Beiträge von susan

    Die Sharpova hatte sich wieder ein wenig beruhigt, bis sie am Taxistand angekommen waren. „Welches ist der beste russische Spezialist hier in Köln?“ wollte sie von ihrem Sekretär wissen und der griff zum Telefon und kontaktierte einige vertrauenswürdige Landsleute, die ihm eine bestimmte Person weiterempfahlen. Als er das der Sharpova mitteilte und die Adresse der Praxis ganz in der Nähe sagte, wollte sie, ohne zuvor anzurufen, sofort zu diesem Mann fahren und der Sekretär winkte kommentarlos nach einem Taxi. Seine Chefin würde sowieso bekommen, was sie wollte-warum ihr dann im Wege stehen?
    Wenig später waren sie an der luxuriösen Praxis des ausgezeichneten Internisten mit russischen Wurzeln angekommen, der ihnen empfohlen worden war. Der Name Sharpov hatte unter den russischstämmigen Deutschen in Köln ein Gewicht und gegen die Zusicherung eines fetten Privathonorars ließ der Arzt seine bestellten Patienten im Wartezimmer sitzen und machte sich mit seinen beiden Begleitern auf den Weg zur Uniklinik.

    Dort war Ben inzwischen wach geworden-sehr wach! Obwohl Sarah ihn zu beruhigen versuchte, zerrte er schweißüberströmt an seinen Fesseln, mitleidig beobachtet von Semir. Andrea war inzwischen von Margot abgeholt worden, damit sie rechtzeitig wieder zurück waren, wenn die Kinder Schule und Kindergarten-Schluss hatten und so hatte Semir die letzten Stunden Ben´s zunehmende Wachheit beobachtet. Endlich konnte er auch gezielt reagieren und die Aufforderungen, die man an ihn richtete, erfüllen, aber erstens störte ihn der Tubus gewaltig und außerdem hatte er dazu schlimme Schmerzen! Obwohl das Sufenta noch niedrig dosiert lief, genügte es anscheinend nicht, Ben´s Wundschmerz im Zaume zu halten und so verzog er zwar das Gesicht-besorgt beobachtet von Sarah und Semir, aber er konnte sich auch nicht äußern, wie unerträglich ihm seine augenblickliche Situation schien. Was kein Problem darstellte, war der Zustand der Lunge-die Blutgase waren seit der intrathorakalen Blutstillung zügig besser geworden, es war Zeit, den Beatmungsschlauch zu entfernen.

    Endlich hatte der Stationsarzt, der zuvor einen Notfall versorgt hatte, Zeit und der Notfallwagen wurde ins Zimmer gefahren. In Stand-by, falls man doch wieder reintubieren müsste, stand der Wagen bereit und der Arzt saugte Ben´s Mund und Bronchien noch ein letztes Mal ab, was bei dem wieder einen schrecklichen Hustenanfall hervorrief, der ihm die Tränen in die Augen trieb. Trotz seiner Verletzungen und der ganzen Schläuche drehte man ihn auf den Rücken und stellte das Bettkopfteil hoch. Die Pflaster in seinem Gesicht wurden gelöst und während Sarah den Tubus entblockte, zog ihn der Arzt nun vorsichtig heraus und warf ihn weg, was bei Ben noch einen letzten Hustenstoß provozierte, ihn aber dann erleichtert aufatmen ließ. Mit einer Sauerstoffmaske auf dem Gesicht sog er gierig die Luft auf normalem Wege ein und war glücklich, als Sarah nun noch seine Handfesseln löste. Der Arzt blieb noch kurze Zeit neben dem Bett stehen und betrachtete prüfend Ben´s Sauerstoffsättigung, aber die blieb im Normbereich und so verabschiedete er sich kurz danach und ging zu seinem nächsten Patienten. Ben wollte was sagen und dazu die Maske von seinem Gesicht ziehen, aber Sarah legte den Zeigefinger auf ihren Mund und sagte liebevoll „Pscht, jetzt erhol dich erst und gewöhn dich wieder ans normale Atmen, später nehme ich die Maske weg!“ und Ben schloss tatsächlich noch ein wenig die Augen und tat, was Sarah ihm befohlen hatte, obwohl seine ganzen Verletzungen brannten, wie das Höllenfeuer.

    Kaum war die Sharpova mit ihrem Anhang im Hotel eingezogen, machte sie sich zunächst ohne ihre Kinder, nur begleitet vom Sekretär, auf in die Uniklinik. Als sie außen an der Intensivstation läutete und sich anmeldete, holte der diensthabende Stationsarzt sie erst einmal ins Arztzimmer, um mit ihr die Aussichtslosigkeit der Situation bei ihrem Mann zu besprechen. „Frau Sharpova, bei ihrem Mann ist es nach der Fentanylgasintoxikation leider zu schweren Komplikationen gekommen. Er hat erbrochen und das Erbrochene eingeatmet. Bis wir wieder eine ausreichende Sauerstoffversorgung des Gehirns herstellen konnten, hat das leider irreversible Schäden erlitten. Der Neurologe wird später noch einmal die Hirnströme zu messen versuchen, aber obwohl ihr Mann seit gestern Abend keine Sedierung mehr hat, hat er keinerlei Abwehrreflexe, die Pupillen sind entrundet und er wird nur noch von Maschinen am Leben gehalten. Wenn die weiteren Untersuchungen das bestätigen, was wir vermuten, werden wir ihn demnächst für tot erklären!“ sagte er sachlich, aber doch mitfühlend. Die Sharpova sprang auf und schrie: „Niemand wird mir meinen Waldemar wegnehmen! Wenn ihr deutschen Ärzte unfähig seid, muss ich ihn eben mit nach Russland nehmen, wo er bestens versorgt wird!“

    Der Arzt, der angesichts solch schrecklicher Eröffnungen an extreme Reaktionen der Angehörigen gewöhnt war, nahm das nicht persönlich, sondern erhob sich und sagte emotionslos: „Dann gehen wir erst einmal zu ihm und schauen, dass sie sich gebührend verabschieden können. Hatte nicht auch jemand gesagt, er hätte Kinder?“ Der Sekretär, der der Truppe über den Intensivflur gefolgt war, erklärte: „Ja, eine 17jährige Tochter und einen 15jährigen Sohn-die warten im Hotel, weil ihre Mutter sie nicht unnötig belasten wollte!“ Der Arzt sagte leise. „Ich würde trotzdem empfehlen, sie herzuholen, damit sie sich persönlich verabschieden können. Letztendlich müssen sie das natürlich selber wissen, aber in der Verarbeitung von Todesfällen naher Verwandter ist es besser, die Trauer und den Schmerz zuzulassen und sich das persönlich anzusehen, so fällt das Loslassen oft leichter.“ Der Sekretär nickte, während die Sharpova gar nicht mehr richtig zugehört hatte.

