonders glaubwürdig!“, konterte Mikael, bevor auf seinen nächsten gezielten Schuss die Explosion des Wagens folgte. Harri konnte der Druckwelle gerade noch entkommen und landete vor Mikael im Gras. Der Schwarzhaarige reagierte blitzschnell, packe seinen Chef am Kragen und zog ihn mit sich hoch. „Du warst das, du und Sina. Ihr habt auf mich geschossen!“, zischte er und hielt dem rundlichen Mann die Waffe an den Schädel.
    Semir blickte in das Gesicht von Harri auf dem sich plötzlich ein dickes Lächeln ausbreitete. „Wie von unserem Genie zu erwarten. Cleverer Schachzug Mikael, aber nun bin ich an der Reihe.“
    Semir zuckte zusammen als er den kalten Lauf einer Waffe an seiner Schläfe spürte. „Komm schon Mikael du willst doch nicht das ich den kleinen Türken verletzte“, hörte er eine Frauenstimme sagen. Mikael blickte in Sinas blaue Augen. „Die Waffe Mikael, gib sie Harri.“ „Sina…ich..ich…du..was soll das? Ich dachte du und…ich“, kam von Joshua, der wie versteinert auf die Frau blickte.
    „Die Waffe Mikael, sonst knall ich ihn ab!“, ertönte des abermals von der jungen Frau. Mikael schloss für einen Augenblick die Augen und nickte dann. Er lieferte seinem Chef die Waffe aus, der die Situation gleich zu seinen Gunsten drehte. Harri Kaurismäki drückte Mikael die Waffe an den Hinterkopf. „Und nun kommst du schön brav mit!“


    Langsam machte Harri ein paar Schritte zum Auto von Joshua und zog den jungen Kommissar als Schutzschild vor sich her. Als er Mikael auf den Beifahrersitz gedrängt hatte, fiel der Blick wieder auf das Feld. Sein rechter Mundwinkel zog sich leicht nach oben. „Danke Sina, du warst eine loyale Partnerin, aber ab hier übernimmt der Chef“, sagte er, ehe er die Waffe auf die junge Polizistin richtete und abdrückte.

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  • Während Joshua in seiner Schockstarre verharrte, reagierte Semir blitzschnell und griff nach der Waffe von Sina Lehto, die zweifelsohne tot war. Er richtete die Pistole auf Harri Kaurismäki. „Lassen Sie sofort Mikael gehen!“, forderte er. Kaurismäki lachte. „Was wollen Sie ausrichten? Mich erschießen? Dafür haben Sie nicht das Kaliber! Sie werden mich gehen lassen, oder aber ich werde sie erschießen! Haben wir heute nicht genug Blut vergossen?“
    „Sie haben genug Blut vergossen, wohl eher! Lassen Sie den Kollegen gehen und die Waffe fallen!“
    „Ich habe kein Interesse an Ihnen oder Joshua. Alles was mich interessiert ist Kollege Häkkinen. Ich würde Ihnen raten, sorgfältig zu wählen“, schrie ihm Kaurismäki zu. Semir sah an dem Mann vorbei. Mikael schüttelte den Kopf. Doch der deutsche Polizist wollte seiner Bitte nicht nachkommen. Er würde ihn nicht ausliefern, nur damit er seine Haut vielleicht retten konnte. Vielleicht gab es eine Garantie, dass er überlebte, doch Kaurismäki könnte ihn und Joshua auch erschießen. „Sie haben Ihr Schicksal selbst gewählt, Herr Gerkhan!“ In diesem Moment fiel ein Schuss. Die Kugel strich nur wenige Zentimeter an seinem Kopf vorbei. Danach spürte er nur noch, wie jemand ihn zu Boden riss, ehe ein erneuter Pistolenknall ertönte. Dann herrschte Stille. Ein Motor heulte auf und Semir wurde bewusst, dass Kaurismäki gewonnen hatte. Er hatte Mikael. Er hatte den Kollegen vor seinen Augen entführt! Er richtete sich auf und sah auf Joshua, der neben ihm kniete. Dieser sah nun wieder auf seine tote Frau. „Warum?“, fragte er nur und alles war er darauf antworten konnte war, ich weiß es nicht.


    Etwa 30 Minuten später gab Semir den uniformierten Kollegen und der Spurensicherung letzte Anweisungen, ehe er sich von dem fürchterlichen Anblick der toten Frau abwendete. Er ging auf einen der vier Streifenwagen zu, die am Straßenrand parkten. Beim hintersten Fahrzeug war die Tür rechts hinten geöffnet. Joshua saß seitlich auf der Rückbank, die Füße standen im nur vor wenigen Tagen geschnittenen Gras. Seine Augen lösten sich für keinen Augenblick von seiner toten Frau. „Er hat uns alle belogen, uns benutz...“ Joshua schüttelte den Kopf und sprach den begonnen Satz nicht zu Ende. Semir kniete sich vor dem jüngeren Kollegen hin. „Hast du eine Ahnung, was er von Mikael will?“ Joshuas Blick löste sich für einen Moment von seiner Frau und es schien, als hätte er erst jetzt begriffen, dass es auch um seinen besten Freund ging.
    „Mhm?“
    „Er muss doch einen Grund gehabt haben, ausgerechnet Mikael mitzunehmen“, erläuterte Semir seinen Gedanken nun genauer. Joshua zuckte mit den Schultern und sah wieder in die Richtung, wo der Sarg mit Sina Lehto gerade in den Leichenwagen geschoben wurde. „Ihr habt doch gerade über etwas gestritten oder nicht?“, setzte Semir erneut an.
    „Aber doch nicht über Harri“, nuschelte Joshua leise.
    „Sondern? Bitte Joshua, ich weiß, dass hier ist wirklich furchtbar und glaub mir, ich weiß, wie du dich fühlst, aber dein Kollege und Freund braucht dich jetzt.“
    Der junge Finne umklammerte den Autositz mit seinen Fingern, aber dennoch konnte Semir sehen, wie er zitterte. „Er … Mikael hat gesagt, dass er … dass er sich wieder erinnern kann, wer in Helsinki auf ihn geschossen hat.“ Joshua schluckte und Tränen flossen seine Wangen herunter. „Er sagte, dass es Sina war … aber sie würde doch nie so etwas tun! Mikael ist … war ihr Freund.“ Der Blonde schüttelte energisch den Kopf. „Nein, er muss sich geirrt haben!“
    Semir legte seine rechte Hand auf Joshuas Schulter und drückte sie sanft, während der Kollege seinen Tränen freien Lauf ließ. Innerlich versuchte Semir das Geschehen zu sortieren. Plötzlich erschien alles in einem anderen Licht. Die Tatsache, dass Kaurismäki selbst die Befragung von Lindholm übernommen hatte und dessen schnelle Überlieferung nach Finnland. Überhaupt, dass sich der Leiter einer Abteilung einem Fall im Ausland angenommen hatte, obwohl er zwei Hauptkommissare vor Ort gehabt hatte. Einen falschspielenden Polizisten konnte Semir ja gerade noch verkraften, aber gleich mehrere. Wie gut überprüfen die eigentlich ihre Beamten? Es schien ihnen ja nicht besonders schwer gemacht worden zu sein.


    Semir drückte ein letztes Mal die Schulter von Joshua und entfernte sich dann einige Meter von dem Finnen. Vor knapp 20 Minuten hatte er Susanne darum gebeten Harri Kaurismäki durch den Computer zu jagen und nun war er gespannt, was sie gefunden hatte. Diesmal wollte Semir dem Entführer keinen Vorsprung geben. Dieses Mal würde er den Kollegen finden, ehe etwas passieren konnte!
    Die Informationen, die die Sekretärin für ihn hatte, waren allerdings nicht gerade das, was er sich erhoffte. „Was glaubst du, die meisten Dokumente und Informationen sind auf Finnisch“, erklärte ihm Susanne. „Aber irgendetwas musst du doch haben!“, erwiderte er verzweifelt.
    „Nein, außer ein paar Teilnahmen an internationalen Kongressen zum Thema Drogenhandel gibt es leider überhaupt nichts, was wir auch aus den deutschen Akten nachvollziehen könnten.“
    Trotz der geringen Ausbeute bedankte sich Semir bei Susanne und legte dann auf.
    Joshua hatte in den letzten Minuten seine Position nicht verändert und Semir war sich nicht sicher, ob der Kollege in seinem Zustand überhaupt eine große Hilfe sein würde.
    Er seufzte und ging wieder auf Joshua zu. „Komm, wir fahren zurück zur Dienststelle“, sagte er behutsam und bekam wenig später ein sanftes Nicken als Antwort.



    *


    Als sie an einer verlassenen Hütte angekommen waren, zog Harri Mikael aus dem Auto in die Unterkunft. Der modernde Geruch von Moos und feuchtem Holz kroch ihm langsam in die Nase. „Hinsetzen Mikael!“ Harri drückte ihn unsanft auf einen Stühle, der in der Mitte der spärlich eingerichteten Hütte stand. Er lächelte ihn an. „Und nun … sag, wie viel weißt du?“ Er sah seinen Chef an, sagte kein Wort. Wut stieg in ihm auf. Wut, dass er diesem Mann vertraut hatte. Wut darüber, dass er nicht gemerkt hatte, dass Harri Kaurismäki nicht mehr auf der Seite der Guten gestanden hatte. „Warum? Warum bist du nur so weit gesunken? Warum hast du mir geholfen? Wieso hast du mich gefördert?“ Harris Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. „Hab ich deine Gefühle verletzt?“ „Ich habe dir vertraut! Ich habe zu dir aufgesehen! … und jetzt, jetzt ist mir einfach nur noch übel! Wieso Sina? Warum musstest du sie töten!“ Harri trat von hinten an Mikael heran, packte ihn an seinen Haaren und zog den Kopf nach hinten, so dass er ihn ansehen musste. „Heul später weiter … nun erzähl mir, was weißt du über meine Geschäfte mit deinem Vater? … Es tut mir übrigens sehr Leid, dass ich ihn aus dem Weg räumen musste.“ „DU hast ihn ermordet!“ Harri lachte. „Ja, ich war es Mikael. Andreas Hansen ist Geschichte.“ Sein Chef ließ seine Haare los und sein Kopf fiel wieder nach vorne. „Dafür wirst du dich verantworten müssen!“
    „Es ist wirklich erstaunlich. Er schießt auf dich, bringt dich fast um und was machst du? Du scheinst dennoch weiterhin Gefühle für ihn zu haben.“
    „Du bist nicht besser als er! Was willst du von mir? Geht es um das Dokument? Geht es um Sanne Sundström?!“ Kaurismäki hielt inne und sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Du hast es also doch entschlüsselt?“ Er beugte sich herunter und nahm Mikaels Kiefer in die Hand. „Weißt du, dass ist genau der Grund, warum ich deinem Vater den Auftrag gegeben hatte dich abzuknallen. Was bringt es, wenn ich das Dokument habe, wenn du mit deinem hübschen fotografischen Gedächtnis alles rekonstruieren kannst, was drin stand?“ Mikael sah Kaurismäki stumm an. Er hatte dieses Dokument erst heute Morgen entschlüsselt, bevor er hinaus gegangen war in den Krankenhauspark. Bis zu dem Augenblick, als er sich wieder erinnern konnte, hatte er allerdings geglaubt, dass Sundström nur zu Lindholm führt. Sanne Sundström war immerhin seine Lebensgefährtin. Doch dann war ihm wieder eingefallen, wie sie ihm auf einer Betriebsfeier erzählt hatte, wie sie Lindholm kennengelernt hatte. Über ihren Cousin, Harri.


