Vom Ende bis zum Anfang

  • So, dann wollen wir mal sehen, was mit dem Scherbenhaufen passiert, den ich hier zurückgelassen habe.... Auf Ben werdet ihr, bis auf die Erwähnung im Prolog, leider noch etwas warten müssen, aber es wird alles geklärt werden, versprochen! Ich bemühe mich, jeden Tag zu posten, es kann aber sein, dass ich es unter der Woche vielleicht nicht schaffe.



    Prolog


    „Ben? Ben! Kannst du mich hören?“ Sachte strich Layla über Bens Wange. „Komm schon, du hast lange genug geschlafen, du musst langsam mal wieder wachen werden, wir müssen reden.“ Ihr Streicheln hatte inzwischen mit einem leichten Schlag geendet, doch Ben schien weiterhin nicht aufwachen zu wollen, so dass Layla erst einmal aufgab. Wer hatte schon gedacht, dass sich das Ganze so entwickeln würde? Sie hatte damit jedenfalls nicht gerechnet. Sie hatte gedacht, dass hier in Deutschland mit ihm alles vorbei sein würde, vor allem wenn man bedachte, was in seiner Wohnung geschehen war, aber da hatte sie definitiv falsch gelegen, auch wenn sie sich das Ganze etwas anders vorgestellt hatte. Sie mochte Ben wirklich gerne, dass es so weit führen würde; damit hatte sie jedoch und vor allem Ben selbst wohl am Allerwenigsten gerechnet. Er war überrascht gewesen, als er sie plötzlich am Telefon gehabt hatte, da er eigentlich seinen Vater hatte anrufen wollen. Doch der alte Jäger hatte das Gerät auf seinem Schreibtisch liegen lassen und Layla war zufällig im Büro gewesen, als der Anruf einging. Als sie dann Bens Namen auf dem Display gelesen hatte, war sie natürlich dran gegangen. Ben hatte anfangs kaum glauben können, dass sein Vater sie tatsächlich eingestellt hatte und zuerst hatte er sich auch nicht mit ihr treffen wollen, aber schließlich hatte sie ihn doch noch überreden können. Na ja, sie musste zugeben, dass sie da so ein paar Andeutungen gemacht hatte, die Ben hätten glauben lassen können, dass in der Firma seines Vaters etwas nicht stimmen könnte, aber sie hatte ihn unbedingt sehen wollen und etwas anderes war ihr nicht eingefallen.
    Aber dass dann so etwas passieren würde… damit hatten sie beide nicht gerechnet. Eigentlich hatte sie nur gedacht, es wäre schön gewesen, wenn sie hier Anschluss an jemanden hatte, den sie schon etwas kannte, sie hatte sich doch sehr allein gefühlt und das mit Ben und seiner Verlobten schien ja in die Brüche gegangen zu sein. Aber das alles war inzwischen nebensächlich geworden, jetzt hatte sie andere Sorgen.
    Sie fuhr mit der Hand durch seine Haare und versuchte, sich etwas bequemer hinzusetzten, denn so langsam wurde ihr sein Kopf, der auf ihren Oberschenkeln lag, zu schwer, doch sie wollte ihm diesen Platz auch nicht nehmen. Es würde schon irgendwie gehen. Layla hoffte nur, dass Ben bald wieder wach werden würde, es wurde langsam Zeit, sonst würde sie sich noch ernsthaft Sorgen machen müssen. Außerdem mussten sie unbedingt miteinander darüber reden, wie sie mit der Situation umgehen und wie das alles weitergehen sollte. Sie hoffte sehr, dass sie das alles hier gemeinsam schaffen könnten. Sie wandte den Kopf zur Tür, als sie glaubte, ein Geräusch gehört zu haben, kam da jemand?

  • "Vom Ende bis zum Anfang"



    „Herr Jäger, Sie werden mir doch nicht ernsthaft weiß machen wollen, dass das alles hier ohne Ihr Wissen stattgefunden haben soll?! Es ist immerhin Ihre Firma, da kann ich doch wohl davon ausgehen, dass sie darüber informiert sind, was hier geschieht, Sie tragen die Verantwortung dafür. Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass ich Ihnen abkaufe, dass eine einfache Bürokraft das alles alleine organisiert hat!“
    Stumm und verzweifelt schüttelte Konrad den Kopf, während er hilflos dabei zusehen musste, wie sein ganzes Büro auf den Kopf gestellt wurde. Scheinbar unzählige Menschen waren damit beschäftigt, Ordner und andere Unterlagen in große Kartons einzupacken. Andere widmeten sich den Computern und den Telefonen. Überwacht wurde das Ganze von einem Staatsanwalt, der Konrad den Durchsuchungsbefehl unter die Nase gehalten hatte, als er ihn am frühen Morgen regelrecht überfallen hatte. Jäger senior hatte kaum eine Gelegenheit gehabt, das Schriftstück zu lesen, da waren diese Menschen bereits wie eine Horde Heuschrecken in sein Büro gestürmt und hatten sich über alles hergemacht. Und dann hatte dieser Dr. Küpper (der ihm irgendwie bekannt vorkam, aber er konnte ihn nicht einordnen, er hatte das Gefühl, dass er ihn von früher, aus Studienzeiten kannte, aber konnte das denn sein?) angefangen, die absurdesten Beschuldigungen in den Raum zu werfen, doch Konrad hatte ihn zuerst gar nicht ernst genommen. Doch das hatte sich schnell geändert, als er ihm bewusst geworden war, dass alles hier bitterer Ernst und keine Verwechslung war, wie er noch zu Beginn der ganzen Aktion geglaubt hatte.
    Es hatte sich herausgestellt, dass seine Firma schon länger unter Beobachtung gestanden hatte sogar bereits vor dem Zeitpunkt, als er Layla eingestellt hatte. Ihm wurde immer klarer, dass diese Frau eine Vergangenheit haben musste, die ihn jetzt in diese Lage gebracht hatte. Wenn er doch wüsste, wo sein Sohn steckte, vielleicht hätte der ihm weiterhelfen können. Aber Ben hatte sich schon länger nicht mehr bei ihm gemeldet, obwohl er das seinem Vater fest versprochen hatte. Eigentlich war das sogar die Bedingung gewesen, unter der Konrad überhaupt zugelassen hatte, dass Ben sich alleine auf den Weg wohin auch immer gemacht hatte. Er hätte seinen Sohn noch gerne länger bei sich gehabt; auch wenn sie keinen so guten Draht zueinander hatten, war sogar ihm aufgefallen, wie sehr Ben das alles mitgenommen hatte. Der Junge brauchte einfach mal eine Auszeit, genau deswegen hatte er ja auch dafür gesorgt, dass er von allem abgeschirmt gewesen war, während er sich erst einmal körperlich erholt hatte. Ben hatte diese Ruhe dringend nötig, bevor er wieder in sein altes Leben zurückkehren konnte. Zumindest zu dem, was jetzt noch davon übrig war. Ein kleiner Teil von Konrad hoffte noch immer, dass Ben den Polizistenberuf jetzt endlich hinter sich lassen und doch endlich in die Firma einsteigen würde. Er wollte doch nur das Beste für seinen Sohn. Doch Konrad ahnte nicht, was er damit angerichtet hatte, als er Ben von seinen Freunden und vor allem von Susanne fern gehalten hatte.
    Doch er hatte schon seit zwei Tagen nichts mehr von Ben gehört und das passte so gar nicht zu seinem Sohn, denn der hatte eigentlich fest versprochen, sich jeden Tag zu melden und das bis jetzt auch immer getan. Hoffentlich war nichts passiert. Aber es brachte jetzt auch nichts, darüber nachzugrübeln. Konrad war schon immer ein Mann der Tat gewesen und so langsam gewann er auch seine Fassung wieder. Es war an der Zeit, diesem Staatsanwalt seine Grenzen aufzuzeigen.

  • „Mir ist immer noch nicht ganz klar, was Sie mir vorwerfen, aber wie ich Ihnen bereits mehrfach versichert habe, Herr Dr. Küpper, war Frau Aktan dazu berechtigt, diese Art von Transaktionen selbstständig in die Wege zu leiten, wenn sie es für nötig gehalten hat. Ich muss ein ganzes Unternehmen führen, da kann ich mich nicht um jede einzelne Lieferung kümmern, dass müssen doch sogar Sie verstehen!“ Der Angesprochene zog die Augenbrauen hoch und sagte erst mal nichts mehr, doch man konnte sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. Konrad wusste, dass er sich den letzten Kommentar besser verkniffen hätte, aber da war etwas an seinem Gegenüber, was ihn einfach dazu provoziert hatte. Das war allerdings etwas, was ihm eher selten widerfuhr; normalerweise konnte er so eine Reaktion im Geschäftsleben nicht erlauben, wenn er seinen Ruf wahren wollte, aber das hier war etwas anderes. Wenn er sich doch nur erinnern würde, woher er der Mann kannte! Dann wüsste er auch besser, wie er das Ganze hier einzuschätzen hätte. „Ich werde jetzt meinen Anwalt anrufen“, sagte er schließlich, als von Küpper immer noch keine Reaktion kam. Konrad griff in die Innentasche seines Jacketts und holte sein Handy heraus. „Das ist auch beschlagnahmt!“ kam es giftig vom Staatsanwalt und er griff danach. Doch soweit ließ es Konrad nicht kommen. „Das ist kein Firmenapparat, sondern mein privates Telefon“, gab er contra. „Und wenn ich den Beschluss richtig gelesen habe, erstreckt sich Ihr Beschluss nur auf firmeneigene Geräte.“ Dr. Küpper ließ die Hand sinken und beschränkte sich darauf, finster drein zu schauen. Mit dieser Reaktion hatte er nicht gerechnet, leider hatte Herr Jäger Recht. Zu gerne hätte er dieses Telefon in die Finger bekommen. Zwischenzeitlich hatte Konrad seinen Rechtsberater erreicht, mit dem er sich schnell einig war, dass er nichts mehr sagen würde, bis auch sein Anwalt zugegen war. Der hatte zugesagt, so schnell wie möglich zu kommen.
    Konrad begann zu überlegen, welche Vorwürfe man ihm genau machen würde und kam zu dem Schluss, dass man ihn eigentlich nicht viel anhaben konnte. Wozu hatte er schließlich mehrere Semester Rechtswissenschaft studiert! Kannte er Dr. Küpper vielleicht daher? Aber das war so viele Jahre her, so dass er sich nicht wirklich daran erinnern konnte. Wahrscheinlich würde er ihn einfach fragen müssen, denn so eine Ungewissheit war etwas, das Konrad überhaupt nicht leiden konnte. Aber im Augenblick erschien es ihm nicht ratsam, ein Gespräch in dieser Richtung zu führen. Wer wusste schon, was ihn hier noch erwartete. Auch wenn er sich sicher war, nichts verbrochen zu haben, konnte man das ein oder andere vielleicht doch so drehen, dass er die Verantwortung dafür trug. Dafür konnte ein Staatsanwalt, der ihn augenscheinlich nicht mochte, höchstwahrscheinlich ganz ohne Schwierigkeiten sorgen.
    „Ich muss jetzt bitten, uns aufs Revier zu begleiten“, riss ihn Dr. Küpper in einem sehr unfreundlichen Ton aus diesen Gedanken. Konrad nickte nur. Er sah sich noch einmal in seinem Büro um, doch viel war hier nicht mehr zu sehen. Es sah mit einem Mal ganz kahl aus, so ganz ohne Computer und mit leergefegten Aktenschränken. Ein leichter Schauer durchfuhr Konrad, dann folgte er dem Staatsanwalt.



    „Herr Gerkhan, kommen Sie doch mal bitte in mein Büro“, bat Frau Krüger mit ernstem Gesichtsausdruck. Semir sah von seinem Bericht auf und stutzte. Genau diesen Satz hatte er vor nicht allzu langer Zeit schon einmal von seiner Chefin gehört und schon damals hatte er nichts Gutes verheißen. Zudem hätte er schwören können, dass sich sogar der Tonfall von Frau Krüger genau gleich anhörte.