    Nachdem sie um zwei Ecken gebogen waren- eben war ihnen eine Frau mit zwei Handschienen begegnet- traten sie gemeinsam ins Patientenzimmer. Es war nur ein Bett belegt und in dem lag mit erhöhtem Oberkörper, angeschlossen an eine Menge blinkender Maschinen, Waldemar Sharpov. Er war intubiert, hatte einen mehrlumigen ZVK und eine Arterie und es liefen einige Perfusoren mit Elektrolyten, er bekam Infusionen, die fragliche Mängel in der Versorgung ausgleichen sollten und sonst sah er aus, als würde er schlafen. Seine Gesichtszüge waren zwar ein wenig aufgequollen, aber der Sekretär, der einen schrecklichen Anblick erwartet hatte, war positiv überrascht. Es war eigentlich kaum zu glauben, dass dieser Mann so totgeweiht sein sollte, wie der Arzt ihnen weiszumachen versuchte. Einen Moment war er fast unsicher, ob da nicht wirklich ein Irrtum vorlag, obwohl er eigentlich den deutschen Ärzten schon eine gewisse Kompetenz zusprach. Die Sharpova, die anscheinend dieselben Gedanken wie er hatte, trat zu ihrem Mann und sprach ihn auf Russisch an. Sie streichelte ihn, küsste ihn und als er nicht reagierte, schüttelte sie ihn sogar ein wenig. „Er hat doch sicher noch eine Narkose?“ fragte der Sekretär zweifelnd, aber der Arzt schüttelte den Kopf. „Die braucht er nicht mehr, denn das Gehirn ist so weit zerstört, dass er nichts mehr fühlen kann. Wir haben heute Morgen schon ein CCT des Schädels gemacht, aber das Gehirnrelief ist kaum mehr zu erkennen. Auch wenn das schwer vorstellbar ist-vor uns liegt ein Sterbender “- sagte er leise.
    Sharpov´s Frau wollte nicht glauben, was der Arzt ihr sagte: „Ich werde sofort einen russischen Arzt herholen, der soll ihn sich ansehen und dann eine Prognose stellen, wehe sie lassen ihn bis dahin sterben!“ sagte sie laut, so dass es bis auf den Flur hallte. Sarah, die gerade aus dem Stationszimmer zurückkam, wo sie einen Kaffee getrunken hatte, erhaschte im Vorbeigehen einen Blick auf die Frau des russischen Industriellen. Auch wenn er ein Verbrecher war und schuld daran, dass Ben und Semir so viel aushalten mussten, aber den Tod hatte er dennoch nicht verdient. Eine lebenslange Haftstrafe ja, aber in der Blüte seiner Jahre sterben zu müssen, war etwas, was niemand verdient hatte, zumindest in Sarah´s sozial geprägtem Universum. Das war etwas, was ihr ihren Beruf oft schwer machte, dieses Mitleiden mit den Patienten und Angehörigen. Aber man gewöhnte sich ein wenig daran und mit jedem Berufsjahr wurde es leichter.

    Während Sarah wieder zu Ben ging und Andrea, die ebenfalls gerade zu Semir getreten war, mit einem freundlichen Lächeln begrüßte, verließ die Sharpova, gefolgt von ihrem Sekretär, der den Arzt entschuldigend anblickte, wie eine Furie die Intensivstation, um sich ans Telefon zu hängen und einen russischen Spezialisten in der Nähe ausfindig zu machen. Sie traute dieser Bande nicht! Die wollten ihren Waldemar nur loshaben!

    Der Arzt gab der zuständigen Schwester, die inzwischen ebenfalls in Sharpov´s Zimmer gekommen war, seine Anordnungen. „Wir machen in der Therapie weiter, wie bisher, die Angehörigen sind noch nicht so weit, dass man vernünftig mit ihnen reden könnte. Ich hoffe jetzt, dass er nicht stirbt, bevor die Ehefrau einen Landsmann hergekarrt hat, der ihr dann das bestätigt, was ich ihr gesagt habe. Allerdings findet keine Reanimation statt, wenn sein Herz zu schlagen aufhört, das wäre unethisch!“ legte er fest und nachdem er das noch schriftlich in der Patientenkurve dokumentiert hatte, verließ er den Raum, um seiner weiteren Arbeit nachzugehen.

    Also Yon-vielleicht muss ich zu unserem Treffen im November doch mal so ne flotte Kunsstoffschiene mitbringen! Diese Dinger werden im Spritzgussverfahren hergestellt und hinterher noch ein wenig abgeschliffen und angepasst. Das macht man, wenn möglich, direkt nach der OP noch in Narkose, da sozusagen den Negativabdruck der Hand/ des Unterarms aus Gips herzustellen. Sonst halt dann nach der Entlassung, was aber meistens kleine Passformprobleme mit sich bringt, da die Hände ja erst mal ein wenig anschwellen.
    Ich hatte ne Hand-OP nach nem Pferdeunfall in Plexusanästhesie, also ohne Vollnarkose und durfte mir deshalb das Design selber aussuchen und habe mich für was in Jeansoptik mit unregelmässigen Streifen entschieden-voll cool. Mädchen lieben rosa Schienen, aber prinzipiell ist das egal, welches Granulat der Schienenhersteller in die Form gibt. Wichtig ist das Ergebnis und das sind heute leichte, abwaschbare Schienen, die man anfangs mit Stülpa drunter trägt, bis die Wunden abgeheilt sind und später einfach nur so auf der blanken Haut. Das erhöht die Bereitschaft, die Dinger zu tragen und die Ergebnisse können sich sehen lassen! In der Handchirurgie ist die perfekte Kombination aus geregelter Bewegung und Ruhigstellung immens wichtig, aber Andrea wird das mit Hartmuts Hilfe schon machen!

    Und warum sich Semir nicht unwohl fühlt beim Auffiebern? Nur wenn das Fieber rasch steigt und man Schüttelfrost bekommt, ist Auffiebern unangenehm. Man fühlt sich sonst eigentlich ganz wohl in seiner Haut und ist nur schrecklich müde und will seine Ruhe haben. Allerdings herrscht im Krankenhaus die Lehrmeinung (wobei ich da die Richtigkeit, wie auch viele Ärzte und Naturheilkundler bezweifle), dass zu hohes Fieber den Patienten stresst und deshalb ergeht an uns als Personal immer individuell die Anordnung, ab wieviel Grad das Fieber bei jedem einzelnen Patienten, falls möglich, zu senken ist. Der Wert liegt ja bei Semir mit 39,5°C recht hoch-bei anderen liegt der schon bei 38,5°C, aber das ist für ansonsten gesunde Patienten mit einer akuten Erkrankung durchaus üblich.
    Ich kriege immer sofort Fieber, wenn ein Infekt sich anbahnt, bin dann aber in Windeseile auch wieder gesund, wenn ich mich mal zwei Tage ins Bett lege, aber das ist bei jedem anders!

    Nachdem die Zeitverschiebung vier Stunden betrug, kamen die Sharpova, ihre missgelaunten Kinder und der gestresste Sekretär schon um 9.30 Uhr Ortszeit in Düsseldorf an. Ein luxuriöses Hotel in Köln nahe des Universitätsklinikum war bereits gebucht und während sich der Sekretär um das aufwendige Gepäck kümmerte, waren Sharpov´s Frau und seine Kinder im Flughafenshop und versuchten sich die Zeit mit Einkäufen zu vertreiben. Leider hatten sie ja eigentlich schon, was das Herz begehrte und so kamen irgendwelche Nichtigkeiten als Frustkäufe zustande und als der Sekretär endlich auf der Matte erschien und vermeldete, dass das Großraumtaxi, beladen mit ihren Habseligkeiten, bereit stünde, bekam er als Dank für seine Mühen, nur einen vernichtenden Blick geschenkt. Wenn sein Chef Waldemar ihn nicht immer großzügig bedenken und ihm ständig mitteilen würde, wie wichtig seine Diskretion und Mitarbeit wäre, hätte er den Job schon lange gekündigt! Aber so konnte er nirgendwo anders so viel verdienen, wie in der Sharpov´schen Villa und die Unterkunft und Verpflegung waren zudem exquisit. Wenn allerdings seine Freundin endlich Lust zum Heiraten hätte, würde er voller Begeisterung den Job kündigen, der ihn eher an moderne Sklaverei, als eine ausfüllende Berufstätigkeit erinnerte!

    Auch bei Semir und Ben war der Morgen angebrochen. Semir hatte erstaunlicherweise mitsamt seiner Gesichtsmaske relativ gut geschlafen. Was eher störend gewesen war, war, dass er immer wieder auffieberte und sich damit gar nicht so unwohl fühlte. Ging die Temperatur allerdings zu hoch, bekam er wieder leise eine Paracetamolinfusion angehängt und schwamm danach vor lauter Schwitzen beinahe aus dem Bett. Sarah und die Nachtschwester versuchten ihn dann zwar frisch zu machen, ohne dass Ben wach wurde, aber trotzdem fühlte er dann immer dessen fragenden Blick auf sich ruhen. Anscheinend hatte der genau so viel Sedierung, dass er schlafen und den Tubus tolerieren konnte, aber trotzdem von seiner Umgebung genügend mitbekam, dass er verwirrt war und nicht wusste, wie die Zusammenhänge waren. Ach wie sehr sehnte Semir sich ihren normalen Alltag zurück, wo man einfach sagte, was Sache war, seiner geliebten Arbeit nachging und dabei immer Zeit für einen flapsigen Spruch hatte. Aber diese Rauschgift-Kunstsache hatte Dimensionen angenommen, die keiner von ihnen vorher erwartet hätte!