    Kaurismäki ließ Mikaels Kiefer los und lächelte. „Aber darum geht es mir jetzt nicht mehr. Ich habe mich vor einigen Tagen zu etwas entschieden – jetzt wo ein Platz frei ist. Ich würde einen tollen Ersatz für Hansen abgeben, oder nicht? Du solltest froh darüber sein, es hat dich davor bewahrt, dass ich dich eiskalt abknalle! Allerdings habe ich so keine Verwendung mehr für Sina gehabt … es gibt nur einen Platz an der Spitze.“ Harri Kaurismäki zog ihn von dem Stuhl und drückte ihn gegen die Wand. Mikael biss die Zähne zusammen. Er fluchte innerlich, dass die Schmerztabletten aus dem Krankenhaus schon nachgelassen hatten. Er wollte Harri nicht den Triumph schenken, dass er vor Schmerzen winselte. Sein Gegenüber umgriff seinen Arm mit einem festen Händedruck. „Wo ist das verfluchte Armband, Mikael!“ polterte er dann los und griff seine Geisel fester um den Arm, um ihn dann in die nächste Ecke des Raumes zu schleudern. Mikael knallte gegen die Wand und sackte für einen Moment benommen zusammen. „Welches Armband?“, nuschelte er leise. Harri zog ihn brutal wieder hoch, drückte ihn gegen die Wand. „Du willst mich doch nicht allen Ernstes verarschen oder? Welches Armband fragt er…“ Sein Chef begann lauthals zu lachen, fing sich jedoch schnell wieder und lächelte ihn unheilvoll an. Im nächsten Moment spürte er kaltes Metall an seinem Hals. Mikael gefror in der Bewegung. „Wo ist das verfluchte Armband von dir. Wo ist der Anhänger?“ Der Druck des Messers verstärkte sich. Mikael spürte, wie warmes Blut seinen Hals hinab lief. „Mein Vater hat es mir abgenommen. Ich habe es nicht mehr, Harri.“ Innerlich betete Mikael, dass sein Chef ihm diese Lüge abkaufen würde. Er wollte nicht, dass er Ben noch einmal mit reinzog. Er hatte das Armband an dessen Bett gelassen. Er hatte gewollt, dass Ben sofort wusste, dass er bei ihm war. Dass er sich Sorgen gemacht hatte. Niemals würde er preisgeben, wo es war.
    Harri löste das Messer von seinem Hals. Er schüttelte mit dem Kopf. „Mikael, Mikael … es ist wirklich enttäuschend mit dir.“ Kurz darauf rammte er ihm das Taschenmesser mit aller Kraft in den Oberarm und er spürte, wie es auf Knochen traf. Sein Mund öffnete sich zu einem lautlosen Schrei. „Was soll ich bloß mit dir machen? Ich habe diese Einstellung von dir immer bewundert. Unverwundbar, unberechenbar. Aber heute, heute gehst du mir damit etwas auf die Nerven.“ „Fick dich, Harri!“, presste er unter Schmerzen hervor. Sein Chef lachte nur. „Du wirst mir schon noch sagen, wo ich das hübsche Armbändchen von dir finde. Du wirst den Tag verfluchen, als du auf Knien gebettelt hast, dass ich dir helfe ein guter Polizist zu werden.“ Harri zog ihn von der Wand weg. „Und nun zeige ich dir etwas ganz besonders. Es wird Zeit, dass du merkst, dass das hier kein Kindergeburtstag ist.“


    Nur wenig später fand sich Mikael am Rand eines tiefen Erdlochs wieder. Harri stand hinter ihm und lachte ausgiebig. „Bist du dir sicher, dass du mir nicht helfen willst? Sag einfach, wo dein Lederarmband ist. Falls du darauf plädierst, dass dich hier irgendwer hört oder sieht. Das kannst du ganz schnell wieder vergessen, hier ist seit Wochen niemand vorbei gekommen!“ Harri gab ihm einen Stoß, er fiel in das Loch und landete unsanft in einer Pfütze mit nassem Schlamm. „Und wenn einer hier vorbeikommt, erschieß ich ihn ganz einfach!“ Wieder lachte Harri Kaurismäki. Mikael erhob sich und sah nach oben. „Du bist krank, Harri. Damit wirst du nicht durchkommen“, rief er ihm entgegen. Der Angesprochene sah ihn mit einem kalten Blick an. „Das sehen wir ja bald, Mikael. Dir ein paar schöne Tage im Luxushotel das fünfte Loch!“

  • Semir saß an seinem Schreibtisch und atmete tief durch. In den letzten Stunden war er nicht zur Ruhe gekommen. Erst hatte er die Chefin informieren müssen, danach hatte er sich bemüht die Kollegen auf den neusten Stand zu bringen und ihnen Aufgaben zu übertragen. Zuletzt war er im Krankenhaus gewesen und hatte sich Mikaels Zimmer angesehen. Nun lag ein Stück Papier vor ihm, auf dem einige Namen notiert waren. Einer davon war umkreist. Er sah auf und betrachtete Joshua. Der finnische Kollege saß gegenüber von ihm an Bens Schreibtisch, hatte aber in den letzten Stunden kaum etwas gesagt und hatte auch nicht mitgewollt, als er im Krankenhaus war. „Joshua, kannst du dir bitte dieses Papier mal ansehen und mir sagen, ob du einen der Namen kennst?“ Der Blonde sah ihn an. „Was soll das bringen?“ „Vielleicht wissen wir dann, was er von Mikael möchte“, gab Semir zu bedenken und reichte dem Kollegen das Blatt, welches dieser mit zittrigen Händen entgegennahm. Joshua senkte seinen Blick. „Sanne Sundström. Sie ist die Freundin von Lindholm … vermutlich seine Strohfrau oder wie man das auf Deutsch nennt. Ersatzperson für brisante Geschäfte, damit man selbst nicht in den Unterlagen vorkommt. Ob es am Ende mit ihrem Wissen oder ohne passiert ist, keine Ahnung.“ „Hat sie eine Verbindung zu Kaurismäki?“, hakte Semir nach. Das war zwar ein guter Beweis gegen Lindholm, aber brachte sie in diesem Fall nicht weiter. Der Blonde zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht, aber Lindholm und Kaurismäki waren Freunde. Also gut möglich.“


    Semir nickte und lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück. Vielleicht war dieser Name in Seiferts geheimem Papier ja auf die beiden korrupten Polizisten bezogen. „Was ist das eigentlich genau für ein Dokument? Immerhin wollen es alle haben. Hansen und Seifert und wie es scheint auch Lindholm und Kaurismäki.“ Joshua griff wieder nach dem Papier, sah es allerdings nicht wirklich an. „Es ist eigentlich nicht besonders wichtig, eine Personenliste mit Geschäftskunden halt. Zumindest Hansen hätte es niemals das Genick gebrochen. Sein Name ist nirgends vermerkt.“ „Warum war es nicht in der offiziellen Akte?“ „Mikael war sich nicht sicher, welchen Wert es hatte und da wir in den letzten Monaten mit vielen Maulwürfen im Dezernat zu kämpfen hatten. Er hat es dem restlichen Team vorenthalten. Nur Sina, er und ich wussten davon.“ Der junge Kollege schluckte schwer und Semir konnte sehen, wie er mit den Tränen kämpfte. „Er hat sonst niemand vertraut.“


    Semir griff in Gedanken nach seinem Kugelschreiber und spielte damit, ließ ihn dann jedoch sofort wieder auf den Tisch fallen. „Moment, Kaurismäki hat doch von diesem Dokument geredet!“ „Sina hat es ihm wohl erzählt, als Mikael gemeinsam mit Ben entführt worden war.“ Die beiden Beamten verfielen wieder in Schweigen. Semir versuchte abzuwägen, ob es wirklich nur um diese Daten ging. Zumindest erklärte es aber, warum Mikael erschossen werden sollte. Er war der Einzige von den drei jungen Kommissaren, die sich das Papier merken und sogar im Kopf rekonstruieren konnte und damit war er eine potentielle Gefahr gewesen. Aber warum hatte sich Kaurismäki dann die Mühe gemacht Mikael zu entführen? Warum hatte er ihn nicht einfach wie Sina Lehto umgebracht? Mikael war die ganze Zeit im Krankenhaus. Er hätte die Daten nirgends verstecken können. Er seufzte. Überhaupt ergab es keinen Sinn, dass sich Kaurismäki ihnen gezeigt hatte. Was hatte ihn dazu bewegt? Warum war er aus der sicheren Deckung gekommen? Er dachte zurück an die Situation vor Mikaels Entführung. Mikael war in der Lagerhalle offensichtlich total durch den Wind gewesen. Vielleicht hatte auch Kaurismäki das mitbekommen und sofort gehandelt? Ihm war vielleicht in diesem Augenblick keine andere Wahl geblieben. Aber dennoch, dachte er, hätte er ihn dort auf der Straße erschießen können. Mikael muss also noch etwas haben, was so wertvoll zu sein scheint, dass Kaurismäki alles dafür aufgab.


    Das Klingeln seines Telefons riss Semir aus der Konzentration. „Gerkhan“, meldete er sich. „Er ist aufgewacht. Ben ist aufgewacht!!“, ertönte am anderen Ende der Leitung die Stimme von Konrad Jäger. Der deutsche Kommissar blieb stumm. Er konnte nicht die passenden Worte finden, die beschrieben, was er in diesem Augenblick fühlte. War es Erleichterung? Nein, es war viel mehr. Nach einigen Sekunden ungläubigen Schweigens sagte er nur mit zittriger Stimme: „Ich komme gleich.“


    Semir legte den Hörer auf und sah auf Joshua. „Ben ist aufgewacht. Ich werde zu ihm fahren, schaffst du das alleine?“ Der junge Kommissar gegenüber von ihm nickte seicht und Semir griff sofort nach seiner Jacke und den Autoschlüsseln. Mit eiligen Schritten verließ er die Dienstelle in Richtung Krankenhaus. Endlich, dachte er, endlich ist er wach!