  • Unschöne Erinnerungen zogen an seinem geistigen Auge vorbei, zu allererst Dr. Küpper, dieser Staatsanwalt, der alles ins Rollen gebracht hatte, dann seine „Flucht“ in die Türkei und dann all das, was dort und schließlich noch zu Hause geschehen war. Sein Blick schweifte zu dem Platz, an dem eigentlich Susanne sitzen sollte, doch auch der war ebenso wie der von Ben leer. Was bei ihr allerdings nicht daran lag, dass sie gerade nicht da war, sondern vielmehr an der Tatsache, dass ihre Nachfolgerin gerade unterwegs war, um Akten einzusortieren. Ihr Name war Tanja und sie war erst vor kurzem aus der Elternzeit zurückgekehrt und hatte Susannes Platz eingenommen. Susanne selbst hatte auf eigenen Wunsch hin den Arbeitsplatz gewechselt; angeblich, weil sie hier alles zu sehr an Ben erinnerte, aber Semir wusste, dass es auch seinetwegen war. Auch wenn sie es ihm nicht ins Gesicht gesagt hatte, war ihm klar, dass sie ihn zu einem großen Teil dafür verantwortlich machte, dass alles so weit hatte kommen können. Andrea hatte ihm gegenüber so etwas angedeutet, allerdings hatte sich der Kontakt der beiden Frauen auch sehr reduziert, was hauptsächlich daran lag, dass Susanne sich sehr zurückgezogen hatte. Andrea hoffte zwar noch immer, dass sich das wieder ändern würde, doch Semir bezweifelte das. Und ehrlich gesagt, war ihm auch nicht so daran gelegen, Susanne wieder täglich sehen zu müssen, denn ihre Anwesenheit würde ihn ständig an die Tatsache erinnern, dass sie mit ihren stummen Vorwürfen Recht hatte. Doch Susanne schien einfach allem, was sie an Ben erinnerte, konsequent aus dem Weg zu gehen. Das fing bei ihrer Arbeitsstelle an und erstreckte sich auch auf ihre Freundschaft zu Andrea und Semir.
    Ben selbst aus dem Weg zu gehen war nicht schwer, da niemand wusste, wo er abgeblieben war. Er schien einfach wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Gut, Semir hätte einfach Konrad Jäger fragen können, doch der würde ihm bestimmt nichts sagen, so sehr, wie der seinen Sohn nach der ganzen Sache abgeschirmt hatte. Natürlich könnte Semir auch anfangen, strategisch nach Ben zu suchen, doch das tat er nicht. Er hätte auch gar nicht gewusst, was er ihm hätte sagen sollen. Wenn er vor ihm stehen würde, würde er vielleicht die richtigen Worte finden, aber schließlich war es Ben gewesen, der abgetaucht war, wahrscheinlich wollte er gar nicht gefunden werden. Und Semir würde diesmal die Entscheidung seines Partners respektieren. Ben würde sich melden, wenn er soweit wäre, so lange würde Semir warten. Ein leise Stimme in seinem Hinterkopf fragte sich allerdings immer wieder, was sein würde, wenn Ben nicht mehr auftauchen würde, aber Semir versuchte, diesen Gedanken so gut wie möglich zu überhören und zu verdrängen, aber er konnte es nicht verhindern, dass sich diese Vorstellung immer häufiger in seine Gedanken schlich, es war einfach schon zu viel Zeit vergangen.
    „Herr Gerkhan, heute noch, wenn es Ihnen nichts ausmacht!“ kam es nun in einem etwas schärferen Ton von Frau Krüger. Semir schaute verwundert in ihre Richtung, war er denn so lange in Gedanken gewesen? Wahrscheinlich schon, denn das passierte ihm in letzter Zeit immer häufiger. Er machte sich also auf den Weg in das Büro seiner Vorgesetzten. Es wurde Zeit, dass endlich wieder ein interessanter Fall rein kam, auf den er seine Aufmerksamkeit lenken konnte, dieses ständige Grübeln tat ihm nicht gut.
    Er betrat das Büro von Frau Krüger und fand neben ihr noch einen anderen Besucher vor, der auf dem einen Stuhl vor ihrem Schreibtisch saß und Semir zur Begrüßung kurz zunickte, sonst aber keine Anstalten machte, weiter auf ihn zuzukommen. Semir erwiderte den Gruß ebenso und nahm dann Platz. Dabei fiel ihm auf, dass er schon lange nicht mehr hier gesessen hatte und wenn, dann war das meistens in Begleitung von Ben gewesen. Ein leises Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, wenn er daran dachte, wie sich hier gegenseitig in Schutz genommen hatten, wenn die Chefin ihnen wieder eine Standpauke gehalten hatte, weil ihre Auslegung der Vorschriften mal wieder etwas kreativer gewesen war. Aber diese Zeit war vorbei…

  • „Herr Gerkhan, hören Sie mir überhaupt zu?“ vernahm er plötzlich die ungehaltene Stimme seiner Vorgesetzten. Verdammt, er war schon wieder in Gedanken gewesen, er musste sich zusammen reißen! „Entschuldigung, mir ist da gerade etwas wegen eines Falles durch den Kopf gegangen“, entschuldigte er sich und das war nicht mal direkt eine Lüge. Frau Küger sah ihn mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck an und begann dann erneut. „Also, wie bereits gesagt, bittet uns die Staatsanwaltschaft um Hilfe, um zu verhindern, dass sich hier in der Gegend ein neuer Ring von Waffenhändlern ausbreitet, beziehungsweise etabliert.“ „Und was haben wir damit zu tun?“ fragte Semir irritiert, dem nichts darüber bekannt war, dass in letzter Zeit ein Waffentransport durch die Polizei aufgegriffen worden wäre. „Das gehört doch gar nicht zu unserem Aufgabenbereich, da ist doch eher das LKA zuständig.“ Es war nicht so, dass er nicht daran interessiert gewesen wäre, sich um diesen Fall zu kümmern, aber es wunderte ihn schon, dass sich die Kollegen so etwas aus der Hand nehmen zu lassen.
    Frau Krüger schwieg. Wie sollte sie ihm das nur erklären? Im Geiste war sie die Situation immer wieder durchgegangen, doch jetzt wo er hier vor ihr saß, hatte sie keine Ahnung, wie er reagieren würde. Herr Gerkhan hatte sich nach den Ereignissen in der Türkei verändert, er war nicht mehr der Beamte, der er vorher gewesen war, auch wenn es den Anschein machte, dass er sich alle Mühe gab, das zu verbergen. Doch er war ruhiger geworden, in sich gekehrter, er nahm Dinge einfach so hin, die ihn früher zur Weißglut getrieben hätten. Das war eine Entwicklung, die sie mit großer Sorge betrachtete, denn eigentlich war das nicht seine Art. Sie befürchtete, dass es irgendwann zu einem großen Knall kommen könnte, wie auch immer der dann aussehen würde. Und das, was sie ihm gleich zu sagen hatte, hatte das Potential, genau einen solchen auszulösen. Doch es half nichts, sie mussten jetzt beide da durch.
    „Im Grunde haben Sie ja Recht, dass gehört eigentlich nicht in unseren Aufgabenbereich, aber in diesem speziellen Fall sind wir angefordert worden, um genau zu sein, Sie persönlich.“ Sie machte eine kurze Pause, doch nichts in Semirs Miene verriet, was in seinem Kopf vorging. „Die Staatsanwaltschaft hat einen Firmenchef verhaftet, mit Hilfe dessen Unternehmens Waffen ins Land geschmuggelt worden sind. Er konnte aber glaubhaft versichern und auch nachweisen, dass er völlig ahnungslos war. Es hat sich herausgestellt, dass es tatsächlich eine Bürokraft war, die das alles organisiert hat. Ob oder welche Hilfe sie dabei gehabt hat, steht noch nicht fest.“ An dieser Stelle sah sie als erste wahrnehmbare Reaktion Unglauben im Blick ihres Beamten. „Genau so wie Sie habe ich auch ausgesehen, als ich die Geschichte das erste Mal gehört habe. Aber inzwischen habe ich selbst mit dem Mann gesprochen und ich glaube ihm tatsächlich, zumal die ganze Sache noch nicht so lange ging. Früher oder später hätte er es wahrscheinlich selbst herausgefunden und dann hätte er sich an die Polizei gewendet, da bin ich mir ganz sicher. Das einzige, was man ihm zum Vorwurf machen könnte ist die Tatsache, dass er diese Frau überhaupt eingestellt hat, und dass er ihr gegenüber wohl zu vertrauensselig war, aber das hat Gründe, die jetzt nicht hierher gehören.“
    Semir wurde langsam ungeduldig, wann kam sie endlich zum Punkt? „Seine Angestellte weiß noch nicht , dass sie aufgeflogen ist, sie hatte während der Ermittlung ein paar Tage frei und der Chef der Firma hat sich bereit erklärt, uns sozusagen als verdeckter Ermittler zu unterstützen, um an die Hintermänner das Ganzen zu kommen. Und an dieser Stelle kommen dann auch Sie ins Spiel.“ Semir war immer noch ratlos, aber immerhin war seine Neugierde jetzt geweckt. „Er hat sich allerdings nur unter der Bedingung darauf eingelassen, dass sie die ganze Aktion von vorne bis hinten begleiten.“ Semir verstand nicht, warum ausgerechnet er so wichtig für diesen Mann sein sollte, aber wenn es den Ermittlungen diente, warum nicht. Er überlegte, auf welchen Firmenchef er im Laufe seines Beruflebens einen solchen Eindruck gemacht hatte, dass sich dieser in einer solchen Situation an ihn erinnerte, aber er kam nicht drauf. Frau Krüger zögerte noch kurz, die inhaltlichen Aspekte hatte Herr Gerkhan jetzt wohl verstanden, jetzt kam es nur noch darauf an, wie er mit der emotionalen Seite zurecht kommen würde und da konnte Frau Krüger überhaupt nicht einschätzen, wie er reagieren würde.