    Bei der Übergabe um kurz nach sechs wurde dann, wie der Arzt am Vortag angeordnet hatte, Ben´s Sedierungsperfusor komplett ausgeschaltet. Nur das Sufenta lief noch in einer kleinen Spur mit, da die Schmerzen sonst für ihn nicht auszuhalten gewesen wären. Nachdem das Midazolam noch im Organismus nachwirkte, wurde Ben erst allmählich wacher. Der Pfleger, der am Vortag dagewesen war, hatte seine beiden Patienten mit einem Lächeln begrüßt. Heute hatten sie die Patientenaufteilung anders gemacht als gestern und so hatte er als dritten Patienten nicht Sharpov, sondern einen jungen Mann, der nur zur Überwachung da war, denn erfahrungsgemäß waren das Weaning und die geplante Extubation durchaus aufwendig.

    Während der Pfleger sich dann Semir zur gründlichen Ganzkörperpflege widmete, begann Sarah nun wieder Ben zu waschen. Ganz so friedlich, wie in der Nacht zuvor lief das allerdings nicht ab, da er ja nicht mehr tief und fest schlief, sondern wacher wurde, aber leider noch keinen Peil hatte. Sie sprach die ganze Zeit mit ihm, er erkannte sie anscheinend auch, aber mit dem Inhalt ihrer Worte konnte er wenig anfangen. Als sie seine Hände losmachen musste, um den Rücken ihres Freundes, soweit er nicht von Verbänden verklebt war, zu waschen, holte sie sich vorsichtshalber Jens dazu, denn es wäre der Alptraum, wenn sich Ben nochmals den geblockten Tubus ziehen würde. Es machte zwar Mühe, aber miteinander schafften sie es, Ben zu bändigen und als er frisch gewaschen im frisch bezogenen Bett lag, schloss der die Augen wieder und schlief erschöpft vor sich hin.
    Sarah sagte, während Jens gerade Semir´s Atemmaske zum Zähneputzen und Rasieren entfernte: „Du, ich gehe jetzt schnell mal in mein Appartement, dusche mich und zieh mich um. Danach bin ich wieder da und passe auf die beiden auf!“ und ihr Kollege nickte. Bei Semir klappte es heute mit der Sauerstoffbrille schon viel besser, als am Vortag. Seine Sättigung sank nicht mehr ganz so tief und die Atemnot hielt sich in Grenzen. Jens nahm noch ein Kontrollgas ohne CPAP ab, aber als er danach die Maske wieder festschnallte, war Semir dennoch erleichtert, dass er wieder problemlos Luft bekam. Das hätte er sich auch nicht träumen lassen, dass er sich an so eine Maschine sehnte, die doch eigentlich unbequem war, aber er merkte einfach, wie gut ihm diese Überdruckbeatmung tat und ruhte sich nun ebenfalls wieder ein wenig aus.

    Andrea hatte auch recht gut geschlafen, was sie erstaunte, aber ihr erschöpfter Körper hatte das einfach verlangt. Sie wusste Semir bei Sarah in guten Händen und so war sie nur einmal wach geworden und hatte ein Schmerzmittel gebraucht. Die Schwester half ihr morgens beim Waschen und Anziehen und Andrea war sehr froh, dass ihre Mutter und Susanne lauter praktische, weite Sachen zum Schlüpfen eingepackt hatten. Sie bekam noch Frühstück und die gleiche Schwesternschülerin wie gestern gab ihr das Essen ein. Kaffee trinken funktionierte ganz gut mit Strohhalm und Andrea seufzte, als sie an die kommenden Wochen zuhause dachte, aber das musste einfach gehen. Danach wurde es zwar ein wenig unangenehm, als der Arzt ihr die Drainagen zog und einen dünnen Verband um die sauber vernähten Schnittwunden machte, aber auch das war auszuhalten. Sie bekam noch eine Tagesration Schmerzmittel, einen Brief an den Hausarzt und den nächsten Vorstellungstermin in der Handambulanz mit und der Orthopädietechniker des Krankenhauses passte ihr zwei Handschienen aus Kunststoff an. Die hatten ein flottes Design und waren gar nicht mehr so dick und sperrig, wie die Gipsschienen. Außerdem wurden die mit Klett befestigt und Andrea war nun etwas versöhnt mit der Situation. Bevor sie sich abholen ließ, musste sie nun aber dringend zu ihrem Mann und machte sich auch gleich auf den Weg. Sogar das Knöpfchendrücken am Fahrstuhl, als auch das Läuten außen an der Intensiv klappten ganz gut-sie würde mit der Situation schon zurecht kommen und das Wichtigste war, dass sie Semir gerettet hatte, da nahm sie die Unannehmlichkeiten doch gerne in Kauf!

    Vielleicht lag es am anderen Narkosemittel, oder auch an Sarah´s und Semir´s Gegenwart, die Ben sehr wohl wahrnahm, aber er tauchte langsam aus dem wirren Meer seiner Träume und Gedanken in die Realität. Eine halbe Stunde, nachdem Sarah die Sedierung reduziert hatte und sich wieder entspannt auf den bequemen Stuhl neben seinem Bett gesetzt hatte und sanft seine festgebundene Hand streichelte, schlug Ben zum ersten Mal die Augen auf. Sarah erhob sich, beugte sich ein wenig über ihn, damit er sie sehen konnte und lächelte ihn liebevoll an. Ruhig sagte sie: „Hallo Schatz! Es ist alles in Ordnung, schlaf noch ein bisschen und ruh dich aus!“ Ben musterte sie ein Weilchen, währenddessen man erkennen konnte, wie es in seinem Kopf arbeitete, dann versuchte er etwas zu sagen und bemerkte erneut den lästigen Tubus. Nachdem immer noch der Doppellumentubus lag, der aber nur noch an einer Stelle geblockt war und gleichzeitig beide Lungenhälften belüftete, war der sogar noch ein wenig dicker, als der, den Ben selber entfernt hatte. Aber mit Sarah´s gutem Zureden schaffte Ben es, den Schlauch zu akzeptieren und glitt wieder in einen leichten Schlaf.

    Auch Semir hatte den Kopf zu seinem Freund gewandt und zwar erschöpft, aber doch mit Interesse beobachtet, dass Ben anscheinend keinen Stress hatte. Auch sein Blutdruck und Puls waren nur unmerklich angestiegen und so dämmerte auch Semir wieder in einen Zustand zwischen Schlafen und Wachen und alles blieb ruhig. Semir´s Blutgase hatten sich nicht verschlechtert und als abends Andrea nochmals vorbeisah und ein Weilchen an seinem Bett saß, bedeutete er Sarah, die Maske kurz zu entfernen, was sie auch sofort machte. Obwohl es ihm mit der Sauerstoffbrille sichtlich Mühe bereitete zu atmen, fragte er seine Frau: „Schatz, wie geht´s dir-und wie geht´s den Kindern?“ Andrea lächelte ihn an. „Mir geht´s ganz gut, ich nehme halt die Schmerzmittel, die sie mir geben, sonst würde es schon noch ziehen, aber der Arzt hat vorhin nochmals bestätigt, dass ich morgen die Drainagen rauskriege und danach entlassen werde. Meine Mutter holt mich ab und die Mädels sind guter Dinge, weil die Oma da ist!“ „Na Gott sei Dank!“ sagte Semir rau und bat Sarah noch um einen kleinen Schluck zu trinken, was sie ihm auch mit dem Schnabelbecher eingab. Danach war es allerdings wieder dringend notwendig die Maske aufzusetzen, aber Semir hatte sich inzwischen daran gewöhnt und konnte auch darunter ganz gut ausruhen. Langsam begann auch Sarah zu hoffen, dass man um eine Intubation bei ihm herumkommen würde.