    *


    Ben lächelte, als Semir in das Zimmer trat. „Was hat so lange gedauert? Was kann wichtiger sein, als ich?“, wollte er mit einem spitzbübischen Grinsen wissen. Wenn du wüsstest, dachte Semir bei sich. „Nun bin ich hier. Hätte ich natürlich gewusst, dass du mich vermisst hast, wäre ich mit Blaulicht hergeeilt.“


    „Papa hat mir alles erzählt … Mikael? Geht es ihm gut … ich meine, es war immerhin sein Vater. Oder hast du mit ihm nicht mehr geredet, seit dem … wegen der Waffennummer?“, setzte Ben an, als Semir sich auf den Stuhl neben dem Bett gesetzt hatte.
    Semir schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Er ist eigentlich ein ziemlich intelligenter Bursche muss ich zugeben. Es geht ihm gut, er ist bereits wieder entlassen.“
    „Das ist gut“, kam es leise von Ben. Gleichzeitig meinte Semir, dass sich in den Augen seines Freundes Wehmut ausbreitete. „Aber er ist noch nicht wieder in Finnland?“, wollte er dann wissen. Der Ältere überlegte lange, was er auf diese Frage antworten sollte. Er konnte natürlich behaupten, dass Mikael bereits wieder abgereist war. Dann könnte er es vermeiden, dass Ben ihn nicht an seinem Krankenbett vermisste. Allerdings, würde sein Partner nicht an enttäuscht sein? „Er muss noch ein paar Berichte schreiben“, sagte er dann.


    Ben nickte. „Ich kann das überhaupt nicht glauben. Andreas Hansen … ich meine, damals ...“, der Braunhaarige stockte, „… ich war eigentlich ganz gerne bei Mikael zu Besuch. Sein Vater hatte immer viel mit uns unternommen, während meiner nie Zeit hatte und sich alles um die Firma drehte.“
    „Manchmal ändern sich Menschen“, fügte Semir hinzu.
    „Ja so ist es wohl. Mikael … ich denke, dass er sich auch verändert hat. Also abgesehen von seinem Namen.“ Bens Blick fiel aus dem Fenster. „Ich glaube, dass er damals fröhlicher war.“
    „Ihr wurdet von seinem Vater entführt und er hatte diese schwere Wunde“, gab Semir zu bedenken. „Ja sicher, aber da war etwas in seinem Blick und genau das konnte ich die ganze Zeit nicht wirklich packen. Andererseits hat er diese Daten aufgegeben, nur damit sein Vater mich nicht erschießt.“ Der Ältere lächelte. „Er war oft hier, hat an deinem Bett gesessen und dir was erzählt.“ Semir griff auf das Nachtschränkchen und hielt ein Lederarmband in die Luft. „Das hat er da gelassen, damit du weißt, dass er hier war.“ Ben griff nach dem Armband und ließ den Anhänger vor seinen Augen baumeln. Den Schmuckanhänger, den er selbst all die Jahre an seiner Kette getragen hatte. „Die Ironie daran ist, dass er sie damals von seinem Vater bekommen hat“, murmelte er in Gedanken.

  • Mikael war über und über mit nassem Schlamm bedeckt. Er hatte die letzten Stunden verzweifelt versucht, es irgendwie nach oben zu schaffen, war aber spätestens auf halben Weg wieder zurück gerutscht. Er lehnte sich erschöpft an die Erdmauer. Was will Harri bloß mit diesem Anhänger? Was konnte das Schmuckstück bloß für einen Wert haben? Er wusste, dass egal welchen Wert das Armband hatte, er niemals zugeben konnte wo es sich jetzt befand. Es lag immerhin bei Ben und er konnte nicht noch einmal zulassen, dass dieser verletzt würde, nur weil er Probleme hatte. „Lieber verrotte ich hier unten, als dir zu sagen, wo das Armband ist Harri!“, schrie er in den Himmel. „Egal wozu du es brauchst. ICH WERDE DIR NICHT HELFEN!“


    Harri lachte nur vor seinem Herdfeuer, als er die Schreie hörte. „Das werden wir sehen, mein Junge…“, flüsterte er leise vor sich hin. Er brauchte diesen Anhänger unbedingt, wo er jetzt wusste, dass er einen ganz anderen Zweck hatte, als der junge Polizist glaubte. Es diente als Schlüssel für die kleine Kiste, in der Andreas Hansen alle Informationen über große und namenhafte Menschen im Justizsystem Helsinkis und Köln aufbewahrte und wenn er das hatte, brauchte er vor nichts in der Welt Angst haben. Jeder war bestechlich, jeder hatte eine Schwäche und Hansen kannte fast jede davon. Er hatte das Kästchen gefunden, kam aber nicht an den Inhalt. Dafür brauchte er Mikael und vor allem diesen Anhänger, den er all die Jahre um das Handgelenk getragen hatte. Harri ärgerte sich bei den Gedanken daran, dass dieser Schlüssel all die Jahre offensichtlich vor seinen Augen herumgetragen wurde, ohne dass er es gemerkt hatte. „Was du mit diesen Informationen alles erreichen könntest, Harri“, sagte er zu sich selbst, „immerhin ist jetzt ein Platz an der Spitze freigeworden, wo Andreas Hansen Geschichte ist.“


    Er stand auf, zündete sich eine Zigarette an und blickte aus dem Fenster. Es war inzwischen Dunkel geworden und es würde jetzt erst so richtig bequem werden für seinen jungen Gast. Er lachte leise und drückte die Zigarette dann auf der Fensterbank aus. Es war Zeit, dass er Mikael unter Druck setzte und ihm zeigte, dass er nicht ewig warten würde, bis er seine Antwort bekam. Außerdem gefiel ihm die Vorstellung, dass er endlich die Macht hatte, mit diesem Jungen zu tun, was er wollte. Im Grunde war er ihm nie wirklich sympathisch gewesen. Er hatte ihn nur in sein Dezernat geholt, um es vielleicht irgendwann zu nutzen. Wer wollte ihn aufhalten? Hansen? Harri Kaurismäki verließ die Hütte und sah in den Himmel. „Sieh nur zu Andreas. Ich werde dir an deinem Sohn aufzeigen, wie schwach die Familie Hansen wirklich ist.“
    Harri Kaurismäki trat an den Brunnenschacht heran und sah herunter. Er lachte, als er Mikael sah. „Du hast wohl versucht herauszukommen?“, säuselte er und zog die nächste Zigarette aus der Packung und zündete sie an. „Wozu die Mühe. Ich lass dich raus, wenn du mir sagst, wo das Armband ist.“ „Du kannst mich mal!“, kam es störrisch aus dem Loch. Kaurismäki nahm einen kräftigen Zug von seiner Zigarette. „Warum? Was hattest du gegen Seifert und meinen Vater in der Hand?“ Der Chef des Drogendezernates lachte. „Du willst es also unbedingt wissen?“ „Was war mehr wert als der Name von Sundström, denn dieses Dokument sprach doch vor allem gegen dich und Lindholm und nicht gegen meinen Vater!“ Kaurismäki schnippt den Zigarettenstummel in den Brunnenschacht. „Ich habe Seifert bei einem Mord gefilmt. Er hat geschossen, dein Vater stand daneben und weißt du, was das Beste daran war? Es war ein Sohn von einem russischen Konkurrenten. Damit hatte ich sie in der Hand! Du kennst die Russen. Endlich war ich es, der im Spiel mit Hansen die Oberhand hatte!“


    Er löste sich von dem Brunnenschacht, kehrte aber kurz darauf mit einem großen Schlauch wieder, den er am Rand platzierte, so dass die Öffnung ein Stück hineinragte. „Das Armband. Wo hast du es versteckt?“ Er bekam keine Antwort. „Du wolltest es nicht anders!“, schimpfte er laut und legte einen Hebel des Güllefasses um, welches Mikael von unten unmöglich sehen konnte. Dann drehte er sich um und sah zu, wie der dicke Wasserstrahl in den Schacht auf seinen Gefangenen herunterströhmte. Das Wasser stieg, erst bis zu den Knöcheln, dann zu den Waden, dann zu den Knien. „Das Armband, wo hast du es versteckt!“, schrie er herunter.
    „Fick dich Harri!“
    Er schnaufte durch die Nase. Sicher hatte er damit gerechnet, dass es nicht leicht werden würde, aber so langsam hatte er es satt zu warten. Warum nur wollte sich diese dämliche Kiste auch nicht ohne diesen Schlüssel öffnen? Er hatte es in den letzten Tagen mehrmals versucht, aber nicht geschafft. Er sah herunter und verfolgte, wie das Wasser weiter stieg. Es reichte ihm bereits zur Brust. Als Mikael auch jetzt nicht antwortete, legte er den Hebel wieder herum. Er würde auch so seinen Spaß haben. Auch wenn er jetzt nicht ertrank, würde es lange dauern, bis das Wasser im Erdboden versank und solange blieb ihm nichts übrig, als zu stehen. „Ich wünsche dir eine gute Nacht!“, rief Kaurismäki zufrieden herunter und verschwand dann in seine warme Holzhütte.



    Zur gleichen Zeit
    Semir sah aus dem Krankenhausfenster. Es war dunkel und die Lichter der Stadt erstrahlten. Irgendwo da draußen brauchte ein Kollege seine Hilfe und er, er stocherte schon wieder im Nichts. Es gab keinen Hinweis, wo sich Kaurismäki aufhielt. Joshua hatte angerufen und ihm gesagt, dass die Handyortung von Kaurismäki fehlgeschlagen war und Mikaels Handy lag im Krankenhaus. Auf den Wagen gab es ebenfalls keine Hinweise und es war auch nicht bekannt, ob Kaurismäki eine Wohnung gemietet hatte.