  • „Ich überlasse Ihnen die Entscheidung, ob Sie zur Verfügung stehen. Ich kann den Einsatz zwar anordnen, aber ich werde das nicht gegen Ihren Willen tun.“ Sie holte tief Luft. „Bei dem Firmenchef handelt es sich um Konrad Jäger und die Angestellte ist Layla Aktan.“
    Nachdem dieser Satz gefallen war, war es totenstill in dem Raum. Sogar die Geräuschkulisse, die sonst von draußen herein drang, schien nicht mehr da zu sein. Das Fallen einer Büroklammer wäre in dieser Situation ein lautes Geräusch gewesen und niemand rührte sich. Frau Krüger sah Semir an, doch sie konnte in seinem Gesicht noch immer keine Regung ausmachen. Nichts deutete darauf hin, was er dachte oder was in ihm vorging. Doch dann geschah etwas völlig unerwartetes, etwas, mit dem sie am allerwenigsten gerechnet, es überhaupt nicht in Betracht gezogen hatte. Sie hatte eine heftige Reaktion in irgendeiner Art erwartet, doch nach einigen Augenblicken nickte Semir ruhig und bedächtig und sagte dann: „Ich helfe gern. Was kann ich tun?“
    Im ersten Augenblick war er völlig perplex gewesen, als er die beiden Namen gehört hatte, doch eigentlich hätte er schon wissen müssen, als Frau Krüger begonnen hatte, so um den heißen Brei zu reden, wie er es sonst gar nicht von ihr gewohnt war. Es war ihr jetzt deutlich anzusehen, dass sie mit seiner Antwort nicht gerechnet hatte und eigentlich war Semir selbst überrascht von dem, was er gerade gesagt hatte. Seine Chefin würde ihn sicher nicht nach dem Grund seines Einverständnisses fragen, sie schien einfach nur froh zu sein, dass er zugesagt hatte. Doch Semir wusste genau, warum er das tun würde. Auch wenn er das kaum offen zugeben würde; Ben fehlte ihm und zwar an allen Ecken und Enden, auch wenn sie im Streit auseinander gegangen waren. Aber wenn man es genau betrachtete, hatte Ben bei ihrer letzten Begegnung alle Kraft, die er noch hatte, aufgebracht, um ihm zu helfen und das war so gewesen, wie sie es als Partner immer getan hatten, also war es kein richtiger Streit mehr gewesen, sie hatten doch schon einen Schritt aufeinander zu gemacht, oder?
    Und dass Ben jetzt erst mal auf Abstand gegangen war, konnte Semir inzwischen verstehen; er selbst hatte vor nicht allzu langer Zeit auch so gehandelt. Und er würde nicht den Fehler machen, Ben zu früh auf die Pelle zu rücken, manche Dinge brauchten einfach ihre Zeit. Und wenn er jetzt Bens Vater helfen konnte, dann war das für ihn fast so, als würde er seinem Partner helfen und ihm somit nah zu sein. Semir hatte nie aufgehört, von Ben als seinem Freund und Partner zu denken, etwas anderes konnte er sich einfach immer noch nicht vorstellen. Auch wenn er eigentlich nicht gut auf Konrad zu sprechen war, war dieser immer noch Bens Vater und hatte einfach das Beste für seinen Sohn gewollt, nur leider war das ziemlich schief gelaufen. Aber die Familie war nun einmal wichtig, gerade Semir hatte dafür Verständnis. Wenn es sich ergeben sollte, würde er mit Konrad darüber sprechen, irgendwie hatte er so eine Ahnung, dass der gar nicht wusste, was er angerichtet hatte. Denn inzwischen war sich Semir sicher, dass es vor allem auch seinen Einfluss auf Ben zuzuschreiben war, dass Ben den Kontakt zu ihnen abgebrochen hatte. Doch Semir wollte jetzt nicht in der Vergangenheit wühlen, das brachte niemanden weiter. Denn nur weil er seine eigene verklärt hatte, war er in der Türkei in große Schwierigkeiten geraten. Es war an der Zeit im Hier und Jetzt zu leben.
    Der unbekannte Besucher räusperte sich und zog somit Semirs Aufmerksamkeit auf sich. Semir fragte sich, warum Frau Krüger ihn nicht schon vorgestellt hatte. Doch Erklärung folgte sofort. „Guten Tag Herr Gerkhan, mein Name ist Dr. Küpper, ich bin der zuständige Staatsanwalt.“ Nun war Semir klar, warum er sich nicht von Anfang an vorgestellt hatte. Wenn er diesen Namen zu Beginn des Gespräches gehört hätte, dann wäre wohl sofort wieder rückwärts rausspaziert. Nur Dr. Küppers unerklärbaren Groll gegen ihn hatte er es zu verdanken, dass die ganze Kette unglücklicher Umstände, welche mit seiner Suspendierung begonnen hatten, in Gang gebracht worden war. War es eine besondere Gemeinheit des Schicksals, ihm eben diesen Mann jetzt wieder vorzusetzen oder steckte noch etwas anderes dahinter? Es würde so nicht leicht für ihn werden, aber Semir war fest entschlossen, dass alles um Bens Willen durchzuziehen und ergriff er nach einigem Zögern sogar die ihm angebotene Hand.

  • „Es tut mir leid, dass unser erster Kontakt eher unerfreulicher Natur war, aber das hat sich ja alles aufgeklärt und dürfte damit dann wohl erledigt sein. Ich gehe also davon aus, dass diese Vorgeschichte unsere jetzige Zusammenarbeit nicht behindern wird“, kam es von Dr. Küpper. Semir nickte nur, mehr fiel ihm zu dieser Kaltschnäuzigkeit nicht ein. Es war Dr. Küpper nur allzu deutlich anzumerken, dass es ihm die vergangenen Ereignisse überhaupt nicht leid taten, und dass auch er sich ziemlich zusammenreißen musste. Es schien wirklich wichtig für ihn zu sein, an die Hintermänner zu kommen, dass er es in Kauf nahm, mit Semir zusammen zu arbeiten. Wahrscheinlich erhoffte er sich dadurch einen Schwung für seine Karriere, anders war sein Verhalten nicht zu erklären. Doch Semir war bereit, sich darauf einzulassen, wenn ihn das wieder näher an Ben heran brachte. Er wunderte sich immer mehr über sich selbst, hatten ihn die Ereignisse so verändert?
    „Ich würde Sie bitten, mich direkt zu begleiten, wir können dann auch gleich alle Einzelheiten besprechen.“ Semir blickte zu seiner Chefin, die ihm zu verstehen gab, dass alles bereits geregelt war. Also stand er auf und begleitete Dr. Küpper hinaus. Auf seinem Weg durch das Büro spürte er die Blicke der anderen auf sich, aber niemand sagte ein Wort. Sie schienen zu wissen, bei wem es sich um den Besucher handelte, aber keiner traute sich wohl, in irgendeiner Art und Weise zu kommentieren, dass Semir nun augenscheinlich friedlich mit diesem Mann das Gebäude verließ. Ihm war das letztendlich auch egal, in letzter Zeit hatte er sich immer weniger darum gekümmert, was die anderen von ihm dachten, vielleicht sollte er doch mal wieder daran arbeiten, sonst stand er am Ende ganz allein da und das war auch nicht unbedingt eine schöne Vorstellung. Er beschloss, sich darum zu kümmern, wenn dieser Einsatz hier vorbei war.
    Wenigstens bestand der Staatsanwalt nicht darauf, dass sie beide in seinem Wagen fuhren und so hatte Semir während der Fahrt die Gelegenheit, sich seelisch auf das Kommende vorzubereiten. Wie sah der Plan wohl aus? Warum wollte Herr Jäger ihn unbedingt dabei haben? Ob er ihn wohl nach Ben fragen konnte? Doch in der Einsatzzentrale angekommen traf er erst einmal nicht auf den Vater seines Freundes, sondern auf Martin Lauer, den Beamten, der die ganze Operation leitete. Der schien allerdings nicht sehr begeistert über Semirs Anwesenheit zu sein, aber er machte den Eindruck, als könne er professionell damit umgehen. Zumindest hoffe Semir, dass dem so wäre, denn auf einen Streit um Kompetenzen hatte er in dieser Situation am allerwenigsten Lust.
    Nach einer kurzen Vorstellung und Begrüßung, ging es dann auch sofort los und Herr Lauer erläuterte das geplante Vorgehen. „Also, wir haben das Ganze bereits mit Herrn Jäger besprochen, er ist ja bereit, uns nach allen Kräften zu unterstützen. Und da es nicht wenig ist, was wir von ihm verlangen, haben ihm auch zugestanden, Sie mit ins Boot zu holen, da er Sie ja wohl schon länger kennt und Ihnen offensichtlich vertraut. Er fühlt sich demnach wohler und vor allem auch sicherer, wenn Sie dabei sind und da seine Vorstellung bei der ganzen Sache eine entscheidende Rolle spielt, ist es wichtig, dass er so souverän wie immer auftritt.“ Langsam begriff Semir, welche Rolle er bei dieser Veranstaltung zu erfüllen hatte. Er sollte gar nicht aktiv mitarbeiten, sondern nur dafür sorgen, dass Bens Vater es schaffte, seine Rolle zu spielen, in der er anscheinend eine bestimmte Aufgabe zu bewerkstelligen hatte. Das war zwar nicht so ganz nach seinem Geschmack, aber wenn es denn half, war er unter diesen Umständen dazu bereit.
    „Herr Jäger wird auf Frau Aktan zugehen und ihr auf den Kopf zusagen, dass er weiß, was sie hinter seinem Rücken in seiner Firma veranstaltet.“ „Halten Sie das für so eine gute Idee?“ warf Semir jedoch jetzt ein. Wer wusste schon, wie Layla darauf reagieren würde? Semir konnte diese Frau überhaupt nicht einschätzen. Sie hatte Ben und auch ihm zwar sehr geholfen, aber über ihre Motive war er sich immer noch im Unklaren. Was genau Cemal von ihr gewollt hatte, wusste Semir auch immer noch nicht. Layla hatte damals bei ihrer Vernehmung behauptet, sie wüsste auch nicht, was es gewesen sein könnte, sie hätte nur so getan, als wäre sie im Bilde. Dadurch hätte sie erreichen wollen, dass sich Cemal und Ekim trennten, so dass es leichter würde, ihnen zu entkommen, was dann ja auch gelungen war. Auch wenn diese Geschichte plausibel klang, war Semir sich nicht sicher, ob er ihr das so abkaufen wollte, er traute ihr nicht.

  • „Wir sind etliche Alternativen durchgegangen und Sie können versichert sein, dass diese Variante diejenige ist, die den meisten Erfolg verspricht“, kam es kurz angebunden von Dr. Küpper. Semir schwieg und Herr Lauer fuhr fort. „Er wird von ihr verlangen, ihn mit ihren Auftraggebern bekannt zu machen, es ist nicht davon auszugehen, dass sie alleine arbeitet. Herr Jäger ist schließlich der Chef der Firma und wird ihr weiß machen, dass er auch von ihren Geschäften profitieren will. Sie kennt ihn nicht so gut, als dass sie hier eine Falle vermuten würde, es gibt schließlich genug Firmenbosse, die Dreck am Stecken haben.“
    „Aber glauben Sie tatsächlich, dass sie ihm das abkaufen wird?“ fragte Semir. „Sie kennt seinen Sohn und weiß, dass der so etwas nie machen würde, warum sollte sein Vater so handeln?“ Auch wenn Ben und sein Vater oft Streit hatten, hatte er Semir einmal anvertraut, dass sein Vater einer der wenigen Firmeninhaber war, die er kannte, die wirklich ehrlich waren, auch wenn ihn das so manches gute Geschäft gekostet hatte. Doch in dieser Hinsicht war Konrad Jäger immer altmodisch geblieben und diese Werte hatte er auch an seinen Sohn weitergegeben, das war immerhin etwas, das Semir ihm zu Gute halten konnte.
    Man konnte deutlich spüren, wie gereizt Dr. Küpper inzwischen war, doch auch Semir wurde das langsam zu viel, so dass er sich diese Anmerkung nicht hatte verkneifen können. „Der so ehrbar wirkende Konrad Jäger ist auch nicht so gut und edel, wie Sie anscheinend annehmen“, wurde Semir vom Staatsanwalt belehrt. „Und wie genau habe ich das jetzt zu verstehen?“ giftete Semir zurück, denn sein Vorrat an Freundlichkeit war nun wirklich erschöpft. „Ich kenne Jäger schon wesentlich länger als Sie, wir haben damals an der Uni ein Semester gemeinsam studiert. Schon damals hat er keine Rücksicht auf andere genommen, um sein Ziel zu erreichen, er hat sich einfach genommen, was er wollte. Seine spätere Frau hat das zu der Zeit auch noch nicht begriffen und als sie dann mit ihm verheiratet war, war es auch zu spät. Ihn hat immer nur die Karriere interessiert, alles andere hat er nur am Rande wahrgenommen. Hätte er sich mehr um seinen Sohn gekümmert, dann hätte er jetzt wahrscheinlich auch nicht diesen Ärger am Hals!“ Dr. Küpper hatte sich richtig in Rage geredet und nachdem er fertig war, sah auch gleich wieder so aus, als wünschte er, dass alles nicht gesagt zu haben.
    Semir erwiderte nichts, er war viel zu überrascht von den Verwicklungen, die sich hier auftaten. Doch es erklärte auch vieles. Konrad hatte Küpper damals die Frau weggeschnappt und das schien offensichtlich immer noch an ihm zu nagen, ebenso die Tatsache, dass Bens Vater eine steile Karriere hingelegt hatte, sich dabei aber zu wenig um seine Familie gekümmert hatte. Eifersucht war schon immer ein starkes Motiv gewesen und Dr. Küpper hatte Ben anscheinend mit in seinen Groll eingeschlossen und somit schließlich auch Semir, da die beiden ja fast eine Einheit bildeten. Nun ja, gebildet hatten, aber das schien den Mann nicht zu stören. Wenn man sich einmal seinen Zorn zugezogen hatte, blieb es wohl auch dabei. Zwar war diese Tatsache für Semir schwer vorstellbar, aber anders war das alles nicht zu erklären.
    „Nehmen wir einmal an, Sie haben recht und Layla glaubt ihm; wie soll es dann weitergehen?“ fragte Semir, denn er hatte beschlossen, nicht weiter auf Küppers Äußerungen einzugehen, sondern die eigentliche Sache weiter zu verfolgen, dafür war er schließlich hier. Alles andere konnte noch warten. Er nahm sowieso nicht an, dass Küpper sich noch einmal so gehen lassen würde.
    „Herr Jäger wird auf ein Treffen mit den Hintermännern bestehen und wenn es dazu kommt, werden wir ihn mit Wanze und Kamera ausstatten und werden dann sehen, was sich ergeben wird. Natürlich werden wir die ganze Zeit Verbindung mit ihm halten, wir haben ihn bereits mit Probematerial verkabelt, damit er sich daran gewöhnen kann“, beantwortet Martin Lauer die Frage. „Das klingt nicht gerade ungefährlich“, meinte Semir besorgt. Eigentlich war dieses Vorgehen auch sehr ungewöhnlich und passte so gar nicht zu Dr. Küppers üblichem Vorgehen, doch die Erklärung dafür folgte sofort.
    „Jäger hat sein ganzes Leben auf Kosten anderer aufgebaut, es ist für ihn an der Zeit, etwas davon zurück zu geben.“ „Ich würde gerne mit ihm sprechen“, bat Semir, der sich das alles noch nicht so ganz vorstellen konnte. Dr. Küpper nickte und geleitete ihn in einen Nebenraum, in dem ein sehr nervöser Konrad Jäger auf und ab ging.

