Inzwischen waren drei Tage ins Land gegangen.Frau Krüger war für die zügige Festnahme des Attentäters vom Polizeipräsidenten gelobt worden,während sie selber sich immer noch massive Vorwürfe wegen ihrer Fehleinschätzung der Situation und dem Tod des Wachmanns machte.
Besuche der Kollegen auf der Intensivstation waren immer noch nicht gestattet,aber Andrea fuhr täglich nach ihren Besuchen in der PASt vorbei und gab ein Statement über den Gesundheitszustand ihres Mannes ab.
Der Betrieb in der Ballettschule lief wieder und Ayda ging wie selbstverständlich zum Training und bereitete sich auf ihre Hauptrolle vor.Frau Neumann hatte Karls Stunden übernommen und probte auch seine Choreographie mit den Kindern.
Konrad war am nächsten Tag mit einem einflussreichen,befreundeten Arzt in der Uniklinik erschienen,da er dringend eine Verlegung seines Sohnes in eine Privatklinik forderte.Der hatte sich die Patientenakten angesehen und nur einen kurzen Blick auf Ben geworfen.Danach nahm er sich seinen Rotarierfreund zur Brust.“Konrad,du hast ja keine Ahnung,wieviel Glück Ben damit hat,dass er hier in der Uniklinik liegt.Nur wenige Krankenhäuser in der BRD haben die Möglichkeit einer ECMO und ohne die wäre er schon lange tot.Es wäre sein Todesurteil,wenn man ihn jetzt davon trennen würde.Sei froh,dass du ihn noch hast und ausserdem hat er in Sachen Gesundheitsfürsorge und da gehört für mich eindeutig auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht dazu,seinen Freund Herrn Gerkan eingesetzt und letztendlich bestimmt der jetzt,was gemacht wird.Es tut mir leid,aber ausser,dass er im Augenblick gar nicht transportfähig wäre,geschieht hier das Bestmögliche,um sein Leben zu retten.Wenn er das Ganze überleben sollte,was ich immer noch stark bezweifle,kannst du ihm ja danach eine Luxuskur finanzieren,aber jetzt soll er da bleiben,wo er ist,sonst bist du noch an seinem Tod schuld!“
Konrad sah eingeschüchtert seinen Freund mit offenem Mund an.Selten fand ihm gegenüber jemand so klare Worte,aber das schockte ihn jetzt doch.Er ging noch kurz zu seinem Sohn,wechselte auch ein paar belanglose Worte mit Semir,dem es anscheinend zügig besserging und fuhr dann wieder in seine Firma,um das nächste grosse Bauprojekt zu planen.Auch Julia fand,begleitet von ihrem Mann,kurz den Weg zu Ben.Sie strich ihm über die fieberheisse Stirn und flüsterte ihm zu:“Gute Besserung-und wenn du das überleben solltest,heisst dein Neffe mit zweitem Vornamen Ben und du musst Pate werden.“ Dann wurde ihr allerdings schon wieder ganz komisch und so brachte Peter sie schleunigst nach Hause,wo sie sich sofort wieder hinlegen musste.
Semirs Heilungsverlauf war absolut zufriedenstellend und so durfte er nach zwei Tagen,bewacht von einem kleinen,tragbaren Monitor,schon wieder mit Hilfe der Schwester,mit dem Gehwagen aufstehen.Sein erster Weg führte zu seinem Freund.Er fasste ihn mit beiden Händen an,irgendwie musste er ihn berühren und sich so vergewissern,dass er wirklich noch lebte.Nachdem die Narkosemittel wegen der Gewöhnung relativ schnell an Wirkung verloren,öffnete Ben auch sofort die Augen,als er seinen Freund spürte.Ein kleines Lächeln zog über sein Gesicht.Er war zwar immer noch furchtbar müde,aber nun wusste er sicher,dass Semir immer da war.Er hatte zwar gelegentlich gemeint seine Stimme zu hören,aber irgendwie war das so irreal gewesen.Aber jetzt war er sich sicher,Semir war da und passte auf ihn auf.Wie durch einen Nebel hörte er dessen Stimme:“Ben,du musst kämpfen,damit du wieder ganz gesund wirst!“ und er nickte,bevor er wegdämmerte.