    „Wo ist Mikael wirklich?“, kam es leise von hinten. Er sah sich um und setzte ein Lächeln auf. „Bei der Arbeit, sagte ich ja.“
    Ben zog die Augen zusammen. „Natürlich Partner, deshalb bist du auch so Abwesend. Bitte, ich möchte die Wahrheit hören. Was ist mit ihm. Warum ist er nicht hier, sondern nur sein Armband?“
    Semir blieb lange stumm und wog in seinem Inneren seine Optionen ab. Letztendlich sah er aber dann ein, dass ihm wohl wirklich nur noch die Wahrheit blieb. Er setzte sich auf den Besucherstuhl neben dem Bett. „Du hast Recht. Da ist mehr“, fing er an. Ben schlug das Herz plötzlich bis zum Hals. Die ernste Stimmlage von Semir sorgte dafür, dass er Angst bekam. Es musste etwa schlimmes passiert sein. Alle Farbe wich aus seinem Gesicht und er begann leicht zu zittern. „Er wurde als Geisel genommen vom Chef der Drogenfahndung“, ließ Semir die Katze schließlich aus dem Sack. „Ein Harri Kaurismäki, den ich bis zu diesem Zwischenfall eigentlich als guten Polizisten gesehen habe.“
    „Als … als Geisel? Ich meine, wir … er … wir waren doch gerade erst frei“, fragte Ben ungläubig nach.
    „Ja. Es tut mir leid Ben, ich konnte ihn nicht beschützen. Es ist heute Morgen passiert. Ohne Vorwarnung.“ Semir griff nach Bens Arm und berichtete ihm, was genau in den letzten Tagen alles passiert war. Als er seine Erzählung beendet hatte, konnte er sehen, wie sein Partner mit der Fassung rang.
    „Aber … du findest ihn doch? Mikael … ich meine, du sagtest, dass er noch nicht ganz gesund war … Semir … bitte“, stammelte der Braunhaarige vor sich hin.
    „Ich werde alles versuchen“, versicherte Semir, auch wenn er sich nicht sicher war, was er noch tun konnte. Er hatte das Gefühl, dass er bereits alle Optionen ausgeschöpft hatte. Noch dazu konnte er auf die Hilfe von Joshua nicht wirklich zählen. Der Kollege war nach dem Tod seiner Frau ein Schatten seiner selbst und führte nur die Dinge aus, mit denen ihn Semir beauftragte. Eigeninitiative war bei ihm derzeit nicht vorhanden.

  • „Mikael, komm schon aufstehen!“, weckten ihn Harris Schreie aus seinen unruhigen Schlaf. Er versuchte so gut es ging seine Schmerzen zu verdecken, doch es gelang ihm nicht. Er fühlte, wie das Fieber in ihm hochkroch. Er hatte bis tief in die Nacht gestanden, bis das Wasser zumindest so tief gesunken war, dass er sich hatte fallen lassen können. Trotz allem würde er Harri keinen Gefallen tun. Niemals würde er diese Information preisgeben. „Ich werde dir nichts sagen!“, schrie er seinen Chef an. Dieser lachte. „Du willst doch nicht wirklich da unten versauern? Aber fein, ich bekomme die Informationen, die ich brauche, schon noch aus dir heraus!“
    Harri verschwand wieder von dem Loch und wenig später hörte Mikael wie er einen Traktor startete. Kurz darauf erblickte er erneut einen Schlauch am Rand des Loches. „Das ist alles, Harri?! Diese Wassernummer hatten wir schon durch, damit willst du mich einschüchtern? Ich zittere schon vor Angst!“ Harri kam näher an den Rand des Loches. „Ich versuche es doch bei dir nicht zwei Mal mit der gleichen Tour.“ Er begann zu lachen und er hörte ein dumpfes Klacken, als würde ein Hebel umgelegt werden. „Vielleicht wirst du mir verraten wo das Armband ist, wenn du ein wenig im Schweinemist gebadet hast!“ Ehe Mikael die Worte verstehen konnte, strömte die Jauche bereits auf seinen Körper und ein leichtes Übelkeitsgefühl stieg in ihm auf. „Das ist krank Harri!“, schrie er hoch und erntete nur noch größere Schadensfreude von seinem Chef. „Viel Spaß, Kleiner! Ich gönne mir derweil ein paar ruhige Minuten im Haus. Überleg dir gut, ob du nicht langsam den Mund aufmachen möchtest!“


    Mikael kämpfte verzweifelt gegen die immer größer werdende Übelkeit an. „Na da steckst du ja im wahrsten Sinne des Wortes bis zum Hals in der Scheiße“, fluchte er leise vor sich hin, während er immer tiefer in der Brühe stand. Er versuchte irgendwie eine höhere Stellung in dem Loch zu erreichen, doch es war ihm nicht möglich. Langsam merkte er, wie die Gase in seinen Kopf stiegen und ihm schwindelig wurde. Es brannte in seinen Augen und er wünschte gerade nichts mehr, als das er früher mit Joshua geredet hatte. Wieso zur Hölle, dachte er bloß immer, dass er es alleine schaffe konnte? War das ein Erbe seines Vaters? Ein Hansen braucht keine Hilfe, schließlich war das sein Leitsatz gewesen und der seines Großvaters. Mikael kämpfte dagegen an, dass er das Bewusstsein nicht verlor, doch diesen Gefallen wollte ihm sein Körper nicht tun und er fiel vorn über in die Jauche.
    Erst Harris unsanfte Stimme holte ihn wieder zurück in die Realität. „Das Armband Mikael!“, schrie er ihm ins Ohr, als er langsam und benommen die Augen öffnete. „Ich werde es dir nicht sagen“, röchelte er mit letzter Kraft hervor, bevor er sich übergeben musste. Harri bäumte sich über ihm auf. „Komm schon, ich hätte dich da drin verrecken lassen können, stattdessen zieh ich dich raus. Wo bleibt der Dank?“ „Du kannst mich mal Harri!“ Mikael sah sich um. Er lag im Gras, etwas weiter entfernt war ein Wald. Wenn er es bis dahin schaffen würde, dann könnte er Harri vielleicht austricksen, sich verstecken. Er holte ein letzes Mal tief Luft und sprang dann auf, um das Weite zu suchen. Die Gase brannten immer noch in seiner Lunge, doch er versuchte trotzdem so schnell wie möglich zu rennen. Er wusste es war seine einzige Chance. Harri schien unbewaffnet gewesen zu sein. Er musste zumindest also nicht fürchten, dass er ihn erschoss. „Bleib sofort stehen!“, zeterte Harri hinter ihm. „Es Gnade dir Gott wenn ich dich erwische!“ Mikael versuchte weiter sein Lauftempo bei zuhalten, doch er spürte wie sich jeder Muskel in seinem Körper verkrampfte und Harris Stimme immer näher kam. Er hasste seinen Körper dafür, dass er bereits aufgab. Schließlich erreichte er ihn und riss ihn zu Boden. „Nana, wohin denn so schnell? Du hast mich verdammt enttäuscht Mikael!“ Ein harter Faustschlag traf seinen Kopf und er sank schließlich in die Bewusstlosigkeit ab.




    Als Mikael benommen die Augen wieder öffnete, musste er feststellen, dass er sich einmal mehr in dem Brunnenschacht befand. Immerhin war die Jauche inzwischen in der Erde versiegt oder hatte Harri sie wieder abgepumpt? Seine Faust rammte sich in den feuchten Boden. „Das spielt doch keine Rolle! Du sitzt hier unten fest“, schimpfte er wütend über sich selbst. Hier unten war er Kaurismäki ausgeliefert, hatte keinen Schutz, keinen Vorteil. „Perkele … verdammte Scheiße!“ Er musste es irgendwie aus diesem Erdloch schaffen. Vielleicht hätte er dann eine Chance einem ehemaligen Chef zu entkommen. Seine Augen blieben auf etwas hängen, was aus dem Boden ragte und er buddelte es aus. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Das könnte tatsächlich klappen, wenn er Glück hatte.


    Er wog den Stein in seiner Hand, betastete die scharfe Spitze mit seinem Zeigefinger. Harri war ungeduldig, kreuzte alle paar Minuten hier auf, um ihm nach dem Armband zu fragen. Würde er ihn verbluten lassen, stellte er sich die entscheidende Frage für seinen nächsten Schachzug. Würde er ihn hier unten lassen, wo er nicht sehen konnte, was er tat? Er schloss für einen Augenblick die Augen. Er musste ins warme, ins Trockene. Er brauchte bessere Fluchtmöglichkeiten. Er dachte darüber nach, was sein Vater ihm gelehrt hatte: Es gibt immer einen Ausweg. Nutze die Schwächen deines Gegners. Er wog ab, ob es andere Optionen gab. Andere Möglichkeiten sich einen Vorteil zu verschaffen und aus diesem Loch zu kommen. Seine Augen öffneten sich wieder und er setzte die Spitze des Steines auf seinem linken Arm, genau auf der Pulsader an. Er biss auf die Zähne und öffnete dann mit schellen und entschlossenen Bewegungen die Pulsadern seiner beiden Arme.


    Es dauerte nicht lange und die Müdigkeit übernahm von ihm Besitz. Der Himmel verschwamm zu einem surrealen Muster. Er zog die Beine an seinen Körper und legte den Kopf darauf. Er rutsche langsam in eine Stadium zwischen wach sein und schlafen. Für einen kurzen Augenblick dachte er daran, was passieren würde, wenn Harri ihn nicht rechtzeitig fand. Doch nun war es zu spät, sich um so etwas Sorgen zu machen.

  • Harri blickte in das Loch hinab. Sein Opfer saß am Rand und hatte den Kopf auf die Knie gelegt. „Mikael, es wird Zeit für die nächste kleine Befragung“, flötete er. Er stutzte, als er diesmal keine freche Antwort erhielt. „Komm schon, es macht doch keinen Spaß, wenn du schon aufgibst?“ Er erhielt abermals keine Antwort. „Ist das ein neues kleines Spiel von dir, Mikael?“ Als immer noch keine Antwort kam, ließ er die Leiter herunter und stieg hinab. Als sein Gegenüber noch immer keine Reaktion zeigte, wurde er misstrauisch. Er sah, wie sich der Schlamm unter seinem Gefangenen dunkelrot färbte. „Was hast du gemacht, du kleine Ratte?“, flüsterte er leise und trat langsam näher heran. Als er ihn an der Schulter berührte, fiel er zur Seite. „Was zur …!“ Die Arme waren voller Blut, das immer noch schwach aus den Wunden pulsierte. Für einen Augenblick wurde ihm schlecht. Er fühlte den Puls und atmete erleichter auf. Zumindest war ihm der Junge noch nicht über den Jordan gegangen.
    Hektisch zog er sein Hemd aus und riss es in zwei Teile. Er kniete sich neben Mikael und begann damit einen provisorischen Druckverband anzulegen. Seine Augen fixieren die länglichen Schnitte an den Armen. Nein, dass konnte man nicht als Schnitte bezeichnen. Die Pulsadern wurden vielmehr aufgerissen mit etwas spitzen, aber wohl auch dreckigen. Als er die Arme verbunden hatte, hob er seinen Mitarbeiter auf die Schultern und trug ihn hastig ins Haus. Er ließ ihn auf eine Matratze gleiten, ehe er einen Verbandskasten suchte, damit er die Handgelenke noch einmal ordentlich verbinden konnte. „Dieser kleiner Mistkerl“, fluchte er leise, während er den neuen Verband mit kräftigen Rucken fest um die Wunden legte. „Da glaubt er doch wirklich, er kann mich so um meinen Lohn bringen!“


    Als er fertig war, setzte er sich auf einen Stuhl, zündete sich mit zittrigen Fingern eine Zigarette an und blies hektisch den Rauch in das Zimmer. Er musste sich beruhigen, sein Körper war noch völlig unter Adrenalin. Beinahe wäre er um alles gebracht worden, beinahe wäre der Mord an Andreas Hansen umsonst gewesen! Harri Kaurismäki betrachtete seinen Gefangenen. Mikael war unglaublich blass und Harri war sich sicher, dass er sehr viel Blut verloren haben musste. Dazu hatte er gesehen, wie sich die Verletzung an der Schulter entzündet hatte. Aber es half nichts, er brauchte den Jungen ja nicht in einem gesunden Zustand, ihm würde es reichen, wenn es ihm möglich war zu reden. Darüberhinaus hatte er so sicherlich weniger Probleme mit ihm.



