Semir hielt sich nicht lange mit Vorreden auf, sondern fragte gerade heraus: „Ben, jetzt sag mir bitte was in dich gefahren ist, dass du behauptest, du hättest bei diesen Folterungen einvernehmlich mitgemacht? Wir haben uns den Arsch aufgerissen, deine Peiniger ausfindig zu machen und zu verhaften und du sagst nun, du hättest das selbst gewollt, was hast du dir dabei gedacht?“ fragte er wütend. Den ganzen Herweg war er von Minute zu Minute zorniger geworden. Hatte Ben doch dem Lockruf des Geldes nicht widerstehen können? Drei Millionen waren eine Menge Kohle, Semir wusste auch nicht, wie viel Geld Ben eigentlich besaß, vielleicht waren das gar keine so großen Summen, oder er hatte es schlecht angelegt und dann ziemlich viel verloren? Semir wusste es nicht! Er wusste aber auch, dass er mit jemandem, der bestechlich war, nicht weiter befreundet sein konnte und der war auch als Polizist nicht mehr tragbar! Und weil er das Herz auf der Zunge trug, sagte er genau das zu Ben, der in seinem Stuhl förmlich in sich zusammenkroch.
„Durch deine Aussage sind nun alle Haupttäter auf freiem Fuß und können die nächsten Opfer quälen. Du alleine bist dafür verantwortlich, wenn andere Menschen nun zu Tode kommen, oder zumindest schwer verletzt werden!“ warf er ihm noch an den Kopf, ohne erst mal auf eine Antwort seines Freundes zu warten.
Der öffnete den Mund, um irgendwas zu sagen, aber dann merkte er schon, wie ihm schummrig wurde. Jetzt wurde ihm alles zu viel und die ganze Aufregung, der Schmerz, der Schlafmangel und der Kummer, dass Semir ihm zutraute, bestechlich zu sein, forderten ihren Preis. Das Blut wich ihm aus dem Kopf, er begann kalt zu schwitzen und bevor Semir irgendwie reagieren konnte, war er zusammengesackt und glitt nun einfach zu Boden. Semir griff nun doch zu, um Ben noch zu stützen, aber es war vergeblich. Der Monitor schlug Alarm, mit einem kleinen Ruck war der arterielle Zugang aus dem Arm gerutscht und blutete und der ZVK spannte sich bis zum Äußersten. Die Schwester, die hereingestürzt war griff nur kurz nach dem Cavakatheter, um den noch zu retten und rief dann ihre Kollegen laut zu Hilfe. Semir wurde rausgeschickt und nun kümmerten sich erst mal zwei Pflegekräfte und der Stationsarzt um Ben.
Der war momentan komplett weg und merkte gar nicht, wie er wieder ins Bett gehoben wurde. Alle Helfer hatten Handschuhe an und während man das Bett schon in Kopftieflage brachte, drückte eine der Schwestern einen Stapel Kompressen auf die blutende Arterieneinstichstelle an seinem Arm. Eine andere löste das Pflaster an seinem Hals, aber anhand der Markierung konnte man feststellen, dass der ZVK noch an Ort und Stelle saß. Der Stationsarzt ordnete einen zusätzlichen Liter Infusion im Schuss an, um den Kreislauf zu stabilisieren und weil man nun ja keine kontinuierliche Blutdruckmessung mehr hatte, schlang man eine Blutdruckmanschette um seinen Oberarm und drückte auf den Startknopf am Monitor. Langsam begann sich Ben wieder zu regen und als ihn der Arzt laut ansprach und seine Wangen tätschelte, schlug er die Augen auf. Nach einem Blick auf den Monitor war der Arzt zufrieden und ging wieder seiner Routinearbeit nach. Die beiden Schwestern begannen Ben nun auszuziehen und das Blut von ihm abzuwaschen.
Semir hatte derweil erschrocken auf dem Flur begonnen hin-und herzulaufen. Warum war Ben denn nur ohnmächtig geworden? Hatte er ihm doch zu sehr zugesetzt, oder war es das schlechte Gewissen? Als nach kurzer Zeit der Arzt aus dem Zimmer kam, sagte der beruhigend zu ihm: „Nur ein kleiner Kreislaufkollaps, er wird jetzt noch sauber gemacht und dann dürfen sie wieder rein!“ bemerkte er und verschwand dann um die Ecke.
Obwohl der Blutverlust sich in Grenzen hielt, hatte Ben es geschafft, sich selber, das Bett und die Bettumgebung mit Blut einzusauen und so waren die beiden Schwestern eine ganze Weile mit Wasch-und Reinigungsarbeiten beschäftigt. Ben war inzwischen wieder ganz bei sich, aber tief geschockt, dass Semir ihm Bestechlichkeit vorwarf. Als er endlich sauber und frisch im Bett lag, sagte die Schwester: „Ich lasse dann ihren Freund wieder herein!“, aber Ben schüttelte den Kopf. „Ich will ihn nicht mehr sehen!“ sagte er mit zitternder Stimme und mit einem Schulterzucken richtete die Schwester das aus.
Semir, der inzwischen unruhig darauf gewartet hatte, das Gespräch weiterzuführen, wollte trotzdem ins Zimmer witschen und Ben fragen, was das solle, aber nun stellte sich die Schwester breit davor, schloss die Schiebetür und sagte: „Der Wunsch unserer Patienten wird respektiert, entweder sie gehen jetzt freiwillig, oder ich rufe den Sicherheitsdienst!“ und so blieb Semir nun nichts anderes übrig, als sich zurückzuziehen.
Während er langsam zum Auto ging, flaute seine Wut allmählich ab und machte einer tiefen Nachdenklichkeit Platz. Eigentlich hatte er Ben gar nicht zu Wort kommen lassen, sondern ihm lauter Dinge an den Kopf geworfen, die ihm in der ersten Empörung so in den Sinn gekommen waren. Und wenn nun alles ganz anders war? Er musste nachdenken, aber als er am Auto angelangt war, hatte er plötzlich einen Geistesblitz. Er stieg wieder aus und machte sich sorgenvoll auf den Weg. Hoffentlich hatte er Unrecht, denn sonst würde Ben nie mehr mit ihm reden und außerdem schwebte dann noch jemand anders in großer Gefahr!