  • „Semir, endlich sind Sie da!“ Schnell kam er auf den Kommissar zu und ergriff dessen Hand. „Setzten wir uns doch und dann erzählen Sie mir erst einmal in Ruhe, was eigentlich genau vorgefallen ist“, ging Semir erst einmal etwas auf Abstand. „Ja, ja, natürlich“, beeilte sich Konrad Jäger zu sagen und setzte sich. Semir tat es ihm gleich und stellte fest, dass ihm weder Küpper noch Lauer gefolgt waren, aber sie würden sie sicherlich beobachten. „Also, ich höre“, forderte er Bens Vater zum Sprechen auf.
    „Es gibt eigentlich gar nicht so viel zu dem zu sagen, was Sie bereits wahrscheinlich von Dr. Küpper erfahren haben“, begann er. „Nach dieser ganzen unglückseligen Angelegenheit, die Ihnen und meinem Sohn widerfahren ist, habe ich trotzdem keinen Grund gesehen, der gegen die Einstellung von Frau Aktan sprach. Ihre Qualifikationen waren ausgezeichnet und ich war sogar gerade auf der Suche nach jemandem mit diesen Fähigkeiten; ich meine, ich muss doch das Wohl der Firma im Auge haben. Die Unterlagen und Zeugnisse, die sie nachgereicht hat waren völlig in Ordnung und außerdem hat Ben sie ja mitgebracht, sie hatte ihm wohl in der Türkei geholfen, so ganz genau hat mir das keiner der beiden erzählt, aber das geht mich ja auch gar nichts an…“ Er stockte und sah Semir mit einem ziemlich hilflos wirkenden Blick an.
    Dem war jetzt allerdings klar, wie Layla an ihre Anstellung gekommen war. Sie hatte sich an Ben ran geworfen, dies allerdings nicht im herkömmlichen Sinne, nein, sie hatte an sein so oft viel zu gutes Herz appelliert, welches den Menschen in seiner Umgebung immer gerne half. Wahrscheinlich hatte sie von Anfang an etwas anderes als ehrliche Arbeit im Sinn gehabt, als sie Ben gebeten hatte, sie mit nach Deutschland zu nehmen. Die Typen, die damals in der Wohnung aufgetaucht waren, hatten etwas von ihr haben wollen, mit Sicherheit hatte das irgendetwas mit den Geschäften zu tun, die sie hier hatte aufziehen wollen, obwohl sie solche angeblich doch so verabscheut hatte. Und das hatte sie dann ja auch anscheinend auch recht schnell geschafft. Konrad Jägers Firma war wie geschaffen als Tarnung für ein solches Unternehmen. Und der Senior hatte seinem Sohn einen Gefallen tun wollen, als er sie eingestellt hatte und entgegen seinen Beteuerungen hatte er wahrscheinlich doch nicht so genau auf die Qualifikationen geschaut. Vielleicht hatte er auch gehofft, Ben so mehr mit in die Firma einbinden zu können.
    „Wo ist Ben, kann er Ihnen nicht helfen?“ traute Semir sich dann doch zu fragen. Aber Konrad schüttelte den Kopf. „Ich will ihn auf keinen Fall damit belasten, er würde sich verantwortlich fühlen und das ist etwas, was er jetzt nicht brauchen kann. Er muss endlich zur Ruhe kommen, den Kopf mal fei kriegen, damit er dann entscheiden kann, wie es in seinem Leben weiter gehen soll.“ Semir dachte kurz nach. „Rufen Sie ihn trotzdem an. Er muss wissen, was los ist. Vielleicht trifft er sich ja noch mit Layla und bringt sich somit unwissentlich in Gefahr.“ Konrad Jäger nickte erschrocken, diese Möglichkeit hatte er noch gar nicht in Betracht gezogen. Er nahm sein Telefon und tippte eine Nummer ein. Doch er erreichte seinen Sohn nicht, sondern konnte ihm nur die Bitte um einen Rückruf auf der Mailbox hinterlassen. Dabei hatten sich Sorgenfalten auf seiner Stirn gebildet. Fragend sah Semir ihn an. „Ich hatte mit Ben vereinbart, dass er sich immer meldet, wenn ich ihn anrufe. Er hat ein neues Handy, von dem nur ich die Nummer habe. Wissen Sie, es ging ihm nicht so gut, als er sich auf den Weg gemacht hat.“ Semir nickte, dass hatte er sich schon denken können. Auch die Tatsache, dass Ben unter seiner alten Nummer nicht erreichbar war, erklärte so einiges. Auch wenn es niemand zugab, so war sich Semir sicher, dass jeder, ihn selbst eingeschlossen, nicht nur einmal versucht hatte, Ben zu erreichen. „Er wird sich schon melden, vielleicht hat er es einfach nicht gehört“, versuchte er Konrad Jäger zu beruhigen, auch wenn ihm selber nicht ganz wohl bei der Sache war. Aber er konnte daran jetzt nichts ändern, sie würden es auch ohne Ben schaffen, auch wenn sein Kontakt zu Layla vielleicht hilfreich gewesen wäre. Aber vielleicht war es auch besser so.
    Gemeinsam mit Semir verließ Konrad schließlich den Raum und sie gingen zu Dr. Küpper und Martin Lauer, um das weitere Vorgehen zu besprechen.

  • Wie hatten sie es nur herausgefunden, es konnte gar nicht anders sein, sonst wären sie doch nicht so weit gegangen, oder? Wie hatte sie nur glauben können, sie könnte hier unbehelligt ihre Geschäfte betreiben? Layla sah auf ihre Hände, sie konnte immer noch nicht aufhören zu zittern. Doch sie musste sich beruhigen, sie hatte eine Aufgabe zu erledigen. Doch was sollte sie nur tun, wenn Ben es nicht schaffen würde? Sie hatte das nicht gewollt, wie hätte sie ahnen sollen, dass Antonio Ben mit in das Ganze hinein ziehen würde? Sie hatte doch nur mit Ben reden wollen, sie mochte ihn wirklich gerne, sie hatte sich so allein gefühlt, dass sie ihn sogar angelogen hatte, damit er sich mit ihr traf. Wahrscheinlich machte er sie auch mit dafür verantwortlich, dass seine Beziehung gescheitert war, doch sie hatte ihn überreden können, zumal er keine Ahnung davon gehabt hatte, was sie begonnen hatte, hier für sich aufzubauen. Vielleicht hätte sie auch irgendwann damit aufhören können, wenn sie genug Geld gemacht hätte, doch im Moment schien das allmählich unmöglich zu werden. Antonio hatte so oft und so fest zugeschlagen, das konnte doch kein Mensch aushalten! Sie war zwar selber hart im Nehmen, aber wenn andere ihretwegen leiden mussten, konnte sie damit nicht umgehen, das war schon immer ihr Schwachpunkt gewesen. Doch sie schaffte es einfach nicht, Menschen, die sie mochte, nicht nah an sich heran kommen zu lassen, um sie nicht in Gefahr zu bringen, und vor allem Ben war ihr nahe gekommen, viel zu nahe, was das Ganze jetzt nur noch viel schwieriger machte, sie konnte kaum noch klar denken.
    Sie hatte gehofft, es geheim halten zu können, dass sie noch mit diese Ausdrucke hatte, eigentlich hätte alles vorbei sein müssen, nachdem sie den Stick losgeworden war, doch irgendwie hatte Antonio herausgefunden, dass sie diese Informationen trotzdem noch nutzte. Dabei war es doch gar nicht viel, was sie machte; nur ein paar kleine Lieferungen, um an genügend Geld zu kommen, damit sie sich um ihre Zukunft keine Sorgen mehr machen musste, allzu lange hatte sie damit sowieso nicht weiter machen wollen, ihr schlechtes Gewissen hatte sie immer damit beruhigt, dass diese Leute sich die Waffen einfach woanders besorgen würden, wenn sie nicht lieferte, also warum nicht davon profitieren?
    Layla hatte also die Kundendaten auch für sich behalten, Antonio würde sowieso nicht alle brauchen. Doch sie hatte sich getäuscht, er musste ihr nachspioniert haben und da er kaum annehmen würde, dass sie all diese Zahlen, Namen und Daten in ihrem Kopf hatte, musste er davon ausgehen, dass sie noch entsprechende Unterlagen hatte und genau so war es ja auch. Warum war sie nicht vorsichtiger gewesen? Sie hatte eigentlich nichts verraten wollen, denn so hätte sie noch eine Art Versicherung für sich gehabt, doch Antonio hatte immer weiter gemacht, sie war sich sicher, dass er Ben zu Tode geprügelt hätte, wenn sie ihm nicht gesagt hätte, wo sich die Unterlagen befanden. Und wer wusste schon, was sie mit ihm gemacht hatten, als sie noch nicht bei ihm gewesen war. Als sie zu ihm in diesen Raum gesperrt worden war, nachdem Antonio ihr das erste Mal seine Forderungen diktiert hatte, war er noch bewusstlos gewesen. Er war während ihres Treffens ebenso wie sie überhaupt nicht auf eine derartige Attacke vorbereitet gewesen, so dass er keine Gegenwehr hatte leisten können. Doch inzwischen war Layla klar geworden, dass sie schon länger beobachtet worden war; man hatte nur darauf gewartet, unauffällig jemanden in die Finger zu bekommen, den man als Druckmittel einsetzten konnte, damit sie ‚kooperierte’. Wenn sie so etwas nur geahnt hätte, dann hätte sie einen belebteren Treffpunkt gewählt, aber so hatte niemand etwas mitbekommen. Ihre Gedanken schweiften an das Treffen zurück…