    Zur gleichen Zeit im Krankenhaus
    Ben sah nachdenklich auf die Akte, die Semir ihm vor einigen Stunden gebracht hatte und die er nun ausgiebig durchlas, um zumindest etwas tun zu können. Bei dem Bild des Entführers, welches hinten in der Akte lag, stockte er. „Ich kenne den Typen.“ Semir war von dem Besucherstuhl aufgesprungen und beugte sich über die Mappe. „Kaurismäki? Woher … ich meine, du hast ja deinen Schönheitsschlaf gehalten, als wir mit dem zusammengearbeitet haben.“


    „Ich meine ich habe ihn damals mal bei Andreas Hansen gesehen.“ Ben blieb einige Sekunden still und nickte dann seicht mit dem Kopf. „Ja … genau. Ich war dort, weil Micha … ich meine natürlich Mikael, er wollte mir bei Mathe helfen. Aber er war noch nicht wieder Zuhause vom Fußballtraining. Sein Vater hat mich reingelassen und da habe ich diesen Kaurismäki gesehen. Kurz danach ist er aber auch wieder gegangen.“
    „Du bist dir sicher? Ich meine, dass ist schon sehr lange her und es kann ja sein, dass dein Gehirn dir einen Streich spielt.“
    Ben schluckte. „Es war der Tag, an dem sie verschwunden ist. Deshalb erinnere ich mich so genau. Ich erinnere mich an alles, was damals war.“
    „Er könnte ihm natürlich geholfen haben, beim Aufbau der neuen Identität in Finnland meine ich …“, äußerte Semir nun nachdenklich. Immerhin war durch Bens Aussage nun bewiesen, dass Kaurismäki und Hansen bereits vor dem Untertauchen der Familie in Helsinki in Kontakt gestanden hatten.


    „Und jetzt hat er Mikael … was zum Teufel will er von ihm? Wozu brauch er ihn?“ Ben blätterte hektisch die Mappe ein weiteres Mal durch, ohne etwas zu finden, was ihm helfen konnte. „Was hat Mikael, was ihm Andreas Hansen nicht geben konnte?“
    Semir, der sich inzwischen wieder hingesetzt hatte, wippte nervös mit den Füßen auf und ab. So sehr er sich bemühte, auch er hatte keine Ahnung, was genau Mikael für Harri Kaurismäki so wichtig machte. „Joshua hat auch absolut keine Idee“, äußerte er nach einigen stillen Minuten laut. „Allerdings glaube ich, dass er derzeit durch seine Trauer auch viel zu sehr abgelenkt ist, als das er sich auf seinen Freund und dessen Vergangenheit konzentrieren könnte.“
    Ben nickte. „Er tut mir unendlich Leid. Das muss furchtbar sein, den Menschen zu verlieren, den man liebt und dann auch noch erfahren zu müssen, dass diese Person in kriminelle Geschäfte verwickelt war.“
    „Er sucht immer noch einen Weg, sich das alles zu erklären. Will nicht wahrhaben, dass sie auf seinen besten Freund geschossen hat. Aber in dieser Sache vertraue ich wirklich Mikaels Kopf“, stimmte Semir zu. „Es ist wirklich erstaunlich, was er sich alles merken kann. Wusstest du, dass er zwölf Sprachen spricht?“ Der Deutschtürke lachte. „Sogar ein bisschen Türkisch. Wir haben uns prächtig unterhalten!“
    Semir sah, wie Bens Lächeln verschwand. „Nein, wusste ich nicht“, antwortete er leise und klappte die Mappe vor sich zu. Der Ältere griff nach Bens Arm und drückte diesen sanft. „Ich bin mir sicher, sobald wir ihn gefunden haben, dann hast du auch Zeit ihn kennenzulernen.“ Semir zwinkerte Ben zu. „Er ist zwar noch einen Ticken schwieriger zu Händeln als du, aber alles in allem doch ein guter Freund.“


    „Trotzdem ist er damals einfach so gegangen, hat sich nie gemeldet und mich in den Glauben gelassen, dass er tot ist.“ Bens Hand umgriff das Bettlaken, als dieses furchtbare Gefühl von damals zurück war. Diese Leere, die er empfunden hatte, als er dachte, dass sein Freund tot gestorben war. Auch wenn er es jetzt besser wusste, spürte er sie dennoch weiterhin. Semirs Druck verstärkte sich. „Ich habe mit ihm darüber geredet und glaub mir, es tut ihm wirklich leid. Ich bin mir sicher es war ein guter Grund, weshalb er sich nicht gemeldet hat. Er will nur noch nicht darüber reden.“ Der Ältere lächelte. „Ich denke, dass er einer dieser Menschen ist, die etwas länger brauchen, bis sie ihre Probleme und Ängste auch teilen. Ein Einzelgänger.“

  • Zitternd, fiebrig und nass geschwitzt lag Mikael auf einer Matratze der winzigen Hütte. Sein Blick war verschwommen, wie durch einen dicken milchigen Schleier nahm er wahr, wie Harri in die Hütte trat und ihn ansah. „Was ist Häkkinen? Dachtest du, du könntest mir entkommen?“
    Mikael lachte leise auf. „Du willst die Kiste. Die Kiste … von meinem Vater. Das ist so erbärmlich, Harri. Du denkst wirklich, dass du damit der König … von Helsinki werden kannst?“
    Wut blitzte in den Augen seines Gegenübers auf und er preschte auf Mikael zu, zog ihn mit der Hand am Pullover an der Wand hoch. Harris Hand umfasste seinen Kiefer. „Du bist also darauf gekommen!“
    „Es war nicht besonders schwer, wenn man dich kennt. Du willst immer alles über jeden wissen! Du bist ein Machtmensch!“
    „Halt dein kleines schäbiges Maul.“ Der Druck löste sich wieder und Mikael glitt auf die Matratze zurück. Er wusste, dass er zu schwach war dieses Spiel zu spielen und doch wollte er Harri den Triumph über sich nicht lassen. „Du hast … nicht den Schneid dazu! Dich wird man auf der Straße auslachen! Der Bulle der gerne mitspielen will“ nuschelte er leise.
    „Ich sagte du sollst den Mund halten!“ Harris Körper zitterte vor Erregung.
    „Wozu? … Erträgst du die Wahrheit nicht? Du musst dich an einen jungen Polizisten ranschleichen, sein Vertrauen gewinnen … du hättest die Jahre besser nutzen können, um dir einen wirklichen Namen zu machen, Harri. So bist du nur ein Trittbrettfahrer!“
    „Und was bist du Mikael?“ Harri Kaurismäki lachte auf. „Der hochbegabte junge Polizist, der bei jeder Vorladung beim Chef darum zittern muss, dass man entdeckt hat, wer er wirklich ist. Hansens Sohn!“
    „Fick dich!“
    „Deine kleine Polizeikarriere ist vorbei Mikael. Du hast zu hoch gepokert und soll ich dir was sagen? Ich könnte mich darüber kaputt lachen. Du dachtest du würdest davon kommen und weißt du was … es war so leicht, dir die Drogenfahndung schmackhaft zu machen.“
    Das Lachen von Harri Kaurismäki erfüllte den Raum, ehe es urplötzlich erstarb. „Selbst wenn du das hier überleben solltest, habe ich dir mit dieser List das Genick gebrochen. Die Innere wird dich zerpflücken und danach wird das Einzige was du noch bekommen wirst ein kleiner Aktenjob sein.“ Er tippte auf Mikaels Brust. „Was denkst du, wer glaubt dir, dass du nicht wusstest, dass dein Vater noch gelebt hat, wer glaubt dir, dass du kein kleiner korrupter Bulle bist?“
    „Das Armband bekommst du trotzdem nicht! Niemals!“
    „Nein? Das werden wir ja sehen … du denkst, dass du mir überlegen bist, doch über diesen Hochmut ist bereits ein anderer Hansen gestürzt worden.“


    Harri Kaurismäki löste sich vor ihm und er sah, wie er sich an den Tisch setzte und nach einer Flasche Wodka griff, während er sich gleichzeitig eine Zigarette anzündete.
    „Du bist erledigt! Du bist so gut wie tot Häkkinen. Deine Wunde an der Schulter ist entzündet und du kleiner, dummer Junge hast dir die Pulsadern aufgeschnitten. Was denkst du wie viel Blut du dadurch verloren hast?“, rief er durch das Zimmer. „Du hast dir selbst wichtige Stunden Lebenszeit geraubt, aber mir soll es egal sein. Wenn das hier vorbei ist, erschieße ich dich ohnehin.“
    Mikael schloss die Augen und sank wieder in eine Welt in der er weder wach war, noch schlief. Kaurismäki hatte Recht, sein Plan war nicht so aufgegangen, wie er es gehofft hatte. Sein Chef war später gekommen, als von ihm geplant. Nun war er zwar aus diesem Loch herausgekommen, aber zu Müde etwas auszurichten. Verdammt, warum war er auch so dumm gewesen und hatte sich gleich beide Arme aufgeritzt. Einer hätte doch genügt, um den Anschein zu erwecken, dass er sich hatte umbringen wollen.


    Immerhin hatte er mit dem Armband noch einen Trumpf in der Tasche. Er musste ganz einfach durchhalten, bis Joshua ihn fand. Damals hatte er nie gewusst, weshalb ihm sein Vater diese Anhänger überlassen hatte. Er hatte nur immer gesagt, dass er gut darauf aufpassen solle und dass er einen verschenken dürfte, wenn er denn wolle. Sein Vater hatte ihn benutzt, als Versteck für diese Schlüssel. Verarbeitet in eine Form, die so unscheinbar war, dass sie niemanden auffallen würde.



