Freunde fürs Leben - und dann?

  • Am Abend wurde noch ein Herzultraschall gemacht, aber die Herzklappen waren unbeschädigt und es floss auch kein Blut zurück, so dass der Internist ihm zufrieden einen guten Abend wünschte.
    Ben schlief gut in dieser Nacht. Ein paar Mal wurde der Verband kontrolliert, aber er bekam da nur immer mit, wie die Nachtschwester kurz die Decke hob. Der Druckverband war zwar nicht sonderlich angenehm, aber auch nicht so schlimm, als dass er ihn vom Schlafen abgehalten hätte. Morgens wurde er dann entfernt und man stellte ihm das Waschzeug ans Waschbecken und half ihm aufzustehen. Es klappte ohne Schwindel oder sonstige Probleme, er machte sich frisch und fragte ganz beiläufig seine betreuende Schwester, die derweil das Bett aufschüttelte: „Ach, hat Schwester Sarah übrigens einen Freund?“ woraufhin die heftig grinsen musste. „Ich denke, da müssen sie sie wohl selber fragen!“ antwortete sie und Ben fühlte sich ertappt.


    Die Visite sah kurz bei ihm vorbei und er bekam mitgeteilt, dass er im Laufe des Vormittags wieder zurück auf die Normalstation dürfe.
    Ein paar Schmerztropfen nahm er allerdings heute gerne, denn erstens ziepte sein Bauch noch ganz ordentlich, aber hauptsächlich hatte er irgendwie einen Muskelkater am ganzen Körper. Als er das der Schwester schilderte, klärte sie ihn auf, dass das ganz normal sei nach einer Defibrillation. „Bei den elektrischen Impulsen verkrampfen sich alle Muskeln und das gibt eben diesen typischen Ganzkörpermuskelkater, aber die Novalgintropfen helfen auch dagegen und in ein paar Tagen ist das vergessen!“
    Ben nickte und genoss sein Frühstück. So schlecht schmeckte diese Diabetikermarmelade gar nicht und die Wurst war dieselbe, wie er sonst auch aß. Lediglich ein frisches Brötchen hätte er vermisst, aber man klärte ihn auf, dass das zur Pankreasdiät nicht passte, nun gut, dann musste er halt mit normalem Brot vorlieb nehmen. Das Kreon hatte er auch erhalten, aber nach dem Frühstück stiegen seine Zuckerwerte wieder rasant an, was man mit Altinsulin behandelte. „So ganz klappt das noch nicht mit dem Zuckerhaushalt, aber geben sie die Hoffnung nicht auf!“ sagte seine Pflegekraft, die die Verlegung vorbereitete.


    Wenig später war er wieder auf seinem alten Zimmer und griff dort gleich zum Telefon, um Semir anzurufen. „Semir, ich bin wieder zurück, mir geht´s gut und stell dir vor, ich habe gestern noch ein Date gekriegt!“ fiel er gleich mit der Tür ins Haus. Semir, der gerade ins Krankenhaus hatte starten wollen, musste schmunzeln. „Na wie funktioniert denn das auf ner Intensivstation?“ wollte er wissen. „Da war eine wunderhübsche Schwester-Sarah heißt sie übrigens, die saß eine viertel Stunde bei mir im Bett und dabei sind wir uns halt näher gekommen!“ erklärte Ben vergnügt. „Aha!“ antwortete Semir nur und kratzte sich verwundert am Kopf. Bei ihm war noch nie eine Schwester im Bett gesessen und er hatte höchstens einen Anschiss gekriegt, wenn er das bei Ben gemacht hatte. „Aus hygienischen Gründen sehen wir das nicht so gerne!“ hatte es da immer geheißen! Aber egal, viel wichtiger war, dass sein Freund guter Dinge schien und das gestrige Trauma anscheinend gut weggesteckt hatte. „Ich komme jetzt dann gleich zu dir, denn nachmittags kann ich nicht, da muss Andrea arbeiten. Die haben im Kinderheim jetzt die ganze Zeit den kompletten Dienstplan umgeschmissen, damit Andrea bei mir sein konnte und jetzt muss sie das wieder reinarbeiten!“ erklärte Semir seinem Freund. „Also gut, bis dann!“ sagte der fröhlich und Semir machte sich auch gleich auf den Weg.