  • Sie war zu früh dran gewesen, aber unerwarteter Weise war sie doch nervös gewesen, ihn wieder zu sehen. Eigentlich hatte sie gar keine Ahnung, was sie ihm sagen sollte; dass sie es war, die für die Unregelmäßigkeiten in der Firma seines Vaters verantwortlich war, mit Sicherheit nicht. Hier und da mal ein zusätzliches Packet, eine kleine nachträgliche Zusatzlieferung, die nur in einer Aktennotiz erwähnt war und deswegen am Zoll nicht mehr genau kontrolliert wurde, ihre Anweisungen, wohin diese Waren gebracht werden sollten, natürlich immer mit unterschiedlichen Kurieren.
    Sie könnte Ben sagen, dass in der Firma so Zollgebühren gespart würden, wenn man Lieferungen nachträglich „modifizieren“ würde, er hatte ja keine Ahnung von diesem Geschäft und außerdem hätte sie damit nicht einmal ganz gelogen und somit auch einen Grund, um mit Ben zu reden. Doch er könnte sie fragen, warum sie damit nicht zu seinem Vater ging, aber sie war nun einmal neu in der Firma und wer wusste nicht, ob nicht vielleicht der Chef selbst dafür verantwortlich war… Hinter vorgehaltner Hand wurde sogar gemunkelt, dass die Staatsanwaltschaft schon länger ein Auge auf die Firma hatte; das hatte Layla aber erst zu spät erfahren, ein Grund, noch vorsichtiger zu sein.
    Layla wusste nicht, wie sich das Verhältnis zwischen Ben und seinem Vater entwickelt hatte, immerhin standen sie miteinander in Verbindung, sonst hätte er ihn wohl kaum angerufen.
    Sie hörte Reifen auf Kies knirschen und drehte sich um. Langsam kam Ben mit seinem Motorrad auf sie zugefahren. Kurz vor ihr stoppte er und machte dann die Maschine aus. Er zögerte noch einen Moment, doch dann stieg er ab und nahm den Helm ab. Er sah noch genau so aus wie vor wenigen Wochen, nur wenn man genau hinsah, konnte man erkennen, dass ein trauriger Ausdruck in seinen Augen lag.
    „Hey Ben“, begrüßte ihn Layla und nahm ihn kurz in den Arm, was er zwar zuließ, aber nicht erwiderte. Sie trat einen Schritt zurück. „Geht es dir so schlecht?“ fragte sie ihn, auch wenn sie das eigentlich nicht vorgehabt hatte, doch es tat ihr leid, ihn so zu sehen.
    Irritiert sah Ben sie an. War es so offensichtlich, dass es sogar ihr auffiel, obwohl sie ihn kaum kannte? „Besonders gut geht es mir wirklich nicht“, antwortete er dann aber doch. Immerhin war sie die einzige, mit der er Kontakt hatte, die wusste, was geschehen war und vielleicht tat es ihm auch mal ganz gut, darüber zu reden. Sein Vater hatte zwar auch alles mitbekommen, wusste vieles aber nur aus Erzählungen und außerdem hatte er sich mal wieder so in die Arbeit vergraben, dass er auch nicht wirklich ein Gesprächspartner gewesen war, obwohl er Ben versprochen hatte, mehr für ihn da zu sein. Doch Ben nahm es ihm nicht übel, seit er verstanden hatte, dass dies für seinen Vater die einzige Möglichkeit war, mit solchen Situationen umzugehen. Das änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass Ben auf sich allein gestellt war, auch wenn er gerade auf dem Weg war, dies zu ändern. Doch er wusste nicht, ob ihm das gelingen würde.
    „Ben, es tut mir leid, ich wollte nicht, dass es so weit kommt“, sagte Layla und meinte es auch ehrlich so. „Ach, ist schon gut, letztendlich ist es meine Schuld, dass alles so weit kommen konnte.“ Er schwieg einen Moment. „Aber ich hoffe, dass ich einiges wieder auf die Reihe kriegen werde, deswegen bin ich überhaupt hier in der Gegend.“ „Es ist wegen deiner Freundin, nicht wahr?“ wollte Layla wissen. Wenn Männer in diesem Zustand waren, dann konnte nur eine Frau dafür verantwortlich sein, auch wenn Ben wohl der Streit mit seinem Freund zu schaffen machte. „Du willst sie zurück bekommen, oder?“ Ben nickte. Er wusste auch nicht genau, warum er Layla das alles anvertraute, wahrscheinlich, weil sie die Situation kannte, aber auch eine gewisse Distanz dazu hatte. Vielleicht hatte sie ja noch einen ganz anderen Blick auf die Dinge. „Ich muss unbedingt mit ihr reden, das ist mir jetzt klar geworden. Und ich weiß auch, dass ich wieder mit ihr zusammen sein will. Layla, guck nicht so, was ist denn daran verkehrt?“

    Einmal editiert, zuletzt von Danara () aus folgendem Grund: Schreibfehler

  • Verwundert hatte er fest gestellt, wie sich Laylas Gesichtsausdruck verändert hatte. Was er jedoch nicht mitbekommen hatte, waren die zwei Gestalten, die sich ihm von hinten genähert hatten. Er war so in Gedanken gewesen, dass er sie nicht bemerkt hatte; etwas, das ihm früher nicht passiert wäre. Er bekam nur noch mit, dass Layla etwas sagen wollte, doch dann spürte er nur noch ein Tuch auf seinem Gesicht, welches einen unverkennbaren Geruch ausstrahlte, doch er schaffte es nicht mehr, sich zu wehren. Er merkte nicht einmal mehr, wie er auf dem Boden aufkam. Hilflos musste Layla mit ansehen, wie Luigi und Marco Ben in ihren Wagen luden. Auch sie musste schließlich einsteigen, hatte es auf der Rückbank jedoch weitaus bequemer als Ben im Kofferraum.
    Als sie schließlich an ihrem Zielort ankamen, wurden sie dort bereits erwartet. Im Türrahmen eines herrschaftlich anmutenden Hauses weit außerhalb der Stadt stand Antonio, ein Geschäftspartner von Serhat aus Italien. Layla entspannte sich wieder etwas. Antonio war zwar bekannt dafür, dass er hart durchgriff, zu ihr war er aber immer nett gewesen. Und auch jetzt begrüßte er sie freundlich. „Layla, wie schön, dich zu sehen, komm rein, wir haben etwas zu besprechen.“ Dann gab er seinen Leuten ein Zeichen und diese trugen einen immer noch bewusstlosen Ben ins Haus.
    „Er hat nichts damit zu tun, er weiß nichts“, versuchte sie Antonio klar zu machen und der nickte. „Ja, ja, er wird nur kurzfristig unsere Gastfreundschaft genießen, du kannst ihm gleich noch Gesellschaft leisten.
    Zu diesem Zeitpunkt hatte Layala noch geglaubt, dass sie einigermaßen heil aus der Sache raus kommen könnte. Antonio hatte ihr dann seine Forderungen diktiert und sie schließlich zu Ben in den Keller gesperrt, spätestens da hätte ihr klar werden müssen, dass es nicht so einfach werden würde. Antonio hatte gemeint, dass sie in Ruhe über seine Forderungen nachdenken solle, so hatte er sich zumindest ausgedrückt, auch wenn sie nicht wusste, was es da zu überlegen gäbe. Zur Polizei würde sie mit Sicherheit nicht gehen.
    Sie war angespannt gewesen und sie hatte sich Sorgen um Ben gemacht. Er schien ziemlich viel von dem Zeug eingeatmet zu haben und er hatte sich auch bei dem recht unsanften Transport verletzt, er hatte eine Platzwunde an der Stirn und sie hatte ihn zuerst gar nicht wach bekommen. Doch als er dann endlich die Augen geöffnet hatte, war fast im gleichen Moment Antonio herein gekommen. Layla hatte gar keine Chance gehabt, irgendetwas zu sagen, Antonio gab ihr keine Gelegenheit dazu, sondern verpasste Ben sofort einen Tritt in den Magen. Erschrocken holte Layla Luft, damit hatte sie nicht gerechnet. Doch Antonio lachte nur. „Du wirst dich jetzt auf den Weg machen und mir die Unterlagen besorgen, ich bin sehr an dieser Firma interessiert. Damit du weißt, wie ernst ich es meine, werde ich mich noch ein wenig mit deinem Freund beschäftigen.“ Mit diesen Worten packte er Ben an der Jacke, zog ihn halb hoch und verpasste ihm einen heftigen Faustschlag ins Gesicht. Von Ben war nur noch ein ersticktes Stöhnen zu hören, als er zusammengekrümmt auf dem Boden liegen blieb. „Los, worauf wartest du noch? Geh!“ herrschte Antonio Layla an. „Luigi erwartet dich am Eingang!“ Dann drehte er sich wieder zu Ben und ging neben ihm in die Hocke. „Ich hoffe für dich, dass sie schnell wieder da ist.“ Erneut holte er aus und Layla drehte sich rum und rannte so schnell sie konnte Richtung Ausgang, wo sie tatsächlich auf Luigi traf, der sie dann zu seinem Auto brachte. „Ich werde dich zu deinem Wagen zurückbringen, den Rest schaffst du ja wohl alleine, ich habe besseres zu tun, als dich in der Gegend herum zu kutschieren.“
    Layla war immer noch viel zu entsetzt, als das sie irgendetwas hätte erwidern können. Schließlich hatten sie den Platz erreicht, an dem sie sich mit Ben getroffen hatte. Sein Motorrad war verschwunden, ihr Auto stand jedoch noch unberührt da. Luigi grinste sie an und verschwand. Layla sah auf ihre Hände, sie konnte nicht aufhören zu zittern, sie musste sich beeilen.

  • Und jetzt stand sie vor dem Eingang der Firma, wenigstens war es ihr ein wenig gelungen, das Zittern unter Kontrolle zu bringen, doch sie hatte Angst, einfach nur Angst. Layla atmete tief durch. Sie musste versuchen, die Fassung zu bewahren, sie konnte es nicht riskieren, dass sie jemandem auffiel.
    Nachdem sie am Pförtner vorbei und an ihrem Schreibtisch angekommen war, bückte sie sich und öffnete die unterste Schublade. Sie griff nach der Dokumentenmappe, in der alle Informationen, die auch auf dem Stick gespeichert gewesen waren, noch einmal ausgedruckt waren. Alle Kontakte, alle Namen und sogar einige Kontoverbindungen waren verzeichnet. Wenn die Polizei diese Daten in die Hände bekäme, würde es für einige, bisher augenscheinlich unbescholtene Bürger sehr unangenehm werden, so viel war Layla schon vorher klar gewesen. Doch mit solchen Kosequenzen hatte sie nicht gerechnet.
    Sie richtete sich wieder auf, um das Büro wieder so schnell wie möglich zu verlassen, doch mitten in der Bewegung erstarrte sie. Direkt vor ihr stand Konrad Jäger und sah sie mit undefinierbarem Gesichtsausruck an. Sie war so in Gedanken gewesen, dass sie ihn nicht gehört hatte. „Oh, guten Morgen, ich bin gleich wieder weg, ich hab’ ja heute noch frei, ich wollte nur noch schnell etwas abholen“, sagte sie betont fröhlich und wollte an ihrem Boss vorbeihuschen, doch der stellte sich ihr in den Weg.
    Konrad hatte nicht damit gerechnet, sie heute hier anzutreffen, aber das war jetzt die Gelegenheit. Eigentlich war geplant gewesen, dass er wie üblich nur ganz normal seiner Arbeit nachgehen sollte, Layla hätte noch zwei Tage frei gehabt. Bis dahin wäre auch das Chaos, dass die Beamten bei ihrer Durchsuchung angerichtet hatten, beseitigt gewesen, doch Layla schien überhaupt nicht bemerkt zu haben, dass hier einiges anders aussah. Ganz entgegen ihres sonstigen Auftretens schien sie mit ihren Gedanken völlig woanders zu sein, aber das konnte doch nur zu seinem Vorteil sein. Konrad war zwar noch nicht mit den endgültigen Überwachungsgeräten ausgestattet, doch er wusste, dass die Beamten, mit denen er zusammenarbeitete, jetzt bereits mitverfolgten, was er machte. Eigentlich war das nur als Testlauf gedacht gewesen, damit er sich an die Geräte gewöhnte und sich später nicht damit verriet, dass seine Hand unbewusst dorthin wanderte, doch Layla sah so aus, als hätte sie nicht vor, nach dieser kurzen Stippvisite noch einmal hier aufzutauchen, vielmehr wirkte sie so, als wäre sie auf der Flucht. Also musste er die Chance ergreifen, um zu beweisen, dass er unschuldig war und den guten Ruf seiner Firma zu retten.
    „Ich weiß alles“, sagte er also nur. „Wie bitte? Was meinen Sie?“ fragte Layla gespielt ahnungslos, während ihr Herz ihr nur so gegen die Brust hämmerte. Sie hatte keine Zeit für so etwas, sie musste so schnell wie möglich zurück! „Ich meine die Tatsache, dass du meine Firma für deine Zwecke missbrauchst. Es hat keinen Sinn, sich zu verstellen.“ Layla zuckte zusammen, als sie an seinem Tonfall erkannte, dass er nicht bluffte. Sie wusste zwar nicht wie, aber er hatte es schon jetzt herausgefunden. Doch wenn sie ehrlich war, hätte sie früher oder später damit rechnen müssen. Nur war der Zeitpunkt denkbar ungünstig. „Du hast doch irgendwas vor“, mutmaßte Konrad Jäger jetzt. Es fiel ihm wahnsinnig schwer, diese aufgetragene Rolle aufrecht zu erhalten, am liebsten hätte er sie einfach nur angebrüllt, wie sie ihm das antun konnte, warum sie das Vertrauen seines Sohnes und sein eigenes so missbraucht hatte, warum sie so undankbar war. Doch das durfte er nicht, er musste ruhig bleiben, nur so hatten sie eine Chance, an die Hintermänner zu kommen, denn nur so bekäme er wirklich die Gelegenheit, seinen Namen rein zu waschen.
    Er war dankbar, dass er durch den winzigen Ohrhörer Anweisungen bekam, wie er sich verhalten sollte, allein wäre er völlig überfordert gewesen. Glücklicherweise funktionierte die Technik so, wie sie es sich vorgestellt hatten. Mit Hilfe der winzigen Kamera, die in der zugegebenermaßen recht großen Krawattenklammer versteckt war, konnten Semir und die anderen in der Zentrale mitverfolgen, was er sah und hörte, so dass sie ihn gut unterstützen konnten. Seine „Beobachter“ hatten schnell geschaltet, als sie begriffen hatten, dass aus dem Probelauf für die Technik plötzlich Ernst geworden war. Eigentlich hatte niemand von ihnen damit gerechnet, aber alle waren Profis, die in der Lage waren, auf solche spontane Änderungen zu reagieren.

