Betonkunst

  • Am Flughafen war inzwischen der erste Notarzt am Flugzeug eingetroffen. Obwohl scharfe Kanten, die auch mit Blut verschmiert waren, den Weg nach oben säumten, hätte niemand von den Rettungskräften verlangt, sich selber in Gefahr zu bringen und deshalb wurde auch gerade die fahrbare Gangway herangekarrt. Wenn ein gefahrloser Einstieg ins Flugzeugwrack möglich war, würden die bereitstehenden Rettungskräfte ihren Dienst tun, aber dieser engagierte Notarzt, der nebenbei Bergretter war, hatte intuitiv das Gefühl, dass nicht mehr so viel Zeit war. Er hatte den Eid des Hippokrates geschworen und würde versuchen, Leben zu retten, wenn es ihm irgendwie möglich war.


    Deshalb zog er sich, als er die scharfen Metallkanten sah, die Pulloverärmel über die Hände und erklomm so, wie kurz zuvor Andrea, die Wrackteile und betrat dann das Flugzeug. Mit routiniertem Blick erfasste er die Situation. Der vorderste Mann hatte eine Schussverletzung, die aber nicht lebensbedrohlich war, außerdem fluchte er auf russisch vor sich hin, also konnte es schon nicht so dramatisch sein, da waren die anderen Flugzeuginsassen schon schlimmer dran. Sieben tief bewusstlose Männer lagen am Boden. Bei allen changierte die Hautfarbe ins Bläuliche. Einige hatten erbrochen und er befürchtete schwer, dass sie demzufolge auch aspiriert hatten, da war dringend professionelle Hilfe nötig.


    Am Schlimmsten anzusehen war aber die Geisel, die halb im Sitzen in sich zusammengesackt war und jetzt von der Ehefrau reanimiert wurde. Der Brustkorb war blutverschmiert, er befürchtete, dass die einen Schuss abgekriegt hatte, oder anderweitig auch noch verletzt war. Deshalb entschloss er sich innerhalb von Sekunden, seine Hilfe der Geisel zukommen zu lassen, nicht den anderen Männern. Ihn hatte es zwar nicht zu interessieren, welche Patienten er behandelte und es sollte ihm auch egal sein. Als leitender Notarzt hatte man die Verletzten nach medizinischer Dringlichkeit und nicht nach anderen Kriterien einzustufen, aber anscheinend war der sitzende Mann am Schwersten verletzt. Mit zwei Schritten war er deshalb bei seinem neuen Patienten, öffnete seinen Notfallrucksack, den er wohlweislich auf seinem Rücken mitgenommen hatte und schnitt als erstes mit einer Verbandschere die Kabelbinder auf, so dass man Semir wenigstens am Boden ablegen konnte. Es war zwar eng im Flugzeug, aber so viel Platz war frei. Er bedachte Andrea, die ihn völlig panisch ansah, mit einem beruhigenden Lächeln und sagte im Brustton der Überzeugung, obwohl er sich da keineswegs sicher war: „Das kriegen wir schon!“ und begann dann seinen Patienten kurz durchzuuntersuchen.


    Überrascht stellte er keinerlei äußere Verletzungen fest, aber wo kam dann das Blut her? Als allerdings sein Blick nun auf die Hände der Frau fiel, war ihm klar, wo es herkam. Sie hatte massive, stark blutende Schnittverletzungen an beiden Händen-ah, von ihr kam dann auch das Blut draußen vor dem Einstieg. Gut, darum würde er sich später kümmern! Momentan hatte er kein Monitoring zur Verfügung, daher musste er jetzt auch auf seine fünf Sinne vertrauen und als er die Vitalzeichen prüfte, konnte er keine Eigenatmung feststellen und nur noch einen extrem verlangsamten Herzschlag. Jetzt musste es aber schnell gehen! Er zog sein Intubationsbesteck aus dem Koffer und bedeutete Andrea zur Seite zu gehen. Die tat das schluchzend und der Notarzt kauerte sich hinter Semir´s Kopf auf den Boden, überstreckte diesen und intubierte ihn routiniert. Er blockte den Tubus, hängte einen Ambubeutel daran und kontrollierte mit dem Stethoskop noch die Tubuslage. Gut, die Atemwege waren gesichert. Obwohl ihm Andrea sehr leid tat, denn ihre Hände mussten sicher fürchterlich schmerzen, bat er sie darum, nun den Ambubeutel zu übernehmen und zeigte ihr, wie sie ihn drücken sollte. Als er nochmals das Herz abhörte konnte er feststellen, dass die Frequenz wieder im Ansteigen war.


    Von draußen war das Kreischen von zerschnittenem Metall zu hören. Um einen gefahrlosen Zugang für die Retter zu schaffen, flexten die Polizisten und Flughafenmitarbeiter die Wrackteile soweit ab, dass man die fahrbare Gangway befestigen konnte. Der Notarzt im Inneren der Maschine ging nun als Erste Hilfe-Maßnahme bis Verstärkung von außen kam, von einem zum anderen Bewusstlosen und brachte den wenigstens in stabile Seitenlage. Manche zeigten noch ein wenig Eigenatmung, aber einige waren als klinisch tot zu bezeichnen. Den Mediziner schauderte es. Diese Geiselbefreiung würde mehr als ein Todesopfer kosten, da war er sich sicher!
    Es dauerte noch eine ganze Weile, bis der Einstieg frei wurde und der Notarzt atmete erleichtert auf, als endlich ein paar seiner Kollegen ins Flugzeug strömten. Der Pilot wurde von zwei SEK-Männern grob auf die Füße gezogen und als Erster hinaus geschafft, um den Platz freizumachen. Während sich draußen ein Notarzt seine Verletzung ansah und ihn als minderschweren Fall, der später versorgt werden konnte, einstufte, wurde er von zwei drohend blickenden SEK-Leuten mit der Waffe im Anschlag in Schach gehalten. Wenn dieser Schwachkopf nicht gewesen wäre, wäre diese Geiselnahme ohne Verletzte zu Ende gebracht worden, aber so war ein Desaster daraus geworden!


    Die erste Trage wurde ins Flugzeug gebracht und man hievte Semir vorsichtig darauf und brachte ihn nach draußen. Ein Rettungssanitäter hatte den Ambubeutel übernommen und auch tragbaren Sauerstoff mitgebracht. Er trug wie alle Ersthelfer Handschuhe und das war auch gut so, denn der ganze Beatmungsbeutel war inzwischen blutig. Man schob die Trage in den ersten Rettungswagen und der Notarzt, der ihn intubiert und inzwischen seinen Kollegen im Flugzeug kurze Übergabe gemacht hatte, kletterte ihm nach, um ihn weiter zu versorgen. Man hatte eine Decke über Andreas Schultern gebreitet und führte sie vorsichtig hinaus, wo sie von der Chefin, Jenni und Dieter in Empfang genommen wurde. Provisorisch schlang man zwei sterile Verbandtücher um ihre Hände und als Dieter sie nun vorsichtig in die Arme nahm, brach sie schluchzend zusammen. „Er darf nicht sterben!“ weinte sie und alle versuchten sie zu trösten, obwohl noch keiner sagen konnte, ob es überhaupt Überlebende geben würde.


    Im Krankenhaus hatte die Nachtschwester inzwischen den Fernseher ausgeschaltet. Weder ihrem Patienten, noch ihrer Kollegin taten die Bilder gut und sie konnten sowieso nichts ausrichten. Sarah´s Weinen war inzwischen verstummt und ihr Kopf ruhte nun ganz nah bei Ben. Sie konnte ihn riechen und fühlen und wenn die Lage auch immer noch kritisch war, hatte er reelle Chancen, das Ganze zu überstehen. Er war inzwischen gut sediert und bekam, von außen her zu beurteilen, nichts mehr mit. Wie das allerdings tatsächlich aussah, konnte niemand beantworten, denn man wusste, dass das Bewusstsein eigentlich nie völlig erlosch und zumindest Gefühlsregungen von sedierten Patienten immer wahrgenommen wurden. Langsam beruhigte sich Sarah und während 18 km entfernt am Flughafen der Kampf um Überlebende aufgenommen wurde, saugte man Ben nochmals ab, drehte ihn auf die andere Seite und kontrollierte erneut die Blutgase und das Blutbild. In den Drainagen war weiter nichts nachgelaufen und so hoffte man, dass er sich zügig erholen würde. Sarah legte sich nun doch wieder auf ihr provisorisches Bett und versuchte wenigstens ein bisschen auszuruhen. Sie hatte es so nahe neben das Patientenbett geschoben und auf die gleiche Höhe gebracht, dass sie ganz eng zu ihrem Freund rutschen und ihn berühren konnte. Mit seiner tröstenden Nähe kam sie nun ganz gut runter und döste nun doch wieder vor sich hin. Die Nachtschwester hätte zwar eigentlich aus hygienischen Gründen protestieren müssen, aber sie hielt wohlweislich ihren Mund. Die beiden taten sich gut und so musste man einfach Prioritäten setzen.
    Im Stationszimmer lief das Lokalradio und so waren die Intensivmitarbeiter immer auf dem Laufenden, was die Geiselnahme anbetraf. Als die ersten Voranmeldungen wegen Intensivbetten kamen, war ihnen klar, dass dieser Fall sie alle miteinander noch eine Weile beschäftigen würde.

  • Irina war vom Motorradfahrer zurück zu Hartmut gebracht worden, der gespannt via Tablet-PC das Geschehen am Rollfeld, das er direkt nicht einsehen konnte, verfolgte. Sie war sehr nachdenklich geworden. Eigentlich hatte sie nicht gedacht, dass sie den Flugplatz noch einmal lebend verlassen würde. Sie war eigentlich davon ausgegangen, dass sie trotz aller Zusicherungen einfach gegen Semir ausgetauscht werden würde und dann wieder in Sharpov´s Gewalt sein würde! Was das bedeutete, war ihr sonnenklar! Er würde sich an ihr rächen, weil ein Mann seines Kalibers nicht von einer Frau verlassen werden würde, ohne sie dafür grausam zu bestrafen. Ein schneller Tod war so ungefähr das Gnädigste gewesen, was sie zu hoffen wagte, deshalb hatte sie bei der Abfahrt des Motorrads auch Hartmut so böse angeschaut, obwohl ihr der irgendwie sehr sympathisch war. Der war klug und zog sein Ding durch, egal was die anderen dazu sagten-aber das lernte man vielleicht, wenn man rothaarig war!
    Wenn sie nur auch einmal in ihrem Leben diese Stärke würde aufbringen können, aber irgendwie war sie immer den Weg des geringsten Widerstands gegangen, hatte ihr gutes Aussehen für sich arbeiten lassen-und nun sah sie, wo sie damit gelandet war! Die kokainsüchtige Ex-Geliebte eines wesentlich älteren russischen Drogendealers, die vom Leben nichts mehr zu erwarten hatte.


    Hartmut half ihr vom Motorrad und der Fahrer stellte dasselbe sofort ab und zog sich den Gehörschutz aus den Ohren. „Keine Minute länger hätte ich diesen Krach ertragen können!“ moserte er, um sich danach im Laufschritt zum Einsatzort bei den Flugzeugen zurückzubegeben.
    Hartmut und Irina blieben alleine zurück. „Danke!“ sagte Hartmut schlicht und zog das Kokainpäckchen aus seiner Brusttasche und hielt es ihr entgegen. Irina, die eigentlich nichts lieber tun wollte, als sich sofort eine Linie zu ziehen, brach nun in Tränen aus. Es gab auf dieser Welt tatsächlich Männer, die sich ohne Diskussion an Abmachungen hielten? Hartmut starrte sie hilflos an. Er hatte nicht so viel Erfahrung mit Frauen, aber er hatte erwartet, dass bei Irina die Sucht stärker sein würde, als alles andere und dass sie sich vor seinen Augen die nächste Dosis verpassen würde. Er hätte darüber allerdings Stillschweigen bewahrt, denn sie hatte ihnen sehr geholfen und war ein nicht unerhebliches Risiko damit eingegangen, sich auf die knatternde Maschine zu setzen und ihm zu vertrauen!


    Das würde eh noch schwierig werden, denn im Zeugenschutzprogramm waren keine Süchtigen vorgesehen. Nachdem nach einer Weile Irina´s Weinen immer noch nicht versiegt war, zog Hartmut sie hilflos in seine Arme und sie verbarg den Kopf an seiner Brust. Nach einiger Zeit, in der die Welt für beide stillzustehen schien, räusperte sich Hartmut und sagte: „Was sollen wir tun?“ und Irina schaute ihn mit tränenumflorten Augen an. „Ich will weg von diesem Zeug und wenn du mir hilfst, dann könnte ich es vielleicht schaffen!“ sagte sie und Hartmut nickte bestätigend. „Gut, dann werde ich mich mal nach einem passenden Therapieplatz umsehen!“ sagte er fast fröhlich, um dann bestürzt über seine Weltvergessenheit, seine Aufmerksamkeit wieder dem PC zuzuwenden.

  • Im Rettungswagen hatte man Semir inzwischen verkabelt. Sein Puls war zwar immer noch verlangsamt, aber Frequenzen um die 50 Schläge pro Minute konnte man durchaus tolerieren. Sein Blutdruck war auch nicht allzu berühmt, aber auch diesen Wert konnte man momentan einfach so stehenlassen, ohne irgendeine Behandlung einzuleiten. Dank des überdosierten Opiats tolerierte er die Beatmung, die inzwischen eine Beatmungsmaschine übernommen hatte einfach und war zwar blass, schien aber nur tief zu schlafen. Als der Rettungssanitäter die Pupillenreaktion kontrollieren wollte, war das fast nicht möglich, weil sie stecknadelkopfgroß verengt waren-eine deutliche Fentanylwirkung. Die Sauerstoffsättigung zeigte dank Beatmung hervorragende Werte an, darum drehte der Sanitäter schon mal die Sauerstoffkonzentration auf 50% herunter, wobei die Werte aber alle stabil blieben.


    Der Notarzt legte nun, ohne dass nur das geringste Zucken von Semir erfolgte, einen Zugang in seinen Handrücken. Der Sanitäter schloss die vorbereitete Infusion an und dann spritzte der Notarzt das Opiatgegenmittel Naloxon. Die Opiatrezeptoren im Gehirn waren durch das Fentanyl besetzt gewesen und hatten die tiefe Bewusstlosigkeit verursacht. Als die nun durch den Antagonisten wieder frei waren, hob man so die Opiatwirkung von einer Sekunde auf die andere auf. Semir schlug verwirrt die Augen auf und hatte im Augenblick keinerlei Orientierung, wo er war. Seine letzte Erinnerung war, dass er im Flugzeug bewusstlos geworden war. Wie er jetzt in den Rettungswagen kam, war ihm völlig schleierhaft. Wenn der Sanitäter seine Hände nicht festgehalten hätte, hätte er dasselbe gemacht, wie kurz zuvor Ben im Krankenhaus-nämlich den geblockten Tubus herauszuziehen. Er hustete und das Ding in seinem Hals war nur störend und unangenehm.


    „Herr Gerkan, können sie mich verstehen?“ fragte der Notarzt und Semir versuchte seinen Hustenreiz zu unterdrücken und nickte. „Tut ihnen irgendwas weh?“ fragte der Notarzt und musste innerlich im selben Moment über seine Frage lachen. Nach einer solchen Opiatbombe waren Schmerzen vermutlich das, was am allerwenigsten zu erwarten war, aber manche Routinefragen waren einfach so im Kopf, dass man sie stellte, ohne über den Inhalt nachzudenken. Als Semir nun mit dem Kopf schüttelte, beschloss er, ihn sofort zu extubieren. Er war anscheinend klar, alle Werte im Normbereich und die Atmung funktionierte ebenfalls gut, wie die Maschine anzeigte, auf der er blitzschnell den Beatmungsmodus von kontrollierter Beatmung auf Spontanatmung mit Unterstützung umgestellt hatte.