    *


    Joshua saß vor dem PC und versuchte verzweifelt den Gedanken an seine tote Frau beiseite zu schieben, doch es gelang ihm nicht. Die Trauer vernebelte alle seine Sinne und so hatte er weiterhin genau die gleiche Seite geöffnet, wie noch vor vielen Stunden. Er hoffte nur, dass zumindest Semir, der begonnen hatte alte Bekannte von Hansen abzuklappern etwas herausfand. Immer wieder sprach er sich gut zu, erinnerte sich daran, dass es hier um seinen Freund ging, doch dann drängte sich wieder die Erinnerung nach Sina auf. Er konnte und wollte nicht glauben, dass seine Frau auf Mikael geschossen hatte. Sein Freund musste sich ganz einfach irren. „Mikael irrt sich nie“, sagte er leise zu sich selbst, doch hielt sich gleichzeitig für einen Lügner. Es waren nun schon 40 Stunden vergangen, in denen Mikael fehlte und sie hatten immer noch keine Spur. Er hatte sein Handy seit dem Verschwinden von Mikael nicht angeschaltet. Ein Zweithandy gab es zumindest offiziell nicht, aber das musste nichts heißen. Es war nicht schwer sich Anonym eine Handykarte zu beschaffen. Semir hatte ihm vor ein paar Stunden davon berichtet, was Ben erzählt hatte. Kaurismäki hatte also die ganzen Jahre gewusst, wer Mikael gewesen war. Vermutlich hatte er sie nur deshalb in seine Abteilung geholt und er hatte ihm auch noch dabei geholfen! Er war es gewesen, der Mikael gesagt hatte, dass Kaurismäki ihm helfen würde bei der Polizei Fuß zu fassen. Er war zu naiv gewesen, um zu erkennen, was Harris wirkliches Ziel war: Mikael in seiner Nähe und ihn im Griff zu haben.


    Er sah auf seine Hände. Er hatte begonnen an seinem Ehering zu drehen. Etwas mehr als ein Jahr waren sie verheiratet gewesen. Es war in schönes Fest, Mikael war der Trauzeuge. Eine Träne sucht sich den Weg an die Oberfläche und tropfte auf seine zittrigen Hände. Er wünschte Mikael wäre hier. Er brauchte ihn doch jetzt! Joshua hob seine Hände an, setzte die Ellenbogen auf die Tischplatte und vergrub den Kopf in seinen Handflächen. Er begann zu weinen. „Du brauchst nicht seine Hilfe, er braucht deine du Dummkopf“, tadelte er sich selbst. „Bekomm dich in Griff!“ Er atmete einige Male tief durch, doch er schaffte es nicht mehr seinen Körper zu beruhigen. Er konnte nicht mehr. Er schaffte das alles nicht und wollte nur noch eins. Dieses Gefühl der Leere und Wut loswerden!


    Er griff nach seiner Jacke und mit eiligen Schritten die Dienststelle. Dann nahm er seinen Leihwagen und fuhr die nächstbeste Kneipe an, um nur für wenige Stunden alles zu vergessen!

  • Harri Kaurismäki sah auf die Figur vor sich. Das Fieber hatte seinen Gefangenen nun immer mehr eingenommen und die klaren Momente waren weniger. Sein Körper wurde unkontrolliert von Schüttelfrost geschüttelt. „Scheiße, Scheiße, Scheiße“, fluchte er leise. Er hatte geglaubt, dass Mikael länger durchhalten würde. Harri hatte einfach nicht damit gerechnet, dass er so schnell in einen Zustand sank, in dem er mit ihm nicht mehr viel anfangen konnte. Seine Hand glitt zitternd in seine Hosentasche und er zog die Zigarettenpackung heraus, um sich eine anzuzünden. Er setzte sich wieder an den Tisch und hörte zu, wie Mikael leise wimmerte. Der junge Kommissar war gefangen in irgendeinem Albtraum und er hoffte, dass es ein schlimmer war. Er hätte es verdient gehabt, dieser kleine Wurm. Er brachte ihn mit seinen dümmlichen Aktionen immerhin um seinen ganzen Lohn.


    Er wendete ab und griff nach der Zeitung, die auf dem Tisch lag. Sie war schon einige Wochen alt, aber das war ihm egal. Er musste sich irgendwie ablenken und seine Nerven beruhigen. Seine Augen weiten sich, als er das Foto auf der Titelseite sah und ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Sieh an, es gibt also noch einen Ersatzschlüssel!“
    Leichte Schläge gegen die Wange holten Mikael unsanft zurück in die Wirklichkeit. Es dauerte lange, bis seine Augen Harri fixierten. Er lächelte. „Ich … gehe … lieber drauf“, hauchte er leise. Harri hielt ihm einen Zeitungsausschnitt vor die Nase. „Es hat sich herausgestellt, dass ich auch auf anderem Wege bekommen kann, was ich will“, sagte er hämisch. Das Lächeln in Mikaels Gesicht erstarb. „Bitte … lass Ben … ich- ich werde dir das Armband bringen … ganz sicher Harri!“
    „Ja das wirst du“, lachte Harri und zog Mikael an der Wand in eine sitzende Position. „Komm schon, Drehbeginn.“ Er stellte ein Stativ vor das Bett. Mikael blickte sein Gegenüber an. „Wenn du denkst, ich werde auf diesem Video um Hilfe betteln, dann hast du dich geschnitten“, entfuhr es ihm mit gehässiger Stimme. „Das wird nicht nötig sein, Mikael“, zischte er und wenig später kassierte der Kommissar einen Schlag in die Magengrube und sackte in sich zusammen.


    Wenig später im Krankenhaus:
    Semir blickte auf sein Handy. „Videobotschaft empfangen?“, war darauf abgebildet. „Ja wie jetzt? Ich weiß nicht mal ob dieses Ding sowas kann. Er fing den Blick von Ben auf. „Was ist, weißt du nicht wie du deine SMS öffnest Opa?“ stichelte er.
    „Nein hier ist so eine Videobotschaft und ich hab keine Ahnung wie ich das Mistding öffne … ich mein wer schickt auch schön Videos übers Handy!“
    „Links unten steht anschauen, also gehst du da ganz einfach drauf. Es ist nicht anders als bei einer SMS Semir.“
    „Oh … hatte ich ganz übersehen.“
    Ben begann zu lächeln. „Na dann sei froh, dass ich noch nicht über den Jordan gegangen bin, sonst würdest du Technikopa an den leichtesten Aufgaben verzweifeln.“
    „Jaja Ben“, winkte Semir gleichgültig ab und öffnete nun die Videodatei.
    Ben blickte in das Gesicht seines Partners, was in wenigen Sekunden völlig an Farbe verlor. „Was ist Semir, was ist das für ein Video?“, wollte er sofort wissen. Wenn Semir so mit der Fassung rang, musste es etwas Ernstes sein.
    Bens Partner rang mit seiner Fassung. „Bitte Ben, reg dich nicht auf wenn ich dir das zeige … okay?“ Er hielt seinem Partner das Handy hin und Ben glaubte kaum was er das sah. Mikael lag auf einem alten Bett. Er war nicht angekettet, doch sein Zustand sprach dafür, dass es wohl dafür keinen Grund gab. Schweiß bedeckte seine Haut, er war bleich, voller Blut und Dreck. Dann zerrte Kaurismäki ihn hoch, doch irgendetwas musste Mikael gesagt haben, was Kaurismäki sauer machte. Ein paar Sekunden später schlug er ihm in die Magengegend, so dass Mikael wieder in die Matratze zurücksackte. Ben liefen vor Wut die Tränen die Wangen runter und seine rechte Hand ballte sich zur Faust. „Er-er wird ihn umbringen … Semir wir müssen was tun..“, entfuhr es ihm leise.
    Semir drückte Bens Schulter. „Wir werden ihn finden, Ben“, sagte er. Doch der Deutschtürke hatte selber wenig Vertrauen darin, ob sie Mikael auch lebend finden würden. Der junge Polizist aus Finnland sah mehr tot als lebendig aus.
    Das Klingeln seines Handys holte Semir wieder aus den Gedanken. Er sah auf das Display und stellte mit erstrecken fest, dass es die gleiche Nummer war, von der das Video kam. Blitzschnell hatte er das Gespräch entgegengenommen.
    „Ein Tag bleibt Ihnen eine Entscheidung für das Leben von Mikael zu treffen, oder haben Sie bereits jetzt entschlossen, dass sie den Jungen keine 24 Stunden länger bei mir lassen wollen. Ich kann nicht garantieren, dass er morgen noch lebt…“
    „Was wollten sie Kaurismäki?“, entfuhr es Semir sauer.
    „Ganz einfach. Mikael ist nicht bereit mir etwas zu geben, was ich unbedingt haben will, aber ich habe so eben erkannt, dass es auch einen anderen Weg gibt. Ich möchte von Ihnen kein Geld, sondern nur die Kette ihres Kollegen.“
    „Welche Kette?“
    Der Mann am anderen Ende der Leitung lachte laut auf. „Sie wissen genau von welcher Kette ich rede. Bringen Sie mir die Kette und ich lasse dafür Mikael gehen. Ich maile ihnen den Übergabeort und Uhrzeit.“ Semir wollte etwas erwidern, doch da hatte Kaurismäki bereits aufgelegt. Semir setzte sich auf den Stuhl und sah das Handy lange Zeit stumm an.
    „Was will er?“, fragte Ben mit zittriger Stimme, „Was sollen wir ihm bringen?“
    „Deine Halskette.“
    Bens Augenbraue zog sich nach oben. „Wie bitte? Meine Halskette?“
    „Ja“, antworte Semir.
    „Was kann an einer Halskette so wichtiges sein?“ Ben griff nach dem Schmuckstück und ließ es vor den Augen baumeln. „Es ist eine ganz normale Kette. Nichts weiter.“ Kurzentschlossen drückte er sie Semir in die Hand. „Hol ihn daraus. Mir ist egal, wofür diese dumme Kette von Bedeutung sein könnte oder ob sie vielleicht ein wertvolles Schmuckstück ist. Hol ihn da einfach daraus!“

  • Semir umgriff sein Lenkrad fast krampfhaft. Er stand mit seinem BMW auf einem Feldweg einige Kilometer außerhalb von Köln. Hier gab es weit und breit nichts. Er hatte vor knapp einer Stunde eine SMS empfangen und war sofort hierher gefahren. Zeit großartig etwas vorzubereiten war ihnen nicht geblieben. Er hatte Harmut aufgefordert, ihn über sein Handysignal zu orten und auch zu versuchen die Nummer zu orten, mit der ihn Harri Kaurismäki angerufen hatte. Er hatte auch versucht Joshua zu erreichen, doch der finnische Kollege war verschwunden. Susanne hatte ihm erzählt, wie er am Mittag eilig aus der PAST geflüchtet war.
    Er löste seine rechte Hand vom Lenkrad und holte die Kette von Ben aus seiner Jackentasche. Nein, auch jetzt war ihm nicht wirklich klar, was an diesem Schmuckstück so besonders sein sollte. Es war nicht wertvoll verarbeitet, zumindest nahm er es so mit seinem Laienblick wahr. Er hofft, dass sich Harri Kaurismäki an den Deal halten würde. Der junge Kollege schien am Ende mit seinen Kräften gewesen zu sein und auch, wenn Semir sich sicher war, dass Mikael mehr einstecken konnte, als man ihm aufgrund seiner Statur zusprechen würde, war er sich sicher, dass die Zeit gegen sie arbeitete.