Langsam begann nun das neue Antibiotikum bei Ben zu wirken.Die Entzündungswerte im Labor fingen an zu fallen und als man im Liegen im Bett eine erneute Röntgenkontrollaufnahme der Lunge machte,war eine deutliche Besserung der Pneumonie darauf zu erkennen.“Wenn die positive Tendenz so weitergeht,werden wir morgen versuchen,die ECMO auszuschalten,um zu sehen,ob der Gasaustausch über die Lunge wieder zufriedenstellend funktioniert!“ klärte der Arzt Semir auf.“Und wie geht’s dann weiter,falls das klappt?“ wollte nun Semir wissen.“Dann beginnen wir mit dem Weaning,also dem Entwöhnen von der Beatmungsmaschine.Stellen sie sich das aber nicht so einfach vor,wie das bei ihnen zum Beispiel gegangen ist.Sie waren nach ihrer medianen Sternotomie ja nur kurz nachbeatmet,während ihr Freund nun schon sehr lange maschinell beatmet ist und die Atemmuskulatur leider schon in kurzer Zeit zurückgeht.Das wird eine anstrengende Zeit für ihren Kollegen werden und es wird ihm sehr guttun,wenn sie ihn dabei begleiten! Ausserdem glaube ich fast,dass wir nicht darumherumkommen werden,das riesige Hämatom bei ihm doch auszuräumen,bevor sich das noch infiziert,aber diese Operation sollte besser stattfinden,wenn der Einsatz der ECMO nicht mehr nötig ist,also schieben wir das noch zwei Tage.“
Nun fragte Semir doch nach:“Sie haben bei mir irgendein medianes Dingsbums erwähnt,was meinten sie damit?“ „Um nach der Stichattacke das Ausmass der Herzverletzung einzuschätzen und reparieren zu können,mussten wir den schnellstmöglichen und übersichtlichsten Zugang zu ihrem Brustkorb nehmen.Wir haben deshalb nach dem Abpräparieren der Haut und Muskelschicht bei der Operation ihr Brustbein der Länge nach gespalten.Sie haben ja die Naht beim Verbinden schon gesehen.Mit einer oszillierenden Säge wird da der Knochen durchtrennt und dann der Thorax mit einem Spreizer sozusagen aufgeklappt,damit man ans Herz rankommt.Das ist übrigens der Standardzugang für die meisten offenen Herzoperationen.Nachdem wir den Herzbeutel übernäht hatten,wurde die Wunde schichtweise wieder verschlossen und das Brustbein mit sogenannten Drahtcerclagen wieder zusammengefügt.Das wächst üblicherweise wie ein Knochenbruch nach etwa 2-3 Monaten wieder zusammen.Normalerweise bleiben diese Drähte lebenslang drin,aber gesetzt den Fall,sie würden stören,was bei sehr schlanken Patienten manchmal vorkommt,kann man sie nach dieser Zeit bei einer weiteren Operation entfernen,aber wie gesagt,nur wenn sie stören.Sehr viele Menschen laufen mit solchen Drähten im Körper herum,ohne dass sie Probleme damit haben.Sie dürfen übrigens die nächsten drei Monate auf gar keinen Fall heben,oder schwer tragen,sonst wird ihr Brustkorb instabil!“ fügte er noch an. „Und arbeiten?“ fragte Semir eingeschüchtert,denn dass das so ein grosser Eingriff gewesen war,war ihm gar nicht bewusst gewesen,er hatte nämlich vergleichsweise wenig Schmerzen,oder die Schmerztherapie war einfach so gut.Der Arzt schüttelte lächelnd den Kopf.“Ein viertel Jahr müssen sie rechnen!“ erklärte er und liess nun einen deprimierten Polizisten zurück.