    „Ich werde jetzt erst den Schleim absaugen, das wird etwas unangenehm werden, aber dann ziehe ich den Schlauch aus ihrem Hals-machen sie bitte den Mund weit auf!“ forderte der Notarzt und Semir, der sich vorkam, wie beim Zahnarzt, sperrte seinen Mund auf wie ein Vögelchen und erduldete es, dass man Schleim und Speichel daraus absaugte. Als man dasselbe danach mit seinen Bronchien machte, war er weniger einverstanden, denn das produzierte einen dermaßen starken Hustenreiz, dass es ihm die Tränen in die Augen trieb. Wenn der Sanitäter seine Hände nicht festgehalten hätte, dann hätte er vermutlich dem Notarzt ordentlich eine verpasst, aber so blieb ihm nichts anderes übrig, als das auszuhalten und als der Doktor den Sauger aus seinen Bronchien zog, war er redlich froh, das überstanden zu haben!
    Nun dauerte es allerdings nicht mehr lange und der Tubus wurde entblockt und während Semir erneut hustete, aus seinen Luftwegen gezogen. Man drückte eine Sauerstoffmaske auf sein Gesicht, stellte das Kopfteil der Trage hoch und ließ seine Hände los. Nach ein paar Atemzügen hatte Semir sich wieder an eine normale Atmung gewöhnt und genoss es, die Luft ein-und ausströmen zu lassen. Nachdem er sich ein wenig erholt hatte, fragte er: „Wie bin ich hierhergekommen?“ und der Notarzt erklärte in kurzen Worten: „Das Flugzeug wurde mit einem Narkosegas imprägniert, so dass alle Anwesenden bewusstlos geworden sind-na wenigstens fast alle!“ fügte er hinzu-woraufhin ihn Semir fragend ansah. „Ich denke, da draußen wartet jemand, der ihnen das besser erklären kann, ich lasse sie jetzt mal rein und schaue dann, ob ich meinen Kollegen bei der Versorgung der anderen Patienten behilflich sein kann!“ sagte nun der Notarzt und gab dem Rettungssanitäter noch einige Anweisungen. Dann öffnete er die hintere Tür des RTW´s und half Andrea, die von Dieter gestützt wurde, in das Fahrzeug zu klettern. „Ihre Hände schaue ich mir später an!“ versprach er nun noch seiner beherzten Helferin und ging dann zum nächsten Fahrzeug, um seine Hilfe anzubieten.


    Im Krankenhaus war Sarah nach einer kurzen, innigen Ruhepause trotzdem unruhig geworden und wieder aufgestanden. Sie musste wissen, was am Flughafen los war! Sie ging deshalb ins Stationszimmer, wo ihre Kollegen gerade Kaffeepause machten. „Wisst ihr schon was Neues?“ fragte sie verschlafen und mit zerzausten Haaren. Die Kollegen nickten. „Die Leitstelle hat schon angerufen. Die Geiselnahme ist beendet, es hat Tote gegeben und einige Überlebende werden in kritischem Zustand auf die Kölner Krankenhäuser verteilt. Wir bekommen auch zwei Patienten, einen beatmeten Intensivpatienten und einen Zweiten, nur zur Überwachung.“ wurde sie informiert und jetzt begann auch für Sarah wieder das bange Warten, was wohl mit Semir und Andrea geschehen war.

  • Der Notarzt am Flughafen hatte sich einen Überblick verschafft. Man hatte entschieden, die bewusstlosen Männer erst aus dem Flugzeug zu schaffen und draußen zu versorgen. Drei davon wurden nun zu reanimieren versucht, aber nach 30 Minuten stellte man die Bemühungen ein und stellte den Tod fest. Die übrigen vier, darunter Sharpov waren intubiert, hatten einen Zugang und das Gegenmittel erhalten, ohne daraufhin wach zu werden. Man verteilte sie auf die umliegenden Krankenhäuser und so fuhr ein RTW am anderen davon.


    Hartmut war mit Irina inzwischen zum Rollfeld gekommen und gemeinsam mit seinen Kollegen begann er mit der Spurensicherung. Zuvor hatte er sich natürlich nach Semir´s Befinden erkundigt und war froh und glücklich, dass der die Aktion anscheinend relativ unbeschadet überstanden hatte. Als er beobachtet hatte, wie Andrea ebenfalls in den RTW geklettert war und er dabei einen Blick auf den wachen Semir erhaschen konnte, konnte er seiner Arbeit erleichtert nachgehen und während die Politiker Interviews zur erfolgreichen Geiselbefreiung gaben, stand Irina verlassen und schreckensbleich neben den Rettungsmannschaften und beobachtete, wie man versuchte, ihre ehemaligen Mitstreiter wiederzubeleben. Als die Chefin nach einer Weile auf sie aufmerksam wurde, trat sie näher und ging mit ihr von einem zum anderen, woraufhin Irina ihr den vollständigen Namen sagte und sie dadurch sicher identifiziert werden konnten. Irina war nun kurz vor dem Zusammenklappen und ganz zittrig, was unter anderem auch auf den beginnenden Entzug zurückzuführen war. Auch Irina wurde nun von einem Sanitäter versorgt und Hartmut, dem gerade eingefallen war, dass er ja versprochen hatte, einen Therapieplatz für sie zu besorgen, kam nochmals kurz aus der Maschine und informierte die Chefin über ihr Vorhaben. „Erst einmal muss sie in ein Krankenhaus zum körperlichen Entzug und danach versuchen wir einen geeigneten Platz in einer Suchtklinik zu finden!“ erklärte die Chefin Hartmut, der froh war, dass er diese Verantwortung nun los war.


    Peter Jantzen, der im Fernsehen die Geiselnahme verfolgt hatte, war ebenfalls nach Köln-Bonn gefahren, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Völlig entsetzt hatte er zuvor vom Unfall des dunkelhaarigen Polizisten am Betonkunstwerk gehört, dieses Denkmal hatte noch niemandem Glück gebracht! Als er nach Abschluss der Rettungsmaßnahmen dort vorbeigefahren war, hatte man den Neumarkt weiträumig abgesperrt und gerade wurde das Innere der Symphonie in Grau genauer untersucht, um die Verstecke für das Rauschgift herauszufinden. Ein Insider hatte ihn angerufen und ihm von der Verhaftung des Kulturreferenten erzählt und er schämte sich für seine Politikerkollegen, die nun auch am Flughafen große Reden schwangen, während diese sympathischen Polizisten, die er kennengelernt hatte, den Kopf hinhielten. Auch deren Familien waren betroffen und obwohl er zuvor noch unschlüssig gewesen war, beschloss er nun der Politik den Rücken zuzukehren. Vielleicht hätte er sich politisch noch halten können, denn anscheinend wurde von der Bevölkerung seine Aktion gegen das Betonkunstwerk eher wohlwollend betrachtet und mit Vertuschung, würde es, wie gewohnt, schon klappen-aber nun erkannte er klar, dass er bei so einem üblen Spiel nicht mehr mitspielen wollte und erklärte vor laufenden Kameras seinen Rücktritt. Der Oberbürgermeister atmete auf, denn nun war ein Problem gelöst, das ihm schon seit Tagen schwer zu schaffen machte.


    Während sich das Rollfeld langsam leerte, stieg der Notarzt nun zu Semir und Andrea ins Auto zurück. Ihm fiel auf, wie blass die Frau war und als er ihre Hände nun mit geschultem Blick betrachtete, bemerkte er, dass die wesentlich schwerer verletzt waren, wie er auf den ersten Blick in der Maschine vermutet hatte. Außerdem begann nun auch bei Andrea der Schock und das Entsetzen durchzukommen und so bekam sie unter den besorgten Blicken Semir´s eine Infusion gelegt und ein Schmerzmittel gespritzt. „Frau Gerkan, wir nehmen sie gleich mit in die Uniklinik, für die auch ihr Mann avisiert ist. Die haben eine hervorragende Handchirurgie und so wie ich das sehe, sind bei ihnen mehrere Sehnen und Nerven durchschnitten. Sie werden noch heute Nacht deswegen operiert und so hoffen wir, die Funktionalität ihrer Hände erhalten zu können!“ erklärte er und gab gleich eine Voranmeldung ans Klinikum heraus.


    „Kann ich nicht nach Hause?“ fragte nun Semir, aber der Notarzt schüttelte den Kopf. „Sie haben eine sehr hohe Dosis Fentanyl eingeatmet-wie hoch die war, wissen wir nicht genau. Im Augenblick sind die Opiatrezeptoren in ihrem Gehirn wegen dem Naloxon, das sie bekommen haben, frei, aber erfahrungsgemäß wirkt das Gegenmittel kürzer als das Opiat, so dass sie jederzeit wieder bewusstlos werden können. Wenn das eintritt, geben wir ihnen wieder Naloxon, bis nach einigen Stunden dann auch der letzte Rest Fentanyl aus ihrem Organismus verschwunden ist. Dazu müssen sie auf einer Intensivstation überwacht werden und wir haben deswegen einen Platz in der Uniklinik für sie reserviert.“ Noch während er das sagte, hatte sich der RTW in Bewegung gesetzt und steuerte nun sein geplantes Ziel an. Die Chefin, die gerade noch Semir´s Handy aus dem BMW gefischt hatte und es ihm geben wollte, blieb zurückgelassen auf dem Rollfeld stehen-gut, dann würde sie eben später in die Uniklinik fahren und sich dort selber vom Gesundheitszustand ihrer Männer überzeugen!

  • Semir war entsetzt! Gerade war er wieder zu sich gekommen, hatte eine unangenehme medizinische Behandlung über sich ergehen lassen müssen, dann festgestellt, dass ihm eine ganze Zeitspanne fehlte und nun war nach geheimnisvollen Andeutungen des Arztes Andrea in den RTW gestiegen und konnte oder wollte momentan gar nichts davon erzählen, was in der Zwischenzeit vorgefallen war. Auf seine Frage, was denn mit ihren Händen wäre, hatte sie nur den Kopf geschüttelt und die Verbandtücher, die an manchen Stellen schon begannen durchzubluten, fester darum gewickelt. Das Einzige was sie herausbrachte, war ein erschöpftes „Ich liebe dich und bin so froh, dass du lebst!“ aber dann hatte sie einfach den Kopf auf seine Brust gelegt und erlaubt, dass er ihr sanft über die Haare strich.


    Der Sanitäter, der mit im Fahrzeug war und die Monitore im Auge behielt, konnte die grenzenlose Erschöpfung-psychisch wie physisch- dieser tapferen Frau spüren. Es war momentan nicht wichtig, diese ganze Geiselnahme aufzuarbeiten, außerdem hatte auch er nichts davon mitbekommen, was im Flugzeug eigentlich vorgegangen war. Er hatte sich auf die generalstabsmässige Rettung der Fentanylopfer vorbereitet und war genauso geschockt, wie alle anderen gewesen, als das dann so völlig aus dem Ruder gelaufen war. Diese Frau hatte ihr Leben riskiert, um ihren Mann zu retten, was ihr ja letztendlich auch gelungen war und in seinen Augen war sie eine Heldin! Ohne dass weiter gesprochen wurde, denn Semir merkte genau, dass seine geliebte Andrea völlig am Ende war und es ihr einfach guttat, nur in seiner Nähe zu sein und ehrlich gesagt, ging es ihm genauso, blieben sie still beieinander sitzen bzw. liegen. Er würde schon noch früh genug erfahren, was passiert war. Das Einzige, was er fragte war: „Was ist mit den Kindern?“ und als Andrea dann sagte: „Susanne ist bei ihnen und passt auf sie auf!“ war er momentan zufrieden.
    Eine weitere Frage brannte ihm auf der Zunge und er stellte sie einfach so in den Raum, denn vielleicht hatte der Sanitäter-woher auch immer-nähere Informationen. „Weiß man, wie es Ben geht?“ aber sowohl Andrea, als auch der Rettungsassistent schüttelten nur stumm den Kopf. Gut, Ben war in kompetenten Händen und wenn er aufwachen würde, war Sarah bei ihm, darum beschloss Semir, jetzt einfach mal abzuwarten, was weiter passieren würde.
    Nach einiger Zeit stieg der Notarzt wieder in den RTW, besah sich Andrea´s Hände und erklärte Semir, dass sie nun in die Uniklinik nach Köln fahren würden. Während Andrea nach ihrer Versorgung auch noch in ihrem Sitz angeschnallt worden war, setzte sich der Krankenwagen in Bewegung und fuhr mit Blaulicht Richtung Köln.


    Semir musterte besorgt seine Frau, die sehr erschöpft aussah. Schmerzen hatte sie seit der Medikamentengabe anscheinend keine, aber trotzdem machte sich Semir große Sorgen, wie schlimm wohl die Verletzungen an ihren Händen waren und wie sie sich die überhaupt zugezogen hatte.
    Etwa 15 Minuten später kamen sie in der Notaufnahme an und als sich die hinteren Türen des Rettungswagens öffneten, wurde für Andrea gleich eine zweite Trage bereitgehalten, auf die man sie sorgsam legte. Während Semir in den ersten Raum der Notaufnahme gefahren und vom diensthabenden Arzt dort übernommen wurde, geschah das Gleiche im Nebenzimmer mit Andrea-nur nahm die gleich der Handchirurg auf, der schon von der Leitstelle verständigt worden war. Bis sie sich versah, lag sie im Krankenhaushemdchen in einem Bett und hatte mündlich unter Zeugen ihr Einverständnis für die Operation und die Narkose erteilt, denn unterschreiben wäre nicht möglich gewesen. Als sie an Semir, der nun auch in einem Bett lag und mit einem Transportmonitor verkabelt war, vorbeigefahren wurde, wünschte ihr der viel Glück und während es für Andrea in den OP ging, wurde Semir auf die Intensivstation zur Überwachung gebracht.


    Sarah war wieder zu Ben ins Zimmer zurückgekehrt. Wenigstens war der gut sediert und schlief nun tief und fest. Sarah´s Kollegin saugte ihn ab, drehte ihn mit deren Hilfe wieder auf die andere Seite und kontrollierte die Laborwerte. Sarah setzte sich danach an sein Bett und streichelte gedankenverloren seine Hand. Sie konnte sich momentan auch nicht hinlegen, obwohl sie zu Tode erschöpft war. Zu groß war die Sorge um ihre und Ben´s Freunde. Als wenig später auf einmal die Schiebetür aufgeschoben und ein Bett hereinrangiert wurde, sah Sarah ungläubig auf den, der darin lag. Es war Semir! Während ihre Kollegen das Bett lächelnd an seinem Platz arretierten und Semir´s Verkabelung umbauten, sprang sie freudestrahlend auf und eilte an seine Seite. „Semir, wie geht´s dir?“ wollte sie von ihm wissen und auch der begrüßte sie mit einem Lächeln und meinte: „Geht so!“. Danach wanderte sein Blick allerdings besorgt zu Ben, der nun gerade so auf der Seite lag, dass Semir sein Gesicht sehen konnte. Er sah dessen geisterhafte Blässe, den Tubus in seinem Mund, die blinkenden Infusionen und Perfusoren und die mit Blut und Sekret gefüllten Beutel unten am Bett. Oh je, das sah ja übel aus, aber immerhin er lebte!
    „Andrea wird gerade an den Händen operiert!“ teilte er Sarah dann mit und die fragte: „Oh je, was ist ihr denn passiert?“ aber Semir konnte nur mit den Schultern zucken. „Ich weiß es nicht!“ gab er dann zu. Während Sarah sich nun zwischen die beiden Helden setzte, begann das nächste bange Warten auf den Ausgang der Operation. Würde diese schreckliche Nacht denn nie enden?

  • Etwa eine Stunde später kam die Chefin ins Krankenhaus. Sarah´s Kollegen hielten Rücksprache und erlaubten dann einen kurzen Besuch bei ihren Männern. Am Flughafen war die Spurensicherung abgeschlossen, der Gerichtsmediziner hatte noch die drei Toten in Augenschein genommen und dann in die Pathologie bringen lassen, um sie dort in den nächsten Tagen zu obduzieren. Die diensthabenden Polizisten wurden abgezogen und das Flughafenpersonal begann mit den Aufräumarbeiten.
    Hartmut fuhr nach Hause und beschloss, die Chefin morgen zu fragen, in welches Krankenhaus das russische Model gebracht worden war-vielleicht konnte er sie bei ihrem Entzug ein wenig unterstützen!


    Die Chefin, die selber von den Ereignissen völlig überrannt und ja auch schon seit dem Morgen, also fast 24 ereignisreiche Stunden, auf den Beinen war, wollte nur noch schnell nach ihren gebeutelten Polizisten sehen, bevor sie in den wohlverdienten Feierabend ging.
    Sie begrüßte Semir mit einem Lächeln, der sich allerdings nicht freuen konnte, zu sehr machte er sich Sorgen um seine Frau. Sie überreichte ihm feierlich sein Handy und als sie dann Ben ansah, lief es ihr kalt den Rücken herunter. Dass er dermaßen angegriffen und durchscheinend aussehen würde, hatte sie nicht erwartet. Auch sie war von den ganzen blutigen Drainagebeuteln geschockt. Wenigstens war er nicht alleine und die beiden wichtigsten Menschen in seinem Leben waren bei ihm. Hoffentlich wurde er wieder-dabei war seine letzte schwere Verletzung noch gar nicht lange her! Unendlich sanft strich sie ihm eine verklebte Strähne aus der Stirn und Semir musste gleich schlucken, soviel Gefühl hätte er der Chefin gar nicht zugetraut. Kim Krüger lächelte Sarah an, die ganz nah bei ihrem Freund war und ihn ebenfalls anfasste. „Schön dass sie ihre Entführung wenigstens einigermaßen überstanden haben und jetzt bei Ben bleiben, ich glaube er spürt das und es tut ihm gut!“ sagte sie und wie zum Beweis beschleunigte sich Ben´s Herzschlag.