    Sie brachte Andrea zurück auf die Station, um sich auch ein wenig die Füße zu vertreten. Ihre Kollegen hatten Pizza bestellt und holten sie danach ins Stationszimmer, so dass sie wenigstens etwas im Magen hatte-bisher hatte sie sich überwiegend von Kaffee und Cola ernährt.
    Frisch gestärkt machte sie mit ihrer Kollegin die beiden Patienten noch für die Nacht fertig und dann streckte sie sich selber im Zimmer auf dem flachgestellten Mobilisationsstuhl, eng neben Ben aus. Obwohl sie es nicht für möglich gehalten hätte, war sie in Kürze eingeschlafen und als die Nachtschwester zur ersten Runde ins Zimmer kam, fand sie drei friedlich schlafende Menschen vor und verließ auf Zehenspitzen wieder den Raum.

    Die Sharpova hatte derweil im fernen Almaty alles vorbereitet, oder vielmehr vorbereiten lassen. Sie war eine Russin aus reichem Hause und hatte bereits viel Geld mit in die Ehe gebracht. Sie wurde von ihren Bekannten und Freunden erst geschnitten, als sie vor über zwanzig Jahren den Deutsch-Russen Sharpov geheiratet hatte. Man blieb in den ethnischen Gruppierungen normalerweise unter sich und die Deutschen waren im damaligen Zentralrussland nicht sonderlich angesehen. Auch nach der Aufspaltung in eigenständige Staaten war das nicht anders gewesen. Sharpov allerdings hatte seinen Sonderstatus genutzt und war nach Deutschland gegangen, um dort sein Glück zu machen und als der Rubel dann nur so rollte, konnten merkwürdigerweise dann auch die alten Bekannten etwas mit der Beziehung der beiden anfangen. Schade war nur, dass er immer so wenig Zeit gehabt hatte, aber man musste verstehen, die Firma ging einfach vor, wie er ihr immer erklärt hatte. Sie hatten früher täglich telefoniert und seitdem das Internet überall alltäglich geworden war, hatten sie geskyped und waren sich dadurch immer nahe geblieben. Waldemar hatte ihr versichert, ihr immer treu geblieben zu sein und sie hatte ihr Glück kaum fassen können, als er ihr erklärt hatte, dass er einen Käufer in Deutschland für ihre Firma gefunden hatte und nun endgültig zu ihr und den Kindern zurückkommen würde.
    Sie konnte gar nicht glauben, was die Schwester am Telefon zu ihr gesagt hatte-das konnte einfach nicht wahr sein, dass sie ihren geliebten Mann verlieren sollte. Aber was wusste eine Krankenschwester schon? Die im Krankenhaus ahnten vermutlich nicht, wie reich sie waren. Sie würde ihm die besten Ärzte kaufen, ihn in eine Spezialklinik verlegen lassen und dann würde er schon wieder gesund werden. Daher hatte sie den Sekretär auch angewiesen mitzufliegen, damit der in Deutschland auch alles organisieren konnte. Nach einer kurzen Nacht standen sie früh auf und machten sich auf den fünfstundigen Direktflug mit einer Linienmaschine nach Düsseldorf.

    Nachdem Hartmut Andrea wieder zum Zimmer zurückgebracht hatte, half er ihr die heimatliche Telefonnummer anzuwählen und versprach er ihr noch, sich morgen die endgültigen Handschienen anzusehen und ihr dann technische Hilfsmittel zu basteln. Die nickte, um dann mit Margot und den Kindern zu telefonieren und Hartmut machte sich auf zum Neumarkt.

    Die uniformierten Polizisten, die die Betonsymphonie immer noch bewachten, ließen sich seinen Ausweis zeigen und so durfte sich der rothaarige Techniker danach ohne Probleme das Kunstwerk aus der Nähe betrachten. Außen war die angesägte Betonspitze zu erkennen, die immer noch mit Ben´s Blut besudelt war, was Hartmut erschauern ließ. Als er, bewaffnet mit einer starken Lampe, dann das Innere betrat, konnte man zwar erkennen, dass da Markierungen angebracht waren-anscheinend hatte sein Kollege da zwar fotografiert, aber wo genau das Kokain versteckt gewesen war, konnte man auf Anhieb nicht erkennen. Gut, der Innenstadtmann wusste ja nicht um die Zusammenhänge und war sicher überzeugt gewesen, dass man da die Päckchen irgendwie mit Klebefolie, oder in Nischen gestopft übergeben hatte. Hartmut allerdings war überzeugt davon, dass da ein raffinierteres System zu Grunde lag und als er Zentimeter für Zentimeter die Innenwand untersuchte, konnte er plötzlich ein kleines Scharnier wahrnehmen. Er ging zurück zu seinem Auto und holte einen Hammer und Meißel-wie gut, dass er immer das nötigste Werkzeug dabei hatte-und begann dort den Beton weg zu klopfen. Dem uniformierten Polizisten, der neugierig zugesehen hatte, was sein Kollege da so trieb, blieb beinahe der Mund offen stehen, als Hartmut binnen kurzem vier kleine, perfekt getarnte Safes freilegte. Es war kein Schlüsselloch oder Ähnliches zu erkennen, aber Hartmut würde schon herausfinden, wie man die aufbekam. Nicht zuletzt Irina wusste da Bescheid-immerhin hatte sie sich am Vortag ja großzügig bedient, wie er gesehen hatte.
    Zufrieden verließ Hartmut das Kunstwerk wieder, um der Chefin Bescheid zu geben und schweres Gerät anzufordern. Wenig später waren die vier Safes mit einem Kompressor von einem Spezialisten aus ihrem Versteck gebrochen und zur weiteren Untersuchung auf dem Weg in die KTU.

    Margot hatte das Mittagessen vorbereitet und die Kinder aus Schule und Kindergarten geholt. Strahlend waren ihr die in die Arme geflogen: „Oma!“ hatte Ayda gerufen und ebenso Lilly, die sie danach gemeinsam aus dem Kindergarten abgeholt hatten. Die Erzieherinnen kannten Margot und waren morgens auch von Susanne schon informiert worden, so dass es keine Schwierigkeiten machte, die kleine Maus mitzunehmen.
    Nach dem Essen hatte Margot den Kindern erzählt, dass sie Mama und Papa im Krankenhaus besucht habe und die Mama morgen schon wieder nach Hause kommen würde, allerdings mit zwei wehen Händen. „Die Oma wird jetzt ganz lange bei euch bleiben und der Mama helfen!“ kündigte sie ihren Enkelkindern an, die deswegen recht erfreut waren. Die Oma bürgte für Programm und deswegen waren sie sehr vergnügt, als später Andrea anrief und kurz mit ihnen am Telefon sprach. Als Margot danach den Hörer wieder übernahm, sagte sie zu ihrer Tochter: „Du siehst, ich habe hier alles im Griff, du kannst dich heute also noch gut erholen und wenn ich dich morgen abholen darf, rufst du einfach an-ab 8.30 Uhr bin ich wieder zuhause und Andrea stimmte zu. Nur auf Margot´s Frage, wie es Semir ginge, sagte sie ein wenig verzweifelt: „Schlecht, Mama, schlecht!“ und dann beendete sie das Gespräch.

    Sarah hatte Semir inzwischen mit kühlem Pfefferminzwasser herunter gewaschen, was der als äußerst wohltuend empfand. Die unteren Regionen sparte sie dezent aus-das sollte einer ihrer Kollegen übernehmen-sie wollte nicht, dass Semir sich unbehaglich fühlte und so krank er war, nahm er das dankbar zur Kenntnis. Auch sein verschwitztes Laken hatte sie noch gewechselt und als sich Semir danach ausruhte, meinte er, sich schon ein wenig besser zu fühlen.
    Bei Ben hatte sie eigenhändig geprüft, wie fest die Handfixierungen saßen, bevor sie, wie mit dem Stationsarzt abgesprochen, die Sedierung reduzierte. Allerdings wäre das gar nicht notwendig gewesen, denn diesmal tauchte Ben ganz langsam und ohne sich zu wehren aus den Tiefen der Narkose auf.