  • Und es waren inzwischen nicht nur Semir und die anderen Beamten, mit denen er zuvor gesprochen hatte, vor dem Bildschirm. Auch Susanne hatte sich in dem Großraumbüro befunden, von dem aus die Überwachung satt fand. Konrad hatte zwar gewusst, dass Susanne inzwischen beim LKA arbeitete, aber dass er sie genau hier und vor allem zu diesem Zeitpunkt wieder sah, schien ihm ein glücklicher Zufall zu sein, der sie wieder zusammenführen könnte. Immerhin waren sie waren im Streit auseinander gegangen und er war daran nicht ganz unschuldig gewesen. Sie hatte zwar nichts mit seinem Fall zu tun, aber Konrad war sicher gewesen, dass sie auch zusehen würde, sobald sie bemerkt hätte, dass Semir da war. Er hatte noch überlegt, wie er auf sie zugehen könnte, doch dann war Küpper gekommen und hatte Semir mitgebracht und von da an war alles so schnell gegangen, dass er keine Gelegenheit mehr bekommen hatte, sie anzusprechen. Er war sich zudem nicht sicher, ob sie ihn vielleicht auch nicht gesehen oder einfach ignoriert hatte, aber auch das könnte er ihr nicht übel nehmen. Im Nachhinein hatte er begriffen, dass es ein Fehler gewesen war, sie von Ben fern zu halten, wahrscheinlich hatte sie gedacht, dass Ben selbst nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte. Dabei hatte er doch nur das Beste für seinen Sohn gewollt, er hatte sich einfach in Ruhe erholen sollen. Vor allem, wenn man bedachte, was er in so kurzer Zeit alles durchgemacht hatte. Ben hatte ihm im Krankenhaus alles erzählt, er hatte sich alles von der Seele geredet.
    Konrads Gedanken gingen zurück an den Tag, an dem ihn Andrea Gerkhan angerufen hatte. Er hatte gar nicht gewusst, dass sie seine Nummer hatte, aber es hatte sich herausgestellt, dass Ben ihr diese für den Notfall gegeben hatte.


    „Herr Jäger, hier ist Andrea Gerkhan, die Frau von Semir, dem Kollegen von Ben.“ – „Frau Gerkhan, was kann ich für Sie tun?“ – „Ich rufe wegen Ben an, er ist…“ – „Was ist mit ihm, geht es ihm gut?“ – „Er ist im Krankenhaus, es hat da einen Vorfall gegeben, er… es ist schwierig, alles zu erklären, können Sie kommen?“ – „Ja, natürlich, ich mache mich sofort auf den Weg, welche Klinik?“ – „Marienhospital, die Zimmernummer weiß ich noch nicht.“ – „Das werde ich schon raus finden, ich bin sofort da!“
    Ohne auf eine Antwort zu warten, legte Konrad auf und stürmte unter den verwunderten Blicken seiner Sekretärin aus dem Büro. Glücklicherweise war nicht viel Verkehr und so war er schnell an seinem Ziel angekommen, doch auch während dieser kurzen Fahrt hatte er diverse Horrorszenarien vor seinem geistigen Auge durchlaufen lassen. Ben war Polizist, er musste immer damit rechnen, dass seinem Sohn etwas passierte, aber was war nur geschehen, dass ihn die Frau seines Partners anrief?
    Am Empfang erfragte er Bens Zimmernummer, es stellte sich heraus, dass es sich auf der normalen Station befand, dann konnte es doch also gar nicht so schlimm sein, oder? Vor der Tür angekommen traf er dann auch auf Andrea, die ihn zur Begrüßung kurz umarmte. Konrad war zwar etwas irritiert, sagte aber nichts. „Ich habe hier auf Sie gewartet, eben hat er noch geschlafen, vielleicht ist er jetzt wach.“ Konrad nickte. „Was ist denn eigentlich passiert?“ fragte er dann, doch Andrea schien nicht so recht zu wissen, was sie sagen sollte. „Es ist wohl besser, wenn Sie ihn das selber fragen“, antwortete sie ausweichend. „Ich werde hier warten.“ „Wo ist ihr Mann?“ wollte er dann noch wissen. „Er ist noch mit Susanne auf dem Revier, ich weiß nicht, ob oder wann sie her kommen können.“ Konrad nickte, doch was hatte das alles zu bedeuten?
    Vorsichtig öffnete er die Tür und war sehr erleichtert, als er sah, dass Ben wach war. Langsam näherte sich seinem Bett, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. „Wie geht es dir Junge?“ fragte er ihn einfach nur. „Was machst du denn hier?“ kam jedoch erst einmal die Gegenfrage. Warum konnte Ben nicht einfach mal so eine Frage beantworten? „Andrea hat mich benachrichtigt, sie wartet draußen“, antwortete er trotzdem. „Ach so.“ Ben schwieg. „Was ist passiert?“ fragte Konrad. Ben sah seinen Vater an. „Wo ist Semir?“ fragte er. „Andrea sagte, sie seien auf dem Revier. Ben was ist hier eigentlich los?“

  • Ben schwieg eine Weile. In seinem Kopf schien es zu arbeiten, doch Konrad hielt sich mit weiteren Fragen zurück. Inzwischen machte er sich ernsthaft Sorgen um seinen Sohn, so kannte er ihn gar nicht. Schließlich atmete Ben tief durch und dann begann er zu erzählen, was in den letzten Wochen und vor allem in den letzten Tagen geschehen war. Konrad konnte kaum glauben, was er da hörte und oft war er kurz davor, einen Kommentar abzugeben, oder Ben etwas zu fragen, vor allem, als die Sprache auf Dr. Küpper kam, doch er hielt sich zurück, denn es war seinem Sohn deutlich anzumerken, dass es ihm gut tat, sich einmal alles von der Seele zu reden. Und wann sonst hatte er auch schon einmal erlebt, dass sich Ben ihm so vorbehaltlos anvertraut hätte. Er wollte ihn jetzt nicht enttäuschen.
    Nachdem Ben mit seiner Erzählung fertig war schwiegen die beiden eine Weile. Dann sagte Konrad: „Jetzt ist es erst einmal wichtig, dass du dich erholst und wieder ganz gesund wirst.“
    Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits eine gute Klinik im Hinterkopf, in der Ben sich sicher wohl fühlen würde, doch das behielt er noch für sich, er musste das erst organisieren, dann würde er seinem Sohn die Verlegung schon schmackhaft machen. „Ich werde mal versuchen, ob ich einen Arzt sprechen kann, du siehst müde aus, schlaf doch noch etwas“, sagte er zu Ben, der inzwischen wieder sehr blass aussah.
    „Ist gut“, antwortete Ben, er schien wirklich sehr müde zu sein und es wirkte auch so, als habe er wieder Schmerzen. Ben schloss die Augen und Konrad ging leise zur Tür. Er trat auf den Flur und traf dort auf Susanne, mit der er überhaupt nicht gerechnet hatte. Und in diesem Moment wurde er von all den Gefühlen überrollt, die er vorhin im Krankenzimmer unterdrückt hatte und es wurde ihm klar, dass ihm nun die Aufgabe zufiel, Ben zu beschützen, denn das war schließlich die Aufgabe eines Vaters. Wenn er nur daran dachte, was Ben in der Türkei alles widerfahren war und da hätte er nichts gegen unternehmen können. Doch jetzt war er in der Lage dazu und er würde alles dafür tun, damit sein Sohn wieder auf die Beine kam. Weder Semirs, noch Susannes Anwesenheit würden ihm jetzt gut tun, also würde er das verhindern. Ben musste erst einmal wieder gesund werden, dann konnte er sich dem Ganzen wieder stellen, doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt dafür.



    Konrad hatte sich damals anfangs zwar gewundert, dass sein Sohn sich ausgerechnet ihm anvertraut hatte, aber während dieser ihm alles berichtet hatte, war ihm klar geworden, dass Ben zu diesem Zeitpunkt mit sonst niemandem, mit dem er normalerweise über so etwas reden würde, darüber sprechen konnte. Insgeheim war Konrad auch ein wenig froh darüber gewesen, dass er es war, den Ben nun ins Vertrauen zog und er war sehr entschlossen gewesen, mit diesem Wissen verantwortlich umzugehen. Also hatte er zunächst den Kontakt zu den beteiligten Personen unterbunden, es hätte Ben mit Sicherheit nicht gut getan, schon sofort wieder mit ihnen konfrontiert zu werden, vor allem, wenn man seinen gesundheitlichen Zustand bedachte.
    Doch dann war alles irgendwie anders weitergegangen, als Konrad sich das vorgestellt hatte. Nachdem er Ben gesagt hatte, dass seine Freunde erst einmal nicht kommen würden, hatte sein Sohn auch nicht mehr nach ihnen gefragt. Konrad war davon ausgegangen, dass sich später alles schon wieder einrenken würde, aber er hatte sich geirrt. Und als Ben ihm dann eröffnet hatte, dass er erst mal eine Zeit für sich allein brauchen würde, bis er wüsste, wie es weitergehen sollte, war Konrad sich der ganzen Tragweite seiner Entscheidung, Ben erst einmal von allen fern zu halten, bewusst geworden und somit auch der Erkenntnis, dass dadurch vielleicht auch Entwicklungen ausgelöst worden waren, die er niemals so beabsichtigt hatte. Er hatte diese aber leider nicht wirklich mitbekommen, da er sich doch wieder mal in die Arbeit vergraben hatte, nachdem er Ben gut in Klinik versorgt wusste. Bei seinen Besuchen war er auch mit den Gedanken in der Firma gewesen, so dass die Gespräche nur oberflächlich geblieben waren, obwohl er sich fest vorgenommen hatte, es diesmal anders zu machen. Aber wieder hatte er es nicht geschafft, seinem Sohn ein guter Vater zu sein. Wie hatte er nur so blind sein können! Er hätte doch merken müssen, wie sehr es Ben zu schaffen gemacht hatte, ganz allein zu sein! Doch als der sich dann mit dem Motorrad auf den Weg gemacht hatte, war es zu spät gewesen. Konrad hatte ihn ziehen lassen müssen, denn jetzt wollte Ben wirklich allein sein, doch Konrad hoffte, dass er keine übereilten Entscheidungen traf. Er musste noch einmal mit ihm sprechen, ihm sagen, was er getan hatte und auch mit Susanne würde er reden müssen. Er konnte nur hoffen, dass sie beide ihn verstehen würden.