    „Ist unsere Heldin Andrea zu den Kindern gefahren?“ wollte sie dann von Semir wissen, aber der schüttelte traurig den Kopf. „Sie hat sich schwer an den Händen verletzt und wird gerade operiert!“ teilte er ihr mit. „Ach du liebe Güte, dann hat sie bei der Rettungsaktion ja doch was abgekriegt!“ sagte die Chefin bestürzt und nun war es an Semir, sie fragend anzuschauen. „Ich kann mich, seit ich im Flugzeug bewusstlos geworden bin, an nichts mehr erinnern. Ich bin erst im Krankenwagen wieder aufgewacht. Von welcher Rettungsaktion und warum „Heldin“ sprechen sie?“ wollte er nun doch wissen.
    Frau Krüger seufzte-oh je, da hatte Semir ja noch gar niemand aufgeklärt, auch Andrea nicht! „Als wir das Betäubungsgas ins Flugzeug eingeleitet hatten, wurde leider der Pilot aus irgendwelchen Gründen nicht bewusstlos und hat mit Maschinengewehrfeuer die Rettungsaktion für die Insassen unterbunden. Andrea war nicht zu halten und hat ihr Leben riskiert, um ins Flugzeug zu gelangen. Erst in letzter Sekunde konnte der Pilot, der schon auf sie angelegt hatte, von dem SEK-Mann, den wir noch auf dem Flugzeugdach hatten, unschädlich gemacht werden und Andrea ist durch die Trümmer des BMW und des Fahrwerks wie eine Wahnsinnige in die Kabine geklettert, um ihnen Erste Hilfe zu leisten-erfolgreich, wie man ja sehen kann! Vermutlich hat sie sich bei dieser Aktion auch mit den scharfen Metallteilen die Hände aufgeschnitten, anders kann ich mir das gar nicht vorstellen!“ erzählte sie die Abläufe, wie sie sie erlebt hatte.
    „Und ich habe mir das hier im Fernsehen angeschaut, worüber sich Ben dermaßen aufgeregt hat, dass er sich den geblockten Tubus gezogen hat und notfallmäßig reintubiert werden musste!“ fügte nun Sarah hinzu und Semir kamen fast die Tränen. Mit seiner Racheaktion gegen Sharpov hatte er die liebsten Menschen in seinem Umfeld in Gefahr gebracht, ob es das wert war?


    Die Chefin, die ein Gähnen nicht mehr unterdrücken konnte, verabschiedete sich und fuhr dann schnurstracks heim in ihr kuscheliges Bett.
    „Ich muss Susanne noch Bescheid sagen, die weiß ja auch noch nichts und hütet bei uns zuhause die Kinder!“ fiel ihm dann siedendheiß ein und als Sarah dagegen nichts einzuwenden hatte, griff er gleich zu seinem Handy, um ihr Bescheid zu geben. Susanne war froh, dass es Semir soweit gut ging, aber entsetzt darüber, dass ihre Freundin gerade operiert wurde. „Susanne, ich weiß nicht, wann ich oder Andrea nach Hause dürfen, aber ich verständige Andrea´s Mutter, damit die sich um die Kinder kümmert-kannst du noch so lange bei ihnen bleiben, bis die Oma da ist?“ fragte Semir und Susanne versicherte ihm, dass sie das selbstverständlich machen würde.
    Nun begann wieder das bange Warten auf das OP-Ende, bis plötzlich Semir merkte, dass ihm schummrig wurde.

  • Er schluckte schwer und Sarah, die gerade wieder Ben liebevoll den Mund mit einem Mundpflegestäbchen ausgewischt hatte, sah alarmiert zu ihm herüber. „Semir, was ist los?“ fragte sie, aber da war es schon passiert. Semir verdrehte die Augen und erbrach sich heftig. Allerdings waren durch die plötzlich nachlassende Naloxonwirkung seine Schutzreflexe nicht vollständig und so atmete er erst einmal heftig ein, bevor ein Stimmritzenkrampf dann seinen Kehlkopf verschloss und ihn innerhalb kürzester Zeit blau anlaufen ließ.


    Sarah war entsetzt zu ihm geeilt und hatte noch versucht, seinen Kopf zur Seite zu drehen, allerdings erfolglos. Während sie verzweifelt versuchte seinen Unterkiefer nach vorne zu bringen und nach dem Sauerstoff angelte, rannten schon die Kollegen mit dem Notfallwagen ins Zimmer. Eine der Schwestern hatte eine Naloxonampulle verdünnt aufgezogen und wollte sie gerade spritzen, da hob der dazugerufene Intensivdoktor die Hand. „Saugen wir ihn erst endotracheal ab-das wird uns nicht gelingen, solange er nicht ausgeknockt ist und nahm auch gleich den Sauger zur Hand. Er förderte ganze Mengen grünlichen Magensaft aus Semir´s Bronchien zutage und sog daraufhin scharf die Luft ein. „Hoffentlich gibt das keine heftige Aspirationspneumonie !“ befürchtete er, während er schon die Atemmaske und den Ambubeutel zur Hand nahm. Während die Schwester das Naloxon langsam titriert spritzte, also so, dass man aufhörte, wenn die gewünschte Wirkung eingetroffen war, beatmete er seinen Patienten mit dem Ambubeutel. Semir ließ sich die Luft erst willig einblasen, denn er war völlig weggetreten und wusste überhaupt nicht, was ihm geschah, aber als die Opiatwirkung wieder abflaute, wehrte er sich gegen die Beatmung und begann heftig zu husten. Der Arzt gab sich damit zufrieden, ihm die Maske mit dem voll aufgedrehten Sauerstoff vors Gesicht zu halten und als Semir wieder richtig wach war, erkannte er Sarah, die sich gemeinsam mit den anderen über ihn beugte und ihn besorgt ansah.

    „Was ist passiert?“ krächzte er und der Intensivarzt übernahm die Antwort, denn er sah, dass Sarah langsam an ihre Grenze kam.„Sie haben erbrochen und da leider durch das genau in diesem Moment anflutende Opiat ihre Schutzreflexe außer Kraft waren, haben sie von dem Erbrochenen eine volle Ladung eingeatmet. Wir werden das jetzt beobachten, aber es wäre möglich, dass sich durch diese Tatsache eine Lungenentzündung entwickelt, also stellen sie sich mal darauf ein, ein wenig länger als geplant, unser Gast zu sein!“ erklärte er ihm. Semir nickte ergeben, irgendwie merkte er selber, dass es ihm nicht so gut ging und so ließ er sich eine Sauerstoffmaske aufsetzen und lehnte sich dann im Bett zurück. Während er nach Luft und Fassung rang, sah er immer wieder auf die Uhr. Ihm fehlten wirklich nur fünf Minuten, aber die hatten ihn echt ausgeknockt.


    Wenig später kam die Nachtschwester, die bald Feierabend haben würde, zu ihnen. „Herr Gerkan, ihre Frau ist fertig und bereits aus der Narkose erwacht. Sie befindet sich momentan im Aufwachraum, aber sie kann weder zu ihnen, noch sie zu ihr!“ teilte sie ihm mit. „Aber es geht ihr gut und die Operation war erfolgreich, soweit man das im Augenblick beurteilen kann.“`


    Semir nickte und musste unter seiner Maske schon ein wenig nach Luft ringen. „Danke!“ stieß er hervor und Sarah, die sich wieder zu Ben gesetzt hatte, dessen Herzfrequenz während der Aktion erneut heftig angestiegen war, erhob sich sofort. „Semir, ich schaue nach Andrea und richte ihr liebe Grüße von dir aus!“ sagte sie und Semir schenkte ihr ein Lächeln. Er hätte gerne noch mehr gesagt, aber im Augenblick reichte die Luft dafür auf keinen Fall und so schloss er die Augen und wartete, was Sarah ihm zu berichten hatte.

  • Die ging schnurstracks zu Andrea in den Aufwachraum. Andrea hatte zwar die Augen geschlossen und schien zu schlafen, aber als Sarah-mit einem Lächeln von der diensthabenden Schwester begrüßt- nähertrat, schlug sie müde die Augen auf und sagte: „Hallo Sarah! Wie geht´s den Jungs-hast du die Lage im Griff?“ und Sarah riss sich zusammen und lächelte zurück. Ohne konkret auf Andrea´s Frage einzugehen, sagte sie: „Ich soll dir von Semir die allerbesten Wünsche und Grüße ausrichten-er muss am Monitor bleiben und kann dich deshalb noch nicht besuchen. Ben ist noch intubiert und beatmet, aber er liegt mit Semir in einem Zimmer und ich hoffe jetzt einfach, dass die während meiner Abwesenheit keinen Blödsinn machen!“ und Andrea musste auf diese Information hin lächeln. „Wenigstens sind unsere Männer zusammen und das ist schon viel wert!“ meinte sie und schloss wieder erschöpft die Augen.
    „Wie fühlst du dich Andrea und hast du Schmerzen?“ wollte Sarah nun noch wissen, die ja Semir ausführlich Bericht erstatten musste. „Ich habe keine Schmerzen, bin aber hundemüde und möchte jetzt dann einfach ein Ründchen schlafen!“ gab Andrea zu und schloss die Augen. „Ich besuch dich morgen, wenn du auf Normalstation bist und erzähl Semir, dass es dir einigermaßen gut geht, wenn´s dir Recht ist!“ sagte Sarah und Andrea lächelte. „Klar, mach das!“ sagte sie und so verließ Sarah den Aufwachraum mit einem erleichterten Aufatmen. Sie hatte die gefährlichen Klippen umschifft und jetzt konnte Andrea ihre Narkose ausschlafen und dann sah man untertags weiter. Sie hatte beide Hände auf Gipsschienen gewickelt und hochgelagert, aus jeder Hand kam eine kleine Saugdrainage und eine Infusion versorgte sie mit Flüssigkeit und Schmerzmitteln. Um die musste sie sich gerade keine Sorgen machen-im Gegensatz zu den beiden Männern. Als sie langsam zurück auf die Intensiv ging, musste sie sich mehrmals am Türrahmen festhalten, weil ihr schummrig wurde.


    Auf der Intensiv angekommen, beobachtete das der Intensivarzt, der gerade seinen zweiten Zugang verkabelt hatte. „So Sarah, jetzt ist Schluss mit lustig. Du gehst jetzt sofort in deine Wohnung und legst dich da ins Bett. Vor 14.00 Uhr will ich von dir gar nichts sehen! Verabschiede dich von deinen Freunden und nimm eine halbe Tavor, bevor du dich hinlegst. Du bist sonst die Nächste, die hier am Monitor hängt, also sei vernünftig!“ redete er ihr ins Gewissen und Sarah musste einsehen, dass er Recht hatte. Sie konnte wirklich nicht mehr und so ging sie erst noch zu Ben und Semir, verabschiedete sich von den beiden Kranken, die zu schlafen schienen, richtete ihrer Kollegin die Grüße seiner Frau an Semir zur späteren Weiterleitung aus und taumelte dann mehr, als sie ging, in ihr Appartement. Den Ersatzschlüssel hatte sie auf ihrer Station deponiert und noch kurz geholt, aber als sie in ihrer Wohnung war, nahm sie die Beruhigungstablette folgsam mit einem Schluck Wasser und legte sich in voller Intensivmontur in das Bett, das ja schon von Irina benutzt worden war. Das war ihr allerdings im Augenblick völlig egal und obwohl sie nicht einmal die Läden geschlossen hatte und draußen gerade der Tag anbrach, war sie binnen kurzem eingeschlafen.


    Als Semir nach einem kleinen Erschöpfungsschlummer erwachte, weil die Nachtschwester an den Frühdienstpfleger Übergabe machte, sagte sie zu ihm: „Sarah lässt liebe Grüße von ihrer Frau ausrichten, der geht es den Umständen entsprechend gut. Sie selber hat sich in ihrem Appartement ein wenig hingelegt, sonst hätte sie nämlich unser Stationsarzt auch noch aufgenommen. Es war für sie alle gestern ein harter Tag, jetzt hoffen wir, dass sie den unbeschadet überstehen!“ und Semir nickte unter seiner Maske. Er hörte zu, was die Pflegerin zu ihm und danach zu Ben zu sagen hatte.


    „Herr Gerkan wurde bei der Entführung am Köln-Bonner Flughafen als Geisel genommen. Dabei wurde Fentanylgas in die Passagierkabine eingeleitet, was zur sofortigen Bewusstlosigkeit und im weiteren Verlauf zum Atemstillstand führte. Seine Frau kam anscheinend gerade rechtzeitig hinzu und hat ihn beatmet, bevor es zu schwerwiegenderen Schädigungen kam. Damit hat er vermutlich mehr Glück als unser anderer Zugang. Seine Frau liegt übrigens in der Handchirurgie, weil sie sich bei der Rettungsaktion die Hände schwer verletzt hat.
    Er wurde zunächst vor Ort notfallmäßig intubiert, aber kurz darauf, nach Naloxongabe, wieder extubiert. Im Verlauf flutete heute Morgen das Fentanyl wieder an, aber leider hat er, kurz bevor wir mit dem Naloxon da waren, erbrochen und Magensaft aspiriert. Er soll jetzt engmaschige Blutgaskontrollen, Sauerstoff und großes Labor kriegen, ein Röntgen-Thorax ist auch schon im PC eingegeben. Wir haben nachgeschaut-die Halbwertzeit von Fentanyl liegt bei vier Stunden, also so langsam sind wir aus dem kritischen Bereich heraus!“ Der Pfleger nickte und Semir nahm sich vor, später zu fragen, was es mit dieser Halbwertzeit auf sich hatte. Während nun die Schwester die etwas ausführlichere Übergabe von Ben machte, schloss er noch kurz die Augen, um Kraft für seinen Anruf bei seiner Schwiegermutter zu sammeln.

  • Aber zuvor hörte er noch zu, was die beiden Pflegekräfte zu Ben´s Krankengeschichte zu sagen hatten. „Herr Jäger wurde gestern Abend an der Hüfte angeschossen-ist aber nur ein tiefer Kratzer ohne chirurgische Intervention- und fiel daraufhin aus einiger Höhe rücklings auf eine Betonspitze, die ihn gepfählt hat. Dabei wurde die Leber so stark verletzt, dass eine Leberteilresektion notwendig wurde. Weil auch große Gefäße betroffen waren, hat er eine Massentransfusion gebraucht. Der Hb-Wert war nur noch bei 3,1. Nebendiagnosen sind noch eine Lungenkontusion und eine Nierenquetschung, die aber konservativ behandelt werden. Bitte vorsichtig sein-er achtet stark auf seine Umwelt und reagiert überschießend, wenn er zu schwach sediert ist! Deshalb hat er sich heute schon einmal selbst extubiert und ist wegen der Kehlkopfschwellung danach nur mühsam mit Glidescope zu reintubieren gewesen.
    Beim Absaugen kommt immer noch relativ viel Blut, deshalb soll er vorerst noch beatmet bleiben. Der Katecholaminbedarf ist eher niedrig und an den Wachheitsgrad gekoppelt, allerdings soll er viel Volumen bekommen, damit die Niere gespült wird. Du müsstest ihn übrigens von seinem letzten Aufenthalt her kennen, er war erst vor gut einem viertel Jahr mit einer Milzruptur bei uns.“ erklärte die Nachtschwester und der Pfleger nickte nachdenklich. „Doch, jetzt, wo du´s sagst, kommt er mir schon bekannt vor. Ist das nicht Sarah´s Freund?“ wollte er wissen und die Schwester nickte. „Die Arme war die ganze Nacht da, aber jetzt hat sie sich ein wenig in ihrem Appartement im Wohnheim hingelegt-unser Doc hat sie weggeschickt, sie wäre sonst zusammengeklappt. Ruf sie aber bitte auf dem Festnetz an-die Nummer liegt vorne- wenn sich hier was verändert, sonst köpft sie uns, wenn wir sie nicht informieren.!“


    Nun musste Semir unter seiner Sauerstoffmaske grinsen-da hatten sie das Richtige gesagt. Wenn Sarah ihren Ben in Gefahr sah, wurde sie zur Löwin-wie seine Andrea, wenn mit ihm oder den Kindern was war! Dann verfinsterte sich aber seine Miene. So ein Mist, dass er vorhin gar nicht mitgekriegt hatte, als Sarah zurückgekommen war. Was genau sie wohl Andrea erzählt hatte? Na ja, egal, jetzt musste er erst mal Margot verständigen, damit Susanne entlastet wurde. Wie die wohl mit den Kindern zurechtkam? Eigentlich müssten die jetzt langsam aufstehen und zu Schule und Kindergarten fertig gemacht werden-ach was dachte er da drüber nach? Das war doch egal, ob die heute dahin kamen. Susanne würde das schon machen, beruhigte er sich selber. Wichtiger war, dass die nicht so weinen mussten, wenn weder Mama, noch Papa da waren. Susanne kannten sie zwar, aber normalerweise hätte man ihnen das am Vorabend erklärt, dass morgens, wenn sie aufstünden, die Eltern nicht daheim waren!