    Ja Yon-ich weiss schon, meine Erzählungen sind immer ganz schön ausschweifend-es gibt von mir auch Storys, da werden 2 Monate Realzeit in inzwischen bereits 13 Monaten erzählt! ^^ .
    Auch wenn es dich wundern sollte-wir haben inzwischen wirklich erst den Nachmittag des ersten Tages nach den Vorfällen am Betonkunstwerk! Also soooo lang war der Kulturreferent doch noch nicht eingesperrt und natürlich wurde er von den motivierten Mitarbeitern der PASt auch mit Essen und Trinken versorgt-er hat nach seiner Entlassung auch nicht putzen müssen, was sonst nach einem Zellenaufenthalt so üblich ist-wir haben ja im Krankenhaus gute Connections zur Polizei und die erklären uns immer, dass die Insassen der Zellen nachher mit Desinfektionstüchern saubermachen müssen!
    Ach ja, noch eine Frage habe ich noch nicht beantwortet: Auf der Intensiv wird bei der Belegung keine Rücksicht auf das Geschlecht der Patienten genommen, wenn man nur Zweierboxen zur Verfügung hat. Da berücksichtigt man eher Sachen wie: Muss der Patient isoliert werden, wie gross ist die Gefahr von Schmierinfektionen etc. Also werden eher zwei Patienten, die am Bauch operiert sind, als zwei Knochenop´s zusammengelegt, egal ob Männlein oder Weiblein. Auch Einzelzimmer werden nicht an Privatpatienten vergeben, sondern an jemand der isoliert werden muss-oder umkehrisoliert, weil seine Immunabwehr aussteigt.
    Wir haben dafür Vorhänge zwischen den Betten-wir haben uns da übrigens babyblaue ausgesucht :D , der Vorhang wurde allerdings zwischen Semir und Ben weggelassen-gut, das hätte sonst evtl Semir´s Logenplatz bei der Thorakotomie ein wenig eingeschränkt-na ja, ein wenig künstlerische Freiheit braucht man halt!

    Hallo Elli!
    Auch ich wünsche dir einen schönen, erholsamen Urlaub mit deiner Familie-ist sicher schön, mal wieder die Eltern und Geschwister und nicht zuletzt die Heimat zu sehen. Nachdem ihr ja nicht gerade nahe beieinander wohnt, ist das wohl eher selten und deshalb um so schöner!
    Lass dich ein wenig verwöhnen, erhol dich gut und komm mit vielen neuen Ideen wieder zurück.
    Auch ich warte schon gespannt, wie die Story weitergeht!

    Ja, soviel zum Thema Japaner und Ehrenmann. Die sind auch nur durch gewisse männliche Körperteile :D gesteuert! Allerdings provoziert natürlich Yvette durch ihr aufreizendes Outfit die Reaktion noch zusätzlich! Gut, dass Haruto anruft und seinen Sohn ablenkt, sonst hätte ich schwarz für Yvettes Tugend gesehen.
    Im Altenheim reanimieren Semir und Timo derweil den alten General. So wie es aussieht, machen sie die Sache gut und professionell, allerdings weiss man halt nicht, wie sehr das alte Herz schon geschädigt ist und ob das Alles noch einen Wert hat, allerdings hat der General ja auch ein stolzes Alter, da sollte man auch in Würde abtreten dürfen!
    Ah, jetzt haben wir also erfahren, wie es zu der Kaiserbegegnung des Generals kam-seine blühende Phantasie hat ihm Erzählungen aus seiner Kindheit so real erscheinen lassen, dass er selber dran geglaubt hat.

    Die Chefin hatte sich das unbedingt notwendige Schlafpensum, das sie brauchte, um einigermaßen funktionieren zu können, gegönnt. Als sie frisch gestylt um die späte Mittagszeit in der PASt ankam, stellte sie gerührt fest, dass auch ohne ihre Organisation der Dienstbetrieb aufrechterhalten worden war. Alle direkt an der Geiselnahme Beteiligten waren noch zuhause und dafür mehrere Kollegen freiwillig aus dem Frei gekommen. Das „Wir-Gefühl“ war anscheinend in ihrer Dienststelle erhalten und als sie in ihr Büro ging, überfiel sie auch niemand mit irgendwelchen Fragen, sondern ein Kollege stellte ihr mit einem freundlichen „Guten Tag!“ eine Tasse Kaffee hin. Als sie tief durchgeatmet hatte, ließ sie den leitenden Beamten vortragen, was es für wichtige Neuigkeiten gab. Allerdings war eigentlich nur der Routinebetrieb abgelaufen und die einzige Frage, die dem Polizisten auf den Nägeln brannte, war die, was mit dem Kulturreferenten in der Zelle passieren sollte. Der Chefin fiel erst jetzt siedendheiß ein, dass sie diesen Weidenhiller völlig vergessen hatte, weil sie den ja unbedingt persönlich hatte befragen wollen und dann war die Meldung vom Flughafen gekommen. Ach du liebe Güte-hoffentlich gab es da keinen Ärger deswegen. Jeder Anwalt hätte ihn sofort herausgeholt, denn er war ja irgendwie nicht tatverdächtig, sondern hatte sich nur auffällig benommen und sollte deswegen befragt werden. Sofort stand sie auf, um ihn zu vernehmen und dann mit einer Entschuldigung nach Hause zu schicken, als gerade Hartmut anrief. Sie teilte ihm mit, was sie ihm zu sagen hatte und ging dann selbst zur Zelle, um den Politiker in den Verhörraum zu bringen.

    Der Mann musterte sie kurz von oben bis unten, als sie die Tür öffnete. Irgendwie war Frau Krüger der kalte Blick ein wenig unheimlich, aber wenig später setzte der Anzugträger wieder ein verbindliches Lächeln auf und folgte ihr in den Verhörraum. Sie bot ihm eine Tasse Kaffee an, die er dankend entgegennahm und die Krüger versuchte, möglichst verbindlich zu wirken, um keinen Ärger zu provozieren. „Herr Weidenhiller, es tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, bis ich Zeit für sie gefunden habe, aber bei uns war einiges los!“ erklärte sie ihm und schilderte ihm auf seinen fragenden Blick hin, grob die Einzelheiten der Geiselnahme. Er würde das, sobald er nach Hause kam, sowieso erfahren und wenn sie ihm ein wenig in Augenhöhe begegnete, dann würde er vielleicht auf eine Beschwerde verzichten. Weidenhiller nickte und nun fragte er seinerseits:“Wie geht es denn Herrn Jäger?“ und die Chefin zuckte mit den Schultern. „Nicht so gut, er liegt beatmet im Universitätsklinikum und auch die Familie Gerkan hat die Geiselnahme nicht sonderlich gut überstanden und ist ebenfalls dort. Wenn sie mir jetzt noch kurz erklären, warum sie versucht haben am Neumarkt zu fliehen, dann sind wir auch schon fertig!“ erklärte sie und der Kulturreferent sagte harmlos. „Ich habe mich geschämt, weil ich so voyeuristisch war und die Rettungsarbeiten behindert habe. Ich hatte gedacht, ich könnte unbemerkt verschwinden, aber leider wurde mein Tun dann falsch interpretiert. Ich kam zufällig des Wegs, denn ich fahre immer von der Innenstadt nach Lindenthal, wo ich wohne mit der U-und Straßenbahn und muss am Neumarkt umsteigen. Witzigerweise bin ich da schon mehrfach Herrn Jäger begegnet, der das ihnen gegenüber vielleicht erwähnt hat!“ und die Chefin akzeptierte seine Erklärung. „Damit hätten wir das geklärt, ich darf mich noch kurz für die Unannehmlichkeiten entschuldigen und wünsche ihnen einen schönen Nachmittag!“ sagte Frau Krüger und ließ den Mann von einem uniformierten Polizisten nach Aushändigung seiner privaten Sachen, wie Handy etc., hinausbringen. Vielleicht hatte sie ja Glück und da kam nichts nach-er hatte auf jeden Fall nicht besonders rachsüchtig gewirkt. Während die Chefin ihrer weiteren Arbeit nachging, stieg der Kulturreferent in das nächste öffentliche Verkehrsmittel, um über den Neumarkt nach Hause zu fahren.