    Er war erstaunt, wie gut Ben heute im Gegensatz zu gestern aussah und als der immer wieder verstohlene Blicke zur Tür warf, war Semir schon klar, wen er hoffte zu sehen. Nach ein wenig Smalltalk verabschiedete sich Semir also wieder und fuhr zurück nach Hause. Hoffentlich war das eine Nette und Ben machte sich jetzt auch nicht vergebliche Hoffnungen, denn irgendwie hatte er bisher kein Glück mit Frauen gehabt. Entweder sie waren Verbrecherinnen, wurden getötet oder kehrten nach einem kleinen Intermezzo mit Ben zu ihrem Partner zurück. Aber das war im Augenblick das Beste, was seinem Freund passieren konnte-eine neue Liebe.


    Ben, dessen Infusion nun auch entfernt worden war, wuselte, sobald Semir weg war, ins Bad und stylte sich. Nach einer Dusche und Rasur benutzte er ausgiebig Aftershave und abgestimmt natürlich das passende Deo. Die Schwester machte seine kleinen Verbände noch frisch und außer dass er die Pankreasdrainage als Anhängsel hatte, sah er frisch angezogen schon wieder fast aus wie immer. Gut vielleicht ein wenig dünner, aber das würde er schnell wieder aufholen, da war er sich ganz sicher!


    Nach dem Mittagessen klopfte es endlich an der Tür und die Person, auf die er schon die ganze Zeit gewartet hatte, kam ein wenig verlegen, herein. Er hatte gewusst, dass sie kommen würde und im ersten Augenblick raubte es ihm fast den Atem, wie hübsch Sarah in Zivilklamotten aussah. Zur hellen Jeans hatte sie eine lässige Bluse an, wenig Make up und das dunkelblonde Haar trug sie offen. Sie trat näher, streckte die Hand aus und Ben ergriff sie voller Scheu. „Hallo!“ sagten beide gleichzeitig und dann mussten sie lachen. Irgendwie war es, als würden sie sich schon ewig kennen und in der Stunde bis Sarah zum Dienst musste, unterhielten sie sich über Gott und die Welt und waren in den meisten Dingen gleicher Ansicht. Ben hätte sie zum Abschied gerne geküsst, aber irgendwie traute er sich noch nicht. Es wurde Zeit, dass er nach Hause kam, dann wäre er kein Patient mehr und sie konnten normal an die Sache rangehen. Eines wusste er-das war eine Traumfrau und er würde alles tun, um sie für sich zu gewinnen!

  • Die Tage vergingen, an jedem einzelnen davon ging es für Ben ein wenig aufwärts. Aber das Highlight für ihn waren Sarahs Besuche. Als nacheinander alle Kollegen bei ihm vorbeischauten, waren sie erst erschrocken darüber, was ihm als Folge des Unfalls alles passiert war-Ben erzählte es freimütig-aber trotz alledem war er guter Dinge und strahlte sozusagen von innen heraus.
    Die Zuckerwerte stabilisierten sich und als nach einer Woche versuchsweise das Kreon weggelassen wurde, bekam Ben auch keine Durchfälle, was bewies, dass die Bauchspeicheldrüse sich wieder erholt hatte. Die Entzündungswerte fielen ebenfalls kontinuierlich und deshalb beschloss man, die Drainage zu ziehen. Auch die Klammern waren schon lange entfernt worden, was überhaupt nicht schlimm gewesen war.


    Semir, der jetzt immer vormittags kam, weil er nachmittags seine Kinder betreuen musste, war zufällig gerade zu Besuch, als der junge Stationsarzt, der den ZVK abgeschnitten hatte, zur Drainagenentfernung kam. Man sah ihm selber an, wie aufgeregt er war. Er hatte versucht, das an einen Kollegen zu delegieren, aber sein Chef hatte darauf bestanden, dass er seine Arbeit selber machte-vermutlich auch aus erzieherischen Gründen.
    „Herr Jäger, ich werde jetzt die Drainage entfernen! Legen sie sich bitte hin!“ bat ihn der junge Arzt. Ben sah Semir hilfesuchend an und streckte die Hand nach ihm aus. „Aber bitte im Ganzen!“ bat er den Doktor und eine flammende Röte überzog das Gesicht des jungen Arztes. Ben hatte schon seit Tagen kein Schmerzmittel mehr-auch weil er vor Sarah nicht als Memme dastehen wollte und es ging durchaus auch ohne, aber jetzt hätte eigentlich lieber eines gehabt. Semir positionierte sich auf der anderen Seite des Bettes und sah fasziniert zu, wie der letzte Verband gelöst wurde und der Arzt dann erst einmal die Wundumgebung absprühte und mit sterilen Kompressen abwischte. Die beiden Fäden waren hochrot und teilweise eingewachsen, kein Wunder, denn lange genug lag die Drainage ja schon.