    Die Pflegekräfte gingen weiter zur nächsten Übergabe am Patientenbett und Semir griff ins Nachtkästchen nach seinem Handy. Es war zwar erst 6.30 Uhr, aber Margot war Frühaufsteherin, dabei könnte sie doch länger liegenbleiben, weil seine Schwiegereltern schon beide pensioniert waren. Aber nein, die stand freiwillig vor Tau und Tag auf und ging morgens oft schon spazieren! Das würde ihm und Andrea später mal nicht passieren, hatten sie sich geschworen. Sie würden den halben Vormittag ausschlafen und dann erst den Tag geruhsam angehen lassen, wenn sie mal nicht mehr berufstätig waren!


    Semir suchte die Nummer aus dem Speicher und tatsächlich war nach dem zweiten Klingeln sofort Margot dran, die schon frisch und munter klang. Sofort fragte sie besorgt: „Semir, was gibt´s, ist was mit Andrea und den Kindern?“ weil sie Semir´s Nummer auf der Rufnummernanzeige erkannt hatte. Semir räusperte sich und musste sich anstrengen, um einigermaßen verständlich herauszubringen. „Margot, leider bräuchten wir mal wieder deine Hilfe! Könntest du ein paar Tage die Kinder bei uns zuhause hüten? Andrea und ich liegen nämlich beide in der Kölner Uniklinik!“ Margot stieß einen entsetzten Laut aus. „Um Himmels Willen! Semir, was ist passiert und warum kann Andrea mich nicht anrufen, ist es etwas Schlimmes, hattet ihr einen Unfall?“ sprudelte sie heraus. Semir musste erst seine Maske wieder aufs Gesicht ziehen und ein wenig Sauerstoff einatmen, so knapp war seine Luft. Gerade begannen seine Sättigungs-und andere Alarme anzuschlagen, da brachte er gerade noch kurzatmig heraus. „Nein, ist nicht so schlimm!“ da kam auch schon der Frühdienstpfleger herein, um nach der Alarmursache zu sehen. Er hatte mit einem Blick die Situation erfasst, nahm Semir das Telefon aus der Hand, der nun angestrengt nach Luft japste und noch versuchte „Oma!“ zu formulieren. Der Pfleger meldete sich am Telefon und sagte: „Hier spricht Herr Maier von der Intensivstation der Uniklinik Köln. Herr Gerkan kann jetzt leider nicht mehr länger telefonieren, aber vielleicht kann ich ihnen helfen?“ während er das Bettkopfteil Semir´s höherstellte und den Sauerstoff weiter aufdrehte.


    Margot war völlig entsetzt, als sie die Geräusche im Hintergrund hörte und machte sich große Sorgen um Andrea und Semir. „Mein Schwiegersohn hat mir gerade mitgeteilt, dass er und meine Tochter im Krankenhaus liegen. Können sie mir bitte sagen, was passiert ist und was den beiden fehlt!“ fragte sie angstvoll. Der Pfleger überlegte kurz, aber das war wohl keine Schweigepflichtverletzung und deshalb sagte er: „Herr Gerkan liegt zur Überwachung bei uns und hat Probleme mit der Atmung, deshalb kann er gerade nicht telefonieren. Ihre Tochter wurde an den Händen operiert und liegt momentan noch im Aufwachraum und schläft ihre Narkose aus. Sie kommt später auf Normalstation und kann sie dann sicher anrufen und näher informieren. Ich muss mich jetzt nur um meinen Patienten kümmern!“ sagte er, denn Semir begann nun schon ein wenig blau zu werden. „Richten sie ihm bitte aus, ich fahre sofort los zu meinen Enkelkindern und gute Besserung!“ sprudelte Margot hervor und dann legte der Pfleger das Telefon weg, denn er hatte nun Wichtigeres zu tun.


    Ben hatte, nachdem er so beunruhigt wach geworden war und das blöde Ding aus seinem Hals gezogen hatte, keine Erinnerung mehr an die Zeit danach. Er hatte noch gemerkt, dass er immer schwerer Luft bekam und war froh gewesen, als er wieder einschlafen durfte. Jetzt hörte er im Unterbewusstsein Alarmtöne und Geräusche, abgehackte Stimmen schwirrten durch sein Bewusstsein und er versuchte mühsam die Augen zu öffnen. Als er es geschafft hatte, starrte er völlig verständnislos auf die Szene, die sich direkt vor seinen Augen abspielte. Mehrere in brombeerfarbene Kleidung gehüllte Menschen kümmerten sich um jemand direkt vor ihm und als er die Augen zusammenkniff, um klarer zu sehen, konnte er auf einmal Semir erkennen, der blau angelaufen im Bett neben ihm lag. Seine Gedanken flossen zwar träge, aber klar war, dass er da irgendwas tun musste. Er begann gegen seine Fesseln zu kämpfen und gegen die Beatmung zu pressen.
    Der Frühdienstpfleger drehte sich kopfschüttelnd zu ihm um und erfasste mit einem Blick die Situation. „Du liebe Güte, jetzt fängt der Nächste an, das kann ja ein heiterer Frühdienst werden!“ sagte stoisch und verpasste Ben einen großzügigen Bolus Narkosemittel aus dem Perfusor, bis der die Augen wieder schloss und schlaff wurde.

  • Semir meinte, er müsste ersticken! Knapper und knapper wurde die Luft, die er mühsam versuchte in seine Lunge zu ziehen. Er bekam furchtbare Angst und war völlig hilflos und verzweifelt. Plötzlich war nicht nur sein zuständiger Pfleger da, sondern das Zimmer füllte sich mit Menschen, die ihm helfen wollten. Auch der Arzt war da und gab einige Anordnungen, die Semir in seiner Panik nicht verstehen konnte. Er merkte, dass ein Medikament in seinen Zugang gespritzt wurde und dann schnallte man eine dichte Maske auf seinem Gesicht fest. Erst wollte er sie herunterreißen, weil er das Gefühl hatte, es wäre eng darunter und er würde erst recht keine Luft kriegen, aber als das Morphium zu wirken begann, man ihm gut zuredete und seine Hände ein wenig festhielt, merkte er, wie es mit dem Atmen mit der Maschine leichter wurde.


    Aus dem Augenwinkel hatte er noch bemerkt, wie Ben plötzlich unruhig wurde und sich zu befreien versuchte, aber vom Pfleger binnen kurzem medikamentös zur Ruhe gebracht wurde. Dann nahm eine wohlige Müdigkeit von ihm Besitz und er schloss die Augen, atmete willig in die Maske und genoss es, wieder genügend Sauerstoff zu bekommen. Seine Gesichtsfarbe wurde wieder rosig und die anderen Pflegekräfte, die geholfen hatten, verließen das Zimmer wieder, um sich um ihre eigenen Patienten zu kümmern. Nur der Arzt, der noch einige Anordnungen traf und der zuständige Pfleger blieben im Zimmer. „Das war knapp!“ sagte der Arzt. „Ich dachte schon, wir kämen um eine Intubation nicht herum!“ und der Pfleger nickte dazu. „Bitte noch einen DK und ich lege nachher noch eine Arterie.“ Informierte er den Pfleger, der dazu nickte. Das war ja klar, dass man Semir nun auch ein wenig verkabeln musste, wenn sich eine Aspirationspneumonie dermaßen schnell entwickelte.


    Semir schlief ein wenig vor sich hin und bemerkte es kaum, dass sich jemand zwischen seinen Beinen zu schaffen machte. Es drückte kurz und dann floss der Urin in den Beutel, was Semir in dem Moment aber völlig egal war. Er wurde wieder zugedeckt und verstand nur am Rande, wie der Arzt etwas zu ihm sagte von wegen, dass jetzt etwas pieken würde. Sollten sie doch machen-er schwebte gerade auf Wolke sieben und gönnte seinem Körper den nach der Aufregung dringend notwendigen Schlaf.
    Der Arzt hatte sich steril angezogen und kurz oberhalb von Semir´s Handgelenk einen arteriellen Zugang gelegt, mit dem man den Blutdruck invasiv messen konnte und zugleich engmaschige Blutgaskontrollen vornehmen. Als alles verklebt war, schloss der Pfleger noch den Druckbeutel an und nullte den Messdom, damit er eine korrekte Kurve auf dem Monitor hatte. Während der Arzt nun seine Patienten, beginnend in einem anderen Zimmer, an den übernehmenden Arzt der Tagschicht übergab, räumte der Pfleger ein wenig auf, um sich zunächst seinem dritten Patienten im Nebenzimmer zu widmen. Die beiden Polizisten sollten sich ein wenig ausruhen, bevor er bei ihnen mit seiner Arbeit weitermachte!


    Susanne machte sich Sorgen! Niemand hatte ihr Bescheid gesagt, wie die Operation bei ihrer Freundin verlaufen war-hoffentlich war alles gut gegangen. Susanne hatte zwar versucht, ein wenig Schlaf auf dem Wohnzimmersofa zu ergattern, aber sie kam einfach nicht zur Ruhe und lauschte immer angstvoll auf das Klingeln des Telefons. Nachdem die Kinder fest schliefen, was sie aber x-Mal kontrolliert hatte, war fast die ganze Nacht der Fernseher gelaufen und sie hatte aus der Ferne die Geiselbefreiung miterlebt. Ständig sah sie bekannte Gesichter auf dem Bildschirm und als sie ihre Freundin hatte über das Rollfeld rennen sehen, war ihr beinahe das Herz stehengeblieben. Sie hatte nur mit geballten Fäusten atemlos auf den Bildschirm gekuckt und erwartet, dass es knallen würde und Andrea umfallen würde, aber erst als der SEK-Mann sich dann nach dem erwarteten Knall vom Dach des Flugzeugs in die offene Tür geschwungen hatte und Andrea einfach weitergelaufen war, hatte sie sich getraut, wieder Luft zu holen.
    Man sah, wie ein Notarzt kurz nach Andrea in die Maschine kletterte und dann verging noch einige Zeit, bis die Gangway angebracht war und die Rettungsmaßnahmen anlaufen konnten. Als Semir mit einem Tubus im Hals liegend aus der Maschine gebracht wurde, blieb ihr vor Angst beinahe das Herz stehen. Andrea wurde ebenfalls rausgeführt, hatte eine Decke über den Schultern und wurde von ihrem Team liebevoll in Empfang genommen. Gott sei Dank war sie nicht alleine! Wie gerne wäre sie jetzt bei ihr gewesen, aber die Versorgung der Kinder war genauso wichtig!


    Als der RTW vom Rollfeld als einer der Letzten abgefahren war, hatte Susanne mit der PASt telefoniert und dem diensthabenden Kollegen die Informationen entlockt, die ihr wichtig waren. „Die Chefin hat mich vorhin angerufen und mir die Dienstplanänderungen für morgen mitgeteilt. Bei uns ist bis zum Mittag nur die Notbesetzung aktiv und alle am Einsatz Beteiligten, brauchen erst nachmittags zur Arbeit zu kommen. Dazu gehörst du ja auch, wenn ich mir das so überlege. Sie hat gesagt, dass Semir wach war, als Andrea zu ihm in den Krankenwagen gestiegen ist und die beiden sind in die Kölner Uniklinik gebracht worden, wo auch Ben liegt.“ Susanne hatte ihm für die Auskunft gedankt und als die Berichterstattung im Nachrichtenkanal zu Ende war, hatte sie den Fernseher ausgeschaltet und erfolglos versucht zu schlafen.


    Sie war sehr erleichtert gewesen, als Semir sie angerufen hatte und ihr mitgeteilt hatte, dass Margot kommen würde. Die kannte sich im Gerkan´schen Haushalt und mit den Kindern perfekt aus. Auch wollte Susanne unbedingt nach ihrer Freundin sehen und wissen, wie die Operation verlaufen war. Semir hatte gut geklungen und nun konnte man nur hoffen, dass auch Ben das Ganze folgenlos überstehen würde. Als wenig später Ayda die Treppe herunterkam, war Susanne schon wieder gefasst und begrüßte sie freundlich lächelnd. „Guten Morgen Maus!“ sagte sie. „Mama und Papa mussten heute Nacht überraschend weg und deshalb passe ich jetzt ein bisschen auf euch auf!“ erklärte sie ihr. Ayda schaute zwar verwundert, erklärte Susanne aber dann: „Ich muss jetzt dann zur Schule und du musst mir mein Pausenbrot schmieren. Und Lilly müssen wir auch wecken, die geht auch in den Kindergarten, ob sie will oder nicht!“ Susanne nickte und musste insgeheim lächeln, als Ayda ihr altklug erklärte: „Aber ich sag´ dir schon, was du machen musst!“

  • Tatsächlich klappte das mit den Kindern besser, als Susanne erwartet hatte. Sie konnten zur Schule und zum Kindergarten auch laufen, so dass Susanne keine Kindersitze benötigte. Als sie gegen 8.30 Uhr wieder zum Haus der Gerkan´s zurückkam, bog Margot gerade in die Einfahrt ein. Sie sprang beinahe aus dem Wagen-Susanne musste sich wundern, wie diese schon kurz über 70 jährige Frau fit und beweglich war-körperlich, wie geistig. Sie half ihr, ihren Koffer ins Gästezimmer zu tragen und Margot forderte dann Susanne auf, ihr zu erzählen, warum Tochter und Schwiegersohn im Krankenhaus gelandet waren.


    Andrea hatte ihre Narkose inzwischen ausgeschlafen und wurde auf ihr Zimmer auf der normalen Station gebracht. Sie fühlte sich relativ wohl, obwohl ihre Hände schon ziepten. Als sie kurz darauf zum ersten Mal zur Toilette musste, wurde ihr bewusst, was ihr in nächster Zeit bevorstand! Sie schaffte es gerade die Glocke zu drücken, aber eine Schwester musste mitgehen und ihr bei beinahe allen Verrichtungen helfen! Sie musste-noch bevor sie nach Semir sah-sofort ihre Mutter anrufen, die Susanne entlasten und sich vermutlich in nächster Zeit bei ihnen einquartieren müsste. Sie bat die Schwester, ihr die Nummer auf dem Handy zu wählen und als kurz darauf ihr Vater hin ging, sagte der ganz erleichtert: „Kind, schön dich zu hören, geht´s dir gut?“ und Andrea bejahte und bat darum, ihre Mutter sprechen zu dürfen. „Die ist schon vor ´ner guten Stunde mit dem Auto zu euch gefahren. Semir hat sie angerufen und da war sie nicht mehr zu halten!“ erklärte er, um dann zu klagen, dass er jetzt ganz unmotorisiert dasaß. Andrea versprach ihm, dafür zu sorgen, dass er den Wagen bald zurückbekam und verdrehte innerlich die Augen. Mensch, der hatte Sorgen, bei ihnen ging´s um Leben und Tod und ihr Vater machte sich nur Sorgen um seinen Komfort-typisch! Nachdem Semir aber anscheinend schon alles organisiert hatte, lehnte sie sich noch ein wenig im Bett zurück und ruhte sich aus. Der Weg zur Intensivstation wäre ihr im Augenblick noch zu weit gewesen, aber später würde sie sich auf den Weg machen.


    Dort hatte der Pfleger inzwischen seinen dritten kritischen Patienten versorgt. Dieser Russe war auch ein Opfer der Fentanylaffäre geworden, aber ihn hatte es wesentlich schwerer erwischt. Der hatte schon im Flugzeug erbrochen und bis seine Sauerstoffzufuhr wieder gesichert war, hatte es viel zu lange gedauert. Er lebte zwar, war aber kontrolliert beatmet und inzwischen bereits hoch septisch und der Pfleger wagte zu bezweifeln, dass der das folgenlos überstehen würde. Noch war es zu früh eine Prognose zu treffen, aber als nun auch noch Streckkrämpfe eintraten, war schon damit zu rechnen, dass sein Gehirn schwere Schädigungen erlitten hatte.