    Hartmut war inzwischen zu Andrea gegangen. Die hatte nach dem Mittagessen, bei dem ihr eine junge Schwesternschülerin geholfen hatte, noch ein paar Schmerztabletten bekommen und hatte ein ausgiebiges Mittagsschläfchen angehängt. Was sollte sie sonst auch tun? Es wurde sicher nicht gerne gesehen, wenn sie ständig auf der Intensivstation herumlungerte und die Schwester hatte sie noch darauf aufmerksam gemacht, dass sie zumindest die ersten Tage die Hände möglichst hochhalten-oder legen sollte, damit das Blut sich nicht staute und die völlig normale Wundschwellung noch verstärkte. Also lag sie im Bett, jeden Arm auf einem Kissen gelagert und wartete nach dem Aufwachen, dass die Zeit verging. Als nun Hartmut, nach seinem Klopfen, den Kopf zur Tür hereinsteckte, war sie hocherfreut und nachdem sie sich kurz unterhalten hatten, machten sie sich gemeinsam auf den Weg zur Intensivstation.

    Hartmut hatte gesehen, wie behindert Andrea mit den beiden Verbänden war und sofort hatte es in seinem Kopf zu rattern begonnen, mit welchen technischen Hilfsmitteln er sie ausstatten könnte, damit sie die kommenden sechs Wochen gut überstehen konnte und die Hände trotz Verband ein wenig nutzen konnte-er hatte da schon ein paar Ideen!
    Als die beiden an der Intensiv ankamen, läutete Hartmut, aber Andrea meldete sich an-vermutlich hätte man Hartmut sonst gar nicht reingelassen, aber so standen die beiden wenig später vor den beiden Schwerkranken. Sarah begrüßte sie herzlich und stellte Andrea auch gleich einen Stuhl an Semir´s Bett, der inzwischen das Paracetamol zur Fiebersenkung erhalten hatte und nun dabei war, vor lauter Schwitzen aus dem Bett zu fließen. „Ich wollte ihn gerade ein wenig abwaschen!“ sagte Sarah entschuldigend, aber so wurde das noch kurz vertagt. Semir erkannte zwar seine Frau und lächelte unter seiner Maske, aber als sie versuchten, die nur für ein paar Minuten abzunehmen, fiel sofort die Sauerstoffsättigung in den kritischen Bereich, so dass Sarah nur schnell sein Gesicht abwusch und dann die Maske wieder festschnallte. Andrea legte die beiden verbundenen Arme auf seine Brust und blieb einfach ganz nah bei ihm sitzen, um ihm so ihr Mitgefühl und ihre Liebe und Sorge mitzuteilen. Semir schloss die Augen wieder und dämmerte vor sich hin.

    Hartmut, der auch zunächst kurz Semir begrüßt hatte, stand nun vor Ben und beobachtete interessiert die ganzen Maschinen, Kabel und Drainagen. Er ließ sich von Sarah die Technik der Thoraxdrainage erklären und nickte mit dem Kopf-ja das war klar und verständlich für ihn, während Andrea nach ein paar Worten nicht mehr zuhörte, weil sie nur Bahnhof verstand. Etwas unsicher nahm er dann aber kurz Ben´s Hand und sagte: „Hey Ben, schau bloß, dass du bald wieder fit wirst, aber ich habe da keine Sorge-Sarah hat das schon im Griff-und tatsächlich beschleunigte sich Ben´s Herzschlag daraufhin kurz, obwohl er völlig ruhig liegen blieb. Sarah und ihre Kollegin hatten Ben vorher abgesaugt und tatsächlich kamen nur noch ein paar alte Blutreste aus der Lunge und sonst waren die Werte durchaus stabil.
    Wenig später kam der Stationsarzt ins Zimmer und sah überrascht die Besucher an. Allerdings waren seine Mitteilungen ja keine geheime Verschlusssache und so informierte er die Anwesenden. „Ich habe gerade die Röntgenbilder angesehen. Bei Herrn Jäger hat sich die Lunge gut entfaltet und die Thoraxdrainage liegt auch gut, das bedeutet, dass kein Grund besteht, ihn noch länger zu beatmen. Wir werden jetzt beginnen, die Sedierung zu reduzieren und planen für morgen die Extubation.

    Anders bei ihnen Herr Gerkan! Ihre Röntgenbilder schauen katastrophal aus und sie haben eine schwere Aspirationspneumonie entwickelt. Wenn sie die Maske tolerieren können, können wir versuchen, das ohne Intubation hinzukriegen, aber wenn sie das Gefühl haben, es nicht mehr aushalten zu können, müssen wir sie schlafen legen!“ Semir nickte leicht, zum Zeichen, dass er verstanden hatte und Andrea kamen fast die Tränen, auf diese Mitteilung hin. Der Arzt ging wieder aus dem Zimmer und Andrea blieb noch eine Weile bei ihrem Mann sitzen, bis Sarah zu ihr sagte: „Andrea, es ist besser, du legst dich noch ein wenig hin-ich werde Semir jetzt dann frisch machen, denn das Fieber ist gesunken. Ich verspreche dir, ich passe gut auf ihn auf und wenn sich irgendwas ändert, gebe ich dir sofort Bescheid!“ und Andrea nickte und erhob sich. Mit einem Winken verabschiedete sie sich und ging mit schleppenden Schritten, wie eine alte Frau, gefolgt von einem betrübten Hartmut, zum Fahrstuhl.

    Na immerhin hat Semir richtig gehandelt und seine Kollegen verständigt-die sehen das allerdings sehr leger, wenn ich das mal sagen darf!
    Nun hat Timo einen wertvollen Helfer-den alten General! Auch wenn der immer wieder von Herzbeschwerden gepeinigt wird, mag er Timo sehr gerne und würde alles tun, um ihm zu helfen! Er vermutet sogar in Semir einen Bösewicht, was Timo dann aber Gott sei Dank ausräumt, nicht dass der Pensionär noch auf dumme Gedanken kommt!- Der hat sicher noch irgendwo ne Waffe versteckt! Ich weiss zwar nicht, warum die Herstellung von Falschgeld im Ausland im Ergebnis anders aussieht, aber das werden wir vermutlich schon noch erfahren!

    Hartmut war nach Hause gefahren und hatte sich hingelegt. Als er gegen Mittag aufwachte, konnte er immer nur an Irina denken. So ein Mist-die war ein russischer Junkie und er sollte sie eigentlich so schnell wie möglich vergessen. Sie war im Krankenhaus versorgt und würde sich an ihn vermutlich gar nicht mehr erinnern können-und wenn ja, dann mit Schrecken, denn er hatte sie schließlich mit ihrer Drogensucht erpresst, damit sie kooperierte. Allerdings halfen diese ganzen Vernunftsmomente jetzt nicht gegen seine Gefühle-er musste sie einfach sehen, oder zumindest erfahren, wo sie hingekommen war.
    Seufzend kochte er sich einen Kaffee, um dann zum Telefonhörer zu greifen. Er rief in der PASt an und erfuhr, dass die Chefin soeben aufgekreuzt war. Er bat darum, sie sprechen zu dürfen und erfuhr von Susanne´s Vertretung, dass sie gerade vorhatte, den Kulturreferenten zu verhören, der die Nacht ohne Widerrede in der Zelle verbracht hatte. Allerdings kam sie kurz ans Telefon und er hatte eigentlich einen Anpfiff erwartet, weil er noch nicht an seinem Arbeitsplatz war, aber sie fragte ihn nur milde: „Hartmut, denken sie, sie könnten sich später noch das Betonkunstwerk näher ansehen? Ich habe es von Uniformierten bewachen lassen und es hat auch schon ein Spusimann der Innenstadtwache sich dort umgesehen, aber ich hätte trotzdem gerne ihr Urteil und ihren Sachverstand da dran!“ erklärte sie ihm. Hartmut versicherte, dass einer seiner nächsten Wege dorthin führen würde, aber zuvor wollte er zwei Dinge wissen: „Chefin, wie geht´s Semir, Ben und Andrea-und wo ist die Bukow hingekommen?“ fragte er.