    Semir sah auf die Uhr im Armaturenbrett. Harri Kaurismäki war seit zehn Minuten überfällig. Hatte der Typ ihn gelinkt? Nein, er brauchte diese Kette wirklich. Er hatte es ernst gemeint, dass hatte er an seiner Stimme gehört. Ungeduldig sah er weiterhin auf den leeren Feldweg vor sich. Mit der Zeit, legte sich eine plötzliche Müdigkeit um ihn, wie ein Mantel aus Blei. Ausgiebig rieb er sich die Augen, doch er konnte nicht verhindern, dass ihm die Sinne schwanden. Erst als sein Kopf auf das Lenkrad fiel und ein langgezogenes Hupen erklang, sah er wie durch einen weißen Schleier die kleine Box im Fußraum des Beifahrersitzes. Kaurismäki hatte ihn also doch ausgetrickst und er hatte es nicht einmal bemerkt! Ehe alles schwarz wurde, fragte er sich nur, wann er ihm das in den Wagen gelegt hatte. Es hatte vor dem Krankenhaus sein müssen. Hatte er etwa auf sie gelauert und sich die Kette auf anderem Wege geholt, wenn er sich geweigert hätte?




    Semir blinzelte, als ihm ein modernder Gestank in die Nase kroch. Er richtete sich auf, bewegte seine Arme und stellte fest, dass er mit seinem rechten Arm irgendwo festgekettet war. Er kniff die Augen einige Male zusammen, doch dann wurden die Konturen schärfer. Er sah zur Seite und suchte den Grund für seine Bewegungseinschränkung. Seine Augen weiterten sich erschrocken. Harri Kaurismäki hatte ihn an Mikaels linken Arm festgemacht. Der junge Kommissar lag neben ihm auf der schäbigen Matratze. Er schien nicht bei Bewusstsein zu sein. Schweiß bedeckte seine Stirn, seine Atmung klang hohl. Überall klebte Blut und Dreck auf seiner Haut. An seinen Handgelenken befanden sich dicke Verbände. Semir sah sich kurz um, konnte aber Kaurismäki nirgendwo sehen.


    „Hey Mikael, komm schon aufwachen!“ Semir tätschelte leicht die Wangen. „Mikael … bitte, komm!“, wiederholte er wieder und wieder. Nach einer gefühlten Ewigkeit öffneten sich die Augenlider und der junge Kollege sah ihn mit einem durch Fieber gekennzeichneten Blick an. „Du … weißt schon, wie eine Übergabe wirklich funktioniert?“, nuschelte er leise, „die Betonung liegt auf … Über …“ Semir lächelte. „Danke Schlaumeier, beim nächsten Mal weiß ich dann Bescheid.“
    Semir sah, wie Mikaels Augen sich wieder schlossen. „Hey, nein! Nicht wieder einschlafen, hörst du. Du bleibst schön wach!“ „Ich bin müde“, kam es leise von dem Finnen. „Ich weiß, aber du musst versuchen wach zu bleiben! Ich bin mir sicher, dass du das schaffen kannst.“
    Mikael nickte seicht und schloss die Augen wieder. Doch Semir wollte nicht zulassen, dass er einschlief. „Wachbleiben! Bleib bei mir!“ Wieder tätschelte er sanft die Wangen seinen jungen Kollegen. „Noch ein paar Minuten. Mein Handy wird geortet und das von Kaurismäki. Sie werden uns finden.“
    „Ich bin aber müde …“
    Semir versucht noch bestimmender zu wirken, er konnte nicht riskieren, dass er wieder in die Bewusstlosigkeit abdriftete „Bitte versuch wach zu bleiben! Du darfst nicht einschlafen. War Kaurismäki das mit deinen Armen?“ fragte er nachdem sein Blick erneut auf die blutdurchtrieften Verbände fiel.
    „Nein … ich … mein Gehirn hat wohl versagt … ich dachte ihn überlisten zu können … ich wollte nicht, dass er Ben in Gefahr bringt …“
    „Ben geht es gut und er ist in Sicherheit. Alles was du jetzt für ihn tun musst, ist bei mir zu bleiben. Nicht einzuschlafen!“ Mikael lächelte und ehe sich Semir versehen konnte, hatten sich die Augen des Schwarzhaarigen einmal mehr geschlossen.
    „Bitte, halte durch. Ich hole uns hier raus!“ Er blickte auf die Tür. Sie sah nicht wirklich stabil aus, vielleicht würde er es schaffen sie aufzuhebeln, wenn er das passende Werkzeug finden würde?
    Er beugte sich zu Mikael herunter, um ihn erneut wach zu bekommen. „Komm, wir müssen hier weg!“, sagte er behutsam, als er für einen Augenblick die Aufmerksamkeit des Finnen hatte. „Vielleicht schaffen wir es die Tür aufzubekommen.“


    Semir hielt inne. Da war ein Auto auf das Gelände gefahren. Er vernahm Schritte, allerdings nur von einer Person und so war es wohl keine Rettung, sondern Kaurismäki selbst. Wenig später stand der rundliche Finne vor ihnen und blickte triumphierend auf den Jüngeren. In seinen Händen hielt er eine kleine Kiste.
    „Keine Angst Kleiner, bald ist es vorbei. Bald wirst du Geschichte sein! Ich muss nur sicher gehen, dass ich nicht gelinkt wurde. Danach wirst du deinen Vater wiedersehen. Vielleicht schlitzte ich dir wieder die Pulsadern auf. Das wäre doch was, du wirst gehen, wie du es gewollt hast. Elendig verbluten!“, verkündete er und lächelte dabei unheilvoll. Semir packte die Wut und er wollte aufspringen, doch Mikael hielt ihn am Boden, wie ein Anker. Er musste zugeben, dass Harri Kaurismäki ziemlich clever gewesen war, als er ihn an Mikael festgemacht hatte. Der Junge war zu schwach, als dass er derzeit eine ernste Gefahr sein konnte. „Sie werden sich dafür verantworten müssen! Sie kommen nicht davon“, schimpfte er und erntete nur ein Lachen. „Jaja, wie Sie meinen! Vielleicht lasse ich Sie ja am Leben, aber im Augenblick tendiere ich dazu Sie ebenfalls umzubringen!“


    Kaurismäki drehte ihnen den Rücken zu und ging zum Esstisch. Er stellte das Kästchen achtsam hin. Als nächstes packte er sich Bens Kette und drehte den Anhänger einige Sekunden vor dem Schloss hin und her, ehe er herausgefunden hatte, wie es in die Öffnung passte. „Und nun: Sesam öffne dich!“ Er steckte das längliche Ende, einem Rechteck ähnelnden Teil, des Anhängers in das Schlüsselloch und drehte ihn, um die Schatulle zu öffnen.
    „Sem … ir“ Er löste seinen Blick für einen Moment von Kaurismäki und sah auf Mikael. „Die Matratze … wir müssen sie aufrecht hinstellen“, murmelte der junge Kommissar leise und schob noch ein Sofort hinterher. „Wieso?“, wollte er wissen, doch der Schwarzhaarige war bereits dabei seine letzten Kräfte zu mobilisieren und schob mit den Füßen die Matratze ein Stück von der Wand weg. Semir griff nach dem Ende der Matratze und zog es waagerecht nach oben. Nur wenig später hörte er einen lauten Knall und spürte, wie sich um sie herum die Hitze einer Explosion ausbreitete. Als es wieder still war, sah er ungläubig auf Mikael. „Woher?“ „Mein Vater … ich habe ihn öfters dabei beobachtet, wie er das Kästchen geöffnet hat. Andersherum als normal … er hat gesagt, dass sonst etwas Schlimmes passiert.“ Semir lächelte. „Habe ich dir gesagt, wie sagenhaft ich dein Erinnerungsvermögen finde?“ Sie ließen die Matratze los, die anschließend zu Boden fiel. Nur wenige Meter von ihnen entfernt war das Haus komplett verwüstet. Kaurismäki lag auf der anderen Seite des Raumes. Nur unmittelbar daneben züngelten Flammen.


    Semir sah zu Mikael herüber, dessen Augen sich bereits wieder schließen wollten. Sie mussten hier raus und das so schnell wie möglich. Sein Blick rastete wieder auf Kaurismäki. Er wusste, dass er ebenfalls schnelle Hilfe brauchte. Wenn er nicht bereits tot war. Allerdings war er immer noch an Mikael gekettet und der junge Kollege hatte unmöglich so viel Kraft über. So entschied er sich dafür, Mikael irgendwie aus der Hütte zu bekommen und sich darauf zu hoffen, dass Hartmut ihn nicht enttäuschte. Denn obwohl er all diesen Hass gegenüber Kaurismäki hatte, war er doch niemand, der einen hilflosen Mann zurückließ. Er hatte keine Ahnung, wie lange er Bewusstlos gewesen war nach der misslungenen Übergabe, aber sicherlich lange genug, als dass der KTUler einen kleinen Vorsprung hatte.


    Er tätschelte leicht Mikaels Wange. „Wir müssen hier weg, hörst du? Halte noch etwas durch.“ Der Finne nickte und Semir zog sich und ihn in die stehende Position. Mikael wankte und seine Beine drohten unter ihm nachzugeben, doch ehe das passieren konnte, griff Semir zu. „Bleib einfach wach und versuche einen Fuß vor den anderen zu bekommen, ja? Es sind nur ein paar Meter bis nach draußen.“ Er bekam ein Nicken als Antwort und so begann Semir sich langsam in Bewegung zu setzen und einen Weg durch die Flammen zu bahnen, die inzwischen immer näher gekommen waren. Er spürte, wie Mikael immer schwerer wurde und letztendlich fast vorn über kippte, hätte Semir nicht schnell genug reagiert. „Halt nur noch ein bisschen durch. Bald haben wir es geschafft!“ versuchte er sich und den jungen Mann anzuspornen. Als er die Tür erreichte, war Semir mehr als erleichtert. Kaurismäki war Selbstsicher gewesen und hatte nicht abgeschlossen.
    Als sie sich weit genug entfernt hatten, verließen Mikael die Kräfte endgültig. Semir ließ ihn sanft in das Gras gleiten. Der finnische Kollege atmete schwer und schloss erschöpft die Augen. „Danke“, hörte Semir ihn noch leise murmeln, ehe er dann wieder in die Bewusstlosigkeit glitt.