    Als der Pfleger wieder zu Semir und Ben zurückkam, schlief Semir mit der Maske auf dem Gesicht relativ friedlich, seine Sauerstoffsättigung war zwar mit 60% Sauerstoffbeatmung mittels nichtinvasivem Beatmungsgerät knapp im Normbereich, aber die Lunge hatte durchaus was abgekriegt. Das würde noch ein Weilchen dauern, bis der sich wieder erholt hatte, zumal die Temperaturanzeige, die kontinuierlich über ein Datenkabel am Dauerkatheter auf den Monitor übertragen wurde, nun bereits 38.6°C anzeigte. Semir fieberte auf und sie würden später zunächst versuchen Trachealsekret zu gewinnen und am Fiebergipfel Blutkulturen abzunehmen, aber danach sofort mit der Antibiose anfangen.


    Der Pfleger zog nun Handschuhe an und saugte Ben erst im Mund und dann noch endotracheal ab. Solange man ihn in Ruhe ließ und nicht anfasste, war er ruhig und ließ sich prima beatmen, aber sobald man etwas an ihm machte, wurde er überschießend wach und versuchte, sich nach Kräften zu wehren. Die Drainagen förderten weiter blutiges Sekret, aus der Lunge kam älteres Blut und auch im Urinbeutel war es mehr rot als gelb. Der Pfleger seufzte. Da hatte er wirklich drei schwerkranke Patienten erwischt! Während er bei Ben noch Mundpflege machte und dann den Verband kontrollierte, war er sehr dankbar, dass Sarah wenigstens den schon gewaschen hatte, sonst wäre er an diesem Vormittag mit seiner Arbeit nicht fertig geworden.
    Eine Kollegin half ihm noch Ben umzudrehen und wieder gut festzubinden. Das Blutgas wurde erneut kontrolliert und als wenig später die große Visite in der Tür stand, hatten der Pfleger und der Stationsarzt dem Chefarzt viele Neuigkeiten über ihre drei Zugänge zu berichten.

  • Zunächst wandte man sich Semir zu. Der chirurgische und der anästhesiologische Chefarzt, die mit einem Gefolge von mindestens zehn weiteren weißbekittelten Ärzten und Praktikanten die große Morgenvisite durchführten, füllten das Zimmer und wandten sich zunächst Semir zu. In kurzen Worten wurde er vorgestellt, die Aspiration erwähnt und das weitere Vorgehen abgesprochen. Semir war zwar schläfrig unter seiner Maske, aber er bekam alles mit, was um ihn herum vorging. Nur wenn er versuchte, die Maske wegzuziehen, bekam er sofort kaum mehr Luft und der Pfleger bat ihn, das zu unterlassen. „Herr Gerkan-leider ist die Naloxonwirkung bei ihnen so plötzlich abgeklungen, dass man damit nicht rechnen konnte. Nachdem wir nicht genau wissen, wieviel von dem Fentanyl sie in ihren Organismus aufgenommen haben, hatten wir sowieso vor, sie solange zu überwachen, bis wir völlig sicher sein könnten, dass kein Wirkspiegel mehr vorhanden ist. Die Halbwertszeit von Fentanyl beträgt etwa 4 Stunden, das bedeutet, dass nach dieser Zeit die Serumkonzentration halbiert ist, nach weiteren vier Stunden dann nur noch ein Viertel des Wirkstoffs vorhanden ist, usw. Nachdem wir allerdings nicht wissen, wie hoch der Ausgangswert war, hätten wir sie normalerweise 24 Stunden überwacht und wenn bis dann nichts gewesen wäre, entlassen.


    Nachdem sie nun leider genau in dieser kurzen Zeit erbrochen haben, als das Fentanyl in ihrem Gehirn wieder angeflutet ist, hat die Magensäure in ihren Bronchien großen Schaden angerichtet. Durch die Säure wurden Teile ihrer Lunge verätzt und nun können die Erreger, die sich immer in den Atemwegen befinden, sich in diesen geschädigten Gewebebezirken ungestört vermehren. Wir werden den Fiebergipfel abwarten und dann Blutkulturen abnehmen-erst dann ist ein Erregernachweis vielleicht möglich- und natürlich auch das Sekret, das sie abhusten können, untersuchen. Danach beginnen wir mit einer Breitbandantibiose, die wir eventuell in einigen Tagen umstellen, wenn wir wissen, welche Keime bei ihnen aktiv sind. Bis dahin bitte so viel maschinelle Atemgymnastik wie möglich machen, denn dann können wir eine Intubation eventuell umgehen. Wenn es aber nicht klappt, könnte es sein, dass wir sie schlafen legen müssen.“ erklärte ihm und auch den Umstehenden der anästhesiologische Chefarzt und Semir nickte nun stumm unter seiner Maske. Anscheinend würde er nicht so bald nach Hause können-so ein Mist!


    Nun wandte man die Aufmerksamkeit Ben zu, der gerade wieder friedlich vor sich hinschlummerte. Auch sein Fall wurde vorgestellt und als der chirurgische Chefarzt die Blutansammlungen in den ganzen Beuteln sah, wurde sein Gesicht sehr ernst. „Da sind wir bei weitem noch nicht über dem Berg-wie ist denn der aktuelle Hb-Wert?“ wollte er wissen. „Trotz Massentransfusion wieder leicht sinkend, aktuell bei 8,2 mg/dl!“ referierte der Stationsarzt aus dem Kopf-vor der Visite machte es einen guten Eindruck in der Chefetage, die relevanten Werte auswenig zu lernen. „Er bekommt auf jeden Fall nochmals zwei Erythrozytenkonzentrate, engmaschige Sonographiekontrollen und bitte auch ein Thoraxröntgen!“ ordnete der Chefarzt mit einem Blick auf die Sauerstoffsättigung an, die trotz Beatmung mit höherer Sauerstoffkonzentration nur um die 90% schwankte. Er zog sich nun Handschuhe an und betastete Ben´s Bauch und Rücken, was diesen wieder unvermittelt wacher werden ließ. Er verzog das Gesicht, presste gegen die Beatmung und versuchte seine Hände loszubekommen. Der Pfleger sprang hinzu und gab ihm wieder einen Bolus mit Narkosemittel. „Er ist sehr schwer zu sedieren!“ erklärte er. „ Solange man ihn in Ruhe lässt, geht er gut zu beatmen, aber sobald man ihn anfasst, wird er überschießend wach. Geht man dann allerdings mit den Sedierungsmedikamenten hoch, bricht er vom Blutdruck völlig ein und braucht wieder viel Noradrenalin. Stellt man das dann aber höher, hat er Hochdruckkrisen bis 200 mm/Hg und beginnt dann wieder verstärkt zu bluten!“ schilderte er sein Dilemma und die beiden Chefärzte hörten es sich konzentriert an. „Nachdem er ja wohl so bald noch nicht extubiert werden kann, stellen wir das Sedierungsmittel um. Er bekommt ab sofort Midazolam und kein Propofol mehr, vielleicht ist das besser!“ wurde nun einstimmig beschlossen und der Pfleger nickte. Vielleicht würde das funktionieren, allerdings wagte er es zu bezweifeln. Innerlich wollte Ben einfach nicht schlafen, er hatte nicht vor, sich ausknocken zu lassen und das war das Hauptproblem. Vielleicht wurde es wieder besser, wenn Sarah da war-denn die Nachtschwester hatte ihm sowas berichtet. Viel Ruhe und keine Aufregung wäre jetzt das Beste für die beiden Patienten in diesem Zimmer!
    Die Visite zog weiter und Semir und Ben schlummerten wieder friedlich vor sich hin.

  • Susanne setzte sich nun mit Margot an den Eßzimmertisch. Zuvor hatte sie für beide eine Tasse Kaffee aus dem Automaten in der Küche gezogen. Erwartungsvoll sah Margot sie an und nun erzählte Susanne in groben Zügen die Ereignisse der Nacht, soweit sie ihr bekannt waren. Margot schlug entsetzt die Hände vor den Mund. Sie hatte mit ihrem Mann erst eine Unterhaltungssendung im Fernsehen angeschaut und war dann bald zu Bett gegangen, so war ihre erste Information über die Geiselnahme heute Morgen im Radio auf der Herfahrt erfolgt, aber sie hatte das nur am Rande zur Kenntnis genommen. Gut, dass sie nicht gewusst hatte, wie das alles zusammenhing und wer die Hauptpersonen waren, sonst hätte sie vermutlich vor Aufregung noch einen Unfall gebaut. „Ich muss sofort zu meiner Tochter!“ sagte sie entschlossen und Susanne nickte. Genau das hatte sie auch vorgehabt und so machten sich die beiden Frauen, nachdem sie noch zwei Taschen für Andrea und Semir mit den nötigsten Krankenhausutensilien gepackt hatten, in Susannes Auto auf den Weg zur Uniklinik.


    „Ayda hat heute um 12.05 Uhr Schulschluss und mit den Erzieherinnen habe ich ausgemacht, dass ich Lilly auch so um die Zeit abhole, die wussten teilweise schon Bescheid von der Geiselnahme, es war ja auf allen Kanälen im Fernsehen!“ informierte sie Margot noch und die nickte. „Da haben wir ja genügend Zeit und auf der Rückfahrt besorge ich dann noch was fürs Mittagessen!“ beschloss sie, tatkräftig wie immer.
    Wenig später waren sie in der Klinik angelangt und fragten an der Information, auf welchen Stationen Andrea und Semir lagen. „Herr Gerkan liegt auf der Intensivstation, Besuche dort nur für enge Angehörige nach Absprache mit dem Pflegepersonal!“ erklärte ihnen der Pförtner und die beiden Frauen nickten. Erst ging es jetzt mal zu Andrea und dann würde man weitersehen.
    In der Abteilung Unfall-und Wiederherstellungschirurgie hatten sie kurz darauf Andrea´s Zimmer ausfindig gemacht und als sie hineingingen, schlug die gerade wieder die Augen auf. Sie hatte die ganze Zeit schon überlegt, ob sie es sich zutrauen sollte, alleine zu Semir zu gehen, aber sie war schon noch etwas wacklig auf den Beinen und konnte ja nicht einmal einen Aufzugknopf bedienen. Ein Lächeln zog über ihr Gesicht, als sie sah, wer da vorsichtig ins Zimmer trat. Die waren wie vom Himmel gesandt! „Mama, Susanne!“ rief sie und ihre Freundin stürzte auf sie zu und schloss sie liebevoll in ihre Arme. Auch ihre Mutter trat näher und strich ihr übers Haar. Tränen der Erleichterung flossen über Andrea´s Gesicht-nun würde alles gut werden!


    Sie schwang nach der kurzen, aber intensiven Begrüßung die Beine aus dem Bett. „Ich muss sofort zu Semir!“ teilte sie den beiden mit und als Margot fragte, ob sie denn schon fit genug dafür war, sagte sie entschlossen: „Natürlich, ich war vorhin schon mit der Schwester auf und wäre sonst auch alleine aufgebrochen!“ Gemeinsam suchten sie nun noch etwas anzuziehen für Andrea aus der Reisetasche, halfen ihr dabei und als sie in ihre Schuhe geschlüpft war, machten sie sich gemeinsam auf den Weg zu Semir.
    Als sie draußen an der Intensiv läuteten, holte der zuständige Pfleger sie ab. „Normalerweise dürfen ja nur maximal zwei Besucher zu unseren Patienten, aber wenn sie kurz machen, dürfen sie ausnahmsweise schnell zu dritt rein!“ sagte er, während er sie zu dem Patientenzimmer führte. Andrea voraus traten sie ein und die blieb momentan entsetzt von dem Anblick stehen. Eingemummelt bis zum Hals lag Semir in seinem Bett. Auf dem Gesicht hatte er eine festgeschnallte Maske, die aussah, wie ein Elefantenrüssel. Er fror erbärmlich und immer wieder schüttelte es ihn. Andrea war mit zwei Schritten bei ihm. Als sie sich in der Notaufnahme verabschiedet hatten, war er so fit gewesen, aber wie er jetzt aussah, war ja schlimm! Der Pfleger löste kurz die CPAP-Maske und ersetzte sie durch eine Sauerstoffbrille, damit sein Patient sich wenigstens kurz mit seinen Angehörigen unterhalten konnte. Trotz auf 8 Litern aufgedrehtem Sauerstoff begann Semir aber schon nach kurzer Zeit blaue Lippen zu bekommen. Er lächelte zwar seine Frau liebevoll und erleichtert an, aber er konnte kaum sprechen, weil die Luft knapp wurde. „Wie geht´s dir?“ wollte er wissen und Andrea küsste ihn sanft. „Mir geht´s schon wieder ganz gut. Ein Arzt hat zwar noch nicht mit mir gesprochen, aber die Schwester hat gesagt, es sei alles gut verlaufen und ich darf aufstehen und essen und trinken!“ sagte sie. „Nur kann ich überhaupt nichts selber machen!“ sagte sie und wies auf ihre beiden in Gipsschienen eingewickelten Hände mit den kleinen Saugdrainagen hin, die in einem Netzüberzug seitlich daran steckten. „Aber was ist mit dir?“ fragte sie dann entsetzt, denn Semir´s Gesichtsfarbe wurde nun immer blauer, so dass der Pfleger in Windeseile das CPAP-Gerät wieder anschloss. „Frau Gerkan, ihr Mann war vorhin nochmal kurz bewusstlos und hat leider genau da erbrochen und dabei Magensaft eingeatmet. Er hat nun eine Aspirationspneumonie, also eine gefährliche Form der Lungenentzündung entwickelt und muss deshalb nun mit dieser Beatmungsmaschine unterstützt werden. Er ist gerade dabei aufzufiebern und wir werden am Fiebergipfel Proben gewinnen und ihn dann antibiotisch behandeln. Vertrauen sie uns, er ist in guten Händen!“ sagte er noch tröstend, als er sah, wie sehr seine Mitteilung Andrea mitnahm. Margot war nun hinter ihre Tochter getreten und führte sie sanft weg, um sie zurück in ihr Zimmer zu bringen.
    Susanne hatte erst voller Entsetzen Semir angeschaut. Sie war in keinster Weise auf diesen Anblick vorbereitet gewesen. Sie hatte gedacht, der läge putzmunter in seinem Bett und würde nur gegen Widerstand im Krankenhaus zu halten sein und jetzt das!


    Als sie dann sah, wer blass und beatmet im Nebenbett lag, war sie gleich nochmals eine Ecke mehr fertig. Ben sah auch aus, als wäre er schon tot! Während die vielen Maschinen um ihn herum blinkten, waren unten an seinem Bett lauter blutgefüllte Beutel. Oben hing neben einigen Infusionen, die aber alle durch Infusionspumpen kontrolliert eingeleitet wurden, noch ein Blutbeutel und ein weiterer lag auf dem Nachtkästchen zur Transfusion bereit. Sie trat nun zu ihm und legte ihre Hand vorsichtig auf die seine, die fest angebunden war. Der Pfleger wollte gerade rufen: „Nicht anfassen!“ denn er machte sich darauf gefasst, dass nun wieder eine Blutdruckschwankung seinen Patienten gefährden würde, aber nichts passierte. Reglos ließ Ben über sich ergehen, dass Susanne mit Tränen in den Augen flüsterte: „Ihr dürft nicht sterben, hört ihr! Wir brauchen euch doch noch!“ und dann verließen die drei geschockten Besucher wieder das Intensivzimmer.