    „Semir und Ben geht´s nicht so sonderlich gut, sie liegen beide auf der Intensivstation. Andrea wurde an den Händen operiert und ist auf Normalstation und soll morgen schon entlassen werden, der geht´s wohl so einigermaßen-und die Bukow liegt ebenfalls in der Uniklinik zum körperlichen Entzug-ehrlich gesagt, ich habe mich nach deren Befinden nicht erkundigt, warum interessiert sie das?“ fragte sie neugierig und Hartmut wiegelte ab. „Das ist mir nur gerade so eingefallen. Ich schau mal noch kurz in der Klinik vorbei und fahre dann zum Neumarkt. Von dort melde ich mich dann!“ erklärte er und die Chefin setzte noch nach „Hartmut, heute Abend haben sie dann ganz normal um 17.00 Uhr Feierabend. Ab morgen versuchen wir unser Tagesgeschäft wieder aufzunehmen, aber heute wird nur das Nötigste erledigt!“ und Hartmut stimmte ihr überrascht und erfreut zu.
    Während die Chefin sich dem Verhör widmete, setzte sich Hartmut nach einer Dusche und ´nem Kaffee in seinen Wagen und machte sich auf den Weg zur Uniklinik. Wenn er normal als Besucher fragte, würde er auf gar keinen Fall erfahren, wo Irina zu finden war und so zückte er an der Pforte seinen Polizeiausweis. Irina war auf der inneren Intensiv und Semir und Ben auf der chirurgischen. Andreas Zimmernummer erfuhr er ebenfalls und so machte er sich zunächst auf den Weg zur Inneren Intensiv. Als er gefragt wurde, ob er Angehöriger sei, schwindelte er ein wenig und behauptete, ein nahestehender Freund zu sein. Die Pflegekräfte beratschlagten kurz, aber dann ließen sie den Besuch herein. Vielleicht würde es der jungen Frau helfen, wenn jemand Vertrautes nach ihr sah!

    Als Hartmut ins Patientenzimmer kam, in dem Irina neben einem beatmeten Opi lag, erschrak er, welche Veränderung innerhalb weniger Stunden mit der attraktiven jungen Frau vor sich gegangen war. Sie lag in einem Krankenhaushemd, völlig verschwitzt mit verschmiertem Augen-Make up im Bett, war mit Bauchgurt und an Händen und Füssen fixiert, wie ein Schwerverbrecher und döste unter dem Einfluss starker Entzugsmedikamente vor sich hin. Als er zu ihr trat, ihre Hand nahm und leise „Irina!“ sagte, schlug sie die Augen auf und hatte anscheinend Mühe, ihn zu erkennen. Als sie dann sah, wer vor ihr stand, begann sie zu weinen. „Du hast mich nicht vergessen?“ fragte sie und Hartmut schüttelte den Kopf. „Ich habe es doch versprochen und ich pflege meine Versprechen zu halten!“ sagte er fest und drückte ihre Hand.
    Allerdings war Irina´s lichter Moment wohl schon wieder vorbei, denn sie begann nun wirres Zeug zu reden und gegen ihre Fesseln zu kämpfen. Hilflos stand Hartmut daneben und als die Schwester ins Zimmer trat, gab sie ihr gleich einen Propofolbolus, der sie in Kürze eindämmern ließ. „Sie hat das Vollbild eines Drogenentzugsdelirs!“ erklärte sie Hartmut. „ Wir mussten sie zum Eigenschutz fixieren und können jetzt nur abwarten, bis dieser Zustand vorbei ist!“ erklärte sie ihm. „Und wie lange dauert das üblicherweise?“ wollte er nun wissen. Die Schwester zuckte mit den Schultern. „Das kann niemand vorhersagen, von Tagen, über Wochen ist alles möglich, wenn es vorbei ist, ist es vorbei!“ erklärte sie ihm und Hartmut sagte mit kloßiger Stimme. „Ich lasse ihnen meine Karte da-würden sie mich anrufen, wenn sie wieder bei Sinnen ist?“ und die Schwester nickte und legte seine Visitenkarte zur Patientenakte.

    Schwer erschüttert machte sich Hartmut nun auf den Weg zu Andrea-er musste jetzt erst jemanden besuchen, der bei Sinnen war und mit dem man sprechen konnte! Wenig später klopfte er an die Zimmertür und stand nach einem freundlichen „Herein!“ wenig später vor seiner ehemaligen Kollegin.
    Susanne war mit Margot den Wagen holen gefahren und hatte sich danach gleich auf den Weg nach Hause gemacht, um sich vor Arbeitsbeginn noch ein wenig hinzulegen. Erst konnte sie nicht einschlafen-sie hätte eh nur zwei Stunden gehabt, aber als sie dann aufstehen und sich richten wollte, streikte ihr Kreislauf. Nachdem sie auf dem Weg ins Bad beinahe ohnmächtig geworden wäre, kapitulierte sie und griff zum Telefon, um sich krank zu melden. Die Chefin war auch gleich dran und als Susanne ihr ihren Zustand schilderte, wünschte sie ihr herzlich gute Besserung und als Susanne sich nun wieder hinlegte, war sie vor Erschöpfung binnen Minuten eingenickt und schlief durch bis zum nächsten Morgen.

    Kenji mag vielleicht ein Ehrenmann sein, aber Yvettes Aufpasser sind das auf gar keinen Fall!
    Sie muss damit rechnen, jederzeit vergewaltigt zu werden und lässt ihre Angst auch Timo am Telefon spüren.
    Eigentlich wundert es mich, dass Semir nicht ganz nach Dienstanweisung eine Entführung meldet und dann der Polizeiapparat anläuft! So vergeht doch wertvolle Zeit!
    Timo fängt schon mal an,für alle Fälle die Druckplatten herzustellen-hätt ich vermutlich auch gemacht!

    Sarah war erst empört und sauer gewesen, dass man ihr nicht Bescheid gesagt hatte, allerdings musste sie zugeben, dass ihr der Schlaf und die nachfolgende Dusche gut getan hatten. Anscheinend hatte Ben den Eingriff auch gut überstanden und die aktuellen Blutwerte sahen gar nicht so besonders schlecht aus. Gut, nun blubberte die Thoraxdrainage noch vor sich hin, denn der mit Wasser zur Sogregulierung gefüllte, patentierte Sicherheitssaugbehälter musste den Großteil des Tages an ein Vakuum angeschlossen sein, damit kontinuierlich die Luft und Sekret aus dem Pleuraspalt gesogen wurden und sich so die Lunge entfalten konnte. Auch der dicke Schlauch, der aus Ben´s Seite kam war unangenehm, denn bald wusste man nicht mehr, wie man ihn lagern sollte, vor lauter OP-Wunden, Schusswunden und Drainageschläuchen. Allerdings schlief er jetzt relativ friedlich und war auch noch kontrolliert beatmet, da das langwirkende Muskelrelaxans noch nicht seine Wirkung verloren hatte. Allerdings hatte der Narkosearzt nach dem Eingriff die Sedierung wieder reduziert, da man ja nicht vorhatte, Ben noch ewig lange zu beatmen.