  • Als Mikael aufwachte, lag er in einem weichen Bett mit weißem Laken. Er sah zur Seite. Joshua saß auf einem Stuhl, die Augen rot verweint. Er sah nicht wirklich auf das Bett, sondern mehr geradeaus an die weiße Wand. Gleichzeitig lag ein Geruch von Alkohol und Zigaretten in der Luft. „Josh“, flüsterte er leise. Der Angesprochene fuhr erschrocken zusammen, lächelte aber dann breit. „Scheiße, ich bin so froh, dass du … ich meine, dass …“ Der Blonde winkte unsicher ab. „Du weißt, was ich meine.“
    „Ja … ich fürchte, ich bin Semir einmal mehr was schuldig.“
    Joshua nickte. „Vermutlich. Und diesem Techniker auch. Er hat alles gegeben, damit man euch schnell findet.“ Er sah zu Boden. „Ich leider nicht … es tut mir leid … ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Mikael, ich …“
    „ … Es ist okay. Mach dir keine Gedanken“, widersprach der Angesprochene. „Wie lange war ich am schlafen?“
    „Einen Tag. Du warst ziemlich ausgeknockt, von dem hohen Blutverlust.“
    Mikael nickte. So fühlte er sich auch. Erschöpft und kraftlos.
    „Was ist mit Kaurismäki?“
    „Semir hat mir erzählt, dass die Verstärkung kam, kurz nachdem du das Bewusstsein verloren hast. Die Feuerwehr konnte Kaurismäki noch rechtzeitig aus dem Haus holen. Er hat zwar schwere Verbrennung, befindet sich aber nicht in Lebensgefahr.“
    Der Blonde begann zu weinen und vergrub den Kopf in seinen Händen. „Er hat Sina … sie ist tot“, kam es jetzt von Joshua.
    „Sie hat diesen Weg freiwillig gewählt“, begann Mikael mit müder Stimme. Der Kopf seines Freundes löste sich wieder von dessen Händen und Mikael wünschte, dass er sich dieses einen verdammten Satz verkniffen hätte. „Stemple meine Frau nicht als Verbrecherin ab“, zischte Joshua.
    „Sina war es die mich damals umbringen wollte. Josh, du musst doch verstehen, dass …“
    „Nein! Sie muss ihre Gründe gehabt haben. Sie hat mich geliebt! Sie war meine Frau … wir … wir wollten eine Familie. Wir wollten Kinder, viele … Kinder.“
    „Vielleicht habt ihr euch verloren … vielleicht hatte sie andere … Pläne.“
    Joshua lachte und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du hast doch überhaupt keine Ahnung von Liebe. Du holst alles in dein Bett, was nicht bei Drei geflüchtet ist. DU hast ein Vertrauensproblem. Das kann man nicht vergleichen!“
    „Zu Recht, wie sich herausstellt. WIR wurden hintergangen, falls dir das entgangen ist und du tust immer noch so, als wäre Sina das arme unschuldige Opfer. Sie war kriminell, versteh das doch!“
    Joshua sprang von seinem Stuhl. Er beugte sich über das Bett und tippte Mikael bedrohlich auf die Brust. „Erzähl du mir nichts von kriminell, wir beide wissen, dass du dieses Wort besser nicht gegen andere Leute verwenden solltest!“
    „Drohst du mir?“ Mikael versuchte Joshuas Blick stand zu halten. „Nein, ich will dir nur sagen, dass du vielleicht lieber nicht einen auf Unschuld vom Lande machen solltest. Deine Jugend war nicht ohne und das wissen wir beide!“, sagte sein Freund, ehe er schließlich aus dem Zimmer verschwand und dabei fast mit der Ben und Semir zusammengestoßen war, die gerade ins Zimmer kamen.


    Semir sah Joshua verwundert hinterher. „Was ist denn mit ihm?“, fragte er und sah nun zu Mikael. „Nichts, wir hatten nur eine Meinungsverschiedenheit wegen Sina und ihrer Rolle in dieser Sache …“, antwortete ihm der Schwarzhaarige und sah dann auf Ben. „Ich bin froh, dass es dir besser geht. Ich habe mir Sorgen gemacht … was mein Vater getan hat. Es tut mir wirklich leid.“ Ben winkte mit einem Lachen ab. „Das ist doch nun wirklich nicht deine Schuld. Du musst dich nicht für deinen Vater entschuldigen.“ Ben setzte sich auf den Stuhl, wo bis vor wenigen Minuten noch Joshua gesessen hatte, denn noch fühlte er sich ziemlich müde und schon alleine der Weg hierher hatte ihm viel Kraft gekostet. „Es hat sich wohl nicht viel geändert in den letzten Jahren … wir sind immer noch Meister darin uns gemeinsam in Schwierigkeiten zu bringen“, sagte der Braunhaarige nach einer Weile.
    „Das stimmt wohl“, stimmte Mikael zu.
    Ben lächelte. „Aber ich hoffe, dass du es jetzt nicht als Grund nimmst, dich wieder über zehn Jahre nicht mehr bei mir zu melden. Ich will alles über dich erfahren. Jedes Detail!“
    „Mein Leben war nun nicht besonders spannend“, gab der finnische Kommissar zu bedenken. Diese Ausrede ließ Ben jedoch nicht gelten. „Fangen wir doch damit an. Hast du eine Freundin?“


    Semir stand an der Wand und beobachtete die beiden Freunde aus Kindertagen. Es schien, als hätte diese Sache zumindest ein Gutes gehabt und die Beiden hatten sich wiedergefunden, auch wenn es im Grunde doch auch Mikaels Schuld war, dass es nicht bereits früher passiert war. Er hatte diesen Moment aus Angst viel zu lange vor sich hergeschoben. Semir beobachtete die beiden Jüngeren noch eine Weile, ehe er sich von seiner Position löste und leise das Zimmer verließ. Er fühlte sich reichlich fehl am Platz und wollte Ben und Mikael lieber etwas Zeit für sich geben, damit sie sich wieder Näher kommen konnten.




    Epilog

    Einen Monat später:


    Ben legte die Gitarre bei Seite und sah Mikael erwartungsvoll an. Der finnische Kommissar war vor drei Wochen wieder nach Finnland gereist, um Befragungen der Inneren hinter sich zu bringen. Noch liefen die Untersuchungen und er war vorerst vom Dienst beurlaubt. Eine Situation, die an ihm zu nagen schien. Vor zwei Tagen war er dann auf Bitte von Ben nach Köln gekommen, würde allerdings dann am morgigen Tag wieder zurückfliegen, weil der nächste Termin bei der internen Ermittlung anstand.
    Der Schwarzhaarige lehnte sich im Sofa zurück und sah ihn lange schweigend an. „Du machst ja Schmusemusik“, sagte er schließlich.
    Ben setzte sich neben Mikael. „Es gefällt dir also nicht?“
    „Nichts für ungut Ben, aber mein Musikgeschmack scheint wirklich deinem von Grund auf zu unterscheiden. Ich mag Metal, harten Rock und sowas … das, damit kannst du mich wirklich jagen.“ Er schien seinen enttäuschten Gesichtsausdruck zu bemerken. „Aber hey, ich bin mir sicher die Mädels fahren auf sowas voll ab!“, fügte der Finne schnell an.
    Ben lächelte. „Na, wenn du das sagst, dann muss es ja wohl stimmen.“
    Der Schwarzhaarige lachte, lehnte den Kopf gegen das Sofa und sah an die Decke. „Du weißt doch, dass es stimmt. Wie viele Frauen hast du damit schon rumbekommen? Sag schon!“
    „Jaja, einige. Ist ja gut!“
    Beide versanken nach diesen Worten wieder in ein Schweigen, das lange andauerte. „Sag mal mit Joshua, da ist wieder alles okay?“, durchbrach Ben schließlich die Stille, die nur ihm unangenehm zu sein schien.
    „Ja, warum nicht?“
    „Na, wegen dem Streit im Krankenhaus. Ihr wart schon ziemlich laut und danach habe ich ihn dann auch nicht mehr gesehen.“
    Der Schwarzhaarige zuckte mit den Schultern. „Was das angeht, sind wir wie ein altes Ehepaar. Wir streiten laut und heftig, vertragen uns dann aber auch schnell wieder. Er steht unter Strom, wegen der Sache mit Sina und ich kann es ihm nicht verübeln. Die Beerdigung war wirklich schwer für ihn.“
    Ben zog die rechte Augenbraue hoch. „Moment. Du warst auf der Beerdigung von Sina?“
    „Ja. Sollte ich Josh alleine dahin schicken? Er ist mein Freund. Es war selbstverständlich.“
    Der Braunhaarige nickte. „Solange du nicht auf die Beerdigung deines Vaters gehst, kann ich damit gerade noch so leben.“
    Mikael schwieg, zu lange für Bens Geschmack. „Du warst doch nicht etwa?“
    „Er ist mein Vater, trotz allem.“
    „Er hat auf dich geschossen“, erinnerte er seinen wenige Jahre jüngeren Freund.
    „Ich weiß, aber dennoch fühlte es sich gut an von ihm Abschied zu nehmen. Ich habe das genutzt, um alle Gefühle an ihn aus meinem Gedächtnis zu streichen.“
    Ben nickte. Das war natürlich zu verstehen. Wenn Mikael es als Weg sah, um mit seinem Vater abzuschließen, dann tolerierte er es, wenn er es auch nicht wirklich verstehen konnte.
    Unbewusst griff Ben nach dem Anhänger seiner Kette. Semir hatte sie ihm vor ein paar Tagen zurück gegeben, nachdem sie in dem Fall nicht mehr benötigt wurde und sie war sogar zum größten Teil unbeschadet geblieben. Er hatte in letzter Zeit viel darüber nachgedacht, warum Andreas Hansen die Anhänger damals Mikael gegeben hatte. Im Grunde lief es aber immer auf die gleiche Sache hinaus. Vermutlich hatte er gehofft, dass Mikael irgendwann einmal in seine Fußstapfen trat und ihm daher schon einmal das Wichtigste überlassen. Für einen Augenblick hatte Ben daran gedacht, die Kette nun nicht mehr zu tragen, doch im Grunde hatte sie doch in den letzten Jahren eine vollkommen andere Bedeutung bekommen. Sie symbolisierte ihre Freundschaft und somit war sie immer noch wichtig für Ben und er hatte sie wieder umgetan. Mikael trug sein Armband derzeit nicht, allerdings nur aus dem Grund, weil er sonst über die Wunden an seinem Handgelenk scheuern würde.
    „Ich bin froh, dass du hier aufgetaucht bist“, sagte Ben und lächelte.
    „Ich bin froh, dass du mich nicht weggeschickt hast“, erwiderte Mikael.



    - FIN -

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