  • Als Andrea und ihre Begleiterinnen relativ einsilbig wieder auf Andrea´s Zimmer ankamen, teilte die Schwester ihr freundlich mit. „Frau Gerkan, der Arzt, der sie operiert hat würde gerne mit ihnen sprechen!“und Andrea nickte schweigend. Als Susanne und ihre Mutter sie fragend ansahen winkte sie kurz ab. „Bleibt ruhig da-schlimmer kann´s ja kaum kommen!“ sagte sie kurz und als der Arzt wenig später ins Zimmer trat und sie freundlich begrüßte, hatte sie außer einer versteinerten Miene und einem kurzen Nicken keine Gefühlsregung für ihn übrig. „Frau Gerkan, ich bin Dr. Rose, der Handchirurg, der sie heute Morgen operiert hat. Ich kann ihnen nur sagen, dass die Operation zufriedenstellend verlaufen ist. Ich konnte unter dem Mikroskop alle durchtrennten Sehnen wieder zusammennähen und am Zeigefinger der linken Hand war leider auch ein Nerv völlig abgeschnitten, den ich ebenfalls rekonstruiert habe. Wir können nur hoffen, dass das alles wieder zusammenwächst! Ich würde sie gerne bis morgen im Krankenhaus behalten. Da werden dann die Drainagen gezogen und sie bekommen zwei etwas komfortablere Handschienen aus Kunststoff angepasst. Wichtig ist die frühzeitig beginnende Krankengymnastik, ich gebe ihren Angehörigen eine Liste mit, damit sie heute schon dreimal wöchentliche Termine mit einem Physiotherapeuten ausmachen können. Die Ruhigstellung und Bewegung nur unter kontrollierten Bedingungen muss für sechs Wochen erfolgen und mindestens so lange werden sie auch krankgeschrieben. Ich wünsche ihnen jetzt eine gute Besserung und lassen sie sich was gegen die Schmerzen geben, das tut die ersten Tage verdammt weh!“ erklärte er und Andrea nickte gedankenverloren. Vor lauter Sorge um Semir hatte sie nur halb zugehört. Aber was mit ihr war, war unwichtig-Hauptsache Semir wurde wieder gesund! Allerdings nahm sie die Schmerztropfen, die die Schwester ihr danach unaufgefordert brachte, gerne ein-ihre Hände hatten nämlich jetzt begonnen ordentlich zu schmerzen.


    Margot strich ihrer Tochter noch durchs Haar, aber Susanne und sie mussten jetzt aufbrechen, wenn sie ihr vormittägliches Pensum noch erfüllen wollten. Andrea hatte ihnen am Weg zur Intensiv nämlich noch erklärt, wo ihr Wagen mit den Kindersitzen am Flughafen geparkt war, den würden sie gleich noch abholen. Mit dem Versprechen, abends noch zu telefonieren, machten sich die beiden Frauen auf den Weg, nachdem sie aus Andreas privaten Sachen, die in einer Tüte im Schrank lagen, den Autoschlüssel geholt hatten.
    Semir´s Reisetasche nahmen sie auch wieder mit, denn der Pfleger auf der Intensiv hatte ihnen bedeutet, dass Semir, solange er dort lag, keinerlei private Dinge brauchen würde, mit den ganzen Kabeln war dort ein Krankenhaushemd praktischer und hygienischer.


    Um Semir noch eine kleine Erholungspause nach dem Besuch der Angehörigen zu gönnen, wandte sich der Pfleger nun erst mal seinem dritten Patienten zu, um ihn zu waschen und zu versorgen. Obwohl er hoch sediert war, löste jede Manipulation weiter Streckkrämpfe aus. Mit hohen Dosen Diazepam versuchte man das in den Griff zu bringen, aber der Erfolg war eher mäßig. Als der Patient eingeliefert wurde, hatte ihn ein Polizist begleitet, um jegliche Fluchtversuche zu unterbinden. Als man aber den Zustand des Patienten reell eingeschätzt hatte, war der wieder abgezogen worden, dieser Mann wäre im Augenblick keine Gefahr für die Allgemeinheit.
    Als der Pfleger Waldemar Sharpov nun wusch, absaugte und lagerte, kam der behandelnde Arzt zu ihm ins Zimmer. „Und wie sieht´s aus?“ wollte er von dem Pfleger wissen. „Er krampft immer noch, die Pupillen reagieren überhaupt nicht und er ist weiter hoch septisch!“ erklärte der. Der Arzt seufzte auf. „Ich denke, diesen Kampf werden wir verlieren, ich setze mich mit der Polizei in Verbindung, damit die die Angehörigen verständigen oder uns zumindest eine Telefonnummer besorgen.“ sagte er und ließ den Pfleger mit seinem Patienten wieder alleine.


    Als Nächster wurde nun doch Semir gewaschen und frisch gemacht. Seine Brust war immer noch mit Andrea´s inzwischen angetrocknetem Blut verklebt und inzwischen fror er nicht mehr, sondern ihm war furchtbar heiß. Die Temperaturanzeige war nun bei 39,5°C und so nahm der Arzt mit sterilen Handschuhen nach gründlicher Desinfektion Blut aus seinem Arm ab und spritzte es in zwei Blutkulturfläschchen. Das eine war mit Nährlösung für Aerobier und das andere für Anaerobier gefüllt. Das bedeutete, das sich dort unterschiedliche Bakterien, die fraglich im Blut schwimmen würden, vermehren konnten, falls gerade welche nachweisbar waren und man dann eine gezielte antibiotische Behandlung nach Resistenztestung einleiten konnte. Dann musste Semir noch in ein flaches Sputumschälchen husten und dieses Trachealsekret würde man ebenfalls auf Keime untersuchen.
    Nun endlich hängte man die Breitbandantibiose an, die sozusagen auf Verdacht gegeben wurde, in der Hoffnung, zumindest einen Teil der Erreger abzudecken. Semir wurde noch rasiert und durfte kurz die Zähne putzen, aber danach war er redlich froh, als er seine Atemmaske des CPAP-Geräts wieder aufgeschnallt bekam. So heiß und unangenehm es darunter war, aber da hatte er wenigstens keine Luftnot! Erschöpft schloss er die Augen und fieberte weiter vor sich hin, während der Pfleger nun Ben wieder absaugte und frisch lagerte. Das Blut, das aus der Lunge kam, war nun nicht mehr nur alt, sondern es kamen frische, hellrote Anteile dazu. Mit gerunzelter Stirn konstatierte das der Pfleger und machte sich, nachdem er noch ein Blutgas abgenommen hatte, auf den Weg, um das dem Stationsarzt mitzuteilen.

  • Der kam gleich mit dem Pfleger zurück, um sich die Sache persönlich anzuschauen. Tatsächlich war, bis sie zurück waren, Ben´s Sauerstoffsättigung schon wieder gesunken und als nun der Arzt selber aus der Lunge absaugte, was bei Ben trotz umgestellter Sedierung wieder leichte Abwehrbewegungen hervorrief, kam schon wieder eine Menge hellrotes Blut. Der Arzt hängte noch das nächste Erythrozytenkonzentrat an, das schon am Nachtkästchen bereitgelegen hatte und zückte dann das Telefon, um seinen Hintergrund, einen erfahrenen Oberarzt zu verständigen. Der war innerhalb von wenigen Minuten im Zimmer, ließ sich den Sachverhalt schildern und beurteilte vor Ort die Lage, um dann seinerseits einen spezialisierten Thoraxchirurgen dazu zu rufen.


    Semir, dem es zwar auch nicht gerade gut ging, der aber gerade froh gewesen war, Andrea relativ munter vorzufinden, machte sich nun wieder große Sorgen um seinen Freund. Die drei Ärzte und der Pfleger beratschlagten mit ernsten Mienen, was Sinn machen würde, aber als nun nach kurzer Zeit schon wieder die Sättigung sank und man größere Mengen Blut absaugen konnte, traf der Thoraxchirurg eine Entscheidung. „Ich werde hier und jetzt eine kleine Thorakotomie vornehmen, versuchen minimalinvasiv die blutenden arteriellen Lungengefäße aufzusuchen und elektrisch zu verschweißen, sonst verliert er uns in kurzer Zeit wieder so viel Blut, dass er erneut in akute Lebensgefahr kommt!“ und als die Entscheidung gefallen war, liefen in Windeseile die Vorbereitungen dazu an.


    Aus dem thoraxchirurgischen OP wurde ein Endoskopieturm mit einigen steril eingeschweißten Geräten gebracht. Eine instrumentierende Schwester brachte ihr Handwerkszeug mit und geschäftig liefen die Vorbereitungen für den Eingriff an. Angstvoll sah Semir dem Treiben zu und als der Pfleger mit einem Lächeln zu ihm trat und fragte: „Wie fühlen sie sich, Herr Gerkan?“ da wies Semir beunruhigt aufs Nebenbett. „Mir geht´s schon einigermaßen, aber was geschieht jetzt mit Ben?“ wollte er dumpf unter seiner Maske wissen.
    „Da wird jetzt eine kleine Blutstillung in der Lunge vorgenommen, die bei dem Sturz doch stärker verletzt wurde, als wir momentan gedacht haben. Aber keine Sorge-in einer halben Stunde ist alles vorbei!“ sagte der Pfleger tröstend, was Semir in keinster Weise beruhigte. Während der Pfleger nun seinerseits Vorbereitungen traf und das Zimmer mit den Spezialjalousien verdunkelte und stattdessen die helle Deckenbeleuchtung anmachte, dachte Semir über dessen Worte nach. Inwieweit war es vorbei-war der Eingriff dann beendet, oder war Ben bis dahin tot-das konnte man so oder so deuten.


    Eine Kollegin des schwer beschäftigten Pflegers, der zum wiederholten Mal an diesem Vormittag seine Patientenauswahl bedauerte-Mann so viel Arbeit-hatte inzwischen bei der Polizei angerufen und die hatten die Telefonnummer von Sharpov´s Ehefrau in Kasachstan ausfindig gemacht. Da sie leidlich gut russisch sprach, hatte sie die Aufgabe übernommen, die Angehörigen über dessen Zustand zu informieren. Als sich eine weibliche Stimme meldete, begann sie erst auf russisch zu sprechen, wurde aber von der Frau am anderen Ende kurz abgewürgt. „Sie können deutsch mit mir reden, ich beherrsche beide Sprachen!“ sagte sie kurz angebunden und nun erklärte die Schwester ihr den Sachverhalt. „Hier spricht Frau Engelbrecht vom Universitätsklinikum Köln. Sind sie Frau Sharpov?“ fragte sie und ihre Gesprächspartnerin bejahte. „Es tut mir leid, ihnen das mitteilen zu müssen, aber ihr Mann wurde heute Nacht bei uns eingeliefert. Sein Zustand ist sehr ernst, er ist nicht bei Bewusstsein und wir müssen leider mit seinem Ableben rechnen. Wenn sie ihn noch einmal sehen wollen, müssten sie sich beeilen, denn wir wissen nicht, ob er die nächsten Tage überlebt!“ brachte sie es auf den Punkt. Die Frau am anderen Ende der Leitung sog scharf die Luft ein. „Ich mache mich sofort auf den Weg, aber vor morgen kann ich vermutlich nicht da sein!“ sagte sie ein wenig verzweifelt. „Ich kann nichts versprechen, aber wir bemühen uns, ihn so lange am Leben zu erhalten!“ erwiderte die Schwester und gab noch die Durchwahl der Intensivstation durch. Als der Hörer aufgelegt wurde, sah die Frau im fernen Kasachstan sich verzweifelt um. Sie hatte erwartet, dass ihr Mann in Kürze bei ihr eintreffen würde und dann für immer bei ihr blieb, so hatte er es bei seinem letzten Besuch vor drei Wochen angekündigt-und jetzt so was! Mit Tränen in den Augen rief sie ihren persönlichen Sekretär zu sich, der den Flug für sie und die beiden Kinder organisieren sollte und wies dann das Zimmermädchen an, ihr ein oder zwei Koffer mit dem Notwendigsten zu packen.

  • Der anästhesiologische Oberarzt ließ Ben nun auf den Rücken drehen. Zunächst war es notwendig, ihn umzuintubieren, denn da die rechte Lungenhälfte für den Eingriff zusammenfallen musste, war es notwendig, einen Doppellumentubus zu verwenden. Dieser spezielle Tubus hatte zwei Zuleitungen und zwei Cuff´s, mit denen jeder Lungenlappen für sich beatmet werden konnte. Nachdem man nicht sicher war, ob Ben´s Atemwege schon wieder so weit abgeschwollen waren, nahm man wieder das Glide-Scope zur Hand. Zunächst wurde Ben ein Muskelrelaxans verabreicht, damit er auch wirklich keine Bewegung machen konnte und man stellte für den Eingriff auch die Sedierungsmedikamente noch ein wenig höher und die Sauerstoffkonzentration des Beatmungsgeräts auf 100%. Nun saugte man noch den Nasen-Rachenraum ab, damit kein Schleim die Sicht behinderte und zog dann nach dem Entblocken den alten Tubus über einen Mandrin, einen sogenannten Cook-Stab, heraus. Der verblieb in den Atemwegen und hielt sozusagen den Weg in die Luftröhre frei. Sofort überstreckte dann der erfahrene Narkosearzt Ben´s Kopf, fädelte den neuen Spezialtubus über den Mandrin und benutzte den sozusagen als Führungsschiene. Nun wurde sorgfältig unter Videolaryngoskopsicht der Doppellumentubus so platziert, dass man die beiden Lungenhälften getrennt beatmen konnte. Man klemmte zur Kontrolle jeweils eine Hälfte ab und horchte dann mit dem Stethoskop auf den Brustkorb. Jeweils die eine Hälfte zeigte dann keine Atemgeräusche und hob sich auch nicht, so dass man davon ausgehen konnte, dass die Tubuslage korrekt war. Er wurde sorgfältig verklebt und momentan wurde Ben noch über beide Lumen mit wieder reduzierter Sauerstoffkonzentration beatmet.
    Nun drehte man ihn auf die linke Seite, überstreckte seinen Arm nach oben über seinen Kopf und band ihn in dieser Position fest. Mit Polsterkissen zur Stabilisierung lag er nun vorbereitet zur Thorakotomie. Der Intensivpfleger rasierte ihm noch die Achselhaare auf dieser Seite ab, klebte die Erdungselektrode auf seinen Oberschenkel und während die instrumentierende Schwester sich schon steril gewaschen hatte und nun vom Stationsarzt und einigen neugierigen Praktikanten, die auch etwas sehen wollten, ihre Einmalartikel angereicht bekam, desinfizierte der Intensivpfleger durch dreimaliges Abstreichen mit farbiger Desinfektionslösung das OP-Feld.


    Der inzwischen ebenfalls steril gewaschene und angezogenen Thoraxchirurg deckte nun mit Hilfe der Instrumentierschwester das OP-Gebiet und den ganzen restlichen Patienten mit sterilen Tüchern ab, so dass nur ein kleines Feld von vielleicht 3x3 cm auf der Mittellinie zwischen Brustwarze und Schulterblatt frei blieb. Nachdem alles vorbereitet war, griff er nun zum Skalpell und machte einen kleinen Schnitt in das freigelassene Gebiet, nachdem er zuvor den Zwischenrippenraum ertastet hatte.


    Semir, der gespannt unter seiner Maske die Vorbereitungen verfolgt hatte, musste seinen Blick mit Schaudern abwenden. Allerdings veränderte sich an Ben´s Vitalparametern überhaupt nichts und so schloss Semir daraus, dass Ben wirklich in tiefer Narkose lag. Obwohl er selber fix und fertig war, musste er nun doch wieder hinschauen-war es die berufsbedingte Neugier, oder was auch immer- aber er hätte es jetzt nicht fertiggebracht, die Augen zu schließen und sich auf etwas anderes zu konzentrieren.


    Der Chirurg nahm nun eine Schere zur Hand und drängte stumpf die Gewebeschichten zur Seite, unterstützt von seinem tastenden Finger und war binnen kurzem im Pleuraspalt angelangt. Als er den eröffnete, gab es ein zischendes Geräusch und es wurde Luft in den Zwischenraum gezogen. Allerdings fiel die Lunge nicht komplett zusammen, da Ben ja noch mit Überdruck beatmet wurde. Erst als der Anästhesist auf ein Nicken des Operateurs nun den Tubus, der die linke Seite versorgte, abklemmte, fiel die rechte Lunge komplett zusammen.
    Der Anästhesist erhöhte den Beatmungsdruck und die Sauerstoffkonzentration des Beatmungsgeräts, so dass Ben´s Oxygenierung gewährleistet war und nachdem die Sättigung nicht maßgeblich abfiel, bedeutete er dem Thoraxchirurgen, dass er weitermachen konnte. Der ließ sich nun von der OP-Schwester einen normalen Endotachealtubus geben und führte den so in den Pleuraspalt ein, dass er in Richtung rechter Unterlappen wies. Nun bekam er das sterile Endoskop in die Hand gedrückt, das mit dem Endoskopieturm mit einem Kaltlichtkabel verbunden war. Er führte es ein, das Licht wurde gelöscht und als er in den rechten unteren Bereich des Brustkorbs kam, konnte man auf dem Monitor des Geräteturms dort schon eine nicht unerhebliche Blutansammlung erkennen, die er sofort begann über den Arbeitsgang des Endoskops abzusaugen. „Da haben wir schon die Erklärung für den Hb-Abfall!“ sagte er unter seinem Mundschutz und die Umstehenden nickten. Man konnte sehen, dass das Zwerchfell schwer gequetscht war, aber dort war eine Intervention nicht nötig. Anders sah es an der Lunge aus! Die blutete an mehreren Stellen sowohl venös, als auch arteriell. „Das hätte von alleine nie aufgehört!“ sagte der Chirurg und die anderen Fachleute nickten wieder zustimmend. Systematisch begann er nun Gefäß für Gefäß mit der Elektrozange aufzusuchen und als er es gepackt hatte, leitete er mittels eines Fußschalters Strom in die Zangenspitze, so dass die Blutgefäße eines nach dem anderen verödet wurden. Man sah sogar Rauch aufsteigen und Semir meinte unter seiner Maske den Geruch nach verbranntem Fleisch wahrzunehmen. Vielleicht bildete er sich das aber auch nur ein.