    Sarah trat nun, während ihre Kollegen Übergabe machten zu Semir. Mann, den hatte es ordentlich erwischt. Als sie sich morgens schlafen gelegt hatte, hatte sie gehofft, dass die Aspiration keine nennenswerten Folgen haben würde, aber leider sah das gar nicht so aus. Mit routiniertem Blick hatte sie die Messparameter und die Geräteeinstellungen gecheckt und eine Sauerstoffsättigung von nur 92% unter einer Maskenbeatmung mit 60% Sauerstoff gab durchaus Grund zur Sorge. Auch Semir´s immer noch hohe Temperatur gab ihr zu denken. Gut, dass man ihn inzwischen auch ein wenig verkabelt hatte, so war eine Überwachung und Flüssigkeitsbilanzierung möglich. Ihr Kollege bestätigte dann ihre Vermutung, als er bei der Bettübergabe zur Spätdienstschwester sagte: „Herr Gerkan ist nur unter NIV-Beatmung, eine Abkürzung für nichtinvasive Beatmung, also ohne Tubus, leidlich stabil. Wir haben am Fiebergipfel bereits Blutkulturen abgenommen. Wenn es über 39,5°C geht, soll er Paracetamol zur Temperatursenkung bekommen!“ sagte er und mit einem Blick auf den Monitor erkannten die drei Pflegekräfte, dass die Temperatur jetzt erreicht war. „Ich bringe nachher eine Kurzinfusion mit!“ sagte die Spätdienstschwester lächelnd und Sarah nickte zustimmend. Na da hatte sie ja einiges versäumt, aber jetzt würde sie ihre Männer nicht mehr so bald alleine lassen. Obwohl sie wieder Zivilklamotten anhatte hatten die beiden soeben ihre 24-Stunden Privatschwester gebucht-man sah ja, wo das hinführte, wenn sie nicht bei ihnen blieb!

    Kaum hatte der Frühdienstpfleger noch erzählt, dass bei beiden Patienten noch eine Thoraxkontrollaufnahme im Bett gemacht werden sollte, da stand auch schon die Röntgenassistentin mit dem fahrbaren Röntgengerät, der Mobilette vor den beiden. Sie hatte zwei Röntgenkassetten dabei und als die Spätdienstschwester mit hinlangen wollte, winkte Sarah lächelnd ab. „Geht ihr nur und macht eure Übergabe fertig, damit Jens heute auch noch irgendwann nach Hause kommt!“-der hatte nämlich inzwischen schon eine halbe Überstunde gemacht. „Wir schaffen das hier schon alleine!“ sagte sie bestimmt und Jens nickte ihr dankbar zu und verschwand mit einem: „Auf Wiedersehen, bis morgen!“ aus dem Zimmer und ging nun mit seiner Kollegin zu Sharpov.

    Sarah und die Röntgenassistentin begannen nun bei Semir. Während Sarah ihn ein wenig nach vorne zog und nebenbei das Bett flach stellte, sagte sie. „Semir, jetzt kommt nur kurz die Röntgenkassette unter deinen Rücken. Nicht erschrecken, die ist kalt und hart. Das dauert aber keine Minute, dann bist du auch schon fertig und sonst passiert auch nichts weiter!“ erklärte sie ihm, während sie ihn aufforderte, sich langsam zurückzulegen. Semir erschauerte und bekam gleich eine Gänsehaut. Während Sarah noch kurz die EKG-Kleber abmachte, damit man die Kabel nicht mit auf dem Bild hatte und die Röntgenassistentin einen Gonadenschutz auf seinen Unterkörper legte und dann die Mobilette über ihn fuhr, schaltete Sarah für zwei Minuten die Monitoralarme aus und schon verließen die beiden Frauen das Zimmer. Die Wände auf der Intensivstation waren teilweise abgeschirmt, aber trotzdem ging man als Personal, wenn möglich, weit von jeder Röntgenstrahlung weg. Mit einem Schalter an einem langen Kabel kommandierte die Röntgenassistentin: „Jetzt einatmen, ausatmen, die Luft anhalten!“-drückte dann auf den Auslöser und sagte dann: „Und jetzt weiteratmen!“ und dann traten die beiden Frauen schon wieder ins Zimmer zurück. Die Röntgenplatte wurde wieder unter Semir´s Rücken hervorgeholt und während die Röntgenassistentin sie noch mit einem Desinfektionstuch routinemäßig abwischte, klebte Sarah wieder die EKG-Kleber auf Semir´s Brustkorb fest und clipste die Überwachungskabel an.

    Dasselbe machten die beiden nun, nachdem sie die Hände desinfiziert hatten bei Ben. Sarah gab ihm vorsichtshalber zuvor einen Sedierungsbolus, sonst würde sein Blutdruck wieder unnötig ansteigen. Sie löste die Handfixierungen, drehte ihren Freund vorsichtig auf den Rücken und dankte insgeheim Gott, dass er noch sediert und beatmet war. Die Schmerzen wären sonst vermutlich kaum auszuhalten gewesen! Nachdem sie trotz Sedierung nicht sicher sein konnte, wie viel er mitbekam, redete sie ihm beruhigend zu. „Wir machen nur eine Röntgenaufnahme, Schatz!“ sagte sie und tatsächlich beschleunigte sich seine Herzfrequenz, als die kalte, harte Platte unter seinen Rücken geschoben wurde. Allerdings blieb der Blutdruck im Normbereich und innerhalb kurzer Zeit war auch diese Aufnahme geschossen. Die Röntgenassistentin half Sarah noch, Ben wieder frisch auf die Seite zu lagern und ging dann in ihre Abteilung, um die beiden Bilder zu entwickeln und im PC zum Anschauen freizugeben. Diese digitalisierten Bilder waren eine Erleichterung im Krankenhaus-vorbei die fortwährende Suche nach irgendwelchen Aufnahmen- ein Click und man hatte die auf dem Bildschirm und die Chefärzte waren teilweise sogar zuhause mit der Klinik vernetzt und konnten von dort die Befunde und Röntgenbilder einsehen.

    Sarah machte noch Ben´s Mund ein wenig frisch und setzte sich dann auf den Stuhl neben seinem Bett, um seine Hand zu halten und ihn mental mit ganzer Kraft zu unterstützen. Auch Semir döste wieder vor sich hin und so waren alle überrascht, als plötzlich Besuch im Zimmer stand.

    Doch-das ist so, silli! Russische Frauen kriegen, wenn sie möchten, bei der Heirat zwar den Namen ihres Mannes, aber das angehängte a ist sozusagen das Geschlechtspronomen! Ich habe mich da von unseren russischen Doktoren aufklären lassen. Ist also kein Rechtschreibfehler!

    Und solche kleinen Eingriffe-wir sagen da eigentlich gar nicht OP dazu, werden bei uns durchaus im Zimmer vorgenommen, weil der Aufwand und das Risiko eines Transportes für instabile Patienten viel höher zu bewerten ist, als so eine minimalinasive Blutstillung. Ihr macht euch keine Vorstellung, was man alles auf einer Intensivstation im Zimmer operiert! Ich bin immer wieder froh, dass ich 10 Jahre OP-Schwester war und mich gerade mit Assistenz und Nahtmaterialien auskenne!

    Ja silli-und ich darf mich auch nicht mehr Krankenschwester nennen, sondern bin von Amts wegen-Gesundheits-und Krankenpflegerin, wobei ich mich seit dieser Gesetzesnovelle vor ein paar Jahren frage, warum ich denn eigentlich gesunde Leute pflegen soll,hmmm-aber vielleicht weiss einer von euch darauf eine Antwort!
    Ach ja-und erwähnt ja nicht, dass ihr irgendjemand, ob Kleinkind oder wen auch sonst, gefüttert habt! Das heisst Essen eingeben-alle anderen Ausdrücke werden mit der Todesstrafe belegt! ;(

    Aber die Insassen des Altenheims :D werden sich trotzdem über deine Lieferung gefreut haben, meinst du nicht?

    "Ich bin kein Bewohner!" sagt Semir. Na Gott sei Dank noch nicht! :D Aber vielleicht lesen wir Ellis Geschichten aus dem Altenheim in 20 oder 30 Jahren immer noch!
    Aber ich bin ein wenig erleichtert, dass Timo jetzt Semir verständigt hat! Jetzt kann der Japaner vielleicht überführt werden und Yvette befreit-hoffentlich allerdings unter dramatischen Umständen! 8o -freu mich!