  • Mit einer Vermutung hatte Konrad zumindest Recht behalten. Nachdem Susanne gesehen hatte, dass Semir hier an einer Ermittlung mit Überwachung beteiligt war, war sie zu ihm gegangen und hatte ihn einfach freundlich begrüßt.
    Semir war sich zuerst unsicher gewesen, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte, er hatte nicht damit gerechnet, sie ausgerechnet hier wieder zu sehen. Doch dann hatte sie ihn einfach gefragt, ob er einen Kaffee mit ihr trinken wollte und er hatte ja gesagt. Sie waren in die Cafeteria gegangen, um ungestört zu sein. Nachdem sie sich gesetzt hatten, wusste beide erst einmal nicht so recht, was sie sagen sollten, doch dann fasste sich Semir ein Herz und fragte: „Und, wie gefällt es dir hier?“ „Ganz gut“, antwortete Susanne erleichtert über die Tatsache, dass sie erst einmal mit einem unverfänglichen Gesprächsthema eingestiegen waren. Aber das hätte sie eigentlich von Semir erwarten sollen. Wenn sie wirklich über das reden wollte, was sie beschäftigte, würde sie den Anfang machen müssen. „Die Kollegen sind hier sehr nett, auch die Fälle sind ganz interessant, aber hier geht wesentlich weniger in die Brüche.“ Als sie sah, dass Semir grinste, wagte sie sich weiter vor. „Ich fühle mich hier zwar nicht unwohl, aber ich vermisse euch“, gab sie dann zu. „Du fehlst uns auch“, kam zu ihrer Überraschung von Semir zurück. „Weißt du, warum ich weggegangen bin?“ fragte sie ihn nun direkt. „Ich kann es mir denken“, antwortete er ausweichend und sah sie fragend an.
    Susanne atmete einmal tief durch und horchte in sich hinein, aber sie spürte, dass sie nun so weit war, darüber zu sprechen. „Nach dieser ganzen Sache brauchte ich einfach Zeit für mich. Es hat so wehgetan, dass Ben mich nicht sehen wollte, obwohl ich ihm das nicht einmal verübeln kann, so wie ich mich aufgeführt habe. Und im Büro hat mich einfach alles an ihn erinnert, ich konnte nicht jeden Tag dorthin gehen und das ertragen, das habe ich einfach nicht geschafft. Und auch dich zu sehen ist mir schwer gefallen. Am Anfang habe ich dich verantwortlich gemacht, weißt du?“ Sie sah ihn an, doch er nickte nur. „In gewisser Weise hast du ja Recht; wenn ich mich nicht in dieses Schlamassel geritten hätte, dann wäre das wohl alles kaum so passiert.“ Susanne schüttelte den Kopf. „Das mag vielleicht sein, aber das ändert nichts daran, dass ich mich so daneben benommen habe, ich hätte Ben einfach nur die Gelegenheit geben müssen, mir alles zu erklären, aber ich konnte es einfach nicht.“ Welche Gründe sie dafür gehabt hatte, brauchte Semir nicht zu wissen, dass ging nur sie und Ben etwas an, doch er schien es auch so zu verstehen. „Wir hätten alle viel mehr miteinander reden müssen, dann wäre es niemals so weit gekommen“, sagte er zu ihr. Auch Susanne nickte. „Ich habe inzwischen genug Abstand gewonnen, ich möchte eigentlich gerne wieder zu euch zurückkommen, irgendwie seid ihr doch meine Familie.“
    Um ehrlich zu sein, fühlte sie sich in ihrer neuen Abteilung sogar sehr allein, es waren zwar alle nett zu ihr, aber es blieb doch immer oberflächlich und sie vermisste ihre alte Arbeitsstelle sehr, denn dort waren sie wirklich wie eine große Familie gewesen, mit allen Höhen und Tiefen. Ob das auch ohne Ben wieder so werden könnte, wusste sie nicht, aber sie würde es gerne versuchen. „Hast du eigentlich versucht, mit ihm zu sprechen?“ fragte sie Semir dann und es war klar, wen sie meinte. „Klar, wer hat das nicht“, antwortete er zu ihrer Erleichterung, bedeutete das noch, dass auch er Ben noch nicht aufgegeben hatte. „Aber niemand konnte ihn erreichen“, enttäuschte er sie gleich darauf wieder. „Ich weiß inzwischen aber auch wieso; er hat eine neue Nummer, die kennt nur sein Vater.“ Das erklärte natürlich so einiges und als Konrads Name fiel, huschte ein Schatten über Susannes Gesicht. Er war es gewesen, der sie von Ben ferngehalten hatte, aber so wie sie sich in seinem Beisein aufgeführt hatte, konnte sie ihm das kaum verübeln, er hatte seinen Sohn vor Aufregung schützen wollen, damit der in Ruhe gesund werden konnte. Sie verstand zwar nicht, warum er ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt damit angefangen hatte, seine Vatergefühle auf diese Art und Weise zu zeigen, aber Ben war nun einmal sein Sohn und damit war es Konrads gutes Recht, sich schützend vor ihn zu stellen. Sie hatte viel über ihn nachgedacht, war jedoch noch zu keinem Ergebnis gekommen. Sie musste dringend damit aufhören, er war schon so in ihren Gedanken, dass sie sich sogar eingebildet hatte, ihn hier gesehen zu haben, aber das war nun wirklich nicht möglich.

  • „Was machst du eigentlich genau hier?“ fragte sie Semir dann, um die Sprache wieder auf ein anderes Thema zu lenken; nachdem sie diesen Anfang gemacht hatte würden sie sich in Zukunft sicherlich wieder öfter sprechen und Semir war ja eigentlich hier, um zu arbeiten und nicht, um sich mit ihr zu unterhalten.
    Semir seufzte kurz und sagte dann: „Du musst mir versprechen, dass du dich nicht aufregst.“ Susanne nickte, was konnte denn jetzt kommen? „Ich begleite eine Observierung in Konrad Jägers Firma auf seinen Wunsch hin. Wir haben ihn verkabelt, er soll eine Mitarbeiterin überführen, die ohne sein Wissen krumme Geschäfte macht. Susanne, es ist Layla, er hat sie eingestellt, aber ich weiß nicht, ob Ben noch mit ihr zu tun hat.“ Er hatte kurz überlegt, ob er die beiden letzten Informationen vorläufig noch unterschlagen sollte, aber sie würde es doch herausfinden, also sagte er es ihr lieber gleich, er hatte inzwischen zu Genüge erlebt, was passierte, wenn man Dinge zu lange für sich behielt, auch wenn das jetzt natürlich ziemlich viel auf einmal war. Susanne wurde blass, als sie das alles hörte, doch was sie davon halte sollte, wusste sie nicht, dazu war sie viel zu erschlagen von diesen Neuigkeiten. Ehrlich gesagt konnte sie in diesem Augenblick noch überhaupt nichts denken. „Ich muss jetzt wieder zurück, wenn du willst, kannst du ja mitkommen“, bot Semir ihr an, denn er wollte sie in diesem Moment ungern allein lassen. Susanne überlegte kurz und entschied sich dann dafür, Semir zu begleiten.
    Sie hatten Glück, keiner der Kollegen schien etwas gegen ihre Anwesenheit zu haben, so mancher wusste auch, dass sie mit dem Sohn von Jäger zusammen gewesen war und auch Semir gut kannte; kein Wunder, dass sie interessierte, was hier so vor sich ging. Doch die ganze Geschichte, die dahinter steckte, kannte niemand. Und so saß sie nun mit Semir vor dem Monitor und sie beobachteten gemeinsam, was geschah.
    Aber als dann Layla zu sehen war, versteinerte sich ihre Miene, doch sie sagte keinen Ton. Semir sah sie noch einen Moment lang an und wandte sich dann wieder zum Bildschirm. Sie musste jetzt selbst entscheiden, ob sie bleiben wollte oder ob ihr das zuviel wurde.
    Doch Susanne schaffte es einfach nicht, den Blick abzuwenden. Sie kam sich vor wie eine Schaulustige, die ihren Blick nicht von einem schlimmen Unfall abwenden konnte, aber sie wollte sehen, was mit Layla geschah. Sie wollte die Genugtuung spüren, wenn diese Frau endlich überführt und verhaftet wurde. Also blieb sie stehen, da sich auch niemand weiter um sie kümmerte und war sogar ein kleines bisschen beeindruckt davon, wie Konrad Jäger in dieser Situation den eiskalten Chef rauskehrte, obwohl ihm innerlich sicher anders zu Mute sein musste.



    „Also, was ist, ich höre!“ blaffte der in diesem Moment die immer noch schweigende Layla an.
    „Ich wollte nur Material abholen, das ich brauche, es ist mein eigenes, nicht von der Firma“, antwortete sie ausweichend. Hoffentlich war er damit zufrieden und ließ sie gehen, sie musste so schnell wie möglich wieder zurück. „Bringst du das zu deinem Partner?“ fragte er dann und machte ihr so nur allzu deutlich, dass er wusste, was sie hier aufgezogen hatte, auch wenn schon seine erste Ansprache kaum Zweifel daran hatte aufkommen lassen. „Ja“, antwortete sie also nur, eigentlich war sie nicht in der Verfassung für ein solches Gespräch, doch sie begriff, dass er sie nicht gehen lassen würde, bevor er nicht die Antworten bekommen hatte, die er hören wollte. Eigentlich entsprach ihre Antwort auch nicht der Wahrheit, aber wie sollte sie ihm das alles sonst erklären? „Ich werde dich begleiten“, sagte Konrad Jäger dann in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Das war so eigentlich nicht abgesprochen gewesen, doch wenn er sie jetzt gehen lassen würde, dann würde er sie höchstwahrscheinlich nie wieder sehen und würde damit die Chance vergeben, das alles hier aufzuklären. Also ignorierte er die warnenden Stimmen in seinem Ohrhörer und sah Layla wütend an.
    „Aber…“, versuchte Layla einzuwenden, doch er ließ sie nicht zu Wort kommen. „Nein, es ist meine Firma und ich entscheide, mit wem ich welche Geschäfte mache.“ Layla schüttelte den Kopf. Was sollte das nur? „Gut, dann kommen Sie halt mit, wenn Sie das unbedingt so wollen, aber ich kann für nichts garantieren!“ Sie wusste, dass er sich nicht umstimmen lassen würde, er würde schon sehen, was er davon hatte, doch sie hatte jetzt keine Zeit für Diskussionen, sie musste zurück. Wenigstens hatte sie soviel Glück gehabt, dass er nicht die Polizei eingeschaltet hatte, was nur ihr Vorurteil vom berechnenden Firmenchef bestätigte, der um jeden Preis auf Profit aus war. Sie kam gar nicht auf die Idee, dass es anders sein könnte, was in diesem Fall allerdings von Vorteil war. Also verließ sie gemeinsam mit Konrad Jäger das Büro.

  • In der Einsatzzentrale hatte sich Susanne inzwischen einen Stuhl herangezogen und sich still hinter Semir gesetzt. Es hatte zwar niemand etwas gesagt, doch sie hatte die teilweise verwunderten Blicke auf sich gespürt, welche sie allerdings geflissentlich ignorierte. Auch wenn sie noch nicht lange hier arbeitete und sich nicht wirklich heimisch fühlte, so mochten sie hier doch alle, da sie ihr freundliches Wesen behalten hatte, auch wenn ein Teil davon inzwischen gespielt war, doch das hatte hier niemand bemerkt. Ihre Kollegen schienen einfach davon auszugehen, dass Susanne gute Gründe für ihr Handeln hatte. Und da sie auch nicht störte, sagte niemand etwas. Semir war eigentlich ganz froh darüber, dass Susanne da war; irgendwie erinnerte ihn das an früher und das tat ihm unerwarteter Weise gut. Hätte man ihn vorher danach gefragt, wäre er einer solchen Situation lieber aus dem Weg gegangen, um keine gerade verheilenden Wunden wieder aufzureißen, doch es fühlte nicht schlecht an, vor allem ihr Gespräch hatte ihm geholfen. Es war nur noch der falsche Jäger, der auch noch mit dabei war.