    Endlich standen alle Blutungen und als der Chirurg nun den Anästhesisten anwies, vorsichtig die Klemme zu lösen und die rechte Lunge zu belüften, konnte man sehen, wie sie sich problemlos entfaltete und auch nicht mehr zu bluten begann. Zufrieden zog der Thoraxchirurg den blauen Tubus mitsamt dem Endoskop unter Sicht heraus und ließ sich noch einen Thoraxdrainageschlauch geben. Den führte er blind in den Pleuraspalt ein und vernähte dann mit einer sogenannten Tabaksbeutelnaht das Loch in Ben´s Brustkorb rund um den Schlauch herum. Der Intensivpfleger hatte erst das Deckenlicht wieder angemacht und schloss nun die vorbereitete Thoraxsaugung mit einem Pleur-Evac-System an. Ben´s Sauerstoffsättigung war nun wieder bei 98%, obwohl man am Beatmungsgerät schon wieder die Beatmungsdrücke und die Sauerstoffkonzentration reduziert hatte. Nachdem man noch einen sterilen Verband angelegt hatte, wurde Ben wieder bequemer gelagert und das Zimmer aufgeräumt.


    Als Semir auf die Uhr sah, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen. Fast unbemerkt war es 14.00 Uhr geworden und kurz darauf stand auch schon Sarah vor ihnen. „Was habt ihr denn mit meinem Freund gemacht?“ fragte sie entsetzt, war aber bald wieder beruhigt, als sie sah, dass die Werte soweit stabil waren. „Du hättest sowieso nichts machen können!“ verteidigte der Intensivpfleger seine Entscheidung Sarah nicht zu verständigen und dann verschwand er, um seine allgemeine Patientenübergabe ans Team im Stationszimmer vorzunehmen. Die Kollegen hatten in der Zwischenzeit Sharpov versorgt und gelagert und so kam wenig später die übernehmende Spätdienstschwester mit zur Übergabe am Bett und ließ sich detailliert die Ereignisse des Vormittags schildern.


    Edwina Sharpova hatte inzwischen ihre beiden Kinder, die nachmittags noch in der Ganztagsschule gewesen waren via Handy verständigt und dort Bescheid gegeben, dass die beiden die nächsten Tage nicht zum Unterricht erscheinen würden. Die 17 jährige Tochter und der 15 jährige Sohn trugen die Mitteilung mit Fassung. Sie kannten ihren Vater gar nicht so besonders gut, da er ihre ganze Kindheit höchstens einmal im Monat für ein paar Tage in Kasachstan gewesen war-nur die gemeinsamen Urlaube hatten sie einander näher gebracht. „Dann kann ich ja morgen gar nicht auf´s Fußballspiel!“ maulte der Fünfzehnjährige, aber seine Mutter bedeutete ihm still zu sein-immerhin lag sein Vater im Sterben, wenn man der Aussage der Schwester aus Deutschland Glauben schenken durfte. Aber die Sharpova würde schon herausfinden, was da passiert war-und dann ihre Konsequenzen ziehen!

  • Sarah war erst empört und sauer gewesen, dass man ihr nicht Bescheid gesagt hatte, allerdings musste sie zugeben, dass ihr der Schlaf und die nachfolgende Dusche gut getan hatten. Anscheinend hatte Ben den Eingriff auch gut überstanden und die aktuellen Blutwerte sahen gar nicht so besonders schlecht aus. Gut, nun blubberte die Thoraxdrainage noch vor sich hin, denn der mit Wasser zur Sogregulierung gefüllte, patentierte Sicherheitssaugbehälter musste den Großteil des Tages an ein Vakuum angeschlossen sein, damit kontinuierlich die Luft und Sekret aus dem Pleuraspalt gesogen wurden und sich so die Lunge entfalten konnte. Auch der dicke Schlauch, der aus Ben´s Seite kam war unangenehm, denn bald wusste man nicht mehr, wie man ihn lagern sollte, vor lauter OP-Wunden, Schusswunden und Drainageschläuchen. Allerdings schlief er jetzt relativ friedlich und war auch noch kontrolliert beatmet, da das langwirkende Muskelrelaxans noch nicht seine Wirkung verloren hatte. Allerdings hatte der Narkosearzt nach dem Eingriff die Sedierung wieder reduziert, da man ja nicht vorhatte, Ben noch ewig lange zu beatmen.


    Sarah trat nun, während ihre Kollegen Übergabe machten zu Semir. Mann, den hatte es ordentlich erwischt. Als sie sich morgens schlafen gelegt hatte, hatte sie gehofft, dass die Aspiration keine nennenswerten Folgen haben würde, aber leider sah das gar nicht so aus. Mit routiniertem Blick hatte sie die Messparameter und die Geräteeinstellungen gecheckt und eine Sauerstoffsättigung von nur 92% unter einer Maskenbeatmung mit 60% Sauerstoff gab durchaus Grund zur Sorge. Auch Semir´s immer noch hohe Temperatur gab ihr zu denken. Gut, dass man ihn inzwischen auch ein wenig verkabelt hatte, so war eine Überwachung und Flüssigkeitsbilanzierung möglich. Ihr Kollege bestätigte dann ihre Vermutung, als er bei der Bettübergabe zur Spätdienstschwester sagte: „Herr Gerkan ist nur unter NIV-Beatmung, eine Abkürzung für nichtinvasive Beatmung, also ohne Tubus, leidlich stabil. Wir haben am Fiebergipfel bereits Blutkulturen abgenommen. Wenn es über 39,5°C geht, soll er Paracetamol zur Temperatursenkung bekommen!“ sagte er und mit einem Blick auf den Monitor erkannten die drei Pflegekräfte, dass die Temperatur jetzt erreicht war. „Ich bringe nachher eine Kurzinfusion mit!“ sagte die Spätdienstschwester lächelnd und Sarah nickte zustimmend. Na da hatte sie ja einiges versäumt, aber jetzt würde sie ihre Männer nicht mehr so bald alleine lassen. Obwohl sie wieder Zivilklamotten anhatte hatten die beiden soeben ihre 24-Stunden Privatschwester gebucht-man sah ja, wo das hinführte, wenn sie nicht bei ihnen blieb!


    Kaum hatte der Frühdienstpfleger noch erzählt, dass bei beiden Patienten noch eine Thoraxkontrollaufnahme im Bett gemacht werden sollte, da stand auch schon die Röntgenassistentin mit dem fahrbaren Röntgengerät, der Mobilette vor den beiden. Sie hatte zwei Röntgenkassetten dabei und als die Spätdienstschwester mit hinlangen wollte, winkte Sarah lächelnd ab. „Geht ihr nur und macht eure Übergabe fertig, damit Jens heute auch noch irgendwann nach Hause kommt!“-der hatte nämlich inzwischen schon eine halbe Überstunde gemacht. „Wir schaffen das hier schon alleine!“ sagte sie bestimmt und Jens nickte ihr dankbar zu und verschwand mit einem: „Auf Wiedersehen, bis morgen!“ aus dem Zimmer und ging nun mit seiner Kollegin zu Sharpov.


    Sarah und die Röntgenassistentin begannen nun bei Semir. Während Sarah ihn ein wenig nach vorne zog und nebenbei das Bett flach stellte, sagte sie. „Semir, jetzt kommt nur kurz die Röntgenkassette unter deinen Rücken. Nicht erschrecken, die ist kalt und hart. Das dauert aber keine Minute, dann bist du auch schon fertig und sonst passiert auch nichts weiter!“ erklärte sie ihm, während sie ihn aufforderte, sich langsam zurückzulegen. Semir erschauerte und bekam gleich eine Gänsehaut. Während Sarah noch kurz die EKG-Kleber abmachte, damit man die Kabel nicht mit auf dem Bild hatte und die Röntgenassistentin einen Gonadenschutz auf seinen Unterkörper legte und dann die Mobilette über ihn fuhr, schaltete Sarah für zwei Minuten die Monitoralarme aus und schon verließen die beiden Frauen das Zimmer. Die Wände auf der Intensivstation waren teilweise abgeschirmt, aber trotzdem ging man als Personal, wenn möglich, weit von jeder Röntgenstrahlung weg. Mit einem Schalter an einem langen Kabel kommandierte die Röntgenassistentin: „Jetzt einatmen, ausatmen, die Luft anhalten!“-drückte dann auf den Auslöser und sagte dann: „Und jetzt weiteratmen!“ und dann traten die beiden Frauen schon wieder ins Zimmer zurück. Die Röntgenplatte wurde wieder unter Semir´s Rücken hervorgeholt und während die Röntgenassistentin sie noch mit einem Desinfektionstuch routinemäßig abwischte, klebte Sarah wieder die EKG-Kleber auf Semir´s Brustkorb fest und clipste die Überwachungskabel an.


    Dasselbe machten die beiden nun, nachdem sie die Hände desinfiziert hatten bei Ben. Sarah gab ihm vorsichtshalber zuvor einen Sedierungsbolus, sonst würde sein Blutdruck wieder unnötig ansteigen. Sie löste die Handfixierungen, drehte ihren Freund vorsichtig auf den Rücken und dankte insgeheim Gott, dass er noch sediert und beatmet war. Die Schmerzen wären sonst vermutlich kaum auszuhalten gewesen! Nachdem sie trotz Sedierung nicht sicher sein konnte, wie viel er mitbekam, redete sie ihm beruhigend zu. „Wir machen nur eine Röntgenaufnahme, Schatz!“ sagte sie und tatsächlich beschleunigte sich seine Herzfrequenz, als die kalte, harte Platte unter seinen Rücken geschoben wurde. Allerdings blieb der Blutdruck im Normbereich und innerhalb kurzer Zeit war auch diese Aufnahme geschossen. Die Röntgenassistentin half Sarah noch, Ben wieder frisch auf die Seite zu lagern und ging dann in ihre Abteilung, um die beiden Bilder zu entwickeln und im PC zum Anschauen freizugeben. Diese digitalisierten Bilder waren eine Erleichterung im Krankenhaus-vorbei die fortwährende Suche nach irgendwelchen Aufnahmen- ein Click und man hatte die auf dem Bildschirm und die Chefärzte waren teilweise sogar zuhause mit der Klinik vernetzt und konnten von dort die Befunde und Röntgenbilder einsehen.


    Sarah machte noch Ben´s Mund ein wenig frisch und setzte sich dann auf den Stuhl neben seinem Bett, um seine Hand zu halten und ihn mental mit ganzer Kraft zu unterstützen. Auch Semir döste wieder vor sich hin und so waren alle überrascht, als plötzlich Besuch im Zimmer stand.

  • Hartmut war nach Hause gefahren und hatte sich hingelegt. Als er gegen Mittag aufwachte, konnte er immer nur an Irina denken. So ein Mist-die war ein russischer Junkie und er sollte sie eigentlich so schnell wie möglich vergessen. Sie war im Krankenhaus versorgt und würde sich an ihn vermutlich gar nicht mehr erinnern können-und wenn ja, dann mit Schrecken, denn er hatte sie schließlich mit ihrer Drogensucht erpresst, damit sie kooperierte. Allerdings halfen diese ganzen Vernunftsmomente jetzt nicht gegen seine Gefühle-er musste sie einfach sehen, oder zumindest erfahren, wo sie hingekommen war.
    Seufzend kochte er sich einen Kaffee, um dann zum Telefonhörer zu greifen. Er rief in der PASt an und erfuhr, dass die Chefin soeben aufgekreuzt war. Er bat darum, sie sprechen zu dürfen und erfuhr von Susanne´s Vertretung, dass sie gerade vorhatte, den Kulturreferenten zu verhören, der die Nacht ohne Widerrede in der Zelle verbracht hatte. Allerdings kam sie kurz ans Telefon und er hatte eigentlich einen Anpfiff erwartet, weil er noch nicht an seinem Arbeitsplatz war, aber sie fragte ihn nur milde: „Hartmut, denken sie, sie könnten sich später noch das Betonkunstwerk näher ansehen? Ich habe es von Uniformierten bewachen lassen und es hat auch schon ein Spusimann der Innenstadtwache sich dort umgesehen, aber ich hätte trotzdem gerne ihr Urteil und ihren Sachverstand da dran!“ erklärte sie ihm. Hartmut versicherte, dass einer seiner nächsten Wege dorthin führen würde, aber zuvor wollte er zwei Dinge wissen: „Chefin, wie geht´s Semir, Ben und Andrea-und wo ist die Bukow hingekommen?“ fragte er.


    „Semir und Ben geht´s nicht so sonderlich gut, sie liegen beide auf der Intensivstation. Andrea wurde an den Händen operiert und ist auf Normalstation und soll morgen schon entlassen werden, der geht´s wohl so einigermaßen-und die Bukow liegt ebenfalls in der Uniklinik zum körperlichen Entzug-ehrlich gesagt, ich habe mich nach deren Befinden nicht erkundigt, warum interessiert sie das?“ fragte sie neugierig und Hartmut wiegelte ab. „Das ist mir nur gerade so eingefallen. Ich schau mal noch kurz in der Klinik vorbei und fahre dann zum Neumarkt. Von dort melde ich mich dann!“ erklärte er und die Chefin setzte noch nach „Hartmut, heute Abend haben sie dann ganz normal um 17.00 Uhr Feierabend. Ab morgen versuchen wir unser Tagesgeschäft wieder aufzunehmen, aber heute wird nur das Nötigste erledigt!“ und Hartmut stimmte ihr überrascht und erfreut zu.
    Während die Chefin sich dem Verhör widmete, setzte sich Hartmut nach einer Dusche und ´nem Kaffee in seinen Wagen und machte sich auf den Weg zur Uniklinik. Wenn er normal als Besucher fragte, würde er auf gar keinen Fall erfahren, wo Irina zu finden war und so zückte er an der Pforte seinen Polizeiausweis. Irina war auf der inneren Intensiv und Semir und Ben auf der chirurgischen. Andreas Zimmernummer erfuhr er ebenfalls und so machte er sich zunächst auf den Weg zur Inneren Intensiv. Als er gefragt wurde, ob er Angehöriger sei, schwindelte er ein wenig und behauptete, ein nahestehender Freund zu sein. Die Pflegekräfte beratschlagten kurz, aber dann ließen sie den Besuch herein. Vielleicht würde es der jungen Frau helfen, wenn jemand Vertrautes nach ihr sah!


    Als Hartmut ins Patientenzimmer kam, in dem Irina neben einem beatmeten Opi lag, erschrak er, welche Veränderung innerhalb weniger Stunden mit der attraktiven jungen Frau vor sich gegangen war. Sie lag in einem Krankenhaushemd, völlig verschwitzt mit verschmiertem Augen-Make up im Bett, war mit Bauchgurt und an Händen und Füssen fixiert, wie ein Schwerverbrecher und döste unter dem Einfluss starker Entzugsmedikamente vor sich hin. Als er zu ihr trat, ihre Hand nahm und leise „Irina!“ sagte, schlug sie die Augen auf und hatte anscheinend Mühe, ihn zu erkennen. Als sie dann sah, wer vor ihr stand, begann sie zu weinen. „Du hast mich nicht vergessen?“ fragte sie und Hartmut schüttelte den Kopf. „Ich habe es doch versprochen und ich pflege meine Versprechen zu halten!“ sagte er fest und drückte ihre Hand.
    Allerdings war Irina´s lichter Moment wohl schon wieder vorbei, denn sie begann nun wirres Zeug zu reden und gegen ihre Fesseln zu kämpfen. Hilflos stand Hartmut daneben und als die Schwester ins Zimmer trat, gab sie ihr gleich einen Propofolbolus, der sie in Kürze eindämmern ließ. „Sie hat das Vollbild eines Drogenentzugsdelirs!“ erklärte sie Hartmut. „ Wir mussten sie zum Eigenschutz fixieren und können jetzt nur abwarten, bis dieser Zustand vorbei ist!“ erklärte sie ihm. „Und wie lange dauert das üblicherweise?“ wollte er nun wissen. Die Schwester zuckte mit den Schultern. „Das kann niemand vorhersagen, von Tagen, über Wochen ist alles möglich, wenn es vorbei ist, ist es vorbei!“ erklärte sie ihm und Hartmut sagte mit kloßiger Stimme. „Ich lasse ihnen meine Karte da-würden sie mich anrufen, wenn sie wieder bei Sinnen ist?“ und die Schwester nickte und legte seine Visitenkarte zur Patientenakte.