    „Das wird jetzt sicher ein wenig weh tun!“ kündigte der Arzt an, als er mit dem Scherchen unter den ersten Faden fuhr und ihn durchtrennte. Ben entwich ein scharfer Laut zwischen den Zähnen. Das merkte er selber, das hätte ihm keiner sagen müssen! Ohne den Schlauch zu beschädigen waren endlich die beiden Fäden draußen und nun begann der Arzt langsam und gefühlvoll an der Drainage zu ziehen. Ben krallte sich an Semir´s Hand fest und begann laut zu stöhnen, so schlimm war das! Er hatte das Gefühl, mitsamt dieses eigentlich ja dünnen Schläuchleins, würden seine gesamten Eingeweide herausgezogen. Mitleidig hielt Semir seine Hand, er konnte sich vorstellen, welche Qualen sein Freund gerade aushalten musste. Sicher war das Silikonteil innen drin genauso verbacken und verwachsen, wie außen an der Haut. Ganz langsam, sozusagen Millimeter für Millimeter kam die Drainage zum Vorschein und irgendwann war sie ganz draußen, was von Ben mit einem Seufzer der Erleichterung quittiert wurde.


    Der Arzt kontrollierte auch gewissenhaft die Vollständigkeit derselben und sagte dann triumphierend zu Ben: „Wir haben´s geschafft-alle beide!“ und legte noch einen sterilen Verband an. „Das kann jetzt noch eine ganze Weile sekretieren, bitte melden sie sich immer, sobald das feucht wird und brennt, denn der Pankreassaft ist sehr scharf und ätzt sonst ihre Haut an-wir wechseln dann sofort den Verband!“ informierte der junge Arzt noch seinen Patienten bevor er ging und der nickte nur erschöpft. Er war bei der Tortur ganz blass geworden und ihm war gar nicht gut, vor lauter ausgehaltenen Schmerzen, aber trotzdem war er froh, dass das Ding draußen war. Er hatte schon befürchtet, das mit nach Hause nehmen zu müssen und hatte sich ehrlich gesagt eine Kuschelstunde mit Sarah mitsamt Anhängsel nicht so gut vorstellen können.


    „Danke, dass du da warst und mich unterstützt hast!“ sagte er zu Semir, der nun grinsend bemerkte: „Na im Händchenhalten bin ich ja inzwischen Profi!“ woraufhin Ben ihm einen Stoß verpasste und dabei ebenfalls grinsen musste. Als er sich nach einer Weile vorsichtig aufrichtete ging es ihm wieder gut und er konnte zum normalen Gespräch übergehen.
    „Und wie läuft´s bei den Hausaufgaben-ist Andrea mit eurer Leistung zufrieden?“ wollte er dann von Semir wissen und der verdrehte die Augen. „Ayda macht das eigentlich ziemlich selbstständig, aber trotzdem wünsche ich mir nichts sehnlicher, als endlich wieder mit dir über die Autobahn zu düsen. Dieses Dasein als Hausmann ist nicht so meines!“ erklärte er. Auch bei Semir hatte der Hausarzt inzwischen die Fäden entfernt und die Haare waren wieder so weit nachgewachsen, dass es nicht mehr auffällig war.


    „Genau das wünsche ich mir auch, Semir!“ sagte Ben leise. „Und noch viel mehr weiß ich, dass ich in dir jemanden habe, wie ich es zuvor noch nie erlebt habe. So was wie uns gibt es glaube ich nicht so oft-Freunde fürs Leben!“ und Semir nickte bestätigend.
    ENDE

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