    Der war mit Layla nach einer längeren Fahrt inzwischen bei einer Art Gutshaus außerhalb der Stadt angekommen. Semir war so in Gedanken gewesen, dass er den Weg dorthin gar nicht mitbekommen hatten, doch auch die anderen hätten ihm nichts dazu sagen können, da die Kamera überwiegend nur die Ablagefläche des Autos aufgenommen hatte, da Konrad Jäger die Krawattenklammer unglücklicherweise sehr tief befestigt hatte.
    Semir hatte gar nicht gewusst, dass es hier in der Nähe solche Anlagen gab, aber er kam ja auch selten aus der Stadt raus. „Haben Sie Ihre Leute bei ihm in der Nähe?“ fragte er dann den leitenden Beamten, denn es war ja gar nicht geplant gewesen, dass Konrad sich mit Layla auf den Weg machte. „Wir arbeiten dran“, erklang jedoch die überraschende Antwort aus zusammengepressten Lippen. Ungläubig drehte sich Semir zu Martin Lauer, der mit verbissenem Gesichtsausdruck auf die Monitore starrte. „Sie wollen mir doch jetzt nicht ernsthaft weismachen wollen, dass Sie den Mann da alleine haben hinfahren lassen?“ fragte Semir fassungslos. Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Gut, es war nicht geplant gewesen, dass Konrad alleine los zog, doch die Leute hier waren doch Profis, die machten das doch nicht zum ersten Mal! „Wir haben da ein kleines Problem mit der Technik“, kam es ziemlich kleinlaut zurück. „Wir wissen nicht, wo sie sind, der GPS Sender ist ausgefallen. Und da noch nicht geplant war, dass er das Büro verlässt, hatten wir noch keine Beamten in der Nähe. Er handelt auf eigenes Risiko, wir haben ihn davor gewarnt, mit ihr zu gehen.“ „Das heißt, Konrad glaubt, dass er Unterstützung hat, ist aber auf sich allein gestellt?“ fragte Semir entsetzt. Ein stummes Nicken war die Antwort. „Dann können wir ja wohl nur hoffen, dass nichts weiter passiert!“ fauchte Semir ironisch und Susanne schüttelte den Kopf. So etwas war hier noch nie passiert, warum musste das ausgerechnet jetzt sein!
    Gebannt starrten sie weiter auf den Bildschirm, denn die Bild- und Tonübertragung funktionierte im Moment zumindest noch einwandfrei. Konrad betrat jetzt an Laylas Seite das herrschaftlich anmutende Haus.



    Sofort nachdem sie die Eingangshalle betreten hatten, kamen drei Männer auf die beiden zu, die einen nicht sehr erfreuten Eindruck ob des unerwarteten Besuchers machten. Der mittlere ging auf Layla zu und riss ihr die Papiere aus der Hand. „Das ist alles?“ fragte er in barschem Tonfall. Sie nickte eingeschüchtert. Was sie hatte tun können, hatte sie nun getan, es lag nicht mehr in ihrer Macht, was nun passierte, sie konnte nur noch hoffen, dass es nicht allzu schlimm wurde. „Und wer ist das?“ fragte der Mann nun. Konrad Jäger hatte keine Ahnung, wie er sich nun verhalten sollte, sein Ohrhörer, der als Hörgerät getarnt war, schien verrutscht zu sein, er konnte nur noch ein leises Rauschen wahrnehmen, er wusste nicht, ob man ihm irgendwelche Anweisungen gab, doch er musste sich jetzt entscheiden, was er machen sollte, er konnte nicht einfach schweigend hier stehen bleiben. Er entschied sich für die Flucht nach vorn, eine Wahl, die er schon bald bereuen sollte. „Mein Name ist Konrad Jäger, Frau Aktan ist meine Angestellte.“
    Fassungslos starrte Antonio den Mann an, der wirklich ernst zu meinen schien, was er da gerade gesagt hatte. Wie hatte sie das nur geschafft? Das war ja noch viel besser als jegliche Unterlagen! Er begann schallend zu lachen. „Schafft sie erst mal weg. Zu unserem anderen Gast. Und stellt sicher, dass er nicht verschwinden kann. Ich muss mir in Ruhe überlegen, was ich mit ihm anfangen kann.“

  • In der Zentrale war inzwischen hektische Betriebsamkeit ausgebrochen. Während Semir und Susanne weiterhin nur zum Nichtstun verdammt auf den Bildschirm starren konnten, versuchten die Beamten, die hier arbeiteten, fieberhaft heraus zu finden, wohin Konrad Jäger gebracht worden war. Ein Spezialist aus der Technikabteilung war auch noch hinzugekommen, denn inzwischen war es auch nicht mehr möglich, mit Konrad in Kontakt zu treten, sie konnten nur noch zusehen und hören, was geschah, aber nicht mehr eingreifen. Der Techniker hatte irgendwas von Mastenverteilungen, Durchschnittswerten und anderem Kram gefaselt, während er an diversen Tasten herumgedrückt hatte, aber zum einen waren Semir und Susanne mit ihren Gedanken ganz woanders, zum anderen drückte sich sogar Hartmut gegenüber diesem Mann verständlich aus. Er faselte einfach vor sich hin, so dass ihn die beiden schließlich ignorierten und Susanne dann schließlich den Gedanken aussprach, der beiden auf der Seele lag. „Ob Ben auch in die Sache verwickelt ist?“ Dabei sah sie Semir mit angsterfülltem Blick an. Zu schrecklich war einfach die Vorstellung, sie könnte mit dieser Vermutung Recht haben. „Kann ich mir nicht vorstellen“, antwortete Semir jedoch zu ihrer großen Erleichterung. „Sonst wäre er doch schon vorher auf irgendeine Art und Weise vorher bei den Ermittlungen aufgetaucht“, begründete er diese Vermutung. Aber vielleicht war das ja wirklich geschehen und man hatte ihm diese Verbindung verschwiegen, weil man um seine Beziehung zu Ben wusste. Er selbst hätte es jedenfalls so gemacht. Trotzdem konnte er sich das nicht wirklich vorstellen, auch wenn er all das in Betracht zog, was vorher geschehen war. Das einzige was man Ben vorwerfen konnte, war die Tatsache, dass er zu naiv gewesen war, was diese Frau betraf. Dabei musste man jedoch die Situation berücksichtigen, in der er sich befunden hatte, denn normalerweise war Ben kein Mensch, der leichtfertig sein Vertrauen verschenkte. Semir konnte sich kaum vorstellen, dass er sich noch einmal freiwillig mit Layla getroffen hatte. Sein Vater war da jedoch ein ganz anderes Kaliber, was diesen jedoch dazu bewogen hatte, Layla schließlich doch einzustellen, wusste Semir nicht und eigentlich war ihm das auch egal. Wichtig für ihn war nur, dass Ben mit all dem nichts mehr zu tun haben würde.
    Also sagte er: „Ich denke mal, Ben wird noch unterwegs sein, wer weiß, wohin es ihn verschlagen hat. Vielleicht macht er einen Trip über die Route 66.“ Ein wenig musste er bei dieser Vorstellung lächeln, es würde ihn für Ben freuen, wenn er diesen Wunsch endlich mal in die Tat umgesetzt hätte. Doch eigentlich tat es sehr weh, nicht zu wissen, wo sein Partner steckte und wie es ihm ging. Semir hatte nie aufgehört, von Ben als seinem Partner zu denken und er hatte auch nicht vor, in absehbarer Zeit damit aufzuhören. Dass Konrad allerdings auch nicht gewusst hatte, wo sein Sohn sich derzeit aufhielt, bereitete Semir allerdings mehr Sorgen, als er zugeben wollte.
    „Semir, es tut mir leid“, sagte Susanne auf einmal unvermittelt und riss ihn damit aus seinen trostlosen Gedanken. „Wie bitte?“ Er konnte ihr nicht ganz folgen. „Es ist alles meine Schuld“, erklärte Susanne, doch er verstand immer noch nicht und sah sie fragend an. „Wenn ich Ben einfach nur vertraut hätte, so wie er verdient hätte und ihm die Gelegenheit gegeben hätte, alles zu erklären, dann wäre wahrscheinlich nichts von dem passiert, was uns auseinander gebracht hat.“ Semir sah sie an und begriff, das er sorgfältig abwägen musste, was er als Nächstes sagen konnte, denn er wollte auch ehrlich zu ihr sein, auch wenn er gehofft hatte, die Fortsetzung dieses Gespräches noch ein wenig aufschieben zu können.
    „Susanne, wir haben alle Fehler gemacht, niemand trägt allein die Verantwortung für das, was geschehen ist. Jeder von uns hatte im jeweiligen Augenblick nachvollziehbare Gründe für sein Verhalten, aber das Wichtigste ist, dass niemand ernsthaft vorhatte, den anderen zu verletzen. Im Grunde wollten wir alle immer nur das Beste, was uns allerdings gründlich misslungen ist. Glaub mir, ich bin inzwischen überzeugt davon, ich habe nämlich auch viel darüber nachgedacht.“ Susanne schwieg einen Moment.

  • „Meinst du, ich könnte wirklich wieder zu euch auf die Dienststelle zurück?“ fragte sie dann. „Die Kollegen hier sind zwar sehr nett, aber ich fühle mich hier einfach fehl am Platz. Es war eine falsche Entscheidung, von euch weg zu gehen, aber ich hatte gehofft, so besser mit allem klar zu kommen. Es sollte ein Neuanfang für mich werden, aber der ist gründlich daneben gegangen“, erklärte sie dann noch. „Wir würden uns alle sehr freuen, wenn du wieder zu uns zurück kommen würdest“, sagte Semir. „Frau Krüger wird drei Kreuze machen, wenn sie das hört, sie wird bestimmt alles daran setzten, dich so schnell wie möglich zurück zu holen. Es hat sich nämlich herausgestellt, dass deine Nachfolgerin demnächst schon wieder eine Babypause macht. Gleich wenn das hier vorbei ist, werde ich die Chefin anrufen und du wirst sehen, dass du gar nicht so schnell gucken kannst, wie sie das organisiert haben wird.“ Susanne lächelte und Semir konnte förmlich sehen, wie ihr ein Stein vom Herzen fiel. Somit wären sie dann auch wieder etwas vollständiger, er war froh, dass sie sich so entschieden hatte. Es war wirklich fast so, als würde sie wieder zu ihrer Familie zurückkehren.
    „Was passiert da?“ fragte Susanne dann auf einmal und ihrer beider Aufmerksamkeit wandte sich wieder dem Monitor zu. Anscheinend hatten sie verpasst, dass der Chef der Gruppe, der anscheinend Antonio hieß, eine Anweisung gegeben hatte, denn Konrad Jäger wurde in diesem Moment durch das Haus geleitet. Layla war nicht mehr zu sehen, Semir und Susanne hatten nicht mitbekommen, dass sie bereits mit einem der anderen Männer gegangen war. Konrads Weg führte nun bis in eine Art Weinkeller hinunter, welcher an seinem Eingang mit einer schweren Holztür versehen gewesen war.
    „Bitte nehmen Sie Platz“, wurde Konrad nun mit falscher Höflichkeit von einer Männerstimme aufgefordert, die keinen Widerspruch zu dulden schien. Den dazugehörigen Menschen bekamen sie nicht mehr zu Gesicht, denn die Linse der Kamera war in das Dunkel des Kellers gerichtet. „Hey, was soll das!“ hörte man Konrad Jäger protestieren. Es war ihm deutlich anzumerken, dass er Angst hatte, auch wenn er sich augenscheinlich sehr bemühte, sich das nicht anmerken zu lassen. „Keine Sorge, nur eine kleine Vorsichtsmaßnahme bis Antonio sich in Ruhe Gedanken darüber gemacht hat, wie sich eure zukünftige Geschäftsbeziehung gestalten lässt.“ Mit diesen Worten schlossen sich die Handschellen um seine Gelenke. Ebenfalls damit wurde Konrads linke Hand schließlich noch an einem Gitter befestigt , hinter dem sich eine Einbuchtung in der Wand befand, welche zur Lagerung diverser Weinflaschen diente. Der Perspektive der Aufnahme nach schien Konrad auf dem Boden zu sitzen. „Und wie lange werde ich hier Ihre ‚Gastfreundschaft’ genießen können?“ versuchte er weiterhin den selbstsicheren Geschäftsmann zu geben. „Oh, ich denke, das wird nicht allzu lange der Fall sein, aber sorgen Sie sich nicht, Sie haben ja Gesellschaft“, war die Antwort. „Da haben Sie jemanden, dem Sie zuhören können.“ Noch bevor Konrad dazu kam, sich zu fragen, was dieser letzte Satz bedeuten sollte, erschien vor seinem Gesicht ein Klebeband und ehe er sich versah, klebte es auf seinem Mund fest. „Nur eine Vorsichtsmaßnahme“, war die lapidare Erklärung. „Um sie braucht er sich keine Gedanken machen, aber er kann dich noch nicht so ganz genau einschätzen. Wer weiß, was du ihr sonst erzählen würdest. Ich kann dir auf jeden Fall raten, es nicht auf Ärger mit ihm ankommen zu lassen, so wie sie es versucht hat. Das würde dir nicht gut bekommen.“ Leiser werdende Schritte zeigten nun an, dass sich der Mann entfernte.

    Einmal editiert, zuletzt von Danara () aus folgendem Grund: kleiner Logikfehler

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