    Schwer erschüttert machte sich Hartmut nun auf den Weg zu Andrea-er musste jetzt erst jemanden besuchen, der bei Sinnen war und mit dem man sprechen konnte! Wenig später klopfte er an die Zimmertür und stand nach einem freundlichen „Herein!“ wenig später vor seiner ehemaligen Kollegin.
    Susanne war mit Margot den Wagen holen gefahren und hatte sich danach gleich auf den Weg nach Hause gemacht, um sich vor Arbeitsbeginn noch ein wenig hinzulegen. Erst konnte sie nicht einschlafen-sie hätte eh nur zwei Stunden gehabt, aber als sie dann aufstehen und sich richten wollte, streikte ihr Kreislauf. Nachdem sie auf dem Weg ins Bad beinahe ohnmächtig geworden wäre, kapitulierte sie und griff zum Telefon, um sich krank zu melden. Die Chefin war auch gleich dran und als Susanne ihr ihren Zustand schilderte, wünschte sie ihr herzlich gute Besserung und als Susanne sich nun wieder hinlegte, war sie vor Erschöpfung binnen Minuten eingenickt und schlief durch bis zum nächsten Morgen.

  • Die Chefin hatte sich das unbedingt notwendige Schlafpensum, das sie brauchte, um einigermaßen funktionieren zu können, gegönnt. Als sie frisch gestylt um die späte Mittagszeit in der PASt ankam, stellte sie gerührt fest, dass auch ohne ihre Organisation der Dienstbetrieb aufrechterhalten worden war. Alle direkt an der Geiselnahme Beteiligten waren noch zuhause und dafür mehrere Kollegen freiwillig aus dem Frei gekommen. Das „Wir-Gefühl“ war anscheinend in ihrer Dienststelle erhalten und als sie in ihr Büro ging, überfiel sie auch niemand mit irgendwelchen Fragen, sondern ein Kollege stellte ihr mit einem freundlichen „Guten Tag!“ eine Tasse Kaffee hin. Als sie tief durchgeatmet hatte, ließ sie den leitenden Beamten vortragen, was es für wichtige Neuigkeiten gab. Allerdings war eigentlich nur der Routinebetrieb abgelaufen und die einzige Frage, die dem Polizisten auf den Nägeln brannte, war die, was mit dem Kulturreferenten in der Zelle passieren sollte. Der Chefin fiel erst jetzt siedendheiß ein, dass sie diesen Weidenhiller völlig vergessen hatte, weil sie den ja unbedingt persönlich hatte befragen wollen und dann war die Meldung vom Flughafen gekommen. Ach du liebe Güte-hoffentlich gab es da keinen Ärger deswegen. Jeder Anwalt hätte ihn sofort herausgeholt, denn er war ja irgendwie nicht tatverdächtig, sondern hatte sich nur auffällig benommen und sollte deswegen befragt werden. Sofort stand sie auf, um ihn zu vernehmen und dann mit einer Entschuldigung nach Hause zu schicken, als gerade Hartmut anrief. Sie teilte ihm mit, was sie ihm zu sagen hatte und ging dann selbst zur Zelle, um den Politiker in den Verhörraum zu bringen.


    Der Mann musterte sie kurz von oben bis unten, als sie die Tür öffnete. Irgendwie war Frau Krüger der kalte Blick ein wenig unheimlich, aber wenig später setzte der Anzugträger wieder ein verbindliches Lächeln auf und folgte ihr in den Verhörraum. Sie bot ihm eine Tasse Kaffee an, die er dankend entgegennahm und die Krüger versuchte, möglichst verbindlich zu wirken, um keinen Ärger zu provozieren. „Herr Weidenhiller, es tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, bis ich Zeit für sie gefunden habe, aber bei uns war einiges los!“ erklärte sie ihm und schilderte ihm auf seinen fragenden Blick hin, grob die Einzelheiten der Geiselnahme. Er würde das, sobald er nach Hause kam, sowieso erfahren und wenn sie ihm ein wenig in Augenhöhe begegnete, dann würde er vielleicht auf eine Beschwerde verzichten. Weidenhiller nickte und nun fragte er seinerseits:“Wie geht es denn Herrn Jäger?“ und die Chefin zuckte mit den Schultern. „Nicht so gut, er liegt beatmet im Universitätsklinikum und auch die Familie Gerkan hat die Geiselnahme nicht sonderlich gut überstanden und ist ebenfalls dort. Wenn sie mir jetzt noch kurz erklären, warum sie versucht haben am Neumarkt zu fliehen, dann sind wir auch schon fertig!“ erklärte sie und der Kulturreferent sagte harmlos. „Ich habe mich geschämt, weil ich so voyeuristisch war und die Rettungsarbeiten behindert habe. Ich hatte gedacht, ich könnte unbemerkt verschwinden, aber leider wurde mein Tun dann falsch interpretiert. Ich kam zufällig des Wegs, denn ich fahre immer von der Innenstadt nach Lindenthal, wo ich wohne mit der U-und Straßenbahn und muss am Neumarkt umsteigen. Witzigerweise bin ich da schon mehrfach Herrn Jäger begegnet, der das ihnen gegenüber vielleicht erwähnt hat!“ und die Chefin akzeptierte seine Erklärung. „Damit hätten wir das geklärt, ich darf mich noch kurz für die Unannehmlichkeiten entschuldigen und wünsche ihnen einen schönen Nachmittag!“ sagte Frau Krüger und ließ den Mann von einem uniformierten Polizisten nach Aushändigung seiner privaten Sachen, wie Handy etc., hinausbringen. Vielleicht hatte sie ja Glück und da kam nichts nach-er hatte auf jeden Fall nicht besonders rachsüchtig gewirkt. Während die Chefin ihrer weiteren Arbeit nachging, stieg der Kulturreferent in das nächste öffentliche Verkehrsmittel, um über den Neumarkt nach Hause zu fahren.


    Hartmut war inzwischen zu Andrea gegangen. Die hatte nach dem Mittagessen, bei dem ihr eine junge Schwesternschülerin geholfen hatte, noch ein paar Schmerztabletten bekommen und hatte ein ausgiebiges Mittagsschläfchen angehängt. Was sollte sie sonst auch tun? Es wurde sicher nicht gerne gesehen, wenn sie ständig auf der Intensivstation herumlungerte und die Schwester hatte sie noch darauf aufmerksam gemacht, dass sie zumindest die ersten Tage die Hände möglichst hochhalten-oder legen sollte, damit das Blut sich nicht staute und die völlig normale Wundschwellung noch verstärkte. Also lag sie im Bett, jeden Arm auf einem Kissen gelagert und wartete nach dem Aufwachen, dass die Zeit verging. Als nun Hartmut, nach seinem Klopfen, den Kopf zur Tür hereinsteckte, war sie hocherfreut und nachdem sie sich kurz unterhalten hatten, machten sie sich gemeinsam auf den Weg zur Intensivstation.


    Hartmut hatte gesehen, wie behindert Andrea mit den beiden Verbänden war und sofort hatte es in seinem Kopf zu rattern begonnen, mit welchen technischen Hilfsmitteln er sie ausstatten könnte, damit sie die kommenden sechs Wochen gut überstehen konnte und die Hände trotz Verband ein wenig nutzen konnte-er hatte da schon ein paar Ideen!
    Als die beiden an der Intensiv ankamen, läutete Hartmut, aber Andrea meldete sich an-vermutlich hätte man Hartmut sonst gar nicht reingelassen, aber so standen die beiden wenig später vor den beiden Schwerkranken. Sarah begrüßte sie herzlich und stellte Andrea auch gleich einen Stuhl an Semir´s Bett, der inzwischen das Paracetamol zur Fiebersenkung erhalten hatte und nun dabei war, vor lauter Schwitzen aus dem Bett zu fließen. „Ich wollte ihn gerade ein wenig abwaschen!“ sagte Sarah entschuldigend, aber so wurde das noch kurz vertagt. Semir erkannte zwar seine Frau und lächelte unter seiner Maske, aber als sie versuchten, die nur für ein paar Minuten abzunehmen, fiel sofort die Sauerstoffsättigung in den kritischen Bereich, so dass Sarah nur schnell sein Gesicht abwusch und dann die Maske wieder festschnallte. Andrea legte die beiden verbundenen Arme auf seine Brust und blieb einfach ganz nah bei ihm sitzen, um ihm so ihr Mitgefühl und ihre Liebe und Sorge mitzuteilen. Semir schloss die Augen wieder und dämmerte vor sich hin.


    Hartmut, der auch zunächst kurz Semir begrüßt hatte, stand nun vor Ben und beobachtete interessiert die ganzen Maschinen, Kabel und Drainagen. Er ließ sich von Sarah die Technik der Thoraxdrainage erklären und nickte mit dem Kopf-ja das war klar und verständlich für ihn, während Andrea nach ein paar Worten nicht mehr zuhörte, weil sie nur Bahnhof verstand. Etwas unsicher nahm er dann aber kurz Ben´s Hand und sagte: „Hey Ben, schau bloß, dass du bald wieder fit wirst, aber ich habe da keine Sorge-Sarah hat das schon im Griff-und tatsächlich beschleunigte sich Ben´s Herzschlag daraufhin kurz, obwohl er völlig ruhig liegen blieb. Sarah und ihre Kollegin hatten Ben vorher abgesaugt und tatsächlich kamen nur noch ein paar alte Blutreste aus der Lunge und sonst waren die Werte durchaus stabil.
    Wenig später kam der Stationsarzt ins Zimmer und sah überrascht die Besucher an. Allerdings waren seine Mitteilungen ja keine geheime Verschlusssache und so informierte er die Anwesenden. „Ich habe gerade die Röntgenbilder angesehen. Bei Herrn Jäger hat sich die Lunge gut entfaltet und die Thoraxdrainage liegt auch gut, das bedeutet, dass kein Grund besteht, ihn noch länger zu beatmen. Wir werden jetzt beginnen, die Sedierung zu reduzieren und planen für morgen die Extubation.


    Anders bei ihnen Herr Gerkan! Ihre Röntgenbilder schauen katastrophal aus und sie haben eine schwere Aspirationspneumonie entwickelt. Wenn sie die Maske tolerieren können, können wir versuchen, das ohne Intubation hinzukriegen, aber wenn sie das Gefühl haben, es nicht mehr aushalten zu können, müssen wir sie schlafen legen!“ Semir nickte leicht, zum Zeichen, dass er verstanden hatte und Andrea kamen fast die Tränen, auf diese Mitteilung hin. Der Arzt ging wieder aus dem Zimmer und Andrea blieb noch eine Weile bei ihrem Mann sitzen, bis Sarah zu ihr sagte: „Andrea, es ist besser, du legst dich noch ein wenig hin-ich werde Semir jetzt dann frisch machen, denn das Fieber ist gesunken. Ich verspreche dir, ich passe gut auf ihn auf und wenn sich irgendwas ändert, gebe ich dir sofort Bescheid!“ und Andrea nickte und erhob sich. Mit einem Winken verabschiedete sie sich und ging mit schleppenden Schritten, wie eine alte Frau, gefolgt von einem betrübten Hartmut, zum Fahrstuhl.

  • Nachdem Hartmut Andrea wieder zum Zimmer zurückgebracht hatte, half er ihr die heimatliche Telefonnummer anzuwählen und versprach er ihr noch, sich morgen die endgültigen Handschienen anzusehen und ihr dann technische Hilfsmittel zu basteln. Die nickte, um dann mit Margot und den Kindern zu telefonieren und Hartmut machte sich auf zum Neumarkt.


    Die uniformierten Polizisten, die die Betonsymphonie immer noch bewachten, ließen sich seinen Ausweis zeigen und so durfte sich der rothaarige Techniker danach ohne Probleme das Kunstwerk aus der Nähe betrachten. Außen war die angesägte Betonspitze zu erkennen, die immer noch mit Ben´s Blut besudelt war, was Hartmut erschauern ließ. Als er, bewaffnet mit einer starken Lampe, dann das Innere betrat, konnte man zwar erkennen, dass da Markierungen angebracht waren-anscheinend hatte sein Kollege da zwar fotografiert, aber wo genau das Kokain versteckt gewesen war, konnte man auf Anhieb nicht erkennen. Gut, der Innenstadtmann wusste ja nicht um die Zusammenhänge und war sicher überzeugt gewesen, dass man da die Päckchen irgendwie mit Klebefolie, oder in Nischen gestopft übergeben hatte. Hartmut allerdings war überzeugt davon, dass da ein raffinierteres System zu Grunde lag und als er Zentimeter für Zentimeter die Innenwand untersuchte, konnte er plötzlich ein kleines Scharnier wahrnehmen. Er ging zurück zu seinem Auto und holte einen Hammer und Meißel-wie gut, dass er immer das nötigste Werkzeug dabei hatte-und begann dort den Beton weg zu klopfen. Dem uniformierten Polizisten, der neugierig zugesehen hatte, was sein Kollege da so trieb, blieb beinahe der Mund offen stehen, als Hartmut binnen kurzem vier kleine, perfekt getarnte Safes freilegte. Es war kein Schlüsselloch oder Ähnliches zu erkennen, aber Hartmut würde schon herausfinden, wie man die aufbekam. Nicht zuletzt Irina wusste da Bescheid-immerhin hatte sie sich am Vortag ja großzügig bedient, wie er gesehen hatte.
    Zufrieden verließ Hartmut das Kunstwerk wieder, um der Chefin Bescheid zu geben und schweres Gerät anzufordern. Wenig später waren die vier Safes mit einem Kompressor von einem Spezialisten aus ihrem Versteck gebrochen und zur weiteren Untersuchung auf dem Weg in die KTU.


    Margot hatte das Mittagessen vorbereitet und die Kinder aus Schule und Kindergarten geholt. Strahlend waren ihr die in die Arme geflogen: „Oma!“ hatte Ayda gerufen und ebenso Lilly, die sie danach gemeinsam aus dem Kindergarten abgeholt hatten. Die Erzieherinnen kannten Margot und waren morgens auch von Susanne schon informiert worden, so dass es keine Schwierigkeiten machte, die kleine Maus mitzunehmen.
    Nach dem Essen hatte Margot den Kindern erzählt, dass sie Mama und Papa im Krankenhaus besucht habe und die Mama morgen schon wieder nach Hause kommen würde, allerdings mit zwei wehen Händen. „Die Oma wird jetzt ganz lange bei euch bleiben und der Mama helfen!“ kündigte sie ihren Enkelkindern an, die deswegen recht erfreut waren. Die Oma bürgte für Programm und deswegen waren sie sehr vergnügt, als später Andrea anrief und kurz mit ihnen am Telefon sprach. Als Margot danach den Hörer wieder übernahm, sagte sie zu ihrer Tochter: „Du siehst, ich habe hier alles im Griff, du kannst dich heute also noch gut erholen und wenn ich dich morgen abholen darf, rufst du einfach an-ab 8.30 Uhr bin ich wieder zuhause und Andrea stimmte zu. Nur auf Margot´s Frage, wie es Semir ginge, sagte sie ein wenig verzweifelt: „Schlecht, Mama, schlecht!“ und dann beendete sie das Gespräch.


    Sarah hatte Semir inzwischen mit kühlem Pfefferminzwasser herunter gewaschen, was der als äußerst wohltuend empfand. Die unteren Regionen sparte sie dezent aus-das sollte einer ihrer Kollegen übernehmen-sie wollte nicht, dass Semir sich unbehaglich fühlte und so krank er war, nahm er das dankbar zur Kenntnis. Auch sein verschwitztes Laken hatte sie noch gewechselt und als sich Semir danach ausruhte, meinte er, sich schon ein wenig besser zu fühlen.
    Bei Ben hatte sie eigenhändig geprüft, wie fest die Handfixierungen saßen, bevor sie, wie mit dem Stationsarzt abgesprochen, die Sedierung reduzierte. Allerdings wäre das gar nicht notwendig gewesen, denn diesmal tauchte Ben ganz langsam und ohne sich zu wehren aus den Tiefen der Narkose auf.

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